Sam - Blutstau - Ni Jica - E-Book

Sam - Blutstau E-Book

Ni Jica

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Beschreibung

Wie überlebt man als Mensch, wenn die eigene Welt von Vampiren, Wandlern und anderen übersinnlichen Wesen beherrscht wird? Eine ernste Frage, über die sich der junge Sam allerdings keine Gedanken macht. Er wächst wohlbehütet unter den wachsamen Augen seiner zwei Vampirfürsten Vain und Shion auf und führt - wenn man von seiner ständigen Langeweile mal absieht - ein glückliches Leben. Hach ja, als sogenannter Klasse eins Mensch lebte es sich wirklich gut. Das findet zumindest unser Sam und ahnt nicht einmal, was diese Bezeichnung wirklich für ihn bedeutet. Als der Tag seiner Volljährigkeit immer näher rückt, offenbart sich Stück für Stück sein wahres Schicksal. Kann er dem entfliehen, oder besser gefragt, will er es überhaupt?
Eine chaotische Zeit beginnt, die geprägt wird von Eifersucht, Besitzgier, der ersten Liebe und völlig nervtötenden Männern, die einfach mal gar nichts auf die Reihe kriegen.

Die Story startet eine neue Fantasy-Reihe. Jeder Band der Reihe geht auf die romantische Beziehung anderer Hauptcharaktere ein. Sie sind in sich abgeschlossen, aber zum besseren Verständnis und um die gesamte Geschichte aller Figuren und die übergreifende Handlung zu erfahren, empfiehlt es sich, alle Bände in der Reihenfolge ihres Erscheinens zu lesen. 

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Ni Jica

Sam - Blutstau

Bissige Jungs 1

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Impressum

 

Sam - Blutstau

Bissige Jungs 1

Copyrigt Text © Ni Jica 2017

 

Kontakt: [email protected]

 

Covergestaltung: Ni Jica 

Bildrechte: Aaron Amat - 123rf.com und Pixabay.com

 

Korrektur: Iris Biehl - Drucks

 

 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und andere Verwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Vervielfältigungen und Veröffentlichungen sind nicht gestattet.

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden und entspringen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten jeglicher Art wären demnach rein zufällig.

Bei diesem Buch handelt es sich um einen homoerotischen Roman und wendet sich an Leser, die an sexuellen Handlungen zwischen zwei Männern keinen Anstoß nehmen.

Und jetzt die letzte Anmerkung: Denkt im wahren Leben bitte immer an Safer Sex!

Prolog

Wenn du als Mensch in eine Welt hineingeboren wirst, in der du eher am untersten Ende der Nahrungskette stehst, ist dein Leben jeden Tag aufs neue ein Kampf. In der Nacht versteckst du dich in den tiefsten Schatten der Wälder, immer in der Hoffnung, dass du den nächsten Sonnenaufgang erlebst. Und wenn es dann soweit ist, du die ersten warmen Strahlen der Sonne auf deiner Haut spürst, dann tauschst du die Rollen.

Du straffst deine Schultern, schnappst dir eine verfügbare Waffe und wirst für ein paar Stunden selbst zum Jäger. Wahrscheinlich stellst du dir dabei vor, wie du die Herrschenden dieser Welt jagst, wie du sie einen nach dem anderen vernichtest, genauso wie sie es fast mit deiner Art gemacht haben, aber ... am Ende beherrscht dich zu sehr die Angst, erlegst du doch nur schwächeres Getier, damit du dich stärken und die nächste Nacht in deinem Versteck überleben kannst.

Dieser Kreislauf ist endlos. Gejagter in der Nacht, Jäger am Tag. Das Wissen, dass jede Sekunde deine letzte sein könnte, lässt dich jeden noch so kleinen Augenblick intensiver spüren, denn niemals sind wir so lebendig wie kurz vor unserem Tod. Der Tod ... er klingt so endgültig, sollte mir Angst machen und doch denke ich oft an ihn als eine Art letzte Rettung. Ich stelle mir vor, wie schön es sein musste, nicht mehr zu flüchten, sich einfach zu ergeben und den endlosen Kampf aufzugeben.

Erlösung, das ist es, was ich inzwischen mit dem Wort Sterben verbinde. Ich würde mich dieser Erlösung gerne hingeben und doch gibt es etwas, das mich so stark in dieser Welt hält, dass meine eigenen Wünsche niemals zählen dürfen. Samuel, mein Sohn. Er war noch so jung, so schwach und könnte niemals ohne mich in dieser kalten Welt bestehen. Er war es, der mich aufrecht hielt, mich jeden Tag aufs Neue aufstehen und kämpfen ließ.

Es war falsch ihn in diese Welt hinein gezeugt zu haben, doch damals, vor sieben Jahren, war noch alles anders gewesen. Wir Menschen hatten zu dieser Zeit noch keine Ahnung gehabt, welch übermächtige Wesen im Verborgenen lauerten, bis ... tja, bis sie sich zu erkennen gaben und alle Herrschaft an sich rissen.

Man nannte diese Wesen Vampire. Sie kamen bei Nacht und schon kurze Zeit später gehörte ihnen unsere ganze Welt.

Wir hatten es nicht kommen sehen. Sie hatten über viele Jahre hinweg geplant, hatten sich und ihre gehorsamen Diener bereits bei uns eingeschleust und wir einfältigen Menschen hatten ihnen auch noch die mächtigsten Positionen zugesprochen. Wir hatten sie zu Präsidenten, Kriegsministern und sogar zu hohen kirchlichen Würdenträgern gemacht. So hatten wir den Krieg gegen sie eigentlich schon verloren, bevor er richtig beginnen konnte.

An ihrer Seite befanden sich noch andere widernatürliche Wesen. Sie zerrten Gestaltwandler, Hexenmeister und viele andere Kreaturen mit in unsere Welt, die alle bedingungslos unter ihnen dienten. Sie nutzten die Massenpaniken unter uns Menschen aus, besetzten unsere Städte, töteten oder vertrieben die Aufständischen und versklavten die Schwächeren von uns. Es hatte viele Kämpfe gegeben, doch obwohl wir Menschen ihnen zahlenmäßig weit überlegen waren, so kamen wir am Ende doch nicht gegen ihre übernatürliche Stärke und die Zauber der Magier an.

Es war das Chaos und die Ahnungslosigkeit, die ihnen den Sieg schenkte. Es starben so viele Menschen ... unsere Kraft versiegte rasch, doch von ihnen rückten scheinbar unendlich viele nach. Es schien kein Ende zu nehmen, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet und uns die Apokalypse beschert. Letztendlich war es wohl auch genau das.

Irgendwann hörten die Kämpfe auf. Die Aufständischen hatten keine andere Wahl als zu fliehen, sich zu verstecken und neue Kräfte zu sammeln. So legte sich eine unnatürliche Stille über diese Welt, die nicht länger von uns beherrscht wurde.

Man hatte uns gebrochen, uns alles genommen und doch reichte dies unseren Unterwerfern nicht. Sie wollten mehr. Ohne unser Blut konnten die Vampire nicht überleben, also versklavten sie unsereins und legten sich so einen unerschöpflichen Vorrat an Nahrung an.

Wer sich ihnen beugte, durfte unter ihnen weiterleben, aber hatte dafür auch einen hohen Preis zu zahlen. Freiheit gab es für diese Menschen nicht mehr und einen eigenen Willen gestand man ihnen nur soweit zu, wie es in die Belange dieser ... parasitären Blutsauger passte.

Vampire! Wer hätte jemals gedacht, dass es die Wesen aus unseren zahlreichen Schauermärchen wirklich gab? Ich jedenfalls nicht und mit Sicherheit auch nicht die anderen Menschen, die nun in Unterwerfung oder auf der Flucht vor ihnen lebten.

Wer sich ihnen ergab wurde registriert und einer Kategorie zugeordnet. Sie unternahmen einen kurzen Bluttest und schon wussten sie auf wundersame Weise, wo sie den jeweiligen Menschen einordnen mussten.

Wie dieser Test genau funktionierte, wusste von uns niemand so genau, aber es schien eine hochentwickelte Technik, gepaart mit ein wenig Zauberei zu sein, die jedes noch so kleine Detail des Menschen durch einen einzigen Tropfen Blut anzeigte. Alter, Genetik und der Gesundheitszustand des Testobjektes seien nur einige der Dinge, die es anzeigen konnte, besagten die Gerüchte.

Ich glaubte das unbesehen und hoffte, dass ich niemals in die Nähe eines solchen Gerätes kommen würde. Ich wollte nicht wie ein wertloses Stück Fleisch einen Klassenstempel aufgedrückt bekommen, nur um danach mein weiteres Leben lang als Gefangener dahinzuvegetieren.

Soweit ich wusste, gab es drei Klassen, die je nach Beschaffenheit des Blutes zugeteilt wurden. Es gab die armen Menschen, die in den Augen der Vampire nur als Diener taugten. Sie waren von weniger gutem Aussehen und so wie es schien, auch weniger wohlschmeckendem Blut. Das wurden die Arbeitstiere, eingestuft als Klasse drei.

Klasse zwei bedeutete, als Nahrungsspender geeignet. Sie lebten in den Residenzen der Vampire und durften dort auf Abruf als menschlicher Blutbeutel herhalten. Mich durchfuhr das pure Grauen, wenn ich nur daran dachte, wie schändlich man diese Menschen missbrauchte und aussaugte.

Zuletzt gab es noch die geheimnisvollen Klasse eins Typen. Wir Rebellen wussten nicht viel über sie, nur, dass es nicht viele von ihnen gab und wenn jemand in diese Kategorie eingeordnet wurde ... dann sah man ihn nie wieder. Natürlich gab es viele Gerüchte um sie. Das Beliebteste war, dass man diese Menschen als Opfer für die Macht der Vampire darbrachte. Das war gut möglich bei diesen Monstern, wenngleich ich es nicht wirklich so genau wissen wollte.

Fakt war, so ein niederes Leben wollte ich für Samuel oder mich nicht. Ich wollte mich auch nicht mit ihm und ein paar anderen Aufständischen im Wald verstecken müssen, aber in meinen Augen war es immer noch besser mit Stolz ums Überleben zu kämpfen, als dass wir als Sklaven verenden würden. Die Freiheit war unser höchstes Gut und genau das wollte ich meinen Sohn bis zum bitteren Ende lehren.

Er war ein guter Junge, der mit seinen fast sieben Jahren schon genau wusste wie man Spuren verwischte, seinen Geruch verdeckte und aus dem Geäst des Waldes Pfeile und spitze Speere schnitzte. Seinen ersten Hasen hatte er bereits vor einem Jahr erlegt und ausgenommen. Er war ein kleines Kind, das zum Wohle unserer Gemeinschaft keines sein durfte und genau das zerriss mir jeden Tag aufs Neue das Herz. Ich wusste nicht einmal wie sein Lachen klang ... Würde ich es jemals hören? Durfte ich mir das überhaupt wünschen?

Seine Mutter starb vor fünf Jahren an einer Infektion, die von einem simplen Kratzer ausgelöst wurde. Ich musste hilflos mit unserem Baby auf dem Arm dabei zusehen, wie sie einem langen Fieber erlag, denn ohne Medikamente hatten wir nichts dagegen ausrichten können. Wut und Verzweiflung hatten mich damals beherrscht und letztendlich dazu veranlasst, mich einer der vielen versteckten rebellischen Gruppen anzuschließen, die es überall auf dieser Welt gab.

Noch gab es Menschen, die ihren Platz in dieser Welt nicht kampflos aufgeben wollten. Es waren sogar sehr viele, aber bis wir so weit waren, uns wirklich behaupten zu können, würde es wahrscheinlich noch sehr lange dauern. Zuerst mussten wir noch viel über die Unterwerfer lernen, mussten alle ihre Schwachstellen finden, während wir uns im Verborgenen weiter zusammenschlossen. Wir würden wachsen, an Stärke gewinnen und sie irgendwann vertreiben. Das war unser Ziel, unsere Hoffnung und unsere letzte Chance auf eine Zukunft.

»Sammy! Wasch dich endlich und reib dich dann wieder mit Tierfett und Erde ein«, befahl ich meinem Sohn und blickte nervös zur bereits untergehenden Sonne hinauf. Es blieb nicht mehr viel Zeit für unser tägliches Waschritual, aber irgendwie war Samuel heute bockig.

»Aber Dad, warum muss ich mich immer waschen, wenn ich danach eh wieder stinke?« Sammys hellbraune Locken wippten, als er seinen Mund zu einer Schnute verzog und trotzig seinen Kopf schüttelte.

Ich seufzte resigniert. Wie oft hatten wir nun schon diese Diskussion geführt? »Sammy, du weißt, eine gewisse Grundhygiene muss sein, sonst wirst du krank. Also, tu es einfach und beeil dich. Die Sonne geht gleich unter und ich will vorher wieder im Unterschlupf sein.«

»In der blöden Erdhöhle stinkt‘s auch«, nuschelte Samuel, bevor er endlich ins Wasser tappte. Während er sich wusch verfolgten mich erdolchende Blicke aus seinen dunkelblauen Augen und brachten mich fast zum Schmunzeln. Das Temperament, genauso wie sein hübsches Aussehen, hatte er eindeutig von seiner Mutter geerbt.

Ich begann in Erinnerungen an meine geliebte Anna zu versinken und vertrödelte nun selbst viel zu viel Zeit. Erst der bereits rötliche Streifen am Himmel riss mich aus meinen Gedanken und trieb mich zur Eile an. Wir würden fast zehn Minuten vom Fluss zu unserem Versteck brauchen, das wir uns mit zwei anderen Menschen teilten.

Es gab einige dieser Erdhöhlen in der Umgebung, doch um nicht aufzufallen, bewohnten wir sie nur in ganz kleinen Gruppen und trafen die anderen nur am Tag. Würden wir es nicht bis zum Anbruch der Nacht in unser zugewiesenes Versteck schaffen, so dürften wir nicht mehr hinein. Das war eine eiserne Regel unter uns, die die Gemeinschaft davor schützen sollte entdeckt zu werden, denn die Jäger der Vampire kamen des Nachts und suchten nach Rebellen wie wir es waren.

Sammy rieb sich bereits mit Tierfett ein und ich half ihm rasch beim Verschmieren der matschigen Erde auf seinem kleinen Körper. Auch wenn dem Jungen das nicht gefiel, so verdeckte es doch wunderbar unseren menschlichen Geruch, wodurch die Jäger uns nicht aufspüren konnten und auch nur so war es sicher genug, um ins Lager zu den anderen zurückkehren zu dürfen.

»Sammy, wir werden jetzt einen kleinen Sprint hinlegen müssen. Bist du bereit?«, fragte ich meinen Jungen, ergriff gleichzeitig seine Hand und begann schon loszulaufen, während ich niemals den Winkel der Sonne aus den Augen ließ. Scheiße, das wurde echt knapp.

Samuels kurze Beine konnten bei meinem Tempo nicht lange mithalten, deshalb nahm ich ihn kurzerhand Huckepack und rannte dann los.

Es wurde dunkler. Tiefe Schatten schluckten uns bereits überall und ich begann meine Fahrlässigkeit zu verfluchen. Wieso waren wir heute erst so spät zum Fluss gegangen? Wieso nicht wie immer zur Mittagszeit? Ich wusste es nicht mehr, wusste nur noch eines, und zwar, dass wir es unbedingt rechtzeitig zurückschaffen mussten.

Die Anstrengung meines Dauerlaufs ließ mich bereits keuchen. Schmerzhafte Stiche zogen sich durch meine Seiten, da ich vor lauter Panik vergessen hatte richtig zu atmen. Zu spät ... es war fast zu spät. Vor meinen Augen wurde es dunkler und die Nachtbewohner des Waldes begannen bereits ihr Lied anzustimmen. Nein! Noch nicht! Nur noch zwei, vielleicht drei Minuten und wir wären am Ziel!

Über den Bäumen erklang plötzlich der laute Ruf eines Eichelhähers und ließ meine Beine abrupt in der Bewegung innehalten. Aus und vorbei ... Das war unser Zeichen für die Sperrstunde. Ab jetzt durfte niemand mehr in die Verstecke hinein oder hinaus. Das Gesetz war eisern. Würden wir uns nicht daran halten, würde man uns komplett ausschließen.

Ich sank auf die Knie und ließ Samuel langsam von meinem Rücken klettern. Mir war schlecht vor Angst und Sorge vor den kommenden Stunden, denn nun mussten wir oberhalb der Erde schlafen, während vielleicht Jäger durch dieses Gebiet schlichen. Wieder machte ich mir Vorwürfe, doch ich schob sie konsequent von mir, da es nun galt, meinen Sohn um jeden Preis zu schützen.

Ich ergriff seine kleine kühle Hand und zog ihn mit mir in eine felsige Ecke, die zum Glück von dichten Büschen umgeben war. Es war unbequem und die vielen Zweige schnitten unangenehm in die Haut, aber es schien ein blicksicheres Versteck zu sein und daher mussten wir das in Kauf nehmen.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an dem größten Felsen an, zog Sammy auf meinem Schoß und hielt ihn in dieser Position fest. Er sagte nichts und er bewegte sich nicht, genauso wie ich es ab jetzt auch nicht mehr tun würde. Wir mussten unsichtbar werden und so taten wir es. Wie immer ... wie jede Nacht, wenn wir zum Jagdwild wurden.

Unsere ausweglose Lage hatte uns schnell gelehrt, wie man in den unmöglichsten Positionen einschlafen konnte. Neue Kräfte für den nächsten Tag zu tanken war wichtig und so verwunderte es mich auch nicht, als mir bereits nach kurzer Zeit trotz meiner Angst die Augen zufielen.

Ein lauter Schrei ließ mich sofort mit wild klopfendem Herzen erwachen. Es war immer noch dunkelste Nacht. Mein Schoß war leer und ich allein in unserem provisorischen Versteck. Sofort durchfuhr mich die nackte Panik. Warum war mein Sohn nicht bei mir?

Die Antwort darauf kam prompt, als ich wieder einen Schrei hörte. Er kam aus der Nähe und stammte eindeutig aus dem Mund meines Jungen. Wimmernde Laute, vermischt mit dem Lachen und den Stimmen Fremder drangen an mein Ohr und sie kamen immer näher. Hatten die Jäger meinen Sohn geschnappt? Menschen würden doch nie so offen des Nachts hier herumlaufen.

Ich begann zu zittern und schlang mir die Arme um den Körper. Unbewusst hielt ich den Atem an, war unfähig zu denken oder gar zu handeln. Es war die Angst, die mich lähmte und mir in diesem Augenblick vor Augen führte, was ich doch für ein erbärmlicher, feiger Schwächling war. Ein guter Vater würde sich jetzt sein Messer schnappen, würde sich auf die Vampire stürzen und sein Kind befreien. Ein guter Vater würde ... Tränen der Hilflosigkeit und des Versagens strömten lautlos über mein Gesicht, denn ich konnte es nicht.

Nur wenige Meter von mir entfernt stand mein Samuel. Ein dunkel gekleideter Mann zerrte ihn hinter sich her, während er sich mutig mit aller Kraft wehrte. Natürlich hatte das keinen Sinn. Er war zu klein und schwach, aber Sams Gezappel schien dem Mann auf die Nerven zu gehen, denn er blieb mit ihm stehen, gab dem Jungen eine so heftige Ohrfeige, dass er auf seinen Hintern fiel und brüllte ihn an, während zwei seiner Kumpane gehässig lachten.

»Thron! Mach den Test gleich. Wenn das Balg uns nichts einbringt, dann dreh ich ihm gleich jetzt und hier den Hals herum!«

Der Angesprochene zog etwas aus seiner Tasche, kniete sich neben den Jungen und griff nach seiner Hand. Störrisch und so unglaublich mutig sah mein Sohn ihn nur an, während das Monster etwas an seinem Finger befestigte. War das eins von den berüchtigten Geräten, die sie zur Blutbestimmung benutzten? Es musste so sein, denn nur eine Sekunde später schrie Samuel wieder. »Hey, das tut weh«, beschwerte er sich, was die Männer nur wieder abfällig lachen ließ.

Dem Mann, der an Sammy den Test durchführte, verging dieses allerdings schnell. »Scheiße, Kay! Das mit dem Hals umdrehen würde ich an deiner Stelle lieber lassen. Der Junge ist ein Volltreffer!«

Er reichte das Gerät der Reihe um weiter, bis jeder verstummt war. Der Mann, der den Jungen zuvor niedergeschlagen hatte, beugte sich nun grinsend zu ihm herunter und strich ihm fast schon liebevoll über den Kopf. »Na so was! Sieh einer an, wer hätte gedacht, dass sich hier solch eine Rarität versteckt hält.«

Er schnappte sich den kleinen Körper und warf ihn sich über die Schulter. »Wir gehen mit dieser wertvollen Beute sofort wieder zurück und liefern ihn ab.«

»Aber Kay, ein Kind wird hier nicht alleine rumlaufen. Die Eltern dürften nicht weit sein. Wollen wir die nicht auch noch aufspüren?«, fragte einer seiner Freunde.

Kay schüttelte den Kopf, während er die Protestlaute des kleinen Jungen einfach ignorierte. »Was interessieren mich jetzt noch die anderen Menschen, wenn ich einen habe, der mich reich machen wird? Wir liefern ihn ab, kassieren unsere Prämie und werden unser zukünftiges Leben im Reichtum genießen.«

Alle schienen mit diesem Plan einverstanden zu sein und gaben zustimmendes Gemurmel von sich. Spätestens jetzt hätte ich einen Befreiungsversuch unternehmen sollen, doch ich konnte mich immer noch nicht bewegen. Als dann einer der Vampire auch noch einen Jubelschrei ausstieß und dabei Worte in den dunklen Wald schrie, war es ganz aus.

Ich brach lautlos in meinem Versteck zusammen und schaffte es noch nicht einmal einen letzten Blick auf meinen Sohn zu werfen, der sich zwar verzweifelt wehrte, aber kein einziges Mal nach mir rief. Er war so viel stärker als ich, schützte mich instinktiv mit seinem Schweigen und verriet mein Versteck nicht mit einem Blick.

Er wurde mir in dieser Nacht genommen, verschwand aus meinem Leben, ohne dass ich für ihn gekämpft hätte. Unglaublicher Schmerz zerriss meine Brust, denn ich wusste, ich würde ihn nie wiedersehen. Laut und unheilvoll hallten die letzten Worte von einem der Vampire immer wieder in meinem Kopf wider. »Klasse eins! Wir haben einen Klasse eins erwischt!«

Samuels Todesurteil? Wahrscheinlich, aber es bedeutete auch meines, denn ich würde niemals mit meinem Versagen und dem Wissen darum weiterleben können. Ich war es, der zuerst seine Frau nicht schützen konnte und jetzt auch noch kläglich bei seinem einzigen Sohn versagt hatte.

Mir blieb nun nichts anderes übrig, als die Konsequenzen meines Nichthandelns zu ziehen ...

1. Kapitel

Residenz des Fürsten Vain, 11 Jahre später

 

- Vain -

»Die Lage, in der wir uns befinden, wird zunehmend ernster. In ganz Europa gibt es inzwischen rebellische Aufstände in den Städten. Die Menschen werden überheblicher und das nur, weil sie die Unterstützung der Falkenwandler besitzen. Ich bin deshalb dafür, dass wir etwas gegen die Wandler unternehmen. Sind sie erst mal weg, dann begeben sich die letzten Menschen auch noch in unsere Hände.«

Mit spöttisch erhobener Augenbraue blickte ich in das Gesicht eines meiner Berater, der mir gerade diesen abstrusen Vorschlag unterbreitet hatte. Marlin der Fuchswandler war trotz seiner Art noch nie der Schlaueste gewesen, aber solch einen Ratschlag hätte ich von ihm trotzdem nicht erwartet.

»Du denkst also, wir sollten einen Krieg riskieren? Dir ist schon klar, dass, wenn wir gegen Falcon und seine Brut angehen, sich viele andere Wandler gegen uns stellen werden? Noch bilden wir trotz der kleineren Aufstände eine Gemeinschaft. Ich werde mit Sicherheit nichts unternehmen, um unser langjähriges Bündnis zu gefährden.«

Marlin wurde wütend und lief rot an. »Welches Bündnis? Falcon hat es doch schon vor langer Zeit gebrochen, als er die rebellischen Menschen unter seinen Schutz stellte!«

Ich seufzte genervt, denn so langsam regte mich dieser alte Fuchs auf. Ich war ja nun auch nicht wirklich ein Freund des berüchtigten Oberhaupts des Falkenclans, aber man musste immer die Gesamtsituation im Auge behalten.

Falcon hatte es nie gepasst, dass die Wandler unter den Vampiren dienten. Er wollte Gleichberechtigung unter den Übersinnlichen. Das war eigentlich ein verständlicher Gedanke, auch wenn er für uns Vampire sehr erschreckend war.

Wir brauchten die Wandler, die uns am Tage vor Angreifern und Feinden schützten. Genau aus diesem Grund hatten wir bereits vor vielen Jahrhunderten einen magischen Pakt mit ihnen geschlossen. Sie schworen uns, dass sie uns verteidigen würden und wir schworen im Gegenzug, dass wir einen Plan ersinnen, wie wir diese Welt erobern würden. Wir hatten schon immer die meiste Macht im Mythos besessen und uns viele Verbündete geschaffen. Magier, Hexenmeister, Dämonen in all ihrer Vielfältigkeit und letztendlich die Wandler hatten sich uns angeschlossen.

Es hatte so lange gedauert, bis alle Verhandlungen und Pakte abgeschlossen waren und wir uns endlich aus unserer geheimen Welt erheben konnten. Wer den Pakt brach, starb. Das hatten die fiesen Hexenmeister echt klug ausgetüftelt und so brauchte sich kaum einer um Verrat Sorgen zu machen. Das hieß allerdings nicht, dass man nicht ein wenig intrigieren oder aufhetzen konnte.

Ich war mir sicher, Falcon nutzte die Menschen nur, um Druck auf uns auszuüben. Das hätte mich wütend machen sollen, doch eigentlich hatten sich aus seinen Bemühungen viele interessante Zukunftsmöglichkeiten ergeben.

»Er hat die Menschen angeleitet und für sie mit uns verhandelt. Wenn man es genau nimmt, dann hat er viele sinnlose Kämpfe verhindert. Wir haben durch ihn mit den Rebellen ein Abkommen schließen können. Das nennt man Politik, mein Lieber und hat durchaus einige Vorteile«, meinte ich deshalb schneidend zu meinem nervtötenden Berater.

»Er hat durchgesetzt, dass wir die Rebellen nicht mehr jagen dürfen. Diese Menschen leben jetzt an den Grenzen unserer Städte und verhöhnen uns. Sie betreten sie sogar inzwischen und versuchen die Registrierten auf ihre Seite zu ziehen. Wenn das so weitergeht, dann verlieren wir unsere Machtposition!«

Niemand meiner zwei anderen Berater im Raum wagte es, sich in diese Diskussion einzumischen und so blieb mir nichts anderes übrig, als mich alleine mit diesem Dummkopf herumzuschlagen.

»Unsere Positionen sind nicht in Gefahr, auch wenn sie ein wenig Propaganda betreiben! Die meisten Registrierten wissen, dass es ihnen unter unserer Obhut bessergeht, als es in der sogenannten Freiheit der Fall wäre. Der Hohe Rat hat sich dazu entschieden, ein friedliches Miteinander anzustreben und ich werde diese Entscheidung auch nicht infrage stellen oder gar gefährden.«

»Aber Vain«, fing Marlin wieder an. Der Kerl wusste scheinbar nicht, wann Schluss war. »Was ist denn, wenn unsere Menschen wirklich auf sie hören? Was ist, wenn sie uns alle verlassen?«

»Hätten sie das gewollt, dann hätten sie es schon getan, als wir dem Abkommen mit den Rebellen zugestimmt haben. Wir leben in einer Welt der gegenseitigen Abhängigkeit. Wir geben unseren Menschen Wohlstand und sie bieten uns dafür Nahrung und ihre Dienste an. Wir arbeiten auf ein ausgewogenes Verhältnis hin und ich denke, das wird es auch sein, was unser aller Zukunft sichern wird.«

Marlin wollte wieder etwas einwenden, aber ich hatte nun genug und unterbrach ihn sogleich mit einer unwirschen Handbewegung. »Es tut mir leid, wenn dir das nicht passt, aber wenn du deine Ansicht nicht ändern kannst oder willst, muss ich unsere bisherige Zusammenarbeit leider beenden, denn ich kann niemanden gebrauchen, der sich gegen mich und die Entscheidungen des Hohen Rates stellt.«

»Das wirst du irgendwann bereuen!«, zischte er nur wütend und drehte sich dann auf dem Absatz um, um aus dem Besprechungszimmer zu stürmen. Diese Antwort war wohl eindeutig.

»Noch jemand der gehen will?«, fragte ich meine anderen zwei Berater, die jedoch sofort den Kopf schüttelten.

Es war gut zu wissen, dass nicht alle so wie Marlin auf eine brutale Diktatur bestanden, denn dafür waren wir meines Erachtens nicht an die Oberfläche gekommen. Die Mythenbewohner dieser Welt hatten es einfach nur sattgehabt, sich immer verstecken zu müssen und zugunsten der Menschen ihre Art zu verleugnen. Wir hatten frei sein wollen, genauso wie die unterworfenen Menschen jetzt. Niemand verstand das besser als ich und genau deshalb war ich davon überzeugt, dass wir Vampire, die Menschen und auch alle anderen Bewohner dieser Welt irgendwann im Einklang existieren konnten. Bis dahin war es allerdings noch ein langer Weg und unsere brutale Machtübernahme vor fast siebzehn Jahren hatte selbstverständlich auch deutliche Spuren hinterlassen.

Es würde nicht leicht werden, den Hass und das Misstrauen der Menschen zu zerstreuen. Wir fingen damit an, dass wir ihnen ihren eigenen Willen zurückgaben. Sie durften nun wählen, ob sie uns dienen oder lieber außerhalb der Städte unter ihresgleichen leben wollten. Es war eine nicht ganz faire Wahl, vor die man sie stellte, denn natürlich war das Leben in der Stadt um einiges angenehmer, aber es war ein Anfang in die richtige Richtung.

Ich selbst hatte bereits fast alle meine menschlichen Bediensteten vor die Wahl gestellt und zu meiner großen Freude musste ich nur zwei Verluste hinnehmen. Jetzt gab es nur noch einen, den ich fragen musste, wo er sein weiteres Leben verbringen wollte, doch dieses Gespräch hatte ich bisher feige vor mir hergeschoben, denn eines war mir klar, selbst wenn er sich gegen mich entschied, würde ich ihn nicht gehen lassen ...

 

 

- Sam -

Ausfallschritt links, Drehung und Stoß. Mist, nicht getroffen! Mein Gegner konterte sofort, ließ mich fast zu langsam parieren und brachte mich damit ins Straucheln. Egal, aufgeben war keine Option. Ich erlangte schnell die Balance zurück und startete sofort einen erneuten Angriff mit dem Degen.

Ich sah, wie die linke Schulter meines Gegners zuckte und erkannte dadurch, dass er diesmal nicht mit rechts kontern würde. Sehr gut, das machte ich mir gleich zunutze, indem ich antäuschte, ich würde auf seine rechte Seite zielen, jedoch stoppte ich abrupt, schwang meinen Degen in einer fließenden Bewegung nach links oben und schlug meinem Gegenspieler die Waffe aus der Hand. Haha, Kinderspiel!

Mit einem triumphierenden Grinsen im Gesicht setzte ich meinem verblüfften Gegner die Degenspitze an seinen Hals. »Tut mir leid, Kumpel, aber du bist jetzt leider tot«, entschlüpfte es mir hämisch, was mir einen ziemlich bösen Blick von ihm einbrachte.

»Sam, du Idiot! Spiel dich nicht immer so auf. Fast hätte ich dich diesmal erwischt!«, bekam ich von meinem Trainingspartner entgegengeschleudert, was mich nur noch breiter grinsen ließ.

»Fast reicht aber nicht, Raffi«, stichelte ich munter weiter und nahm dabei meinen Degen herunter. »Du musst auch mal richtig treffen und nicht nur große Töne spucken!«

Raffis braune Augen schossen wütende Blitze in meine Richtung, die ich ganz gelassen erwiderte. Fast sah es so aus, als wolle er sich auf mich stürzen, aber das war natürlich Unsinn. Er würde nie auf die Idee kommen, mich wirklich zu berühren und genau dasselbe galt auch für mich.

Er war ein Klasse eins Mensch, genauso wie ich und das bedeutete, dass niemand anderes außer unsere Herren uns anfassen durften. Handelte man gegen diese Regel, riskierte man seinen Kopf. Zumindest wurde mir das in den letzten Jahren immer wieder eingebläut und ich hatte den Wahrheitsgehalt dieser Worte lieber nicht austesten wollen, denn es wäre mit Sicherheit nicht mein Kopf, der rollen würde.

»Idiot«, wurde ich noch mal angepflaumt, bevor sich mein Trainingspartner schnell beruhigte und sich grummelnd von mir abwandte.

Ich hätte jetzt gerne wieder gelacht, aber das wäre zu gemein gewesen und deshalb unterließ ich es. Ich konnte seinen Ärger ja verstehen. Wir trainierten seit einigen Jahren zusammen und er hatte nur zu anfangs einige Male gewonnen. Inzwischen kam das nicht mehr vor und das musste einfach frustrieren.

Außerdem mochte ich ihn sehr. Er war der einzige Mensch, mit dem ich wirklich näheren Kontakt haben durfte. Mein Herr Vain hatte ihn vor etwa fünf Jahren in seine Obhut genommen, da Raffis eigentlicher Herr aus irgendwelchen Gründen keine Zeit für ihn hatte. Das war ziemliches Glück für mich, denn von da an machten wir fast alles gemeinsam. Wir lernten zusammen die Degen- und Fechtkunst, teilten uns einen Privatlehrer und verbrachten so gut wie jede freie Minute miteinander. Man könnte sagen, wir waren beste Freunde, auch wenn wir uns gerne mal zofften.

Ich betrachtete nachdenklich den breiten Rücken meines Freundes, während er durch den Trainingsraum zu einer Bank ging, auf der unsere Getränke und Handtücher lagen. Ich verstand gar nicht wirklich, warum er immer verlor. Er war ein paar Monate älter als ich, stand kurz vor seinem achtzehnten Geburtstag und wirkte auch viel stärker. Er überragte mich um einen halben Kopf, hatte viel mehr Muskeln und war normalerweise auch um einiges schlauer als ich. Seine Niederlagen konnten also eigentlich nur daran liegen, dass ich um einiges flinker und wendiger war. Na ja, zu irgendwas musste meine drahtige Statur ja gut sein.

Als er sich auf die Bank fallen ließ und seine Wasserflasche in tiefen gierigen Schlucken leertrank, gesellte ich mich zu ihm. Ich wollte gerade nach dem Handtuch greifen und mich neben ihn setzen, da hielt mich eine aufgebrachte Stimme zurück. »Samuel! Wirst du wohl aufpassen! Das ist nicht dein Tuch«, wurde ich angefahren.

Raffi fing leise zu lachen an, während ich mich augenverdrehend zu unserem ziemlich penetranten Aufpasser umdrehte. »Reg dich ab, Andy. Raffi hat es doch noch nicht mal benutzt!«

Andy erwiderte nichts darauf, beäugte uns nur weiter mit seinen grimmigen Augen, was mich resigniert seufzen ließ. Andy war immer an meiner Seite und passte auf, dass ich auch ja keine Regeln des Hauses verletzte.

Er war ein sogenannter Schattenmann, eine Dämonenunterart, die sehr oft von den Vampiren als Bodyguards eingesetzt wurden, da sie eine faszinierende Fähigkeit besaßen. Sie konnten sich zu jeder Tages- und Nachtzeit vollkommen unsichtbar machen. Zudem mussten sie nie schlafen. Ich fand das ja ganz toll, aber musste man mir deshalb auch einen von diesen Kerlen aufs Auge drücken? Andy war da, wenn ich schlief und stand sogar vor der Tür, wenn ich auf der Toilette saß. 

Als ich vor über zehn Jahren hier ankam, war das sehr befremdlich für mich gewesen, aber inzwischen nahm ich ihn kaum noch wahr. Er war zu meinem Schatten, zu etwas Selbstverständlichem in meinem Leben geworden. Das hielt ihn leider nicht davon ab, mir immer mal wieder auf die Nerven zu gehen. So wie gerade jetzt, wo er Panikattacken bekam und das nur, weil ich fast ein Stück Stoff berührt hätte, das ja den Schweiß eines anderen tragen könnte.

Es gab einfach Regeln, die würde ich nie verstehen. Warum übertrieben die Vampire nur so, wenn es um ihre Klasse eins Menschen ging? Ich hatte bis heute nicht ganz verstanden, was das wirklich bedeutete. Fakt war, dass Raffi und ich so behandelt wurden, als wären wir irgendwelche kostbaren Schätze, die durch bloße Berührungen eines niederen Wesens beschädigt werden könnten. Das schränkte unsere Freiheit im Gegensatz zu den normalen Menschen ganz schön ein, aber beschweren konnten wir uns andererseits auch nicht, denn wir hatten ein verflucht gutes Leben.

Wir wurden von vorne bis hinten verwöhnt, bekamen so gut wie alles, was wir uns wünschten und mussten dafür eigentlich gar nichts tun. Wir mussten weder arbeiten noch unsere Herren nähren. Es reichte, wenn wir artig und folgsam waren. Ich konnte also nicht meckern und doch wurde ich immer ruheloser, denn diese Art zu leben brachte auch ein großes Problem mit sich. Die Langeweile. Hätte ich Raffi nicht, wäre ich wahrscheinlich schon längst an der Eintönigkeit gestorben.

Wir hatten schon oft zusammengesessen und über den Sinn unserer Existenz nachgegrübelt, aber zu einem wirklichen Ergebnis waren wir bisher nie gekommen und so hatten wir es einfach akzeptiert. Das fiel nicht schwer, schließlich waren wir so aufgewachsen.

Ich wusste kaum noch etwas von der Zeit vor meiner Ankunft auf diesem Anwesen. Ich wusste, ich hatte meine ersten Lebensjahre im Wald verbracht und dass ich einen Vater gehabt hatte. Allerdings lagen diese Erinnerungen so im Trüben, dass ich mich nicht mal an sein Gesicht erinnern konnte.

Manchmal hatte ich deswegen Schuldgefühle und ich fragte mich auch oft, ob es diesen Menschen, der einmal etwas Besonderes für mich gewesen sein musste, noch gab. Lebte er noch? Wenn ja, wo? Hatte er auch einen guten Herrn gefunden? Ich hoffte es für ihn, denn natürlich wusste ich, dass nicht alle Herrn so gut wie meiner waren.

Der große Fürst Vain herrschte über diese Stadt und ich vergötterte ihn. Er selbst war es gewesen, der mir anfangs das Lesen beigebracht hatte und seitdem war es zu einem täglichen Ritual geworden, dass ich ihm und seinem Gefährten Shion jeden Morgen vor der Schlafenszeit aus einem Buch vorlas. Es gab bestimmt nicht viele Herrn, die sich ihrem Menschen so zuwendeten, wie Vain und Shion es bei mir taten. Das sah man auch ganz deutlich an Raffi, schließlich hatte seiner ihn einfach abgeschoben. Ob ihn das belastete?

Ich musterte Raffi wieder. Er wirkte eigentlich nie besonders traurig über diese Situation, nur manchmal, wenn er dachte, ich würde es nicht bemerken, stahl sich ein seltsamer Glanz in seine Augen, wenn er mich heimlich betrachtete. Es kam mir sehnsüchtig vor und lag bestimmt daran, dass er auch gerne eine so gute Beziehung zu seinem Herrn haben wollte, wie ich sie hatte.

»Was guckst du so, Lockenköpfchen?«, zog er mich plötzlich auf, was mich sofort auf die Palme brachte. Ich hasste meine hellbraunen Locken und hatte schon oft darum gebeten, sie abschneiden zu dürfen, doch leider war das einer der Wünsche, die Vain mir immer wieder abschlug. Er fand sie umwerfend süß und genau das war mein Problem. Ich wollte nicht umwerfend süß sein, schließlich war ich ein Mann! Raffi wusste das.

»Ich habe mir nur gerade überlegt, ob es noch Sinn macht weiterhin mit dir zu trainieren. Du gehst immer mehr in die Breite und wirst dadurch noch schwerfälliger, als du es eh schon bist, du blöder Muskelprotz«, brummte ich ihn deshalb böse an.

Raffi warf lachend seinen blonden Schopf nach hinten. »Ach, bist du etwa eifersüchtig, du Spargeltarzan?«

»Als ob!«, keifte ich, denn ich würde ihm bestimmt niemals verraten, dass es tatsächlich so war. »Klein und wendig zu sein hat eindeutig mehr Vorteile, als so groß und protzig wie du!«

Grinsend ließ ich mich endlich neben ihm nieder - natürlich mit Sicherheitsabstand. Ich fand, diese Diskussion hatte ich eindeutig für mich entschieden. Mein Freund sah das wohl auch so, denn er nickte plötzlich.

»Vielleicht hast du recht, aber ist eh egal, denn unser Training wird es schon bald nicht mehr geben. Ich werde demnächst volljährig und gehe dann zurück zu meinem Herrn.«

Das Grinsen verging mir schlagartig und ich erstarrte. »Was? Aber warum? Und wann?«

Ich konnte es einfach nicht fassen. Mein einziger Freund sollte wieder verschwinden? Komischerweise hatte ich bisher nie über diese Möglichkeit nachgedacht und daher traf mich seine Eröffnung ziemlich unvorbereitet.

Raffi zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht genau, was das mit meinem Alter zu tun hat, aber anscheinend war zwischen den Herren nur ausgemacht, dass mich Vain bis zur Volljährigkeit bei sich aufnimmt. Mein Geburtstag ist in acht Tagen und in genau einer Woche soll ich zurück.«

Ich senkte betroffen den Kopf, um ihn nicht sehen zu lassen, wie schwer mich das gerade mitnahm. Natürlich bemerkte er es trotzdem. »Sei nicht traurig, ja? Glaube mir, ich will dich nicht wirklich verlassen, aber ... ich habe doch keine andere Wahl«, flüsterte er gebrochen und schnitt mir damit nur noch mehr ins Herz.

»Dann solltest du auch nicht gehen müssen«, zischte ich harscher als beabsichtigt. »Er hat dich doch die ganzen letzten Jahre nicht gewollt. Vielleicht will er dich auch jetzt nicht und du sollst nur zu ihm zurück, weil er mit Vain dieses Abkommen geschlossen hat. Genau!«

Ich sprang auf meine Füße und blickte dem traurigen Raffi voller Zuversicht in die Augen. »Das könnte doch gut sein. Ich werde Vain einfach bitten, dass du bei uns bleiben darfst. Er sagt bestimmt ja!«

Raffi lächelte nur müde, denn er glaubte anscheinend nicht an meine Worte. »Lass es einfach, Sam. Vain hat keinen Zweifel daran gelassen, dass mich mein Herr zurück will. Da wird er selbst dir zuliebe nichts tun können.«

»Das wollen wir doch mal sehen!«, brüllte ich energisch, drehte mich um und rannte schon auf die Tür zu. Ich musste jetzt zu Vain und mit ihm reden. Er durfte einfach nicht zulassen, dass ich meinen einzigen Freund verlor und das würde er auch nicht, dafür würde ich sofort sorgen!

2. Kapitel

- Sam -

»Hey, wo willst du denn so schnell hin?«, hielt mich Andys Stimme auf, kaum dass ich einige Schritte durch den weitläufigen Flur getan hatte. »Der Fürst hat heute die ganze Nacht Besprechungen, da kannst du nicht zu ihm.«

Ich blieb abrupt stehen, denn er hatte recht. Wenn ich jetzt zu ihm ging, würde ich ihn nur wütend machen und das wäre nicht unbedingt hilfreich, wenn ich ihn um etwas bitten wollte.

Ich grinste verschlagen. Nun gut, dann ging ich eben zuerst zu Shion. Vains Gefährte war sehr viel umgänglicher als er und hatte mir bisher auch keinen Wunsch abschlagen können. Wenn ich ihn um Hilfe bat, würde er sie mir bestimmt gewähren.

Andy musste wohl meine Gedanken gelesen haben, denn er seufzte laut und schüttelte den Kopf. »Du bist echt ein verzogenes Balg. Shion wird dir auch nicht helfen können. Glaub mir doch einfach, wenn ich dir sage, dass man in dieser Angelegenheit nichts machen kann.«

Ich musterte meinen Aufpasser kritisch. Sein schwarzes Haar wippte noch immer aufgeregt von einer Seite auf die andere, weil er einfach nicht mit dem Kopfschütteln aufhören wollte. »Das glaube ich erst, wenn ich mit den Herren geredet habe«, entgegnete ich mit trotzig verschränkten Armen. Er hielt mich also für verzogen? Gut, dann konnte ich mich ja auch so benehmen!