Morgenrot des Herzens - Barbara Cartland - E-Book

Morgenrot des Herzens E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Davita, die sehr schöne und junge Tochter von Sir Iain Kilcraig of Kilcraig Castle, muss nach dem Tod ihres Vaters das Familienschloss in Schottland verlassen, da ihr Vater nur Schulden hinterließ. Sie versucht von ihrer Stiefschwester Violet, einem Gaiety-Girl, Unterstützung in London zu bekommen, um eine Arbeitsstelle zu finden. Die Theaterwelt ist Davita sehr fremd, vor allem als Lord Mundesley sie zu seiner Mätresse machen will. Davita wird in ein Komplott verwickelt, in dem Lord Mundesley und Violet den Marquis, einen Konkurrenten des Lords, zu erpressen versuchen. Davita flieht aus London und findet bei der Countess von Sherburn eine Anstellung als Gesellschafterin, wo sie sich sehr gut einlebt. Aber wird Davita sicher sein und den Nachstellungen Lord Mundesleys entkommen können? Wird sie die Countess und Sherburn House verlassen müssen, um einem Skandal zu entgehen? Und wird sie den unnahbaren, aber anziehenden Marquis wieder sehen?

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1 ~ 1891

»Ist das alles?« fragte Davita.

»Ich fürchte ja, Miss Kilcraig«, antwortete der Anwalt. »Es ist bedauerlich, daß Ihr Herr Vater während seiner letzten Lebensjahre ein so ausschweifendes Leben geführt hat. Er ignorierte sowohl meine Ratschläge als auch die meiner Kompagnons, sparsamer zu haushalten.«

Davita schwieg, denn sie wußte, daß Mr. Stirling damit sagen wollte, ihr Vater habe seinen Kummer im Alkohol ertränkt und alles ignoriert, was andere ihm rieten.

Mehr als einmal hatte sie versucht, mit ihm über ihre finanzielle Lage zu sprechen. Er hatte ihr immer geantwortet, sie solle sich nicht in seine Angelegenheiten einmischen. Doch nun, nachdem er tot war, wurde sie mit dem konfrontiert, was sie befürchtet hatte.

Die Rechnungen stapelten sich vor ihr.

Es waren schon genug gewesen, ehe ihre Stiefmutter sie verlassen hatte, doch danach hatte es so ausgesehen, als habe ihr Vater besonders großen Gefallen daran gefunden, das Geld zügellos auszugeben, und wenn er betrunken war, wußte er nicht mehr, was er tat.

Selbst in ihren schlimmsten Befürchtungen hatte Davita nicht gedacht, daß sie außer etwa zweihundert Pfund nichts erben würde. Das Schloß, das viele Jahrhunderte lang im Besitz der Kilcraigs gewesen war, mußte verpfändet und die restlichen Möbel verkauft werden.

Die wertvollen Stücke, zum Beispiel Bilder und einige goldgerahmte Spiegel, hatte ihr Vater bereits veräußert, kurz nachdem er Katie Kingston geheiratet hatte.

Während der letzten Jahre, in denen ihr Vater immer mehr verfiel, hatte Davita oft gedacht, sie müßte ihre Stiefmutter hassen. Aber dann gestand sie sich ein, daß es für deren Handlungsweise auch verständliche Gründe gab. Vor drei Jahren, als Davita gerade fünfzehn Jahre alt geworden war, war ihre Mutter gestorben. Ihr Vater hatte die Einsamkeit nicht ertragen und fuhr daher häufig nach Edinburgh und später nach London, um sich zu amüsieren.

Er sehnte sich nach dem unbeschwerten, lustigen Leben, das er als junger Mann ausgiebig in London genossen hatte, ehe er den Titel des Baronets erbte und nach Schottland zurückkehrte, um zu heiraten und wie die Leute sagten ‚seßhaft zu werden‘.

Da er seine Frau über alles liebte, fand er sich damit ab, in dem alten, baufälligen Schloß zu leben, das von weitem Moorland umgeben war. Nur wenige Nachbarn wohnten in der Nähe.

Aber ihre Eltern waren mit sich selbst zufrieden. Sie gingen im Fluß fischen, jagten im Moor und fuhren in Abständen immer wieder nach Edinburgh und sogar nach London, um sich zu vergnügen.

Doch ihre Mutter war über ihre kostspieligen Ausflüge beunruhigt.

»Wir können sie uns nicht leisten, Iain«, sagte sie immer wieder, wenn ihr Gatte vorschlug, Davita in der Obhut des Personals zu lassen und die ,zweiten Flitterwochen‘ zu verleben, wie er es nannte.

»Aber wir sind nur einmal jung«, antwortete er ihr darauf.

Dann vergaß ihre Mutter ihr schlechtes Gewissen und packte rasch ihre besten Kleider ein. Wenn sie abfuhren, dachte Davita, wie sehr sie doch einem Paar in den Flitterwochen glichen.

Und dann starb ihre Mutter in einem kalten Winter plötzlich, als der Wind scharf vom Meer und von den schneebedeckten Bergen blies.

Ihr Vater war so erschüttert, daß Davita erleichtert war, als er sagte, er könne die Melancholie Schottlands nicht länger ertragen und wolle in den Süden fahren.

»Ja, gehe nach London und besuche deine Freunde«, hatte Davita erwidert. »Ich komme hier allein zurecht, und wenn ich älter bin, werde ich dich begleiten.«

Ihr Vater hatte gelacht.

»Ich glaube nicht, daß du jemals zu meinen alten Kumpeln mitkommen kannst«, hatte er gesagt. »Aber ich werde darüber nachdenken. In der Zwischenzeit kümmere dich um deine Studien. Du sollst ebenso gebildet wie schön sein!«

Davita war bei diesen Worten errötet, denn dies war ein Kompliment. Aber sie wußte, daß sie ihrer Mutter sehr ähnlich war, und niemand hätte abgestritten, daß Lady Kilcraig eine außergewöhnlich schöne Frau gewesen war.

Wenn Davita zu dem Bild ihrer Mutter hochblickte, das im Wohnzimmer über dem Kamin hing, wünschte sie, daß sie ihr immer ähnlicher werden möge.

Sie hatte die gleiche Haarfarbe. Es war das intensive Rot der ersten Herbstblätter, das den Sonnenschein gefangen zu halten schien.

Ihre klaren Augen schimmerten wie die ihrer Mutter manchmal grau und manchmal grün.

Da sie noch sehr jung war, besaß sie eine kindliche Schönheit. Vielleicht lag es an den Rundungen ihres Gesichts oder an der Weichheit ihres Mundes, dem roten Haar und den grünen Augen, daß sie einer Blume glich.

Einmal hatte ihr Vater gesagt: »Mit deinem roten Haar könntest du wie eine verführerische Sirene aussehen. Aber statt dessen gleichst du einer verzauberten Fee, die inmitten eines Kranzes von Giftpilzen zurückgelassen wurde, wo sonst nur Feen tanzen.«

Davita hatte es geliebt, wenn ihr Vater ihr Märchen und Geschichten erzählte, wie es auch auf den schottischen Höfen üblich war.

An den langen Winterabenden erzählten die Farmer ihren Kindern Geschichten über die Fehden zwischen den einzelnen Clans, und sie schmückten sie mit Legenden und Aberglauben aus.

Die Märchen gehörten so sehr zu ihrer Kindheit, daß es ihr manchmal schwerfiel zu unterscheiden, was wahr und was erfunden war.

Ihre Mutter nährte ihre Fantasie noch, weil ihre schottischen Eltern von den Hebriden stammten und ihre Großmutter Irin gewesen war.

»Deine Mutter brachte die Kobolde mit«, neckte sie ihr Vater manchmal, wenn etwas Unerklärliches geschah oder ihre Mutter eine Vorahnung hatte, daß sich etwas Außergewöhnliches zutragen würde.

Davita war es nicht möglich gewesen, ihren Vater in seinem Kummer zu trösten. Nun gab sie sich die Schuld daran, daß er sich wegen seiner Einsamkeit in London noch einmal verheiratet hatte.

Davita war es damals unbegreiflich gewesen, daß er sich zur zweiten Frau ein Gaiety-Girl nahm. Nachdem sie aber den ersten Schock darüber überwunden hatte, daß eine fremde Frau, und dazu noch eine Schauspielerin, den Platz ihrer Mutter einnehmen sollte, mochte sie Katie Kingston.

Katie war sehr attraktiv, obwohl ihre langen, pechschwarzen Wimpern, ihr karmesinroter Mund und ihre geschminkten Wangen für schottische Verhältnisse ungewöhnlich waren.

Doch ihr Lachen und ihre Stimme klangen fröhlich und hallten durch das Haus, und es kam Davita dann so vor, als fiele Sonnenschein durch die Wolken.

Bald begann sich Katie zu langweilen, wie zu befürchten gewesen war.

Davita sagte sich, daß es eines war, in London in Gegenwart aller Schauspieler und Schauspielerinnen des Gaiety einen Baronet zu heiraten und etwas völlig anderes, keine weitere Gesellschaft außer ein paar Bauern, einer Schwiegertochter und einem Ehemann zu haben, der sich nun, da er zu Hause war, seinen sportlichen Aktivitäten widmete.

»Was sollen wir heute unternehmen?« fragte sie Davita, als sie sich in dem großen, vierpfostigen Eichenbett aufsetzte, ihr Frühstück zu sich nahm und dabei unglücklich aus dem Fenster auf das Moor hinausblickte.

»Was würdest du gern tun?« fragte Davita.

»Wenn ich jetzt in London wäre, ginge ich in der Bond Street einkaufen, promenierte durch die Regent's Street und würde mich anschließend von einem Verehrer in das Romano's zum Essen einladen lassen.«

Sie seufzte, ehe sie fortfuhr: »Und das schönste von allem wäre, daß ich am Abend um sechs Uhr durch den Hintereingang des Theaters hinauf in mein Künstlerzimmer stürmen würde, um mich zu schminken.«

Davita fiel auf, daß Katies Stimme sehnsüchtig klang. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie erzählte, was sich auf der Bühne abspielte.

Katie war bereits sechsunddreißig Jahre alt. Dies war ein weiterer Grund gewesen zu heiraten, als sich ihr die Chance dazu bot, denn sie hatte schon viele gravierende Veränderungen im Laufe der Jahre im Gaiety miterlebt.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufregend es war, als Hollingshead, unser damaliger Prinzipal, im Theater elektrisches Licht installieren ließ«, erzählte sie einmal Davita.

Katies blaue Augen strahlten, als sie fortfuhr: »Es war am 2. August 1878, abends neun Uhr, als der Strom eingeschaltet wurde. Die Lampen flackerten und leuchteten auf, und die Menge strömte herbei, um das Gaiety zu sehen.«

Sie sprach mit Davita jedoch nicht nur über die Arbeit am Theater, sondern auch über die vielen jungen Männer, die vor dem Bühneneingang auf die Mädchen warteten. Sie waren herausgeputzt in ihren Abendmänteln, den seidenen Zylinderhüten, weißen Handschuhen und auf Hochglanz polierten Schuhen.

»Sie hofften, uns nach der Aufführung zum Dinner ausführen zu dürfen«, erzählte Katie begeistert. »Die Blumenbuketts, die sie uns schickten, füllten unsere Garderoben, und manchmal erhielten wir auch kostbare Geschenke.«

»Es muß fantastisch gewesen sein«, sagte Davita hingerissen.

»Auf der ganzen Welt gibt es keine Schauspielerinnen, die aufreizender und großartiger sind als die Gaiety-Girls«, gab Katie an. »Die Zeitungen sind der Meinung, daß wir die ‚Inkarnation der Londoner Lustbarkeiten‘ sind. Da stimme ich voll und ganz mit ihnen überein. Unser Prinzipal weiß, daß wir es sind, die die Leute ins Theater bringen. Und er ist nicht kleinlich, o nein, nur das Beste ist gut genug für uns Gaiety-Girls!«

Katie führte Davita ihre Kleider vor, die sie auf der Bühne getragen hatte. Einige waren ein Geschenk des Prinzipals gewesen, als sie London verlassen hatte.

Die meisten waren aus teurer Seide und Satin. Die Unterröcke waren mit echten Spitzen eingefaßt, und die Hüte schmückten die schönsten Straußenfedern.

»Wir Gaiety-Girls sind berühmt!« prahlte Katie.

Davita wußte, daß Katie damit sagen wollte, jeder Mann, ob reich oder arm, jung oder alt würde sich darum reißen, ein Gaiety-Girl zum Essen ausführen zu dürfen oder sie in einer zweirädrigen Kutsche nach Hause zu fahren.

Was Katie Davita jedoch nicht gesagt hatte, erklärte Hector ihr später, nachdem Katie sie verlassen hatte. Der alte Hector stand seit vielen Jahren im Dienste ihres Vaters.

»Man kann einen Singvogel nicht in einen Käfig sperren, Miss Davita«, sagte er mit seinem starken schottischen Akzent. »Die Gaiety-Girls sind nicht wie die anderen Schauspielerinnen. Die Herren verlieren in ihrer Gegenwart den Verstand, und das ist kein Wunder.«

»Sind sie wirklich so etwas Besonderes?« fragte Davita neugierig.

»Sie werden nach ihrem Äußeren ausgesucht. Ohne sie wäre die alte Music Hall tot«, erwiderte Hector.

Davita brauchte einige Zeit, bis sie verstand, daß die Frauen, die in der Music Hall auftraten, weder gewöhnlich noch vulgär, sondern damenhaft und vornehm waren.

Nicht, daß Davita Katie als besonders vornehm empfunden hätte, wenn sie diese mit ihrer Mutter verglich. Aber sie konnte verstehen, daß ihr Vater von Katies Lebensfreude begeistert war und ohne sie nicht mehr nach Schottland zurückkehren wollte.

Während Katie sich in ihr neues Leben einzugewöhnen versuchte, war es Violet, ihre Tochter, die Davita half, die Dinge objektiver und realistischer zu sehen. Sie traf sechs Monate nach der Hochzeit im Schloß ein.

Davita war von der Schönheit ihrer Stiefmutter überwältigt gewesen, doch nun starrte sie Violet mit großen Augen an.

Man hatte ihr erzählt, daß sich jeweils acht besonders schöne Mädchen bei jeder Gaiety-Show in prachtvollen Gewändern über die Bühne bewegten. Das war ihre einzige Aufgabe.

Sie gehörten weder zum corps de ballet, noch hatten sie eine Sprechrolle. Sie mußten nur schön sein.

Violet war eines dieser Mädchen. Als sie in Schottland eintraf, kam es Davita so vor, als wäre sie eine Göttin von einem anderen Stern.

Sie hatte blondes Haar und die gleichen blauen Augen wie ihre Mutter. Ihre Figur war makellos, und wenn sie lächelte, hätte man glauben können, die Venus von Milo sei plötzlich zum Leben erweckt worden.

»Ich traute meinen Augen nicht, als ich dein Telegramm erhielt!« rief Katie und umarmte ihre Tochter herzlich.

»Wir haben vierzehn Tage Urlaub, ehe wir mit den Proben für die nächste Show beginnen. Ich dachte, es wäre eine gute Idee, wenn ich dich in dieser Zeit besuchen komme. Du kannst uns doch hoffentlich beherbergen?«

Ihr Begleiter, Harry, war ein ungewöhnlich gutaussehender junger Mann, und Katie empfing ihn ebenso warmherzig wie ihre Tochter. Er war ein vorzüglicher Schauspieler und hatte während der letzten drei Jahre im Gaiety mit großem Erfolg viele Hauptrollen gespielt.

Davita kam es so vor, als habe er Katie mehr zu sagen als ihrer Tochter. Davita hätte gern mit Violet darüber gesprochen.

»Du magst das Theater?« fragte sie.

Violets blaue Augen strahlten.

»Ich liebe es! Ich würde das Gaiety nicht einmal einem Herzog zuliebe verlassen, wenn er mich darum bitten würde, geschweige denn wegen eines Baronets!«

Sie hatte ohne nachzudenken gesprochen und fügte rasch entschuldigend hinzu: »Ich glaube, das hätte ich nicht sagen sollen.«

»Ich verstehe dich«, sagte Davita lächelnd.

»Ich kann nicht begreifen, wie Mama es hier aushält, in dieser Einöde!«

Violet blickte über das Moor.

»Wenn ich aus dem Fenster sehe, möchte ich auf Häuser blicken. Ihr müßt hier im Winter furchtbar einsam sein!«

Davita lachte.

»Bis dahin bist du ja wieder in London.«

»Das will ich sehr hoffen!« rief Violet inbrünstig.

»Deine Mutter ist mit meinem Vater sehr glücklich«, sagte Davita rasch. »Aber manchmal vermißt sie London.«

»Das kann ich mir denken.« Davita mochte Violet.

Mutter und Tochter waren im Alter nicht weit auseinander. Violet war ‚ein kleines Mißgeschick‘ gewesen, wie Katie einmal gesagt hatte. Sie war damals, als es geschah, knapp achtzehn Jahre alt gewesen. Davita erfuhr jedoch niemals genau, was aus Katies erstem Mann, Lock, geworden war.

»Er sah sehr gut aus«, hatte ihr Katie einmal erzählt. »In seinen dunklen Augen brannte ein Feuer, und deshalb fiel die Audienz für ihn auch schlecht aus. Gott weiß, er war furchtbar niedergeschlagen, als er nach Hause kam. Ich war damals sehr jung und sehr dumm gewesen. Aber Violet hat alle Rechte zugesprochen bekommen, dafür habe ich gesorgt!«

Davita verstand den Sinn des Gesprächs nicht, doch sie folgerte daraus, daß Mr. Lock Katie verlassen hatte, noch ehe Violet geboren worden war.

Katie hatte ihn nie mehr wiedergesehen, obwohl er erst vor drei Jahren gestorben war. Durch seinen Tod war sie frei und konnte Sir Iain Kilcraig heiraten.

»Es muß sehr schwer gewesen sein, Violet allein aufzuziehen«, hatte Davita mitfühlend gesagt.

»Ich war in einer glücklichen Lage und hatte gute Freunde«, hatte Katie kurz geantwortet und es dabei belassen.

Violet lernte während ihres Besuchs in Schottland fischen. Sie beherrschte schnell die Kunst, die Angelleine zu werfen und war begeistert, als sie ihren ersten Lachs fing.

Davita überredete sie, mit ihr durch das Moor zu wandern, und für kurze Zeit vergaß sie, daß sie eine Schauspielerin vom Gaiety Theater war. Sie benahm sich wie ein junges, unbeschwertes Mädchen, das Freude an einfachen Dingen hatte. Als es wärmer wurde, ging sie mit Davita im Bach baden.

Sie ritten auf den kleinen Ponys aus, die Davita seit ihrer frühen Kindheit besaß. Sie unterhielten sich lange mit den Bauern und fuhren in das Dorf, das zwei Meilen vom Schloß entfernt lag, zum Einkaufen.

Erst viel später, nachdem Davita mit großem Vergnügen viel Zeit mit Violet verbracht hatte, fiel ihr auf, daß Katie ihre ganze Aufmerksamkeit Harry schenkte.

Ihr Vater war mit den Schafen beschäftigt, denn er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Schäfern zu helfen. Unglücklicherweise gab es in dieser Zeit auch eine Lachsschwemme, und er verbrachte daher täglich viele Stunden unten am Fluß beim Fischen.

Wie auch immer, Davita sagte sich, daß das, was dann geschah, unvermeidlich und nur eine Frage der Zeit gewesen war.

Schon bald, nachdem Violet mit Harry nach London zurückgekehrt war, verschwand Katie.

Sie hinterließ ihrem Mann eine Notiz, in der sie ihm mitteilte, daß sie das unwiderstehliche Bedürfnis habe, ihre Freunde wiederzusehen. Sie habe es ihm aber nicht ins Gesicht sagen wollen, denn sie hasse Szenen, doch sie versprach, ihm später ausführlich zu schreiben.

Ihr Brief traf in dem Augenblick ein, als Sir Iain sich entschlossen hatte, nach London zu fahren und sie zu suchen.

Sie teilte ihm mit, es täte ihr sehr leid, aber sie könne die Bühne niemals verlassen. Nun habe sie die Möglichkeit erhalten, am Broadway aufzutreten, und sie möchte diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen.

Es war Hector, der ihnen berichtete, daß Harry ebenfalls nach New York gehen würde.

»Während ich mich um seine Garderobe kümmerte, sprach er begeistert davon, Miss Davita. Er sagte, das wäre die Chance seines Lebens, etwas, worauf er niemals verzichten möchte.«

Irgendwie verstand es Davita, daß dies ,die Chance seines Lebens, war und ebenfalls ein Glücksfall für Katie.

Doch ihr Vater benahm sich wie ein Wahnsinniger und ertränkte seinen Kummer im Alkohol.

Er starb an einer Lungenentzündung, bald nachdem er auf dem Heimweg vom Dorf, wo er Whisky gekauft hatte, in einen Wassergraben gefallen war.

Ihr Vater war so betrunken gewesen, daß er die ganze Nacht dort gelegen hatte. Am Morgen fand ihn ein Schäfer und brachte ihn nach Hause. Aber die Erkältung, die er sieh dabei zugezogen hatte, verschlimmerte sich, und er bekam eine Lungenentzündung. Als Davita den Doktor kommen ließ, konnte er nichts mehr für ihn tun.

Davita stellte schockiert fest, daß sie nun völlig mittellos war. Aber es war für sie ein beruhigender Gedanke, daß wenigstens Hector versorgt war. Ihr Vater hatte ihm eine kleine Farm vermacht und für eine Rente gesorgt.

Als Davita auf den Stapel Rechnungen blickte, dachte sie mit Entsetzen daran, wieviel Geld ihr Vater seit dem Tod ihrer Mutter in London ausgegeben hatte.

Darunter waren Rechnungen über Champagner, Blumen, Kleider, Hüte, Pelze, Sonnenschirme, alles Dinge, die er für Katie gekauft hatte, wie Davita annahm.

Auch die Forderung eines Juweliers war darunter und ausstehende Zahlungen für seine eigene Garderobe, die geradezu astronomisch waren.

Sie hatte Verständnis dafür, daß ihr Vater elegant und gut hatte aussehen wollen, so wie in den Tagen, ehe er zum ersten Mal heiratete.

Damals besaß er eine eigene zweirädrige Kutsche, war Mitglied der besten Clubs gewesen und hatte jeden Abend natürlich nicht allein im Romano's, Rules oder im Continental gespeist.

Nun, da sie allein zurückgeblieben war, dachte sie traurig daran, daß alles, was ihr so vertraut und ihr Heim seit ihrer frühesten Kindheit gewesen war, nun nicht mehr ihr gehörte.

Mr. Stirling sprach die Frage aus, die sie sich selbst schon in Gedanken gestellt hatte.

»Was werden sie nun tun, Miss Kilcraig?«

Davita machte eine hilflose Geste mit den Händen. Der ältere Mann sah sie aufmerksam an und dachte, wie jung und reizend sie doch war.

Sie kam ihm wie eine schöne, exotische Blume vor, und er hatte das ungute Gefühl, daß man sie nicht verpflanzen durfte.

»Sie haben doch sicherlich Verwandte?« fragte er freundlich.

»Papas Schwester ist tot. Sie war älter als er«, antwortete Davita. »Auch meine Großtante aus Edinburgh starb vor einiger Zeit. Ich kann mich nicht erinnern, Verwandte meiner Mutter kennengelernt zu haben. Sie lebten zu weit weg von uns.«

»Sie könnten ihnen schreiben«, schlug Mr. Stirling vor.

»Ich möchte mich ihnen nicht aufdrängen. Das würde mir widerstreben«, antwortete Davita. »Und ich bin sicher, auch ihnen würde das nicht gefallen.«

Als sie daran dachte, kam es ihr so vor, als lägen die Hebriden auf einem anderen Stern.

»Sie können nicht hierbleiben«, sagte Mr. Stirling. »Ich fürchte, Sie müssen versuchen, bei Verwandten einen Unterschlupf zu finden , oder irgendwo eine Arbeit.«

»Eine Arbeit?« fragte Davita erstaunt. »Aber ich habe nichts gelernt.«

»Einer meiner Geschäftspartner kann sicherlich etwas Passendes für Sie finden«, schlug Mr. Stirling vor. »Ein junges Mädchen wie Sie bekommt in Edinburgh immer Arbeit. Im Augenblick kann ich mir aber auch nicht vorstellen, was Sie tun könnten.«

»Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie sich darüber Gedanken machen«, sagte Davita lächelnd. »Eigenartig, Papa hat immer darauf bestanden, daß ich eine gute Ausbildung erhalte. Aber nun sieht es so aus, als ob ich nichts, was ich gelernt habe, zu Geld machen kann.«

Davita lächelte ihn kurz an, als wollte sie dadurch die Schwierigkeiten beiseite wischen.

»Am besten wäre es, Sie würden heiraten«, sagte Mr. Stirling.

»Das wird sich als schwierig erweisen, denn bis jetzt hat noch niemand um meine Hand angehalten«, erwiderte Davita.

Das war nicht verwunderlich, dachte sie, denn es gab in der Gegend kaum junge Männer, und in Edinburgh hatte sie sich niemals lange aufgehalten. Nach dem Tod ihrer Mutter war jeder Kontakt zu den wenigen Freunden, die sie dort hatte, abgerissen.

»Ich weiß, was ich tun werde«, sagte Mr. Stirling schließlich. »Ich werde mit meiner Frau sprechen und mit den Ehefrauen meiner Kompagnons. Vielleicht können Sie sich um deren Kinder kümmern oder etwas Ähnliches tun.«

»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen«, erwiderte Davita. »Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar dafür.«

»Sie werden wieder von mir hören.«

Draußen wartete eine Droschke auf ihn, die ihn zum Bahnhof brachte. Als er abfuhr, lüftete er seinen altmodischen Hut, und Davita dachte, daß er wie einer der Kirchenältesten aussah. Ihr Mut sank.

Sie konnte sich gut vorstellen, wie seine Frau aussah und die Frauen seiner Partner. Sie war sicher, man würde sie wegen ihrer Jugend, und weil ihr Vater ein Gaiety-Girl geheiratet hatte, mißbilligen.

Die Theaterleute besaßen besonders in Schottland einen schlechten Ruf. Sie sah im Geiste bereits die Damen in Edinburgh schockiert und empört die Hände ringen, daß sie mit jemandem, der so engen Kontakt zu einer Schauspielerin vom Gaiety-Theater gehabt hatte, in Verbindung treten sollten.

»Was soll ich tim? Was kann ich tun?« fragte sich Davita immer wieder.

Da sie sich um ihre Zukunft Sorgen machte, suchte sie bei Hector Rat

Er packte gerade die Garderobe ihres Vaters ein, als sie dessen Schlafzimmer betrat. Hector blickte von dem ledernen Reisekoffer auf, vor dem er kniete und fragte: »Ist der Herr abgefahren, Miss Davita?«

»Ja«, antwortete sie. »Und wie wir beide es befürchtet haben, brachte er schlechte Nachrichten mit.«

»Das habe ich geahnt, Miss Davita. Es tut mir sehr leid für Sie.«

Davita hatte vor Hector keine Geheimnisse. Er kannte ihre finanzielle Lage und hatte ausführlich mit ihr darüber gesprochen, bevor Mr. Stirling auf dem Schloß erschienen war.

»Wenn hier alles abgewickelt ist, werde ich noch genau hundertneunundsechzig Pfund und zehn Schilling besitzen«, sagte Davita und setzte sich auf den Rand des Bettes.

»Gut, das ist besser als nichts«, bemerkte Hector.

»Ja, ich weiß«, erwiderte Davita. »Aber das wird nicht lange reichen. Ich muß rasch eine Arbeit finden, Hector. Aber wo? Und wie soll ich Geld verdienen?«

»Sie wollen arbeiten, Miss Davita?«

Hector setzte sich auf die Fersen. Es war ihm anzusehen, daß ihm dieser Gedanke bis jetzt noch nicht in den Sinn gekommen war.

»Entweder arbeiten oder von der Luft leben, die, wie ich meine, keine sehr gehaltvolle Kost ist«, erwiderte Davita.

»Wir haben meine kleine Farm, Miss Davita. Und außerdem kann ich noch einige Jahre arbeiten...«

Davita unterbrach ihn.

»Das kommt überhaupt nicht in Frage, Hector! Ihr Vorschlag ist lieb gemeint und zeigt Ihr gutes Herz, aber Sie wissen genauso gut wie ich, daß Sie nicht wieder arbeiten sollten. Papa war glücklicherweise so fürsorglich und hat Ihnen die kleine Farm überschrieben und eine Rente ausgesetzt. Sie müssen nicht Not leiden.«

Sie hielt kurz inne und sagte dann in einem nüchterneren Tonfall: »Trotzdem wird es im Schloß immer wieder etwas Arbeit für Sie geben, falls Sie ein paar Tage in der Woche tätig sein wollen. Dieser Verdienst wird Ihnen ein wenig Luxus ermöglichen, den Sie sich andernfalls nicht leisten könnten.«