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Diagnose "Multiple Sklerose" und von Stund an ist das bisherige Leben auf den Kopf gestellt und alle Zukunftsplanungen sind Makulatur! Bei dieser Krankheit handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung - plakativ: "Der eigene Körper bekämpft sich selbst" -, um eine kausal nicht heilbare, zumeist fortschreitende entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), charakterisiert durch im Rückenmark + Gehirn verstreute Entmarkungsherde mit irreversibler Schädigung der "Nerven-Markscheiden". Es gilt verschiedene Verlaufsformen – von blande verlaufender MS bis zur fulminant progressiven Form – zu unterscheiden. In keinem Falle aber ist die MS "ansteckend", sie ist nicht erblich und in keinem Falle primär eine psychische Krankheit. Fakt aber ist, dass die MS im Verlauf alle Ebenen des Kranken in Schieflage bringt. ** Jährlich erkranken im deutsch-sprachigem Raum ca. 5-6/100.000 Menschen neu an MS; in Deutschland leben diagnostiziert ca. 130.000 MS-Kranke; weltweit ca. 2,5 Millionen! Erkrankungsgipfel ist die Altersgruppe von 20-40 Jahren; zuletzt vermehrt auch Erkrankungen bei Kindern & Jugendlichen; Frauen erkranken 2x so oft wie Männer. MS/ED ist eine kausal nicht heilbare Krankheit! Die schulmedizinische Therapie zielt ab auf Milderung der Schub-Intensität, -Dauer, -Häufigkeit mit Minderung der MS-bedingten Beschwerden & Einschränkungen. Domäne der seriösen kompetenten komplementären biologischen Medizin ist die Optimierung von Immunsystem, Hormonachsen und u.a. der Mitochondrien sowie der Blut-Hirn-Schranke. Ziele einer umfassenden synergistisch-symbiotischen Ganzheitsmedizin ist die Verbesserung von Lebensqualität und die Steigerung der Lebensfreude!
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Seitenzahl: 722
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Dr. med. Hanspeter Hemgesberg
Multiple
Sklerose (MS)
„Mit MS Aktiv Leben
– Was sonst!“
[‚Ein Ganzheitsmedizinischer Ratgeber‘]
Aktualisierte Neuauflage
Dieses Buch „Multiple Sklerose (MS) – „Mit MS Aktiv Leben – Was sonst!“ mit dem Untertitel ‚Ein Ganzheitsmedizinischer Ratgeber‘ will insbesondere Sie – als MS-Kranke/-n, allgemein an der eigenen Gesundheit Interessierten und ganz besonders aber auch alle biologisch-naturheilkundlich (und insbesondere ganzheitlich) orientierte Therapeuten – informieren und beraten.
Alle Angaben sind nach bestem Wissen zusammengestellt.
Jedoch kann eine Verbindlichkeit aus ihnen nicht hergeleitet werden.
Multiple Sklerose
[„Mit MS Aktiv Leben – Was sonst!“]
Verfasser:
Dr. med. Hanspeter Hemgesberg
Wissenschaftliche Recherchen:
Andrea Hemgesberg + Claudia Hemgesberg + Sandra Hemgesberg
Redaktionelle Mitarbeit:
Rosemarie Hemgesberg
© Copyright 2021
Für das vorgestellte ganzheitliche multi-modale MS-Behandlungs-Konzept und die Benennungen liegen ausschließlich bei Dr. med. Hanspeter Hemgesberg. Nutzung - auch auszugs- und teilweise – in Wort, Schrift und allen elektronischen (und auch den zukünftigen) elektronischen Kommunikationssystemen und in irgendeiner sonstigen Form (Fotokopie, Mikrofilm und andere Dokumentations- & Archivierungsverfahren) sowie die Weitergabe an Dritte und/oder die Vervielfältigung und sonstige Verbreitung ist verboten und strafbewehrt!
Gerichtsstand: Jeweiliger Wohnort Dr. med. Hanspeter Hemgesberg
© Copyright 2021
für die Gestaltung des Covers liegt bei Andrea Hemgesberg, Miesbach
Die missbräuchliche Verwendung ist strafbewehrt!
Gerichtsstand: jeweiliger Wohnsitz Andrea Hemgesberg
Hinweis:
Bei der farblichen Gestaltung des Covers handelt es sich um „Lizenz-freie“ Vorlagen, einschl. des Aeskulap-Stabes; ebenso „Lizenz-Frei“ sind die Abb. auf dem Cover und im Buchtext.
ISBN: 978-3-8476-8730-6
Multiple Sklerose(MS)– mit Fachnamen Encephalomyelitis disseminata(ED) – ist eine schwere und weit überwiegend progredient verlaufende chronische, entzündliche neurologische Erkrankung.
Nach aktuellem Wissensstand wird sie heute den ‚Auto-Immun-Krankheiten‘ zugerechnet; wenngleich festzuhalten ist, dass etliche Co-Faktoren das Auftreten dieser das Zentrale Nervensystem (ZNS – Gehirnareale und Rückenmark) zumindest begünstigen.
Zu unterscheiden sind bei der MS drei Haupt- und mehrere Sonder-Verlaufsformen. Diese sind (mit-)entscheidend für den Krankheits-Verlauf insgesamt und die Prognose.
In manchen Fällen verläuft die MS über viele Jahre nahezu bzw. anscheindend ‚im Stillstand‘ und ohne größere körperliche wie seelische Beeinträchtigungen.
In anderen Fällen hingegen nimmt die Krankheit einen dramatischen Verlauf und endet oft in völliger Hilflosigkeit und aber auch in einem allzu frühen Tod.
Wenngleich der Krankheitsgipfel ‚rund um die 30er Jahre‘ liegt, so erkranken an MS auch bereits Kinder und Jugendliche. Frauen sind mehr betroffen als Männer.
Eine primäre oder ursächliche Heilung ist nicht möglich.
„Tempora mutantur et medicinae!“
(die deutsche Übersetzung für alle „Nicht-Lateiner“ am Schluss dieses Vorworts)
Wie es in vielen Bereichen unser aller Leben – im Privatleben wie im Berufsleben – ständig zu Weiter- und Neu-Entwicklungen kommt, so trifft das auch und besonders zu für die gesamte Medizin, die wissenschaftliche (schulmedizinische) wie die biologische.
Dem muss ich unbedingt Rechnung tragen.
Die bisherige Auflage meines „MS-Buches“ datiert aus dem Jahre 2014. Bis heute – Ende des Frühlings 2021 – ist also reichlich Zeit vergangen. In diesen hat es Neu- und Weiterentwicklungen in der Medizin gegeben.
Diesen neuen Erkenntnissen und Behandlungsmöglichkeiten entspreche ich mit dieser vorliegenden ‚aktualisierten Neuauflage‘.
Letztlich habe ich auch den Buchtitel einschließlich der beiden Untertitel geändert.
Der Buchtitel lautet nunmehr:
„Multiple Sklerose (MS):
Mit MS Aktiv leben – was sonst!“
Dies sollte zum Leitmotiv für alle und jeden MS-Kranken werden, sein und bleiben.
Dennoch oder trotzdem wird die eine oder der andere unter meiner Leserschaft die Frage an mich richten?
Warum eine ‚Neuauflage‘?
Da muss ich zurückgehen bis zu meiner „Doktorarbeit“ (Dissertation).
Es hat sich um ein neurologisches Thema gehandelt – Sie werden es schon ahnen – um „Untersuchungen über Multiple Sklerose im Saarland“.
Aber eigentlich geht mein Interesse an dieser heimtückigen und vertrackten Krankheit schon zurück bis zu der Zeit, eine Nachbarin bei uns im Saarland (im Landkreis Saarbrücken) einen MS-Schub erlitten hatte und ich damals gerade als junger Medizinalassistent in jenem Kreiskrankenhaus Dienst hatte, als die Patientin eingeliefert worden war.
Aber auch während meiner zahlreichen Sitzwachen in der neurolog. Universitätsklinik Homburg/Saar habe ich manche Nacht am Bett von MS-Kranken in weit fortgeschrittenem Krankheitsstadium verbracht.
Auch nach meinem medizinischen Staatsexamen und meiner Dissertation hat mich die Krankheit „MS/ED“ nicht mehr losgelassen.
Das hat seinen Fortgang gefunden, nachdem ich mich im Landkreis Saarlouis (Saarland) niedergelassen hatte als Landarzt.
Unter meinen Patienten hatte ich auch zwei MS-Patientinnen zu betreuen – nebenbei: es war eine ‚Tagesreise‘, damit die Patientinnen in Frankfurt/M an der dortigen Uni mittels zerebraler Kernspintomographie/ MRT untersucht werden konnten(das war das nächstgelegene MRT zu jener Zeit)–.
In dieser Zeit habe ich die erste MS-Selbsthilfegruppe im Saarland im Landkreis Saarlouis gegründet.
Womit wir beim Thema „MS-Buch“ angekommen wären.
Aus dem Patientenkreis wurde die Bitte an mich herangetragen, doch ein „MS-Buch“ zu schreiben. Was dann auch geschah.
Das Buch – zutreffender das Büchlein – wurde herausgegeben im Selbst-Verlag.
Dann war über viele Jahre „Schweigen an der MS-Buch-Front“.
Bis ich mich dann Anfang der 1980er Jahre – ich war seinerzeits Chefarzt in einer Privatklinik im Tegernseer Tal – dazu durchgerungen hatte – dies auf Nachfragen aus dem Kollegenkreis, die meine Vorträge über MS gehört hatten, ein ‚neues‘ MS-Buch zu Papier zu bringen.
Dieses Buch enthielt – zumindest in groben Zügen – neben der wissenschaftlichen Schul-Medizin auch Ansätze der biologisch-naturheilkundlichen Medizin.
Wiederum vergingen rund 2 Jahrzehnte bis es zur Publikation im Jahre 2014 eines eBooks zum Thema Multiple Sklerose kam; das war dann – wenn man so will – die 3. Auflage. In diesem Buch hat die biologische Heilkunde bereits einen breiten Raum eingenommen.
Nun – hier und heute – liegt Ihnen, meine verehrten Leserinnen und Leser im Jahre 2021 die 4. Auflage vor.
Es handelt sich definitiv um eine aktualisierte Neuauflage; in der werden die Fortschritte in der Medizin in der Diagnostik und bes. bzgl. der Optionen in der Therapie der MS sowohl der Schulmedizin als bes. auch der biologischen Medizin Rechnung getragen.
Zum Schluss noch (die Übersetzung):
„Die Zeiten ändern sich und mit ihnen auch die Medizin!“
Miesbach/Obb. Ende Frühjahr 2021
Dr. med. Hanspeter Hemgesberg
Bei der Multiplen Sklerose(MS)– medizinischer Fachbegriff: Encephalomyelitis disseminata (ED) – handelt es sich um eine chronisch-entzündliche neurologische Erkrankung mit Befall des Gehirns (= Encephalitis) – des Zentralen Nervensystems (ZNS) – und des Rückenmarks (= Myelitis).
Es handelt sich um eine „Auto-Immunkrankheit“.
Zu unterscheiden sind verschiedene ‚Verlaufsformen‘ von sehr langsamer Progredienz (Fortschreiten) und ohne Schübe bis hin zu infaustem (hochgradig ungünstigem) Verlauf mit rascher Progredienz und mit MS-Schüben in rascher Abfolge.
In vielen Erkrankungsfällen kommt es krankheits-bedingt einmal zu zunehmenden Defiziten und zu dauerhaften Behinderungen sowohl physisch (körperlich), als psychisch (seelisch) wie kognitiv-mental (geistig) und zwar bis hin zum hochgradigen permanenten Pflegefall und absoluter ‚Hilflosigkeit‘.
Fakt:
Das ist leider die „schlechte Nachricht“!
Die „gute Nachricht“ ist, dass bei mehr als einigen MS-Kranken die Krankheit entweder nur sehr langsam fortschreitet oder die Schub-Häufigkeit im Verlauf der Zeit geringer wird und/oder an Intensität verliert.
Zu nennen ist die „frohe Nachricht“:
Unter den MS-Patienten kommt die Krankheit nachgerade zum Stillstand und dieser hält sogar über viele Jahre an.
Das sollte allen Betroffenen Mut machen und ihnen Kraft geben, durchzuhalten.
Wer kämpft,
Der kann verlieren!
Wer nicht kämpft,
Der hat schon verloren!
Bertold Brecht
[deutscher Dichter, Schriftsteller und Bühnenautor – 1898-1956]
Mein war alles …
Mein war alles,jeder Gedanke,jeder Traum,jede Herausforderung,die eine Herausforderung war,ohnehin nur für die Anderen.Kein Weg war zu weit,kein Berg zu steil,keine Nacht zu kurzund kein Morgen zu früh,Schwäche war stetsein Privileg nur der Anderen.Mein war alles,jeder Gedanke,jeder Traum,jede Herausforderung,war mein,doch wandern nur noch die Anderen.
© „Karl“
NACHTFreundin meiner gegangenen Tageverschluckst in deiner Dunkelheitmeinen Kummer, meine Ängste,gibst Kraft mir für einen neuen Kampf.
Ruhe ist um mich und in mir sindnur meine eigenen Gedanken,die ich in Worten denke,gleich einem Selbstgespräch.Dunkelheit ist um mich,umhüllt das Licht meiner Träume,in denen ich Dinge tue,die zu tun mir im Wachen verwehrt sind.Angst ist um mich, läst mich aufschreckenaus meiner heilen Welt der Träume,in der ich mit dem Wind tollen kannund Blindheit nur andere betrifft.Es belügt sich regelmäßig der,der im Wissen um den Umstand,dass morgen wieder etwas mehr weniger geht,von Hoffnung spricht.
© „Michael“
SEELENSTROMGeister umkreisen meinen Seelengarten,lachen über die bizarren Gewächse,die gelb und vertrocknet,meiner Hitze ausgeliefert waren.Geister, die ich unbesonnen lockte,verlassen mich nicht mehr,sie jauchzen laut und belagern,meinen sanften Seelenfluss.Meine Seele fließt unruhig,wie ein untiefes Wasser,sie strömt rastlos und bahnt sich,den Weg und erschafft Höhlen.Der Einsturz kommt schrill und berstend,wie ein lärmendes Wasser,er schafft Abgründe der Verwüstung,raubt mir meine Lebendigkeit.
© Unbekannt
Obgleich eigentlich bis hinein in die „allerhintersten Ecken und Winkel“ bekannt sein sollte/müsste, dass es bei der Multiplen Sklerose/MS um eine der am häufigsten vorkommenden neurologischen bzw. neuro-degenerativen und neuro-immunologischen Krankheiten und dazu um eine Auto-Immunkrankheit handelt, ranken sich hartnäckig um diese Krankheit etliche „Mythen“.
So:
Mythos 1:
Alle an Multipler Sklerose Erkrankten enden im Rollstuhl.
Völlig falsch.
Die MS verläuft von Person zu Person ganz unterschiedlich; groß angelegte Studien haben jedoch aufgezeigt, dass es nach der Entstehung der Krankheit im Durchschnitt 15 bis 20 Jahre lang dauert, bis man einen Gehstock benötigt.
Eine laufende Behandlung kann diesen Fortschritt sogar noch weiter hinauszögern. Drei von vier Menschen mit MS brauchen nie einen Rollstuhl. Bei rund 40 Prozent werden normale Tätigkeiten nicht beeinträchtigt.
Mythos 2:
Frauen mit Multipler Sklerose sollten nicht schwanger werden.
Absolut falsch.
Tatsache ist, dass die Rückfallquoten während einer Schwangerschaft sogar zurückgehen, was höchstwahrscheinlich mit der Hormonproduktion zusammenhängt.
Rückfälle nach der Schwangerschaft treten auf, aber in fast allen Fällen nicht häufiger als vor der Schwangerschaft.
Mythos 3:
Personen mit MS sollten körperliche Belastung meiden.
Komplett falsch.
Es besteht kein Grund, warum Menschen mit MS sich nicht körperlich betätigen sollten und in einigen Fällen können Dehnungsübungen sogar Muskelkrämpfe lindern. Hitze führt häufig zu einer Verschlimmerung der Symptome, und daher sollte eine Überhitzung bei körperlichen Aktivitäten vermieden werden.
Mythos 4:
Erkennung und Diagnose der MS sind schwierig.
Mehr oder weniger falsch.
Obwohl viele Menschen jahrelang leiden, bevor bei ihnen MS diagnostiziert wird, sind die Auswirkungen der Erkrankung auf das Zentralnervensystem/ZNS (Gehirn und Rückenmark) häufig relativ einfach mit Bildgebungsverfahren (wie u.a. CT, MRT, SPECT) eindeutig zu erkennen.
Obwohl das Erkennen der Krankheit auf der Bildgebung normalerweise nicht schwierig ist, dauert es aber vielmals eine längere Zeit, bis die Notwendigkeit für diese Diagnostik-Verfahren erkannt wurde.
Viele Frühsymptome treten häufig auf, sind jedoch nicht MS-spezifisch.
Patienten mit der fortschreitenden Form von MS nehmen häufig zuerst Schwierigkeiten beim Gehen und ein Taubheitsgefühl von der Hüfte abwärts wahr.
Frühsymptome bei schubförmigen Fällen können den Verlust des Sehvermögens auf einem Auge und ein Taubheitsgefühl in beiden Beinen mit sich bringen.
Viel zu häufig wird bis zum dritten oder vierten Symptom-Schub gewartet, bevor ein Arzt aufgesucht wird.
Bis dann schließlich der Arzttermin wahrgenommen wird, sind die Symptome möglicherweise wieder abgeklungen.
Mythos 5:
Jeder hat das gleiche Risiko, an MS zu erkranken.
Völlig falsch.
Wie die meisten Autoimmunkrankheiten tritt die MS wesentlich häufiger bei Frauen auf als bei Männern (im Verhältnis von ungefähr 2:1) auf. Die fortschreitende Form der MS tritt jedoch etwas häufiger bei Männern auf.
Mehrere Faktoren können das Risiko für die Entstehung einer multiplen Sklerose erhöhen; dazu gehören ein niedriger Vitamin-D-Spiegel, Rauchen und Fettleibigkeit (Adipositas). Dies sind keine MS-Verursacher, sie erhöhen aber geringfügig das Risiko einer Person.
Erbanlagen sind ebenfalls ein Risiko-Faktor.
Die Gefahr einer Einzelperson, an MS zu erkranken, sind ein wenig größer, wenn jemand in dessen Familie an dieser Krankheit leidet.
Schließlich sind sehr wenige Fälle in Äquatornähe bekannt; die Krankheit tritt häufiger bei Menschen auf, die ihr frühes Leben eher in nördlichen Gebieten in kühleren Klimazonen verbracht haben.
Dies kann mit der Sonneneinstrahlung zusammenhängen, welche den Vitamin-D-Spiegel beeinflusst.
Mythos 6:
Multiple Sklerose kann geheilt werden
Leider (zumindest bis heute) falsch!
Bedauerlicherweise gibt es derzeit keine kausale/ursächliche Heilung für MS.
Neue Behandlungsmöglichkeiten befinden sich jedoch in stetiger Entwicklung.
Innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte sind mehr als ein Dutzend neue Behandlungen und Medikamente eingeführt worden.
Diese Behandlungen verzögern den Fortschritt der Krankheit und ermöglichen den Patienten, ein ausgefüllteres und gesünderes Leben zu führen.
[Quelle: MSD Manual – Ausgabe für Patienten]
Wichtige Fachbegriffe und Fremdwörter in diesem Buch sind mit einem ()
gekennzeichnet.
Im Glossar werden diese Termini unter
Lexikon:
Medizinische Fachbegriffe, Diagnostikverfahren und Therapie-Methoden von „A“ bis „Z“
in alphabetischer Reihenfolge erklärt und erläutert.
Ihr
Dr. Hanspeter Hemgesberg
Bereits auf dem Cover dieses Buches „Multiple Sklerose“ erscheint der Begriff „Ganzheitlich“ zum allerersten Male.
SIE werden IHM immer wieder begegnen.
Daher stelle ich ganz bewusst – quasi als Vorwort vor dem eigentlichen Vorwort – eine Art Begriffserläuterung„Ganzheitlich“und auch „Ganzheitliche Medizin“an den Anfang.
Ganzheitsmedizin, was ist das?
Und:
Für welche „Medizin(art)“ steht sie?
Es handelt sich dabei um die – auf die Gegenwart ausgerichtete und den neuesten Erkenntnissen der wissenschaftlichen Schulmedizin wie auch der seriösen biologisch-naturheilkundlichen Medizin Rechnung tragende – „Urform der Heilkunde“ i.S.e.: „harmonischen, synergistischen und integrativen Symbiose von einerseits bewährten und andererseits seriösen Heil-Methoden der biologisch-naturheilkundlichen Medizin mit denen der wissenschaftlichen (Schul-)Medizin und dabei stets mit dem Kranken als Mittelpunkt!“
Daraus ergibt sich dann schon per se:
„Ziel einer ganzheitlichen Medizin ist es, eine bestmögliche und soweit als möglich umfassende (= alle 3 Ebenen des menschlichen Seins: Körper-Seele-Geist) sowie schonende Behandlung zu erreichen mit höchstmöglicher Effizienz.
Dabei steht außer Frage, dass auch die „beste biologische Therapie“ – zumal bei progredienter MS-Erkrankung – nie „First-Line-Therapy“ sein kann, darf und sollte!
In jedem Falle einer Erkrankung an Multipler Sklerose kommt der wissenschaftlichen Medizin uneingeschränkt der Primat zu!
Das muss meinerseits zu Anfang festgehalten sein!
Ich fasse zusammen:
Es steht dabei für mich absolut außer jeder Frage, dass in sehr vielen Bereichen – zumal bei einer solch gravierenden Krankheit wie der MS – der eindeutige Primat der Schulmedizin zukommen; nein: zukommen muss!
Meine Erfahrungen sprechen daher eindeutig für die unverzichtbare Bedeutung dieser Medizin-Ausrichtung(en) additiv/komplementär.
Schlicht und einfach:
Ganzheitliche Medizin stellt dar – nicht einzig aus meiner Sicht – die immer mehr an Bedeutung und Gewicht gewinnende - untrennbare Einheit der doppelseitigen Münze namens „Medizin“(vergleichbar mit dem bekannten „Januskopf“). Auf der einen Seite die unverzichtbare wissenschaftliche Medizin – die sogen. „Schulmedizin“ – und auf der anderen Seite die bewährten, seriösen und kompetenten Verfahren und Anwendungen der biologischen Heilkunde/Medizin, östlicher wie westlicher und auch afrikanischer Herkunft.
Nicht nur so ganz nebenbei:
Die weit wichtigere Bedeutung des „Janus-Kopfes“ ist einmal bzw. einerseits der Blick zurück – hier für den Kranken: Akzeptanz ‚seiner’ Krankheit – und dann zweitens und andererseits der Blick nach vorne – hier für den Kranken: Motivation, Mitarbeit und Selbst-Management und zwar voller Vertrauen auf und in die eigene Stärke –!
Wie ganz generell im Leben, so sollte bei der Durchführung und Anwendung ganz gleich welcher Therapie immer wieder und zuerst die Frage gestellt sein und werden: „Cui bono?“(wem hilfts).
Letztlich sollte der Ausspruch des 5. Jesuitengenerals Claudia Aquaviva(1543-1615) für jede Therapie und besonders dann auch für die Behandlung bei der MS gelten und berücksichtigt werden: „Fortiter in re - suaviter in modo“!
(kraftvoll in der Therapie – schonend im Verfahren, in der Vorgehensweise).
Zuletzt und ganz besonders:
MS ist eine viel zu ernste Krankheit, als dass sie zur Spielwiese für Therapeuten „verkommen“ darf!
Daher gilt in Richtung aller Behandler:
„Et respice finem!“
(die eigenen Grenzen bzgl. Kenntnissen/Fähigkeiten und Möglichkeiten zu kennen und zu beachten).
[„Orange Ribbon“
– für Betroffene und Freunde –
©:
„The Multiple Sclerosis International Federation]
Es gibt nur wenige Krankheiten und ernste und schwere und prognostisch vielmals so beängstigend verlaufende wie die Multiple Sklerose, denen in der Öffentlichkeit – der allgemeinen Bevölkerung wie der Fachleute und stets und zumeist vornweg die Medien – eine solche „Berg-und-Tal-Achterbahn-Fahrt“ an Enttäuschungen und Hoffnungen hinsichtlich neuer Therapien zugemutet wird.
Heute überschlagen sich die Meldungen, von neuen und dieses Mal endgültig durchschlagenden Präparaten ist die Rede, die Betroffenen erfahren „unser aller verbales Engagement“, unseren Respekt, zumindest unser „aufrichtiges Mitleid“ ob des harten Schicksals.
Sämtliche Medien überbieten sich nachgerade in Berichten, Fall-Skizzen, zumindest in fetten Überschriften.
Aber auch die medizinische Fachpresse tritt auf den Plan.
Und morgen vielleicht bereits: „Alles Schnee von gestern“!
Schweigen – nicht selten ein betretenes –, ein verschämtes (wenn überhaupt) Achselzucken oder ein Hochziehen der Schultern (mit gleichzeitigem Blick irgendwohin, nur, um nicht den Kranken direkt und unmittelbar anzusehen/ansehen zu müssen), dass „man“ es leider nicht ändern könne, dass das Schicksal eben wahllos zugeschlagen habe.
Aber auch, dass sicherlich alles Menschenmögliche getan werde, um den MS-Kranken Hilfe und vielleicht sogar (eines fernen Tages, was wohlweislich verschwiegen wird!) Heilung zu bringen.
Die Presse, die Medien verstummen – der Aufwand „lohnt“ und „rechnet“ sich scheinbar nicht bei den „nur geringen Krankenzahlen“.
So dreht sich das Interessens-Karussell:
Die eine Sekunde tief unten, die nächste schon ganz oben und dann wieder der Sturz in die (schier bodenlose) Tiefe.
Dieser letzte Satz ist charakteristisch für den unsäglichen Leidensweg vieler MS-Kranker!
Auf eine Hoffnung (und sei sie noch so trügerisch und noch so klein und vage) folgt nur allzu oft und allzu schnell die nächste Enttäuschung!
Dennoch:
Immer weiter glimmt die zarte Glut, die da heißt „Hoffnung auf Heilung“!
Dies weiß ich aus unmittelbarem Erleben, Mitleiden und Mithoffen und auch der eigenen Hilflosigkeit: …
Ein, ein Jahre älteres, Nachbarskind – unsere Familien waren eng befreundet und wir Kinder verbrachten viel Zeit miteinander – wurde eines Tages in unser kleines örtliches Kreiskrankenhaus im Saarland eingeliefert.
Ich war in dieser Zeit gerade dort tätig, um während der Semesterferien mir sowohl weitere praktische Krankenhaus-Erfahrungen anzueignen, aber auch, um mein knappes Studien-Budget etwas aufzubessern.
Knapp 22 Jahre war sie damals jung.
Sie hatte seinerzeit über Seh-Störungen und unklare Mißempfindungen und Probleme in der Steuerung des Fußes geklagt; alles auf der rechten Körperseite.
Nach 3-4 Stunden war der „Spuk“ vorbei.
Die damals gemachten Routineuntersuchungen – ein neurologisches Konsil und ein EEG waren (leider) nicht dabei und eine Kernspintomografie (MRT) respektive ein Computertomogramm (CT) noch nicht möglich – waren allesamt ohne jeden pathologischen Befund.
Diagnostiziert wurde eine „vegetative Dystonie“ (die ‚Zauberdiagnose’ jener Zeit) durch Studium, Job zum Nebenverdienst und Pflege der Großmutter und die Vorbereitung der eigenen Hochzeit als wahrscheinliche Ursache angesehen. ...
... Fast 11 Jahre waren dann ins Land gegangen.
Das „Nachbarskind“ war inzwischen verheiratet und zwei Schwangerschaften waren unkompliziert verlaufen und – abgesehen von den üblichen und banalen Infekten und Katarrhen – keine ernste Erkrankung; ja, bis zu einem Sommer-Sonnen-Tag im Juli 1972:
Wie von einem Blitz aus heiterem Himmel getroffen war die junge Frauunmittelbar nach einem Badeausflug in ihrem Haus regelrecht „zusammengebrochen“: massive Schwindelattacken und Sehstörungen und neurologische Ausfälle – und diese wiederum auf der rechten Körperseite – hatten den Hausarzt dieses Mal veranlasst, die junge Frau sofort in stationäre Behandlung zu überweisen.
Von dort aus erfolgte dann binnen kürzester Frist die Verlegung in die Neurologische Universitätsklinik Homburg/Saar.
Wie es das Schicksal so wollte:
Dort war ich damals als junger Assistenzarzt tätig.
Nach einigen Tagen stand dann die erschütternde Diagnose fest; es handelte sich um MULTIPLE SKLEROSE (MS)!
Die Krankheit schritt fort und fort und immer wieder dazwischen Zeiten des (scheinbaren) Stillstands.
Das triste Ende der Krankengeschichte:
42jährig und abgemagert bis auf Haut und Knochen, kaum noch bewegungsfähig und von schier unsäglichen Schmerzen und als Dauer-Pflegefall ist sie endlich erlöst dann ruhig verstorben.
Diagnose „Multiple Sklerose“:
Nichts ist mehr so, nichts wird mehr so sein
und auch nicht mehr so werden
wie es zuvor einmal gewesen war!
Erschütternd nicht alleine die Diagnose und das Wissen, dass eine primäre, sprich kausale, Therapie und eine Heilung nicht möglich – (weder damals noch heute!) –, sondern zu sehen, mit ansehen zu müssen, wie ein „kraft- und energie-strotzender“ junger Mensch immer schwächer wurde, wie sein Aktionsradius immer eingeengter wurde, wie seine körperlichen Gebrechen immer weiter zunahmen – und dies bei wasserklarem Verstand –, das alles war schon schlimm genug.
Doch leider nicht schlimm genug:
Verschlimmert wurde diese auswegslose Situation noch durch das ständige Auf-und-Ab der Gefühle und Hoffnungen, dass das „neue Mittel“ sich endlich als das herbeigeflehte Heilmittel erweisen würde, möchte, könnte.
„Hoffen-Bangen-Enttäuschung“:
Dies ist der gnadenlose unaufhaltsame Teufelskreis! Ein Karussell, das sich mit Fortschreiten der Krankheit oftmals leider immer schneller dreht, wo sich die Leidens- und Schadens-Spirale immer weiter und enger zuzieht!
Von dieser Begegnung an, war die Krankheit „MS“ – und ist es bis zum heutigen Tage geblieben – ein Schwerpunkt meiner ärztlichen Tätigkeit und Interessen.
So war es für mich auch nur allzu (selbst-)verständlich, dass sich auch meine Doktorarbeit im Jahre 1971 mit der Multiplen Sklerose auseinandersetzte.
Sachlich betrachtet und mit „neutralem Blick“ kann und muss ich sagen:
Seit diesen nunmehr mehr als 40 Jahren des Auseinandersetzens mit der Multiplen Sklerose:
„Es hat sich einiges bewegt an der Therapie-Front der MS, durch die neueren bzw. allerneuesten Wirkstoffe (u.a. Interferone, Glatiramer, Mitoxantron, humane/humanisierte monoklonale Antikörper und auch die Corticoide ...) kann die Progredienz der Krankheit vielmals deutlich verlangsamt werden. Es können reduziert werden Schubhäufigkeit, auch Schubverlauf und Schub-Dauer. Aber ein nachhaltiger Durchbruch, ganz zu schweigen im Sinne einer Kausal-Therapie oder sogar einer Heilung, ist noch (immer) nicht gelungen und möglich!
Leider, trotz aller segensreichen Hilfe durch die Interferone usw...
Das Wissen um die „Art“ der Krankheit namens Multiple Sklerose und besonders darum, dass diese Krankheit – wie nur wenige andere – den „ganzen Menschen“ in Mitleidenschaft zieht und aus der Bahn wirft – in den 3 Ebenen von „Körper – Seele – Geist“– und letztlich auchdas Wissen, dass eine ursächliche Behandlung – von einer Heilung darf absolut zu keinem Zeitpunkt gesprochen werden! –bis auf den heutigen Tag nicht möglich und auch nicht in Sicht ist, war und ist mir noch immer Antrieb, mich intensiv mit dieser Krankheit einerseits als Krankheit zu beschäftigen und dann aber andererseits nach Lösungsmöglichkeiten – besser: „Linderungs-Möglichkeiten“ und „Lösungs-Chancen zur Progredienz“ – zu suchen.
Dies alles und immer unter dem Paradigma,
dass eine den ganzen Menschen erfassende Krankheit nur
„integrativ-ganzheitlich und multimodal“
Und soweit als möglich auch personen-bezogen
behandelt werden kann, darf, sollte!
Nein: „zwingend muss!“
So ist dann im Laufe der Jahre und bei und für die verschiedenen MS-Krankheitsverlaufsformen (m)ein ganzheitliches und stets personen-bezogenenes Behandlungs-Konzept entstanden.
Bereits 1986 habe ich mein „MS-Ur-Behandlungs-Konzept“ publiziert.
So ist dann letztlich (m)einpersonalisiertes integratives ganzheitliches multi-modales Behandlungs-Konzept entstanden unter symbiotisch-synergistischem Einbezug von Schulmedizin(auf vielen ‚Feldern‘ mit absolutem Primat)und Möglichkeiten der seriösen biologischen Medizin.
Wobei ich eindeutig und klar und ganz explizit betone:
Dieses originäre ganzheitliche Behandlungskonzept ist …
... „Absolut keine „Wundermittel-Therapie“, aber auch ...
... keine Behandlung mit „dubiosen Zaubermittel“ aus
irgendwelchen dunklen Keller-Küchen-Versuchslabors und –
das ist ebenso wichtig! - ...
... absolut auch keine Anwendung von - „No-Name-Plazebos“!
... eine ganzheitliche multi-modale Therapie mit symbiotisch-
Synergistischem Einbezug von Schulmedizin (mit
eindeutigem Primat in der spezifischen MS-Therapie) und
Biologisch-naturheilkundlicher Medizin!
Aber:
„(Aus-)Heilung, ...
… die wird auch mit dieser ganzheitlichen Behandlung nicht erreicht, nicht erreicht werden können!“
Warum dann eine solch umfangreiche und ganzheitliche Therapie?
Immer wird eine „Umstimmung“ – dazu später mehr – des gesamten Organismus erreicht und somit eine Verbesserung der gesamt-gesundheitlichen Verfassung.
Das ist doch schon viel!
Zumindest für den Betroffenen, den MS-Kranken!
Weiter aber wird in sehr vielen Fällen von MS die Krankheit als solche stabilisiert.
Das heißt:
Die Progredienz (= das Fortschreiten der Krankheit) verlangsamt sich in nicht wenigen Fällen, die MS-Schübe verlaufen vielmals milder und sind auch in der Dauer verkürzt und gleichzeitig verlängert sich oft die schubfreie Remissionsphase; nicht selten kommt es sogar zu einer Stabilisierung, zumindest zeitweisen – insbesondere in MS-Fällen in frühen Krankheitsstadien.
Wenn der MS-Kranke auch nicht „geheilt“ wird bzw. werden kann, so wird unter dieser Therapie für ihn aber sicherlich sehr viel erreicht, nämlich verbesserte Lebensqualität!
Noch eines zeichnet dieses ganzheitliche Behandlungskonzept aus –und das sind meine beiden weiteren Paradigmata, neben der schon zuvor genannten „Ganzheitlichkeit“ – nämlich:
„Ni(hi)l nocere“!
[Was heißt, nicht durch die Therapie noch mehr und weiter schaden]
und zweitens:
„Gemeinsam Helfen“!
Zurück zum vorliegenden Buch.
Erwarten Sie – besonders die „Fachleute“ – kein medizinisches und insbesondere neurologisches Fachbuch und schon gar nicht ein Fachbuch über die MULTIPLE SKLEROSE.
Diesen Anspruch kann und will ich nicht stellen!
Was soll und will dann dieses Buch?
Mein Credo:
Ich will informieren, beraten, begleiten, Verständnis für die Kranken und deren vielschichtigen Probleme wecken, Mut machen und die eigenen Erfahrungen mit vielen meiner MS-Kranken und über viele Jahre hinweg weitergeben.
In allererster Linie wende ich mich dabei an die Betroffenen, die MS-Kranken, dann an deren gesamtes „Umfeld“ und natürlich auch an all jene Therapeuten, die ein offenes Ohr für ganzheitliche/ganzheits-medizinische Behandlungen haben.
Außerdem wäre es für mich ein Positivum, würden all jene Therapeuten, die bisher der Ganzheitsmedizin negativ bis ablehnend gegenüberstehen, dieses Buch einmal zumindest querlesen und vielleicht dann einen Anstoß erhalten, sich mehr mit der Ganzheitsmedizin – ganz allgemein – auseinander zu setzen (kritisch aber fair!) und vielleicht dann die eine oder andere Anregung für sich selbst und ihre Patienten umsetzen können und wollen!
Nicht mehr, nicht weniger; Punktum!
Das „Schusswort“ im „Vorwort“ aber gehört Ihnen, den MS-Kranken.
In diesem Sinne:
Nehmen Sie „Ihren“ MS-Kampf an und auf!
Und – dies ist der eigentliche Sinn des Buchuntertitels –:
Aktiv und bewusst Leben mit und trotz MS! –
„Was sonst?!“
Werden Sie Mitglied in der
Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) e.V.
bzw. dem für Sie in Frage kommenden DMSG-Landesverband
(s. auch am Ende des Buches „Selbsthilfegruppen)
Zuletzt „mein Mutmacher“ für alle MS-Kranke:
Bei nicht gerade wenigen MS-Krankheiten verläuft die Krankheit über (sehr) viele Jahre milde und bleibt stabil!
Beleg dafür ist eine damals knapp 50jährige Frau, die ihrer zugegebendermaßen nicht gerade sie und ihre Kräfte schonenden Arbeit als Ministerin in einem Landeskabinett und seit einiger Zeit als Ministerpräsidentin eines Bundeslandes mit großer Energie und hoher Leistungspotenz – verbunden u.a. mit sehr vielen ‚öffentlichenAuftritten‘ und einem enorm langen und ‚stressigen‘ Arbeitstag – ihrem Arbeitspenum uneingeschränkt nachkommt (wie sich jedermann selbst im TV überzeugen kann).
„Chapeau!“
Eine Anmerkung zuletzt:
Auch wenn es – und gelegentlich über etliche Jahre – den Anschein hat, dass die MS scheinbar oder auch definitiv zum Stillstand gekommen ist, der Schein trügt leider sehr:
„Die Multiple Sklerose schläft nie!“
„Je mehr der Mensch den Gesetzen der Natur treu bleibt,
desto „gesünder“ wird er bleiben,
je mehr er sich davon entfernt,
desto eher kommt die Krankheit.
Nichts kann so sehr die Lebenskraft bewahren,
stärken oder zurück erwerben
wie die Kunst, Maß zu halten,
der tägliche Genuss der reinen und frischen Luft,
eine einfache und natürliche Nahrung
und eine ständige Übung der eigenen Kräfte.“
Christoph Wilhelm Hufeland
Arzt; Prof. für Innere Medizin
(1762-1836)
[Berühmt machte ihn sein Buch „Makrobiotik oder die Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“; er gilt als „Vater der Vorsorgemedizin“]
Eine der ersten Beschreibungen der Erkrankung Multiple Sklerose findet sich im Tagebuch des englischen Aristokraten Augustus Frederick d'Este(1773 -1843 – Duke of Sussex), einem Enkel von König Georg III. und von Königin Victoria.
D'Este beschreibt zunächst eine bei ihm selbst im Alter von 28 Jahren erstmals aufgetretene vorübergehende Sehschärfen-Minderung:
... „Im Dezember des Jahres 1822 reiste ich von Ramsgate in die schottischen Highlands, um einige Tage mit einem Verwandten zu verbringen, für den ich die Gefühle eines Sohnes hegte. Bei meiner Ankunft war er verstorben …. Kurz nach der Beerdigung war ich gezwungen, mir die empfangenen Briefe vorlesen und meine Antwortbriefe schreiben zu lassen, da meine Augen so angegriffen waren, dass das Sehen undeutlich wurde, wenn ich kleine Dinge fixierte. Solange ich jedoch nicht versuchte zu lesen oder zu schreiben, war mir nicht im Geringsten gegenwärtig, dass meine Sehkraft eingeschränkt war. Kurz darauf reiste ich nach Irland und meine Augen erholten sich ohne jegliche Behandlung und gewannen ihre Stärke und klare Sicht zurück“. ...
In der Folge traten schubförmig weitere typische Symptome der Erkrankung wie Doppelbilder, eine Schwäche der Beine und Taubheitsgefühle auf:
... „17. Oktober 1827. Zu meiner Überraschung bemerkte ich (in Venedig) eine Erstarrung oder Undeutlichkeit der Empfindung in der Gegend der Schläfe über meinem linken Auge. In Florenz begann ich an einer Störung des Sehvermögens zu leiden: Um den 6. November herum nahm das Übel soweit zu, dass ich alle Dinge doppelt sah. Jedes Auge hatte sein eigenes Bild. Dr. Kissock nahm an, dass ein Übermaß an Galle die Ursache sei: zweimal wurden Blutegel im Bereich der Schläfe angesetzt, Einläufe wurden verabreicht, Erbrechen wurde ausgelöst und zweimal wurde ich zur Ader gelassen, was mit Schwierigkeiten verbunden war. Die Erkrankung meiner Augen klang ab, ich sah alle Dinge wieder natürlich in ihrem einzelnen Zustand. Ich war in der Lage auszugehen und zu spazieren. Nun begann sich eine neue Krankheit zu zeigen: Mit jedem Tag stellte ich fest, dass mich schrittweise meine Kraft verließ.
Eine Taubheit und Empfindungs-Störungen traten an Steißbein und Damm auf. Schließlich hattemich die Kraft der Beine um den 4. Dezember herum fast ganz verlassen. Ich verblieb in diesem außergewöhnlichen Zustande der Schwäche für etwa 21 Tage“. ...
Die allererste schriftliche Notiz über einen Krankheitsfall von MS (Quelle: Dr. Thomas Klitsch, Fulda – Vortrag 2009) findet sich über eine Patientin namens Lidwina von Schiedam(1380-1433 – genannt die „Dulderin“ – sie war eine niederländische Heilige):
Ohne ersichtlichen Grund war sie mit 16 Jahren beim Schlittschuhlaufen gestürzt, mit 19 Jahren litt sie an Beinlähmung und Sehstörungen. Im Laufe der Jahre kam es zu einer zunehmenden Krankheits-Verschlechterung und im Alter von 53 Jahren verstarb sie.
Eine der ersten medizinischen Beschreibungen der Multiplen Sklerose wird William MacKenzie(1791–1886) zugeschrieben. Der schottische Augenarzt berichtete die Krankengeschichte eines 23-jährigen Mannes, bei dem zunächst ‚Sehstörungen‘ aufgetreten waren und er wegen dieser Beschwerden und insbes. wegen zunehmender Lähmungen im Londoner St. Bartholomew's Hospital aufgenommen worden war. Zusätzlich entwickelten sich Sprech-Störung (Dysarthrie) und Harninkontinenz. Alle Symptome waren jedoch nach zwei Monaten wieder weitestgehend verschwunden.
Man schrieb das Jahr 1838, als der britische Arzt R. Carswell (Pathologe und Anatom)in London zum ersten Male einen Fall von MS [Multipler Sklerose] beschrieben hatte.
Die anatomischen Grundlagen und Kenntnisse dieser Krankheit verdanken wir den profunden und präzisen Arbeiten des in seiner Zeit hoch angesehenen Pariser Pathologen Jean C. Cruveilier (1791-1874).
Er prägte 1842 für die inselförmigen Veränderungen des Rücken-Marks den treffenden Ausdruck der „sclerose en tâches, en îles“.
[krankhafte Verhärtung von Geweben bzw. Organen „in Flecken“ und „Inseln“]
Übrigens und nebenbei:
Cruveilhier schrieb die MS dem „Unterdrücken des Schwitzens“ zu.
Der Breslauer Internist Friedrich Theodor von Frerichs (1819-1855) und seine beiden Schüler (Assistenten)Wilhelm Valentiner und Jonas Goldschmidt hatten als erste Ärzte die Diagnose einer „herd-förmigen Sklerose“ intra vitam – also am lebenden Menschen – gestellt.
Der französischen Neurologen-Schule um den berühmten Professor für Neurologie, Jean-Martin Charcot (1825-1893) verdanken wir weitgehende Erkenntnisse zu dieser ‚heimtückigen’ Krankheit.
Im Jahre 1868 beschrieb Charcot die Erkrankung nicht nur umfassend klinisch, sondern auch detailliert pathologisch:
Etwa das Verteilungsmuster multipler sklerosierender Herde in der Nachbarschaft der Hirnventrikel und im Hirnstamm sowie mikroskopisch den Verlust der Markscheiden im Bereich dieser Herde.
Mit dem Namen ‚Charcots’ sind viele medizinische Fachbegriffe, Bezeichnungen und auch Krankheiten versehen; so die auch heute noch gebräuchliche Bezeichnung, die Charcot’-sche Trias(das ist skandierende Sprache, Intentionstremor und Nystagmus als „klassische Symptomen-Trias“bei der MS und zwar, wenn Entmarkungsherde im zerebellaren System vorliegen; in einem medizinischen Fachartikel erstmals 1862 so bezeichnet) – und um Vulpian, Ordenstein u.a.m. verdanken wir letztlich den heute noch gültigen Fachbegriff für diese Krankheit, den der Multipelen Sklerose wie er zuerst lautete und dann umgewandelt wurde und so unverändert lautet
„Multiple Sklerose[MS]“
Übrigens:
Bereits 1877 schlug der Neurologe Julius Althaus(1833-1900) vor, die Erkrankung nach Charcot zu benennen.
Die Benennung als „Morbus Charcot“ ist jedoch ungebräuchlich geworden.
Um die Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert war dann bereits die Symptomatologie der MS durch die wissenschaftlichen Arbeiten des Berliner Nervenarztes Hermann O. Oppenheim (1858-1919), des Wiener Internisten und Neurologen Adolf Gustav G. von Strümpell(1853-1925) und – neben Uthoff [nach ihm benannt das „Uthoff-Phänomen ()]und E. Müller – besonders des Wiener Neurologen Otto Marburg (1874-1948) – nach ihm benannt ist die Marburg’sche Trias (das sind Pyramidenzeichen, Aufhebung der Bauchhautreflexe und temporale Abblassung der Sehnervenpapillen als weitere charakteristische Symptome der MS)– zum Abschluss gekommen.
Die Wissenschaft ist sich heute (weitestgehend) sicher, dass der berühmte deutsche Dichter Heinrich Heine(1797-1856) an MS gelitten hat.
Aus einem Briefwechsel mit seiner letzten Liebe, genannt „Mouche“ (Mücke) stammen die folgenden Zeilen (Paris, 12.09.1848):
…„Dieses Unleben ist nicht zu ertragen, wenn sich noch Schmerzen dazugesellen. Wenn ich auch nicht gleich sterbe, so ist doch das Leben für mich auf ewig verloren. Und ich liebe doch das Leben mit so inbrünstiger Leidenschaft. Für mich gibt es keine schönen Berggipfel mehr, die ich erklimmen, keine Frauenlippe, die ich küsse, nicht mal mehr ein guter Rinderbraten in Gesellschaft heiter schmausender Gäste; meine Lippen sind gelähmt wie meine Füsse. Auch die Eßwerkzeuge sind gelähmt wie meine Füße ..."
Und weiter:
… „Ich weiß nicht, woran ich bin. Und keiner meiner Ärzte weiß es."
Was für und über die erschöpfend dargestellte Symptomatologie zu sagen ist, kann leider für die Ätiologie (= Krankheitsherkunft/-Ursache) und die Pathogenese (d.s. die Abläufe, die zum Ausbrechen einer Krankheit führen) nicht bzw. nur teilweise ausgesagt werden.
Die neuesten wissenschaftlichen Kenntnisstände sollen hier außen vor bleiben; dazu komme ich später.
An dieser Stelle – im Rückblick und in der Medizingeschichte(der „Medizin-Historie“)– sollen einige „Arbeits-Thesen“ zur Ätiologie(Ursache) erwähnt sein.
Es würde den Rahmen des Buches sprengen, sollten hier sämtliche Thesen, Vermutungen und Postulate – aus den verschiedensten Fach-Richtungen und medizinischen Anschauungsweisen – genannt sein.
Da die MS wie jede andere (ernste) Krankheit über ihren eigen Rahmen hinaus an die Probleme und Fortschritte der gesamten Medizin gebunden ist, haben Entdeckungen und Hypothesen ihre Spuren in der ätiologischen MS-Forschung hinterlassen.
Nachfolgend zitiere ich aus dem Buch „Die Multiple Sklerose – Teil I: Geschichtlicher Überblick“ [enthalten in „Handbuch der Inneren Medizin; Teil Neurologie; Bd. 2“ von A. Schrade]–.
Folgende Theorien zur Ätiologie der MS sollen kurz genannt sein: …
... der Spirochätennachweis durch Kuhn & Steiner, MS auf der Basis eines infektiösen Geschehens durch M. Alter & J. Speer(1968), einen Intoxikationsnachweis durch die beiden Wiener Neurologen E. & W. Birkmayer (1957), die Theorie der Blutzersetzung und in deren Gefolge eine Läsion der kleinen Nervenmark-Venen durch O. Buss (1890), MS auf dem Boden eines immunpathologischen Vorgangs – einer unspezifischen Entmarkung? – beschrieben von K. Jellinger, F. Seitelberger & H. Tschabitscher (21.4.1958 in Wien), der Vorgang einer „thermoregulatorischen Entgleisung“ durch M.J. Norhanha, C.J. Vas & H. Asiz (1968), der Komplex einer „Neuro-Allergie“ durch E. & H. Pette und H. Bauer (1959), MS auf dem Boden einer chronischen Bleivergiftung; MS aufgrund erbgenetischer Vorgänge, beschrieben von H. Tschabitscher & Th.J. Salvendy (1965), dann – dies wiederum sehr interessant – die „Auto-Immun-Theorie“ von A.E. Wright (1965)!, die „Virus-Infektions-Theorie“ von G. Schaltenbrandt (1956)!
In weiteren Arbeiten werden verschiedene „exogene Noxen“ (Regen, Klima, Temperatur, Wasserverunreinigung usw.) in den Vordergrund gestellt. ...
Aktuell wird intensiv darüber geforscht, ob die MS nicht (doch) genetisch bedingt sei.
So werden von einigen Wissenschaftlern ein Gen-Defekt auf „Chromosom 20“und ganz besonders auf „Chromosom 6“(s. nächster Abschnitt) diskutiert.
Nur:
Definitiv sind die Chromosomen noch nicht (vollständig)entschlüsselt und ein der MS zu zuordnender Defekt noch nicht eindeutig und endgültig gefunden!
! Aktuell !
Ein Forscherteam der University of British Columbia/UBC im kanadischen Vancouver um Prof. Carles Vilariňo-Guell hat die Vermutung geäußert, dass die Durchlässigkeit der „Blut-Hirn-Schranke/BHS“ (s.u.), aber auch die Darmflora eine wichtige Rolle als Ursache bzw. als Co-Faktoren der Multiplen Sklerose spielen und, dass bestimmte Substanzen den MS-Verlauf verschlimmern können.
Dasselbe Forscherteam (u.a. Biologen, Genetiker, Neurologen) hat nun erstmals eine „Gen-Mutation“ entdeckt, die direkt den Ausbruch der Multiplen Sklerose verursacht. Träger dieser Mutation erkranken zu 70% an der neurologischen Autoimmun-Erkrankung.
Das Spannende daran:
Zwar ist diese Mutation auch unter MS-Patienten selten, andere Veränderungen im gleichen Gen sind es aber nicht. Die Entdeckung dieses Auslösers kann daher die Entwicklung neuer Therapien maßgeblich voranbringen, wie die Forscher im Fachmagazin „Neuron“ berichten.
Klar scheint auch, dass es eine genetische Komponente der Multiplen Sklerose gibt:
Bei zehn bis 15% der Fälle schreitet die Krankheit besonders schnell fort und scheint erblich bedingt zu sein, doch die bisher entdeckten Gen-Varianten können nur einen sehr kleinen Teil des erhöhten Krankheitsrisikos der Betroffenen erklären.
Gen-Mutation blockiert Steuer-Protein!
Jetzt könnten Vilariño-Güell und seine Kollegen hier einen Durchbruch erzielt haben. Für ihre Studie hatten sie die Daten einer Biobank ausgewertet, in denen Proben von 4.400 Menschen mit Multipler Sklerose gespeichert sind, sowie 8.600 ihrer nächsten Verwandten. Dabei fiel den Forschern eine Familie auf, in der fünf MS-Fälle in zwei Generationen aufgetreten waren und sie suchten nach potenziell auslösenden Genmutationen.
Tatsächlich wurden die Wissenschaftler fündig:
Auf einem Gen namens NR1H3(Nuclear Receptor Subfamily 1 Group H Member 3 – Kernrezeptor-Unterfamilie 1 Gruppe-H-Mitglied 3) stießen sie auf einen kurzen Abschnitt, dessen Richtung vertauscht war.
„Diese miss-sense-Mutation[Fehlsinn-Mutation, eine Punktmutation (Basenaustausch-Mutationen) in einem Protein-codierenden Gen, wodurch ein Codon der mRNA (messengerRNA) derart verändert wird, daß es anstatt für die ursprüngliche Aminosäure jetzt für eine andere (Aminosäure) codiert]verursacht einen Verlust der Funktion dieses Gens“, erklärt Koautor Weihong Song. Dadurch wird das Regulations-Protein LXRA nicht mehr produziert, das normalerweise entzündungshemmende, immunregulierende und myelinschützende Gene anschaltet.
Multiple Sklerose:
Myelin-Abbau durch körpereigene Abwehrzellen stört die Nervenleitung (© Marvin 101 / CC-by-sa 3.0)
70 Prozent MS-Erkrankungs-Wahrscheinlichkeit
Nach dem Fund dieser Genmutation suchten die Forscher in der Biobank gezielt nach weiteren Fällen und fanden eine zweite Familie mit gehäuften MS-Fällen, bei denen dieses Gen auf gleichen Weise verändert war. Aus ihren Daten schließen sie, dass die Träger dieser Genmutation ein 70-prozentiges Risiko besitzen, an MS zu erkranken.
„Die Mutation schiebt diese Menschen gewissermaßen an den Rand eines Abgrunds“, erklärt Vilariño-Güell. Das erhöhe ihre Anfälligkeit für umweltbedingte Faktoren, die dann den endgültigen Ausbruch bewirken. „Etwas muss hinzukommen, das ihnen den Schubs gibt, der den Krankheitsprozess dann in Gang setzt.“
Viele der bisherigen Theorien sind längst vergessen und widerlegt.
Bei und zu einigen scheint es so zu sein, dass eine Mitursache für das Manifestieren (= Ausbrechen) der MS vorliegen könnte oder wahrscheinlich vorliegt.
Dazu später mehr.
Tatsache ist nun aber:
Seit den kritischen Arbeiten von Edith und Heinrich Pette und gemeinsam mit H. Bauer [u.a. „Zur Ätiologie und Pathogenese der Multiplen Sklerose“; Dtsch. Med. Wschr.; 84 (1959)]und auch von Spielmeyer ist die (Schul-)Medizin sehr vorsichtig und zurückhaltend bezüglich der Ätiologie der MS geworden.
Zum Komplex des Vorkommens, der geographischen Verbreitung und der Häufigkeit des Auftretens der MS sind im Laufe der Jahrzehnte viele Untersuchungen veröffentlicht worden.
Umfangreiche Statistiken, Erhebungen unter der Gesamtbevölkerung eines Landes bzw. einer Region und auch umfassende Reihen-Untersuchungen geben uns heute ein annähernd genaues Bild über die „Morbidität“ und die „geographische Verteilung“ der MS.
Die eigenartige „geographische Aus- und Verbreitung“ der MS streift dabei auch höchst interessante Fragen wie nach Rassen-Zugehörigkeit und Konstitutions-Typus.
Moriharu Miura berichtete 1960, dass er in seinem Heimatland Japan keinen einzigen MS-Kranken gesehen habe. Auch Sato und Kurado und auch der einige Jahre in Japan tätige Ernst Paul BrunoSiemerling zählen die MS zu den großen Raritäten in Japan.
Beträchtliche zahlenmäßige Unterschiede sind zu registrieren für „Nord“ und Süd“ auf dem europäischen Kontinent. So stehen die Mittelmeerländer weit zurück hinter MS-Erkrankungen in England, Skandinavien und Deutschland, wie Zamorani herausfand.
Für K. Henner, V. Pitha und J. Vinar(1939) hingegen war die MS in jener Zeit die häufigste Nervenkrankheit in Böhmen und Mähren.
Im Laufe der letzten 5-6 Jahrzehnte wurden in Deutschland zahlreiche Felduntersuchungen über die Verbreitung der MS durchgeführt, so u.a. von Curtius, Schaltenbrandt, Abb, Morawitz, Kulig, Bammer und Hemgesberg.
Übereinstimmend wurden dabei bereits in den Arbeiten dieser Zeit für die Verbreitung der MS mehrere „exogene Faktoren“ herangezogen, zumindest aber vermutet.
Zwangsläufig knüpft sich an das Forschen nach „MS-begünstigenden Faktoren“ auch das Problem der „Heredität“ bzw. der „Konstitution“.
Aber auch hierzu ist bis heute kein schlüssiger Beweis erbracht worden.
Bei der Multiplen Sklerose[MS]– mit lateinisch-medizinischem Fachnamen Encephalomyelitis Disseminata[ED]; auch bezeichnet als Charcot-Krankheit und als Polysklerose – handelt es sich um das bei uns bzw. in Mitteleuropa am zweithäufigsten[nach der Epilepsie-Erkrankung] vorkommende (mit regionalen/geographischen Schwankungen)neurologische Krankheits-Geschehen i.S.e.
„chronischen, vielmals progredient verlaufenden entzündlichen Entmarkungs-Krankheit des Zentral-Nerven-Systems“
und zwar als „Autoimmunkrankheit“().
Synonyme:
Encephalomyelitis disseminata, disseminierte Enzephalomyelitis, demyelinisierende Enzephalomyelitis, Entmarkungs-Enzephalomyelitis, Polysklerose, Sclerosis multiplex, Sclerose en plaque disseminée
Abkürzung: MS, ED
Fakten:
Stand Mai 2020 leiden weltweit ca. 2,8 Millionen Menschen an einer Form der MS.
In Europa sind ca. 550.-600.000 Menschen von MS betroffen.
In Deutschland leiden aktuell diagnostisch gesichert (Stand 2021) ca. 220.-250.000 Menschen an MS!
Dabei hat sich die Zahl MS-Kranker in Deutschland in den letzten 4 Jahrzehnten verdoppelt!
Jährlich erkranken neu (Inzidenz) an MS bei uns in Deutschland ca. 19 Menschen je 100.000 Einwohner.
Frauen sind von einer schubförmig verlaufenden MS etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. MS betrifft somit rund 70% Frauen.
Hingegen sind bei der primär progredienten MS Männer und Frauen etwa gleich oft betroffen.
Mehrheitlich tritt MS im Alter zwischen 20 und 40 Jahren mit einem Krankheitsgipfel bei 30 Jahren auf.
Selten kommt es zu einer MS bereits im Kindesalter und auch im späten Erwachsenenalter, Ü-65.
Dazu noch eine alarmierende Zahl:
Eine im Fachorgan Neurology 2007 publizierte Studie von D. Hirtz vom US-National Institute of Neurological Disorders and Stroke erbrachte einen Anstieg der MS-Neuerkrankungen im Vergleich zu 1982 um 50% und besonders starker Anstieg in den jüngeren Jahrgängen!
Zu den diagnostisch gesicherten MS-Fällen muss eine ebenso große Zahl nicht als MS diagnostizierter bzw. überhaupt nicht ‚erkannter‘ MS-Erkrankungen als sogen. ‚Dunkelziffer‘ hinzugerechnet werden.
Nun zum Krankheitsverlauf in knappen Zügen:
Was „passiert“?
Der „Ablauf“ – vom allerersten bis zum letzten MS-Schub und auch der Erstmanifestation der Krankheit – ist immer gleich:
Ablauf des „MS-Geschehens“
1. MS-begünstigende Gesamtfaktoren
+
2. aktueller Faktor (z.B. Virus-Infektion)
3. Präsentation des „basischen Markscheidenproteins“ () des ZNS durch Astrozyten () an T-Lymphozyten ()
4. Entzündungsreaktion im ZNS/am Nervenmark (Myelinscheide)
5. Perivasculäre Infiltrationen
6. Schädigung des Myelins
(teilweise und im Frühstadium bedingt reversibel)
7. Demyelinisierung des Nervens
(irreversible Schädigung)
8. Schädigung des Axons
[und somit des betroffenen Nervenabschnitts]
(= irreversible Schädigung)
Kurz und knapp:
Dem Gehirn/ZNS kommt dabei die Funktion der „Schaltzentrale nach beiden Richtungen“
zu:
Einmal werden vom ZNS Signale via Nervenbahnen zum Körper bzw. Organen ausgesendet, die dort als „Befehle“ angekommen umgesetzt werden.
Das Rückenmark ist der „Hauptleiter nach beiden Richtungen“; dort werden die Signale vom Kopf z.B. zu den Muskeln und umgekehrt geleitet.
Die Nervenbahnen des Rückenmarks sind umgeben (= geschützt) von einer Markscheide (= Myelin/-scheide – quasi einer „Isolierschicht“, zu vergleichen einer Stromkabel-Ummantelung – diese garantiert und sorgt für eine reibungslose und korrekte Befehlsübermittlung vom ZNS - Gehirn und Rückenmark - über die peripheren Nerven hin zur Muskulatur im gesamten Organismus).
Die Myelinscheide besteht einmal aus Neurokeratin [d.i. eine Keratin-ähnliche Substanz, die im Nervengewebe wie in der Hülle des Achsenzylinders aus medullierten Nervenfasern vorhanden ist. Wie Keratin widersteht es der Wirkung der meisten chemischen Mittel und ergibt durch Zersetzung mit Schwefelsäure Leucin und Tyrosin] und als wesentlichstem Bestandteil aus dem Myelin[= ein Gemisch aus verschiedenen Lipoiden ()]. Dabei kommt dem MBP]Myelin Basic Protein ()/Basisches Myelin-Protein] mit die entscheidendste Rolle zu.
Ohne diese „Fettschicht“ können die Nerven-Impulse und -Signale nicht richtig weitergeleitet werden.
Das Myelin der Nerven wird zuerst angegriffen und dann bis hin zu irreversibel/irreparabel zerstört.
Davon sind nicht nur jene Nervenbahnen betroffen, die „vom ZNS wegleiten“– also wichtig sind für Bewegung und Kraft –, sondern auch jene, die „zum ZNS hinleiten“ – also unersetzlich sind für Sensibilität, Koordination usw. –.
Diese Myelinschädigung kann an unterschiedlichen Stellen im ZNS/ Gehirn und dem Rückenmark vorkommen, zumeist an mehreren und verschiedenen – daher auch der Namensteil „Multiple“(= vielfach).
Die zerstörte Myelinschicht vernarbt und besteht dann aus festem Bindegewebe; daher der zweite Namensteil „Sklerose“(= harte Stelle).
Da diese Schädigungen an RM und ZNS an unterschiedlichen Orten auftreten bzw. auftreten können, finden sich bei der MS auch die unterschiedlichsten Symptome, Beschwerden und Ausfälle.
[Dazu etwas weiter unten]
Neuere Forschungsergebnisse
Neue Forschungsergebnisse der Universität Greifswald
Die Multiple Sklerose:
Pathogene Faktoren und molekulare Marker
Immun-vermittelte entzündliche neurologische Erkrankungen, wie die Multiple Sklerose (MS) und das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) sind durch Demyelinisierung und axonale Schädigung gekennzeichnet.
Darüber hinaus sind humorale Wirkfaktoren () bekannt, welche Ionen-Kanäle der axonalen Membran beeinflussen und so zu den Leitungs-Störungen beitragen. Am letztgenannten Effekt scheinen der Botenstoff Stickstoff-Monoxid (NO), Antikörper gegen Ganglioside der axonalen Membran (anti-GM1 IgG) und ein kürzlich von den Forschern der Uni Greifswald entdecktes Pentapeptid mit der Sequenz QYNAD beteiligt zu sein.
QYNAD blockiert unter bestimmten Bedingungen neuronale spannungs-gesteuerte Na+-Kanäle und könnte in vivo einen hemmenden Einfluss auf die axonale Impulsfortleitung ausüben.
Darüber hinaus könnte sich QYNAD als ein spezifischer Marker für o.g. Krankheiten erweisen.
Das Pentapeptid konnte mittels einer massen-spektrometrischen Technik in Liquor cerebrospinalis und in geringerer Konzentration auch im Serum von Patienten mit Multipler Sklerose nachgewiesen werden.
Tests an einer großen Zahl von Proben sollen folgen.
Ein ELISA-Testverfahren, welches zurzeit in Zusammenarbeit mit einer Firma entwickelt wird, soll es ermöglichen, die Analysen auch in Routinelabors durchzuführen zu können.
Stickstoff als „zentraler pathophysiologische Mechanismus“ bei Multipler Sklerose
In der jüngeren Ausgabe des „Journal of Chronic Fatigue Syndrom”(USA) finden neue Forschungsergebnisse zur MS.
In einer Arbeit von Frémont et al. wird beschrieben, dass die Deregulation des anti-viralen Pfades bei der MS die Produktion von Stickoxid(NOx) in Immun-Zellen induziert!
[Anmerkung:
Auswirkungen von Stickoxiden:
Reizung und Schädigung der Atmungsorgane (insbesondere Stickstoffdioxid) – Entstehung des Sauren Regens: Bildung von Salpetersäure (HNO3) durch Reaktion von (2NO2 + H2O → HNO3 + HNO2) oder durch Aufnahme von N2O5 in Aerosol-Partikel und nachfolgender Bildung von NO3- in der flüssigen Phase. Smogbildung – Ozonbildung unter Einfluss von UV-Strahlung]
Die Studienergebnisse lassen darauf schließen, dass die ‚chronischen Entzündungs-Prozesse’ infolge der übermäßigen/gesteigerten Produktion von Stickoxid bei der MS eine wichtige Rolle spielen und dass die normale Auflösung dieser entzündlichen Prozesse durch die Aktivierung des Transkriptionsfaktors NF-kB(nuclear factor kappa B ()) und die Induktion des Zelltods gestört ist.
[Anmerkung:
Wissenschaftler der Abteilung Neuropathologie des Bereichs Humanmedizin der Georg-August-Universität Göttingen sowie der Mouse Biology Unit des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL) im italienischen Monterotondo haben herausgefunden, dass die entzündlichen Prozesse durch ein zelluläres Signal-Molekül () namens NF-kB [nuclear factor 'kappa-light-chain-enhancer' of activated B-cells]verstärkt werden.
Durch Blockierung der NF-kB-aktivierenden Proteine IKK-beta (= Blockierer/ Hemmer der Kappa-B-Kinase-Untereinheit des Kernfaktors beta; d.i. ein Protein, welches beim Menschen vom IKBKB-Gen codiert wird) und NEMO (NF-kB Essential Modulator) kann die krankheits-fördernde Aktivität des Signal-Moleküls allerdings unterbunden werden.
Die Ergebnisse wurden in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Immunology veröffentlicht.
„NF-kB ist ein zentrales Regulations-Protein, das an fast allen Entzündungs-prozessen beteiligt ist", erklärt Dr.Hauke Schmidt, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Göttingen und Co-Autor der Studie, auf Nachfrage.
„Wir wussten jedoch nicht, ob NF-kB die Gehirn- und Rückenmark-Zellen vor den Auswirkungen einer Krankheit schützt oder die Situation verschlimmert“, so Manolis Pasparakis, ehemaliger Gruppenleiter an der EMBL Mouse Biology Unit und derzeitiger Professor am Institut für Genetik an der Universität Köln.
NF-kB ist einentscheidender Vermittler von Signalen in der Zelle und an der Modulation von vielen Zellfunktionen beteiligt].
Diese Ergebnisse würden – so die Forscher – neue Wege für die Suche nach therapeutischen Interventionen aufzeigen.
Übrigens:
Dies deckt sich mit den Ausführungen von Martin Pall(Prof. für Biochemie und Grundlagenwissenschaften in der Medizin, Washington State University) in seinem Buch „Explaining ‚unexplained’ illnesses“.
Hoch interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein aktuelles Forschungsergebnis des Teams um Prof. Dr. Martin Kerschensteiner(Neuroimmunologe – LMU [= Ludwig-Maximilian-Universität] München), und Prof. Dr. Thomas Misgeld(Neurowissenschaftler der TU [= Technische Universität] München) publiziert Anfang 2011 („Nature Medicine“).
Aus der Publikation „Weitere Ursache der Multiplen Sklerose aufgespürt“ zitiere ich auszugsweise:
Sauerstoff- und Stickstoff-Radikale attackieren Nervenzellen
… „Bislang ging man davon aus, dass die Nervenschäden bei der MS durch den Verlust der Schutzschicht um die Nervenfasern (Myelinschicht) entstehen.
Aufgrund der Untersuchungsergebnisse postulieren die Forscher, dass dies nicht die einzige Ursache ist.
Sauerstoff- und Stickstoff-Radikale, die von Immunzellen produziert werden, greifen die Energie-erzeugenden Teile der Nervenzellen an und führen so zum Nerven-Schaden. … Und das auch an Axonen, die noch von einer intakten Myelin-Schicht umhüllt sind!
Das war der Beleg, dass die Zerstörung der Myelin-Schicht nicht die einzige Ursache für die Nervenschädigung sein kann.
… Im Verlaufe der Forschungsarbeiten (an Mäusen, dia an MS erkrankt waren) konnte das Forscherteam nachweisen, dass bei dieser Form der Axon-Degeneration Sauerstoff- und Stickstoff-Radikale eine entscheidende Rolle spielen.
… Eine weitere Entdeckung des Teams war die Tatsache, dass dieser neu entdeckte Nerven-Degenerationsprozess im Tiermodell durch eine medikamentöse Therapie nicht nur aufgehalten, sondern sogar rückgängig gemacht werden konnte!
Die Hoffnung der Forscher, dass sich aus diesen Erkenntnissen ein Therapie-Ansatz für die Behandlung von MS beim Menschen entwickeln lässt.“ …
Chemokine spielen eine wichtige Rolle bei der MS
Chemokine () sind Stoffe, die die Wanderung von Immun-Zellen () regulieren.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus München untersuchte deren Rolle bei Multipler Sklerose in einem durch die DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft e.V.] geförderten Forschungsprojekt.
Chemokine können die Wanderung von Immunzellen unter anderem zu entzündlichen Läsionen regulieren.
Daraus ergibt sich die Möglichkeit neuer therapeutischer Perspektiven auch für die Multiple Sklerose.
Im Forschungsprojekt der Gruppe um Prof. Reinhard Hohlfeld und Prof. Edgar Meinl(Institut für Neuroimmunologie der LMU München) sollte herausgefunden werden, wie viel von einem dieser Chemokine, genannt CXCL 13, bei MS gebildet wird.
Aus dem Abschlußbericht zitiere ich nachfolgend auszugsweise:
…„Multiple Sklerose:
Die Rolle des Chemokins CXCL13
(CXC motif chemokine 13; d.i. ein Oberflächen-Protein aus der Gruppe der Chemokine. Es ist beteiligt an der Immunantwort (); es dient als „zelluläres Warnsignal“. An CXC13 binden Immunzellen mit passendem Chemokin-Rezeptor an, wodurch sich Immun-Zellen am Ort einer Entzündung ansammeln und so die Immunantwort lokal verstärkt wird)
für die Migration von T-Zellen (T-Lymphozyten) und B-Zellen (B-Lymphozyten) in das Nervensystem"
... „Die entzündlichen Läsionen im ZNS (Zentralen Nervensystem) von MS-Erkrankten entstehen durch Einwanderung von Immunzellen in das Gehirn und Rückenmark. Die Wanderung von Immunzellen wiederum wird durch Botenstoffe reguliert, die man Chemokine nennt. Ziel dieses Projektes war es, genauere Kenntnisse über einen dieser Botenstoffe, genannt CXCL13, zu gewinnen. Dieser Botenstoff ist bekannt dafür, dass er die Wanderung einer Untergruppe von Immunzellen, genannt B-Zellen, in lymphatische Organe wie Milz, und Lymphknoten steuert. Die Forscher fanden heraus, dass CXCL13 in MS-Läsionen mit aktiver Entzündung verstärkt vorkommt.
Diese Befunde wurden mit molekularbiologischen Methoden (quantitative PCR ()) und durch mikroskopische Untersuchungen (Immunhistochemie) erhoben.
Als Quelle von CXCL13 in MS-Läsionen wurden Makrophagen (Fresszellen ()) identifiziert. Dieser Befund wurde durch Zellkultur-Untersuchungen herausgearbeitet, in denen entzündliche Mediatoren identifiziert wurden, die die Produktion von CXCL13 durch Makrophagen regulieren.
Eine entzündliche Läsion im Gehirn eines MS-Patienten ist im Mikroskop untersucht und fotografiert worden. [Krumbholz et al., Brain 2006].
Die Untersuchungen des Liquors zeigten, dass CXCL13 im Liquor von MS-Erkrankten erhöht war. Interessanterweise bestand eine enge Korrelation zwischen der Zahl von Immunzellen (T-Zellen, B-Zellen) im Liquor und der Konzentration dieses Chemokins. Ebenso bestand ein sehr enger Zusammenhang zwischen der Produktion von Antikörpern im ZNS der Patienten und der Konzentration von CXCL13 im Liquor. Im Liquor von MS-Patienten wurden die Konzentration des Chemokins CXCL13 sowie die Zahl von Entzündungszellen (T-Zellen) gemessen.
Eine höhere Konzentration von CXCL 13 ging einher mit einer erhöhten Anzahl von T-Zellen. Diese Korrelation war statistisch hochsignifikant.
Zusammenfassung und Ausblick:
Die Untersuchungen sprechen dafür, dass der Botenstoff CXCL13 das Einwandern von Immunzellen in akute entzündliche MS-Läsionen beeinflusst und steuert.
Interessanterweise hat unabhängig von diesen Untersuchungen eine amerikanische Gruppe in einem Tiermodell der MS den gleichen Botenstoff ausgeschaltet und dadurch den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen können (J. Immunol. 2006, 176).
Die Hemmung von CXCL13 könnte also eine interessante therapeutische Perspektive bieten.
[Quelle: DMSG Bundesverband vom 15.02.2007]
Plasmablasten () bei Multipler Sklerose
Welche Rolle spielt diese neue Gruppe von B-Zellen bei der MS-Krankheits-Entstehung?
Forscher um Prof. Dr. Bernhard Hemmer(damals Uni Düsseldorf, jetzt TU München Klinikum rechts der Isar) gewinnen neue Erkenntnisse in DMSG-gefördertem Forschungs-Projekt.
Die Frage nach den genauen Mechanismen der Entstehung und der Entwicklung (Pathogenese) der Erkrankung Multiple Sklerose beschäftigt Wissenschaft und Medizin weltweit. Auch in Deutschland arbeiten Forscher an diesem Thema. Aus dem Abschlußbericht vom 15.02.2005 darf ich ebenfalls und in Auszügen zitieren:
„Plasmablasten bei Multipler Sklerose“
... „Die MS ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS), die sich durch Entzündung, Entmarkung und Untergang von Nervenzellen auszeichnet. Dem Immunsystem kommt in der Entstehung und dem Fortschreiten der Erkrankung eine entscheidende Rolle zu. Es finden sich zunehmende Hinweise, dass neben den intensiv untersuchten T-Lymphozyten auch sogen. B-Lymphozyten, deren Hauptfunktion die Produktion von Antikörpern darstellt, eine Rolle bei der MS spielen. So finden sich bei fast allen MS Patienten oligoklonale Banden im Liquor, die eine Produktion von Antikörpern im ZNS anzeigen. Darüber hinaus werden bei der MS B-Lymphozyten in den Gehirn-Läsionen, den Hirnhäuten und im Liquor gefunden.
Die Arbeitsgruppe um Prof. Hemmer hat sich mit der Charakterisierung der B-Lymphozyten bei der MS beschäftigt. In den Untersuchungen konnte eine neue Population von B-Lymphozyten, sogen. Plasmablasten, im Liquor identifiziert werden.
Die Plasmablasten sind wahrscheinlich verantwortlich für die Antikörper-Produktion im Gehirn.
Die Untersuchungen zeigten außerdem, dass ein Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Plasmablasten im Liquor und der entzündlichen Krankheitsaktivät im Gehirn besteht. Somit unterstützen diese Untersuchungen die Bedeutung von B-Lymphozyten in der Entzündungsreaktion bei MS und bilden ein neues Ziel für mögliche zukünftige Therapiestrategien.
B-Zellen und Antikörper:
B-Lymphozyten () sind die Produzenten von Antikörpern, denen in der Abwehr von Infektionskrankheiten eine entscheidende Bedeutung zukommt. Vorläuferzellen der Lymphozyten entstehen im Knochenmark, wo auch die weitere Reifung der B-Lymphozyten (B-Zellen) stattfindet. B-Lymphozyten tragen auf der Oberfläche ein Erkennungsmolekül, das als B-Zell-Rezeptor bezeichnet wird.
Jede B-Zelle, die im Knochenmark heranreift, erhält nach einen Zufallsprinzip einen ihr eigenen B-Zell-Rezeptor, der wenige definierte Eiweiße oder Zuckermoleküle erkennen kann. So stellt das Immunsystem sicher, dass es gegen den Angriff von Krankheits-Erregern, die eine Vielzahl von Eiweißmolekülen auf der Oberfläche tragen gerüstet ist.
Um sich vor sogen. „autoreaktiven B-Zellen“(B-Zellen, die körpereigene Eiweiße erkennen) zu schützen, führt das Immun-System im Knochenmark einen Auswahl-Prozess durch. Im Rahmen dieses Prozesses werden autoreaktive, d.h. selbstzerstörerische Zellen abgetötet, so dass nur B-Lymphozyten das Knochenmark verlassen, die gegen Fremdeiweiße gerichtet sind.
Die B-Zellen wandern durch die lymphatischen Organe (Lymphknoten und Milz) auf der Suche nach möglichen Fremd-Eiweißen. Wenn es nun zu einer Infektion kommt, dann werden die Eiweiße des infektiösen Erregers (z.B. Bakterien oder Viren) von Fresszellen den B-Zellen im Lymphknoten angeboten. Wenn die B-Zelle die Fremd-Eiweiße erkennt, wird sie aktiviert, vermehrt sich und reift schließlich zu Gedächtnis-B-Zellen, Plasmablasten oder Plasmazellen heran. Für diesen Vorgang braucht die B-Zelle die Hilfe einer Fresszelle [Dendritische Zelle/DC ()] und eines T-Lymphozyts () (T-Zelle)].
Die Plasmazellen und Plasmablasten produzieren sehr große Mengen von Antikörpern, die die gleiche Erkennungsspezifität haben wie die B-Zell-Rezeptoren. Diese Antikörper werden im Blut freigesetzt und können dann den infektiösen Erreger unschädlich machen.
Über die Entwicklung der Plasmablasten ist noch wenig bekannt.
Plasmazellen wandern in das Knochenmark ein und bilden über lange Zeiträume Antikörper, die den Körper vor Infektionen schützen können. Das B-Zell-System stellt somit einen sehr wirksamen Abwehrmechanismus dar, der fast alle infektiösen Erreger erfolgreich bekämpfen kann. Durch die fortwährende Produktion dieser Antikörper im Knochenmark wird der Körper später über lange Zeiträume gegen neue Infektionen geschützt.
Dargestellt sind die Vorgänge, die zur Aktivierung und Wanderung von B-Zellen führen. Eiweiß wird durch Fresszellen [Dendritische Zellen ()] in die Lymphknoten () gebracht. Dort erfolgt durch die Fresszelle und eine spezifische T-Zelle die Aktivierung und Vermehrung der B-Zelle. Die B-Zelle kann zur Gedächtnis B-Zelle, zum Plasmablast oder zur Plasmazelle heranreifen. Nach der Reifung verlassen die unterschiedlichen B-Zell-Gruppen den Lymphknoten () und reichern sich im entzündeten Gewebe z.B. Gehirn (Gedächtnis B-Zelle, Plasmablast) oder dem Knochenmark an (Plasmazelle). An diesen Orten werden dann auch spezifische Antikörper () produziert und freigesetzt.
B-Zellen und Antikörper bei der Multiplen Sklerose:
Obwohl der Nachweis oligoklonaler Banden im Liquor (das sind bestimmte in den Liquor freigesetzte Antikörper) eine entscheidende Rolle in der Diagnose der MS spielt, galten Antikörper und B-Lymphozyten lange Zeit als unbedeutend für die Entstehung der MS. Vielmehr wurde den T-Zellen, basierend auf Untersuchungen im Tiermodell der MS, die entscheidende Rolle in der Krankheitsentstehung zugewiesen.
Untersuchungen der letzten Jahre stellen die alleinige Rolle von T-Lymphozyten bei der Entstehung der MS in Frage.
So finden sich eingewanderte B-Lymphozyten in den Hirnhäuten und um die Gefäße, die die MS-Herde umgeben. Insbesondere bei einer Unterform der MS können ausgeprägte Ablagerungen von Antikörpern in den Entmarkungsherden beobachtet werden.
Auch im Liquor können B-Lymphozyten und lokal produzierte Antikörper nachgewiesen werden, die man bei gesunden Kontrollpersonen oder Patienten mit anderen neurologischen Erkrankungen nicht findet.
Eine Ausnahme bilden entzündliche, vorwiegend infektiöse Erkrankungen der Hirnhäute, des Gehirns und des Rückenmarks. Zu diesen Erkrankungen zählen typischerweise die Neuroborreliose, HIV-Infektion des Gehirns oder die Syphilis des Nervensystems (‚Neuro-Lues‘). Auch bei diesen Erkrankungen finden sich Antikörper und B-Lymphozyten im Liquor und Gewebe. Interessanterweise wissen wir durch viele Studien, dass die B-Zellen bei diesen Erkrankungen gegen die ursächlichen Infektionen gerichtet sind und eine wichtige Rolle in der Erkrankung spielen.
Identifikation von Plasmablasten als bedeutsame B-Zell Gruppe im Liquor bei MS:
Die Arbeitsgruppe hat sich mit der Analyse der B-Zellen bei der MS beschäftigt.
Im Rahmen des Projekts wurden vergleichende Analysen der B-Zellen im Liquor und im Blut bei Patienten mit MS durchgeführt.
Es zeigte sich, dass sich B-Zellen im Liquor sehr stark von den Zellen im Blut unter-scheiden. Besonders auffällig war eine Gruppe von B-Zellen, die in großer Zahl im Liquor gefunden wurde, aber nur in sehr geringer Zahl im Blut nachweisbar war.
Diese Zellen weisen alle Charakteristika sogen. Plasmablasten auf. Plasmablasten sind gereifte B-Zellen, die große Mengen Antikörper produzieren können. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Produktion von Antikörpern im Liquor [intrathekale (= innerhalb der Dura mater/harte Hirn- bzw. Rückenmarks-Haut gelegene; d.h. in den Liquor-Raum) Synthese] mit der Zahl der Plasmablasten besser korreliert als mit jeder anderen B-Zell-Population.
Diese Befunde legen nahe, dass Plasmablasten maßgeblich für die Produktion von Antikörpern im ZNS verantwortlich sind.
Weiterhin konnte gezeigt werden, dass sich klare Unterschiede zwischen Patienten mit MS und akuten Infektionen des ZNS im Hinblick auf das Auftreten der Plasmablasten finden. Während die Plasmablasten nur in der ganz akuten Phase bei Infektionen des ZNS auftraten, fanden sich diese über lange Zeiträume im Liquor bei MS-Patienten.
Aus diesem Befund leiteten die Forscher ab, dass bei der MS eine fortwährende Aktivierung und Rekrutierung von Plasmazellen in das Gehirn stattfindet.
Schließlich gelang es nachzuweisen, dass die Zahl der Plasmablasten im Gehirn mit der akut entzündlichen Aktivität, gemessen an der Zahl von akuten MS Herden (gemessen als Kontrastmittel aufnehmende Läsionen im Kernspintomogramm/MRT des Gehirns) korreliert.
Dieses Ergebnis unterstützt die Annahme, dass B-Zellen und insbesondere Plasmazellen an der Entzündungsreaktion bei der MS beteiligt sind.
B-Zell gerichtete Therapiestrategien:
In Anbetracht der zunehmend besser akzeptierten Rolle von B-Zellen in der Entstehung der MS werden erste B-Zell spezifische Therapien entwickelt. So können durch Plasmapherese