Mustang Creek - die große Familiensaga (4in1) - Linda Lael Miller - E-Book
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Mustang Creek - die große Familiensaga (4in1) E-Book

Linda Lael Miller

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Beschreibung

Die Carson-Familie besitzt eine erfolgreiche und wohlhabende Ranch vor der Stadt Mustang Creek, Wyoming. Doch auch im sonst so harten Cowboy-Alltag kann es mal romantisch werden… MUSTANG CREEK - SEHNSUCHT IST MEIN WORT FÜR DICH Hotelmanagerin Grace hätte nie gedacht, dass ein berühmter Filmemacher wie Slater Carson eines Tages ihr Ritter in schimmernder Rüstung sein könnte. Doch als der Sohn ihres Exmannes in Schwierigkeiten gerät, bietet Slater sofort an, sich um ihn zu kümmern und ihn auf seiner Ranch zu beschäftigen. Schnell stellt Grace fest: Slater tut es vor allem für sie - was sein heißer Kuss verrät. Das Glück scheint so nah … aber plötzlich taucht ihr Ex in Mustang Creek auf. MUSTANG CREEK - LIEBE IST MEIN GEFÜHL FÜR DICH Wildpferde in der Nähe einer Ranch: Für Lucinda Hale ist das die perfekte Gelegenheit die Tiere zu beobachten! Wenn bloß dieser ignorante Rancher Drake Carson nicht von ihr verlangen würde, dass die Herde möglichst schnell verschwindet. Bei jeder ihrer Begegnungen scheint die Luft zwischen Lucinda und Drake Funken zu sprühen. Und dann küsst er sie plötzlich überraschend zärtlich. Hat dieses Knistern zwischen ihnen etwa doch noch einen anderen Grund? MUSTANG CREEK - GLÜCK IST MEIN GESCHENK FÜR DICH Mace Carson hält sich nicht für einen Helden. Damals auf dem College, als er Kelly Wright aus einer brenzlichen Situation rettete, war er in Wirklichkeit einfach nur ein wütender Cowboy, der zufällig auf der richtigen Seite stand. Inzwischen ist Mace erfolgreicher Winzer und plötzlich sieht er sich Kelly erneut gegenüber. Doch diesemal scheint es für ihn genau das Falsche zu sein, auf ihrer Seite zu stehen. Kelly ist nur geschäftlich in Wyoming und alles was sie will ist sein Weingut … MUSTANG CREEK - EWIG IST DAS GLÜCK FÜR UNS Seit Mick als Produzent eines Dokumentarfilms zum ersten Mal in Mustang Creek war, denkt er immer wieder an die faszinierende Grafikdesignerin Raine McCall. Als sie jetzt wieder vor ihm steht, kann er die Funken, die zwischen ihnen zu sprühen scheinen, nicht mehr ignorieren. Doch im Wilden Westen Wurzeln zu schlagen, stand bisher definitiv nicht in seinem Drehbuch. Kann er als Großstadtmensch mit einem Mädchen vom Land glücklich werden? »Linda Lael Miller hat mit charmanten Wester-Romances um Cowboys, die die Herzen ihrer Leserinnen höher schlagen lassen, ihre Bestimmung gefunden. Lustig und herzerwärmend!« RT Book Reviews "Eine wunderbare zeitgenössische Western-Trilogie voller Romantik!” Publishers Weekly "Linda Lael Miller erschafft lebhafte Charaktere und Geschichten, die Sie niemals vergessen werden!" Debbie Macomber

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Seitenzahl: 1471

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Linda Lael Miller

Mustang Creek - die große Familiensaga (4in1)

Zum Buch:

Teenager und junge Hengste haben eine Menge gemeinsam, findet Slater Carson amüsiert. Sie sind wild und brauchen viel Fürsorge. Und weil er sieht, dass Grace Emery mit ihrem Stiefsohn Ryder überfordert ist, bietet er dem Jungen einen Job auf seiner Ranch an. Allerdings nicht ganz uneigennützig. Denn seit er der attraktiven Hotelmanagerin begegnet ist, weiß er, was ihm fehlt: Liebe – und Grace, die sein Herz schneller schlagen lässt. Doch leider ist Slater mit seiner tiefen Sehnsucht nach Grace keineswegs allein …

„Linda Lael Miller erschafft lebendige Charaktere und schreibt unvergessliche Geschichten.“

Nr.-1-New York Times-Bestsellerautorin Debbie Macomber

Zur Autorin:

Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten „Wilden Westen“, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.

Lieferbare Titel:

Bliss-County-Serie

Bliss County – Der Hochzeitspakt

Bliss County – (K)ein Mann zum Heiraten

Bliss County – Der Traum in Weiß

Weihnachtsglück und Lichterglanz

Letzte Chance für das Glück

Damals und für immer

Linda Lael Miller

Mustang Creek – Sehnsucht ist mein Wort für dich

Roman

Aus dem Amerikanischen von Christian Trautmann

MIRA® TASCHENBUCH

MIRA® TASCHENBÜCHER erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH Deutsche Erstveröffentlichung

Titel der Amerikanischen Originalausgabe:

Once a Rancher

Copyright © 2016 by Hometown Girl Makes Good, Inc.erschienen bei: HQN Books, Toronto

Published by arrangement with

Harlequin Enterprises II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln

Umschlaggestaltung: büropecher, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Harlequin Books S.A.

ISBN eBook 978-3-95649-967-8

www.mirataschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung:readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Liebe Leserin, lieber Leser,

willkommen – oder besser gesagt: willkommen zurück – in Bliss County im großartigen Staat Wyoming und in der kleinen Stadt Mustang Creek. Diesmal werden Sie die Carson-Brüder kennenlernen sowie deren zahlreiche Familienmitglieder. Und die Frauen, die in ihr Leben treten.

Die Carsons sind eine seit Langem ansässige Rancherfamilie im County. Slater, um den es in dieser Geschichte geht, ist auf der Ranch aufgewachsen. Jetzt ist er Dokumentarfilmer und hat sich auf die Geschichte des amerikanischen Westens spezialisiert. Drake führt die Ranch (seine Geschichte wird im zweiten Teil der Serie: Mustang Creek – Liebe ist mein Gefühl für dich erzählt), und Mace, der jüngste der drei Brüder, ist für das Weingut verantwortlich, dem Stolz und der Freude ihrer Mutter. (Über Mace’ Geschichte erfahren Sie alles im dritten Teil der Mustang-Creek-Saga).

Jeder der drei Männer wird einer Frau begegnen, die ihn auf die eine oder andere Weise herausfordert. Eine Frau, die sich in den Helden verliebt … und umgekehrt natürlich!

Ich glaube, Sie werden Grace Emery genauso mögen und bewundern wie ich – und wie Slater. Sie ist eine ehemalige Polizistin aus Seattle und jetzt Managerin eines Hotels in der Nähe von Mustang Creek. Außerdem ist sie der Vormund ihres Stiefsohns Ryder, der gerade im Teenageralter ist. Keine ganz einfache Situation. Aber Grace nimmt ihre Verantwortung ernst und fürchtet sich nicht davor.

Was wir beide, sie und ich, mit Slater gemeinsam haben, ist unser Interesse an amerikanischer Geschichte, besonders der Geschichte des Westens. Eine andere Sache (und ich bin mir sicher, dass es Ihnen, liebe Leserinnen, ebenso geht) ist sein ausgeprägter Familiensinn. Außerdem – auch keine große Überraschung – verbindet mich mit den Carsons die Liebe zu Tieren. Mir ist die Katze, die Grace und Ryder bei sich aufnehmen, richtig ans Herz gewachsen. Ich besitze selbst eine Katze. Button ist schon zwanzig Jahre alt, doch ob Sie es glauben oder nicht, sie benimmt sich viel jünger (und sieht auch so aus).

Ich hoffe, Ihnen gefällt dieser erste Teil der Mustang-Creek-Saga. Ich würde mich freuen, wenn Sie mich auf meiner Website besuchen, www.lindalmiller.com, und mir berichten, was Sie von den Carsons halten. Oder mir von Ihren eigenen Erfahrungen erzählen. Dort finden Sie weitere Informationen zu Wettbewerben, bevorstehenden Veröffentlichungen und noch viel mehr.

Liebe Grüße,

Linda Lael Miller

Für Paula Eykelhof,in Bewunderung, Dankbarkeit und Liebe

1. Kapitel

Slater Carson war hundemüde, so wie nach allen Dreharbeiten, aber es war die beste Art von Müdigkeit. Sie bestand aus Stolz und Zufriedenheit darüber, einen Job gut erledigt zu haben, aus Erleichterung und der kribbelnden Vorfreude auf das nächste Projekt.

Der jüngste Film war in einer besonders einsamen Gegend gedreht worden, um zu zeigen, wie der sogenannte Homestead Act – das Gesetz zum Landerwerb – die Entwicklung nicht nur des amerikanischen Westens, sondern des ganzen Landes beeinflusst hatte. Es war seine bisher ambitionierteste Arbeit. Die Menge an Filmmaterial war gigantisch, und als er sich den ungeschnittenen Film auf seinem Computer anschaute, war er sich sicher:

160 Acres würde den Nerv der Zeit treffen.

Ja. Dieser Film würde beim Publikum, ob jung oder alt, ein Erfolg werden.

Seine vorherige Arbeit, eine Miniserie über den Lincoln County War in New Mexico, hatte Preise gewonnen, und die Kritiker hatten ihn mit Lob überhäuft. Er hatte die Rechte für viel Geld an einen der Mediengiganten verkauft. Wie Lincoln County war 160 Acres gute solide Arbeit. Die Forscher, Kameraleute und alle anderen Profis, mit denen er zusammengearbeitet hatte, gehörten zu den besten im Business und hatten sich dem Film mit der gleichen Hingabe wie er gewidmet.

Und das hieß etwas.

Kein Zweifel, das Team hatte hervorragend gearbeitet beim letzten Mal – doch dieser Film war noch besser. Schlicht ein Kunstwerk, was er sich in aller Bescheidenheit eingestehen musste.

„Boss?“

Slater lehnte sich in seinem Bürosessel zurück und drückte die Pausentaste. „Hallo, Nate“, begrüßte er seinen Freund und persönlichen Assistenten. „Was kann ich für dich tun?“

Genau wie Slater war Nate Wheaton gerade vom Drehort zurückgekehrt, wo er sich um tausende Details gekümmert hatte. Mit Sicherheit war der Mann so erschöpft, wie er aussah. Klein, blond, dynamisch und nicht älter als zwanzig, war Nate das reinste Energiebündel. Dass die Produktion so reibungslos verlaufen war, hatten sie zu einem erheblichen Teil seinem Talent, seiner Beharrlichkeit und seinem scharfen Verstand zu verdanken.

„Äh“, murmelte Nate, der sichtlich herunterkam nach der getanen Arbeit. Und er hatte sich auch jede Erholung verdient. „Da will dich jemand sprechen.“ Er deutete mit dem Kopf Richtung Vorzimmer, rieb sich den Nacken und seufzte entnervt. „Die Lady besteht darauf, dass sie mit dir reden muss, und zwar nur mit dir. Ich habe versucht, sie dazu zu bringen, einen Termin zu vereinbaren, aber sie meinte, es müsse jetzt sein.“

Slater musste selbst ein Seufzen unterdrücken. „Es ist zehn Uhr abends.“

„Auch darauf habe ich sie hingewiesen“, entgegnete Nate und blickte kurz auf sein Handy. „Um genau zu sein, es ist schon fünf Minuten nach zehn.“ Wie Slater hielt auch Nate viel von Genauigkeit, was sowohl Segen als auch Fluch war. „Sie behauptet, es kann auf keinen Fall bis morgen warten. Was immer das ist. Wenn ich nicht in die Küche gegangen wäre, hätte ich das Klopfen gar nicht gehört.“

„Wie hat sie mich überhaupt gefunden?“ Die Crew war spät mit dem Flugzeug gelandet und zur Ranch gefahren. Slater hatte angenommen, niemand außer seiner Familie wisse, dass er in der Stadt war. Oder außerhalb. Wozu auch immer die Lage der Ranch zählen mochte.

Resigniert schaute Nate drein. „Ich habe keine Ahnung. Sie hat sich geweigert, mir das zu verraten. Ich gehe ins Bett. Falls du noch etwas brauchst, weck mich einfach. Aber dazu musst du wahrscheinlich einen Vorschlaghammer mitbringen. Mit etwas anderem wirst du mich nicht wach kriegen.“ Eine Pause, noch ein Seufzer, der noch müder als der vorangegangene klang. „Das waren vielleicht Filmaufnahmen.“

Slater sammelte seine letzten Energiereserven, strich sich durch die Haare und sagte: „Gut, zeig ihr, wie sie hierherkommt, und dann leg dich hin.“

Vermutlich hörte er sich ganz normal an, doch in Wahrheit fühlte er sich völlig erledigt. Er hatte alles für 160 Acres gegeben und noch mehr, und es bestand gerade keine Hoffnung darauf, seinen Akku wieder aufzuladen. Die letzten Kraftreserven hatte er vor Stunden aufgebraucht.

Der Ärger über die Störung rüttelte ein wenig an seiner Gelassenheit, für die er bekannt war. Er war es schließlich gewohnt, bei der Arbeit ständig mit Problemen konfrontiert zu sein, von nervigen bis hin zu apokalyptischen. Aber zu Hause wollte er in Ruhe gelassen werden. Er brauchte Erholung, die Chance, sich zu regenerieren, und nur hier war das für ihn möglich.

Einer seiner jüngeren Brüder führte die Carson-Ranch, während der andere das Weingut bewirtschaftete. Dieses Arrangement funktionierte ziemlich gut. Jeder hatte seinen eigenen Aufgabenbereich, und die Ranch war groß genug, dass sogar Männer relativ friedlich dort lebten. Besonders da Slater ohnehin die Hälfte der Zeit unterwegs war.

„Mach ich.“ Nate verließ das Arbeitszimmer, und ein paar Minuten später ging die Tür wieder auf.

Noch ehe Slater ganz schaltete, stürmte eine Frau herein – möglicherweise die schönste, die er je gesehen hatte –, einen Teenager hinter sich herziehend.

Sie war rothaarig und hatte einen Körper, der einen toten Mann wieder aufgeweckt hätte, von einem müden ganz zu schweigen.

Und Slater hatte eine Schwäche für Rothaarige. In den letzten Jahren war er mit vielen ausgegangen. Diese hier hatte wilde kupferfarbene Locken, die um ihre Schultern hüpften und im gedämpften Licht zu leuchten schienen.

Die Frau wirkte aufgebracht, und es dauerte einen Moment, bis Slater sich gefangen hatte und aufgestanden war. „Ich bin Slater Carson. Kann ich Ihnen helfen?“

Die Besucherin, wer immer sie auch war, hatte nun seine volle Aufmerksamkeit.

Faszinierend.

Die Rothaarige pikste dem Jungen, der gute fünfzehn Zentimeter größer war als sie, nicht allzu sanft den Zeigefinger in die Rippen. Der Junge zuckte zusammen. Er war schlaksig, trug ein Seahawks-T-Shirt, eine schlabbrige Jeans und halb zugeschnürte Schuhe. Er sah verwirrt aus, bereit zur Flucht.

„Los, rede, Freundchen“, befahl die Rothaarige und starrte den Jungen dabei finster an. „Und keine Ausflüchte.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich bin noch nett“, warnte sie ihn, als er nichts sagte. „Dein Vater würde dir einen Tritt in den Hintern geben.“

Pech, dachte Slater seltsam wehmütig. Sie war verheiratet.

Während er die weitere Entwicklung abwartete, ließ er den Blick über diese Göttin wandern – über das Sommerkleid mit den schmalen Trägern an ihren anmutigen Schultern, das oberhalb ihrer Knie endete, und die seidig schimmernde helle Haut. Sie gehörte zu dieser seltenen Art hellhäutiger Rothaariger ohne Sommersprossen. Allerdings hätte Slater nichts dagegen gehabt, mal zu suchen, ob sich nicht doch irgendwo welche verbargen. Weiße Sandaletten an kleinen Füßen vervollständigten das Ensemble, und die Haare trug sie offen.

Der Junge, ungefähr vierzehn, räusperte sich. Er trat vor und legte eine der Magnetplatten vom Pick-up der Produktionsfirma auf den Tisch.

Slater, bisher ganz gebannt von dem sich hier abspielenden Drama, hatte das Schild gar nicht bemerkt.

Interessant.

„Es tut mir leid.“ Der Junge schluckte und fühlte sich sichtlich elend. Gleichzeitig wirkte er allerdings auch ein wenig trotzig. „Das habe ich genommen.“ Er warf der Frau einen Blick zu und überlegte offensichtlich, gegen sie aufzubegehren, gab diese Idee aber gleich wieder auf. Kluger Junge. „Ich fand es ziemlich cool“, erklärte er aufgeregt. Röte kroch seinen Hals hinauf und in seine Wangen. „Ich weiß, es war falsch, okay? Stehlen ist stehlen, und meine Stiefmutter ist bereit, mir dafür Handschellen anzulegen und mich ins Gefängnis stecken zu lassen. Wenn Sie das auch wollen, Mister, dann nur zu.“

Stiefmutter?

Slater war noch immer benommen wie nach einer Achterbahnfahrt.

„Sein Vater und ich sind geschieden“, erklärte sie knapp. Anscheinend stand ihm seine unausgesprochene Frage ins Gesicht geschrieben.

Hm, dachte er, das ist ermutigend. Sie sah tatsächlich noch fast zu jung aus, um die Mutter des Jungen zu sein. Und jetzt, wo Slater genauer hinschaute, konnte er auch keinerlei Ähnlichkeit zwischen dem Jungen mit seinen dunklen Haaren und Augen und der Frau erkennen.

Endlich wieder bei der Sache, verspürte er einen Anflug von etwas, das er nicht genau benennen konnte, außerdem ein wenig Mitgefühl für den Jungen. Die Frau mochte Anfang dreißig sein und schien diese Situation im Griff zu haben, was nicht bedeutete, dass sie grundsätzlich nicht überfordert war. Es war bestimmt nicht leicht mit dem Jungen.

Slater entschied, dass es an der Zeit war, auch mal etwas zu sagen.

„Danke, dass du es zurückgebracht hast.“ Er blickte den Jungen an, beobachtete aus dem Augenwinkel aber weiterhin unablässig die Frau. „Die Dinger sind nicht gerade billig.“

Der Trotz verschwand ein wenig aus dem Gesicht des Teenagers. „Wie gesagt, es tut mir leid. Das hätte ich nicht tun dürfen.“

„Du hast dir einen Fehler geleistet “, stimmte Slater ihm zu. „Wir alle haben schon mal Dinge getan, die wir nicht hätten tun sollen. Aber du hast versucht, es wiedergutzumachen.“ Nach einer kurzen Pause fügte Slater hinzu: „Im Leben geht es stets darum, welche Entscheidungen wir treffen. Versuch nächstes Mal einfach, es besser zu machen.“ Er grinste kurz. „Ich wäre echt sauer gewesen, wenn ich das da hätte ersetzen müssen.“

Der Junge schaute ihn erstaunt an. „Warum? Sie sind reich.“

Mit diesem Argument war Slater schon mehrfach konfrontiert worden – im Grunde sein ganzes Leben lang. Ja, seine Familie war vermögend, schon seit über einem Jahrhundert. Sie züchtete Rinder, besaß riesige Weideflächen in Wyoming und jetzt auch noch – dank der Wurzeln seiner Mutter im Napa Valley – das mehrere Hektar große Weingut.

„Darum geht es nicht“, entgegnete Slater. Er arbeitete für seinen Lebensunterhalt, und zwar hart, und er verspürte nicht das Bedürfnis, ihm oder sonst wem Rechenschaft abzulegen. „Wie heißt du?“

„Ryder“, antwortete der Junge nach kurzem Zögern.

„Welche Schule besuchst du, Ryder?“

„Die gleiche lahme Schule, in die hier jeder Achtklässler geht. Mustang Creek Middle School.“

Slater hob die Hand. „Auf deine Aufmüpfigkeit kann ich gut verzichten.“

Ryder fing sich. „Entschuldigung“, murmelte er.

Slater war nie verheiratet gewesen, aber er kam gut mit Kindern zurecht; er hatte eine Tochter, und er war mit zwei Brüdern aufgewachsen, die nur ein Jahr auseinander waren, und noch heute, in ihren Dreißigern, gerieten sie gern aneinander. Slater hatte mehr Kämpfe beendet als ein Rausschmeißer in Bad Billie’s Biker Bar and Burger Palace an einem Samstagabend.

„Ich war auch auf dieser Schule“, sagte er, hauptsächlich um das Gespräch am Laufen zu halten. Er hatte es nicht eilig damit, dass die Rothaarige wieder verschwand, besonders da er ihren Namen noch nicht kannte. „Ist gar nicht so schlecht. Unterrichtet Mr. Perkins noch Werken?“

Ryder lachte. „O ja. Wir nennen ihn ‚Das Relikt‘.“

Slater ließ ihm diese Bemerkung durchgehen; sie war ein bisschen gedankenlos, doch nicht boshaft. „Aber es gibt kaum einen netteren Kerl, oder?“

„Ja, stimmt“, meinte der Junge etwas verlegen.

Die Stiefmutter musterte Slater mit einer gewissen Anerkennung, obwohl sie nach wie vor aufgebracht wirkte.

Slater erwiderte den Blick, einfach weil es ihm Vergnügen bereitete. Diese Frau wäre eine ganz neue Erfahrung für ihn, und er hatte noch nie eine Herausforderung gescheut.

Sie hatte gesagt, sie sei geschieden, was eine Frage aufwarf: Welcher verdammte Narr hatte sie ziehen lassen?

Als könnte sie seine Gedanken erraten – eine Frau mit ihrem Aussehen musste an die Aufmerksamkeit der Männer gewöhnt sein –, kniff die Rothaarige die Augen zusammen. Slater glaubte trotzdem, eine Spur Belustigung in ihnen zu erkennen. Sie wurde jedenfalls sichtlich ruhiger, doch sie schien alles wahrzunehmen.

Er lächelte. „Handschellen?“

Sie erwiderte das Lächeln nicht, doch das Funkeln blieb in ihren Augen. „Das war eine Anspielung auf meinen früheren Job“, erklärte sie sachlich. „Ich war Polizistin.“ Einer plötzlichen Eingebung folgend, streckte sie die Hand aus und stellte sich endlich vor. „Grace Emery. Inzwischen leite ich das Bliss River Resort and Spa.“

„Aha“, meinte Slater, auf nichts Bestimmtes bezogen. Eine Expolizistin? Wow, wenn es nach ihm ging, durfte sie ihm jederzeit Handschellen anlegen. „Sie müssen noch ziemlich neu hier sein.“ Andernfalls hätte er sie längst mal getroffen oder wenigstens von ihr gehört.

Grace nickte. Eben noch schwer genervt, wirkte sie jetzt müde, und das löste etwas in Slater aus, ohne dass er zu sagen vermocht hätte, was genau das eigentlich war. „Es ist ein wundervoller Ort. Eine Abwechslung zu Seattle.“ Sie schien sich auf einmal unbehaglich zu fühlen, als hätte sie ungewollt schon zu viel preisgegeben.

Slater wollte sich nach ihrem Exmann erkundigen, doch der Zeitpunkt kam ihm nicht richtig vor. Er wartete, denn er spürte, dass sie mehr sagen wollte, obwohl sie eben noch gezögert hatte.

„Ich fürchte, es war auch für Ryder eine große Umstellung.“ Noch eine Pause. „Sein Vater ist Soldat, in Übersee stationiert. Es war schwer für ihn – für Ryder, meine ich.“

Slater konnte das nachvollziehen. Der Vater des Jungen lebte im Ausland, und der Junge zog aus der Großstadt aufs Land. Überdies war er vierzehn, was an sich schon schwierig genug war. Slater war in dem Alter innerhalb eines einzigen Sommers fast zwanzig Zentimeter gewachsen, gleichzeitig hatte er ein Interesse an Mädchen entwickelt, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, wie er mit ihnen sprechen sollte. O ja, er erinnerte sich noch gut an seine Unbeholfenheit.

Erst jetzt merkte er, dass Grace’ Hand noch in seiner lag. Er ließ sie los, wenn auch widerstrebend.

Und plötzlich fühlte er sich genauso gehemmt wie mit vierzehn. „Meine Familie lebt seit Generationen auf der Ranch“, hörte er sich sagen. „Ich kann also nicht behaupten, dass ich wüsste, wie es ist, irgendwo neu anzufangen.“ Halt doch einfach den Mund, Mann. Aber er schien sich an seinen eigenen Rat nicht halten zu können. „Ich reise viel, und ich bin jedes Mal froh, wieder nach Mustang Creek zurückzukehren.“

Grace wandte sich an Ryder, seufzte und schaute erneut Slater an. „Wir haben Ihre Zeit lange genug in Anspruch genommen, Mr. Carson.“

Mr. Carson?

„Ich bringe Sie hinaus“, bot er an und versuchte nach wie vor seine Verwirrung abzuschütteln. Normalerweise war er ein Mann weniger Worte, doch heute Abend, in Gegenwart dieser Frau, benahm er sich auf einmal wie ein plappernder Idiot. „Dieses Haus ist wie ein Labyrinth. Ich habe das Büro meines Vaters übernommen, wegen der Aussicht, nur liegt es im hinteren Teil des Hauses und …“

Hatte die Frau ihn etwa danach gefragt?

Nein.

Was, zur Hölle, war eigentlich los mit ihm?

Grace schwieg. Der Junge war bereits zielstrebig losmarschiert, und sie folgte ihm. Was hatte er nur für einen Unsinn von wegen Labyrinth geplappert. Verwirrt schritt er hinter Grace her und genoss dabei den sanften Schwung ihrer Hüften.

Aus irgendeinem Grund war seine Müdigkeit vollkommen verflogen.

Grace hatte als Cop reichlich Erfahrung im Umgang mit Männern sammeln können. Bei der Polizei dominierten nach wie vor die Männer, auch wenn Frauen dort auf dem Vormarsch waren. Sie hatte sich längst mit der Wirkung ihres Aussehens auf Männer abgefunden. Dabei hätte sie sich selbst nicht als schön beschrieben; sobald sie in den Spiegel schaute, wurde sie an ihre Unvollkommenheit erinnert. Ihr Mund war einen Tick zu breit, die Nase ein wenig zu sehr aufwärts geschwungen, was ihr eine Frechheit verlieh, der sie gar nicht gerecht wurde. Ihre Haut war viel zu hell, sie würde niemals braun werden, nicht einmal in der Wüste. Ihre Augen waren von einem erstaunlichen Blau – man hatte ihr schon unterstellt, sie trage farbige Kontaktlinsen –, und von ihren Haaren wollte sie lieber nicht reden. Karottenkopf.

Ihre Haare waren ein wildes Durcheinander, es sei denn, Grace ließ sie länger wachsen, und sie verwandelten sich bei entsprechender Luftfeuchtigkeit trotzdem noch in eine wirre Mähne. Zum Glück war es in Wyoming trockener als in Seattle, das ersparte ihr einige Mühe. Die Farbe war unmöglich zu verändern, obwohl sie es schon mit Strähnchen und verschiedenen Behandlungen probiert hatte. Die natürliche Farbe setzte sich stets durch, und mittlerweile hatte sie das akzeptiert.

Slater Carson schien das nicht gestört zu haben.

Im Gegenteil.

Was ihre eigene Reaktion betraf, so war sie sich nicht sicher, was sie davon halten sollte. Ja, sie war abgestumpft, was Männer anging, aber irgendetwas war diesmal anders. Na schön, sie konnte es ruhig zugeben – sie fühlte sich in gewisser Hinsicht geschmeichelt.

Bei der Erinnerung daran, wie diese aufregenden blauen Augen sie gemustert hatten, verspürte sie eindeutig ein Kribbeln. Und Slater Carson selbst war auch kein unangenehmer Anblick mit seinen dunklen gewellten Haaren, unrasiert und der drahtigen, schlanken Cowboy-Statur. Er bewegte sich auch so, und als er sie beim Abschied vielsagend angelächelt hatte, wirkte er selbstbewusst und amüsiert.

Die Botschaft war klar gewesen: Er hätte nichts dagegen, wenn sie sich wieder treffen würden.

Na ja, dachte Grace, Mustang Creek war eine Kleinstadt, wo jeder jeden zu kennen schien, also würden sie sich früher oder später ganz bestimmt irgendwo über den Weg laufen.

Falls er mehr als ein höfliches Hallo erwartete, würde er jedoch enttäuscht werden.

Grace misstraute Männern wie Slater – er sah zu gut aus, war zu privilegiert, zu sehr daran gewöhnt, zu kriegen, was und wann er es wollte. Dieser erlauchte Mr. Carson erinnerte sie ein bisschen zu sehr an ihren Exmann mit diesem Selbstbewusstsein, dieser Erfolgsgewissheit. Er wusste, welcher Platz in der Welt ihm gebührte.

Nein danke. Grace kannte das alles, und nachdem Aufregung und Leidenschaft sich gelegt hatten, war sie in einer Sackgasse gelandet. Von den Nachwirkungen erholte sie sich immer noch.

Entschlossen stieg sie in ihren Wagen, den sie in der gut beleuchteten Zufahrt zum Anwesen der Carsons geparkt hatte, warf die Tür zu und wartete darauf, dass Ryder nicht mehr herumbummelte und sich endlich auf den Beifahrersitz fallen ließ.

So hatte sie sich ihren Abend nicht vorgestellt. Sie hatte sich einen Film herunterladen, Popcorn essen und die Füße hochlegen wollen, in ihrem kurzen Pyjama und mit Nachtcreme auf dem Gesicht.

Es war ein langer Tag im Hotel gewesen, wo sie sich mit einer kaputten Klimaanlage und Handwerkern hatte herum-ärgern müssen, die sich nicht auf die Fehlerursache einigen konnten. Außerdem war da noch ein chronisch zu spät kommender Angestellter, der in seinem Job allerdings richtig gut war, wenn er denn endlich auftauchte. Bis dahin waren die Kollegen jedoch meist schon schwer genervt und verärgert. Und natürlich hatte es die üblichen Beschwerden von Gästen gegeben: über die Wassertemperatur im Pool, die entweder zu kalt oder zu heiß war.

Nach Hause zu kommen und zu beobachten, wie Ryder ein teuer aussehendes Metallschild an die Wand seines Zimmers nagelte, hatte ihre Pläne für diesen Abend zunichtegemacht. Sie war sofort misstrauisch und hatte den Jungen zur Rede gestellt.

Zum Glück war er noch nie ein guter Lügner gewesen und gestand alles.

Daraufhin hatte Grace ihn sich geschnappt und zu den Carsons geschleppt.

Ryder stieg endlich ein und machte die Tür zu.

„Es tut mir leid“, entschuldigte er sich, hörte sich jedoch kein bisschen reumütig an. Er mied ihren Blick und starrte geradeaus. Sein Ton verriet Trotz, und seine Miene unterstrich diese Haltung.

Grace seufzte im Stillen.

Ryder war ein guter Junge, und Slater Carson hatte vollkommen recht gehabt mit seiner Bemerkung, jeder treffe hin und wieder die falsche Entscheidung. „Du weißt es doch besser.“

„Es ist nur …“

Sie hob eine Hand. „Keine Rechtfertigungen mehr. Du hast etwas gestohlen, und wir haben es zurückgebracht.“

Grace startete den Wagen, schaltete das Licht ein und schaute nach hinten, um rückwärts von der Auffahrt zu fahren.

Ryder blieb eine Weile still. Sie erreichten den Highway, auf dem um diese Uhrzeit kaum etwas los war. Und da sowohl die Ranch als auch das Hotel ein ganzes Stück außerhalb der Stadt lagen, begegneten ihnen nur sehr wenige Autos.

„Er mochte dich.“

Erst vierzehn, und so was fällt ihm auf, dachte Grace, amüsiert über die Bemerkung des Jungen. Dabei schaffte er es nicht, sich seine Unterwäsche vernünftig auszuwählen.

Er mochte dich.

Man konnte eine Frau mögen. Oder mit ihr ins Bett wollen. Grace hatte nicht die Absicht, einem Vierzehnjährigen den Unterschied zu erklären.

Daher sagte sie nur brüsk: „Der kennt mich doch gar nicht.“

„Er fand dich hübsch.“

Es gab Zeiten, da wünschte sie sich, Ryder würde mehr mit ihr reden. Und dann gab es Momente wie diesen, in denen wünschte sie, er würde genau das nicht tun. „Ich halte es durchaus für möglich, dass er hübscher ist als ich.“

Das brachte Ryder zum Lachen. „Wenigstens hat er sich um Zurückhaltung bemüht. Ich meine, na ja, er hat nicht auf deine …“

Er verstummte, und Grace vermutete, dass es ihm gerade peinlich war, was er beinah gesagt hätte. Sie wollte ihn nicht noch mehr in Verlegenheit bringen, daher hielt sie den Blick auf die Straße gerichtet. „Ja, Mr. Carson war sehr höflich“, räumte sie ein. „Wie läuft es eigentlich mit deinem Naturwissenschaftsprojekt?“

Ryder sprang sofort auf den abrupten Themenwechsel an, obwohl Schule bestimmt nicht zu seinen Lieblingsthemen zählte. „Ganz gut eigentlich. Mein Partner ist doch nicht so blöd, wie er aussieht.“ Er schwieg einen Moment, danach fuhr er fort: „Ich habe mich gefragt, ob er mal bei uns vorbeikommen kann. Würde das klargehen?“

Grace war erleichtert. Sie hatte so sehr darauf gehofft und gewartet, dass Ryder aufhörte, gegen den Umzug nach Mustang Creek zu rebellieren, und neue Freunde fand.

Momentan war sie mit ihrer Elternrolle völlig überfordert.

Und sie schien nicht besser darin zu werden.

Vor einigen Monaten hatte Grace’ früherer Schwiegervater sie aus heiterem Himmel angerufen. Seine Frau war schwerkrank, und sie kamen mit ihrem Enkel einfach nicht mehr zurecht. Es fiel ihm schwer, und er fragte nur äußerst ungern, ob Grace sich um Ryder kümmern könnte, aber da Hank in Übersee war, gab es sonst niemanden, den sie fragen konnten.

Hank, Grace’ Exmann und Ryders Vater, hatte es ihrer Ansicht nach ganz geschickt so eingerichtet, dass er nie verfügbar war, aber natürlich sagte sie das nicht am Telefon.

Sie hatte gar keine Ahnung gehabt, was sie überhaupt sagen sollte. Ryders Mutter hatte wieder geheiratet und eine neue Familie gegründet, und aus unerfindlichen Gründen hatte diese Frau nie viel Interesse an ihrem Erstgeborenen gezeigt. Als sie und Hank geschieden wurden, gab sie Ryder einfach ab und erkundigte sich nicht einmal nach einer Besuchsregelung.

Ryders Mutter verspürte weder das Bedürfnis, ihrem Sohn zum Geburtstag eine Karte zu schicken, noch erkundigte sie sich je telefonisch nach ihm oder schrieb ihm eine E-Mail.

Das machte Grace so wütend um Ryders willen, und es war auch nicht gerade hilfreich, dass Hank emotional eher unbeteiligt und vollauf mit seiner Soldatenkarriere beschäftigt war.

In dieser Beziehung saßen Grace und Ryder im gleichen Boot, nur hatte es für Grace wenigstens noch Handlungsspielraum gegeben. Sie konnte sich von Hank scheiden lassen, was sie ja auch gemacht hatte, und ihr eigenes Leben führen. Diese Wahl hatte sein Sohn nicht.

Deshalb hatte sie eingewilligt und Ryder zu sich genommen, bis Hanks derzeitiger Vertrag endete. Und nun waren sie hier in Mustang Creek, Wyoming, gelandet, und jeder von ihnen versuchte, mit dieser enormen Veränderung zurechtzukommen.

Grace konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. „Das wäre toll, wenn du deinen Freund einmal mit nach Hause brächtest. Ich könnte für euch Pizza bestellen. Wie wäre das?“

Ryder nickte. „Solange die nicht so schmeckt wie die im Hotel, mit Ziegenkäse und diesem Grünzeug drauf, was immer das war. Ich hab versucht, sie zu mögen, aber keine Chance.“

„Artischockenherzen“, half sie ihm. „Was hältst du von den guten alten Peperoni?“

Ryder grinste. „Das wäre klasse.“

„Alles klar, dann machen wir das. Ich muss nur dein Wort darauf haben, dass du mal für fünf Minuten keinen Ärger machst.“ Sie warf ihm einen gespielt strengen Blick zu. „Ich fand es genauso unangenehm wie du, vor Mr. Carson Abbitte zu leisten.“

Ryders Grinsen wurde noch breiter. „Kann schon sein. Aber ich glaube, ihm hat es schon irgendwie gefallen.“

2. Kapitel

Die hohen Fenster im Frühstücksraum neben der Küche des Ranchhauses gaben den Blick frei auf die Teton-Bergkette vor einem strahlend blauen Morgenhimmel. Slater saß auf seinem gewohnten Platz am Tisch, einen Kaffeebecher in der Hand, und bewunderte die Aussicht. An jedem Morgen seines Lebens hatte er sie gesehen, und doch war sie nie zu etwas Selbstverständlichem geworden.

Er war sich durchaus im Klaren darüber, dass er sich als glücklichen Mann bezeichnen konnte.

Stiefelschritte auf den Holzdielen kündigten Gesellschaft an.

„Hey, Showbiz.“ Slaters jüngster Bruder Mace kam herein und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch, ein lässiges Grinsen im Gesicht. Von den drei Brüdern ähnelte Mace ihrem Dad, der bei einem Sturz vom Pferd ums Leben gekommen war, als Slater zwölf war, am ehesten. Manchmal löste allein der Anblick seines Bruders einen Moment der Trauer bei ihm aus.

„Selber hey“, erwiderte Slater. Und was Spitznamen anging, konnte er mit „Showbiz“ ganz gut leben. Beide, Mace und Drake, der mittlere Bruder, benutzten ihn häufig.

Mace nahm sich die Kaffeekanne und füllte einen schon bereitstehenden Becher. Dann gab er einen reichlichen Schuss Milch dazu, schloss die Augen und genoss den ersten Schluck. Als Nächstes öffnete er den Deckel eines Servierbehälters und nahm sich eine große Portion Rührei, Speck und Würstchen, dazu drei Scheiben Toast mit Butter. Das alles würde er tatsächlich vertilgen und wahrscheinlich noch einmal dasselbe nehmen. Slater staunte immer wieder über die Mengen, die Mace essen konnte.

Er selbst war schon fertig mit seinem Frühstück, hatte es jedoch nicht besonders eilig. Er saß nur da, trank seinen Kaffee und schaute zufrieden aus dem Fenster auf die wunderbare Landschaft.

Slater genoss es, zu Hause zu sein. Dieser schlichte Frühstücksraum gefiel ihm viel besser als das elegante Esszimmer auf der anderen Seite der Küche. Der polierte Eichentisch war massiv und bot sechs Personen bequem Platz.

Der Raum diente auch als eine Art Geschirrkammer mit zwei großen Regalen voller antikem Porzellan und Gläsern. Der Spirituosenschrank, den sein Urgroßvater aus England mitgebracht hatte, prangte an der einen Wand, die Buntglasscheiben der Türen leuchteten in den Farben von Edelsteinen. Als Teenager war er hin und wieder in Versuchung gekommen, den Schrank zu plündern, weil er dachte, wie Teenager das eben tun, es wäre ganz nett, sich einmal ordentlich zu betrinken. Doch er hatte den Plan nie in die Tat umgesetzt. Klugerweise hatten seine Eltern den Schrank stets verschlossen gehalten, und Slater brachte nie den Mut auf, das kostbare Erbstück zu beschädigen.

Nein, stattdessen ließ er Bier aus dem Kühlschrank verschwinden und begnügte sich mit einem kleinen Schwips statt einem Vollrausch.

„Angenehmer Morgen“, bemerkte er und beobachtete, wie Mace sich über den Berg Essen auf seinem Teller hermachte.

„Jap“, bestätigte sein Bruder. Mace hatte dunkelbraunes Haar, genau wie ihre Mutter, und klare blaue Augen, und er hatte den grünen Daumen. Das hatte sich bereits früh in seinem Leben herausgestellt. Mit zehn bekam er von seiner Mutter ein Gartenstück, eine Hacke und ein paar Tüten mit Bohnensamen zum Geburtstag. Während die meisten Jungen ein Fahrrad wollten, beschäftigte er sich mit seinem GP, wie Slater und Drake es nannten (GP stand für Gartenprojekt), und so gab es nach einigen Wochen jeden Abend grüne Bohnen, bis sie um Mais oder sogar Spinat bettelten.

Slater war kein wählerischer Esser, aber ein Fan von Spinat war er auch nicht.

Ihre Mutter Blythe, die ihre Wurzeln im Weinland Nordkalifornien hatte, beschloss vor einigen Jahren, selber Wein anzubauen. Es war nur logisch gewesen, dass sie Mace ausgewählt hatte, um dieses Projekt zu leiten. Wenn eine Pflanze Blätter hatte, konnte er sie zum Wachsen bringen – und zum Erblühen –, auf fast jedem Boden.

„Wann bist du zurückgekommen?“, erkundigte Mace sich und nahm sich ein zweites Mal, nachdem er die erste Portion vertilgt hatte. Slater fragte sich, ob der Appetit seines Bruders sich eines Tages rächen und er irgendwo an seinem schlanken muskulösen Körper Fett ansetzen würde.

Bisher gab es dafür nicht die geringsten Anzeichen.

„Ich bin gestern Abend zurückgekommen“, antwortete Slater. Er hatte wie ein Stein geschlafen, konnte sich jedoch vage an Träume von einer gewissen Rothaarigen erinnern. Was keine Überraschung war. Grace Emery war schließlich die letzte Person, die er gesehen hatte, bevor er sich auszog, duschte und ins Bett fiel. Eine Frau wie sie kennenzulernen stellte zudem eine erinnerungswürdige Erfahrung dar, selbst für jemanden, der todmüde war.

Mace nickte.

Slater, normalerweise kein Typ für lockeres Geplauder, redete gleich weiter. „Die Dreharbeiten liefen gut, sodass wir früh fertig geworden sind. Das passiert sonst nie. So viel früher war es gar nicht, aber immerhin.“

„Gut.“ Mace nahm eine Scheibe Toast. „Und jetzt schneidet ihr den Film, oder?“

„Darum kümmert sich hauptsächlich der Regisseur.“

„Was kommt als Nächstes?“

Darüber hatte Slater schon nachgedacht, da er in gewisser Weise immer an das nächste Projekt dachte. „Ich spiele mit dem Gedanken, etwas über die Geschichte Wyomings zu machen. Wie es besiedelt wurde und so – und wie es heute ist. Zu viele Leute glauben anscheinend, der ganze Bundesstaat sei öde und leer, bis auf das eine oder andere Skihotel und ein paar Millionen Schafe. Ich finde, es ist an der Zeit, dieses Bild ein bisschen zu korrigieren.“

Erneut nickte Mace, diesmal mit nachdenklicher Miene. „Du könntest auch etwas über die Ranch erzählen. Über Dads Familie und das Eisenbahngeld, das sein Großvater geerbt hat und mit dem er die Ranch aufgebaut hat. Du könntest sogar etwas über Moms Familie berichten und was sie sich in Kalifornien aufgebaut hat.“ Seine Begeisterung für diese Idee wuchs zusehends. Bestimmt würde Mace liebend gern alle wichtigen Informationen über das Weingut beisteuern. Ohne Rücksicht darauf, dass es unsinnig war, in einer Dokumentation über Wyoming die Geschichte Kaliforniens hervorzuheben.

Slater lächelte – und hörte zu. Sein Bruder war gerade in Fahrt, und manche seiner Ideen waren gut.

„Und was ist mit dieser Ranch?“, fuhr Mace fort. „Wie viele historische Ranchhäuser wurden eigens entworfen, damit sie aussehen wie aus ‚Vom Winde verweht‘? Dahinter verbirgt sich eine Geschichte, vergiss das nicht.“

Dahinter verbarg sich tatsächlich eine Geschichte. Das Haus war damals gebaut worden, um das Heimweh ihrer Urgroßmutter zu lindern, einer jungen Frau aus den Südstaaten, die weit von zu Hause entfernt lebte und sich nach der Plantage ihrer Kindheit sehnte.

Inzwischen hatte Mace sich derartig in seine Ideen hineingesteigert, dass er begeistert mit der Gabel herumwedelte. „Ich glaube, das würde ein tolles Projekt sein. Du könntest es ‚Das Vermächtnis der Carsons: Die Reise einer Familie in den glorreichen Westen‘ nennen.“

„Okay, der Carson-Clan hat sich einen Namen gemacht, das stimmt. Aber es gab auch noch eine Menge anderer Pioniere“, meinte Slater und schmunzelte dabei.

Mace grinste zurück. „Ich hätte nichts dagegen, in einem Film verewigt zu werden.“

In diesem Moment kam Drake herein, gähnend, aber vermutlich nicht wegen Schlafmangels, sondern weil er sich seit dem Morgengrauen draußen um die Pferde gekümmert hatte. „Wieso, kleiner Bruder, sollte irgendwer dich in einem Film verewigen wollen?“

Drake hatte die gleiche Statur wie Slater und Mace – er war groß, schlank und breitschultrig. Nur hatte er, im Gegensatz zu den anderen beiden, dunkelblondes Haar. Er sah aus wie ein Cowboy, konnte reiten, wie Slater es noch bei keinem erlebt hatte, und war einfach am liebsten draußen. Er gähnte erneut, schwang ein Bein über seinen gewohnten Stuhl, setzte sich und griff gleichzeitig nach dem Kaffee. Er machte ein grimmiges Gesicht und knurrte, um seine Bemerkung zu unterstreichen. „Warum solltest du unsterblich werden? So etwas Besonderes bist du gar nicht, außer in deinen eigenen Augen.“

Mace versuchte, sich nicht angegriffen zu fühlen. „Sagt wer?“

„Die Stimme der Vernunft“, erwiderte Drake mit seinem einzigartigen Cowboygrinsen leutselig und deutete auf seinen älteren Bruder. „Hey, Slate, ich habe schon gehört, dass du wieder zu Hause bist. Ich hätte dich früher begrüßen sollen, aber wir treiben gerade eine Herde auf die Südweide, und das hat eine Weile in Anspruch genommen. Na ja, es ist gut, dass du wieder zurück bist.“

Ja, es war wirklich gut, wieder zurück zu sein.

„Mace hat sich ins Zeug gelegt, um mich zu inspirieren.“ Slater trank seinen Kaffee aus. „Er meint, ich sollte unsere Familiengeschichte in den nächsten Dokumentarfilm einfließen lassen.“

„Oje.“ Drake verdrehte die Augen und trank aus seinem Becher. „Da gibt’s aber viele Leichen im Keller. Wenn du vorhast, die ans Licht zu zerren, nur zu. Mir wäre es allerdings ganz lieb, wenn du meinen Namen da heraushalten würdest.“

Mace machte ein skeptisches Gesicht und stieß Drake mit dem Ellbogen an. „Du könntest einen Beitrag über unseren faszinierenden Bruder bringen“, schlug er ironisch vor. „Über sein Liebesleben. Der Titel könnte lauten: ‚Öde im Gebirge‘.“

„Haha.“ Drake warf seinem jüngeren Bruder einen finsteren Blick zu. „Das ist eine brillante Idee. Oh, übrigens war ich längst auf, bevor du deinen Schönheitsschlaf beendet hast. Ich finde, du solltest dich jetzt wieder für eine Weile hinlegen. Anscheinend brauchst du noch mehr Schlaf.“

Slater stand mit dem Becher in der Hand auf. „Ihr zwei müsst euch mal neue Beleidigungen einfallen lassen. Wenn ich das Thema wechseln darf – Mace, beliefern wir eigentlich das Bliss River Resort inzwischen mit Wein? Wie läuft das?“

Seine Brüder tauschten einen Blick und grinsten.

Mace triumphierte. „Ich hatte recht! Unser großer Bruder hat tatsächlich einen Weg gefunden, sie ins Gespräch zu bringen. Du schuldest mir zehn Dollar.“

Drake machte keinerlei Anstalten, seine Brieftasche zu zücken. „Mann, das ging aber echt schnell“, gab er zu. „Hast du so eine Art Radar?“, fragte er Slater. „Piep, piep, hübsche Rothaarige in Reichweite. Alarm und alle Mann auf Gefechtsposition.“

Na schön, allzu geschickt hatte er sich bei dem Versuch, das Gespräch auf Grace Emery zu lenken, nicht angestellt.

Er beschloss trotzdem, es eisern zu leugnen. „Möchte mir jemand erklären, wovon ihr zwei depperten Cowboys eigentlich redet? Ich habe doch bloß gefragt, wie das Geschäft mit dem Hotel läuft.“ So aufgebracht, wie Grace gestern Abend gewesen war, hätte er sie jedenfalls nichts fragen können. Er setzte sich wieder, nahm sich ein kleines Bratwürstchen von Mace’ Resten und biss ab. Harriet Armstrong, die langjährige Köchin und Haushälterin, stellte sie selbst her. Noch ein Grund, warum es nirgendwo so schön war wie zu Hause.

Slater hatte schon in einigen vornehmen Restaurants gegessen, doch was Harriet auftischte, war einfach perfekt. Mit der gleichen scheinbaren Mühelosigkeit führte sie den Haushalt. Er und seine Brüder nannten sie Harry, denn das war der Name, den Blythe für sie benutzte. Harry war wie eine zweite Mutter, die kein Blatt vor den Mund nahm, wenn die Brüder mal wieder ihre Späße trieben.

Mace fühlte sich offenbar verpflichtet, die Wette mit Drake zu erläutern. „Ich habe gewettet, dass du ziemlich schnell mit Grace Emery Bekanntschaft schließen würdest, nachdem du sie gesehen hast.“ Er schüttelte den Kopf. „Es ist mir ein Rätsel, wie du das so schnell machst. Du bist gestern Abend erst nach dem Abendessen angekommen, und jetzt ist Frühstückszeit am nächsten Morgen. Jeder Mann im Umkreis von hundert Meilen verspürt plötzlich das Bedürfnis, dem Spa einen Besuch abzustatten, um einen Blick auf sie zu werfen. Aber du schaffst es irgendwie, dass sie zu dir kommt.“

Nate musste den beiden von Grace’ Besuch erzählt haben, überlegte Slater. Fein. Er würde ihnen aber nicht verraten, weshalb sie bei ihm gewesen war; das gestohlene Schild war eine Sache zwischen ihm und Ryder, und was Slater betraf, war sie erledigt. „Was hat sie für eine Geschichte?“

Mace schien die Frage mit Genuss zu beantworten. „Sie ist geschieden. Der Junge lebt bei ihr, weil ihr Ex irgendein hohes Tier beim Militär und irgendwo im Einsatz ist.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Nach allem, was ich gehört habe, macht sie einen sehr guten Job im Hotel. Der Besitzer hat sie persönlich eingestellt.“

Das waren keine Neuigkeiten. Grace hatte ihm die meisten Details selbst erzählt, außerdem, dass sie früher Polizistin gewesen war. So kurz die Begegnung auch gewesen war, konnte Slater sich doch sehr gut vorstellen, wie die reizende Miss Emery alle ihr gestellten Aufgaben direkt und entschlossen anging. Es war allerdings ein enormer Wandel von der Polizistin zur Hotelmanagerin. Anscheinend steckte eine Geschichte dahinter, und die würde er nur allzu gern kennen. „Interessant.“

Eines musste er seinen Brüdern zugutehalten – sie steckten ihre Nasen normalerweise nicht in die Angelegenheiten anderer Leute, und als Slater auf die Gründe für Grace Emerys Besuch nicht näher einging, beließen sie es dabei.

Mace bemerkte beiläufig: „Um deine Frage zu beantworten – unser Weingeschäft mit dem Hotel läuft gut. Ich habe mal nachgeforscht, welchen Wein wir zusätzlich produzieren sollten. Wie du weißt, will Mom das Unternehmen vergrößern und den Wein landesweit verkaufen. Das Hotel wählt jedenfalls anderen Wein als den, den die Weinhandlungen bei uns bestellen. Die nobleren Weine gehen bei den Hotelgästen besser – die wollen einen körperreichen, ausbalancierten Roten oder großen körperreichen Chardonnay, während im Einzelhandel mehr die leichteren, fruchtigeren Weine verkauft werden. In diesem Jahr werden wir an einigen Wettbewerben teilnehmen, um mehr Medienaufmerksamkeit zu bekommen.“ Er machte eine Pause, aber nur, um Luft zu holen. Wenn Mace über das Weingut sprach und die darin produzierten Weine, war er nur schwer wieder zu bremsen. „Die Schwierigkeit besteht darin, mit dem Wetter hier zurechtzukommen und die Reben zu finden, die den Winter gut überstehen und dennoch qualitativ hochwertig sind. Bisher kaufen wir die meisten unserer Trauben aus anderen Bundesstaaten. Das ist nicht ungewöhnlich, aber ich würde das Pendel gern mehr in unsere Richtung ausschlagen lassen.“

Slater gefiel die Leidenschaft seines jüngeren Bruders für den Weinanbau, denn er wusste, dass auch ihre Mutter sich mit diesem Unternehmen einen Traum erfüllte, nicht nur Mace. Slater, Mace und Blythe waren sehr unterschiedlich, aber Slater konnte sich in beide sehr gut hineinversetzen, weil Filme zu drehen und Wein anzubauen eine Kunst für sich waren. Drake interessierte das hingegen kein bisschen, er war viel zu bodenständig und dauernd in Bewegung. Es war schon beinahe seltsam, wie sehr Tiere und Kinder sich zu ihm hingezogen fühlten. Slater hatte seinen mittleren Bruder oft bei Picknicks oder Grillpartys beobachtet, mit einem Kleinkind auf dem Schoß und drei Hunden zu seinen Füßen. Drake schien sich dieser besonderen Gabe aber gar nicht bewusst zu sein.

„Ich verstehe nicht viel vom Weinanbau“, gab Slater an Mace gewandt zu. „Aber das hört sich gut an. Ich schaffe es, Schimmel auf einem Stück Käse im Kühlschrank wachsen zu lassen, aber das war’s auch schon. Apropos Wein und Käse – ich muss eine Party für die Investoren geben. Die haben sie sich verdient. Ich finde, das Hotel wäre der geeignete Ort dafür.“

Seine beiden Brüder lachten, und Drake zog ein paar Dollarscheine aus der Tasche. Er wählte einen aus und gab ihn Mace. „Du hast gewonnen. Da sind deine zehn Dollar.“

Grace schaute auf den Computerbildschirm und blinzelte mehrmals, um sicherzugehen, dass sie sich nichts einbildete. Die Buchung war hereingekommen, als sie gerade Mittagspause machen wollte, und sie war umfangreich. Slater Carsons Produktionsfirma hatte fünfzehn der besten Hotelzimmer reserviert, ebenso einen Saal und dazu Vorschläge für Gourmet-Menüs erbeten und außerdem bezüglich der Verfügbarkeit des Wellnessbereichs für die Top-Führungskräfte und Investoren nachgefragt.

Die Rechnung würde in die Zehntausende gehen. Grace war noch nicht lange im Hotelgewerbe und ziemlich beeindruckt, aber sie nahm an, dass derartige Ausgaben in der Geschäftswelt nicht unüblich waren.

Allerdings wirkte Slater auf sie nicht wie ein Unternehmer; sie konnte ihn sich nicht im Anzug vorstellen oder dass er eine Rede in der Vorstandsetage hielt. Er sah eher nach Jeans und maßgefertigten Stiefeln aus. Andererseits war sie ihm erst einmal begegnet, noch dazu unter ziemlich peinlichen Umständen. Also war ihr möglicherweise das eine oder andere entgangen.

Trotzdem, sie verfügte über einen guten Instinkt, was Menschen anging, und als Polizistin hatte sie gelernt, auf ihr Bauchgefühl zu hören.

Natürlich war ihr die natürliche Autorität nicht entgangen, die er ausstrahlte. Er war selbstbewusst und besaß sicher Durchsetzungsvermögen, ohne zu dominant zu sein. Andernfalls hätte er Ryder am gestrigen Abend viel härter zugesetzt.

Es war ziemlich klar, dass Mr. Carson eine genaue Vorstellung von dem hatte, was er wollte, und nie zögerte, dieses Ziel auch zu verfolgen.

Unwillkürlich stellte sie einige Vergleiche an – und es gab unbestreitbar Ähnlichkeiten zwischen Slater und Hank, ihrem Exmann. Beide Männer waren stark, zielstrebig und ehrgeizig.

Doch natürlich gab es auch deutliche Unterschiede zwischen ihnen.

Hank war nicht einfach nur ehrgeizig, sondern getrieben. Das konnte auf den ersten Blick sexy wirken; Macht war ja im Grunde auch sexy. Also fühlte sie sich schnell zu ihm hingezogen, trotz ihrer Vernunft, die ihr bei der Polizei immer so zugutegekommen war. Dummerweise hatte sie ihren Platz in Hanks Prioritätenliste falsch eingeschätzt, denn da stand sie ganz unten.

Selbst Ryder rangierte nicht sehr weit oben. An erster Stelle kam Hanks Karriere. Sowohl Grace als auch sein Sohn bedeuteten nur Ablenkung von der Arbeit. Das wurde ihr erst im Nachhinein klar.

Diese Erkenntnis hatte sie gekränkt, und seither war sie vorsichtig geworden. Ein großer Fehler war verzeihlich, zwei kamen einer Katastrophe gleich.

Na schön, sie kannte Slater nicht gut genug, um ihn als Spieler einzuschätzen. Doch hatte sie gelernt, bei dieser Art von Charisma auf der Hut zu sein.

Falls er sie als Eroberung sah – solche Typen waren ihr vor und nach Hank begegnet –, würde sein Ego einen ziemlichen Dämpfer erhalten.

Ohne mich.

Sie schaute über ihren Computermonitor hinweg und betrachtete ihre unmittelbare Umgebung. Das war ein alter Trick, um sich wieder auf die Realität zu konzentrieren, sobald ihre Gedanken abdrifteten.

Grace liebte ihr großes Büro im ersten Stock mit Blick auf den Pool und die Gärten. Es gab einen kleinen Balkon mit zwei kunstvollen Liegestühlen und einem kleinen Tisch mit Glasplatte.

Allerdings hatte sie keine Zeit, sich nach draußen zu setzen und das alles zu genießen.

An diesem Morgen standen aber die Balkontüren offen, und eine angenehm sanfte Brise wehte herein, es duftete nach Kiefern und den üppigen Blumen im Garten.

Das Hotel war ein wunderbarer Ort zum Arbeiten, die Bezahlung großzügig, und bis jetzt war Grace mit den Gästen genauso gut zurechtgekommen wie mit den Kollegen. Kurzum, sie hatte ihr Leben wieder in Schwung gebracht und würde daher keinerlei Komplikationen zulassen.

Ganz besonders nicht durch große dunkelhaarige, gut aussehende Cowboys ausgelöste Komplikationen.

„Hast du die Buchungen gesehen, die ich dir geschickt habe?“

Die Frage kam von ihrer Assistentin Meg, die lächelnd im Türrahmen stand. Meg war jung, voller Energie und frisch von der Hotelfachschule, aber noch unerfahren. Der Hotelbesitzer George Landers war ein alter Freund von Grace’ Vater. Er besaß verlässliche Instinkte, wenn es um die Stellenbesetzungen ging. Schon bald würde Meg das nötige Selbstbewusstsein und die damit einhergehende Autorität besitzen, die man brauchte, um eines seiner Hotels zu leiten. Im Augenblick war sie jedoch noch „nicht trocken hinter den Ohren“, wie George es ausdrückte.

Grace hatte ebenfalls eine Ausbildung im Hotelgewerbe absolviert, und zwar neben ihrer Tätigkeit als Polizistin. Aber sie hatte überhaupt keine Erfahrung, und sie war sich nicht sicher, ob Selbstvertrauen ihre starke Seite war, vor allem wenn sie an einige ihrer Entscheidungen in der Vergangenheit dachte. Dafür konnte sie mit schwierigen Situationen fertig werden, und das wusste ihr Chef, weil er sie kannte. Sie war dafür ausgebildet, unter enormem Druck zu funktionieren. In Wahrheit sah es eher so aus, dass sie das Personal leitete, das das Hotel leitete.

Die exakten Anweisungen, die Grace erhalten hatte, lauteten: Sorg dafür, dass alle das tun, wofür sie da sind. Ich verlasse mich darauf, dass du dich um alles kümmerst.

Schön, dass es jemanden gab, der an ihre Fähigkeiten glaubte.

Aber vielleicht hatte sie auch einfach nur Glück gehabt.

George Landers hatte mit ihrem Vater das College besucht, und seitdem spielten die beiden Männer an jedem Mittwochnachmittag zusammen Golf. Als George erfuhr, Grace wolle sich beruflich eventuell verändern, lud er sie in sein Büro ein und bot ihr prompt den Job an.

Sie ergriff die Chance. Dass Ryder mit ihr kommen würde, war zwar zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen, aber damit würde sie nun irgendwie zurechtkommen. Schließlich mochte sie den Jungen sehr.

„Ich wollte es mir gerade ansehen“, antwortete sie etwas verspätet auf Megs Frage. „Sehr gut.“

„Der Name Carson genießt hier in der Gegend einen enormen Ruf.“ Meg, in Jacke und Rock, wie das Unternehmen es verlangte, trat ein und legte einen Stapel Rechnungen auf den Schreibtisch. „Erst vor Kurzem haben sie ein Weingut eröffnet. Der ‚Ranch Hand Red‘ ist einer unserer Bestseller.“

Das war eine wichtige Information. „Den Carsons gehört Mountain Vineyards? Hm.“ Grace tippte etwas auf der Tastatur, und die Website erschien auf dem Bildschirm. Das Gebäude des Weingutes sah malerisch aus. Es handelte sich wohl um eine umgebaute Scheune oder Mannschaftsunterkunft, rustikal, aber massiv, auf hübsche Weise verwittert, mit Schindeldach und hohen Fenstern. Die Berge bildeten einen atemberaubenden Hintergrund.

O ja. Das war authentischer Western-Charme. „Sie sollten für unsere Gäste Führungen und Weinverkostungen veranstalten“, überlegte Grace laut. „Das könnten wir in unsere Angebote aufnehmen, denn nicht jeder kommt zum Wandern oder Skifahren her. Der Wellnessbereich ist schon ein enormer Anziehungspunkt, und dazu könnte das Weingut ausgezeichnet passen.“

„Es kann nicht schaden, mal nachzufragen“, meinte Meg strahlend. Sie sprudelte wie immer vor Begeisterung. „Es wäre doch fantastisch, wenn wir noch mehr solcher Anfragen bekämen, oder? Diese Landschaft hier ist wundervoll, ideal für Firmenevents.“

Megs Fröhlichkeit war absolut echt und deshalb nicht nervend. Grace hatte sie vom ersten Moment an gemocht.

Nachdenklich klopfte sie mit dem Stift auf die Schreibtischunterlage. „Ich frage mich“, murmelte sie, „ob Slater Carson wohl in Erwägung ziehen würde, unser Hotel in einem seiner Filme zu integrieren. Soweit ich weiß, macht er nur historische Dokumentationsfilme. Aber vielleicht ist er ja an einer Art gemeinsamer Werbung interessiert.“

Meg setzte sich mit großen Augen in einen Sessel. „Das ist eher unwahrscheinlich“, sagte sie ehrlich. „Aber wie schon gesagt, es kann nicht schaden, mal zu fragen. Wenn das funktionieren würde …“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Soll ich mal ein Angebot entwerfen?“

Die Idee war tatsächlich ziemlich abwegig, aber das waren die guten zunächst immer. Wer nicht wagt …

Allerdings würde sie irgendwann persönlich mit dem Mann sprechen müssen. Trotzdem war es sinnvoll, ihn erst einmal neugierig zu machen, damit er sich die Möglichkeiten durch den Kopf gehen lassen konnte. Schließlich war Mustang Creek seine Heimatstadt, und die heimische Wirtschaft konnte ihm nicht gleichgültig sein.

„Tu das“, entschied sie. „Lass ihn wissen, dass wir bereit sind zu einem Preisnachlass bei der Veranstaltung, für die er jetzt gebucht hat, und für weitere Buchungen, die er uns in Zukunft beschert. Erwähne auch die Verbindung zum Weingut.“

„Ist so gut wie fertig“, sagte Meg erfreut. Sie war eine attraktive junge Frau mit glänzend braunem Haar, das ihr anmutig auf die Schultern fiel. Ihre Augen waren honigfarben, und sie lächelte fast immer. Insgeheim beneidete Grace die Assistentin um deren nicht ganz so auffällige Erscheinung, besonders die Haarfarbe. Ihre war da, nun ja, deutlich schriller.

Aber sie erinnerte sich an den Rat, den ihre Mutter ihr häufig gegeben hatte: Sei du selbst, und setz immer schön einen Fuß vor den anderen.

Grace wurde wieder ganz geschäftsmäßig. „Ich will für diesen Abend den Chefkoch in der Küche haben“, erklärte sie. „Und ob es ihm nun gefällt oder nicht, wir werden ein schlichtes Menü anbieten – einen Gang Meeresfrüchte, einmal Geflügel, einmal Rind, einmal Schwein und eine raffinierte vegetarische Variante. Keine ausgefallenen Eisskulpturen, nichts mit Flammen.“ Sie grinste Meg an, die sofort verstand. „Ja, manchmal geht es mit Stefano durch, wie du sicher schon bemerkt hast. Ich habe versucht, ihn zu bremsen, aber er hat mich mehrmals darauf hingewiesen, dass ich keine Köchin bin.“

„Stimmt, aber du bist der Boss.“

„Allerdings.“

„Gibt es sonst noch etwas?“

Grace überlegte kurz, dann wagte sie es. „Lade ihn zum Essen ein. Nächsten Donnerstagabend, falls er Zeit hat.“

Meg sah ein wenig verwirrt aus. „Wen? Stefano?“

Grace schüttelte den Kopf. „Slater Carson. Dann werde ich ihm den Vorschlag unterbreiten. Aber ich möchte, dass es ein reines Geschäftsessen wird.“

Meg fragte sich zweifellos, woher Grace den legendären Filmemacher kannte. Aber sie war klug genug, nicht danach zu fragen.

„Das ist eine lange Geschichte.“ Grace beantwortete die unausgesprochene Frage ziemlich gelassen, obwohl sie innerlich keineswegs gelassen war – nicht wenn es um Slater ging.

Meg nickte, verließ das Büro und schloss die Tür leise hinter sich.

Als Grace allein war, schweiften ihre Gedanken in eine ganz andere Richtung ab.

Sie machte sich Sorgen wegen Ryder. Mit dem Diebstahl hatte er eine bedenkliche Grenze überschritten.

Na schön, es war weder ein bewaffneter Überfall gewesen noch Drogenhandel, und sie wollte auch keine zu große Sache daraus machen. Doch sie hatte bei ihrem letzten Job zu viele Kids auf die schiefe Bahn geraten sehen, und meistens fing es mit einem kleinen Vergehen an.

Diebstahl war Diebstahl.

Ryder war ein anständiger, talentierter Junge, aber das allein musste ihn nicht zwangsläufig vor Dummheiten bewahren, denn er war außerdem ein verwirrter und einsamer Junge. Und da sein Vater weit weg war und die Mutter kein Interesse an ihm hatte, war er besonders verletzlich.

Zum ungefähr hundertsten Mal, seit Ryder bei ihr wohnte, sagte Grace sich, dass er sicher nicht richtig kriminell werden würde, solange er bei ihr war. Ganz gleich, ob ihm eine solche Laufbahn vorherbestimmt war.

Nur war ihr Einfluss auf ihn letztlich begrenzt.

In Wahrheit war es an Hank, Verantwortung für seinen Sohn zu übernehmen. Der Junge brauchte seine Liebe und Führung. Sicher, Hank unterstützte ihn finanziell, aber das genügte nicht einmal annähernd.

Blöderweise würde Hank ihr die Schuld geben, nicht sich selbst, falls Ryder hier in Schwierigkeiten geriet.

Interessierte Hanks Ansicht sie überhaupt? Nein.

Ryder interessierte sie schon, sehr sogar.

Sie lächelte. Der Junge konnte bereits gut den harten Burschen mimen, aber zum Glück steckte noch mehr in ihm. Viel mehr.

Er fütterte zum Beispiel heimlich eine streunende Katze, die vor einigen Tagen auf ihrer Terrasse aufgetaucht war. Grace hatte die arme Kreatur ein paarmal gesehen. Das Tier war schwach, dünn und scheu. Als Grace sich ihr zu nähern versucht hatte, war sie in die Büsche gehuscht und hatte sich dort versteckt. Ryder hatte es besser gemacht und ihr Futter oder eine Schale Milch hingestellt. Dann wartete er, am Boden kauernd, beinah vollkommen regungslos.

Tatsächlich tauchte die Katze dann immer wieder nach einer Weile auf und fraß ein paar Bissen oder schlabberte die Milch.

Dieses Bild von Ryder, seine sanfte Geduld mit dem Tier, gab ihr Hoffnung.

Nach Feierabend fuhr sie in die Stadt und ging in den Supermarkt, weil sie Ryders Lieblingsessen kochen wollte, Spaghetti mit Hackbällchen. Sie legte außerdem Kartoffeln in den Einkaufswagen, Zutaten für einen Salat, Dosenfutter für Katzen sowie einen Sack voll Trockenfutter, dazu zwei Keramikschalen.

Ihre Wohnung gehörte zum Hotelkomplex, und als sie vom Einkaufen zurückkam, dachte sie daran, wie glücklich sie sich schätzen konnte, diesen Job zu haben. Natürlich war er anstrengend, aber sie war kranken- und sozialversichert, zahlte Rentenbeiträge und musste nicht für eine Miete oder Hypothek aufkommen.

Und niemand schoss auf sie oder schrie sie an, nur weil sie ein Polizeiabzeichen trug.

Auf dem Parkplatz blieb sie einen Moment stehen, um das Gebäude zu bewundern. Ihre Wohnung bestand aus drei großen Zimmern, von denen sie eines als Arbeitszimmer nutzte, zwei Badezimmern, einer hübschen Küche und einer herrlichen Aussicht auf den Bliss River. Die Wohnung war mit einigen Antiquitäten ausgestattet, die sie von ihrer Großmutter geerbt hatte – eine englische Standuhr, ein Zinnkrug, der auf dem Kaminsims stand, eine wunderschöne gerahmte, sehr alte Kohlezeichnung von Pferden im Schnee mit wehenden Mähnen. Dann hatte sie sich noch in Unkosten gestürzt und eine schokoladenbraune Couch mit Samtkissen gekauft.

Der niedrige rechteckige Couchtisch war ebenfalls neu.

Mit einem heimeligen Gefühl trug sie ihre Aktentasche, die Handtasche und eine Tüte voller Lebensmittel hinein. Ryder brach sein Videospiel ab und sprang auf.

„Brauchst du Hilfe?“, erkundigte er sich scheu lächelnd.

„Ja“, antwortete Grace erfreut. „Im Auto ist noch mehr.“

Ryder lief hinaus und kam mit einer Tüte und dem Sack Trockenfutter zurück. Als Grace seinen Gesichtsausdruck sah, war sie froh, sich für die Aufnahme der Katze entschieden zu haben.

„Was …“, begann er, auf den schweren Sack deutend.

Grace nahm ihm die Einkäufe ab und stellte sie auf die Küchenarbeitsfläche. Sie kramte in der Tüte, bis sie die Porzellanschalen gefunden hatte. „Ich weiß doch, was du vorhattest“, sagte sie.

Es sprach für Ryder, dass er dem Thema nicht auswich. „Er ist so hungrig und verängstigt. Da draußen lauern Gefahren …“

Grace war zutiefst gerührt von dem zärtlichen Ausdruck in Ryders jungem und oft so düsterem Gesicht. Da draußen lauern Gefahren …

Fühlte Ryder sich so verloren wie die kleine Katze? Allein in einer großen, gefährlichen Welt?

Wahrscheinlich.

Grace schluckte und kämpfte gegen die Tränen an. „Es gibt aber ein paar Regeln. Wir fahren so bald wie möglich mit dem Kater zum Tierarzt. Er darf erst ins Haus, wenn er untersucht worden ist. Er muss geimpft und kastriert werden, und du wirst ein paar zusätzliche Arbeiten im Haushalt erledigen, für die Auslagen, die ich habe. Ich kaufe das Futter, aber für alles andere bist du verantwortlich. Dazu gehört auch die Reinigung des Katzenklos. Haben wir eine Abmachung?“

Ryder machte ein ungläubiges Gesicht. „Meinst du das ernst? Ich kann ihn behalten?“

Sie lachte und hätte den Jungen am liebsten umarmt, spürte jedoch, dass es der falsche Zeitpunkt war. Deshalb boxte sie ihn stattdessen nur leicht gegen die Schulter. „Hast du überhaupt irgendetwas von dem mitbekommen, was ich gerade gesagt habe?“

Wie oft hatte man diesem Jungen schon etwas versprochen und ihn dann doch enttäuscht?

„Ja, habe ich“, erwiderte er mit sanfter Stimme. „Danke, Grace. Echt, danke.“

„Hauptsache, du hast zugehört“, sagte sie mit gespielter Strenge. „Das ist dein Kater, nicht meiner. Er wird auf dich angewiesen sein, und das bedeutet eine große Verantwortung für dich.“ In milderem Ton fügte sie hinzu: „Kümmere dich gut um den kleinen Kerl, dann hast du einen treuen Freund. Kann ich mich auf dich verlassen, Ryder? Und er auch?“

Ryders Stimme war heiser, und seine Augen glänzten ein wenig. „Ja“, antwortete er und räusperte sich.

Er wird erwachsen, dachte Grace plötzlich.

Wann war er eigentlich so groß geworden? Sie musste unbedingt mit ihm ein paar neue Anziehsachen kaufen, und zwar möglichst bald.

„Na schön.“ Grace wandte sich ab, um die anderen Lebensmittel auszupacken und damit er sie nicht weinen sah. „Geh jetzt, und füttere deine Katze.“ Dies war die beste Unterhaltung, die Ryder und sie bisher geführt hatten, und sie sollte noch nicht zu Ende sein. Sie blinzelte und schaute über die Schulter. „Wie heißt er denn eigentlich? Hat er schon einen Namen?“

Ryder strahlte. „Bonaparte.“

Grace konnte ihre Überraschung nicht verbergen. „Interessant. Steckt irgendeine bestimmte Bedeutung dahinter?“

„Klar.“ Er stellte den Sack Katzenfutter hin und öffnete ihn, um das Abendessen der Katze in den Napf zu schütten. „Napoleon Bonaparte kam aus bescheidenen Verhältnissen und wurde einer der größten Generäle der Welt. Und er nannte sich Eroberer.“ Mit der zweiten Schale ging er zur Spüle und füllte sie mit Wasser. „Das finde ich sehr beeindruckend.“

„Und wo ist noch mal die Verbindung zwischen dem General und dem Kater?“

Ryder ging mit beiden Näpfen zur Terrassentür und verschüttete dabei ein wenig Wasser. „Ich weiß nicht. Wahrscheinlich gefiel mir einfach die Geschichte. Sieh es mal von der Seite – immerhin habe ich im Geschichtsunterricht aufgepasst.“ Mit dem Ellbogen schob er die Tür auf. „Ich habe dir ja versprochen, dass ich mir mehr Mühe geben werde.“

Auf der Terrasse ging er in die Hocke und stellte die beiden Näpfe hin. Dann schaute er zu Grace.

„Ich wollte nicht hierher“, erinnerte er sie gutgelaunt. „Aber langsam gefällt es mir. Ein bisschen zumindest.“

Grace war gerührt und erfreut zugleich.

Das war doch schon ein Fortschritt.

„Bonaparte ist ein toller Name“, lobte sie ihn.

Sie war sich nicht sicher, ob Ryder sie noch gehört hatte. Aber das spielte letztlich auch keine Rolle. Inzwischen kam die Katze über die Terrassenfliesen angeschlichen, zu ängstlich, um nahe heranzukommen, aber auch zu hungrig, um wegzubleiben.

3. Kapitel

Der dunkelgraue Hengst mit der schwarzen Mähne und dem schwarzen Schweif war die personifizierte Wildheit. Er stand majestätisch da, fast als gehöre er zum frühmorgendlichen Sonnenlicht, das ihn wie eine Aura umgab, während sein Harem aus Stuten in der Nähe graste.

Trotz der Entfernung schien das Tier genau zu wissen, dass es beobachtet wurde; Slater betrachtete den erhobenen Kopf des Pferdes, den direkten Blick, die nach vorn gerichteten Ohren, die kraftvollen Muskeln der Hinterhand. Er schien sowohl zum Kampf als auch zur Flucht bereit zu sein.

Slater stieß einen leisen bewundernden Pfiff aus und reichte das Fernglas an seinen Bruder weiter. „Wow, das ist vielleicht ein Pferd.“