Mörderisches Osnabrücker Land - Ulrike Kroneck - E-Book

Mörderisches Osnabrücker Land E-Book

Ulrike Kroneck

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Beschreibung

Es muss ja nicht immer gleich Mord sein! In grotesken und tragikomischen Geschichten führen zwei Ermittler die Leserinnen und Leser durch das schöne Osnabrücker Land - vom Teutoburger Wald, den Grönegau und das Wiehengebirge über die Varusregion bis zum Artland: Hauptkommissarin Irmela Hagekötter, die zu erfrischend unkonventionellen Mitteln greift, und Thaddäus Just, Fotojournalist, der mit seinem Terrier Vincent im Schlepptau immer wieder in kriminelle Geschichten gerät.

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Ulrike Kroneck / Conny Rutsch

Mörderisches Osnabrücker Land

11 Kurzkrimis und 125 Freizeittipps

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2017 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

2. Auflage 2020

(Originalausgabe: Wer mordet schon im Osnabrücker Land?, 2015)

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Fotolyse – Fotolia.com

und © Fly_dragonfly – Fotolia.com

ISBN 978-3-8392-5404-2

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Kunst kann tödlich sein

Freizeittipps

Ebba und der tote Arnold

Freizeittipps

Der Kräutergarten

Freizeittipps

Das Skelett im Moor

Freizeittipps

Der Lehrer

Freizeittipps

Abgeschossen

Freizeittipps

Der indianische Sattel

Freizeittipps

Eiskalt erwischt

Freizeittipps

Der Bulli

Freizeittipps

Das phrygische Amulett

Freizeittipps

Mörderische Absichten

Freizeittipps

Lesen Sie weiter …

Kunst kann tödlich sein

Von Ulrike Kroneck und Conny Rutsch

Irmela Hagekötter hatte sich breitschlagen lassen, auf die Vernissage zu gehen. Sie liebte solche Veranstaltungen nicht besonders, aber ihrer Nichte Ebba zuliebe stand sie nun im KuK Dissen 1 und wartete darauf, dass der Fotograf Thaddäus Just etwas zu seinen Arbeiten sagen würde.

Wie alle hatte auch sie ein Glas Prosecco in der Hand, und da sie niemanden außer Ebba kannte, lehnte sie sich an einen der Türrahmen des Ausstellungsraums und beobachtete das Treiben. Beobachten und sich ein Bild von der Lage machen war ihre Leidenschaft, auch wenn sie seit einiger Zeit nicht mehr im aktiven Dienst war. Ebba stolzierte mit ihren nicht enden wollenden Beinen an den Fotografien ihres persönlichen Kunstgurus vorbei. Sie zeigten Besonderheiten des Osnabrücker Landes aus einer ungewöhnlichen Perspektive – und als Schwarz-Weiß-Fotos.

Irmela versuchte den Künstler auszumachen. Ebba hatte geschwärmt, Just sei größer als sie, die mit 1.82 immer auf der Suche nach Männern war, die ihr – zumindest was die Länge anging – überlegen waren. Irmela hatte ihn schnell entdeckt. Mit seinen fast 1.90 überragte er alle, die mit ihren Proseccogläsern um ihn herumscharwenzelten.

»Ach du lieber Gott«, stöhnte Irmela, »wieder so eine Kunsttunte.« Ebba mit ihren 23 Jahren war, wie sie fand, nicht ganz geschmackssicher. Seit Irmela außer Dienst war, erlaubte sie sich nach Herzenslust, politisch inkorrekt zu sein – und vor allem parteilich. Das hatte sie als leitende Kriminalhauptkommissarin der Mordkommission Osnabrück zu ihren aktiven Zeiten nicht gedurft. Da hieß es immer objektiv bleiben. Aber dieser Fotograf schien ihr, objektiv betrachtet, tuntig. Außerdem machte ihn das Hündchen, das er auf dem Arm trug, ein Yorkshire Terrier mit Schleife, nicht männlicher. Er bediente ihrer Ansicht nach einige Klischees.

Sie bezog Position an der großen Eingangstür des Ausstellungsraums und beobachtete weiter, wie dieser Mann nun einige Menschen – offensichtlich von der Presse – mit Küsschen links, Küsschen rechts begrüßte. Ihre großgewachsene Nichte hatte sich mittlerweile zu ihr gesellt und ihren Körper elegisch an die Wand gelehnt. Irmela schaute zu ihr auf: »Ebba, ich glaube, ich geh wieder.«

»Tante Irmela«, seufzte Ebba. »Du kannst mich jetzt nicht allein lassen.«

»Nun, sag ja nicht, dass du hier Hemmungen hast«, stöhnte Irmela. Sie kannte ihre Nichte, und wenn diese etwas nicht hatte, dann waren das Hemmungen.

»Komm, Irmela, ich stelle dir Thaddäus Just vor. Er wird dir gefallen.« Sie beugte sich an das Ohr ihrer Tante: »Aber ich muss erst mal aufs Klo!«

»Das ist etwas mehr Information als ich benötige«, zitierte Irmela einen Film, weil der Satz genau ihre Meinung spiegelte.

Der bezopfte Mann war mittlerweile vor eine große Schwarz-Weiß-Fotografie getanzt und sie konnte sehen, wie die dazugehörigen Arme mit ausladender Geste irgendwelche, wahrscheinlich wichtigen Worte begleiteten.

»Oh Gottogott«, stöhnte sie laut auf und verzog ihren Mund. Hoffentlich sehe ich jetzt nicht aus wie eine vertrocknete Zitrone. Das hatte ihr einmal ein angetrunkener Künstler gesagt, dem sie nicht an den Lippen gehangen hatte, sondern als Zeuge in einer Mordsache befragen wollte. »Vertrocknete Zitrone!« Damals war sie 31 Jahre alt gewesen, vor genau 30 Jahren. Als leitende Beamtin, die einer »besonderen Belastung« ausgesetzt war wie sie, musste sie schon mit 61 in den Ruhestand gehen. Jedenfalls hatte sie seit damals die Künstler gefressen. Sie hielt sie samt und sonders für Narzissten.

Irmela versuchte entspannter auszusehen als sie sich fühlte, lehnte sich an den Pfosten und schloss die Augen. Denn jetzt schien der Künstler Anstalten zu machen, sich lauthals zu produzieren und seine Werke zu erläutern.

»Sehr geehrte Damen und Herren«, begann der eitle Hagestolz. »Ich freue mich, dass Sie zum Werkstattgespräch …«

»Oh je«, stieß Irmela Hagekötter aus. »Oh je, Thaddäus Just, fasse dich kurz.«

»Noch war ich doch nicht allzu geschwätzig«, sagte ein freundlicher Riese, der lässig an der Wand neben ihr stand.

»Wie bitte?« Irmela musterte den attraktiven Mann. Schlank, wie er war, konnte er seine Jeans tragen, darüber ein weißes Leinenhemd und eine schwarze Leinenweste. Auf jeden Fall war er eine angenehme und gepflegte Erscheinung für seine 43 Jahre, auf die ihn Irmela taxierte. Sie musste zu ihm aufschauen, denn er war mindestens 30 Zentimeter größer als sie. Er hatte kinnlanges braunes Haar, das ihn aber nicht wie Prinz Eisenherz aussehen ließ, sondern durchaus viril.

»Ich meinte nicht Sie«, entschuldigte sie sich.

»Ach so«, sagte der Mann und schwieg.

Der Bezopfte gestikulierte jetzt in Richtung der Eingangstür und alle drehten ihre Köpfe und guckten zu Irmela. Nein, zu dem großen Kerl neben ihr. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute ihn ebenfalls an.

»Der Künstler ist jetzt gern bereit, Ihre Fragen zu beantworten«, rief der Bezopfte und wies mit der Hand auf den Mann neben ihr. Thaddäus Just lächelte und flüsterte ihr ins Ohr. »Ja. Sie entschuldigen mich bitte, ich muss mal eben meine Pflicht tun.«

Irmela Hagekötter wurde rot, so vermutete sie, verfluchte sich für ihre ungerechte Voreiligkeit: »Tut mir leid, Sie sind Thaddäus Just?«

»So ist es«, strahlte der Mann, ging auf den Herrn mit dem Zopf zu und schüttelte ihm die Hand. »Vielen Dank für Ihre einführenden Worte, Dr. Hühmann.« Dr. Hühmann, Fachbereichsleiter für Kunst und Kultur an der Kreisvolkshochschule, zeichnete selbst mit hartem Bleistift und hatte sich die Förderung der Kunst im Osnabrücker Raum zur Aufgabe gemacht. Er verbeugte sich dankend vor Thaddäus Just, senkte voller Bescheidenheit die Lider und trat zur Seite.

Thaddäus Just begann seine großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien zu erläutern, die alte Industrieanlagen in den Mittelpunkt stellten: die Gebäude von Homann Dissen, den Kamin des ehemaligen Burton-Werks in Buer, das Kalkwerk auf dem Langenberg zwischen Iburg und Lienen, die großen Anlagen des alten Stahlwerks in Georgsmarienhütte, die Kanal-Schleuse am Stichkanal in Osnabrück … Die Ausstellung würde in den nächsten Monaten in verschiedenen Kunst- und Kulturvereinen des Landkreises zu sehen sein. Die nächste Station sollte in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein WIR in Fürstenau 2 stattfinden.

Thaddäus Just sprach drei Minuten und 21 Sekunden. Seine Bilder zeigten die Objekte aus der Perspektive des »arglosen Betrachters« und versuchten dem Sachlichen dadurch einen emotionalen Aspekt hinzuzufügen. Manche Bilder seien noch mit einer alten Hasselblad aufgenommen. »Auf jeden Fall kommt es mir darauf an, das Objekt zu zeigen und wenig mit Fotoshop zu arbeiten. Ich nutze dabei immer das Originallicht.«

Irmela war beeindruckt, sie liebte es, wenn jemand kurz und knapp das Wesen einer Sache darlegte. Für die Art von Künstler konnte sie sich durchaus erwärmen. Das schien auch Ebba neben ihr zu meinen, die sich auf der Toilette die Lippen nachgezogen hatte, und nun sichtlich verklärt seinen Worten lauschte. »Ist der nicht cool?«

»Ist der nicht ein bisschen zu alt für dich mit seinen 43 Jahren.«

»Er ist schon 48. Ich habe nichts gegen alte Männer.«

Nach dem offiziellen Teil begaben sich alle mit ihren Gläsern in den Garten des KuK. Er lag mitten in Dissen. Dr. Hühmann hatte Thaddeus Just am Arm genommen und versuchte, ihn in ein Gespräch über Bauhausfotografie zu verwickeln. Das gelang nicht, denn eine dünne Frau brach, ohne sich zu entschuldigen, in den Versuch der kulturellen Kommunikation des Dr. Hühmann ein.

»Detlef, ich muss jetzt mit Thaddäus Just über mein Anliegen sprechen.« Nach dieser Ansage klappte sie den Mund zu einer schmalen Linie zusammen und zog ihren Mund in die Breite.

Dr. Hühmann schluckte und knipste ein starres Lächeln an. »Darf ich vorstellen, meine Frau …«

Die Gattin von Dr. Hühmann würdigte ihn keiner weiteren Aufmerksamkeit und griff an Thaddäus’ Arm. »Sie müssen …«, sagte sie mit Nachdruck, »Sie müssen unbedingt meine Skulpturen fotografieren.« Sie hatte zu dünne Beine für die schwarzen Leggins, und für das kurze Hängerchen war sie zu alt. Thaddäus schätzte sie auf Mitte 50.

»Gerne, Frau Hühmann.«

Sie lächelte schmallippig: »Hühmann-Girrel.«

In einiger Entfernung unter einem Ginko lag ein Irischer Terrier, der ohne Kläfferei vorbildlich auf seinen Herrn wartete. »Darf ich Ihnen im Gegenzug meinen Begleiter vorstellen?« Thaddäus befreite den Hund von der Leine: »Das ist Vincent.« An Frau Hühmann-Girrel gewandt, wiederholte er: »Vincent-Just.«

Frau Hühmann-Girrel griff nach dem Yorkshireterrier auf dem Arm ihres Gatten und setzte ihn auf den Rasen. »Lauf Minni.« Vincent pflegte keine Vorurteile gegen Schoßhündchen und flitzte mit der kleinen Minni in die Büsche.

»Wir sollten darüber in Ruhe sprechen«, versuchte Thaddäus die etwas angespannte Kommunikation des Ehepaars zu ignorieren. »Ich kann doch morgen in Ihrem Atelier vorbeikommen und möglicherweise gleich Fotos Ihrer Skulpturen machen.« Thaddäus’ suchende Blicke hatten Irmela Hagekötter und Ebba an der anderen Seite des Gartens zwischen den Gästen gefunden. Er winkte Ebba entschuldigend zu.

»Hallo, Thaddäus,« rief die blonde Ebba so süß und so laut zu ihm hinüber, dass sie nicht nur seine Aufmerksamkeit bekam. Er griff die Gelegenheit beim Schopf, entschuldigte sich, er müsse zu seinen persönlichen Gästen, sie könnten gleich noch Genaueres besprechen und gesellte sich zu den beiden Frauen. Er strahlte Ebba an und nahm sie in den Arm wie eine Tochter.

»Das ist Thaddäus Just«, sagte Ebba zu Irmela und drehte sich aus der Umarmung.

»Von Ihnen hab ich ja schon viel gehört, Frau Hauptkommissarin.« Thaddäus ignorierte die Avancen der jungen Frau. Sie war ihm offensichtlich viel zu jung.

»A.D.«, korrigierte Irmela Hagekötter. Doch sie wusste bereits alles über Thaddäus Just und sie war sich sicher, dass auch er über ihre gesamte Vita im Bilde war. Ebba hatte bei Thaddäus in Hannover vor einem halben Jahr ein Fotoseminar besucht und lag ihrer Tante seitdem mit ihrer Schwärmerei in den Ohren.

Ein Aufheulen ließ mit einem Schlag alle Gespräche verstummen. Alle drehten die Köpfe. Wie auf einer Bühne präsentierte sich ein großes Gezeter. Dr. Hühmann stand im Zentrum des Geschehens. An seinem rechten Arm hing seine Gattin, an seiner Linken zerrte eine kleine dralle Frau.

»Silvya«, bat Dr. Hühmann kläglich. »Bitte.« Er zog seinen Arm zurück, aber seine Gattin ließ nicht locker.

Die pummelige Frau zerrte am anderen Ellbogen von Dr. Hühmann. Ihr hennaroter Pagenkopf war etwa in seiner Brusthöhe. »Du hast mir was anderes zugesagt. Du hast mir versprochen, ich bin die nächste Künstlerin in deiner Ausstellungsreihe. Ich bin es, die im Schafsstall 3 Bad Essen ausstellen wird.« Sie stampfte mit dem Fuß auf.

Dr. Hühmann zog seinen Arm zurück. »Gunda, bitte, nicht hier.« Er schaute missbilligend auf sie herunter und versuchte seinen Arm zu befreien. Zwei-, dreimal zog er ihn zurück, aber sie hing so fest an ihm wie ein Hund an der Hose des Briefträgers auf der Witzseite der alten Fleischerzeitungen.

»Das ist Gunda Schwertfeger-Rose«, tuschelte jemand neben Thaddäus und Irmela. »Sie ist die Kunst- und Werklehrerin meiner Tochter an der Waldorfschule.« Seit einigen Jahren stellte sie ihre Arbeiten in der Öffentlichkeit aus.

Frau Schwertfeger-Rose hob ihre Stimme um einige Dezibel: »Genau hier, Detlef. Genau hier!« Sie reckte ihre runden Brüste vor, ließ seinen Arm unvermittelt los und fuhr sich mit beiden Händen durch ihren hennaroten Pagenkopf. Das Publikum hatte den Kreis ein wenig enger um die handelnden Personen gezogen.

Silvya Hühmann-Girrel hatte den Arm ihres Mannes ebenfalls freigegeben und sich nun Gunda Schertfeger-Rose zugewandt. »Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du mit deinen albernen Fruchtbildern allen Ernstes eine Ausstellung bestücken könntest.« Mit dem Zeigefinger stieß sie in Gundas vorgerecktes Dekolleté.

Gunda schnaubte vor Wut. »Fass mich nicht an!«

»Ich fasse an, was ich will.« Sie griff jetzt mit der ganzen Hand zwischen die Brüste von Gunda Schertfeger-Rose und zerrte sie an der Leinenbluse zu sich heran. Zwei Knöpfe sprangen ab. Durch diese Attacke aus dem Gleichgewicht gebracht, kippte ihr die aufheulende Gunda den Rest des Proseccos ins Gesicht.

»Du…duuuu …duuuu …« Silvya stampfte ihre Stilettos in den Rasen, holte mit dem rechten Arm weit aus und gab ihrer Widersacherin eine Ohrfeige.

Das Publikum kommentierte diesen Angriff mit einem interessierten Raunen.

Irmela, Thaddäus und Ebba hatten sich, als das Theater losging, vorsichtig in die hinteren Reihen und rückwärts in Richtung Gartenpforte geschoben. Von dort pfiff Thaddäus nach seinem Hund. Weil sie den aufregenden Abend noch nicht beenden wollten und Ebba mit ihrem Schwarm noch einige Zeit verbringen wollte, schlug sie vor, sich im Jazzclub Dissen 4 noch das heutige Dixiekonzert anzuhören. Schließlich sollten sich Irmela und Thaddäus kennenlernen. Das taten sie auch. Es dauerte bis nach Mitternacht, bis die müde Antialkoholikerin Ebba die beiden fahruntüchtigen neuen Freunde nach Hause fahren konnte.

*

Am folgenden Morgen holte Thaddäus Just Irmela Hagekötter in ihrer Wohnung im Osnabrücker Katharinenviertel zu Fuß ab. Seine alte DKW mit Beiwagen stand noch in Dissen vor dem KuK. Ebba hätte ihn gern in den Norden des Landkreises gefahren, aber sie war zum »Ausdrucksmalen« in der Meller Wilden Rose 5 angemeldet und dieser Schritt auf ihrem Weg zu ihrem Selbst war ihr letztlich wichtiger als Thaddäus. Irmela, die den gesamten Landkreis kannte wie ihre Westentasche und vorhatte ihn demnächst zu durchwandern, hatte ihn ermuntert, sich auf jeden Fall mit ihr gemeinsam das Stift Börstel 6 anzusehen und anschließend den Arbeitskotten von Silvya Hühmann-Girrel ganz in der Nähe von Berge bei Fürstenau aufzusuchen. Eigentlich hatte Thaddäus nach dem Abend mit den beiden Damen keine große Lust mehr, der Einladung von Silvya zu folgen.

»Ach, Berge, ist das nicht der kleine Ort, in dem jedes Jahr das große Bikertreff 7 ist?« Einer seiner Freunde sei dort immer.

Irmela versprach ihm, auch ohne Motorrad sei der Nordkreis besonders schön. »Die Gegend ist von einer beschaulichen Weite und Ruhe und strahlt einen Frieden aus, wie man es sich in der Stadt gar nicht vorstellen kann«, hatte sie ihm vorgeschwärmt und angeboten, ihn in ihrem Auto dorthin zu fahren.

Das Bild, das sich ihnen jedoch bei ihrer Ankunft in Berge bot, war alles andere als friedlich. Irmela und Thaddäus hatten ihr Auto unter einer großen Eiche auf dem Kotten der Silvya Hühmann-Girrel abgestellt. Dort standen bereits drei weitere. Sie überquerten den Rasen. Mehrere mit Nägeln bespickte alte Eichenbalken, in die wie übereinandergelegte Spinnennetze Wollfäden gezogen waren, standen auf grob zugesägten Holzklötzen. Zu sehen war niemand. Die beiden näherten sich der offenen Tür an der Seite des Fachwerkhauses.

»Hallo!«, rief Thaddäus. »Hallo?« wiederholte er nach einiger Zeit. Aber es kam keine Antwort. »Eigenartig.« Die Stille wirkte beklemmend, würde er später sagen, obwohl es eigentlich draußen keinerlei Anhaltspunkte für das gab, was geschehen war.

Sie traten in den Flur und Thaddäus rief noch einmal: »Ist hier wer?«

»Psst«, sagte Irmela, die ein leises Geräusch glaubte vernommen zu haben. Sie blieben stehen und lauschten leicht vorgeneigt in das Haus. Aus dem hinteren Raum, wahrscheinlich aus der Diele, vernahmen sie ein kurzes Kratzen. Dann war es wieder ruhig.

»Hallo«, rief Thaddäus etwas zaghafter in die Stille.

Irmela Hagekötter ging an ihm vorbei und öffnete die Tür am Ende des Ganges, die direkt in die große Diele führte.

Silvya Hühmann-Girrel lag in der Diele ihres Kottens auf dem Rücken, das Gesicht zur Seite gewendet, den Hinterkopf in einer Blutlache, das Haar verklebt. Der Hüftschmeichler über ihren Leggins war zu einer Wurst zusammengerollt und bis zum Bauchnabel hochgerutscht. Ihre rechte Hand umschloss eine Nagelpistole, die über den Schlauch mit dem Kompressor verbunden war. Ihre Augen waren geschlossen.

Die Augen der drallen Gunda Schwertfeger-Rose standen weit offen. Sie lag Fuß an Fuß mit Silvya auf dem Lehmboden der Diele, auf den ersten Blick unverletzt, aber augenscheinlich tot. Ihr Leinenrock war bis über beide Knie geschoben.

Der Mann, an dem die beiden Frauen gestern noch gezerrt hatten, saß wie ein Schiedsrichter auf Höhe der Füße auf einer Kiste – und nickte mit dem Kopf wie ein alter Marabu. Vor ihm auf dem Boden lag ein Kuhfuß. Dr. Hühmann schien erstarrt. Deshalb hatte er auf ihr Rufen wahrscheinlich nicht geantwortet. Er schien sie nicht gehört zu haben.

»Was ist denn hier passiert?«, fragte Thaddäus den gestern bei seiner einführenden Rede noch so souverän sprechenden Dr. Hühmann.

»Ich habe die Polizei schon gerufen«, antwortete Dr. Hühmann und blieb sitzen, wo er war. Ein Handy lag in seinem Schoß. »Zwei Tote.«

Irmela Hagekötter blickte Dr. Hühmann prüfend an. Er schien ganz ruhig zu sein. Sie beugte sich über Silvya, legte die Hand an deren Halsschlagader und warf einen Blick auf Thaddäus: »Sie hat Puls.«

Dr. Hühmann schien zusammenzuzucken, blieb aber weiterhin sitzen.

»Haben Sie auch den Notarzt gerufen?« Thaddäus Just zog sein Handy aus der Tasche.

Dr. Hühmann hatte nicht wahrgenommen, was Thaddäus gesagt hatte, sondern nickte weiter mit dem Kopf. »Silvya hat Gunda erschossen.« Er zeigte mit der Hand auf die Nagelpistole in der Hand seiner Frau.

In der Ferne heulte das Martinshorn. Irmela Hagekötter stand auf und ging zu Gunda. Eine Prüfung der Vitalfunktionen schien sich zu erübrigen. Trotzdem beugte sie sich zu der Frau mit den aufgerissenen Augen herunter. Dr. Hühmann verfolgte Irmelas Tun aus den Augenwinkeln. »Ich konnte es nicht verhindern. Ich hab es versucht«, sagte er leise.

Irmela schaute auf Thaddäus, der dabei war, den Notarzt zu verständigen. Dr. Hühmann fest im Blick näherte Irmela sich erneut Frau Hühmann-Girrel.

In diesem Moment schien wieder Leben in Hühmann zu fahren. Er stand auf und trat neben den leblosen Körper von Gunda, schüttelte den Kopf und flüsterte: »Tot, mein Gott.« Abrupt drehte er sich um und trat neben Irmela. »Die beiden haben sich wieder so angeschrien«, sagte er in Richtung Thaddäus, der immer noch an der Tür stand. »Sie haben die beiden doch gestern erlebt, hier ging das schon wieder los. Ich wollte schlichten, und dann das hier. Die ganze Zeit hat sie die Nagelpistole in der Hand und plötzlich zielt sie auf Gunda.«

Er schluchzte vernehmlich und fuhr sich mit der bloßen Hand über die Nase. »Ich konnte nicht mehr eingreifen, ich wollte … Ich habe den Kuhfuß hier vom Tisch genommen und damit zugeschlagen, aber sie hatte schon abgedrückt.« Mit der Hand zeigte er auf Gunda Schwertfeger-Rose. »Sie ist sofort umgefallen.«

»Wer?« Irmela betrachtete Dr. Hühmann skeptisch. Sein Blick war fahrig und er schien nicht ganz orientiert.

»Gunda, sie fiel wie von der Axt gefällt auf den Rücken.« Dr. Hühmann schüttelte den Kopf, als könne er das alles nicht glauben. »Dann fiel Silvya um. Tot.«

»So schlimm scheint es aber mit ihrer Frau nicht zu sein«, sagte Irmela, die die ganze Zeit, während Dr. Hühmann gesprochen hatte, dessen Frau beobachtete, und bemerkte, dass sie versuchte die Augen zu öffnen.

»Oh, sie lebt?« Etwas verzagt stellte Dr. Hühmann das fest. »Wie schön.«

Während die mittlerweile eingetroffene Polizei und die Spurensicherung die Sache in die Hand nahm, hoben die Sanitäter Silvya Hühmann-Girrel auf die Trage. In dem Moment klappte sie die Augen auf und stöhnte. Dr. Detlef Hühmann wollte den Sanitätern mit der Trage zum Krankenwagen folgen. Doch der zuständige Beamte hielt ihn zurück: »Herr Dr. Hühmann, bitte.« Er wies mit der Hand auf einen Stuhl und dort fand Detlef Hühmann Gelegenheit seine Geschichte zu erzählen.

Im Großen und Ganzen entsprach diese Darstellung der, die er vor Irmela Hagekötter und Thaddäus Just zusammengestammelt hatte. Ein Geständnis anderer Art musste Dr. Hühmann jedoch vor dem Beamten ablegen, um zu erklären, warum die drei überhaupt im Kotten zusammengetroffen waren: Gunda Schwertfeger-Rose war nämlich seit einem halben Jahr seine Geliebte. Das hatte, so die beiden Beobachter der Auseinandersetzung vom Vorabend, auf der Hand gelegen. Über die Kunst allein könne ein solcher Streit, wie ihn sich die beiden gestern geliefert hatten, nicht ausbrechen. Dr. Hühmann hatte seiner drallen Geliebten, nachdem er es geschafft hatte, sie zu ihrem Auto zu führen, versprochen, am nächsten Morgen alles zu klären. Und das war, wie sie von ihm verlangt hatte, nicht nur, ihr die Zusage für die Ausstellung zu geben, sondern auch seiner Frau zu sagen, dass er Gunda liebe und mit ihr sein weiteres Leben verbringen wolle.

»Gunda hat darauf bestanden: Sie wollte dabei sein, wenn ich es meiner Frau ins Gesicht sage.«

*

»Meinst du, dass es so geschehen ist?« Thaddäus Just saß, nachdem sie zwei Stunden befragt worden waren, mit Irmela Hagekötter in der Klosterschenke des Klosters Malgarten 8.

»Silvya Hühmann hat mal an einer freien Kunstakademie, die es in dieser Gegend gab, Kurse gegeben«, sagte Thaddäus, der in einem Flyer las, den er aus dem Atelier mitgenommen hatte. »Ansonsten unterrichtet sie an der Integrierten Gesamtschule.« Thaddäus drehte den Flyer um und las vor. »Sie möchte mit ihren Skultpuren im eigentlichen Sinne bewahrend wirken, indem sie altes Material in seiner ihm eigenen Schönheit darstellt.«

Irmela Hagekötter nahm ein Stück von ihrem Apfelkuchen. »Aha«, sagte sie mit vollem Mund.

Thaddäus Just fuhr fort. »Ja. Die Kombination von organischen mit nichtorganischen Stoffen in ihren gleichermaßen bodenständigen wie flüchtigen Skulpturen greift die Dichotomie allen Lebens auf.«

Irmela Hagekötter nickte: »Ich verstehe.«

Thaddäus drehte den Prospekt um und zeigte Irmela ein Foto einer großen Skulptur, eines alten Eichenbalkens, mit einem Muster eingeschossener Nägel, in die mehrere übereinanderliegende Netze von Wollfäden geknotet waren. »›Das Netz aus selbst gesponnener und gefilzter Wolle setzt dem Starren des menschlichen Artefakts das Genom der Welt in seiner Vergänglichkeit entgegen und führt es dadurch zur Einheit.‹«

Irmela nahm ein weiteres Stück vom Apfelkuchen: »Das schreibt sie selbst?«

Nein, das habe ein Professor der Kunstakademie Düsseldorf über ihre Kunst gesagt. Denn – das wusste Thaddäus Just aus seinen Gesprächen mit Dr. Hühmann während der Vorbereitungszeit zu seiner Ausstellung – Silvya Hühmann-Girrel sei im letzten Jahr sogar bei der Art Cologne zugelassen gewesen. »Sie machte in gewissem Sinn Karriere. Aus diesem Grund stellt sie auch in allen Kunstvereinen und Ausstellungsräumen des Osnabrücker Landkreises aus.« Denn die Kunstvereine seien natürlich allesamt autonom und hätten ihre eigenen Programme. »Da hat selbstverständlich ein Dr. Hühmann überhaupt nicht mitzureden, nur weil er Fachbereichsleiter für Kunst und Kultur an der Kreisvolkshochschule ist. Gunda Schwertfeger-Rose als Geliebte hat das aber wohl als Liebesentzug ihres Liebhabers interpretiert.«

Irmela bestellte sich noch einen Apfelkuchen. Sie gehörte zu den überschlanken, zähen Frauen, die zum Neid der Frauen, die sich ab 50 zur Matrone entwickeln, so viel Apfelkuchen und Sahneeis essen konnte, wie sie wollte, ohne dick zu werden. »Thaddäus, ich weiß, wie die Strukturen hier im Land sind.« Im Landkreis gebe es eine Reihe sehr aktiver Kunstvereine. In der Stadt Melle seien es sogar zwei, die sich der Kultur verschrieben haben: der Kunstverein Melle 9 und in Wellingholzhausen das Fachwerk 1775 10, eine Kreativinitiative. Im Norden des Landkreises das gestern bereits erwähnte WIR in Fürstenau und der Kulturverein Lift 11 in Quakenbrück. Auch Bissendorf habe einen rührigen Verein 12, der viele auch musikalische Veranstaltungen organisiere. Die Gemeinde Belm stelle das Rathaus dafür zur Verfügung.

»Ich bin oft auf Ausstellungen, kannte bis gestern aber keinen Dr. Hühmann. Er hat offenbar seiner Freundin den großen Zampano gemacht.« Irmela hatte sich ihr Bild von Dr. Hühmann bereits gestern nur aufgrund seines Haupthaares gebildet. Ihr heutiges Urteil sah im Grunde nicht anders aus. Sie dankte der Bedienung für den neuen Apfelkuchen und fuhr fort: »So ist er zwischen die beiden Künstlerinnen geraten.«

»Glücklich sah er gestern mit den beiden Frauen jedenfalls nicht aus«, fasste Thaddäus die Sachlage zusammen.

Irmela nickte: »Heute auch nicht.«

*

Silvya Hühmann-Girrel brauchte einige Tage, bis sie, wie die Polizei es zu nennen pflegte, »orientiert« war. Sie hatte Glück gehabt. Der Schlag ihres Mannes mit ihrem eigenen Kuhfuß hatte mit der meisten Kraft ihre rechte Schulter getroffen und ihren Kopf nur gestreift. Sie hatte daher eine schwere Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Schlüsselbein.

»Rischtig fest zujeschlagen hat er nisch«, steckte Jupp Schmitz von der Kriminalpolizei Osnabrück Irmela. Jupp Schmitz war ein Kollege aus ihrer aktiven Zeit, der seit mehr als 25 Jahren in Osnabrück wohnte, aber seine Kölner Herkunft nicht verleugnen konnte. Irmela und er hatten regelmäßigen Kontakt und spielten alle zwei Wochen Backgammon miteinander. Diese Tatsache, so Schmitz, stütze die Aussage des Dr. Hühmann. Er habe sie vom Schuss abhalten wollen, aber nicht gewagt, zu stark zuzuschlagen.

»Dann ist aber ein metallener Kuhfuß nicht das geeignete Werkzeug«, warf Thaddäus ein. Er kraulte Vincent hinter den Ohren, der ihn dafür dankbar anschmachtete. Sie saßen auf dem kleinen Balkon von Irmelas Wohnung, tranken Wein und sprachen über die schwierige Sachlage in diesem Fall. Jupp Schmitz setzte auf Irmelas langjährige Erfahrung und wollte die neue Situation mit ihr erörtern.

»Da hast du rescht«, stimmte Schmitz zu. »Aber es sei der einzisch jreifbare Jejenstand gewesen, um sie aufzuhalten. Sagt der Doktor.« Schmitz zweifelte daran.

Irmela stimmte ihm zu. »Man kann auch jemandem in den Arm fallen, der mit einer Nagelpistole schießen will.«

Thaddäus Just bedauerte zum wiederholten Mal, dass er nicht geistesgegenwärtig genug gewesen sei, sofort die Lage, in der sie Dr. Hühmann gesehen hatten, mit seiner Kamera aufzunehmen. Er warf sich amateurhaftes Verhalten vor, weil er zu wenig Erfahrung mit Ermordeten habe.

»Jetzt aber haben wir ein Problem!«, griff Jupp Schmitz das Thema wieder auf.

Silvya Hühmann-Girrel war nämlich aufgewacht und konnte sich an nichts erinnern. Sie hatte eine komplette Amnesie: »Behauptet sie jedenfalls.« Das Letzte, was ihr noch im Bewusstsein war, war der Abend vor der Tat. Sie war noch in der Nacht, »nach dem Skandal, den diese Provinztuse« abgezogen habe, in ihren Atelierkotten gefahren. An die Fahrt konnte sie sich auch noch gut erinnern, immerhin waren es über 80 Kilometer, einmal vom Süden des Landkreises in den Norden. Sie hatte die Nase voll von den Eskapaden ihres Mannes und keine Lust, die Nacht mit ihm zu verbringen – das Ehepaar wohnte in der Nähe von Bramsche. Deshalb war sie weitergefahren zu ihrem Atelier und hatte dort geschlafen. Das Glas Wein, das sie noch in der Küche getrunken hatte, war das Letzte, an das sie sich erinnern konnte.

»Aber jetzt kommts: Sie sacht zwar, sie könne sisch nicht daran erinnern, was passiert ist! Aber eins, sacht sie, weiß sie mit Sischerheit: Sie hat dieser blöden Kuh nicht zwei Nägel ins Hirn jeschossen!«

Der arme Kollege von Irmela hatte nun die unerfreuliche Aufgabe, die beiden sich widersprechenden Aussagen des zerstrittenen Ehepaars abzuwägen.

»Wenn Sie es nicht war, dann muss es ja Hühmann gewesen sein«, schloss Thaddäus. »Warum sollte er das aber tun?«

Das genau war die Frage: Sie diskutierten bei mehreren Gläsern Wein, dass es eigentlich niemals einen hinreichenden Grund gibt, irgendjemanden umzubringen. Dass Menschen jedoch in Zustände geraten, in denen sie der Ansicht sind, die einzige Möglichkeit zu handeln, sei die Beendigung dieses Zustandes durch die Eliminierung der vermeintlichen Verursacher.

»Also war es die Gattin, die die Liebhaberin nicht mehr ertragen konnte«, legte Thaddäus noch einmal nahe.

Silvya Hühmann-Girrel aber behauptete bei ihrer ersten Vernehmung im Krankenbett, ihr Mann sei, seit sie ihn kenne, testosterongesteuert und nehme, was ihm unter die Augen komme, weil es seinem Ego schmeichle. Sie sei doch nicht eifersüchtig auf eine Frau, die mit Fruchtsaft male.

Zudem hatte die Spurenlage Hühmanns Version, seine Frau habe geschossen, ein wenig in Zweifel ziehen lassen. »Er hat sie nämlich an den Füßen in die Position gezogen, in der wir sie gefunden haben.« Dabei hatte sich ihr Hüftschmeichler aufgerollt. Diese Positionsveränderung hatte wahrscheinlich das Geräusch verursacht, das Irmela Hagekötter vernommen hatte, als die beiden am Tatort ankamen. Dr. Hühmann, der mit jedem Verhör fahriger wurde, hatte das auch zugegeben, denn er hatte sie aufrichten wollen.

»An den Füßen?«, staunte Thaddäus.

Auch das konnte Dr. Hühmann erklären. Denn er musste, um sie an den Schultern aufrichten zu können, hinter sie treten. Da aber stand der Werkzeugtisch im Weg. Dann habe er aber gedacht, sie sei tot, und hatte sich mit dem Kuhfuß auf die Kiste gesetzt.

»Wo ist Dr. Hühmann jetzt eigentlich?«, wollte Thaddäus wissen.

»Der hat sisch jestern auf den Jertrudenberg begeben – wegen einer ›dissoziativen Störung‹.« Jupp Schmitz rollte mit den Augen. »Diese hypersensiblen Künstler! Jetzt ist er nisch mehr vernehmungsfähisch.«

»Wohin?«, fragte Thaddäus Just.

»Er hat sisch selbst einjeliefert in die Psyschatrie der Ameosklinik in Osnabrück, umgangssprachlich ›Jertrudenberg‹, weil dort seit 150 Jahren die ›Irrenanstalt‹ liegt.« Jupp Schmitz lachte.

»Gertrudenberg«, korrigierte Irmela überflüssigerweise seine Aussprache und stand auf: »So, Leute, ich bin auch sensibel und hab Hunger!« Sie ging zur Küche, um etwas zu essen und eine weitere Flasche Wein zu holen. »Was frisst denn der Hund?«

»Vincent frisst alles außer Milchreis«, rief Thaddäus hinterher. So bekam der Hund wie die anderen ein Vollkornbrot mit Roquefort und ein paar Paprikaschnitze.

*

Der Aufenthalt in der Psychiatrie und die täglichen Gruppengespräche, in denen Dr. Hühmann seine Probleme im Kreise einer interessierten, vorwiegend weiblichen Patientengruppe vortragen konnte, tat ihm gut. Die Therapie wirkte auf ihn so ausgleichend, dass er seine Wahrnehmungs- und Gedächtnisabspaltungen nicht mehr aufrechterhielt. Im Gegenteil fühlte er sich befreit, endlich einmal alles »rauszulassen.«

»Letztlich war es banal.« Irmela Hagekötter hatte sich mit Thaddäus Just, weil er unbedingt dort hinwollte, im Skulpturenpark am Renkenörener See 13 in Hilter getroffen. Ganz in der Nähe, wo vor einem Monat ihre Bekanntschaft angefangen hatte. Sie wanderten durch die Anlage und Irmela berichtete, was sie aus erster Hand von Jupp Schmitz erfahren hatte.

»Dr. Hühmann ging sein eigenes Leben auf die Nerven. Vor allem Gunda Schwertfeger-Rose. Und seine Frau ebenso. Er war in der psychischen Klemme und wollte diesen Zustand beenden.«

Als er im Atelier plötzlich wie am Abend zuvor zwischen den beiden Frauen stand, die wie die Megären aufeinander losgingen und sich gegenseitig als Kunsthandwerkerinnen beschimpften, war das für ihn ein Deja Vu. Er war sein ganzes Leben über immer wieder in Situationen geraten, in denen er nicht mehr entscheiden konnte und Frauen an ihm rumgezerrt hatten. »Dabei hatte er immer gedacht, wenn er sich der Gunst von Frauen versicherte, die von ihm abhängig sind, würde ihn das aufwerten.« Aber immer hatte er die Kontrolle verloren.

Das sollte ein Ende haben. Deshalb nahm er die Nagelpistole, die seine Frau auf den Tisch gelegt hatte und brachte Gunda mit zwei Nägeln zum Schweigen. Die durchschlugen ihr Stirnbein kurz oberhalb des Haaransatzes. Die Stille löste in ihm Erleichterung aus. Als seine Frau zu schreien begann, wollte er mit dem Kuhfuß, der hinter ihr lag, ein für alle Mal für Ruhe sorgen. Die lange gemeinsame Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, hatte ihn letztlich aber daran gehindert, wirklich fest zuzuschlagen. »Immerhin war sie ja meine Frau«, erklärte er seine Zurückhaltung bei dem Schlag.

Die unberechtigten Anschuldigungen gegen Silvya Hühmann-Girrel trugen erheblich zur Bekanntheit der Künstlerin bei. Sie wurde zur nächsten Nord-Art eingeladen und bekam auf ZDF Kultur ein eigenes Feature.

Freizeittipps

1 Kunst und Kultur KuK Dissene.V.: Am Krümpel  1a, 49201 Dissen a. T. W. Der Kunstverein wurde 1998 in Dissen gegründet. Ziel des Vereins ist, Plastiken und Skulpturen in der Stadt aufzustellen. Außerdem veranstaltet er Kunstausstellungen und Museumsfahrten.

www.kukdissen.de

2 Kunstverein Fürstenau WIR: Mozartstraße 7, 49584 Fürstenau. Das Alte Rathaus der Stadt ist der Ort für Kunst und Kultur des Kunstvereins »WIR« e.V. Regelmäßig veranstaltet er Ausstellungen mit Künstlern aus der ganzen Welt.

www.fuerstenau.de

3 Schafstall: Bergstr. 31, 49152 Bad Essen. Im August 1982, kurz nach der Gründung des Vereins »Kunst- und Museumskreis Bad Essen e.V.« zeigte er die erste Kunstausstellung. Im historischen Schafstall, einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude in Bad Essen, fand der Verein einige Räume für seine anspruchsvollen Ausstellungen. In Zusammenarbeit mit dem Kur- und Verkehrsvereins Bad Essen finden das ganze Jahr über im Schafstall kulturelle Veranstaltungen statt.

www.schafstallbadessen.de

4 Jazz Club Dissen: Bahnhofstraße 66, 49201 Dissen. Unter dem Namen »Jazz at the Railwaystation« finden im Alten Bahnhof Dissen Dixielandkonzerte statt, die über die regionalen Grenzen hinaus bekannt und beliebt sind.

www.jazz-club-dissen.de

5 Wilde Rose: Kulturzentrum Wilde Rose e.V. Borgholzhausener Straße 75, 49324 Melle. Im Meller Ortsteil Altenmelle haben einige Künstler und Kunstpädagogen ein Zentrum für Musik, Kunst, Kultur, Pädagogik, Therapie und Sinneserfahrungen entwickelt. Neue Musik und Kunstprojekte, ein Atelier für Ausdrucksmalen sind nur einige Beispiele für die kulturellen Angebote dieser Einrichtung.

www.wilde-rose.com

6 Stift Börstel: 49626 Börstel. Zwischen Berge und Herzlake liegt das ehemalige Zisterzienserkloster im Norden des Landkreises Osnabrück. Das Stift liegt wie schon zu früheren Zeiten etwa eine Stunde Fußweg von einer nächsten Ansiedlung entfernt. Das Kloster wurde 1246 zum ersten Mal erwähnt. Das Zentrum der Anlage ist die ehemalige frühgotische Klosterkirche »St. Marien«. Das Ziegelmauerwerk zeigt Spitzbögen und Arkaden sowie dekorative Ornamentik. Das Stift ist als Evangelisches Damenstift Wohnort alleinstehender Frauen, die in christlicher Gemeinschaft leben und arbeiten. Das Stift Börstel bietet ein Programm für Einkehrzeiten oder Meditationstage und Platz für Tagungen oder Feiern mit Unterbringungsmöglichkeiten.

www.boerstel.de

7 Bikertreffen in Berge: Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Motorradfahrer an der Lutherkirche zu Berge besteht sei 1989. Die etwa 20 Mitglieder arbeiten jedes Jahr zwei Motorradgottesdienste aus, die unter dem Motto »Mehr Partnerschaft und Sicherheit im Straßenverkehr« stehen. Der Gottesdienst zum Beginn der Saison findet Ende April, der Saisonabschlussgottesdienst Ende September statt, im Frühjahr bei schönem Wetter auch als Open-Air-Veranstaltung. Auch Trauungen und Taufen wurden im Rahmen dieser Gottesdienste schon vorgenommen. Die gesammelten Kollekten werden für Hilfsorganisationen, aber auch für Leitplankenprotektoren zum Schutz der Biker verwendet.

www.acm-berge.de

8 Kloster Malgarten: Am Kloster 2, 49565 Bramsche. Nordwestlich von Bramsche liegt das Kloster am Ufer der Hase. Es wurde als Benediktinerinnen­kloster 1194 gegründet. Die Anlage besteht aus einem Konventsgebäude, der Kirche, einem Kreuzgang, einem Wohnflügel für die Laienschwestern, einem Brau- und einem Backhaus und einem Haus für die Äbtissinnen. Die Innenausstattung zeigt Kunstepochen von der Spätromanik bis zum Rokoko. Vom Klosterurlaub über Konzerte, Atelierveranstaltungen und Ausstellungen bietet das Kloster Malgarten die unterschiedlichsten kulturellen Veranstaltungen an.

www.kloster-malgarten.de

9 Kunstverein Melle: Der Verein zur Förderung von Kunst und Kultur in Melle e.V. wurde vor über 30 Jahren gegründet. Er zeigt Ausstellungen von Künstlern aus dem In- und Ausland, hat sich aber auch zum Ziel gesetzt, die Künstler aus der Region zu fördern. Auch die kunstpädagogische Arbeit mit Kindern stellt einen Schwerpunkt der Vereinsarbeit dar. Lesungen und musikalische Veranstaltungen im Zusammenhang mit den Kunstausstellungen ergänzen das Angebot des Vereins. Ausstellungsort: Alte Posthalterei, Haferstraße 17, 49324 Melle.

www.kunstverein-melle.de

10 Fachwerk 1775: Am Ring 40, 49326 Wellingholzhausen. Das älteste Haus im Dorf wurde vom örtlichen Heimatverein vor dem Verfall gerettet. Es ist eines der wenigen Vier-Ständer-Gebäude, die im Grönegau zu finden sind. Instandgesetzt wurde es aus den gleichen Materialien, wie sie zur Bauzeit des Hauses benutzt wurden. In den uralten Balken sind immer noch die Ringe zu sehen, an denen König V. von Hannover oder Reichspräsident Paul von Hindenburg ihre Pferde anbinden ließen. Heute ist es das Zentrum vieler kultureller Veranstaltungen, Kunstausstellungen oder Workshops.

www.fachwerk1775.de

11 Kulturverein LIFT: Restrup 10, 49626 Bippen-Restrup. Literatur, Film und Theater auf dem Land hat sich der Kulturverein auf die Fahnen geschrieben.

www.kulturverein-lift.de

12 Kunstverein Bissendorf KuBiss: Seit 1997 setzt sich der Verein zum Ziel, Kunst und Kultur in Bissendorf zu fördern. In unterschiedlichsten Veranstaltungen werden einheimische Künstler und Hobbykünstler unterstützt und gemeinnützige Aktionen durchgeführt. Theater, Fotografieren oder verschiedene Techniken der Malerei hat der Verein im Angebot.

www.kubiss.net

13 Renkenörener See Hilter: Zur Wolfsquelle, in Ebbendorf, einem Ortsteil von Hilter, liegt der Renkenörener See an der Wolfsquelle. Der See wurde in den 1970er Jahren vom Unternehmerehepaar Thomas angelegt und 30 Jahre später dem Heimatverein Borgloh überschrieben. In den Sommermonaten wird der Skulpturenpark am See an Wochenenden für die Öffentlichkeit geöffnet. Weiterhin ist das Gelände Ort für jährlich wechselnde Kunstausstellungen.

www.hilter.de

Ebba und der tote Arnold

Von Ulrike Kroneck

Ebba lugte durch die Zweige.

Die Frau stand auf und wandte sich zum Gehen. Im Hintergrund hob sich das alte Speichergebäude am Bad Essener Hafen gegen den grauen Winterhimmel ab. Ebba joggte diese Strecke seit einigen Wochen, seit ihre Mutter Gerlinde angedeutet hatte, ihr hier eine Wohnung kaufen zu wollen. Der alte Speicher sollte als Landmarke für das neue Wohnviertel erhalten bleiben, wenn am Hafen Bad Essen 14 der neue Yachthafen Marina entstehen würde. Ebba lief bei Wind und Wetter, sie hatte sich auch heute nicht abhalten lassen, obwohl es Minus drei Grad waren.