My Wish - Greife nach den Sternen - Audrey Carlan - E-Book

My Wish - Greife nach den Sternen E-Book

Audrey Carlan

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Beschreibung

Wenn meine Wünsche Sterne wären ...

Catori Ross hat durch ihre indigenen Vorfahren einen besonderen Bezug zu den Sternen. Schon früh hat sie in ihnen gelesen, dass ihr kein langes Leben vergönnt sein wird. Deshalb saugt sie alles in sich auf, reist, lacht und liebt mit jeder Faser ihres Seins. Sie will den Sand zwischen ihren Zehen fühlen. Sie will tanzen, bis ihre Füße schmerzen. Sie will die Welt sehen. Sie will die Liebe finden. Und all das tut Catori. Aber die Freiheit hat einen großen Preis. Catori muss Zeit opfern, die sie mit ihren Töchtern hätte verbringen können. Nicht bei den Menschen zu sein, die man liebt, heißt nicht, dass man sie weniger liebt. Ganz im Gegenteil. Als Catori schwer krank wird und ihr Tod näher rückt, wird ein Wunsch in ihr immer stärker. Kann sie ihn sich noch erfüllen, bevor es zu spät ist?

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DASBUCH

Catori Ross hat durch ihre indigenen Vorfahren einen besonderen Bezug zu den Sternen. Schon früh hat sie in ihnen gelesen, dass ihr kein langes Leben vergönnt sein wird. Deshalb saugt sie alles in sich auf, reist, lacht und liebt mit jeder Faser ihres Seins. Sie will den Sand zwischen ihren Zehen fühlen. Sie will tanzen, bis ihre Füße schmerzen. Sie will die Welt sehen. Sie will die Liebe finden. Und all das tut Catori. Aber die Freiheit hat einen großen Preis. Catori muss Zeit opfern, die sie mit ihren Töchtern hätte verbringen können. Nicht bei den Menschen zu sein, die man liebt, heißt nicht, dass man sie weniger liebt. Ganz im Gegenteil. Als Catori schwer krank wird und ihr Tod näher rückt, wird ein Wunsch in ihr immer stärker. Kann sie ihn sich noch erfüllen, bevor es zu spät ist?

DIEAUTORIN

Audrey Carlan schreibt mit Leidenschaft prickelnd-romantische Unterhaltung. Ihre Romane veröffentlichte sie zunächst als Selfpublisherin und wurde daraufhin bald zur internationalen Bestseller-Autorin. Ihre Serien Calendar Girl und Trinity stürmten in Deutschland die SPIEGEL-Bestsellerliste. My Wish ist ihre neue große Romance-Reihe. Audrey Carlan lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Kalifornien.

AUDREY

CARLAN

My Wish

Greife nach

den Sternen

Roman

Aus dem Amerikanischen

von Nicole Hölsken

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe IFSTARSWEREWISHES erschien erstmals 2022.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 08/2022

Copyright © 2022 Audrey Carlan, Inc.

Published by Arrangement with AUDREYCARLAN, INC.

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC

vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Anita Hirtreiter

Umschlaggestaltung: bürosüd, www.buerosued.de

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-26529-8V001

www.heyne.de

Für alle Mütter, Schwestern und Töchter.

Lebt genau so, wie ihr es euch wünscht.

Anmerkung für die Leser

Hallo, meine neuen Freunde,

im Grunde müsste dieses Buch mit einem Warnhinweis versehen sein, denn es ist mir noch nie so schwergefallen, eine Geschichte zu erzählen. Catori gehört nicht zu den üblichen Romanheldinnen, sondern ist vielmehr eine ganz gewöhnliche Frau mit Hoffnungen, Träumen und Wünschen, die sie sich trotz zahlloser Widrigkeiten mit aller Entschlossenheit zu erfüllen versucht.

Als ich mich daran machte, die Wish-Reihe zu schreiben, konzentrierte ich mich gedanklich vornehmlich auf die Geschichten von Suda Kaye, Evie und Isabeau. Jeder einzelne ihrer komplexen Lebenswege wird in den Vorgängerbänden geschildert: Breite deine Flügel aus, Strahle wie die Sonne und Genieße jeden Moment. Jeder Titel steht für sich allein, sodass ihr sie euch wahlweise vor oder nach der Lektüre des vorliegenden Buches zu Gemüte führen könnt. Ursprünglich hatte ich gar nicht vor, die Reise der Mutter niederzuschreiben, aber Catori ließ einfach nicht locker. Sie nervte meine Muse, bis ich mich hinsetzte und die Finger auf die Tasten legte. My Wish – Greife nach den Sternen ist das Endergebnis.

Ihre Geschichte hat nicht das Happy End, das die meisten Romances oder Frauenromane auszeichnet. Gelinde gesagt ist Catori chaotisch, kompliziert und ungewöhnlich. Möglicherweise ist sie vielen von euch sogar unsympathisch. Und ich möchte wetten, dass manche wegen ihrer fragwürdigen Entscheidungen das Buch irgendwann aus der Hand legen, ohne es zu Ende zu lesen. Ich hoffe jedoch, ihr gehört nicht dazu und findet die innere Kraft, es durchzustehen.

Unwillkürlich kommt mir ein Bibelvers in den Sinn, der mich in meiner Jugend sehr angesprochen hat und der meiner Ansicht nach wie kein anderer zu Catoris Lebenserfahrungen passt.

»Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.« (Johannes 8,7)

Ehrlich gesagt, sagt dieser Satz eigentlich alles.

Catori ist ein Mensch. Einerseits ist sie total egoistisch, andererseits aber auch unglaublich selbstlos. Ich beschwöre euch, den Roman bis zum Ende zu lesen, bevor ihr sie verurteilt. Es gibt so viele Gründe, warum Menschen so und nicht anders handeln. Einige von uns können diese Gründe nicht nachvollziehen, während sie wiederum für andere plausibel sind, weil sie unsere tiefsten und dunkelsten Wünsche ausdrücken. Catori kostet jeden Augenblick ihres Lebens in vollen Zügen aus. Sie trifft Entscheidungen aus einer Laune heraus, akzeptiert anschließend allerdings voller Würde die Folgen und die Opfer, die damit einhergehen.

Diese Geschichte soll das Leben eines Menschen mit all seinen Höhen und Tiefen widerspiegeln. Deshalb findet ihr darin Freude, Lachen, Trauer, Leid, Schmerz, Hass, Liebe, Respekt, Hoffnung und Opfer. Das Erzähltempo ist schnell, und oft werden Zeitabschnitte übersprungen, aber ich verspreche, dass ich euch nichts Wichtiges vorenthalte.

Wenn ihr bis zum Ende durchhaltet, werdet ihr – genau wie Catori selbst – letztlich euren Frieden finden. Vor allem aber lasst ihr euch mit der Lektüre auf ein intensives Abenteuer ein. Bei dem Gedanken daran muss ich sogar in diesem Moment noch lächeln.

In unendlicher Liebe

Audrey

Prolog

In meiner Kindheit kam mir alles so groß, unendlich und beeindruckend vor. Ich wuchs in einem Reservat der amerikanischen Ureinwohner auf – eine etwa dreistündige Autofahrt südlich von Pueblo in Colorado entfernt – und wurde von einem der Älteren aus dem Stamm der Komantschen aufgezogen. Unsere Vorfahren lebten schon seit Jahrhunderten auf diesem Land, kämpften dafür, vergossen dafür ihr Blut und starben, um es zu behalten. Achtzehn Jahre lang konnte ich es in seiner ganzen Schönheit genießen und seine Gaben und Geheimnisse in mich aufnehmen. Ich konnte bei Vollmond mit den Geistern unseres Volkes tanzen und all das würdigen, was sie für uns geopfert hatten. Und doch konnte ich den Sirenengesang der großen, weiten Welt nicht länger ignorieren.

Im Gegensatz zu meiner Mutter Topsannah, die halb Komantsche, halb Navajo war, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als das Reservat zu verlassen. Abenteuer dort draußen zu erleben, meinen Horizont zu erweitern und offen für alles Neue zu sein, was der Schöpfer zu bieten hatte … bevor es zu spät war.

Mit achtzehn bekam ich endlich meine Chance, und nichts hätte mich davon abhalten können, sie zu ergreifen. Zu wissen, dass mir nur wenig Zeit auf dieser Erde vergönnt war, minderte mein Fernweh nicht im Mindesten. Im Gegenteil: Es nährte das Feuer in mir, jenes brennende Verlangen, so viele Erfahrungen wie möglich zu machen.

Ich beobachtete, wie meine Mutter aus meiner Kommode einen Stapel zusammengefalteter Klamotten nahm und ihn dann langsam zu dem riesigen Koffer hinübertrug, den meine Eltern mir zum Highschool-Abschluss geschenkt hatten. Er war groß genug, um alles hineinzupacken, was mir lieb und teuer war – außer meinen Eltern.

Als ich ihnen verkündete, mir die Welt ansehen zu wollen, hatte mein Vater lediglich gesagt: »Dein Weg ist nicht der unsrige. Nur du selbst kannst über deine Zukunft bestimmen. Wenn du auf Reisen gehen möchtest, dann tu das.«

Aber obwohl ich wusste, dass meine Eltern mich unterstützten, machte ich mir große Sorgen wegen des immer schlechter werdenden Gesundheitszustandes meiner Mutter. Der Krebs fraß sie bei lebendigem Leib auf, dennoch ließ sie sich keine Minute lang daran hindern, so zu leben, wie sie es wollte. Sie liebte nichts mehr, als im Reservat zu leben, unter ihresgleichen zu sein und ein Kind großzuziehen. Sie verbrachte ihre Tage mit Kochen, ging ihren Hobbys nach und verbrachte viel Zeit mit meinem Vater. All das machte ihr große Freude. Ihre Liebe zu meinem Vater Tahsuda konnte ich durchaus nachvollziehen. Wir verehrten ihn beide zutiefst, zumal sein einziger Lebensinhalt darin bestand, uns ein schönes Leben zu ermöglichen. Von unserem Stamm wurde er hoch geachtet und geehrt und diente ihm gewissenhaft. Mein Vater war der Anker unserer kleinen Familie. Wo immer er war, dort war unsere Heimat.

»Hast du auch genug Geld?« Meine Mutter klang besorgt.

»Ja. Das weißt du doch.« Ich lächelte und setzte mich neben den Koffer, wo sie meine Kleider erneut zusammenfaltete und sie ordentlich hineinpackte. Dann streckte ich den Arm nach ihr aus, und sie ergriff meine Hand.

»Du bist mein einziges Kind.« Ihre Stimme zitterte.

An diesen Umstand musste sie mich nicht erinnern. Mutter hatte sich viele Kinder gewünscht. Aber leider hatte das nicht sein sollen. Da es bei meiner Geburt Komplikationen gegeben hatte, hatte sie sich die Gebärmutter entfernen lassen müssen. Damals war sie erst zwanzig Jahre alt gewesen.

»Pia.« Das hieß so viel wie Mutter auf Komantsche. »Mir wird schon nichts zustoßen. Immerhin reise ich mit der Tanztruppe, nicht allein.«

Sie schloss ihre dunklen Augen, und ich wartete ab, bis sie ihre Fassung zurückerlangte. Meine Mutter war eine schöne Frau: Sie hatte hohe Wangenknochen, eine makellose, zartbraune Haut, rosige Lippen und tiefgründige, kohlrabenschwarze Augen, die, wie ich hätte schwören können, bis auf den Grund meiner Seele zu sehen vermochten. Ihr schwarzes Haar war beeindruckend lang und zu zwei perfekten Zöpfen geflochten, die ihr Gesicht umrahmten und bis weit unter die Brust hinabfielen. Ich hatte mein Haar genauso lang wie ihres wachsen lassen, denn ich fand immer, dass es aussah wie seidiger schwarzer Satin, besonders, wenn sie es offen trug – was allerdings nicht allzu häufig vorkam. Ich jedoch tat das häufig. Mein Haar war prachtvoll, und wohin ich auch ging, bekam ich dafür Komplimente. Außerdem war es ein Geschenk von meiner Mutter, meinem Vater und dem Schöpfer. Ein deutlich erkennbares Andenken an mein indigenes Erbe, auf das ich stolz war. Ich war von Kopf bis Fuß das genaue Ebenbild meiner Eltern. Angefangen vom Haar, über die hohen Wangenknochen und die dunklen Augen bis hin zu der kurvigen Figur meiner Mutter hatte ich den genetischen Jackpot geknackt.

»Und wenn du dich erkältest?«

Ich presste die Lippen aufeinander, um mir das Lachen zu verkneifen. »Dann suche ich einen Arzt auf und lasse mir Medikamente verschreiben.« Ich drückte ihre Hände. »Pia, vertrau darauf, dass ich für mich selbst sorgen kann. Dies ist mein Weg. Meine Zeit, um die Welt zu erkunden. Du und ahpu, ihr habt mich mein Leben lang darauf vorbereitet.«

Sie atmete tief ein und sah mir in die Augen. »Und wenn du die Krankheit in deinem Innern spürst, peta …« Dies war das Wort für »Tochter« in unserer Sprache, »… musst du heimkommen. Damit ahpu und unser Stamm sich um dich kümmern können.«

Ich schloss die Augen und presste erneut die Lippen aufeinander, diesmal um den Zorn über mein Schicksal zu unterdrücken. Ich besaß jahrelange Übung darin, gegen den Kummer und die Wut über mein Los anzukämpfen. Seit frühester Kindheit hatte ich gewusst, dass meine Zeit auf Erden begrenzt war. Meine Mutter hatte es bei meiner Geburt in den Sternen gelesen, genau wie ihre Mutter bei ihr. Des Weiteren hatten moderne medizinische Verfahren verifiziert, dass wir die gleiche genetische Veranlagung hatten. Beide Frauen – sowohl meine Mutter als auch meine Großmutter – besaßen die einzigartige Fähigkeit, dem Nachthimmel Bruchstücke unserer Zukunft zu entlocken. Einige der anderen Stämme glaubten an diese Gabe, wieder andere nicht.

Ich glaubte daran.

Mein Vater glaubte daran.

Und mir war das genug.

Doch dieses Wissen weckte keine Angst vor dem Unbekannten oder vor meiner Sterblichkeit in mir. Es hatte sogar genau die gegenteilige Wirkung. Dadurch war ich sogar noch entschlossener, in die Welt zu ziehen und mein Leben voll auszukosten. Und genau das würde ich jetzt tun.

Ich würde ein Engagement als Tänzerin in der Bauchtanztruppe annehmen, mit der ich seit meinem Abschluss den ganzen Sommer lang trainiert hatte. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Ich würde jeden einzelnen Tag nur für mich selbst leben und mir die Wünsche erfüllen, die ich an das Leben hatte.

»Pia, ich verspreche dir, dass ich regelmäßig heimkomme und euch besuche. Und einmal die Woche rufe ich an.«

»Einmal am Tag?« Die Hoffnung ließ ihre Stimme höher klingen.

Ich grinste. »Zweimal die Woche. Ich bin jetzt erwachsen. Erwachsene müssen sich nicht täglich bei ihren Eltern melden. Aber ich liebe dich und höre deine Stimme so gern, weshalb ich mindestens zweimal die Woche anrufe.«

Das war gelogen. Ich hatte vor, mich so oft wie möglich zu melden. Meine Mutter war meine beste Freundin und meine wichtigste Vertraute, die sich stets in mich hineinversetzen konnte. Egal, um welches Thema es sich handelte oder was ich hören wollte, ihr Rat war immer der beste.

Meine Mutter strahlte über das ganze Gesicht, und dieser Anblick versetzte meinem Herzen einen Stich. Ich wusste, dass meine Mutter nicht mehr lange zu leben hatte, und doch würde ich sie nun verlassen, um meinen Träumen hinterherzujagen. Es kam mir selbstsüchtig vor, aber sie hatte mir immer und immer wieder geraten, keine Sekunde zu vergeuden.

»Du weißt, dass ich dich mehr liebe als den Mond und die Sterne am Firmament.« Meine Stimme zitterte.

Meine Mutter atmete tief ein und nahm neben mir Platz. Sie legte mir den Arm um die Schultern, und ich lehnte mich an sie.

»Das Leben ist voller Entscheidungen«, sagte sie. »Manche sind leicht. Andere sehr schwer. Der Schöpfer würde uns derlei Hochs und Tiefs nicht zumuten, wenn sie uns nicht etwas lehren sollten. Ich werde dich vermissen und pausenlos an dich denken. Manchmal fehlst du mir schon, wenn du das Zimmer verlässt. Das ist Liebe, meine Tochter. In deinem Leben wirst du dich häufig dazu entschließen müssen, diejenigen zu verlassen, die du liebst. Diesen Augenblicken wohnt eine besondere Schönheit inne, denn sie gehen mit tiefen Gefühlen und guten Absichten einher. Und das Wissen um diese Gefühle bringt uns Frieden, nicht wahr?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Es fällt mir schwer, dich und ahpu zu verlassen.« In unserer Sprache bedeutet ahpu so viel wie »Vater«. »Ich weiß, dass ich es tun muss, aber ich fürchte mich vor dem, was ich verpasse, während ich fort bin.«

Sie streichelte meinen Arm. »Das wirst du niemals wissen. Und das sollst du auch gar nicht. Lebe alle Momente immer ganz bewusst. Sie geben dir die Kraft zum Weiterleben. Wie dem jetzigen. Bist du dir meiner Liebe zu dir sicher?«

Mein Kinn zitterte, als ich die Lippen benetzte und meine Mutter ansah. Ihr seelenvoller Blick erfüllte mich mit Liebe und Zärtlichkeit. »Du hast mir mein Leben lang nichts als Liebe gezeigt.«

»Und die nimmst du mit dir, wohin du auch gehst. Genau wie ich an der Liebe festhalte, die du mir entgegenbringst.« Sie reckte die Handfläche der Decke entgegen. »Die Liebe kann man nicht sehen.« Dann drückte sie die Hand auf ihr Herz. »Sondern nur spüren. Tief im Innern. Sie ist stets bei dir. Und wenn ich fort bin, wird meine Liebe immer noch da sein. Und dich umgeben.«

Ich schlang die Arme um sie und hielt sie fest, wollte das Wesen meiner Mutter ganz und gar in mich aufnehmen, damit sie mich auf dem langen Weg, der vor mir lag, im Gleichgewicht hielt. »Ich liebe dich, pia.«

»Und ich liebe dich, Catori. Meine kühne und mutige junge Tochter. In den Sternen habe ich gelesen, dass du das Leben vieler Menschen verändern wirst. Du wirst ein großes Vermächtnis hinterlassen. Und jetzt ist für dich die Zeit gekommen, deine Zukunft zu leben.«

Sie umfing meine Wange, und ich schmiegte mich in ihre Hand.

»Ich bin so stolz auf die Frau, die du bist und die aus dir werden wird.« Sie erhob sich, klappte den Deckel meines Koffers zu und machte den Reißverschluss zu. »Dein Schicksal erwartet dich.«

* * *

Mein Vater fuhr mich mit dem alten Chevy zum Bahnhof, wo sich meine Bauchtanztruppe treffen sollte. Von dort würden wir zu unserer gemeinsamen Tournee aufbrechen. Im Wagen war es so bedrückend still, dass es mir schwer ums Herz wurde und ich feuchte Handflächen bekam.

Tahsuda sprach nur dann, wenn er glaubte, etwas zu sagen zu haben. Er gehörte nicht zu den Menschen, die belanglos vor sich hin plauderten. Wenn er etwas sagte, hörte man ihm zu. Punkt.

Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, wippte hektisch mit dem Fuß auf und ab, rang die Hände.

Schließlich wandte er mir den Kopf zu. Seine Haut war dunkler als Moms und meine, eher von der Farbe des Wüstenbodens bei Einbruch der Dunkelheit. Seine Augen waren espressofarben. Viele Tage unter der unbarmherzigen Sonne hatten sein Gesicht mit feinen Falten durchzogen, sodass er älter wirkte als die vier Jahrzehnte, die er bereits gelebt hatte. Seine Brust war breit und muskulös, ebenso wie die Arme und Beine hart und stark von der körperlichen Arbeit im Reservat waren. In meinen Augen war er ein Superheld, denn er irrte sich nie und konnte keinem Lebewesen ein Leid zufügen. Für mich war er ein naturgegebener Gott der amerikanischen Ureinwohner, obwohl er dem wahrscheinlich energisch widersprochen hätte. Über dem Schöpfer gab es für ihn niemanden. Das Glaubenssystem unseres Stammes war für ihn unumstößlich und fußte auf unseren spirituellen Gesetzen und der Verbindung zu unserem Schöpfer.

»Du wirst vieles tun und sehen, nupihi«, sagte er. So nannte er mich schon zeit meines Lebens. Das Kosewort hieß so viel wie »mein Herz«.

Ich nickte stumm, schließlich wusste ich auch so, dass er mir noch ein paar weitere Weisheiten mit auf den Weg geben würde.

»In dir fließt mein Blut. Und das Blut deiner Mutter«, fuhr er fort. »Du gehörst zum Stamm der Komantschen. Du wirst geliebt. Du bist niemals allein. Denk immer daran, wer du bist und woher du kommst, und daran, dass du ein Zuhause hast. Finde Trost darin.«

»Das werde ich, ahpu. Ich werde nie vergessen, woher ich stamme oder wo meine Heimat ist.« Natürlich verschwieg er, dass ich zumindest zu einem Viertel Navajo war. Er war fest davon überzeugt, dass sein Komantschen-Erbe die Wurzel alles Guten war.

Seine Lippen zuckten, und so stolz, wie nur er es zu tun vermochte, reckte er das Kinn hoch.

Unwillkürlich musste ich darüber lächeln, wie viel Schmerz es mir bereitete, diesen Mann zu verlassen, während ich den ersten Schritt auf meine Zukunft zumachte.

»Ich werde dich stolz machen, ahpu.«

»Das tust du heute schon jeden Tag. Jede Minute, die du atmest, bin ich stolz auf dich. Stolz auf das Geschenk, das der Schöpfer mir und deiner pia gemacht hat. Meine Catori. Unser Freigeist. Dem es vorbestimmt ist, eins mit dem Wind zu sein. Jetzt bietet sich dir deine Chance.«

Als er den zerbeulten Truck auf den Bahnhofsparkplatz lenkte, entdeckte ich meine Freundinnen, die im Kreis vor dem Gebäude standen. Ich winkte ihnen durch die Windschutzscheibe zu, und sie hüpften allesamt auf und ab und klatschten in die Hände. Wahrscheinlich hatten sie bis zur letzten Minute befürchtet, ich würde nicht auftauchen. Es war allgemein bekannt, dass amerikanische Ureinwohner lieber unter sich blieben und ihre Kultur in ihren Reservaten und den kleinen Gemeinschaften in den Great Plains pflegten.

Aber immerzu an ein und demselben Ort zu bleiben war nicht mein Schicksal.

Wir stiegen aus dem Truck aus, und mein Vater wuchtete den großen Koffer aus dem Kofferraum und stellte ihn neben mir ab. Eine geschlagene Minute lang standen wir nur da und sahen einander stumm in die Augen.

»Heute lässt du deine Träume Wirklichkeit werden.« Er lächelte sanft.

Mein Blut fing in meinen Adern an zu kribbeln, und ich bekam eine Gänsehaut.

Er breitete die Arme aus.

Ich warf mich mit aller Macht hinein, denn ich wollte, dass dieser Mann sich ganz und gar in meine Haut und bis tief in meine Knochen einbrannte. Aber dort war er bereits. Seine Essenz und die meiner Mutter hatten sich mit meiner verwoben, sodass ihre Liebe ein Teil von mir war.

Mein Vater presste mich an seine geliebte Brust, erfüllte mich mit Liebe, Aufregung und Trost. Wohin ich auch ging, wie weit ich auch reiste, seine Liebe würde mich begleiten. Und wenn meine Füße müde und meine Flügel erschöpft waren, würde er mich daheim mit offenen Armen erwarten und mir ein gemütliches Plätzchen zum Ausruhen bieten.

»Es wird Zeit«, murmelte er. »Meine Liebe gehört dir – immer.« Er umfing meine Wangen und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

»Ich liebe dich, ahpu. Mehr als den Mond und die Sterne am Firmament.«

Er löste sich von mir und verschränkte die Arme über seinem Poncho. Dann nahm ich meinen Koffer und schleppte ihn zu meinen Freundinnen hinüber, die sofort vor Freude zu kreischen anfingen.

»Na los, Ladys. Der Zug wartet nicht«, verkündete die Trainerin unserer Tanztruppe.

Mit dem Koffer in der Hand wandte ich mich noch einmal um und sah meinem Vater in die Augen. Ich hob die Hand und winkte ihm energisch zu.

Er schenkte mir eines seiner seltenen strahlenden Lächeln.

Mir ging das Herz auf.

Nun wurde es Zeit für mich, mein eigenes Leben zu leben.

Kapitel 1

Zwei Jahre später …

Die Musik elektrisierte meinen ganzen Körper. Mit erhobenen Armen drehte ich mich um die eigene Achse und ließ die Fingerzimbeln im Takt zur Melodie erklingen. Als meine Gruppe sich dem Höhepunkt der Musik näherte, gab die Menge um die Bühne Ooohs und Aaahs von sich. Wir schwenkten die Hüften wild von rechts nach links und ließen sie so schnell kreisen, dass sie in einem Strudel aus Farben zu verschwimmen schienen. Da wir beim Finale so geschwind herumwirbelten, sah das Publikum nur noch Stofffetzen in die Luft schweben und wieder herabfallen, sodass die Perlen und Pailletten auf unseren Kostümen sich im strahlenden Sonnenlicht spiegelten und die Augen der Zuschauer blendeten.

Das Oberteil meines terrakottafarbenen türkischen Badlahs war über und über mit goldenen und silbernen Glitzerpartikeln besetzt. Der Rock bestand aus einem durchsichtigen Seidenstoff, der zum Oberteil passte. An jedem Schenkel war er bis zum Hüftgürtel geschlitzt, um maximale Bewegungsfreiheit mit Sexappeal zu verbinden. In diesem Ensemble kam ich mir exotisch und geheimnisvoll vor. Den oberen Teil meines Haares trug ich hochgesteckt, um den Zuschauern mehr von meinem Gesicht zu zeigen, während der Rest meine Haut umschmeichelte und meinen gesamten Rücken hinab bis zur Taille fiel.

Ich begab mich auf eine Position an der Ecke der Bühne, als ich den Blick zweier funkelnder blauer Augen auffing, die einem großen, blonden Mann gehörten. Sofort war ich fasziniert. Eine Gänsehaut bildete sich auf meiner nackten Haut, und meine Nerven sprühten Funken.

Diese Augen. Ich hatte das Gefühl, als würden sie mir mit ihrem klaren Blick tief in die Seele schauen.

Ich bewegte mich weiter, ließ aber den Unbekannten nicht aus den Augen. Er trug lässige beigefarbene Shorts und ein schlichtes weißes T-Shirt, das über seiner muskulösen Brust spannte. Sein markantes Kinn war unrasiert, was ihn leicht verwegen aussehen ließ, und er hatte die blauesten Augen, die ich je gesehen hatte. Sein Blick flackerte keine Sekunde lang, während ich eine Reihe sinnlich wogender Bewegungen vor ihm vollführte. Wenn überhaupt, wurde er noch intensiver, sodass ein Feuer in ihnen loderte, wie ich es noch nie bei jemandem gesehen hatte.

Ich schloss die Augen, um von diesem heißen Blick nicht verbrannt zu werden, und tat es den anderen Tänzerinnen meiner Gruppe gleich, die die Hände über den Kopf hoben und die letzten Schritte ausführten. Unsere Bauchmuskeln schienen sich beinahe in Lichtgeschwindigkeit zu bewegen, weshalb das Publikum in tosenden Applaus ausbrach.

Nachdem die Musik verklungen war, öffnete ich die Augen wieder und stellte fest, dass der blonde Mann verschwunden war. Der Schmerz fuhr mir tief in meine Eingeweide. Als hätte ich etwas verpasst. Eine Gelegenheit. Einen Ruf. Etwas, das mein Leben für immer verändern würde. Ich schob die Enttäuschung beiseite und nahm meine Position in der Reihe der Tänzerinnen ein, um mit ihnen von der Bühne zu schweben.

Wie immer nach einer gelungenen Aufführung umarmten wir einander ausgiebig. Doch heute waren wir alle etwas wehmütig, da der Abschied nahte. Unter Tränen versicherten wir uns unserer gegenseitigen Zuneigung und Freundschaft und gelobten, einander auf ewig schwesterlich verbunden zu sein.

Dies war unsere allerletzte Aufführung für diese Saison. Während des Winters sollte meine Tanztruppe eine viermonatige Auszeit nehmen. Im Frühjahr würden wir uns in Colorado wiedersehen, ein paar Wochen miteinander trainieren und dann wieder auf Tournee gehen, wobei wir im warmen Westen beginnen und dann durch die gesamten Staaten bis hin zur Ostküste tingeln würden. Von dort aus würde ich wieder ins Reservat zurückkehren. Oder vielleicht auch eine meiner Tanzpartnerinnen begleiten, wohin sie auch ziehen mochte. Manchmal bereisten wir dann die fantastischen Orte, die wir auf unserer Tournee nur kurz gestreift hatten, um sie uns noch etwas genauer anzusehen.

Las Vegas war der Hammer gewesen, und ich hatte es nicht annähernd lang genug genießen können. Außerdem hatte ich Lust, die kalifornische Küste zu erkunden, angefangen von San Diego und dann immer weiter nach Norden. Der Winter in Kalifornien war im Vergleich zu dem im Mittelwesten naturgemäß milder, und ich liebte es, den Sand unter meinen nackten Füßen zu spüren. Besonders an warmen Orten wie in der Wüste oder am Strand. Mit Schnee hatte ich nicht allzu viel am Hut. Viel lieber lief ich barfuß herum.

»Hey, Catori!«, rief Stephanie, eine meiner besten Freundinnen, zu mir hinüber und winkte mich zu sich.

Ich schlang mir den Rucksack über die Schulter und gesellte mich zu ihr.

Sie legte mir den Arm um die Schultern und näherte ihr Gesicht dem meinen. »Ein paar von uns wollen heute Abend ausgehen, um das Ende der Saison ausgiebig zu feiern. Bist du dabei?« Ihre langen kastanienbraunen Locken wippten beim Reden. Ein paar Sommersprossen zierten ihre Nase und ihre Wangen. Die Jungs liebten diesen unaufdringlich hübschen, sexy Look.

Gerade als ich antworten wollte, wurde mein Nacken plötzlich von einer Hitzewelle erfasst, und die Härchen auf meinen Armen richteten sich auf. Ich schaute mich um und entdeckte den blauäugigen Riesen. Er lehnte an einer Betonwand mit Aussicht auf den Ozean und starrte mich an. Als er meinen Blick auffing, lächelte er breit und ruckte mit dem Kinn in meine Richtung, wie um mich wortlos aufzufordern, zu ihm zu kommen.

Mein Herz fing an zu rasen, und Funken zuckten über meine Haut. Ich biss mir auf die Unterlippe, während er den Kopf schief legte und den Blick über meine ganze Gestalt wandern ließ, als wolle er sich jedes Detail einprägen, um beim Examen alles abrufen zu können. Obwohl er eigentlich fürs College doch viel zu alt war. Meiner Vermutung nach musste er Mitte bis Ende zwanzig sein.

»Ähm, hallo? Erde an Catori!« Stephanie lachte.

Ich drehte mich wieder zu ihr um, obwohl ich mir doch eigentlich nichts sehnlicher wünschte, als diesen Adonis ausgiebig zu mustern, bevor er sich wieder in Luft auflöste.

»Sorry, Steph, ich äh … siehst du den Kerl hinter mir?« Ich senkte die Stimme, damit niemand mich hörte. Meine Privatsphäre war mir von Natur aus wichtig, weshalb ich romantische Interessen niemals deutlich zeigte und es vorzog, meine verschiedensten Lebensbereiche streng voneinander zu trennen. Freunde in eine Kategorie. Familie in eine andere. Meine Tanzerei, Hobbys und so weiter in die nächste. Alles ordentlich in Schubladen gesteckt. Auf diese Weise vermied ich Überschneidungen, sodass ich meine Beziehungen relativ sorglos genießen konnte. Abgesehen von meiner Familie, achtete ich darauf, mich auf keinerlei dauerhafte, intensive Verbindungen einzulassen. Schließlich wollte ich nirgendwo lang bleiben.

Niemals.

Jetzt und in Zukunft würde mein einziges Ziel darin bestehen, in meinem kurzen Leben meinen ganzen Erlebnishunger zu stillen. Keinen Moment zu vergeuden, genau wie meine Eltern es mir beigebracht hatten.

»Du meinst diese Mischung aus Soldat und Barbies Ken?« Sie grinste und sah ihn an.

Ich runzelte die Stirn und warf ihm erneut einen Blick zu, wobei ich bemerkte, dass er zwei glänzende Erkennungsmarken über dem T-Shirt trug. Sein Haar war an den Seiten kurz geschoren, auf dem Oberkopf aber länger, was ihm eine unbekümmerte Aura verlieh. Er verschränkte seine muskulösen Arme vor der Brust und sah so unglaublich attraktiv aus, dass ich einen ganz trockenen Mund bekam. Schon immer hatte ich eine Schwäche für muskulöse, weiße Männer mit hellen Augen gehabt. Das genaue Gegenteil von mir und meinem Stamm. Wie ein Sonnenstrahl, einfach wunderschön. Und Mr. Actionheld passte in dieses Bild wie die Faust aufs Auge.

Ich lächelte, und er zwinkerte mir zu. Ein Schauer lief mir über den Rücken.

»O mein Gott. Er hat dir gerade zugezwinkert. Der Typ ist total scharf, Catori. Den darfst du dir keinesfalls entgehen lassen.« Aufgeregt stieß sie mich an der Schulter an.

Ich biss mir auf die Innenseite meiner Wange. »Keine Ahnung. Er scheint erheblich älter als ich zu sein. Und außerdem, was soll das bringen? Schließlich bin ich nicht mehr allzu lange hier.«

»Na und? Genieße das Leben, Mädel! In jeder einzelnen Stadt, in der wir auftreten, macht dich ein heißer Typ nach dem anderen an, aber nie beißt du an. Stehst du eher auf Frauen? Ich meine, wäre auch total in Ordnung, wenn es so wäre.«

Ich kicherte und schüttelte den Kopf. »Nein. Aber in meinem Fall kann es gefährlich sein, sich auf romantische Beziehungen einzulassen. Wir reisen ständig durch die Weltgeschichte, bleiben selten mehr als zwei oder drei Tage am gleichen Ort. Ich habe keine Lust, mich auf jemanden einzulassen, wenn ich die Beziehung dann nach kurzer Zeit ohnehin wieder aufgeben muss.«

Sie zog die Nase kraus. »Und dich unverbindlich und ohne Hintergedanken mit jemandem zu amüsieren kommt für dich nicht infrage? Die meisten Typen sind doch sowieso auf nichts Festes aus. Also, wenn du auf ihn stehst und er auf dich, dann genieß es doch einfach! Der einzige Mensch, der deine Entscheidungen verurteilen könnte, bist du selbst. Denk dran, nur du bestimmst über dein Schicksal.«

Schicksal.

Eigentlich der Hauptgrund für diese ganze Reise. Meinen Träumen zu folgen. Mein Leben voll auszukosten. Herauszufinden, was ich mir vom Leben wirklich wünschte. Im Grunde hatte sie recht. Wer oder was hinderte mich daran, einfach bloß das Zusammensein mit einem anderen Menschen zu genießen? Solange ich dem Betreffenden reinen Wein einschenkte, sodass er sich darauf einstellen konnte, dass ich irgendwann wieder verschwinden würde, war doch alles gut, oder?

»Weißt du was? Du hast recht. Ich glaube, ich sollte wirklich anfangen, das Leben zu genießen. Meine Schwingen ausbreiten und davonfliegen.«

Stephanie nickte energisch. »Auf jeden Fall, Süße. Und meiner Meinung nach solltest du noch heute Abend damit anfangen, indem du diesen Typen dort aufreißt!«

Ich lachte. Doch dann fiel mir ein, dass sie mich gerade gefragt hatte, ob ich mit ihr und den anderen ausgehen wollte. »Und mit euch was trinken gehen soll ich nicht?«

Sie zuckte mit den Schultern und winkte ab, als sei ihr das im Grunde einerlei. »Die meisten von uns bleiben die ganze Woche in Atlantic City, um zu feiern und einen draufzumachen, bevor wir nach Hause zurückkehren. Ich erzähl dir morgen, wie’s war. Lass diesen heißen Typen nicht vom Haken, ohne dich zumindest mit ihm unterhalten zu haben. Wenn er nicht deine Kragenweite ist, kannst du immer noch nachkommen. Du hast ja meine Nummer.« Stephanie winkte dem hinter mir stehenden Mann zu. »Huhu! Gleich schicke ich dir meine Freundin rüber!«, rief sie dreist.

Ich seufzte und sah, wie der Mann den Kopf senkte und vor sich hin lachte. Ich wünschte, ich hätte hören können, wie dieses Lachen klang. Wahrscheinlich tief, kehlig und überaus sexy. Alles an ihm war sexy. Angefangen von seinen muskulösen Beinen über seine starken Schenkel, die schmale Taille und die breiten Schultern bis hin zu dem unfassbar schönen Gesicht. Der Mann war einfach toll, und im Moment bedachte er mich mit einem Blick, als würde er mich am liebsten verschlingen.

Ich packte Stephanie bei den Schultern und drehte sie wieder zu mir um. »Okay. Ich rede mit ihm, also verschwinde jetzt. Triff dich mit unseren Freundinnen, und amüsier dich! Ich melde mich morgen bei dir.«

Sie umarmte mich fest. »Tu einfach alles, was ich tun würde, wenn ein Soldatenriese wie dieser mir derartige Blicke zuwürfe.«

Ich verdrehte die Augen. Stephanie war der männlichen Spezies ganz sicher nicht abgeneigt. In jeder Stadt, in die uns unsere Tournee führte, hatte sie eine neue Eroberung gemacht. Ich bewunderte sie für ihre Freizügigkeit. Sie schien vor nichts Angst zu haben. Stets hatte sie nur ein Ziel vor Augen: jeden Moment in vollen Zügen zu genießen. Und sie war definitiv ganz wild auf Jungs. Oder auf Männer, denn eigentlich gabelte sie immer bloß Typen auf, die älter als wir waren.

Ich selbst war bislang nur mit einem einzigen Mann richtig intim geworden. Er hieß Will und lebte damals in der Stadt, die unserem Reservat am nächsten war. Ich lernte ihn bei einem Kinobesuch unserer Clique kennen. Er war der Cousin einer meiner Freundinnen, der regelmäßig im Reservat vorbeischaute. Wir waren nicht verliebt ineinander gewesen und hatten das auch nie behauptet, aber ich war neugierig auf Jungs und auf Sex gewesen. Er war zwei Jahre älter als ich und ganz süß. Ich verführte ihn und erlebte auf diese Weise mein erstes Mal. Tatsächlich war es für uns beide eine Premiere. Immer wenn er in den Jahren darauf seine Familie besuchte, trafen wir uns und trieben es miteinander – natürlich an irgendeinem geheimen Ort und ohne dass jemand von der Stammesgemeinschaft davon wusste. Die Hormone hatten uns damals fest im Griff.

Ich holte tief Luft, wandte mich um und ging auf den dort an der Wand lehnenden Mann zu, wobei ich mich bemühte, gleichzeitig reif, sinnlich und lässig zu wirken. Wie ein Raubtier seine Beute verfolgte er jede meiner Bewegungen. Ich schluckte und biss mir auf die Unterlippe, brachte dann aber doch den Mut auf, ihn anzusprechen.

»Hi«, sagte ich leise und schalt mich innerlich selbst dafür, nicht selbstbewusster zu klingen.

Er lächelte. »Hey.«

Ich schürzte die Lippen und blickte aufs Meer hinaus, krampfhaft überlegend, womit ich die Stille füllen konnte. »Der Ozean sieht im Sonnenlicht einfach fantastisch aus.«

»Nicht so schön wie Sie.« Seine Stimme war ein tiefes Grollen, bei dem sich mein Magen auf angenehmste Weise zusammenzog.

Sein Kompliment trieb mir die Hitze in die Wangen. »Danke. Ich bin Catori«, stellte ich mich vor.

»Catori«, schnurrte er. »Außergewöhnlicher Name.«

»Er bedeutet ›Freigeist‹.«

»Oh. Und sind Sie das?« Fragend hob er die Augenbrauen. Am liebsten hätte ich seine weizenblonden Wölbungen mit dem Finger nachgezeichnet.

»Bin ich was?« Ich legte den Kopf schief und beobachtete, wie sich seine Lippen zu einem sündhaft sinnlichen Grinsen verzogen.

»Ein Freigeist?«

Schweigend zuckte ich nur mit den Schultern, weil mir keine gute Antwort einfiel.

»Ich bin Adam Ross.« Er streckte mir die Hand entgegen.

Kaum berührten sich unsere Hände, wurde mein ganzer Körper von einer höchst angenehmen Hitze durchflutet, als schüfe unsere Energie eine Einheit.

»Nun, äh, nett, Sie kennenzulernen«, sagte ich und unternahm den halbherzigen Versuch, ihm meine Hand zu entziehen.

Er hielt sie fest. »Ich würde Sie gern heute Abend zum Essen ausführen.«

Ich lachte leise und sah auf unsere Hände hinab. »Warum? Sie kennen mich doch nicht einmal.«

»Das würde ich gern ändern. Sogar sehr gern.« Seine blauen Augen funkelten.

Schließlich ließ er meine Hand los, und sofort vermisste ich ihre Wärme.

Sei vorsichtig! Pass auf dich auf! Plötzlich hatte ich die Stimme meiner Mutter im Ohr. Das sagte sie jedes Mal am Ende, wenn wir telefonierten.

»Warum?«, fragte ich ihn erneut.

»Weil Sie die atemberaubendste Frau sind, die ich je gesehen habe. Weil Sie tanzen, als ob die Bewegung zur Musik Ihnen erst Leben einhaucht. Weil ich beim ersten Blick in Ihre Augen bereits wusste, dass ich meine Zukunft gesehen hatte.«

Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Seine wundervollen Worte schienen die Leere in meinem Innern zu füllen.

»Ich werde mit Ihnen zu Abend essen.«

Kapitel 2

Die Türen zur Lobby meines Hotels öffneten sich, und ich beobachtete, wie Adam hineinschlenderte, der Inbegriff von Selbstbewusstsein und Kraft. Er trug eine schwarze Stoffhose und ein hellblaues Oberhemd mit offenem Kragen. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt, was ihm einen gleichzeitig eleganten und legeren Look verlieh.

Ich strich mein schlichtes schwarzes Sommerkleid mit buntem Paisleymuster glatt. Meine offenen Haare fielen mir seidig und schmucklos den Rücken hinab. Allerdings war ich stärker geschminkt als sonst. Insbesondere meine Smokey Eyes fand ich sehr vorteilhaft. Meine Füße steckten in schwarzen Riemchenschuhen mit Keilabsatz, die ich mir von Stephanie ausgeborgt hatte. Auf Reisen nahm ich immer nur das mit, was in einen großen Koffer und eine Schultertasche passte, um jederzeit aufbruchsbereit zu sein. Deshalb besaß ich weder allzu viele Klamotten noch tonnenweise Schuhe. Mein einziger Schmuck war ein Armreif, den Lina, meine beste Freundin im Reservat, mir gemacht hatte. Ein silberner Armreif, in dessen Mitte ein Türkis prangte. Auf jeder Seite der Metalleinfassung war ein Wort zu lesen. Auf der linken stand in geschwungenen Silberlettern »Frei«, auf der anderen »Geist«. Das war das Hübscheste, was ich besaß, und erinnerte mich gleichzeitig an zu Hause.

Adam näherte sich mir mit freundlicher Miene, legte mir die Hand an die Taille, neigte den Kopf und gab mir einen Kuss auf die Wange. Ich schloss die Augen und nahm seinen aromatischen Duft in mich auf. Er roch anders als die Männer daheim. Als hätte er einige Zeit am Strand verbracht, umgab ihn ein frischer Duft nach Meer und Sommer, unterlegt mit einem leichten männlichen Eau de Cologne, das ich gern noch intensiver erkundet hätte.

»Sie sehen atemberaubend aus. Sollen wir?« Er lächelte und bot mir den Ellbogen dar, genau wie die Männer im Kino. Noch nie hatte ich erlebt, dass ein Mann sich einer Frau gegenüber so galant verhielt.

Ich nahm seinen Arm und ließ mich von ihm zur Hoteltür hinausführen. Statt aber in ein Auto zu steigen, wandten wir uns dem Gehsteig zu. Zum Schutz gegen die immer noch gleißend helle Sonne am Horizont setzte er eine Pilotensonnenbrille auf.

»Natürlich gibt es jede Menge Restaurants in der Stadt, aber ich habe uns einen Tisch im Carmine’s reserviert, weil ich davon ausging, dass Sie lieber in der Nähe Ihres Hotels essen würden. Vielleicht können wir vorher draußen an einer der Außenbars mit Meerblick etwas zusammen trinken.«

Meine Wangen wurden ganz heiß, und mir war klar, dass sie rosig glühten. »Ähm, klar, aber ich bin erst zwanzig.« Ich knirschte mit den Zähnen, als müsse ich mich meiner Jugend schämen.

Er blieb abrupt stehen. »Wirklich? Sie kommen mir viel reifer vor.«

Ich lächelte sanft. »Ist das Ihre Art, mir auf höfliche Weise zu sagen, dass ich alt für mein Alter aussehe?«

Ihm blieb der Mund offen stehen, doch dann schüttelte er den Kopf. »Nein«, lachte er. »Sorry. Es liegt an Ihren Augen. An Ihrem prüfenden Blick, mit dem Sie von Ihrer Umwelt viel mehr zu erfassen scheinen als den äußeren Schein.«

»Vielleicht bin ich ja eine alte Seele.«

Er entzog mir seinen Arm und ergriff stattdessen meine Hand. Funken flogen zwischen unseren Händen hin und her, und die Wärme strömte von meiner Hand, meinen Arm hinauf bis geradewegs zu meinem Solarplexus. »Das sehe ich. Möchten Sie gleich zum Abendessen gehen, oder sollen wir noch etwas spazieren gehen?«

»Bislang hatte ich noch gar keine Gelegenheit, mir die Gegend näher anzusehen. Wir sind gestern angekommen, haben die Nacht hier verbracht und sind dann gleich zu unserer Aufführung gefahren. Wenn Sie nichts dagegen hätten, würde ich liebend gern ein wenig hier herumschlendern.«

»Es wäre mir eine Ehre. Übrigens bin ich auch erst seit zwei Tagen hier. Dann können wir die Umgebung zum ersten Mal gemeinsam genießen.«

Mit strahlendem Lächeln sah ich zu ihm auf. Er war erheblich größer als ich. Deutlich über eins achtzig und mindestens fünfzehn Zentimeter größer als ich selbst. Wir blickten uns lange nur in die Augen. Schließlich drückte er meine Hand und atmete tief ein. »Gehen wir los, bevor ich etwas Unanständiges tue.«

»Und was wäre das?« Während wir an Caesars Casino vorübergingen, schaukelte ich seine Hand vor und zurück.

»Etwas, wozu Sie definitiv noch nicht bereit sind.« Wie um sich zu beherrschen, presste er die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen.

Ich lachte leise. »Ohne mich zu fragen, können Sie doch gar nicht wissen, ob ich zu irgendetwas nicht bereit bin?«

Er grinste und warf mir, ohne den Kopf zu wenden, einen Seitenblick zu. »Ich bin ziemlich sicher, dass Sie noch nicht bereit sind, sich von mir küssen zu lassen, und wenn Sie mich mit Ihren seelenvollen, espressofarbenen Augen ansehen, laufe ich Gefahr, mich zu vergessen.«

Ich hatte Schmetterlinge im Bauch. »Verstehe. Das nenne ich Selbstbeherrschung.«

»Darin bin ich Meister«, grummelte er. »Zumindest war das bisher so.« Sein warnendes Grinsen fuhr mir geradewegs in den Magen und wärmte mich von innen heraus.

Etwa eine Stunde lang flanierten wir durch die Stadt, spähten in verschiedene Läden, bewunderten Schaufenster, wobei keiner von uns wirklich etwas kaufen wollte. Wir liefen bis zum Tropicana. Von diesem legendären Hotel mit seinem Nachtleben und der randvollen Geschichte hatte ich schon so viel gehört.

»Wow, diese Lichter sind unglaublich.« Ehrfürchtig schnappte ich nach Luft und legte die Hand auf die Brust.

Adam ließ meine andere Hand los, legte mir den Arm um die Schultern und zog mich an sich. »Ja, die machen schon was her.«

»Ich habe noch nie gespielt«, murmelte ich beim magischen Anblick des riesigen Casinos und Hotels.

»Na, dann kommen Sie!« Wieder ergriff er meine Hand und führte mich durch eine der offenen Türen. Den Anblick von Glücksspielautomaten und Spieltischen kannte ich durchaus, denn einige meiner Leute betrieben in der Nähe unseres Reservats ein Minicasino, aber in einem so großen Etablissement war ich noch nie gewesen.

Alles leuchtete so hell, als sei der Raum lebendig.

Sofort wurde ich in die funkelnde Aufregung der Glöckchen, Pfeifen, Jubelrufe und Freude, die mir aus jeder Ecke des beeindruckenden Saales entgegenwehte, hineingesogen.

Adam führte mich zu den Spielautomaten hinüber. »Da Sie noch nicht einundzwanzig sind, muss ich das Spiel übernehmen, aber Sie dürfen den Automaten auswählen, dann wagen wir einen Versuch.«

Ich klatschte in die Hände und hüpfte vor Vorfreude begeistert auf und ab.

Anschließend ging ich zu einem Automaten hinüber, den ein großer, mit einer Kugel versehener Hebel zierte. In der Mitte befanden sich drei sich drehende Walzen. Anscheinend war er sehr simpel zu bedienen.

»Der hier?« Er gesellte sich zu mir.

Ich nickte.

Adam zückte seine Brieftasche, danach setzte er sich auf einen einzelnen Barhocker vor dem Spielautomaten. Und ehe ich michs versah, packte er meinen Arm und zog mich vor sich hin. Er legte mir den Arm um den Bauch und presste meinen Hintern geradewegs an seinen Schritt. Ich schluckte und tat, als hätte seine Nähe keine Auswirkung auf mich, während er vier Ein-Dollar-Noten herausholte.

»Halten Sie die und meine Brieftasche fest.« Er gab mir drei der Scheine und die zugeklappte Brieftasche. Dann schob ich die Hände mit den beiden Gegenständen zwischen die Brüste und wartete ab.

»Okay, also zuallererst einmal müssen Sie das Geld hier einwerfen.« Er griff um mich herum und ließ den Dollar in die Maschine gleiten. Anschließend legte er mir den freien Arm um die Taille und presste mich noch dichter an sich. Seine Wärme schien geradewegs in meine Haut zu sickern.

Ein überwältigendes Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit durchflutete mich, und ich schmiegte mich nun etwas bewusster an ihn.

»Wow, langsam.« Er umfing mich noch fester. »Wenn Sie so weitermachen, verlangt gleich noch etwas ganz anderes nach Ihrer Aufmerksamkeit«, flüsterte er mir direkt ins Ohr. Sein heißer Atem an meiner empfindlichen Haut war wie Öl, das man auf ein bereits glimmendes Feuer goss. Ich hätte nie gedacht, dass mich schon bei einem ersten Date eine solche Erregung erfassen konnte.

Ich kam mir vor wie ein Schulmädchen und kicherte entsprechend. »Sorry.«

»Bloß keine Entschuldigungen. Eigentlich sind Sie da, wo Sie sind, goldrichtig.« Ich spürte, wie seine Finger meine Hüfte fester umfassten. »Okay, wir haben also jetzt Geld eingeworfen. Sehen Sie diese drei Walzen?«

Ich nickte. Eine stand auf der Nummer sieben. Eine andere auf einem Stern. Und die dritte auf einem schwarzen Rechteck mit dem Wort BAR in der Mitte.

»Der Trick besteht darin, den Hebel zu ziehen und zu hoffen, dass die Walzen auf identischen Symbolen zum Stehen kommen.«

Ich runzelte die Stirn. »Aber man kann sie nicht nacheinander in Gang setzen, um zu identischen Bildern zu gelangen, oder? Sie drehen sich gleichzeitig?«

Er nickte. »Ganz genau.«

»Klingt nicht besonders chancenreich.«

Adam zuckte mit den Schultern. »Ist es auch nicht. Spielautomaten sollen einfach nur Spaß machen. Und Kunden ins Casino locken.«

»Kann man an diesen Dingern denn überhaupt gewinnen?«, fragte ich, plötzlich besorgt, dass er sein hart verdientes Geld in ein so wenig Erfolg versprechendes Projekt investierte.

»Ja, aber im Großen und Ganzen ist das Glückssache. Und? Sind Sie ein Glückspilz?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an das Glück. Vielmehr geht es im Leben darum, die richtigen Entschlüsse zu fassen, hart zu arbeiten und Opfer zu bringen. Die besten Resultate erzielt man, wenn man sich anstrengt und kluge Entscheidungen trifft.«

Er liebkoste meine Wange mit der Nasenspitze. »Sie stecken voller Überraschungen.«

»Vielleicht sollten Sie sich Ihren Dollar zurückholen.« Ich deutete auf das Rückgabefach.

Er lachte leise. »Keinesfalls. Es macht mir großen Spaß, Ihnen etwas über das Glücksspiel beizubringen. Warten wir einfach ab, was passiert.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist Ihr Geld. Ihr Verlust.«

»Merkwürdig«, flüsterte er mir ins Ohr, während er den Hebel zog und die Walzen sich zu drehen begannen. »Dabei habe ich das Gefühl, hier nur gewinnen zu können.«

Fasziniert beobachtete ich, wie die Walzen sich drehten und auf drei unterschiedlichen Zahlen zum Stehen kamen. »Och«, rief ich enttäuscht aus.

Er lachte leise und rieb dann die Finger aneinander, offenbar um mir anzudeuten, ich solle ihm einen weiteren Dollar geben.

»Ich weiß nicht so genau, ob Sie Ihr Geld wirklich so zum Fenster hinauswerfen sollten«, erinnerte ich ihn an das, was er mir gerade beigebracht hatte: Nicht er, sondern das Casino hatte die höchsten Gewinnchancen.

»Macht Ihnen das hier Spaß?«

Ich sah mich um, betrachtete die hellen Lichter, lauschte dem fröhlichen Stimmengewirr und konzentrierte mich sodann auf meine Gefühle und darauf, wie geborgen ich mich in Adams Armen fühlte. »Ja.«

»Gut.« Er warf einen weiteren Dollar hinein.

Mit angehaltenem Atem beobachtete ich, wie die Walzen sich drehten. Diesmal landeten sie auf zwei Kirschen und einem schwarzen BAR. Ich ließ die Schultern hängen, obwohl mein Herz wie wild pochte. »Zwei Übereinstimmungen.« Ich biss mir auf die Unterlippe.

»Machen wir einen dritten Versuch?« Seine Stimme klang verheißungsvoll. Als wolle er mich mit der Möglichkeit ködern, dass wir gegen alle Wahrscheinlichkeit gewannen.

Trotzdem ließ ich mich auf seine Neckerei ein. Ich nickte und konnte spüren, dass er genauso aufgeregt war wie ich, als er eine weitere Dollarnote hineinschob, am Hebel riss und die sich drehenden Walzen nicht aus den Augen ließ.

Die erste kam auf einer Sieben zum Stehen, die zweite auf einem Paar Kirschen, die dritte wieder auf einer Sieben.

»Das Ding ist manipuliert!«, verkündete ich, erhob mich und stemmte eine Hand in die Hüfte, während ich in der anderen noch immer seine Brieftasche und den vierten, noch übrigen Dollarschein hielt. Dann wirbelte ich zu ihm herum. »Ab sofort wird kein Geld mehr verschwendet.«

Er legte mir beide Hände auf meine üppigen Hüften und lachte, wobei seine leuchtend blauen Augen vor Heiterkeit blitzten. »Aber, Baby, wir haben gewonnen.«

Ich runzelte die Stirn und sah mich nach dem Spielautomaten um. Das obenauf angebrachte Licht blinkte wie verrückt.

»Wie denn das? Wir haben doch keine drei Treffer gelandet.«

Er drehte mich erneut um und deutete auf die Seite der Maschine, wo zu lesen war, dass zwei Siebenen und eine Kirsche einen Gewinn von 250 Dollars einbrachte.

Mir blieb der Mund offen stehen, und ich rannte so schnell los, dass er mich festhalten musste. »Sie haben 250 Dollar gewonnen!«, schrie ich und schlang ihm die Arme um den Nacken.

»Stimmt, das haben wir!«

Ich umfing sein Gesicht, was gar nicht so einfach war, da ich in der einen Hand immer noch seine Brieftasche und den übrig gebliebenen Dollarschein hielt, und gab ihm einen harten Kuss auf die Lippen.

Er erwiderte ihn, wobei allerdings keiner von uns die Lippen öffnete oder weiterging. Diese Liebkosung war nichts weiter als ein Ausdruck der Freude, des Hochgefühls und des Glücks über diesen gemeinsamen Augenblick. Als ich mich schließlich von ihm löste, legte er mir die Hand auf die Wange.

»Wenn Sie immer so reagieren, sollten wir eigentlich weiterspielen.« Er lachte.

Ich schüttelte den Kopf. »Keinesfalls. Davon können wir unser Dinner bezahlen!«

»Ich hätte unser Essen in jedem Fall bezahlt, meine Liebe.«

Ich grinste. »Man sollte das Schicksal nicht herausfordern.«

Er legte den Kopf schief. »Keine Ahnung. Heute war das Schicksal jedenfalls ziemlich gut zu mir. Ich habe eine wunderschöne Frau in den Armen, mit der ich gleich fürstlich speisen werde, und ich habe mich köstlich amüsiert.«

»Ich mich auch.«

»Bereit zum Essen?«

Ich biss mir auf die Unterlippe, denn eigentlich hätte ich am liebsten ihn verschlungen. Bis jetzt hatte es mich nicht gestört, dass ich seit zwei Jahren nicht mehr mit einem Mann intim gewesen war. Und außerdem hätte man Will damals auch nicht wirklich als Mann bezeichnen können. Wir waren beide noch Teenager gewesen, die sich ihren Weg durch die ersten erotischen Erfahrungen fummelten.

Adam Ross hingegen war durch und durch männlich. Und sein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er mich begehrenswert fand.

»Ich bin zu fast allem bereit«, antwortete ich und kam mir kokett und sexy vor.

Er benetzte die Lippen, und ich sah, wie seine Nasenflügel bebten. »Sie duften so verdammt gut, Catori.« Er schloss die Augen und atmete tief ein.

»Habe ich selbst hergestellt.«

»Ihr Parfüm?«

Ich nickte. »Ja. Patschuli und ein Hauch Zitrus. Bei meinen Leuten ist es durchaus üblich, seinen eigenen Duft, die eigene Seife und so weiter herzustellen.«

»Ihren Leuten?«

»Ich bin amerikanische Ureinwohnerin. Ich stamme vornehmlich von den Komantschen ab, habe aber auch ein paar Navajo-Vorfahren. Einen Großteil meines Lebens habe ich im Reservat verbracht.«

»Faszinierend. Lassen wir uns unseren Gewinn auszahlen, damit wir essen gehen können. Ich würde gern mehr über Ihre Jugend erfahren.«

»Wie weit ist das Restaurant entfernt?«, frage ich, während er sich erhob und ich ihm seine Brieftasche reichte.

Er drückte ein paar Knöpfe auf dem Spielautomaten, der sogleich eine Karte ausspuckte.

»Hey, wo ist Ihr Geld?«

Er hielt die Karte in die Höhe. »Der Betrag wird auf diesen Dingern gespeichert. Auszahlen lässt man sich den Betrag an der Kasse da drüben.« Er deutete auf die andere Seite des Saals, wo ein großes goldfarbenes Schild mit der Aufschrift KASSE in Großbuchstaben prangte.

»Oh, okay.«

Während ich ihm folgte, sah ich mich weiter um.

»Wollen Sie vielleicht doch noch an den Kartentisch?«

Und mehr von seinem Geld verprassen? Keinesfalls. Schweigend schüttelte ich den Kopf.

Nachdem wir uns das Geld auszahlen hatten lassen, nahm er wieder meine Hand und führte mich die Straße hinab zum Carmine’s. Anscheinend wurden hier italienische Gerichte serviert, sodass mir beim Anblick des Schildes über dem Eingang sogleich der Magen knurrte.

Adam gluckste vor sich hin. »Beim nächsten Mal essen wir erst und spielen danach.«

Seine Formulierung sprach Bände: beim nächsten Mal.

Er mochte mich also genug, um mich wiedersehen zu wollen.

Ein breites Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, das ich nicht unterdrücken konnte.

Er umfing mein Kinn und sah mir in die Augen. »Mein Gott, dieses Lächeln könnte Kriege beenden. Und jeden Mann dazu bringen, vor Ihnen auf die Knie zu fallen und Sie anzubeten. Sie sind eine wunderschöne Frau.«

Da lächelte ich noch mehr.

Er ergriff die Gelegenheit, senkte den Kopf und gab mir einen sanften Kuss. Federleicht ließ er die Zunge über meine Unterlippe gleiten, und ich öffnete den Mund gerade genug, um sie mit meiner zu berühren.

Doch bevor der Kuss inniger werden konnte, löste er sich wieder von mir.

Ich zog einen Schmollmund, wünschte mir so viel mehr als nur die flüchtige Kostprobe jenes Mannes, der mein Herz und mein Hirn gleichermaßen mit Glück erfüllte.

»Später«, sagte er bloß, und das einzelne Wort klang wie ein Versprechen. Ich glaubte ihm und freute mich schon darauf, wenn er es einlöste.

Kapitel 3

Der ganze Abend verging wie im Rausch: köstliches Essen, wunderbare Gesellschaft und eine unglaubliche Atmosphäre. Ich erfuhr, dass Adam als Soldat zwei Monate lang auf Heimaturlaub war. Bewusst unbeschwert und fröhlich sprachen wir vornehmlich über unsere Reisen. Ich schilderte die Tour, die ich in den vergangenen beiden Jahren mit meiner Tanzgruppe durch die Vereinigten Staaten unternommen hatte, und er berichtete mir von den verschiedenen Orten, an denen er während seines bereits zehn Jahre währenden Militärdienstes stationiert gewesen war.

Auf dem Rückweg zu meinem Hotel hielt Adam meine Hand.

»Haben Sie vor, Ihren Vertrag beim Militär zu verlängern?«

Er nickte. »Ich bin noch für zwei weitere Jahre verpflichtet, aber ja. Auch danach bleibe ich dabei. Dieser Job liegt mir. Menschenführung. Strategien entwerfen. Die nächsten Schritte planen.«

»Also eine Karriere als Berufssoldat.« Ich schürzte die Lippen.

»Ja«, seufzte er und ließ gleichzeitig alle Luft aus seinen Lungen entweichen. »Etwas anderes wollte ich nie.«

Ich nickte. »Bewundernswert.«

»Was ist mit Ihnen?« Er hob meine Hand an seine Lippen und küsste meinen Handrücken. Die Geste war nicht nur liebevoll, sondern auch ziemlich intim. Sie sagte viel über die Verbindung aus, die zwischen uns schon entstanden war. Ich fand es seltsam, wie sicher und geborgen ich mich in seiner Gegenwart fühlte. Als ob wir uns bereits seit Jahren kannten und nicht erst seit ein paar Stunden.

Ich zuckte mit einer Schulter. »Keine Ahnung. Ich will weiter mit meiner Gruppe auftreten, aber zunächst pausieren wir für ein paar Monate. Vielleicht kehre ich nach Hause zurück, vielleicht mache ich auch einfach nur die Augen zu und deute auf einen Ort auf der Landkarte, um anschließend dorthin zu reisen. Ich habe mich noch nicht entschieden.«

»Sie sind also die nächsten beiden Monate frei?« Er ließ meine Hand los, legte mir den Arm um die Schultern und zog mich dicht zu sich heran.

»Ja, frei wie ein Vogel.«

»Niemand, der sich daheim nach Ihnen sehnt? Kein junger Mann, der nur darauf wartet, Ihr Herz im Sturm zu erobern?« Es gefiel mir, wie besorgt seine Stimme klang.

Ich lachte und schüttelte den Kopf. »Bloß meine Eltern.«

»Tahsuda und Ihre Mutter Topsannah.«

Ich nickte. »Gutes Gedächtnis.« Natürlich hatte ich ihm beim Abendessen gerade erst ihre Namen genannt.

»Mein Gedächtnis ist in der Tat hervorragend, besonders, wenn ich einer schönen, jungen Frau den Hof zu machen versuche.« Er zog mich noch näher an sich. Ich schlang ihm nun meinerseits den Arm um den Körper und krallte die Finger in seine harte, muskulöse Taille. Es kam mir ganz natürlich vor, so mit ihm dazustehen, denn ich passte perfekt an seine Seite.

»Was ist mit Ihren Eltern? Beim Abendessen haben Sie kein Wort darüber verloren. Haben Sie nicht sogar das Thema gewechselt, als ich die Sprache darauf brachte?«

Er zog die Mundwinkel herab. »Kurz nachdem ich mich verpflichtet hatte, sind sie gestorben. Bei einem Autounfall.«

Ich legte ihm die Hand auf die Brust, sodass er stehen bleiben musste, bevor wir die Lobby meines Hotels betreten konnten. »O mein Gott. Sie haben Sie beide verloren? Das tut mir leid, Adam. Muss ziemlich schwer für Sie gewesen sein. Haben Sie noch Geschwister?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin Einzelkind. Meine einzige Familie sind meine Waffenbrüder. Während der vergangenen paar Jahre hat das Militär diese Leere in meinem Leben gefüllt.«

»Ich bin ebenfalls Einzelkind.« Etwas anderes fiel mir nicht ein. »Und meine Mom ist sehr krank. Sie hat Krebs. Er ist unheilbar.«

»Baby«, sagte er mit heiserer Stimme, drehte mich zu sich um und umfing meinen Hals mit beiden Händen. Dabei kannte er kaum die Hälfte der Geschichte.

Lange sah er mir in die Augen, und wir versanken förmlich im Strudel unserer Gefühle. Kosmische Energie, Pheromone, Magie, was auch immer es war, das funkensprühend zwischen uns zum Leben erwachte. Es war, als ob unsere Seelen sich miteinander vereinten, eins wurden in einem so monumentalen Augenblick, dass mir Tränen in die Augen traten und eine langsam meine Wange hinabrann. Adam wischte sie mit dem Daumen fort, dann hob er ihn an den Mund und presste meine Träne an die Lippen.

Ich schloss die Augen und holte tief Luft. In diesem Moment veränderte sich etwas zwischen uns. Eine tiefe Verbundenheit umgab uns und umtanzte uns wie ein Lebewesen.

»Kommst du mit nach oben?«, brach ich mit zitternder Stimme das intensive Schweigen. Mein Körper vibrierte vor Verlangen, diesem Mann nahe zu sein.

Er lächelte sanft und schluckte. »Zeig mir den Weg«, antwortete er und streckte galant den Arm aus.