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Wildpferde in der Nähe einer Ranch: Für Lucinda Hale ist das die perfekte Gelegenheit die Tiere zu beobachten! Wenn bloß dieser ignorante Rancher Drake Carson nicht von ihr verlangen würde, dass die Herde möglichst schnell verschwindet. Bei jeder ihrer Begegnungen scheint die Luft zwischen Lucinda und Drake Funken zu sprühen. Und dann küsst er sie plötzlich überraschend zärtlich. Hat dieses Knistern zwischen ihnen etwa doch noch einen anderen Grund? "Unvergessliche Charaktere und ein Knistern in der Luft - dieses Buch muss man einfach lesen!" RT Book Reviews "Eine wunderbare zeitgenössische Western-Trilogie voller Romantik!” Publishers Weekly
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Seitenzahl: 356
Zum Buch
Diese Frau bringt entschieden zu viel Unruhe auf seine Ranch! Drake Carson hat gehofft, dass die Tierforscherin Lucinda Hale ihm bei seinem Problem mit den lästigen Wildpferden hilft. Das tut sie – allerdings auf eine Art und Weise, die Drake provoziert. Je schneller sie wieder verschwindet, desto besser, findet er. Doch dann kehrt Lucinda eines Tages unerklärlicher Weise wirklich nicht mehr auf die Ranch zurück. Drake ist außer sich vor Sorge. Er muss sie finden, bevor die Nacht über Mustang Creek hereinbricht! Kann es sein, dass Lucinda sein wildes Herz unbemerkt gezähmt hat? „Eine wunderbare zeitgenössische Western-Trilogie voller Romantik!“Publishers Weekly
Zur Autorin
Nach ihren ersten Erfolgen als Schriftstellerin unternahm Linda Lael Miller längere Reisen nach Russland, Hongkong und Israel und lebte einige Zeit in London und Italien. Inzwischen ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt – in den weiten „Wilden Westen“, an den bevorzugten Schauplatz ihrer Romane.
Lieferbare Titel
Bliss-County-Serie: Bliss County – Der Hochzeitspakt Bliss County – (K)ein Mann zum Heiraten Bliss County – Der Traum in Weiß Mustang-Creek-Serie: Mustang Creek – Sehnucht ist mein Wort für dich
MIRA® TASCHENBUCH
Copyright © 2017 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der amerikanischen Originalausgabe: Always a Cowboy Copyright © 2015 by Hometown Girl Makes Good, Inc. erschienen bei: HQN Books, Toronto
Published by arrangement with Harlequin Enterprises II B.V. / S. à r. l.
Covergestaltung: büropecher, Köln Coverabbildung: Photolucky / Bigstock Redaktion: Christiane Branscheid
ISBN E-Book 9783955766672
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E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
Liebe Leserinnen und Leser,
willkommen zurück in Mustang Creek, Wyoming, Heimat hinreißender Cowboys und der smarten, wunderschönen Frauen, die sie lieben.
Mustang Creek – Liebe ist mein Gefühl für dich erzählt die Geschichte von Drake Carson, dem zweiten von drei Carson-Brüdern, und Lucinda „Luce“ Hale. Drake ist ein echter Cowboy mit einer Ranch, der Probleme mit einem Hengst hat und Ärger mit einem Berglöwen, der seine gesamte Rinderherde auszulöschen versucht. Ganz sicher hat er keine Zeit – zumindest glaubt er das – für jemanden wie Luce, eine Fremde, bei der es sich obendrein um einen Eindringling handelt.
Luce führt im Zuge ihrer Doktorarbeit eine Studie durch, und ihr Thema sind wilde Mustangs und deren Beziehung zum Vieh auf einer Ranch und der Ranch selbst. Sie ist eine entschlossene Stadtfrau, die bereit ist, über Zäune zu klettern und meilenweit zu wandern, bei jedem Wetter. Luce will alles über das Leben auf einer Ranch erfahren, und über Rancher – ganz besonders über einen.
Wenn Sie das erste Buch dieser neuen Trilogie gelesen haben, Mustang Creek – Sehnsucht ist mein Wort für dich, werden Sie viele Charaktere wiedererkennen, und ich hoffe, Sie fühlen sich unter ihnen gleich wie zu Hause.
Im dritten Buch dieser Serie, Mustang Creek – Glück ist mein Geschenk für dich, dreht sich alles um Mace, den Cowboy und Winzer und jüngsten der Carson-Brüder, sowie die Frau, deren Leben er einst gerettet hat.
Das Leben auf einer Ranch ist mir sehr vertraut, denn ich lebe selbst auf einer kleinen, die den Namen Triple L trägt. Wir haben auch einige Tiere: fünf Pferde, zwei Hunde und zwei Katzen. Und das sind nur die offiziellen Bewohner – wir teilen uns das Land außerdem mit wilden Truthähnen, Hirschen und gelegentlich auch mit Elchen. Ich würde nicht anders wohnen wollen.
Die Liebe zu Tieren zeigt sich in meinen Geschichten, und ich lasse mir die Chance nie entgehen, für sie, die keine Stimme haben, zu sprechen. Also unterstützen Sie bitte das Tierheim in Ihrer Nähe, lassen Sie Ihre Haustiere sterilisieren und kastrieren. Und wenn Sie sich einsam fühlen, befreien Sie doch einfach einen Vierbeiner, der nur darauf wartet, jemanden dankbar zu lieben.
Danke, dass Sie mir einen Moment zugehört haben, und nun viel Vergnügen mit dieser Geschichte.
Alles Gute,
Linda Lael Miller
Für Doug und Teresa in Liebe
Das Wetter war einfach Mist, aber das machte Drake Carson nichts aus. Seiner Meinung nach war Regen besser als Schnee, und was Graupel anging, na ja, der war übel, besonders wenn man sich in offenem Gelände befand und er einem wie eine Schrotladung ins Gesicht wehte. Ja, ein sanfter Regen war ihm jederzeit lieber, und zwar einer, der schon den kommenden Frühling ankündigte. Wie dem auch sei, er hielt es aus, ein bisschen nass zu werden.
Hier in Wyoming, nahe den Bergen, konnten der Monat Mai sonnig sein und auf den Weiden die Wildblumen blühen – oder ein wilder Blizzard tobte und ließ Mensch und Vieh im Schnee versinken.
Drake klappte den Jackenkragen hoch und trieb das Pferd mit Fersendruck an. Starburst gehorchte, allerdings zögernd, wie es schien. Er wirkte unruhig, was untypisch war für das Tier und Drake daher wachsam machte. Pferde waren Beutetiere und erfassten ihre Umgebung mit ihren Instinkten viel intensiver, als Menschen es vermochten.
Irgendetwas stimmte nicht, das war mal sicher.
Seit fast einem Jahr fehlte immer wieder Vieh, wenn Drake und seine Leute zählten. Eine gewisse Verlustrate war unvermeidlich, aber zu viele Kälber, dazu hin und wieder ein Bulle oder eine Färse, waren in den vergangenen zwölf Monaten verschwunden.
Manchmal fanden sie einen Kadaver. Manchmal nicht.
Wie alle Rancher nahm Drake jeden Verlust in seiner Herde ernst, und er wollte den Grund dafür kennen.
Die Carson-Ranch war groß, und man konnte nicht alles gleichzeitig im Auge behalten. Drake gab jedoch sein Bestes.
„Bleibt bei mir“, befahl er seinen Hunden Harold und Violet, zwei Schäferhunde aus demselben Wurf und zwei der besten Freunde, die er je gehabt hatte.
Dann, die Zügel leicht anziehend, für den Fall, dass Starburst auf die Idee kommen sollte durchzugehen, statt wie jetzt nur seitlich zu trippeln und leicht zu scheuen, spähte Drake mit zusammengekniffenen Augen in den Regen. Was immer er zu sehen erwartet hatte, einen Grizzly, eine Wildkatze oder gar Viehdiebe – mit einer Frau hatte er auf keinen Fall gerechnet. Sie befand sich direkt vor ihm, geduckt hinter einem kleinen Baum und offenbar bis auf die Knochen durchnässt, trotz des dunklen Regenmantels, in den ihr schlanker Körper gehüllt war.
Sie schaute durch ein Fernglas und hatte offenbar weder Drake noch seine Hunde und sein Pferd bemerkt, was trotz des schlechten Wetters eigentlich nicht möglich war, denn sie standen jetzt keine fünfzig Meter von der Frau entfernt.
Wer diese Lady auch sein mochte, allzu wachsam war sie nicht.
Beim Näherkommen betrachtete er sie genauer, aber nichts an ihr kam ihm bekannt vor. Eine Frau aus der Gegend hätte er erkannt. Mustang Creek war eine kleine Gemeinde, da fielen Fremde sofort auf.
Wie dem auch sei, überall auf der Ranch gab es Schilder, dass Unbefugten das Betreten verboten sei, hauptsächlich um Touristen jenseits der Zäune zu halten. Viele von denen hatten zu viele Tierfilme gesehen und glaubten, sie könnten sich einem Bären nähern, einem Bison oder Wolf, um ein Selfie zu schießen und es in den sozialen Netzwerken zu verbreiten.
Manche waren einfach naiv oder unachtsam, andere wiederum waren schlicht Besserwisser, die Warnungen von Park Rangern, professionellen Wildnisführern oder besorgten Einheimischen ignorierten. Es ärgerte Drake, welche Risiken solche Leute eingingen, indem sie in verbotenen Gegenden campierten und wanderten. Die marschierten direkt in den natürlichen Lebensraum der Tiere, als handele es sich um einen Streichelzoo. Wer Glück hatte, kam mit dem Leben davon, nur manchem fehlten hinterher das Haustier oder ein paar Körperteile.
Drake hatte oft genug an Rettungs- und Suchaktionen des Sheriff Departments von Bliss County teilgenommen und Dinge gesehen, die ihn nachts nicht schlafen ließen, wenn er zu sehr daran dachte.
Er verdrängte die grausamen Bilder und konzentrierte sich auf das aktuelle Problem – die Frau im Regenmantel. Er fragte sich, zu welcher Kategorie sie wohl gehörte – naiv, achtlos oder arrogant.
Momentan schien sie nicht in Gefahr zu sein, allerdings bekam sie anscheinend auch nicht viel mit von ihrer Umgebung, bis auf das, was sie durch das Fernglas beobachtete.
Es dämmerte Drake, dass nicht sie der Grund für die Unruhe seines großen Appaloosa-Wallachs war.
Das Fernglas der Frau war auf die Weide jenseits des kleinen Pappelwäldchens gerichtet, eher ein flaches Tal mit angrenzendem bergigen Gelände, durch das ein Bach floss. Starburst tänzelte, sodass Drake sanft an den Zügeln ziehen und ihn ermahnen musste.
Das Pferd beruhigte sich ein wenig.
Drake stellte sich in den Steigbügeln auf und sah in die Richtung, in die die Frau mit dem Fernglas blickte. Er stutzte und konnte für einen kurzen Moment nicht glauben, was er da sah, nach Tagen, Wochen, Monaten der Suche, in denen er sie höchstens einmal aus der Ferne zu sehen bekommen hatte.
Aber da waren sie, in voller Lebensgröße – der Hengst und seine Herde wilder Mustangs, dazu ein halbes Dutzend Stuten von Drakes Weiden.
Er vergaß die Frau für einen Moment, diesen Eindringling im Regenmantel, so fasziniert war er von dem erhabenen Anblick. Der Hengst war schlank, aber muskulös, wie eine Skulptur aus der Hand eines Meisters. Sein Fell war von einem geisterhaften Grau, vom Regen dunkler geworden, während Schweif und Mähne tiefschwarz waren.
Das Tier trank aus dem Bach und hob dann langsam den Kopf. Es hatte seine Beobachter zweifellos bemerkt, machte jedoch keine Anstalten zu fliehen. Aus einer Entfernung von jetzt weniger als hundert Metern schien der Hengst Drake regelrecht zu mustern.
Die anderen Tiere der Herde, einschließlich der Stuten, hielten inne, die Köpfe erhoben, Ohren nach vorn gerichtet, die Hinterläufe angespannt, als warteten sie auf ein Signal des Hengstes.
Drake empfand Bewunderung für diesen vierbeinigen Teufel, obwohl er ihn gleichzeitig verfluchte. Als er Starburst die Hacken in die bebenden Flanken drückte, eine ganz vage Bewegung nur, reagierte der Hengst. Seine Nüstern weiteten sich, er schnaubte und rollte mit den Augen, ehe er den Kopf zurückwarf und wieherte. Der Laut zerriss die regenfeuchte Luft.
Die Herde stob auseinander, auf den Berghang zu.
Der Hengst blieb noch und sah, wie Drake, das Lasso wurfbereit in der Hand, sein Pferd aus dem Stand zum Galopp antrieb.
Noch ehe Starburst den Bach erreichte, wirbelte der große Graue herum und galoppierte, als besäße er Flügel, über die Lichtung und den Hang hinauf.
Drake und sein Wallach preschten durch den Fluss, die Hunde immer an ihrer Seite.
Doch so schnell sie auch waren, es war wie eine der Zeitlupenszenen in den Dokumentarfilmen seines Bruders Slater. Sie schafften es einfach nicht, zu dem Hengst nennenswert aufzuholen.
Oben auf dem Kamm blieb der Hengst stehen. Er und seine Herde hoben sich als Silhouetten vor dem stürmischen Himmel ab. Die Zeit schien stillzustehen für einen Augenblick, dann war der Bann gebrochen, und die Herde verschwand, als verschmelze sie mit den Wolken.
Drake wusste sofort, dass er diese Runde verloren hatte.
Er brachte Starburst zum Stehen, riss sich den Hut vom Kopf und schlug damit gegen seinen linken Oberschenkel. Dann setzte er ihn wieder auf. Noch außer Atem, wickelte er mit zusammengebissenen Zähnen das Lasso auf und befestigte es am Sattel.
Harold und Violet waren weitergeprescht und inzwischen am Fuß des Grats angekommen und schauten verwirrt und hechelnd zu Drake zurück.
Drake rief sie mit einem schrillen Pfiff, und sie kamen mit hängenden Zungen angelaufen. Sie schienen enttäuscht zu sein und winselten aus Protest, weil sie zurückgepfiffen worden waren. Drake fühlte sich dadurch noch mehr wie ein Verlierer.
Harold und Violet, benannt nach seinen beiden Lieblingslehrern an der Grundschule, waren klitschnass, verziehen aber rasch, was man von den Menschen nicht unbedingt behaupten konnte, ihn eingeschlossen.
Erst als sie den Fluss erneut überquert hatten, fiel Drake die Frau wieder ein. Nachdem der Hengst ihn gerade abgehängt hatte, wurmte ihn ihre Gegenwart umso mehr.
Sie stand da, als er auf sie zuritt, ihr Gesicht ein helles Oval unter der Kapuze ihres Regenmantels.
Mit bitterer Belustigung registrierte er, dass sie eine kampfbereite Haltung eingenommen hatte, die Füße auseinander, die Ellbogen abgewinkelt, die Fäuste in die Hüften gestemmt.
Beim Näherkommen sah er das zornige Funkeln in ihren Augen und die zu einer schmalen Linie zusammengepressten Lippen.
Unter anderen Umständen hätte er laut losgelacht über so viel Dreistigkeit, doch momentan machte ihm sein Stolz zu sehr zu schaffen.
Seit Langem war er dem Hengst nicht so nahe gekommen – oder seinen wertvollen Stuten. Zwar ließ er die Pferde nur äußerst ungern so leicht wieder entkommen, aber die Hunde wären nach einer Verfolgung am Ende gewesen. Womöglich wären ihnen sogar die Schädel eingetreten worden. Sie waren für den Viehtrieb gezüchtet worden, nicht für das Treiben von Wildpferden.
Er blickte sich noch einmal um und entdeckte in diesem Moment sein braunes Quarterhorse, eine zweijährige Stute mit tadelloser Abstammung, die oben auf dem Hügelkamm erschienen war. Kurz flackerte Hoffnung in ihm auf, doch ehe er auch nur einen Laut von sich geben konnte, kam der Hengst zurück, bedrängte die Stute, biss sie in die Flanken und stieß sie mit dem Kopf an.
Und dann war sie wieder verschwunden.
Verdammt!
„Vielen Dank auch, Mister!“
Das war die Frau, der Eindringling. Sie stürmte durch das sich im Regen biegende Gras auf Drake zu und schwenkte dabei das Fernglas wie ein Dirigent seinen Taktstock während einer Symphonie. Bis zu diesem Augenblick hatte Drake sie schon wieder vergessen, und die Erinnerung hob seine Stimmung nicht unbedingt.
Sie bot vielleicht einen Anblick, wie sie da durchs Gras marschierte, wedelnd und wütend und nass bis auf die Knochen.
Drake wartete still ab und ließ die aufgebrachte Frau auf sich zukommen.
Erstaunlicherweise kehrte unvermittelt seine innere Gelassenheit zurück. Tatsächlich war er ein wenig neugierig auf diese Frau, nachdem sich seine Angespanntheit wegen des Hengstes nun allmählich gelegt hatte.
Drake hoffte, dass dieser kleine, aber definitiv heftige auf ihn zueilende Tornado nicht in ein Erdhörnchenloch trat und sich ein Bein brach oder womöglich von einer Schlange gebissen wurde, bevor sie bei ihm ankam.
Geboren und aufgewachsen auf diesem Land, wusste Drake um die Gefahren und Tücken und wie wichtig Vorsicht war. Hier draußen war Erfahrung nicht nur der beste Lehrer, sondern auch ein harter.
Als die Lady näher kam, konnte er ihr Gesicht besser erkennen, das noch immer von der Kapuze ihres Regenmantels eingerahmt war. Ihre bernsteinfarbenen Augen funkelten. „Haben Sie eigentlich eine Ahnung, wie lange es gedauert hat, mich diesen Pferden zu nähern? Tage!“ Sie machte einen wütenden tiefen Atemzug. „Und was passiert, als es mir endlich gelungen ist, die Tiere aufzuspüren? Sie tauchen auf und verscheuchen sie!“
Drake zupfte an seiner Hutkrempe und wartete.
„Tage!“, wiederholte sie außer sich und stampfte dabei auch noch mit ihrem rechten Fuß auf.
Drake verspürte den Drang zu grinsen, ließ es aber. „Verzeihung, Ma’am, aber ich bin etwas verwirrt. Sie sind hier, weil …?“
„Na, wegen der Pferde!“ Ton und Stimmhöhe signalisierten ihm deutlich, dass anscheinend nur ein Idiot diese Frage stellen konnte. Offenbar glaubte sie, er müsse doch wohl in der Lage sein, ihre Gedanken zu lesen – und zwar im Voraus und aus der Entfernung. Typisch Frau.
Im Stillen gratulierte er sich zu seiner Selbstbeherrschung und zu dem vernünftigen Ton. „Ich verstehe“, sagte er, obwohl er natürlich überhaupt nichts verstand. Es war sein Land, auf dem sie sich befand, aus einem Grund, den er immer noch nicht kannte.
„Sie könnten sich wenigstens entschuldigen“, erklärte sie, die Hände wieder auf den schmalen Hüften, was ihre Brüste auf attraktive Weise anhob.
Nach wie vor auf dem Pferd sitzend, schob Drake seinen Hut erneut zurecht. Die Hunde hatten sich zu beiden Seiten gesetzt und beobachteten die Szene mit ruhigem Interesse. Starburst dagegen wieherte, tänzelte und warf den Kopf hin und her, als sei die Frau unverhofft aufgesprungen und habe ihn damit erschreckt.
Als Drake endlich antwortete, klang er betont freundlich, um sie noch ein bisschen mehr auf die Palme zu bringen. Wenn es etwas gab, was wütende Frauen hassten, vermutete er, dann übertriebene Höflichkeit. „Warum sollte ich mich entschuldigen? Schließlich lebe ich hier. Dies ist Privatbesitz, Miss …“
Sie blieb völlig unbeeindruckt von dieser Information. Und ihren Namen gab sie auch nicht preis.
„Ich habe Stunden gebraucht, um diese Pferde aufzuspüren“, lamentierte sie stattdessen weiter und fuchtelte dazu mit den Armen, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Noch dazu bei diesem Wetter! Und endlich komme ich ihnen nah genug, um sie in ihrem natürlichen Lebensraum zu beobachten, und Sie … Sie …“ Sie hielt inne, aber nur, um Luft zu holen und ihn anschließend weiter mit Worten zu bombardieren. „Versuchen Sie doch mal, sich stundenlang hinter einem Baum zu verstecken, ohne auch nur einen Muskel zu bewegen, während Ihnen das Wasser in den Nacken tropft!“
Drake hätte sie darauf aufmerksam machen können, dass ihm raues Wetter nicht fremd war, da er regelmäßig die Zäune abritt und bei allen Witterungsbedingungen draußen arbeitete, ob in sengender Hitze oder eisigen Schneestürmen. Aber er hatte nicht das Bedürfnis, es dieser Frau oder sonst jemandem auf diesem Planeten zu erklären.
Sein verstorbener Vater Zeke Carson hatte getreu seiner Überzeugung gelebt, die er seinen Kindern früh vermittelt hatte: niemals klagen. Lass dein Handeln für sich sprechen.
„Warum verstecken Sie sich hier eigentlich hinter meinem Baum?“, wollte er ruhig wissen.
Sie brauste sofort wieder auf. „Ihr Baum? Ein Baum gehört niemandem. Und ich habe mich nicht versteckt!“
„Doch, haben Sie“, widersprach er nun mit bester Laune. „Und vielleicht haben Sie recht mit dem Baum. Allerdings kann der Boden, auf dem ein Baum wächst, durchaus jemandem gehören. Und das ist hier der Fall, fürchte ich.“
Sie verdrehte die Augen.
Na fabelhaft, dachte er, halb belustigt, halb verärgert, eine Baum-Umarmerin und anscheinend echte Ökotante.
Wahrscheinlich fuhr die Frau einen von diesen kleinen Hybridwagen. Er hatte nichts gegen diese Autos, aber vermutlich hielt sie sich für einen besseren Menschen, wenn sie mit der Geschwindigkeit eines Aufsitzmähers auf der Überholspur fuhr.
Drake zügelte seine Gedanken, denn er unterstellte ihr eine ganze Menge.
Trotzdem, er bemühte sich, die Umwelt zu schonen, Bäume eingeschlossen, und wenn diese Frau etwas anderes andeuten wollte, würde sie ihn kennenlernen. Niemand liebte die Natur mehr als er. Darüber hinaus hatte er das Recht, dieser Frau Fragen zu stellen. Die Carsons besaßen dieses Land seit der ersten Besiedelung, und für den Fall, dass sie es nicht mitbekommen hatte: Drake führte hier weder einen öffentlichen Campingplatz, noch war dies ein Nationalpark.
Er beugte sich im Sattel ein wenig nach vorn. „Sagen Ihnen eigentlich die Worte ‚Betreten verboten‘ irgendetwas?“
Er genoss diese Begegnung nach wie vor, was er sich natürlich nicht anmerken ließ. Irgendwie machte ihm die Sache mehr Spaß, als sie sollte.
Sie sah nur finster und trotzig zu ihm hoch.
„Na schön. Mal sehen, ob wir die Angelegenheit klären können. Dieser Baum da …“ Er zeigte auf den, hinter dem sie sich versteckt hatte, und sprach sehr langsam, damit sie ihm auch wirklich folgen konnte. „Der steht auf meiner Ranch.“ Er machte eine Pause. „Ich bin Drake Carson. Und Sie sind?“
Ihre erstaunte Miene freute ihn. „Sie sind Drake Carson?“
„Der war ich jedenfalls noch, als ich heute Morgen aufgewacht bin“, erwiderte er. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das seitdem geändert hat.“ Er ließ ein paar Augenblicke verstreichen. „Jetzt noch mal zu meiner ursprünglichen Frage. Was machen Sie hier?“
Sie schien in sich zusammenzusinken, und Drake deutete das zumindest als kleinen Sieg für sich. Nach feiern war ihm deswegen aber noch lange nicht zumute. Ihre Art raubte ihm den letzten Nerv. Andererseits hatte sie etwas sehr Zartes an sich, was seine Beschützerinstinkte weckte. „Ich beobachte die Pferde.“
Drake nickte, und Wasser tropfte vorn von seiner Hutkrempe. „Na ja, das habe ich schon begriffen. Aber darum geht es nicht. Wie ich bereits mehrfach erwähnte, handelt es sich hier um ein Privatgrundstück. Und wenn Sie sich die Erlaubnis geholt hätten, sich auf diesem Land aufzuhalten, wüsste ich davon.“
Sie errötete, gab jedoch keine weitere Erklärung ab. Sie machte den Mund auf und wieder zu, und ihre Augen weiteten sich. „Sie sind das.“
„Und Sie sind?“
Im nächsten Moment polterte sie schon wieder los, seine Frage völlig ignorierend. „Großer Mann auf großem Pferd“, bemerkte sie spöttisch. „Sehr einschüchternd.“
Noch vor wenigen Sekunden hatte er die Oberhand gehabt, jetzt hatte er das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Was in jeder Hinsicht lächerlich war.
Er holte tief Luft, atmete langsam wieder aus und sprach mit ruhiger Autorität. Hoffte er jedenfalls. „Glauben Sie mir, es ist nicht meine Absicht, Sie einzuschüchtern. Ich versuche Ihnen nur klarzumachen, dass Sie sich hier nicht aufhalten dürfen. Und mich anschreien schon gar nicht.“
„Doch, darf ich.“ Sie klang gereizt. „Mich hier aufhalten jedenfalls. Und ich glaube nicht, dass ich geschrien habe.“
Ganz schön dreist. Drake sah auf die Frau herunter, die inzwischen neben seinem Pferd stand, unerschrocken und standhaft.
„Wie bitte?“
„Ich habe absolut das Recht, mich hier aufzuhalten“, stellte sie klar. „Ich habe Ihre Mutter um Erlaubnis gefragt. Sie sagte, das sei überhaupt kein Problem. Sie war sogar sehr entgegenkommend.“
Verdammter Mist.
Warum hatte sie das denn nicht gleich gesagt?
Und wieso hatte seine Mutter ihm gegenüber von alldem nichts erwähnt?
Aus irgendeinem Grund konnte er jetzt jedoch nicht zurück, selbst angesichts dieser neuen Entwicklung. Vielleicht lag es an seinem Stolz und einer gewissen Sturheit. „Okay. Verraten Sie mir, warum Sie Wildpferde beobachten wollen? Wenn man mal bedenkt, dass sie wild sind … und so.“
Sie war noch immer völlig unbeeindruckt. Keine große Überraschung, aber dennoch frustrierend. „Ich schreibe meine Doktorarbeit über die Koexistenz von Wildtieren, insbesondere Wildpferden, mit den Nutztieren auf einer Ranch.“ Dann fügte sie hinzu: „Und wie Rancher sich ihnen gegenüber verhalten. Rancher wie Sie.“
Rancher wie er. Klar.
„Lassen Sie uns eines lieber gleich klarstellen“, erwiderte er und fragte sich insgeheim, weshalb ihm diese Wendung gefiel. „Meine Mutter mag es Ihnen gestattet haben, alle Pferde auf diesem Land heimzusuchen. Aber das reicht auch. Mich werden Sie nicht beobachten oder studieren.“
„Wollen Sie damit sagen, dass Sie Ihrer Mutter nicht gehorchen?“
„Ganz genau.“ Das war ja wohl der Gipfel. Wieso ärgerte er sich hier draußen in dem verfluchten Regen mit dieser Frau herum? Mit dieser selbst erklärten Intellektuellen? Er fror mittlerweile, war müde und durchnässt, und er hatte Hunger, denn bevor er das Haus am Morgen verlassen hatte, waren eine Scheibe Toast und eine Tasse Kaffee sein ganzes Frühstück gewesen. Es hatte ihn gedrängt, endlich loszulegen, doch jetzt war sein Blutzuckerspiegel im Keller, und das hatte keine günstige Wirkung auf seine Laune.
Das Sattelleder knarrte, als er sich zu der Frau herunterbeugte. „Hören Sie, Miss Wer-auch-immer-Sie-sind, Ihre Thesen und Theorien über Rancher und Wildpferde interessieren mich nicht im Geringsten. Tun Sie, was immer Sie tun, aber kommen Sie mir nicht in die Quere und versuchen Sie, dabei irgendwie am Leben zu bleiben.“
Sie zuckte mit keiner Wimper. „Hale“, sagte sie fröhlich, als hätte er gar nicht gesprochen. „Mein Name ist Lucinda Hale, aber alle nennen mich Luce.“
Er machte einen langen, tiefen Atemzug. Wann hatte er jemals solche Mühe gehabt, den Namen einer Frau in Erfahrung zu bringen? Drake konnte sich nicht erinnern. „Dann eben Miss Hale“, begann er und zupfte an der Hutkrempe, mehr eine automatische Geste, weniger eine freundliche. „Ich werde mich wieder auf den Weg machen. Ich bin sicher, Ihre Arbeit ist absolut faszinierend und bestimmt von entscheidender Bedeutung für die Zukunft unseres Planeten. Nur habe ich leider noch eine Menge zu tun. Obwohl mir unser Schattenboxen wirklich ganz ausgezeichnet gefallen hat, fehlt es mir einfach an freier Zeit.“
Er hätte ebenso gut gegen die Stallwand reden können. „Oh, keine Sorge“, erwiderte sie heiter. „Nicht mal im Traum würde ich Sie stören. Ich werde nur eine Beobachterin sein, mehr nicht. Ich werde zuschauen, herausfinden, wie der Betrieb läuft, und mir ein paar Notizen machen. Sie werden gar nicht merken, dass ich da bin.“
Drake verkniff sich einen Kommentar. Er wendete Starburst, die Hunde blieben jedoch sitzen, wo sie waren, anscheinend noch zu fasziniert vom ganzen Szenario. „Sie haben recht, Miss Hale. Ich werde nicht merken, dass Sie da sind, weil Sie es nämlich nicht sein werden. Jedenfalls bestimmt nicht in meiner Nähe.“
„Sie sind wirklich ein schwieriger Mann“, stellte sie beinah traurig fest. „Sicher können Sie den Wert meines Projekts ermessen. Interaktionen von Wildtieren, Haustieren und Menschen?“
Luce war kalt, nass, ein wenig amüsiert und sehr fasziniert.
Drake Carson starrte sie an wie jemanden aus einem Paralleluniversum, der ein Ballettröckchen trägt und mit einem Zauberstab herumfuchtelt. Seine zwei wunderschönen Hunde, die gehorsam auf einen Befehl oder eine Geste ihres Herrn warteten, schienen genauso neugierig zu sein.
Die Bestürzung auf dem Gesicht des Mannes war unbezahlbar.
Und was für ein attraktives Gesicht das war, zumindest das, was sie davon erkennen konnte unter der Hutkrempe. Wenn er seinem jüngeren Bruder Mace ähnelte, den sie heute schon kennengelernt hatte, war er ein äußerst beeindruckender Mann.
Sie beschloss, ein wenig Druck zu machen, einfach um zu sehen, was passierte. „Sie leiten diese Ranch, nicht wahr?“
„Ich tue mein Bestes.“
Sie mochte seine tiefe Stimme, mit der er jetzt sprach, gar nicht mehr spöttisch wie zuvor. „Dann sind Sie der Mann, den ich will.“
Offene Tür, Fuß rein, dachte sie.
„Für mein Projekt, meine ich“, fügte sie rasch hinzu.
„Ich habe keine Zeit, für Sie den Babysitter zu spielen. Das hier ist eine Ranch, keine Ferienanlage.“
„Wie ich schon mehrmals erklärt habe, Mr. Carson, müssen Sie nichts dergleichen tun. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen und verspreche Ihnen, ich werde nicht im Weg sein.“
Ihre Beteuerungen schienen ihn nicht zu überzeugen. Und nach wie vor war er sehr gereizt.
Aber er war noch nicht davongeritten.
Luce war vorgewarnt worden, dass Drake nichts von ihrem Projekt halten würde. Doch mit so viel Ablehnung und Widerstand hatte sie nicht gerechnet. Für gewöhnlich konnte sie sehr überzeugend sein und vernünftig.
Es half natürlich, wenn der andere wenigstens ein bisschen entgegenkommend war.
In Gedanken ging sie noch einmal die Dinge durch, die sie über Drake Carson erfahren hatte.
Er leitete die Ranch, die sich auf Tausende Hektar ausdehnte und Heimat vieler Rinder und Pferde war und eben auch vieler Wildtiere. Die Carsons waren seit Generationen in Bliss County, Wyoming. Er liebte die freie Natur und konnte gut mit Tieren umgehen, besonders mit Pferden.
Ein echter Cowboy.
Ein wortkarger Cowboy noch dazu, Einzelgänger, nur schwer aus der Ruhe zu bringen – doch wenn er mal wütend wurde, dann konnte er furchteinflößend sein. Drake war zweiunddreißig und nie verheiratet gewesen; er hatte Ackerbau und Viehzucht studiert und war anschließend gleich auf die heimische Ranch zurückgekehrt, da er nirgendwo anders leben wollte. Er arbeitete von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang und manchmal noch länger.
Harry, die Haushälterin der Carsons, deren richtiger Name Harriet Armstrong lautete, hatte köstlichen Kuchen serviert, als Luce heute früh im Hauptgebäude der Ranch ankam. Sobald Harry verstanden hatte, wer Luce war und weshalb sie kam, hörte sie gar nicht mehr auf, Informationen über Drake preiszugeben.
Luce war auch Mace Carson begegnet, Drakes jüngerem Bruder, allerdings nur sehr kurz, als er vom Weingut der Familie auf ein Stück Kuchen hereinschaute. Harry stellte sie einander vor und erklärte Luce’ Mission – dass sie Material sammelte für ihre Doktorarbeit und deshalb Drake interviewen wollte, um die Sicht der Rancher besser zu verstehen.
Mace hatte lächelnd den Kopf geschüttelt. „Ich bin froh, dass Sie hier sind, Miss Hale. Aber ich fürchte, mein Bruder wird Ihnen als Forschungsobjekt nicht viel nützen. Ihn interessiert nicht viel mehr als seine Arbeit, und er mag Ablenkungen überhaupt nicht. Macht ihn reizbar.“
Ein schneller Blick in Harrys Richtung bestätigte das mulmige Gefühl, das Mace’ Worte in ihr ausgelöst hatten. Die ältere Frau nickte widerstrebend, aber zustimmend.
Tja, dachte Luce jetzt, wo sie Drake kennengelernt hatte, Harry und Mace wussten beide sehr wohl, wovon sie sprachen.
Drake war definitiv gereizt.
Einen Moment lang blickte der Cowboy grimmig in die Ferne, dann murmelte er: „Als hätte dieser verdammte Hengst mich nicht schon genug geärgert.“
„Ach, Kopf hoch“, meinte Luce; sie liebte Herausforderungen. „Ich bin ja hier, um zu helfen.“
Drake richtete den Blick auf sie. „Mensch, warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt.“ Er wedelte mit der einen Hand, während die Zügel in der anderen lagen. „Damit sind all meine Probleme auf einen Schlag erledigt.“
„Sagten Sie nicht, Sie wollen los?“, erinnerte Luce ihn.
Drake machte den Mund auf und schien etwas loswerden zu wollen, zögerte jedoch. Dann sagte er mit leicht rauer Stimme: „Hatte ich auch vor. Aber wenn ich das mache, stehen Sie allein hier draußen.“ Er schaute sich um. „Wo ist Ihr Pferd? Sie werden diesen Tieren heute nicht mehr näherkommen. Dafür wird der Hengst schon sorgen.“
„Das klingt, als würden Sie ihn sehr gut kennen.“
„Wir verstehen einander“, meinte Drake. „Sollten wir auch. Wir spielen dieses Spiel nämlich schon seit einer Weile.“
Das würde ganz sicher in ihre Notizen einfließen.
Sie antwortete ein wenig verspätet auf seine indirekte Frage, wie sie hierhergekommen sei. „Ich habe kein Pferd. Ich habe meinen Wagen am Ranchhaus geparkt und bin von dort hierher gewandert.“
Bevor die Wolken heranzogen und es anfing zu regnen, war der Tag atemberaubend schön gewesen. Luce war in allen westlichen Staaten und in Europa gewandert, und dieses Land war wundervoll, die Grand Tetons einfach großartig.
„Es ist ziemlich weit vom Haus bis hierher. Sie haben den ganzen Weg zu Fuß zurückgelegt?“ Drake musterte sie skeptisch. „Wusste meine Mutter, dass Sie so verrückt sind, als sie Ihnen gestattete, hier Ihre Studien zu treiben?“
„Ich wandere gern. Ein bisschen Regen macht mir nichts aus. Ich werde heiß duschen und mich umziehen, sobald ich wieder im Haus bin …“
„Wieso im Haus?“, hakte er misstrauisch nach. „Sie bleiben dort?“
An dieser Stelle hätte sie ihm erklären können, dass Blythe Carson eine alte Freundin ihrer Mutter war und sie daher längst in einem der Gästezimmer untergebracht worden war. Aber sie beschloss, es vorerst unerwähnt zu lassen, damit er nicht dachte, sie nutze das aus. Auf keinen Fall wollte sie der Familie Unannehmlichkeiten bereiten, und sollte sie dennoch das Gefühl haben, zur Last zu fallen, würde sie ins Hotel ziehen. Eigentlich hatte sie das ohnehin vorgehabt, aber Blythe, gastfreundlich, wie sie war, wollte nichts davon hören. Es gebe genug Platz, sagte sie, und es sei doch nicht sinnvoll, ständig zwischen der Stadt und der Ranch zu pendeln, wenn Luce’ Arbeit hier war.
„Das Haus ist übrigens ganz großartig“, bemerkte sie, um die Lage ein wenig zu beruhigen. „Ganz anders als das, was ich hier draußen im weiten Land erwartet habe. All die Kronleuchter, Ölgemälde und tollen Antiquitäten.“ Plapperte sie? Ja, ganz eindeutig, und sie schien gar nicht mehr aufhören zu können. „Ich meine, es ist nicht gerade die Ponderosa.“ Sie schenkte Drake ein strahlendes Lächeln. „Ich wollte mir ein Hotelzimmer nehmen oder auf dem Campingplatz zelten, aber Ihre Mutter war dagegen. Tja, und nun bin ich hier.“ Warum konnte sie nicht einfach den Mund halten? „Mein Zimmer hat eine fantastische Aussicht. Es wird unglaublich sein, jeden Morgen beim Aufwachen die Berge zu sehen.“
Drake schien noch nicht ganz zu begreifen, und das war auch kein Wunder, so wie sie drauflosplapperte. „Sie wohnen bei uns?“
Hatte sie das nicht gerade gesagt?
Sie setzte ihr treuherzigstes Lächeln auf. „Wie sonst sollte ich Sie wohl in Ihrer natürlichen Umgebung beobachten?“ Eigentlich wollte sie zumindest einen Teil der Zeit campieren, vorausgesetzt, das Wetter wurde besser, schon allein deshalb, weil sie sich gern in der Natur aufhielt.
Drake war einer der Gründe, weshalb sie diese Gegend für ihre Forschung ausgewählt hatte, nur wusste er das nicht. Er war als hart arbeitender, rechtschaffener, intelligenter Rancher allgemein sehr geachtet.
Dass er sich für Tiere einsetzte, hatte sie gewusst, bevor Harry ihr die persönlichen Dinge aus Drakes Leben erzählte. Sie hatte auch gewusst, dass er ein bekannter Rancher war und im Nebenfach Ökologie studiert hatte. Zum ersten Mal war sie als Studienanfängerin auf seinen Namen in einem Artikel gestoßen. Es handelte sich dabei um ein Zitat, in dem er seine Überzeugung zum Ausdruck brachte, dass umfangreiche Viehzucht ohne die Gefährdung der Wildtiere oder der Umwelt möglich sei. Zu ihrer Entscheidung hatte auch die Tatsache beigetragen, dass ihre Mutter und Blythe Carson befreundet waren – das erleichterte den Zugang.
Sie betrachtete Drake verstohlen. Er saß in selbstbewusster, entspannter Haltung im Sattel und hielt die Zügel locker in der Hand. Das gut ausgebildete Pferd verhielt sich ruhig und fraß Gras, während sie sich unterhielten.
„Tja, ich bringe Sie mal lieber zurück, bevor Ihnen noch etwas zustößt.“ Drake unterbrach ihre Betrachtungen, beugte sich zu ihr herunter und streckte den rechten Arm aus. „Steigen Sie auf.“
Sie sah die dargebotene Hand an und biss sich auf die Lippe. Sollte sie ihm erklären, dass sie trotz ihres Interesses an Pferden keine erfahrene Reiterin war? Das letzte Mal hatte sie mit zwölf im Sommercamp im Sattel gesessen, und da hatte irgendetwas ihr Pferd erschreckt. Sie wurde abgeworfen, brach sich das Schlüsselbein und den rechten Arm und wurde noch dazu fast zertrampelt.
Ja, sie hegte ein leidenschaftliches Interesse für Pferde, war im Umgang mit ihnen jedoch alles andere als sicher.
Nur konnte sie ihm das schlecht sagen, jedenfalls nicht nach dem Gespräch, das sie gerade geführt hatten. Er würde bestimmt lachen oder eine gemeine Bemerkung machen, und allein schon bei dieser Vorstellung litt ihr Stolz.
Außerdem würde nicht sie die Zügel des großen Wallachs in der Hand halten, sondern Drake. Und das Wetter machte es unbestreitbar schwierig, den Hengst und die Stuten weiter zu verfolgen.
Sie hatte großartiges Filmmaterial sammeln können an diesem Nachmittag und sehr nützliche Notizen gemacht. Der Tag war also keineswegs verloren.
„Mein Rucksack ist schwer“, warnte sie Drake, und ihr frisch gesammelter Mut drohte sie gleich wieder zu verlassen. Der Rücken dieses Pferdes war wirklich weit vom Boden entfernt. Sie konnte Berge erklimmen, aber das war etwas ganz anderes, denn da stand sie die ganze Zeit auf ihren eigenen zwei Beinen.
Drake lächelte, und die Wirkung dieses Lächelns war nicht zu leugnen. Noch immer war seine eine Hand ausgestreckt. „Starbursts Knie werden unter der Last eines Rucksacks schon nicht nachgeben“, erklärte er. „Oder unter Ihrem.“
Das klang logisch, war aber dennoch nicht beruhigend.
Drake zog den Cowboystiefel aus dem Steigbügel, damit sie ihren Fuß hineinstellen konnte. „Kommen Sie, ich ziehe Sie hoch.“
Sie reichte den Rucksack hinauf. „Na schön“, gab sie nach und nahm Drakes Hand. Sein Griff war stark, und er hob sie mühelos hinter sich auf das Pferd.
Es fiel nicht schwer, sich diesen Mann bei der Arbeit mit Pferden vorzustellen oder wie er half, Kälber auf die Welt zu bringen, und Löcher für Zaunpfähle aushob.
Nachdem sie auf dem breiten Rücken des Pferdes saß, blieb Luce nichts anderes übrig, als die Arme um Drakes muskulöse Taille zu legen und sich an ihm festzuklammern.
Es regnete jetzt stärker, sodass eine Unterhaltung unmöglich wurde.
Allmählich entspannte Luce sich und lockerte ihre Umklammerung.
Zumindest ein wenig.
Jetzt, wo sie einigermaßen sicher war, dass dieser Ritt nicht tödlich enden würde, konnte sie ihn sogar ein bisschen genießen.
Allerdings entging ihr die Ironie dieser Situation nicht. Sie wollte Wildpferde beobachten, hatte aber keine Ahnung vom Reiten und sogar Angst in der Nähe der Tiere. Drake war das bestimmt nicht entgangen. Da bot sich eine spitze Bemerkung geradezu an.
Doch Drake verlor darüber kein Wort.
Als sie endlich das Ranchhaus erreichten, verzichtete er sogar auf ein spöttisches Grinsen, als Luce unbeholfen vom Pferd hinunterrutschte und beinah auf dem Hintern in einer riesigen Pfütze landete. Stattdessen tippte er nur gegen die Hutkrempe und ritt davon, ohne sich noch einmal umzuschauen.
Als Drake an diesem Abend das Haus betrat, war er halb verhungert und durchgefroren. Außerdem hatte er das Gefühl, sehr viel geschuftet, aber fast nichts geschafft zu haben.
Es war ihm nicht gelungen, die Stute, für die er ein kleines Vermögen ausgegeben und die er selbst trainiert hatte, zurückzugewinnen. Das machte alles noch schlimmer. Ein Pfiff hatte sie früher bis an den Weidezaun gelockt. Da kam sie herangaloppiert, um sich einen Apfel zu holen, eine Karotte und um sich die Nase reiben zu lassen. Fast hätte es heute funktioniert, aber dieser junge Hengst wusste es zu verhindern.
Das nächste vermisste Kalb war auch nicht wieder aufzufinden gewesen. Drake hatte eines der Gatter auf der Nordweide repariert und dabei festgestellt, dass der gleiche Defekt bei einem anderen Gatter weiter östlich aufgetreten war. Dann musste er den Tierarzt rufen, da eine Kuh kalbte und offensichtlich Probleme hatte …
Jede einzelne Minute des Tages hatte für neue Probleme gesorgt.
Dazu kam noch diese junge Frau, die aus irgendeinem Grund, der ihm nicht ganz klar war, im selben Haus wohnte wie er. In seinem Haus. Er hatte sie vor der Veranda abgesetzt und war davongeritten. Das musste an Höflichkeit reichen, zumal er kein Interesse daran hatte, eines ihrer Studienobjekte zu werden.
Gerade noch rechtzeitig fiel ihm ein, seine Stiefel auszuziehen und auf der Veranda stehen zu lassen. Harry würde ihn ansonsten lynchen. Und vorher würde er sich einen ihrer Wie-oft-habe-ich-dir-das-schon-gesagt-Vorträge anhören müssen.
Auf Socken hängte er seinen Mantel auf und ging zu seinem Zimmer. Eine ausgiebige Dusche und eine warme Mahlzeit würden wenigstens ein paar seiner Probleme lösen.
Leider nicht alle.
Kaum hatte er den Flur betreten, traf er auf Luce Hale. Genau genommen hätte er sie fast zu Boden gestoßen, wenn er sie nicht geistesgegenwärtig an den Schultern gepackt hätte.
Dabei stellte er fest, wie hübsch sie war, jetzt, wo sie ihre Regensachen ausgezogen hatte. Sehr hübsch sogar, mit den langen braunen Haaren, den bernsteinfarbenen Augen und diesem athletischen Körper. In enger Jeans und pinkfarbenem T-Shirt wirkte sie tatsächlich wie eine geübte Wanderin.
Dagegen sah er vermutlich aus wie durch eine Schlammpfütze geschleift. Auch er hätte um ein Haar wandern müssen, denn ein Blitz hatte Starburst erschreckt, während Drake ein kaputtes Gatter untersuchte. Es gelang ihm gerade noch, die Zügel zu erwischen, ehe der Wallach zurück zum Stall galoppieren und ihn zurücklassen konnte. Da hätte auch kein Pfeifen mehr geholfen.
„Tut … tut mir leid“, stammelte sie und wich hastig zurück. „Dieses Haus ist groß wie ein Hotel – ständig verlaufe ich mich irgendwo.“
Zu diesem Teil des Hauses gehörten einige Flure und Zimmer. Es war im Stil der alten Plantagenhäuser gebaut und kein gemütlicher kleiner Bungalow. Die enorme Größe ermöglichte es Drake und seinen beiden Brüdern – und jetzt auch Slaters Frau Grace sowie ihrem Stiefsohn –, unter einem Dach zu wohnen, ohne sich ständig über den Weg zu laufen. Jeder der Brüder hatte seinen eigenen Bereich.
Slater war ohnehin wegen Dreharbeiten die Hälfte der Zeit außerhalb der Stadt unterwegs. Mace übernachtete manchmal auf dem Weingut, in seinem komfortablen Büro. Und Drake hielt sich den ganzen Tag draußen auf. Also lebten zwar alle im gleichen Haus, aber außer zum Abendessen sahen sie einander nicht oft. Die Situation war inzwischen ein wenig anders, da Slater und Grace ein Baby erwarteten. Glücklicherweise verstanden Grace und seine Mutter sich gut und verbrachten viel Zeit miteinander.
„Zum Esszimmer geht es dort entlang“, erklärte er.
Luce hatte es anscheinend nicht eilig, zu Tisch zu kommen. Vielmehr beschäftigte sie offenbar ihr Projekt. „Kommen Sie für gewöhnlich um diese Tageszeit nach Hause? Müssen Sie noch mal raus?“
Na klasse. Es geht los. Sie „studierte“ sein Kommen und Gehen, und danach würde todsicher die Fragerei folgen.
„Ja.“
Sie nickte und machte sich Notizen.
Drake verspürte den Wunsch zu seufzen, unterließ es aber. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Er würde mit seiner Mutter über diese Situation sprechen müssen. Vor allem wollte er wissen, warum sie nicht vorher mit ihm darüber geredet hatte.
Trotzdem gab er sich Mühe, höflich zu bleiben, sogar freundlich zu sein, und das trotz seiner schlechten Laune. „Manchmal esse ich mit den Arbeitern, die haben ihre eigene Küche in der Mannschaftsunterkunft. Dann schaue ich nach dem Abendessen noch mal nach dem Vieh, schließe das Tor der Hauptzufahrt, überprüfe die Ställe.“ Das war genug Information für einen Abend, fand er. Unter normalen Umständen redete er den ganzen Tag nicht so viel. „Bitte entschuldigen Sie mich, ich brauche wirklich eine Dusche. Ihr sauberes T-Shirt hat unter unserem Zusammenprall auch ein bisschen gelitten.“
Es machte die Sache nicht besser, dass Miss Hale jetzt grinste, während sie sein zerrauftes Äußeres begutachtete. „Da kann ich nicht widersprechen.“
„Es war ein langer Tag, und er ist noch nicht vorbei“, erklärte er und ging davon. Eigentlich war Drake nicht unsicher, aber charmant verhielt er sich gerade auch nicht. Falls er das überhaupt je tat.
Sein Bruder Slater konnte dagegen sehr charmant sein, und Mace war sanftmütig, wenn er es wollte. Drake war eher der wortkarge Typ und weder besonders umgänglich noch charmant. Meistens hatte er einfach viel zu tun oder war müde. Oder beides.
Völlig verdreckt im Flur auf eine schöne Frau zu treffen, während er vollkommen verdreckt war, steigerte sein Selbstwertgefühl nicht unbedingt.
Luce’ neckendem Grinsen nach zu urteilen, fand sie die Situation komisch.
Na fabelhaft. Zu allem sonstigen Ärger kam jetzt noch eine Frau aus der Stadt, die ihm Tag und Nacht hinterherlaufen wollte, um ihm dumme Fragen zu stellen und sich Notizen zu machen.
Der unzivilisierte Cowboy in seinem natürlichen Lebensraum.
Darauf hatte er schlicht und einfach keine Lust. Nicht auf die Rolle eines Versuchskaninchens. Was diese Luce betraf, sah die Sache dummerweise anders aus.
Und das machte die Lage nur noch vertrackter.
In seinem Zimmer angelangt, warf er die Tür hinter sich zu und zog sein Hemd aus, das ihm an der Haut klebte.
Wenigstens hatte er keine Farmerbräune, wie er bei einem Blick in den Spiegel feststellte; was er hatte, war Rancherbräune. Seine Unterarme waren gebräunt, weil er bei gutem Wetter stets die Ärmel aufkrempelte, und die Hutkrempe verhinderte den berühmten roten Nacken.
Gebräunt oder nicht, er fühlte sich momentan in etwa so sexy wie ein Traktor – und darüber hinaus war es ihm ein vollkommenes Rätsel, weshalb er überhaupt an so etwas dachte. Luce war allerdings eine echte Augenweide, nur hieß das noch lange nicht, dass er deshalb etwas mit ihr anfangen musste. Oder sie rund um die Uhr an seiner Seite haben wollte.
Außerdem war sie eine Besserwisserin.
Er trat ans Fenster, sah hinaus und genoss die Aussicht, die selbst im Regen herrlich war.
Drakes Zimmer lag auf der Ostseite des Hauses, was angenehm war für jemanden, der bei Sonnenaufgang aufstand, seiner liebsten Tageszeit. Er konnte sich nie sattsehen an den ersten Sonnenstrahlen, die über die Berggipfel krochen, während er sich schon auf den Duft des feuchten Grases und den frischen Wind freute. Er mochte die Stille, die ihn auf beinah spirituelle Weise ganz erfüllte.
Er liebte auch die Abenddämmerung, die nächtlichen Geräusche – das Heulen eines Wolfes oder eines Kojoten –, die nach und nach am Himmel auftauchenden Sterne, hell und klar, ganz unbeeinträchtigt vom künstlichen Licht der Großstädte.
Drake hatte nichts übrig für Städte.
Sicher, auch er reiste hin und wieder, zu Meetings oder gesellschaftlichen Anlässen, zu denen seine Mutter ihn schleppte. Aber eigentlich genügte Mustang Creek ihm vollauf. Es war ein kleiner bescheidener Ort voller anständiger, hart arbeitender Leute, die zur Wahl und in die Kirche gingen, stets freundlich grüßten oder behilflich waren.