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Es hätte so schön sein können. Jessie ist frisch verliebt, erfolgreich in seinem Job als Model und hat das Gefühl, dass es für ihn endlich wieder bergauf geht. Doch nach einer katastrophalen Party passiert es: Er wird angegriffen und verschleppt.
Er gerät in die Fänge eines Mannes, von dem er geglaubt hat, ihn schon vor Jahren getötet zu haben. Schnell realisiert er, dass es für ihn nur einen Weg gibt, jemals wieder heil aus dieser Sache herauszukommen. Er wird sich seinem größten Feind stellen müssen: seiner Vergangenheit ...
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Jessie & Michael
Nach Plan verführt 4
3. Auflage
Copyright Text © Ni Jica 2019
Kontakt: [email protected]
Covergestaltung: Ni Jica
Bildmaterial: © theartofphoto - 123rf.com
Korrektur und Lektorat: Iris Biehl-Drucks
Zum Inhalt:
Es hätte so schön sein können. Jessie ist frisch verliebt, erfolgreich in seinem Job als Model und hat das Gefühl, dass es für ihn endlich wieder bergauf geht. Doch nach einer katastrophalen Party passiert es: Er wird angegriffen und verschleppt.Er gerät in die Fänge eines Mannes, von dem er geglaubt hat, ihn schon vor Jahren getötet zu haben. Schnell realisiert er, dass es für ihn nur einen Weg gibt, jemals wieder heil aus dieser Sache herauszukommen. Er wird sich seinem größten Feind stellen müssen: seiner Vergangenheit ...
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und andere Verwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Vervielfältigungen und Veröffentlichungen sind nicht gestattet.
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden und entspringen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten jeglicher Art wären demnach rein zufällig.
Bei diesem Buch handelt es sich um einen homoerotischen Roman und wendet sich an Leser, die an sexuellen Handlungen zwischen zwei Männern keinen Anstoß nehmen.
Und jetzt die letzte Anmerkung: Denkt im wahren Leben bitte immer an Safer Sex!
Seit über drei Jahren habe ich nun schon vergeblich nach ihm gesucht. Er hatte sich wirklich gut versteckt, doch das Versteckspiel ist nun vorbei, denn endlich habe ich ihn gefunden und ich gedenke nicht, ihn noch einmal entkommen zu lassen.
Armer Jessie. Ich habe sogar schon überlegt, die Suche aufzugeben, aber am Ende wolltest du es mir wohl doch einfach machen. Fehler können tödlich enden, weißt du das nicht? Anscheinend nicht, denn du hast den schwerwiegendsten Fehler deines Lebens begangen.
Was hat sich dieser einfältige Dummkopf auch nur dabei gedacht, ausgerechnet als Model zu arbeiten und sich damit den Augen der Öffentlichkeit preiszugeben? Das ist eine ziemlich kontraproduktive Handlung, wenn man eigentlich unentdeckt bleiben will. Aber will ich mich darüber beschweren? Natürlich nicht.
Du hast mich so süß von einem Plakat aus angelächelt. Hast du an mich gedacht, als du dein unschuldig wirkendes Gesicht in die Kamera gehalten hast?
Ich will gar nicht wissen, wie viele Menschen er in seiner Umgebung mit diesem Lächeln bereits getäuscht hat. Denn anderen etwas vormachen, das kann er gut. Ich selbst bin schon auf seinen Anblick hereingefallen, aber das wird nicht noch einmal passieren. Nun weiß ich, was hinter seiner hübschen Fassade steckt, und zwar nichts anderes als Falschheit.
Verspotte und verhöhne mich nur weiter mit deinem Lächeln, Jessie, denn am Ende werde doch ich es sein, der lacht.
Ja, mit seiner Dummheit hat er sein Schicksal definitiv besiegelt. Er wird für seinen Verrat an meiner Familie und mir bezahlen und der Preis wird hoch sein, sehr hoch.
Du wirst büßen, mein Schatz. Und es wird wehtun.
Jetzt muss ich ihn nur einfangen. Das dürfte ungefähr genauso schwer werden, wie seinen Aufenthaltsort herauszubekommen, also gar nicht, denn dafür hat es nur einen Anruf gebraucht. Inzwischen hatten meine Männer ihn bereits ausgiebig beschattet und so gut wie alles über seinen Tagesverlauf herausgefunden. Ich brauchte dementsprechend nur noch auf einen geeigneten Zeitpunkt warten und genau der ist heute gekommen.
Die Zeit meiner Rache ist nah. Ich werde dir deine komplette Existenz rauben, was lächerlich gering ist zu dem, was du mir einst genommen hast.
Ich bin aufgeregt und die Vorfreude in mir nimmt immer weiter zu, denn natürlich lasse ich es mir nicht nehmen, den kleinen Verräter persönlich einzufangen. Eigentlich ist auch alles vorbereitet. Ich stehe gut versteckt in der Nähe eines Hotels, in dem er sich gerade befindet und warte nur auf den passenden Zeitpunkt, um zuzuschnappen. Dieser kommt auch schneller als erwartet, denn Fortuna scheint mir wohlgesonnen zu sein und lässt in dem Gebäude ein Chaos ausbrechen, das ich nicht besser hätte herbeiführen können.
Der penetrante Klang des Feueralarms, der aus dem Hotel schrillt, ist reinste Musik in meinen Ohren und lässt ein Grinsen in meinem Gesicht wachsen. Ist das nicht perfekt? Es gibt wohl kaum eine bessere Ablenkung, als ein kleines Feuerchen und panische Menschenmassen. Die wenigsten achten in dieser Situation noch sonderlich viel auf ihre Umgebung, jeder denkt an sich und die eigene Sicherheit. Wen wird es also interessieren, wenn ein kleines Supermodel in ihren Reihen in Not gerät? Genau. Niemand.
Mir bleibt jetzt nur zu hoffen, dass es nicht wirklich ein Feuer gibt oder wenn doch, dass dieses nicht ausgerechnet Jessie verschlingt, denn dann würde ich richtig böse werden. Der Mann gehört schließlich mir! Hat er schon immer und wird er auch wieder und wenn ich mich gegen jede elementare Macht der Welt stellen muss!
Ich gehe erst mal nicht von dem Schlimmsten aus und amüsiere mich stattdessen über das Schauspiel vor dem Hotel. Es belustigt mich, wie sich die aufgebrachten und bis auf die Haut durchnässten Menschen teils fluchend, teils ängstlich dicht zusammendrängen. Herdentiere. Sie warten darauf, dass jemand zu ihnen kommt und ihnen sagt, was sie tun sollen, anstatt selbst mit ihrem Verstand zu arbeiten. Das ist schwach, aber ich bin ja nicht hier um zu urteilen, sondern das wilde Durcheinander zu meinem Vorteil zu nutzen.
Jetzt darf ich ihn nur nicht verpassen. Ich mache mir zwar keine großen Sorgen, dass er mir entwischt, denn meine Männer stehen an jedweden Fluchtweg bereit, aber es würde mir meinen Spaß nehmen. Er ist meine Beute, also soll er es bloß nicht wagen, sich von jemand anderen fangen zu lassen.
Komm schon, Baby, du willst doch auch, dass ich dir persönlich deinen hübschen Hals umdrehe, richtig?
Ich bleibe aufmerksam und lasse meinen Blick über jeden einzelnen der Menschen wandern. Meine Mühe wird belohnt, denn es dauert nicht lange, da erspähe ich ihn endlich. Pures und oh so süßes Adrenalin schießt mir bei seinem Anblick durch die Blutbahn und lässt meinen Puls in die Höhe schnellen.
Es ist so lange her ...
Lauernd behalte ich ihn im Blick. Der Mann hat sich kaum verändert. Er versteckt sein weiches Gesicht noch immer zur Hälfte hinter seinen schulterlangen blonden Haaren. Viele würden bestimmt denken, dass er das wegen seiner Narbe tut, die ihm über Stirn und Wange verläuft, aber ich weiß, dass er seine Strähnen schon immer als Schutzschild benutzt hat.
Hast du noch immer nicht verstanden, dass dir das nichts bringt, Jessie? Man kann sich nicht vor sich selbst verstecken und noch weniger vor mir!
Er ist der androgyne Typ, der immer ein wenig verletzlich wirkt und den Beschützerinstinkt der Leute um ihn herum anregt. Die Schlange im Paradies, wusste auch, wie man täuscht und verführt und wäre sicher stolz auf diesen Mann. Nicht, dass ich vorhabe, noch einmal auf ihn hereinzufallen.
Jessies schlanke und zierliche Gestalt wirkt sehr elegant in der schwarzen Hose und dem weißen Hemd. Mit arrogant erhobenem Kinn sieht er sich suchend in der Menge um. Diese Haltung, dieser Blick ...
Wie eine Prinzessin.
Früher habe ich ihn immer scherzhaft so genannt, doch heute gibt es für mich treffendere Bezeichnungen für dieses verräterische Stück Dreck. Vielleicht werde ich sie ihm in seine weiße Haut ritzen, damit auch jeder andere die Wahrheit über ihn erfährt. Aber auch dafür muss ich ihn erst mal in den Fingern haben.
Und so belaure ich ihn weiter und warte auf meine Chance, während er langsam durch die Reihen der Menschen schreitet und sich dabei unbewusst immer weiter zurückzieht. Die Richtung stimmt und er kommt mir näher.
So ist es gut, mein Junge! Komm nur her und lauf deiner Verderbnis freiwillig in die Arme!
So viel Glück auf einmal kann es doch gar nicht geben. Da steht er nun plötzlich ganz allein und nur noch wenige Meter von mir entfernt. Das muss Schicksal sein.
Inzwischen ist jede Sehne in meinem Körper voll angespannt, während mir das Blut heftig in den Ohren rauscht und mein Herz ein wildes Stakkato angeschlagen hat. Ich muss mich beruhigen, denn ich brauche jetzt meine volle Konzentration, also verlangsame ich meine Atmung und entspanne meine Muskeln, während ich mich tiefer in den Halbschatten einer Seitengasse begebe.
Ich habe vor, seine Aufmerksamkeit zu erregen und das möglichst, ohne dass er mein Gesicht erkennen kann. Ich muss ihn zu mir locken, denn es fehlen nur noch wenige Schritte in meine Richtung und niemand wird ihm mehr helfen können.
Da! Endlich streift mich sein umherirrender Blick und ich halte unwillkürlich die Luft an. Ich hebe einladend die Hand und winke ihm freundlich zu.
Putt, putt, putt. Komm schon, Hühnchen. Komm in meine Arme.
Wird er wirklich so naiv sein und darauf eingehen? Zumindest behält er schon mal seinen Blick auf mir, auch wenn sich deutlich die Verwirrung in seinen Augen abzeichnet.
Die Sekunden des Wartens ziehen sich endlos hin. Ich werde immer unruhiger, doch dann geschieht das Unglaubliche und er setzt sich doch tatsächlich in Bewegung. Wie ferngesteuert und ganz langsam kommt er mir Schritt für Schritt immer näher.
Ich bleibe so lange regungslos, bis die Gefahr besteht, dass er mich doch noch erkennt und wende mich dann um. Ich mache zwei kleine Schritte in die Gasse hinein und drücke mich dort an die Mauer. Uns trennt nicht mehr viel und wenn er mir nun auch noch hierher folgt ...
Nein, so dumm ist er dann doch nicht. Ich höre, wie seine Schritte verebben und beginne zu grinsen. Hast du die Gefahr doch noch gewittert, Prinzessin? Das ist schön für dich, wird dir aber leider nichts mehr bringen, denn du hast schon zu viele Fehler gemacht.
Ich nehme Tuch in die Hand, das ich bereits zuvor mit Chloroform getränkt habe und mache mich zum Angriff bereit. Ich höre ganz genau, wie seine Schuhe unter dem Asphalt knirschen, als er sich umdreht und schieße blitzschnell aus meinem Versteck hervor. Der Kleine hat kaum einen Schritt machen können, da bin ich auch schon bei ihm und reiße ihn brutal an mich. Mit einem Arm fixiere ich seinen Körper, während ich ihm das betäubende Tuch über Mund und Nase lege und fest zudrücke.
Er versucht, sich zu wehren, tritt nach mir und bäumt sich auf, doch er ist so schwach, dass es mich nicht sonderlich viel Kraft kostet, seine Gegenwehr in jeglichen Keim zu ersticken. Es ist so lächerlich einfach!
Ich ziehe ihn rückwärts mit mir in die Gasse und ergötze mich dabei geradezu an seinen aussichtslosen Verteidigungsversuchen. Es gab eine Zeit, da hätte ich mir lieber ein Bein abgehackt, als ihn zu verletzen und seine offensichtliche Schwäche hatte mich dazu verführt, ihn beschützen zu wollen. Heute kann ich jedoch nur noch verächtlich auf sie hinabsehen, denn diese Schwäche wird nun sein Untergang sein.
Du kannst mich nicht mehr täuschen! Du hast keine Macht mehr über mich! Du hast mich verraten! Verraten!
»Hör auf, dich dagegen zu wehren! Du entgehst deiner Strafe nicht mehr. Ab jetzt wirst du büßen!«, zische ich der falschen Schlange unbarmherzig ins Ohr und verstärke meinen Druck.
Nun ist es egal, ob er mich erkennt, denn er hat verloren und er weiß es. Sein Körper beginnt unter meinem unnachgiebigen Griff zu erschlaffen und verliert den Halt, als seine Beine unter ihm wegsacken. Mein Arm ist das Einzige, was ihn noch aufrecht hält, als er einen letzten hilflosen Atemzug nimmt und mir somit den Sieg schenkt.
- Jessie -
Ein Schwall kalten Wassers überschwemmt mein Gesicht und reißt mich aus meiner Benommenheit. Ich liege auf einem harten Boden, die Arme in einem schmerzhaften Winkel auf dem Rücken gefesselt und kämpfe um mein Bewusstsein. Etwas stößt mich mehrfach in die Seite. Eine Schuhspitze? Es tut jedenfalls höllisch weh und bringt mich leise zum Stöhnen.
»Dornröschen! Aufwachen! Dein Prinz ist da!«, erklingt da auch schon eine tiefe Stimme, der ein hämisches Lachen folgt.
Ich versuche den Kopf zu heben, doch ein stechender Schmerz durchbohrt sofort darauf meine Schläfen und macht jede weitere Bemühung dieser Art unmöglich.
Übelkeit überrollt mich und bittere Galle steigt mir die Kehle hinauf und sucht sich brennend ihren Weg nach draußen. Wieder dringt dieses gehässige Lachen an mein Ohr und ein erneuter Schwall Eiswasser ergießt sich über mich. Dieses Mal trifft es mich allerdings über den ganzen Körper, was mir einen Kälteschock beschert und mich heftig zum Zittern bringt.
Eine Hand greift brutal in mein Haar, biegt meinen Kopf zurück und zwingt mich so, in das Gesicht meines Peinigers zu blicken. Ein verzweifeltes Keuchen entringt sich meinen Lippen, als ich in wutverzerrte grünbraune Augen starre. Das darf einfach nicht wahr sein! Ich kenne dieses Gesicht, kenne jedes Detail davon und ich hasse es abgrundtief.
Ich blicke geradewegs in das Angesicht des Mannes, von dem ich geglaubt hatte, ihn vor Jahren getötet zu haben. Nackte Angst schießt durch meine Glieder. Dieser Mann wird mich töten, ist mehr als fähig dazu. Ich hatte es schon hautnah erlebt.
Wird es also nun hier, in diesem stinkenden Keller, zu Ende gehen? Wie hatte es nur so weit kommen können ...?
Erinnerungen, die ich schon vor langer Zeit begraben hatte, tauchen plötzlich wieder vor meinen Augen auf. Bilder aus längst vergangenen und besseren Tagen. Erinnerungen von unserer ersten Begegnung …
Ich war gerade 16 Jahre alt geworden, als ich das erste Mal etwas von Alexander und Michael Petrowski hörte. Zwillinge, gutaussehend, reich und gerade erst in unseren kleinen Ort gezogen, waren sie das Gesprächsthema Nummer eins an unserer Schule.
Es gab viele Gerüchte um sie. Einige Leute meinten, die Brüder seien von ihrer früheren Schule geflogen, weil sie hemmungslose Schläger waren. Andere gingen sogar noch weiter, redeten von Drogen mit denen sie gedealt haben sollen und von gefährlicher Brandstiftung. Die Eltern sollen sich daraufhin gezwungen gesehen haben umzuziehen und die Großstadt gegen unsere beschauliche Kleinstadt zu tauschen. Shit happens, würde ich sagen.
Ich hielt diese Gerüchte allesamt für absoluten Quatsch. Bei uns passierte nie etwas und das trieb die Bewohner schon immer gerne dazu, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und wilde Spekulationen anzustellen. Dummes Gerede und haarspalterische Gerüchte waren einfach das Resultat der hiesigen Langeweile.
Trotzdem führte genau das dazu, dass die Jungs bereits jetzt so etwas wie eine Legende unter uns Schülern waren und heute sollte es endlich so weit sein, sie würden zum ersten Mal unsere Schule besuchen. Zwei Stufen unter ihnen, blieb mir und meinen Klassenkameraden nichts anderes übrig, als sich unauffällig - na ja, wohl doch eher auffällig - vor dem Schulgebäude zu positionieren, um auch ja einen guten ersten Blick zu erhaschen.
Die allgemeine Spannung war greifbar und ich stand etwas abseits des Getümmels mit meinem damaligen besten Freund Matthias, genannt Matze, zusammen und beobachten alles ganz genau. Wir amüsierten uns köstlich.
Zwar waren wir auch neugierig, aber da wir aufgrund unseres Aussehens immer die Außenseiterrolle einnahmen - und es mit Sicherheit auch weiterhin tun würden - waren uns die Neuankömmlinge relativ egal. Es waren bestimmt eh nur wieder zwei weitere Proleten, die uns gnadenlos schikanieren und aufziehen würden.
Ich hatte es aufgrund meiner schlaksigen Gestalt und den eher weiblichen Gesichtszügen schon immer schwer gehabt. Meine blonden Haare waren immer viel zu lang und fielen mir bis auf die Schultern, da meine Mutter es so sehr liebte und ich ihr wenigstens diesen Gefallen tun wollte.
Sie hatte es nicht leicht. Wir waren allein. Mein Vater hatte uns schon kurz nach meiner Geburt verlassen und so hatte sie keine andere Wahl gehabt, als sich durch einen Minijob nach dem anderen zu kämpfen, um mir ein relativ sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Wir hatten nie viel Geld zur Verfügung gehabt, aber wir hatten uns und waren damit sehr zufrieden.
Nun, zumindest hätte ich sehr zufrieden sein können, wenn meine lieben Mitschüler nicht gewesen wären. Aufgrund des vorher beschriebenen Aussehens und meines geschlechtsneutralen Namens, war die Frage: »Bist du jetzt ein Junge oder ein Mädchen?«, der häufigste Satz, den ich in meinem bisherigen Leben hören musste. Das nervte, aber meinen besten Freund traf es sogar noch schlimmer.
Matze war das genaue Gegenteil von mir. Dunkelhaarig, einen Kopf kleiner als ich, mit reichlich Speck auf den Hüften, galt er hier nur als der Metzgerjunge Specki und musste reichlich Hohn einstecken. Seine Eltern führten die einzige Fleischerei in diesem Ort, aber das half ihm leider auch nicht weiter.
Da standen wir also, das Dreamteam, das gerne für allgemeine Belustigung sorgte, und warteten genauso dümmlich wie alle anderen, als kurz vor Beginn der ersten Stunde ein schwarzer Benz direkt vor dem Hauptportal der Schule vorfuhr. Ein gelungener Auftakt, wie die vielen leisen Pfiffe verrieten. Die schwarze Limousine machte eindeutig großen Eindruck. Na ja, wenn man halt auf so etwas stand. Ich selbst schnaubte nur abfällig, was dem lieben Matze ein leises Kichern entlockte.
Wir machten uns nichts aus Luxusgütern und ich konnte einfach nicht verstehen, wie man an seinem ersten Schultag nur so einen Auftritt hinlegen konnte. Musste das sein? Kam jetzt etwa der Chauffeur und hielt denen noch die Tür auf? Nun, diesbezüglich wurde ich leider enttäuscht. Fast zeitgleich öffneten sich die beiden Hintertüren und gaben den ersten Blick auf die zwei neuen Schüler frei.
»Wow«, entfuhr es mir unwillkürlich, was mir einen pikierten Blick von Matze einbrachte, den ich allerdings gar nicht beachtete. Dass reiche Menschen oft gut aussahen, wusste ich aus dem Fernsehen, aber ich hätte trotzdem nicht mit dem Anblick gerechnet, der sich mir jetzt bot.
Unheimlich große, durchtrainierte und athletische Körper kamen gemächlichen Schrittes auf uns zu. Ihre makellosen und schönen Gesichter waren genau gleich, zumindest das, was ich auf die Entfernung erkennen konnte. Unterschiede gab es nur bei der sehr exquisiten Kleidung und den Frisuren. Beide hatten rabenschwarzes Haar, jedoch fiel es bei dem einen etwas länger bis zum Kinn, was ihm ein verwegeneres Aussehen als seinem Bruder verlieh, der sein Haar modisch kurz hielt.
Den Kurzhaartypen interessierte seine Umgebung überhaupt nicht und so spielte er lieber mit seinem Handy herum, während er lässig, als würde er schon immer hierher gehören, auf das Schulgebäude zuschritt. Sein Bruder dagegen ging etwas langsamer, checkte ganz genau die Lage und warf hier und da sogar ein paar schmachtenden Mädels ein freches Zwinkern zu.
Von Nervosität war bei beiden keine Spur und ich musste zugeben, dass ich sie um ihre Ausstrahlung und Selbstsicherheit beneidete. Das würden schon bald die neuen Kings der Schule werden, da war ich mir sicher. Obwohl Quatsch, wenn ich so in die geifernden und ehrfurchtsvoll schmachtenden Gesichter meiner Mitschüler blickte, waren sie es eindeutig jetzt schon.
Ich verstand irgendwie, was sie bei ihrem Anblick empfanden, dennoch wusste ich instinktiv, dass es besser sein würde, mich von ihnen fernzuhalten.
Matze rüttelte mich am Arm und riss mich damit aus meinen komischen Gedanken. »Hey, gehörst du jetzt auch schon zu deren Fans? Du hast ja wie gebannt auf diese reichen Fuzzis gestarrt.«
Hatte ich das? War mir gar nicht wirklich aufgefallen. Ich schüttelte den Kopf. »Nee, so ein Quatsch! Das war doch nur reine Neugier. Die reichen Pinkel interessieren mich doch nicht! Von denen sollten wir uns eh lieber fernhalten«, meinte ich und Matze nickte zustimmend.
»Ja, da haste recht! Die sahen irgendwie gefährlich aus. Meinst du, das sind wirklich Drogendealer?«
Jetzt musste ich lachen. Glaubte Matze wirklich diesen Blödsinn? Die Schulglocke läutete und ich schubste ihn spielerisch in Richtung Eingang. »Sei doch nicht blöd! Das sind doch keine Gangster wie im Film. Wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir wieder zu spät!«
Wir schafften es tatsächlich gerade noch pünktlich zu unserer ersten Deutschstunde, von der ich so gut wie nichts mitbekam, da meine Gedanken unweigerlich immer wieder zu den Zwillingen glitten. Waren sie vielleicht wirklich gefährlich, wie Matze sagte? Warum hatten sie mich nach nur einem Blick so fasziniert? War ich etwa neidisch oder war da doch noch etwas anderes? Ich kam nicht drauf, aber es war wohl auch besser, wenn ich es nie herausfinden würde.
Die Tage und Wochen vergingen und das, was ich mir sowieso schon gedacht hatte, trat tatsächlich auch ein. Die Zwillinge wurden zum absoluten Mittelpunkt der Schule.
Jeder versuchte, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und zu ihrem Kreis zu gehören. Auf den Gängen wurden sie regelrecht belagert und wie Stars verehrt. Es war geradezu lächerlich, wie sich die Mädchen in knapper Kleidung anboten und die Jungs immer einen auf dicke Hose machten, nur um ihre Aufmerksamkeit zu erringen. Jedes Wochenende schmissen die zwei eine Party und wer es schaffte, dafür eine Einladung zu bekommen, wurde hoch angesehen.
Matze und ich hielten uns wie immer im Hintergrund. Wir beobachteten das seltsame Verhalten unserer Mitschüler amüsiert und waren ganz froh um diese Situation, denn dadurch ließ man uns in Ruhe. Kaum einer verschwendete noch einen Blick auf uns, schließlich durfte man nie verpassen, was Michael und Alexander gerade wieder anstellten.
Und die beiden trieben es wirklich bunt. Vor den Lehrern hatten sie keinen Respekt, kamen und gingen, wann sie wollten und taten einfach alles, was ihnen gerade gefiel. Keiner beschwerte sich oder beanstandete das. Selbst die Direktorin sah zu Boden, wenn sie im Flur auf einen der beiden traf. Ich fand das alles mehr als merkwürdig, aber so lange ich dadurch nicht ins Visier geriet, sollte es mir recht sein.
Michael, der verwegene Draufgänger von den beiden, der mit den kinnlangen Haaren, setzte sogar noch einen drauf. Er nahm sich jeden Tag in der zweiten großen Pause eines seiner Groupies mit zur Toilette und na ja … der Rest sollte klar sein.
Vor der Tür standen dann manchmal sogar ein paar seiner Kumpels und grinsten dreckig vor sich hin, während sie sich an den Lauten hinter der Tür aufgeilten. Ich hätte dieses Gerücht nie geglaubt, wenn ich nicht einmal hautnah dabei gewesen wäre. Ich dachte nicht gern an dieses Erlebnis zurück, denn ... Es wurde ein rabenschwarzer Tag in meinem Leben und ab diesem Zeitpunkt ging dieses dann auch systematisch den Bach runter.
Ich saß damals auf besagter Toilette, als ich die Tür hörte. Zuerst dachte ich mir natürlich nichts dabei, doch als ich eine kichernde Mädchenstimme hörte, wurde mir dann doch etwas mulmig. Was suchte ein Mädchen auf dem Jungsklo?
Ich beschloss, mich ruhig zu verhalten, denn man wusste nie, wer einem hinter der Tür auflauerte. Mein Kopf hatte schon einmal unerfreuliche Bekanntschaft mit der Kloschüssel gemacht und auf eine solche Wiederholung war ich echt nicht scharf. So leise wie möglich zog ich mir die Hose hoch und wartete. Gespannt lauschte ich und bereitete mich schon mal auf eine schnelle Flucht vor.
»Bist du dir sicher, dass hier auch keiner ist?«, wollte das Mädchen plötzlich mit piepsiger Stimme wissen.
Ein paar Sekunden blieb es still. Hoffentlich schaute sich der Angesprochene nicht gerade um. Mist! Konnte man vielleicht meine Schuhe unter der Tür sehen? Mein Herz setzte erschrocken einen Schlag aus, doch die nachfolgende Antwort beruhigte mich etwas.
»Keine Sorge, Babe! Ich habe vorher schon alles gecheckt. Jetzt sei brav und blas mir einen.«
Vor Schreck wäre mir fast ein Laut entwischt und ich presste mir eine Hand vorsichtshalber so fest auf den Mund, dass man den Abdruck von ihr bestimmt noch Tage später sehen würde.
Konnte es denn wahr sein? Das war doch die Stimme von einem der Zwillinge gewesen! Ließ der sich jetzt echt hier vor mir einen blasen? Oh Shit! Wenn die Gerüchte doch stimmten und der mich jetzt hier erwischte, wäre ich bestimmt tot. Ich sah mich schon kopfüber, ertränkt in meiner eigenen Pisse, als ich hörte, wie ein Reißverschluss aufgezogen wurde. Oh nein! Ging es jetzt los? Das hielt ich echt nicht aus!
»So ist es gut! Leck schön dran und vergiss die Eier nicht, die wollen auch was von deinem geilen Mund haben.«
Ich vernahm ein tiefes kehliges Stöhnen, viele schmatzende Geräusche und sofort sprang mein Kopfkino an. Ich hatte zwar selbst noch keinerlei sexuelle Erfahrungen gemacht, aber durchaus schon den einen oder anderen Porno gesehen. Matze klaute die immer heimlich von seinem Vater, wobei die mich meist ziemlich kalt gelassen hatten. Jetzt allerdings schoss mir heftige Röte ins Gesicht und eine komische Aufregung erfasste mich. Irgendetwas veranlasste mich dazu, vorsichtig mit dem Kopf näher an die Tür zu gehen, um besser hören zu können.
»Jetzt nimm ihn tief rein. Saug dran! Fester … noch tiefer.«
Das abgehackte, seltsam raue Stöhnen und der verlangende Ton in seiner tiefen Stimme, ließ es von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln wie wild in mir kribbeln. Was war das? So komisch hatte ich mich noch nie gefühlt.
Das immer lauter werdende Schmatzen, gepaart mit heftigen Würgelauten, riss mich aus meinen Gedanken. Das hörte sich aber nicht gesund an. Was machte der Kerl da? Sein Stöhnen wurde immer lauter, aber das Mädchen klang weniger angetan. Sie stieß gedämpfte und unkontrollierte Geräusche aus, die so gar nicht wie die Lustlaute aus den Pornos klangen.
»Jetzt stell dich nicht so an!«, kam es genervt vom Superking und ich vernahm ein heftiges nach Luft schnappen und Geröchel, bevor es abrupt wieder verstummte. »Ich bin gleich soweit und spritz ab. Ich hoffe für dich, du schluckst auch brav alles, ansonsten kannst du die nächsten Partys vergessen!«
Ich war fassungslos. Warum redete er denn so mit dem Mädchen und zwang sie auch noch zu solch ekligen Sachen? Mann sollte Frauen immer mit Respekt behandeln! So sah ich das jedenfalls, aber dieser Kerl scherte sich anscheinend keinen Deut um die Gefühle seiner Freundin und erpresste sie sogar. Tiefer konnte er kaum mehr in meiner Achtung sinken, aber das würde ihn wohl kaum interessieren.
Das Würgen und Schmatzen ging noch etwa zwei Minuten so weiter, bevor er ein heiseres Keuchen ausstieß und offensichtlich kam. Gott sei Dank! Ich wollte nur noch hier raus, aber dazu mussten die beiden endlich verschwinden.
»Danke dir, Babe. Du kannst jetzt gehen. Wir sehen uns dann am Freitag.«
Das Mädchen ergriff eilig die Flucht nach dieser Behandlung. Zumindest stellte ich mir das so vor und ihr schneller Abgang bestätigte meine Vermutung.
»Du kannst jetzt rauskommen«, erklang es plötzlich und ich fuhr erschrocken zusammen.
Bitte was? Konnte es sein und er meinte mich? Oh nein! Schon war sie wieder da, die Sterbeszene von vorhin. Ich konnte doch da jetzt auf keinen Fall rausgehen. Woher wusste er überhaupt, dass ich hier war?
»Ich habe dich kurz vor uns reingehen sehen. Ich weiß also, dass du da bist. Komm schon raus und zeig mir, wer mich da so schamlos bespannt.«
Ich hörte ihn sehr amüsiert lachen und beschloss, mich ihm lieber gleich zu stellen. Unsichtbar werden war ja leider keine Option, also Augen zu und durch. Ich schloss die Kabinentür auf und trat mutig und mit hervorgerecktem Kinn heraus. Das hatte Stil, denn wenn ich schon sterben musste, dann wollte ich wenigstens mit Stolz abtreten.
Es war tatsächlich Michael, dem ich nun so gegenüberstand. Ein undefinierbares Glitzern trat in seine Augen, als er mich still von oben bis unten musterte.
»Nicht schlecht, Prinzessin. Wo hast du dich die ganze Zeit über versteckt?«
Ich wurde wütend, versuchte es mir aber nicht anmerken zu lassen, denn gegen jemanden wie ihn hätte ich eh nie eine Chance.
»Ich bin kein Mädchen … und das eben wollte ich gar nicht mitkriegen … Ich … Es …«, stotterte ich wie blöd los. Verdammte Axt! Ich benahm mich wie ein schwächliches Opfer und würde, wenn das so weiterging, bestimmt tatsächlich als solches in der Kloschüssel enden. »Es tut mir leid, okay … ähm … Ich muss los!«
Ich wollte schnell an ihm vorbeistürmen, doch er ergriff meinen Arm und ehe ich es mich versah, drückte er mich auch schon mit dem Rücken gegen die Wand. Mit einem teuflischen Grinsen, bei dem ich eine Gänsehaut bekam, blickte er auf mich herab.
»Kein Mädchen? Wirklich?«
Er griff mir plötzlich zwischen die Beine und packte fest zu. Erschrocken schrie ich auf und stieß ihn mit aller Gewalt von mir. Brachte nicht viel, denn er schwankte nicht einmal. Milde lächelnd trat er jedoch freiwillig einen Schritt zur Seite und erhob beschwichtigend die Hände.
»Keine Panik! Ich wollte nur sichergehen. Du bist nämlich so hübsch wie ein Mädchen. Eine richtig süße Prinzessin.«
Jetzt war ich wirklich wütend und es war mir egal, ob er seine Freunde rief, mich ins Klo tunkte oder sonst irgendwas. Ich wollte nur noch weg von diesem Kerl und ihn am liebsten nie wieder sehen.
»Tja, Pech gehabt! Bin ich halt nicht und jetzt entschuldige mich. Die Pause ist zu Ende«, schrie ich nicht gerade schlagfertig los und rannte an ihm vorbei.
»Hey, komm doch am Freitag auf meine Party. Ich lad dich ein!«, rief er mir lachend nach.
Ich drehte mich nicht mehr um und entgegnete nur trotzig: »Eher gefriert die Hölle!«
Bevor er mich doch noch meine letzten Worte bereuen ließ, machte ich mich schnell vom Acker. Leider hörte ich trotzdem noch sein belustigtes: »Ich glaube, da schneit es bald. Du entkommst mir schon nicht, Prinzessin!«
Eiskalte Angst kroch mir den Nacken hoch. Was hatte ich nur getan? Hatte ich gerade wirklich mit meinen Worten Selbstmord begangen? Was würde er wohl als Nächstes tun? Scheiße! Ich war so was von am Arsch!
- Michael -
Da liegt er nun pitschnass und am ganzen Leib zitternd vor mir und sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an. Das Blau in ihnen spiegelt seine Angst wider, aber auch so liegt seine Panik fast greifbar zwischen uns. Ich liebe und genieße diesen Augenblick. Ich musste schließlich lange genug darauf warten.
Er weiß genau, wozu ich fähig bin und dass jeden Moment sein letztes Stündlein geschlagen haben könnte. Das soll er auch denken, es hebt die Spannung, jedoch habe ich gar nicht vor, es ihm so einfach zu machen. Wo bleibt denn da der Spaß? Er wird genauso leiden müssen, wie ich es die letzten Jahre getan habe. Obwohl ich rachsüchtig genug bin, ihm auch noch ein paar Zinsen draufzuschlagen.
Freu dich schon mal, Kleiner. Wir haben noch viel vor.
Das Haar zwischen meinen Fingern fühlt sich trotz der Nässe immer noch seidig und weich an. Es ruft Erinnerungen in mir wach, die mir nicht gefallen. Plötzlich widert es mich an ihn berühren zu müssen, daher greife ich fester zu, schwinge ihn herum und stoße ihn dann grob von mir.
Ein schmerzerfülltes Ächzen hallt durch den kahlen Kellerraum und erfreut meine Ohren, als er mit der Schulter voran auf dem harten Boden aufkommt. Er ist wirklich so erbärmlich.
»Oh, hat das weh getan, Prinzessin? Soll ich dir meine Narben zeigen? Dann siehst du, was wahre Schmerzen sind«, speie ich ihm verächtlich entgegen und bekomme dafür einen trotzigen Blick geschenkt, den ich von ihm in dieser Situation nicht erwartet hätte.
»Du bist nicht der einzige Mensch, der Narben davongetragen hat«, gibt er leise zurück. »Wir alle haben gelitten und niemand von uns ist frei von Schuld.«