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In «Morgen und Abend» erzählt Jon Fosse von einem großen Thema, dem Tod. Die Geschichte, in deren Mittelpunkt ein einfacher norwegischer Fischer steht, dessen Leben hart und erfüllt war, öffnet den Blick auf das, wovon heute kaum noch jemand spricht. Eine kunstvoll rhythmisierte, ganz schlichte Erzählung, die bezaubert und berührt. «Vermutlich hat es in den letzten Jahren kein traurigeres, aber zugleich auch kein fröhlicheres, tröstenderes Buch gegeben über den Morgen des Lebens und den Abend des Todes.» (Elke Heidenreich)
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Seitenzahl: 127
Jon Fosse
Roman
«Ein seltsames großartiges Buch.» (Süddeutsche Zeitung)
In «Morgen und Abend» erzählt Jon Fosse von einem großen Thema, dem Tod. Die Geschichte, in deren Mittelpunkt ein einfacher norwegischer Fischer steht, dessen Leben hart und erfüllt war, öffnet den Blick auf das, wovon heute kaum noch jemand spricht. Eine kunstvoll rhythmisierte, ganz schlichte Erzählung, die bezaubert und berührt.
«Vermutlich hat es in den letzten Jahren kein traurigeres, aber zugleich auch kein fröhlicheres, tröstenderes Buch gegeben über den Morgen des Lebens und den Abend des Todes.» (Elke Heidenreich)
Jon Fosse, 1959 in der norwegischen Küstenstadt Haugesund geboren, gilt als einer der wichtigsten europäischen Schriftsteller unserer Zeit. International bekannt wurde er zunächst durch seine mehr als dreißig Theaterstücke, die weltweit aufgeführt werden und ihm zahlreiche Preise einbrachten. Für seinen Roman «Trilogie» bekam er den Literaturpreis des Nordischen Rates verliehen. Auch die Bände seines Werks «Heptalogie» wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und waren u.a. für den Booker International Prize nominiert. Seit 2022 ist Fosse Mitglied der Akademie der Künste in Berlin. 2023 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Hinrich Schmidt-Henkel, geboren 1959, lebt in Berlin. Seit 1995 ist er Jon Fosses deutsche Stimme. Er übersetzt unter anderem auch Jean Echenoz, Édouard Louis, Tomas Espedal und Tarjei Vesaas. Ausgezeichnet wurde er mit dem Jane Scatcherd-Preis, dem Paul-Celan-Preis des Deutschen Literaturfonds und dem Straelener Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW (zusammen mit Frank Heibert).
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2013
Copyright der deutschen Ausgabe © 2001 by Alexander Fest Verlag, Berlin
Covergestaltung any.way, Cathrin Günther
Coverabbildung Thomas Fearnley (1802–1842)
ISBN 978-3-644-03011-4
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Noch mehr heißes Wasser Olai, sagt die alte Hebamme Anna
Steh nicht in der Küchentür rum Mensch, sagt sie
Nein nein, sagt Olai
und er spürt, wie eine Wärme und eine Kälte sich überall auf seiner Haut ausbreiten, und er bekommt Gänsehaut und ein Glücksgefühl durchfährt ihn und steigt ihm als Tränen in die Augen und er geht schnell zum Herd und schöpft dampfend heißes Wasser in eine Schüssel, ja heißes Wasser sollst du haben, denkt Olai und er schöpft noch mehr heißes Wasser in die Schüssel und er hört die Hebamme Anna sagen jetzt ist es sicher genug, ja jetzt reicht es, sagt sie und Olai schaut auf und da steht die alte Anna neben ihm und nimmt die Schüssel
Ich trag sie selber rein ja, sagt die Hebamme Anna
und dann ist aus der Kammer ein unterdrückter Schrei zu hören und Olai sieht der alten Anna in die Augen und er nickt ihr zu und grinst er sie nicht auch ein bisschen an
Ein bisschen Geduld noch, sagt die alte Anna
Wenn es ein Junge wird, soll er Johannes heißen, sagt Olai
Abwarten, sagt die Hebamme Anna
Ja Johannes, sagt Olai
Wie mein Vater, sagt er
Ja ein guter Name, nichts gegen zu sagen, sagt die alte Anna
und noch ein Schrei ist zu hören, lauter jetzt
Geduld noch Olai, sagt die alte Anna
Hab noch ein bisschen Geduld, sagt sie
Hörst du, was ich sage?, sagt sie
Du bist Fischer, du weißt, Frauen gehören nicht ins Boot, nicht wahr?, sagt sie
Jau, sagt Olai
Und hier gilt dasselbe für Männer, du weißt, was sonst passiert?, sagt die Hebamme Anna
Es bringt Unglück, sagt Olai
Genau, Unglück, sagt die alte Anna
und Olai sieht die alte Anna schnell zur Kammer gehen und die Schüssel mit dem heißen Wasser hält sie mit ausgestreckten Armen vor sich und dann bleibt die Hebamme Anna vor der Tür zur Kammer stehen und sie dreht sich zu Olai um
Steh da nicht so rum, sagt die alte Anna
und Olai bekommt einen Schreck, bringt es etwa schon Unglück, wenn er nur hier steht? nein das kann ja wohl nicht sein und wenn es jetzt nur gut geht mit seiner höchst geachteten und geliebten Marta, seiner liebsten Marta, es muss einfach gut gehen ja auf jeden Fall
Mach die Küchentür zu Olai und setz dich auf deinen Stuhl ja, sagt die alte Anna
und Olai setzt sich ans Kopfende vom Küchentisch und er stützt die Ellbogen auf den Tisch und den Kopf in die Hände und zum Glück hat er Magda heute zu seinem Bruder gebracht, denkt Olai, als er hingefahren ist, die alte Anna holen, ist er erst mit Magda bei seinem Bruder vorbeigerudert und eigentlich war er nicht sicher, ob das richtig war, denn die Magda ist jetzt ja auch bald eine erwachsene Frau, die Jahre vergehen so schnell, aber Marta hat ihn darum gebeten, wenn sie niederkommt und er losrudert, die alte Anna holen, dann soll er Magda mitnehmen und bei seinem Bruder lassen, bis die Geburt vorbei ist, sie ist noch zu jung, um so genau zu erfahren, was ihr als erwachsener Frau bevorsteht, hat Marta zu ihm gesagt und da hat er natürlich getan, was sie gesagt hat, obwohl er Magda jetzt so gern bei sich gehabt hätte, ein kluges und verständiges Mädchen ist sie gewesen, solange er zurückdenken kann, und so lieb und gut in ihrem Betragen, eine gute Tochter hat er, ja, denkt Olai, und eigentlich hatte es so ausgesehen, als wollte der Herrgott ihnen keine Kinder mehr schenken, denn Marta war nie wieder guter Hoffnung gewesen und die Jahre vergingen und mit der Zeit fügten sie sich und dachten, jetzt bekämen sie keine Kinder mehr, so war es eben, es war ihr Schicksal, sagten sie und dankten Gott dem Herrn, dass er ihnen Magda geschenkt hatte, denn wenn sie nicht mal diese Tochter bekommen hätten, nein dann wäre es einsam gewesen hier auf Holmen, der Insel, wo sie sich niedergelassen hatten, und das Haus hatte er selber gebaut und natürlich hatten seine Brüder und die Nachbarn geholfen, aber das meiste hatte er selber gemacht, und als er Marta freite, da hatte er Holmen schon, um ein geringes Geld hatte er es gekauft und alles wohl bedacht, wo das Wohnhaus stehen sollte, hatte er bedacht, schön geschützt, wo Wind und Wetter ihm nichts anhaben können, da sollte es liegen, und wo das Bootshaus und der Steg hinkommen sollten, das hatte er auch bedacht, gehört schließlich dazu, und als Erstes hat er den Steg gebaut und zwar in einer stillen Bucht unter Land, gut vor Wind und Wetter geschützt, die vom Meer im Westen her über Holmen kommen, ja, und dann wurde das Wohnhaus gebaut, vielleicht nicht gerade groß und prächtig, aber hübsch genug und jetzt, jetzt lag Marta da drin in der Kammer und würde ihm endlich einen Sohn gebären, jetzt sollte der kleine Johannes zur Welt kommen, da war er ganz sicher, dachte Olai am Kopfende vom Küchentisch, auf seinem Stuhl, den Kopf in die Hände gestützt, wenn bloß alles gut ging, wenn Marta bloß eine gute Geburt hatte und das Kind zur Welt brachte, wenn das Kind, der kleine Johannes, bloß nicht drin blieb in der Marta ihrem Bauch und sie es beide nicht überstanden, Marta und der kleine Johannes, wenn bloß nicht das, was damals an dem schrecklichen Tag seiner Mutter widerfahren war, jetzt auch Marta widerfahren würde, nein den Gedanken erträgt er nicht, denkt Olai, denn Olai und Marta passen so gut zueinander, geliebt haben sie einander von der ersten Stunde an, denkt Olai, und jetzt? wird ihm die Marta jetzt weggenommen? will Gott ihm so böse? nein das will er ganz gewiss nicht, aber dass Satan diese Welt genauso lenkt wie der Liebe Gott, daran hat Olai nie Zweifel gehabt, diese Welt wird ebenso von einem geringeren Gott oder von dem Bösen selbst gelenkt, aber eben nicht nur, denn der Liebe Gott ist auch noch da, so ist das, denkt Olai am Kopfende vom Küchentisch auf seinem Stuhl, das Gesicht in die Hände gestützt, nein der Liebe Gott hatte ihm wohl gewollt, bislang, es war ihm gut ergangen und er hatte seine Frau und seine Tochter Magda beide so lieb, nein er hatte nicht zu klagen, ja solange sie Magda hatten, da hatten sie nicht zu klagen, sondern lobpreisen sollten sie den Herrgott, dass sie sie hatten, ja so dachten sie alle beide, Marta und er auch, und dann hat der Marta ihr Bauch angefangen zu wachsen und dann war ihnen beiden klar geworden, dass der Herrgott ihnen noch ein Kind geschenkt hatte, und als es keinen Zweifel mehr daran gab, dankten sie dem Herrgott für diesen Segen, noch ein Kind, und diesmal wurde es sicher ein Junge, jetzt sollte der kleine Johannes geboren werden, da war Olai ganz sicher und jetzt waren also der Tag und die Stunde da und jetzt dauerte und dauerte das, dachte Olai da am Kopfende vom Küchentisch, den Kopf in die Hände gestützt, jetzt sollte der Junge zur Welt kommen, das war sicher, unsicher war nur, ob er es lebendig auf diese Welt schaffen würde, auf diese harte Welt, ja jetzt hing alles davon ab, dachte Olai, aber wenn der Kleine gesund zur Welt kam, dann gab es keinen Zweifel, wie er heißen würde, schon vor langem hatte er zu Marta gesagt, dass das Kind, mit dem sie schwanger war, Johannes heißen sollte wie sein, Olais, Vater, und sie hatte ihm nicht widersprochen, ja das passt doch gut, hatte sie gesagt, dass der Junge Johannes heißen soll wie sein Vater, denkt Olai und jetzt, warum ist es jetzt so still da in der Kammer? stimmt etwas nicht? aber als die alte Anna vorhin in der Küche war, heißes Wasser holen, hat sie doch nicht gewirkt, als würde etwas nicht stimmen? nein, der alten Anna war nicht anzumerken, dass irgendwas nicht so war, wie es sein sollte, denkt Olai und er fühlt sich sofort ruhiger, ja fast glücklich fühlt er sich auf einmal, ja wie schnell sich das ändert, was, nicht zu glauben, ha, denkt Olai, jetzt wird ein kleiner Junge, der kleine Johannes, das Licht der Welt erblicken, da drin in der Marta ihrem Bauch ist er herangewachsen, bis er groß und stark und schön genug war, erst ist er überhaupt nichts gewesen, dann ist er zu einem Menschen geworden, einem kleinen Kerl, ja da drin in der Marta ihrem Bauch hat er Finger gekriegt, Zehen und ein Gesicht, er hat Augen gekriegt und ein Gehirn und vielleicht sogar ein bisschen Haare, und jetzt kommt er bald raus, die Marta, seine Mutter, schreit in den Wehen, jetzt muss er hinaus in diese kalte Welt und dann ist er darin allein, getrennt von der Marta, getrennt von allen anderen, allein wird er sein, immer allein und dann wird er, wenn alles herum ist, wenn seine Zeit gekommen ist, sich auflösen und wieder zu nichts werden und wieder dahin zurückgehen, wo er hergekommen ist, von nichts zu nichts, das ist der Gang des Lebens, für Menschen, Tiere, Vögel, Fische, Häuser, Schüsseln, für alles, was ist, denkt Olai und dann gibt es noch so viel mehr darüber hinaus, denkt er, denn obwohl man so etwas denken kann, von nichts zu nichts, ist es doch nicht nur so, es gibt so viel mehr als das, aber was ist all das andere? der blaue Himmel, die Bäume, an denen Blätter wachsen? das Wort, das am Anfang war, wie es in der Heiligen Schrift steht, und das dafür sorgt, dass man etwas verstehen kann, Tiefes und Lustiges, was ist dies andere? nein wer weiß, wer kann das sagen? denn es muss wohl Gottes Geist sein, der in all dem ist und es zu mehr als nichts macht, der es zu Sinn und Farben werden lässt, und damit, denkt Olai, ist ja Gottes Wort und Geist in allem, so ist das ja, da ist er ganz sicher, denkt Olai, aber dass der tätige Willen Satans auch da ist, da ist er genauso sicher, und ob vom einen mehr da ist oder vom anderen, nein da ist er ganz und gar nicht sicher, denkt Olai, denn sie kämpfen miteinander, diese beiden, darum, wer der Stärkere ist, und so war das wohl schon, als die Welt erschaffen wurde, denkt Olai, dass Gott die Welt gut geschaffen hat und er allmächtig ist und allwissend, wie sie immer sagen, die Gottesfürchtigen, nein daran hat er nie so besonders geglaubt, aber dass es Gott gibt, nein keine Frage, denn Gott gibt es ja, aber weit weit weg und ganz ganz nah, denn er ist in jedem einzelnen Menschen, und dass die Entfernung zwischen dem fernen und absolut nicht allmächtigen Gott und dem einzelnen und absolut nicht allmächtigen Menschen kleiner ist, seit Gott Mensch war und unter uns gelebt hat, damals, als Jesus hier auf Erden wandelte, nein daran hat er auch nie gezweifelt, aber dass Gott alles regiert und dass alles, was passiert, Gottes Absicht ist, nein daran glaubt er nicht, so wahr er Olai ist und Fischer und mit Marta verheiratet und Sohn vom alten Johannes und jetzt, in dieser Stunde, Vater von einem kleinen Bengel wird, der Johannes heißen soll wie sein Großvater. Es gibt einen Gott ja, denkt Olai. Aber er ist weit weg und er ist ganz nah. Und er ist weder allmächtig noch allwissend. Und dieser Gott herrscht nicht allein über die Welt und die Menschen, na ja, da ist er schon, aber er ist bei seinem