Mut geben, statt Angst machen - Katharina Schulze - E-Book

Mut geben, statt Angst machen E-Book

Katharina Schulze

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Beschreibung

Wir müssen die Politik neu denken Nahbar, authentisch, streitbar, witzig: Katharina Schulze ist ein neuer Typus Politiker und das unbestrittene Nachwuchstalent der Grünen. Die Presse lobt sie als "grüne Schnellfeuerwaffe", "Rädelsführerin gegen die CSU" und als "Idealistisch, jung – und durchaus auch mal für eine Provokation zu haben". Mit ihrem Auftreten begeistert sie Wähler aller Altersklassen, erzielte 2018 das historisch beste Ergebnis ihrer Partei in Bayern und zog als bislang jüngste Oppositionsführerin in den Landtag. In "Mut geben, statt Angst machen" beschreibt sie persönlich und eindrücklich, was sie in die Politik gezogen hat, was sich ändern muss und was das Politikverständnis einer neuen Generation ausmacht. Nachhaltigkeit, digitaler Wandel, das Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit, das Einstehen für Gleichberechtigung und female empowerment, der Widerstand gegen Rechts, gegen Umweltsünden und irrsinnige Großprojekte, wie auch das Verhältnis von Heimatliebe und Weltoffenheit. Es sind die großen Herausforderungen unserer Zeit, für die es den Mut, den Optimismus und das mitreißende Wesen braucht, das heute wenige Politiker so auszeichnet, wie Katharina Schulze. Ihr Buch ist ein Appell an die Politik, mehr Mut zu wagen und zugleich ein Aufruf an uns alle, gemeinsam die Gesellschaft zu prägen, in der wir leben wollen. Denn nur dann entscheiden wir zusammen darüber, welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen. Mit einem Vorwort von Robert Habeck

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Katharina Schulze

mit Alex Burger

Mut geben, statt Angst machen

Politik für eine neue Zeit Mit einem Vorwort von Robert Habeck

Knaur e-books

Über dieses Buch

Nahbar, authentisch, streitbar, witzig: Katharina Schulze ist ein neuer Typus Politiker und das unbestrittene Nachwuchstalent der Grünen. Die Presse lobt sie als »grüne Schnellfeuerwaffe«, »Rädelsführerin gegen die CSU« und als »Idealistisch, jung – und durchaus auch mal für eine Provokation zu haben«. Mit ihrem Auftreten begeistert sie Wähler aller Altersklassen, erzielte 2018 das historisch beste Ergebnis ihrer Partei in Bayern und zog als bislang jüngste Oppositionsführerin in den Landtag.

In »Mut geben, statt Angst machen« beschreibt sie persönlich und eindrücklich, was sie in die Politik gezogen hat, was sich ändern muss und was das Politikverständnis einer neuen Generation ausmacht. Nachhaltigkeit, digitaler Wandel, das Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit, das Einstehen für Gleichberechtigung und female empowerment, der Widerstand gegen Rechts, gegen Umweltsünden und irrsinnige Großprojekte, wie auch das Verhältnis von Heimatliebe und Weltoffenheit. Es sind die großen Herausforderungen unserer Zeit, für die es den Mut, den Optimismus und das mitreißende Wesen braucht, das heute wenige Politiker so auszeichnet, wie Katharina Schulze.

Ihr Buch ist ein Appell an die Politik, mehr Mut zu wagen und zugleich ein Aufruf an uns alle, gemeinsam die Gesellschaft zu prägen, in der wir leben wollen. Denn nur dann entscheiden wir zusammen darüber, welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen.

Inhaltsübersicht

Vorwort von Robert HabeckEin Plädoyer für mehr MutI. Die großen Herausforderungen unserer ZeitWarum ich mache, was ich macheDemokratie verteidigen und stärkenDas Klima und die natürlichen Lebensgrundlagen schützenDigitale Transformation für alleWohlstand fällt nicht vom HimmelGlobalisierung: gemeinsam mehr erreichenGleiche Chancen für alle – gegen soziale SpaltungII. Ohne Haltung geht es nichtHerz auf, Angst rausWir sind nicht alleinGerechtigkeit und Solidarität: mehr als UmverteilungGute Politik schafft Freiheit für alleIII. Verantwortung übernehmen – Zukunft gestaltenGesellschaft und Gemeinschaft: was uns trennt und was uns eintMarkt oder Staat? Pragmatismus ist angesagt!Die aktive Bürger*innen-GesellschaftVon zeitgemäßer Führung und KommunikationWie Generationen das Land prägenDie Zukunft ist weiblichNachwortDank
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Für all die, die unsere Welt verbessern. Im Großen wie im Kleinen.

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Vorwort von Robert Habeck

Im Jahr 2018 schien es nur ein politisches Thema zu geben: Flucht und Asyl. Und es schien nur eine Form des politischen Umgangs damit zu geben: zunehmende Härte. Die politische Sprache wurde immer roher, die Metaphern immer kruder. Namentlich die CSU in Bayern bediente sich zunehmend eines Jargons, der bisher nur im Rechtspopulismus zu Hause war – und adelte ihn so. Die Rede war von »Anti-Abschiebe-Industrie«, »Asyltourismus« und »konservativer Revolution«. Alexander Dobrindt rechnete die AfD wie selbstverständlich zu den bürgerlichen Parteien. Horst Seehofer ließ einen Masterplan beschließen, den keiner kannte. Im Sommer 2018 eskalierte der Streit innerhalb der Union so weit, dass die Gemeinschaft von CDU und CSU infrage stand.

Dann passierte etwas, das keine Partei und keine Regierung beschlossen hatte. Und es fand seine Stimme in Bayern, mitten im Wahlkampf: Viele, viele Menschen in Bayern verweigerten sich der Verrohung von Sprache und Politik. Handwerker*innen, Unternehmer*innen erhoben die Stimme und forderten: »Schiebt meine Mitarbeiter nicht ab! Mein Betrieb, unsere Wirtschaft braucht sie.« Großmütter gingen auf die Straße – viele erstmals in ihrem Leben – und riefen: »Stopp!« Bürgerinnen und Bürger zeigten, wir sind ein anderes Land. Die Zivilgesellschaft zeigte Zivilcourage.

Deshalb haben wir heute eine andere politische Gemengelage, und zwar eine bessere. Nicht, dass es einfach wäre, aber die politische Diskussion hat Mut für Neues gefasst: für eine Debatte über die Art, wie wir miteinander leben wollen. Gemacht haben den Umbruch die Menschen in Bayern, die sagten, wir wollen, dass anders gestritten und Politik gemacht wird. Und daran sollte sich Politik immer erinnern, auch über den Wahlkampf 2018 hinaus. Sie sollte Mut machen.

Katharina Schulzes Buch steht für diesen Auf- und Umbruch, sie erzählt uns darin von ihren Vorstellungen, ihren Ideen, aber auch von ihren Visionen, wie Gesellschaft heute gelebt werden kann. Sie zeigt, wie wir miteinander zivilisiert über den richtigen Weg in Zukunft streiten können.

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Ein Plädoyer für mehr Mut

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

ich plädiere für eine ökologisch und sozial erneuerte Republik. Für ein Land, das sich seiner Verantwortung für die nachfolgenden Generationen bewusst ist. Für ein Land, das einem digitalen Humanismus verpflichtet ist und der europäischen Integration. Ich will in einer Gesellschaft leben, in der nicht die Herkunft oder das Geschlecht darüber entscheidet, welche Chancen jemand hat, sondern die Antwort auf die Frage: Welche Werte leiten dein Denken und Handeln? Was willst du erreichen?

Mit dem Wandel der Generationen ändert sich auch die Vorstellung von einem guten Leben. Oder die Vorstellung von Glück. Die Idee vom sozialen Aufstieg, der sich durch materielle Güter ausdrückt, wird hohl. Ein großes Haus, regelmäßig in den Urlaub zu fliegen, ein teures Auto und der Besitz vieler anderer Güter – diese Art von Wohlstand ist für viele jüngere Menschen nicht mehr das Ziel ihrer Träume. Nur Güter anzuhäufen ist zu wenig. Eine Arbeit, die Sinn macht und nicht nur Geld einbringt, Beziehungen und Freundschaften, die auf gleicher Augenhöhe stattfinden, und ein selbstbestimmtes Leben, das Raum lässt für gesellschaftliche Verantwortung – diese Ziele rücken in den Fokus. Der Homo oeconomicus, der vor allem an seinen persönlichen Nutzen denkt, wird nicht verschwinden. Aber er bekommt einen Homo politicus an die Seite gestellt, mit dem er künftig ringen muss. Und das ist gut!

Ich bin überzeugt davon, dass genau das unsere Freiheit vergrößern und nicht einengen wird. Gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, Garantien für die Freiheit aller zu schaffen als vordringliche politische Aufgabe (auch mit Blick auf den Schutz der Lebensgrundlagen kommender Generationen) und Werte statt Herkunft als Maßstab unseres Zusammenlebens zu setzen: Diese Ideen einer republikanischen Freiheit sind in meinen Augen viel besser geeignet, um die Zukunft zu gestalten, als eine (neo-)liberale Vorstellung von Freiheit. Denn die zeichnet sich vor allem durch Skepsis gegenüber staatlicher Regulierung aus. Die republikanische Freiheit gibt uns hingegen Halt und Orientierung, Schutz und die Möglichkeit zur Entfaltung.

Diese Freiheit muss gegen alle verteidigt werden, die sie durch autoritäres Denken und Handeln einschränken wollen. Es macht dabei erst einmal keinen Unterschied, ob das autoritäre Denken versucht, sich religiös zu rechtfertigen, wie beim Islamismus oder Salafismus. Oder ob dies durch den Verweis auf kulturelle Zugehörigkeit geschieht oder gar mit der ethnischen Herkunft begründet wird, wie die Rechtspopulisten und Rechtsextremen es immer versuchen. Wer so denkt, schließt in der Realität einer modernen und vielfältigen Gesellschaft immer große Gruppen vom Recht auf Freiheit aus: Jene, die vermeintlich eine »falsche« Religion haben, jene, die einen »anderen« kulturellen Hintergrund haben, oder jene, die der »falschen« Ethnie angehören. Lasst uns die Verschiedenheiten respektieren und unabhängig davon jedem Menschen die gleichen Freiheiten, Sicherheiten und Chancen garantieren! Und immer dran denken: Liebe ist stärker als Hass.

Unsere Loyalität sollte deswegen in erster Linie Prinzipien und Werten des Zusammenlebens gelten, die universell und nicht an eine bestimmte Herkunft oder einen bestimmten Glauben gebunden sind. Diese Idee des Verfassungspatriotismus als einer »Verteidigungsgemeinschaft gegen autoritäre Herausforderungen«[1] ist eine wunderbare Leitidee für unser Zusammenleben.

Ich bin davon überzeugt: Freiheit, Verantwortung – auch für die Zukunft –, Anerkennung und Teilhabe sind die richtigen Maßstäbe, um konkrete politische Herausforderungen zu meistern. Das gilt für die ökologische und digitale Transformation genauso wie für die Globalisierung oder die wachsende gesellschaftliche Vielfalt. Wir brauchen dafür zudem ein Mindestmaß an Solidarität. Wenn ich Freiheitsrechte besitze, aber mein Leben von wirtschaftlichen Abhängigkeiten durchzogen ist, bin ich nicht wirklich frei. Denn auch Machtstrukturen auf den Märkten schaffen Unfreiheit. Wenn ich gezwungen bin, jede Arbeit anzunehmen oder in irgendeine Wohnung zu ziehen, weil die Lage auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt schlecht ist, bin ich nicht frei. Wenn die Vorgesetzten oder Vermieter*innen ihre Machtposition ausnützen, erst recht nicht. Nicht jede und jeder wird sich aus eigener Kraft aus solchen Abhängigkeitsverhältnissen befreien können; deshalb bedarf es einer solidarischen Politik, um Freiheit für alle zu garantieren. Welche Politik man bevorzugt, ist immer auch eine Frage des Menschenbildes. Ich glaube nicht an die marktradikale Erzählung, nach der man die Menschen vor allem sich selbst überlassen muss, damit sie Initiative zeigen. Ich glaube auch nicht an die konservative Erzählung, die den Menschen vor allem als defizitäres Wesen oder als »Sünder*in« sieht. Genauso wenig glaube ich an die Erzählung einiger Linker, dass mit möglichst viel Sozialtransfers Chancengerechtigkeit herbeigeführt wird. Menschen sind unterschiedlich, und ihre individuellen Talente müssen bestmöglich gefördert werden. Ich glaube daran, dass Menschen fähig sind zur Empathie, zu gemeinschaftlichem und verantwortungsvollem Handeln – vorausgesetzt, die Rahmenbedingungen und die politischen Umstände stimmen. Und genau dafür müssen wir sorgen.

Das mag vielleicht etwas überschwänglich oder utopisch klingen, kreisen unsere politischen Debatten doch zu oft um Einzelfragen und um das Hier und Heute. Das große Bild und die langen Linien bleiben da gern mal auf der Strecke. Denn die nächste Wahl steht in einer Demokratie immer kurz vor der Tür, die nächste Empörungsspirale wartet auf Twitter, und ständig kommen neue Herausforderungen auf uns zu. Aber ich bin überzeugt, dass wir genau über diese großen Fragen reden und ringen müssen: über die wichtigen und richtigen Werte – und über Visionen, mögen sie auch manchmal utopisch anmuten. Und wir brauchen Menschen, die genau dafür einstehen. Denn diese Visionen sind es, die uns einen und voranbringen können und dem politischen Alltag – der manchmal eben nicht anders sein kann als grau – eine Richtung und ein Ziel geben. Wir müssen als Gesellschaft für uns definieren, wohin wir wollen, um den Weg einschlagen zu können, der uns dann gemeinsam dorthin führt.

Wer denkt, das ist doch nicht machbar, den möchte ich an ein Projekt erinnern, das auch erst mal nicht möglich erschien: 2019 hat sich zum 50. Mal die Landung der ersten Menschen auf dem Mond gejährt. Es war aus heutiger Sicht ein fast irrwitziges Projekt, denn innerhalb von zehn Jahren sollte ein Mensch auf den Mond gebracht werden. Trotz oder vielleicht gerade weil die Aufgabe so groß und der Erfolg so unsicher war, setzte das visionäre Projekt unglaubliche Kräfte und Energien frei.

John F. Kennedy hat damals das Wort »Moonshot« geprägt. Es ist ein politischer Begriff: eine große Idee, die fast zu groß für die Menschheit erscheint. »We choose to go to the moon in this decade and do the other things, not because they are easy, but because they are hard …«, sagte Kennedy. Wenn also die Politik sich ein Ziel setzt und in langen Linien denkt, unterschiedliche Menschen zusammenbringt und den Rahmen für die besten Ideen setzt, können wir Dinge schaffen, die heute unvorstellbar sind. Ich bin mir sicher, würden wir Kennedy heute fragen, was sein Moonshot wäre – es wäre der Kampf gegen den Klimawandel.

Auch dafür müssen wir diese Kraft und Energie visionärer Ideen heute anzapfen. Gibt es eigentlich eine größere und lohnendere Vision für uns als die Rettung unserer Zivilisation vor der Zerstörung durch die Überhitzung des Erdklimas und den Schwund der Artenvielfalt, damit wir alle gut und sicher auf unserer Erde noch weiterleben können? Ich kann mir keine vorstellen. Und deshalb bin ich trotz aller negativen Entwicklungen und bedrohlichen Fakten zuversichtlich, dass wir diese Krisen zusammen meistern können. Denn es gibt so viele engagierte, kluge, besonnene, experimentierfreudige Bürger*innen, Unternehmer*innen und auch Politiker*innen – wenn die sich zusammenschließen, kann Großes entstehen. Dafür braucht es die richtigen politischen Entscheidungen, das Engagement der Bürgerinnen und Bürger sowie das Vertrauen in unsere Fähigkeiten, Herausforderungen zu meistern. Es braucht aber vor allem eines: den Mut voranzugehen und die Angst vor der Veränderung zurückzulassen. Einen aktiven und tätigen Optimismus. Das können und werden wir schaffen. Und deshalb bin ich überzeugt: Das Beste liegt noch vor uns.

 

Katharina Schulze

München im Februar 2020

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I. Die großen Herausforderungen unserer Zeit

Warum ich mache, was ich mache

Manchmal entscheidet sich an einem einzelnen Tag, ob alles so ausgeht, wie man es sich wünscht. Der 14. Oktober 2018 war so ein Tag für mich. Es ist Sonntag, 17.30 Uhr, ich sitze in einem kleinen, ziemlich warmen Sitzungssaal im Bayerischen Landtag. Den ganzen Tag über bin ich schon nervös, aufgeregt, angespannt – und kann es kaum erwarten, dass es endlich Abend wird. Es wuselt um mich herum, der Fernseher läuft, die letzten Absprachen werden getroffen, und dann geht der Großteil aus dem Raum, runter zur Wahlparty. Es wird still, denn jetzt kann man wirklich nichts mehr machen – nur noch warten. Und das ist wahrlich nicht meine Stärke. Aber so funktioniert eben Demokratie. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Wort … Und ich bin schon so gespannt, was sie sagen werden!

In einer halben Stunde, also um Punkt 18 Uhr, entscheidet sich, ob unsere organisatorischen, strategischen und inhaltlichen Vorbereitungen seit 2013 für ein grünes Bayern richtig waren. Ob sich die Tausende von Bahnkilometern durchs ganze Land ausgezahlt haben. Ob die über 600 Veranstaltungen – allein von Juli bis Oktober – ausgereicht haben. Ob meine Reden bei den 30Town Hall Meetings, in den neun Festzelten, den zahlreichen Diskussionsveranstaltungen genügt haben. Ob wir an ausreichend vielen Haustüren geklingelt und hinreichend Infostände gemacht haben. Ob genug Menschen begeistert worden sind: für eine ökologische und sozial gerechte Politik. Ob die Online-Kampagne und mein ständiges Erzählen, Werben, Mitnehmen auf Twitter, Instagram, Facebook und Co. Anklang gefunden haben – oder ob es mein Umfeld irgendwann nur noch genervt hat. Ob die vielen, vielen Pressetermine – von der Allgäuer Zeitung bis zur Financial Times – genutzt haben, das Mitglieder-Motivieren, die Solidarität untereinander, die Lachflashs, die Unmengen Spezi, Pizza und Eisabende. Ob die endlosen Sitzungen in der Wahlkampf- und Programmkommission, der harte Kampf, als einen Schwerpunkt im Wahlkampf gleiche Rechte und Chancen für Frauen zu nehmen, sich rentiert haben. Ob die schlaflosen Nächte, die vollen Tage, die manchmal schier nicht enden wollenden Diskussionen und Konflikte sich gelohnt haben … Bald werde ich es wissen.

Es ist 17.45 Uhr und ich gehe in meinem Kopf immer wieder die Worte durch, die ich später sagen möchte. Ich hoffe, ich kann mich nachher noch daran erinnern.

Und dann, endlich, gibt es um genau 18 Uhr die ersten Hochrechnungen. In der Tagesschau wird es passend zusammengefasst: »Guten Abend meine Damen und Herren, ich begrüße sie zur Tagesschau …« Meine Nerven liegen blank, als Nachrichtsprecher Jan Hofer fortfährt: »… Die Landtagswahl in Bayern hat die politischen Kräfteverhältnisse stark verändert … zu den aktuellen Zahlen jetzt Jörg Schönenborn aus dem ARD-Wahlstudio aus München.« Ich schließe die Augen, bange, hoffe und halte meine beiden Daumen fest gedrückt. »Das ist die aktuelle Hochrechnung … die Grünen 17,8, auch das ihr deutlich bester Wert …« Ich kann es kaum glauben – es hat gereicht. Zum Glück. Wir haben es geschafft. Jaaaahhh!!! Welch ein Wahnsinn! Plötzlich lässt die ganze Anspannung, die sich in den letzten Monaten aufgebaut hat, nach, und in mir streiten sich die widersprüchlichsten Gefühle. Ich bin total erleichtert, überglücklich und gleichzeitig hundemüde. Was für ein Tag! Wir Bayerischen Grünen haben zum ersten Mal in unserer Geschichte über zehn Prozent bei einer Landtagswahl eingefahren. Wir sind zweitstärkste Kraft geworden und haben die absolute Mehrheit der CSU gebrochen. Ach ja! Sechs Direktmandate haben wir im ehemals schwarzen Bayern zum ersten Mal auch noch geholt. Oh Happy Day!

Während des Wahlkampfes wurde ich oft gefragt, warum ich eigentlich »so engagiert« sei. Warum ich bei den Grünen Politik mache und mich für konsequenten Klimaschutz streite. Warum ich mich für Feminismus und eine gerechte Gesellschaft einsetze. Und warum ich auch noch regelmäßig auf Anti-Nazi-Demos gehe, obwohl ich doch schon Mitglied des Landtages (MdL) bin.

Die ersten Male habe ich das mit einem »Ich bin halt so« beantwortet. Ich kenne mich eben nur so: Wenn mich was ärgert, möchte ich es ändern. Wenn ich Ungerechtigkeiten sehe, möchte ich diese beseitigen. Und wenn Autoritäten ihre Macht missbrauchen, dann macht mich das einfach wütend. Zum Glück bin ich in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem mein Bruder und ich von Anfang an gelernt haben: »Du bekommst die Welt nicht besser gemeckert, du musst sie besser machen.« Das ist wahrscheinlich auch einer der Hauptgründe für mein Engagement – selbst wenn das damals nicht unbedingt die Antwort war, die man als Kind oder Jugendliche hören wollte. Aber sie hat einen etwas ganz Wichtiges gelehrt: Von beleidigt im Zimmer sitzen, sauer ein Pamphlet schreiben oder resignieren ändert sich rein gar nichts. Vielmehr muss man proaktiv agieren, nachdenken, was man ändern kann, Bündnisse schmieden und einen eigenen inneren Kompass entwickeln. Mit diesem inneren Kompass, der die eigenen Werte und Grundüberzeugungen ausmacht, segelt es sich wesentlich leichter durch die Irrungen und Wirrungen des Lebens.

Und so kam es, dass ich 2008 zum ersten Mal bei der Grünen Jugend München vorbeigeschaut habe. Davor war ich mehr vor Ort engagiert, beispielsweise an meiner Schule oder bei der Bayerischen AIDS-Stiftung. Je länger ich aber Projekte vorantrieb, desto öfter stellte ich mir die Frage, ob ich hier wirklich an der richtigen Stelle bin. Müsste man nicht viel eher dort aktiv sein, wo man Rahmenbedingungen verändert? Wo man Gesetze macht? Wo man die großen Linien diskutiert? Ich abonnierte also den Newsletter der Grünen Jugend München. Und las am Anfang einfach nur mit. Später redete ich mit. Und kurz danach wurde ich zur Vorsitzenden gewählt. Wir hatten viel vor: Wir wollten den Klimaschutz forcieren, die Olympischen Winterspiele in Bayern verhindern, Nazis keinen Fußbreit gönnen – und eine feministische Gesellschaft!

Das ist auch heute noch mein Antrieb, Politik zu machen. Die Olympischen Winterspiele in Bayern konnte ich als Sprecherin des Bündnisses NOlympia München zusammen mit vielen anderen mittels eines Bürgerentscheids verhindern – und damit der Stadt München viel Geld sparen, aber für echten Klimaschutz, die Stärkung unserer Demokratie und einer gleichberechtigten Gesellschaft muss noch viel getan werden. Gute Politik beginnt also immer mit den richtigen Inhalten. Aber sie braucht auch Mehrheiten, und deshalb hat Politik, demokratische zumal, eben auch etwas mit Kompromissen und dem Ausgleich von Interessen zu tun. Dabei werden natürlich nicht alle zufriedengestellt, manche haben den Eindruck, sie kommen schlecht weg oder ihre Sorgen werden nicht berücksichtigt. Ich finde das, was wir in den letzten Jahren erleben, ist aber mehr als nur der Protest gegen bestimmte Projekte und Entwicklungen. Ich finde, es ist die Auseinandersetzung darum, wie wir mit grundlegenden Veränderungen wie etwa dem Klimawandel oder der Digitalisierung, in der wir mittendrin stehen, umgehen. Es sind vier Fragen, die mit Wucht auf die politische Tagesordnung drängen, die alle auf eine Antwort warten und sowohl unser persönliches Leben verändern als auch die politische Agenda:

Wie können wir so leben und wirtschaften, dass unser Ökosystem (Klima und Biodiversität) intakt bleibt?

Wie können wir unter den Bedingungen globaler Konkurrenz Wohlstand, soziale und demokratische Teilhabe sowie Gerechtigkeit für alle sicherstellen?

Wie schaffen wir angesichts von Individualisierung – sich ausdifferenzierender Lebenslagen und -modelle –, Globalisierung und Migration, eine gesellschaftliche Identität beziehungsweise ein Gefühl der Zugehörigkeit und des Vertrauens?

Wie gestalten wir die digitale Transformation so, dass die Autonomie des Menschen gestärkt, nicht eingeschränkt wird?

Selbst wenn man sich das nicht tagtäglich vor Augen führt, spürt man doch den Umbruch, der gerade vor sich geht. Vermeintliche Selbstverständlichkeiten sind nicht mehr so selbstverständlich wie etwa unsere Demokratie oder das vereinigte Europa. Diskussionen über verschiedene Themen und Entscheidungen dafür oder dagegen geschehen nur teilweise aufgrund von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen – gleichzeitig passiert vieles sehr schnell und parallel. Das alles führt zu den verschiedensten Reaktionen, sowohl seitens der Bürger*innen als auch der Parteien: Die einen heißen Veränderungen wie die digitale Transformation willkommen, die anderen bekämpfen sie, und wieder andere sind unsicher, was sie überhaupt davon halten sollen. Eine solche Situation schafft Raum für Demagogie und Populismus. Deshalb ist es meiner Meinung nach zwingend, sich die Fakten und Möglichkeiten auf den wichtigsten Politikfeldern anzusehen, um die Diskussionen auf eine rationale Grundlage zu stellen. Und dann muss natürlich auch gehandelt und die Veränderungen müssen mitgestaltet werden. Das Ziel muss sein, die Umwälzungen zu reflektieren und so zu gestalten, dass wir die besten Lösungen für die gesamte Gesellschaft finden, in der wir leben. Das ist Aufgabe der Politik. Und genau deswegen mache ich Politik.

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Demokratie verteidigen und stärken

Demokratie ist ein großes Wort. Sie beginnt aber schon im ganz Kleinen. Ich erinnere mich noch gut, als ich zum ersten Mal Demokratie am eigenen Leib erfahren habe – ohne damals genau gewusst zu haben, dass das jetzt »diese Demokratie« ist. In der zweiten Klasse der Grundschule Herrsching. Die Wahl zu den Klassensprecher*innen. Am Ende hieß es: Kai und Katharina vertreten ab jetzt die Klasse 2b. Ich hatte meine erste Wahl hinter mir und wurde auch das erste Mal gewählt. Ging schnell und tat gar nicht weh.

Demokratie in einer modernen, komplexen Gesellschaft heißt zunächst einmal: Akzeptanz von Vielfalt. Die Bürger*innen im Deutschland des 21. Jahrhunderts sind viel unterschiedlicher als noch vor 50 oder 60 Jahren. Das betrifft ihre Herkunft, ihre Vorstellungen davon, was ein glückliches Leben ist, welche Traditionen ihnen wichtig sind und welche nicht, ob sie einer Religion anhängen oder nicht. Auch die Möglichkeiten, sich in der Welt zu bewegen, sind natürlich ganz andere: Vom Schüleraustausch in Indien über ein Studiensemester in Kanada bis hin zum Auslandspraktikum in Südafrika – oder gar nichts davon – ist alles drin. Alle sind gleichberechtigte Teile der Gesellschaft und somit gleichberechtigte Bürger*innen des Staates. Sie sind das nicht, weil sie einer bestimmten Gruppe angehören, sondern als Individuum. Sie sind das nicht, weil sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen (abgesehen von Volljährigkeit und Staatsbürgerschaft), sondern weil sie als Bürger*in die gleichen Rechte wie alle anderen haben.

Dieses Verständnis von Demokratie wird von Vertreter*innen eines Staates, die autoritären Vorstellungen nachhängen, bekämpft. Rechtspopulistische Parteien, Putins »gelenkte Demokratie«, Orbans »illiberale Demokratie« – und man könnte Trumps »Demokratie der bewussten Grenzüberschreitung« noch aufzählen – sie alle bezeichnen sich als Demokraten; allerdings ist das nur der Aufdruck der Verpackung, darin befindet sich etwas ganz anderes. Als ich in den USA das Lincoln Memorial in Washington besuchte, diesen historischen und erhabenen Ort, an dem Martin Luther King seine große Rede I have a dream gehalten hatte – den ich aber auch aus dem berührenden Film Forrest Gump kannte –, musste ich an Abraham Lincolns berühmte Rede Gettysburg Address denken. In ihr fasste er wie kein anderer zusammen, was Demokratie bedeutet, er bezeichnete die Demokratie als »(…) government of the people, by the people, for the people (…)«.[2] Das heißt, die Bürger*innen wählen sich ihre Regierung selbst aus und kontrollieren sie (können sie auch wieder abwählen), die Regierung selbst ist aber nicht ihren Eigeninteressen, sondern dem Gemeinwohl verpflichtet. Schon dabei sehen wir: die genannten Beispiele aus Russland oder Ungarn genügen den Kriterien nicht. Autoritäre Oligarchie ist ein Begriff, der die dortige Wirklichkeit wohl besser umschreibt als Demokratie. Und deshalb sehe ich es so: Wir müssen die Demokratie nicht nur in ihrer Substanz, sondern auch in der Begrifflichkeit verteidigen.[3]

Dabei macht es erst einmal keinen so großen Unterschied, ob die Demokratie von autoritären, nationalistischen Gruppen oder religiösen Fanatikern angegriffen wird: Beide eint die Vorstellung eines homogenen Volkes oder einer homogenen Anhängerschaft, die dem Staat vorausgeht. Ob man dazugehört oder nicht, ob man richtigliegt oder falsch, ist keine Frage eines Konsenses, der im Diskurs gefunden wird, sondern der »richtigen« Abstammung oder des »richtigen« Glaubens. Ihr Ideal finden diese Gruppen folgerichtig auch nicht darin, gemeinsam Kompromisse auszuhandeln und für gesellschaftlichen Fortschritt zu sorgen. Ihr Ideal liegt meist in der Vergangenheit und beruht auf einer idealisierten Erzählung früherer Zeiten, in der wahlweise das Volk oder der Glaube noch »rein« war und unverfälscht von modernen (damit ist gemeint pluralen) Einflüssen. Die aktuelle Politik müsse sich dem Versuch verschreiben, dieses Ideal möglichst wiederherzustellen. Dass die historischen Vorbilder so vielleicht gar nicht existiert haben, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Der Wunsch nach Abgrenzung ist deshalb ein konstitutives Merkmal autoritären Denkens – sei es durch den Bau von Mauern und Grenzzäunen, die Wiederaufnahme von Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen oder dem Primat religiöser gegenüber staatlicher Autoritäten in manchen fundamentalistisch-religiösen Gruppen. Auch der Versuch der CSU vor der Landtagswahl in Bayern, eine »Leitkultur« zu etablieren und damit bestimmte Traditionen, Umgangsformen, Sitten und Gebräuche über andere zu stellen, die es in der Gesellschaft ebenfalls gibt, stützt sich auf die Idee der Homogenität.

Es spricht überhaupt nichts dagegen, Traditionen zu leben und weiterzugeben, aber es macht einen Unterschied, ob dies im privaten Umfeld erfolgt oder von staatlicher Seite protegiert wird, wie dies etwa beim Kruzifix-Erlass der Bayerischen Staatsregierung (jede Landesbehörde muss ein Kreuz aufhängen) der Fall ist. Ich lebe auch meine bayerischen Traditionen, trage furchtbar gern mein Dirndl (denn es gehört allen und nicht nur der CSU, das musste ich im Wahlkampf oft deutlich machen), bin gern beim Maibaumaufstellen und bei vielen anderen traditionellen Festen mit dabei. Und natürlich ging und gehe ich gern ins Bierzelt – bei uns hießen die rund um Herrsching allerdings »Stadlfeste«. Dort haben die Bauern aus den umliegenden kleinen Gemeinden ihren Stall der Dorfjugend zur Verfügung gestellt, damit sie da tanzen und feiern können. Traditionen werden ja oft in Form von Festen gelebt wie zum Beispiel Ostern und Weihnachten, aber das definiert meist jede Familie für sich selbst aus. Wichtig ist, dass es Orte und Punkte gibt, an denen man zusammenkommt. Und zusammenhält. Und das habe ich früher erleben dürfen: Im Handballverein haben wir zum Beispiel viel gemeinsam gemacht und angepackt, Turniere und Feste organisiert. Allerdings kann man das anderen nicht vorschreiben. Man kann niemandem anordnen, wie er zu leben hat. Und ob jemand einer Religion anhängt oder nicht, ist eine sehr persönliche Entscheidung, in die sich staatliche Stellen nicht einzumischen haben – erst recht nicht in einer vielfältigen Gesellschaft wie der unsrigen. Eng mit dem Wunsch nach Abgrenzung verknüpft ist leider auch meist der nach Kontrolle. »Taking back control« lautet deshalb auch das Credo der Brexiteers, also derer, die Großbritannien aus der EU hinausführen wollen. In erster Linie war damit gemeint, dass London wieder die Kontrolle übernehmen solle, die bislang vermeintlich in Brüssel ausgeübt wurde. In zweiter Linie ging es um die Einwanderung, die kontrolliert und vor allem begrenzt werden müsse. Auch hier wird Bezug genommen auf eine glorreiche Vergangenheit – diesmal die des Britischen Empire. Dessen Glanz und Stärke möchte man durch die Unabhängigkeit von der EU wieder erreichen. Obwohl alle ernst zu nehmenden Prognosen das Gegenteil für den Fall voraussagen, dass Großbritannien die EU verlässt, stimmte eine Mehrheit für den Austritt.

Man kann das autoritäre Denken als rückwärtsgewandt, demokratiefeindlich und realitätsfern bezeichnen, und in weiten Teilen stimmt das wohl auch. Nur ist dadurch mit Blick auf das Funktionieren unserer Demokratie noch nichts gewonnen. Ich frage mich deshalb, warum das autoritäre Denken für manche attraktiv ist und was wir tun können, um wieder mehr Menschen für die Demokratie zu gewinnen.

Etwa ein Viertel aller Menschen, die in Deutschland leben, haben einen Migrationshintergrund. Dazu zählen alle, die selbst eingewandert sind oder in zweiter und dritter Generation hier leben, aber auch (Spät-)Aussiedler*innen.[4] In der Öffentlichkeit wird das Thema Migration fast ausschließlich unter dem Aspekt der Einwanderung diskutiert. Dabei wäre ein »Kommen und Gehen« eigentlich die viel bessere Beschreibung: So gab es im Jahr 2015 nach Angabe des Bundesamtes für Statistik etwa 2,1 Millionen Zuzüge nach Deutschland, aber gleichzeitig fast eine Million Fortzüge. 2009 verließen mehr Menschen das Land als kamen. Die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund ist ebenso heterogen wie der Teil der Bevölkerung ohne diesen. Einerseits stammen sie aus der Türkei und Italien und sind während der Anwerbung der »Gastarbeiter« nach Deutschland gekommen – oder sie sind deren Nachkommen. Eine zweite größere Gruppe floh während des Balkankrieges aus dem ehemaligen Jugoslawien, eine dritte Gruppe bilden die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien, dem Iran und Afghanistan. Und die vierte größere Gruppe setzt sich aus den Spätaussiedlern zusammen. Schlussendlich leben auch viele Menschen aus anderen EU-Staaten bei uns, die zeitweise oder dauerhaft hier arbeiten oder sich während eines Studiums oder einer Ausbildung in Deutschland aufhalten.

Die kulturellen, persönlichen und sozialen Hintergründe sind so verschieden, dass eine Zusammenfassung dieser Menschen als »die Zugewanderten« – oder wie es in Bayern so schön heißt »die Zugroasten« – keinen Sinn mehr macht. Die Bezeichnung als »die Ausländer« ebenso wenig, da ein Teil von ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Zum Islam bekennen sich übrigens circa fünf Millionen Menschen in Deutschland, das sind etwa sechs Prozent der Wohnbevölkerung – und nur ein Drittel dessen, was die meisten Menschen schätzen.[5] Auch unter den Menschen mit Migrationshintergrund bekennt sich nur eine Minderheit zum Islam.

Migration ist für viele Menschen die wichtigste Dimension der Pluralisierung. Sie ist aber beileibe nicht die einzige.[6] Die Ausdifferenzierung der Lebensmodelle, also das, was einem im Leben wichtig ist, hat ebenso wie wachsende Einkommens- und Vermögensunterschiede und einschneidende Veränderungen in der Arbeitswelt zur Auflösung von früher prägenden Milieus geführt. Die »bürgerliche Mitte« ist heute ebenso schwer zu fassen wie »die Arbeiter«. Und der Anteil der Bürger*innen, der einer der beiden großen christlichen Kirchen angehört, sinkt. Eine Studie im Auftrag der evangelischen und katholischen Kirche geht davon aus, dass die Zahl von heute gut 44 Millionen in den nächsten 40 Jahren auf 22 Millionen schrumpfen wird.[7] Der demografische Wandel hat zur Folge, dass mehr ältere Menschen und weniger jüngere hier leben. Frauen bestimmen heute selbstbewusster über ihr eigenes Leben, ihre Karriere und ihre Familienplanung. Bei mir im gleichaltrigen Freundeskreis gibt es die unterschiedlichsten Lebensentwürfe: von der vollzeitbeschäftigten Mama mit zwei Kindern über die Teilzeit arbeitende Frau ohne Kinder bis hin zur Mutter mit den drei Kindern, die sich für die traditionelle Rolle entschieden hat und zu Hause das Familienleben managt. Auch die LGBTTIQ*-Community fordert zu Recht ihre Rechte ein: als Menschen mit nicht heterosexueller Orientierung anerkannt und gleichberechtigt zu sein. Wo es früher eine Normalbiografie gab und wenige Ausnahmen, ist heute anders zu sein die neue Normalität.

Und das Schöne daran ist: Die Mehrheit der Bürger*innen hat keinerlei Probleme mit der wachsenden Vielfalt.[8] Das ist mit Blick auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt eine gute Nachricht und eine Absage an alle, die glauben, die Gesellschaft müsse homogener werden, um nicht auseinanderzufallen. Dennoch ist die Akzeptanz von Vielfalt in der Bevölkerung nicht gleich verteilt – die verschiedenen Dimensionen der Vielfalt werden unterschiedlich bewertet. Während Menschen mit Behinderung, nicht heterosexueller Orientierung, eines anderen Lebensalters, Geschlechts oder einer anderen ethnischen Herkunft mehrheitlich akzeptiert werden, bestehen gegenüber armen Menschen und Angehörigen mancher Religionen deutliche Vorbehalte. Hier gibt es ein sehr großes regionales Gefälle. Vor allem in den östlichen Bundesländern und in ländlichen Regionen wird gesellschaftliche Vielfalt zum Teil weniger angenommen als in den städtischen Regionen. Dort, wo Pluralität in allen Facetten am stärksten ausgeprägt ist, ist die Akzeptanz am höchsten. Wo die Gesellschaft hingegen homogener ist, macht sich die Angst vor der Vielfalt breit. Vielfalt scheint also von einer abstrakten Bedrohung zu einer Alltagserfahrung zu schrumpfen, wenn gesellschaftliche Vielfalt live und in Farbe erlebt wird. Das bedeutet im Umkehrschluss: Es gibt Möglichkeiten, um die Akzeptanz von Vielfalt zu fördern …

»Eine zentrale Erkenntnis des Vielfaltsbarometers ist, dass die Akzeptanz von Vielfalt weniger eine Frage von strukturellen Bedingungen als der eigenen Haltung ist. Entscheidend ist es, die individuelle Empathiefähigkeit zu stärken und das Unbehagen gegenüber ›fremden‹ gesellschaftlichen Gruppen abzubauen. Dazu sind – ganz im Sinne der Kontakthypothese – Begegnungen und das Kennenlernen notwendig oder in den Worten einer Studienteilnehmerin ›Was man kennt, fürchtet man nicht‹. Der Ort für diese Begegnungen ist die Nachbarschaft. (…) Die Zivilgesellschaft kann es sich zur Aufgabe machen, solche Begegnungen zu initiieren. Nicht weniger bedeutend aber ist die Rolle von Politik und Medien, die durch die Art der Kommunikation den Grundton legen, wie über gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland gesprochen wird.«[9]

Genauso sehe ich das auch. Die Kommunikation und weiter gefasst das grundlegende Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten ist eine wichtige Stellschraube für das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Eine vielfältige und komplexe Gesellschaft lässt sich nicht im patriarchalen Kammerton regieren. Sie braucht Erklärung, Transparenz und Beteiligung. Gesetze und Regeln hinter verschlossenen Türen auszuhandeln und dann die Öffentlichkeit über die Ergebnisse zu informieren – das reicht nicht mehr. Das mag in den Zeiten funktioniert haben, in denen die beiden großen Volksparteien ein annäherndes Spiegelbild der Gesellschaft waren, weil alle wesentlichen organisierten Interessen in diesen Volksparteien abgebildet wurden. Heutzutage ist die Öffentlichkeit aber vielschichtiger und hat einen anderen Anspruch: nämlich eine Politik, die auf Augenhöhe zwischen Regierenden und Regierten stattfindet. Auch ich habe mich – bevor ich in den Landtag gewählt wurde – stark mit der Bundespolitik auseinandergesetzt und von der Landtagspolitik gar nicht so viel mitbekommen. Das liegt hauptsächlich daran, dass sich das meiste um die bundespolitischen Themen dreht oder aber um die kommunalen vor Ort. Das war einer der Gründe, warum ich auch nach meiner Wahl in den Bayerischen Landtag in den sozialen Netzwerken aktiv geblieben bin. Mein Ziel war und ist es, die Leute mitzunehmen, ihnen zu erklären, was eine Landtagsabgeordnete den lieben langen Tag so macht und erlebt. Und so wurde ich die erste YouTuberin des Bayerischen Landtags und zeige bis heute auf meinem Kanal kleine Clips. Darum mache ich bei Instagram Storys, twittere und habe eine ausführliche Webseite, auf der ich alle meine Anfragen und Anträge hochlade. Ich finde es wichtig, meinen Teil dazu beizutragen, dass interessierte Leute mir online folgen – und so Demokratie live miterleben können und ich direkte Rückmeldung erhalte. Dafür sind die digitalen Medien großartig.