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Kain ist ein Schattenmann. Immer umhüllt von seinem Schutzmantel der Unsichtbarkeit, bleibt er stets für sich und lässt niemanden an sich heran.
Das hat einen Grund, denn Kain hat ein Geheimnis, welches er um jeden Preis wahren will. Er ist anders, ein Monster unter seinesgleichen. Weder Kain noch sein Bruder Andy ahnen auch nur im Entferntesten, welches Wesen tatsächlich in ihm schlummert. Ist es wirklich ein Monster, das nur auf seine Entfesselung wartet?
Als Raphael, der einzige Mensch, der ihm etwas bedeutet, von einem Vampir entführt wird, beginnt für ihn ein schwerer Kampf. Und der mächtige Vampirfürst Phil fordert viel mehr, als er anfangs ahnt, nämlich nicht weniger als sein Herz.
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Kain - Unsichtbare Fänge
Bissige Jungs 2
Copyrigt Text © Ni Jica 2017
Kontakt: [email protected]
Covergestaltung: Ni Jica
Bildrechte: Andrey Kiselev/ 123rf.com
Korrektur und Lektorat: Iris Biehl-Drucks
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und andere Verwendung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Vervielfältigungen und Veröffentlichungen sind nicht gestattet.
Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden und entspringen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten jeglicher Art wären demnach rein zufällig.
Bei diesem Buch handelt es sich um einen homoerotischen Roman und wendet sich an Leser, die an sexuellen Handlungen zwischen zwei Männern keinen Anstoß nehmen. Die Geschichte sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus.
Und jetzt die letzte Anmerkung: Denkt im wahren Leben bitte immer an Safer Sex!
Mein Körper schmerzte. Überall. Er brannte, als hätte man ihn geradewegs in flüssige Lava getaucht. Der Schmerz raubte mir die Sinne, forderte seinen Tribut und ließ mich immer wieder in die Besinnungslosigkeit abrutschen.
Die folgende Dunkelheit war sowohl ein Segen, als auch ein Fluch, denn sie spielte mir vor, alles sei in bester Ordnung. Doch das war es nicht. Nie. Sie bescherte mir lediglich eine Verschnaufpause, eine kleine Flucht aus der Realität, in der mein Körper regenerieren konnte. Regenerieren für IHN. Ich wusste, er würde meinen Körper gleich wieder verstümmeln, kaum dass sich mein Fleisch erholt hatte. Es war ein endloser Kreislauf aus Folter und Pein.
Kaum erwachte ich, ließ er mich in seine höhnische Fratze blicken und schenkte mir ein fieses Grinsen, welches ich bereits vor langer Zeit zu fürchten gelernt hatte. Ich wusste was nun kam. In einer fast schon liebevoll anmutenden Geste ließ er seine scharfen Krallen an meinem zitternden Leib hinabfahren und bewunderte die nun wieder straffe Haut. Sie sollte es nicht lange bleiben. Schon durchdrangen mich seine Krallen, ließen mein Blut erneut fließen und mich hilflos wimmern.
Ich verachtete die Laute, die ungewollt aus meiner Kehle kamen, doch noch viel mehr hasste ich das Wesen, das mir all das antat.
»Vater, bitte, lass mich endlich gehen«, hörte ich mich selbst flehen, obwohl ich genau wusste, dass es keinen Sinn hatte. Im Gegenteil, es war meine Schwäche, die ihn rasend machte.
»Du bist ein Nichts, ein abstoßendes Monster und ein erbärmlicher Schwächling zudem. Sei froh, dass ich dich Stärke lehre. Als guter Vater schenke ich dir Schmerz. Lerne damit umzugehen und zeige gefälligst Dankbarkeit dafür, dass ich einem Ding wie dir so viel Aufmerksamkeit schenke.«
Seine Worte trieften nur so vor Verachtung, aber das war ich gewohnt. Seit meiner Geburt kannte ich diesen Klang und hatte gelernt damit zu leben. Er hasste mich, weil ich anders war als er, anders als meine vielen Brüder und Schwestern. Ich konnte es ihm nicht mal mehr übelnehmen, denn inzwischen ging es mir nicht anders. Ich war abartig und würde es immer sein.
»Aber eines muss ich dir zugestehen, mein kleiner Kain, keiner windet sich in seinen Schmerzen so faszinierend wie du. Wenn dir das Blut aus all deinen Löchern fließt, dann könnte man dich fast schon als schön bezeichnen. Soll ich dir zeigen was ich meine?«
»Nein!« Mein erbärmlich bittender Schrei hallte von den kahlen Wänden wider, während ich an meinen Ketten riss. Es war ein sinnloses Unterfangen, genauso wie mein Flehen. Ich würde meinem Folterer nie entkommen und konnte auch niemals Gnade von ihm erwarten.
Das Grinsen meines Vaters verstärkte sich, wurde immer mehr zu einer teuflischen Fratze und ließ mich haltlos beben.
»Ich denke schon, dass ich es dir zeigen sollte.« Mit diesen Worten zog er seine Krallen aus meiner Haut und wandte sich einer Wand zu, an der seine liebsten Folterwerkzeuge hingen.
Ich konnte ihm nur voller Angst mit den Augen folgen, während er einen knüppelähnlichen Holzstab in die Hand nahm, der mit vielen winzigen Dornen gespickt war. Eines seiner Lieblingsspielzeuge, das mich schon oft an den Rand des Todes gebracht hatte. Hilflos schluchzte ich bei seinem Anblick und wünschte mir wieder einmal, dass ich diesmal wirklich sterben würde. Dass meine Heilkräfte versagen und mir meinen Frieden schenken würden. Wie sinnlos waren doch diese Wünsche, wie vergebens.
»So, du Schwächling! Welches Loch soll ich dir damit zuerst stopfen? Ach, ich weiß, fangen wir mit deinem unnützen Mund an. Du röchelst so bezaubernd mit blutiger Kehle.«
Mein Vater kam näher, ließ grinsend sein Folterwerkzeug durch die Luft sausen und hielt es mir dann vor dem Mund. »Schön weit aufmachen, ja?«
Ich schüttelte panisch den Kopf und presste die Lippen zusammen, obwohl ich genau wusste, dass es mir nichts bringen würde. Das tat es nie.
Mein Vater ließ den Knüppel niedersausen, zerschmetterte ganz einfach den Widerstand meiner zusammengebissenen Zähne, nur um meinen Schmerzensschrei dann zu nutzen und mir sein Spielzeug tief in die Kehle zu rammen. Körperlich nicht mehr wirklich dazu in der Lage zu schreien, tat ich es innerlich. Ich schrie, schrie und schrie ... doch keiner konnte mich hören ...
Fast schon panisch riss ich meine Augen auf, nur um mich daraufhin sofort zu verfluchen. Ich war eingeschlafen. Schon wieder. Wie sehr ich das doch hasste. Ein Schattenmann schlief nicht, niemals. Nur mein Körper forderte diese Art der Regeneration, ein erneutes Zeichen meiner Andersartigkeit und als wäre das nicht genug, bescherte er mir zudem auch noch die widerlichsten Erinnerungen aus meiner Vergangenheit.
Ein dunkles Knurren drang aus den Tiefen meiner Kehle empor, als ich mir und meinem Körper befahl, die letzten Nachwehen des Alptraums zu bezwingen. Mein Herz klopfte zu schnell, zu laut und viel zu panisch. Schwächling! Bedrohlich hallte dieses eine Wort in meinem Kopf nach, bevor ich es brüllend aus meinen Gedanken verbannte.
So war ich nicht mehr. Ich war nicht mehr der verängstigte und schwache Junge aus meinen Träumen. Das war so lange her. Ich war nun stark, stärker als alle, die mir jemals etwas anderes hatten einreden wollen. Und ich hatte es ihnen auch schon bewiesen ...
Bei diesen Gedanken beruhigte ich mich wieder. Mein Innerstes füllte sich wie gewohnt mit willkommener Leere und ließ mich aufatmen. Alles war gut, alles war, wie es sein sollte. Ich wischte mir den letzten Rest des Schlafs aus den Augen und stand dann auf. Meiner Umgebung schenkte ich kaum einen Blick. Warum sollte ich auch?
In meinem Zimmer, das man mir in der Residenz des Vampirfürsten Vain zugeteilt hatte, befand sich so gut wie nichts. Es gab ein schmales Bett, einen Tisch und einen Stuhl. Das war's und mehr brauchte ich auch nicht. Ich war schon froh darüber, dass man mich auf Bitte meines Bruders Andy hier aufgenommen hatte, denn hier zu leben war allemal besser, als sich unter den Menschen, oder Gott bewahre, im Dämonenreich aufhalten zu müssen. Dort war jeder einzelne Tag ein Kampf ums Überleben gewesen.
Hier konnte ich tun und lassen was ich wollte, solange ich mich nur immer schön brav im Hintergrund hielt. Einen Job hatte mir Vain nicht geben wollen. Ich verstand das, wusste ich doch, dass Andy ihm von meiner Andersartigkeit und meiner Vergangenheit erzählt hatte. Wie anders ich wirklich war, wusste zwar keiner so genau, nicht einmal ich, aber es war mir dennoch klar, dass es etwas Furchtbares sein musste. Es lauerte in mir und ich war dadurch nicht immer ganz stabil, zumindest drückte es Andy so aus und er hatte damit wohl recht.
Es war nicht immer leicht mich anzupassen, denn dazu hätte ich mit den Leuten in meiner Umgebung interagieren müssen und das wollte ich nicht. Ich blieb lieber ein stiller Beobachter. Das war auch besser, denn viele soziale Gepflogenheiten verwirrten mich nur. Ich verstand die Bedeutung vieler Gesten und Worte nicht wirklich und hatte mir bisher auch nie die Mühe gemacht, mehr darüber herauszufinden. Hinzu kamen meine Stimmungsschwankungen. Ich wurde schnell von Gefühlen überfallen, die mir nicht gefielen oder mit denen ich nichts anfangen konnte. Wenn das passierte, wurde ich wütend und die Wut ließ mich gerne mal die Kontrolle über mich verlieren.
Früher, als ich noch im Untergrund unter den Dämonen lebte, war mir das sehr zugutegekommen. Ein in Stücke gerissener Dämon mehr oder weniger fiel schließlich nicht auf, aber hier oben, an der Oberfläche zwischen den herrschenden Vampiren und den schwachen Menschen, sah die Sache schon ganz anders aus. Erstaunlicherweise ging es mir hier aber ganz gut. Wenn man mal von den unerwünschten Träumen absah, hatte ich größtenteils meine Ruhe und das half wirklich enorm die Nerven zu behalten.
Ich war dankbar für Vains Großzügigkeit und vergalt ihm das gerne damit, dass ich mich niemandem zeigte. Wieso hätte ich das auch tun sollen, wenn ich selbst noch nicht mal meinen Anblick ertrug? Die Unsichtbarkeit war mein bester Freund, mein Schutzmantel, den ich niemals wieder abzulegen gedachte.
Sie half mir auch dabei, meiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: Menschen beobachten. Das hieß, eigentlich galt meine wirkliche Aufmerksamkeit nur einem Menschen hier; dem jungen Raphael. Wenn mich nicht gerade ungewollt die Müdigkeit übermannte, dann verbrachte ich so gut wie jede Sekunde in seiner Gegenwart. Natürlich nur im Geheimen, niemals sichtbar, niemals so, dass er meiner gewahr werden könnte.
Ich mochte es ihn anzuschauen. Ich konnte nicht wirklich sagen, ob er ein schöner Mann war, denn mit so etwas kannte ich mich nicht aus, aber es war eindeutig, dass mir das, was ich bisher von ihm gesehen hatte, sehr gefiel. Sein blondes Haar erinnerte mich an die Sonne und manchmal bildete ich mir sogar ein, ihre wärmenden Strahlen in dessen Strähnen zu riechen. Unlogisch, aber dennoch war es so.
Seine tiefbraunen Augen dagegen erinnerten mich immer an den geheimnisvollen Untergrund einer unberührten Waldwiese. Ich hatte schon oft auf einer geschlafen und meine Krallen tief in sie geschlagen, ich wusste daher, wovon ich sprach. Ich nannte ihn deshalb für mich meinen Himmel-und-Erde-Menschen. Er faszinierte mich.
So ging ich auch jetzt, in meine kostbare Unsichtbarkeit gehüllt, zu seinem Zimmer und hoffte, dass sein Anblick mir helfen würde, auch noch den letzten Rest meiner bösen Träume zu vertreiben. Er war der Einzige, der dazu in der Lage war, auch wenn ich nicht wirklich verstand, warum dies so war. Ich hinterfragte es aber auch nicht wirklich, nahm es einfach dankbar hin, schließlich war es ein Geschenk, welches er mir jeden Tag aufs Neue machte.
Heute sollte mir dieses Geschenk allerdings verwehrt bleiben, denn er war nicht da. Die Tür seines Zimmers stand offen, das gesamte Mobiliar darin hatte man in seine Einzelteile zerlegt und seine Kleidung war auch verschwunden. Ich hatte diesen Anblick gar nicht richtig verdaut, suchte noch in meinem Hirn nach Antworten, als jemand von hinten an mich herantrat.
Ich spürte Andys Präsenz, wich in eine Ecke aus und ließ mich dort vollkommen verstört an der Wand hinabrutschen. »Kain? Kain, bist du hier? Ich kann dich spüren, also zeig dich doch mal.«
Andy seufzte laut, als ich ihm keine Antwort gab und mich auch nicht sichtbar machte. Ehrlich gesagt wäre ich im Moment, selbst wenn ich es gewollt hätte, nicht dazu in der Lage gewesen. Ein ungewohnter Druck hatte sich in meiner Brust breitgemacht, als ich mich immer wieder in dem verlassenen Zimmer umsah. Das war alles falsch, so sollte es nicht, nein, so durfte es nicht sein!
»Na gut, dann eben nicht, war einen Versuch wert. Allerdings weiß ich, auch ohne dass ich dich sehe, dass du dir jetzt bestimmt Sorgen um Raphael machst. Du warst oft hier, richtig?«
Ich hob ruckartig meinen Kopf in seine Richtung, während mir ein unbewusster Laut entschlüpfte, der sich fast schon wimmernd anhörte. Verflucht, was war mit mir los? Mein Körper reagierte ganz eigenartig auf das Fehlen meines ... des Menschen Raphael.
Mein Verstand sagte mir, dass es bestimmt eine logische Erklärung dafür gab und dass ich ruhig bleiben sollte, bis mir Andy alles erzählte, aber mein verräterischer Leib zitterte und pumpte viel zu schnell das Blut durch meine Adern. Es fühlte sich furchtbar an, fast schon wie Angst. Allerdings war das ein Gefühl, welches ich mir geschworen hatte nie wieder zu empfinden.
Da mein Laut mich verraten hatte, wandte Andy sich in meine Richtung und ließ sich ungefähr eine Armlänge von mir entfernt auf dem Boden nieder. Er hatte ein Lächeln aufgesetzt, das eigenartig schief wirkte.
»Ach, Kain, du hast heute wirklich einiges verpasst. Die Kacke ist gerade so richtig am Dampfen. Der völlig verblödete Raphael hat einfach gegen die größte Regel verstoßen und Sam angefasst! Stell dir das mal vor und als ob das nicht schon schlimm genug gewesen wäre, knutschte er ihn auch noch dreist ab. Mann, Mann und dann sind die noch so doof und lassen sich dabei erwischen. Der flohverseuchte Kassio kam und dann ...«
Mein Verstand trübte sich und mir wurde quälend heiß unter meiner Haut. Nur noch von ganz weit weg drang Andys Stimme zu mir. Ich versuchte seine Worte zu verstehen und zu verarbeiten, doch das war gar nicht so leicht, wenn man gleichzeitig mit einer Mauer aus Wut zu kämpfen hatte. Oh ja, ich war wütend, sogar rasend vor Zorn und wusste noch nicht einmal warum.
Sam war auch ein Mensch. Er verbrachte viel Zeit mit Raphael, aber die beiden hatten sich noch niemals berührt. Das durften sie gar nicht, schließlich war Sam der Gefährte der Vampirfürsten und Vain und Shion waren sehr - wie hieß noch das Wort? - ach ja, eifersüchtig.
Eifersüchtige Vampire waren sehr gefährlich. Wenn man Pech hatte, mutierten sie in ihre reine Form und rissen dich dann ohne Kraftanstrengung in Stücke. Die Regel, dass niemand ihren Menschen anfassen durfte, machte also durchaus Sinn. Wie kam nun also Raphael dazu, diese Regel zu brechen? Ich verstand das nicht und es gefiel mir auch nicht!
Ich ballte eine Faust und schlug sie hinter mir in die Wand. Meine Knochen knackten, der Beton gab nach und hinterließ ein stattliches Loch. Ein Finger zersplitterte unter der Wucht und ich gab ein zufriedenes Seufzen von mir. Der Schmerz tat gut und befreite sofort meinen Geist. Das hier schaffte Vertrautheit, denn der Schmerz war ein Gefühl, mit dem ich leicht umgehen konnte.
»Scheiße, Kain!« Andy war erschrocken auf seine Füße gesprungen und funkelte nun wütend die lädierte Wand an. »Du weißt, ich hasse es, wenn du dir selbst wehtust. Und auch das arme Zimmer hat schon genug gelitten. Shion hat es doch bereits sinnlos in seiner Eifersucht zerlegt.«
Mein Bruder raufte sich seufzend die Haare und der mir wohlbekannte Ausdruck von Sorge trat in seine schwarzen Augen. Ich hasste diesen Anblick. Ich war kein Kind mehr und ich war auch nicht mehr schwach. Ich brauchte also weder seine Besorgnis oder noch schlimmer, Mitleid von ihm. Deshalb knurrte ich auch warnend, als er immer näher an mich heran trat.
Andy zuckte allerdings nicht mal, streckte nur eine Hand nach vorne und erwischte mich damit an meiner Brust. Sofort erhellte ein kleines Strahlen seine Züge. »Hab dich!«, rief er aus und nur eine Sekunde später hing mir der unmögliche Kerl um meinen Hals.
Wieder einmal verfluchte ich die Tatsache, dass mein Körper selbst in der Unsichtbarkeit seine Form behielt. Warum konnten Schattenmänner nicht zu Luft werden? Das hätte mir jetzt Andys Attacke erspart.
Mein Körper verkrampfte sich schlagartig und alles in mir schrie danach, ihn weit von mir zu schieben. Ich konnte mit solchen Gesten nichts anfangen. Zudem waren mir Berührungen jeglicher Art ein Graus, deshalb hätte ich jeden anderen jetzt auch von mir gestoßen, aber bei Andy konnte ich es nicht.
Steif wie ein Brett zwang ich mich dazu, seine Umarmung zu ertragen, denn mir war wohl bewusst, dass ich ihm einiges schuldete. Ach, was dachte ich da? Es war nicht nur einiges, was ich ihm schuldete. Mein ganzes Leben verdankte ich ihm, denn ohne ihn wäre ich wahrscheinlich noch immer ... noch immer ... Nein! Nicht wieder daran denken. Die Träume reichten, da durfte ich nicht auch noch im wachen Zustand daran denken.
Ich unterdrückte mein Zittern, jegliche aufkommenden Fluchtinstinkte, und wartete geduldig ab, bis Andy seinem Bedürfnis nach Nähe ausreichend nachgekommen war. Heute dauerte es aber sichtlich länger als sonst, denn er drückte mich lieber noch fester in seine Arme anstatt loszulassen. »Kain, ich hab dich lieb, das weißt du doch, oder?«
Ich runzelte die Stirn. Ja, das wusste ich. Er hatte es mir oft gesagt, allerdings war ich mir bis heute nicht sicher, was diese Worte eigentlich ausdrücken sollten. Ich hatte sie vor Andys Erscheinen nie zuvor gehört und traute mich nicht nach ihrer wahren Bedeutung zu fragen. Ich verließ mich einfach auf meinen Instinkt, der mir sagte, dass es etwas Gutes sein musste. Zumindest hieß es, dass er mich nicht verletzen wollte, daher schenkte ich ihm ein zustimmendes Brummen und hoffte, dass es ihm reichen würde.
Erneut seufzend ließ Andy daraufhin von mir ab, behielt allerdings den Körperkontakt mit einer Hand auf meiner Schulter bei. »Um noch mal auf die heutigen Geschehnisse und Raphael zurückzukommen, ich weiß zwar nicht, warum du dich so oft in der Nähe von diesem verzogenen Balg aufgehalten hast, aber ich kann dich beruhigen. Dem Kleinen geht's gut. Kassio hat ihn bereits vor der Abenddämmerung wegschaffen lassen. Er sollte ja eh zurück zu seinem Gefährten und von daher macht es wohl nichts aus, wenn es nun ein paar Tage früher geschehen ist.«
Ein tiefes Grollen sammelte sich erneut in meiner Kehle, aber diesmal hielt ich es zurück. Da war ein eigenartiges Ziehen in meiner Brust, das mich arg verwirrte. Es tat auf unbekannte Art weh und dabei dachte ich immer, ich hätte schon jede Form von Schmerz erfahren. Ich wollte dieses Gefühl nur zu gerne ergründen, aber es machte mich auch unsicher und Unsicherheit war etwas für Schwächlinge, daher gestattete ich es mir nicht und schob es lieber in den tiefsten Untergrund meiner Seele. Irgendwann würde es dort vergehen, würde sich wie jedes andere Gefühl in Leere verwandeln und dann würde wieder alles wie immer sein.
Törichte Gedanken, an deren Wahrheit ich fest glaubte, bis mir die Zeit, das Schicksal und ganz besondere Personen zeigten, dass die sogenannte Wahrheit manchmal nichts anderes, als eine gewaltige Lüge war.
- Kain -
Ich war ruhelos. Ständig gereizt und in meinem Inneren irgendwie gehetzt, hielt ich mich eher schlecht als recht in jeder möglichen Sekunde an der Seite des Klasse eins Menschen Sam auf, denn das war nun mein Job.
Schöne Scheiße.
Ich war zu seinem Beschützer ernannt worden, da Andy den Posten des Sicherheitschefs Kassio eingenommen hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, ganz einfach, weil es mich nicht interessierte. Nichts interessierte mich mehr etwas, hatte ich doch noch immer genug mit meinen merkwürdigen Gefühlen zu kämpfen, die mich seit Raphaels Verschwinden quälten. Der seltsame Druck in meiner Brust ließ einfach nicht nach und wurde im Gegenteil sogar immer ... drängender. Das machte mich fast wahnsinnig und half nicht gerade dabei, dass ich meinen neuen Job anständig ausführen konnte, aber das musste ich, schließlich war ich es meinem Bruder und den Vampirfürsten schuldig.
Sie hatten mir, einem Monster, so etwas wie ein Zuhause gegeben, hatten mich akzeptiert, ohne jemals mein wahres Wesen gesehen zu haben und das musste ich ihnen einfach mit allem, was ich hatte vergelten. Daher traf mich die mangelnde Konzentration, mit der ich meiner Aufgabe manchmal nachging, selbst ziemlich schwer.
Ich wollte ein guter Beschützer für Shion und Vains Gefährte sein. Ich wollte es wirklich, hatte Andy auch hoch und heilig versprochen, dass ich den Jungen mit meinem Leben beschützen würde, doch ... es war so anstrengend mich an diesen Schwur zu halten, denn es bedeutete, dass ich immer in Sams Nähe sein musste und ich einfach keine Ruhe fand.
Ständig erinnerte mich dieser Mensch an Raphael und das war nicht gut, wenn man jemanden dringend vergessen wollte. Und das musste ich, nichts war mir klarer als das, denn in der letzten Zeit hatten mich ziemlich düstere Gedanken befallen. Manchmal dachte ich darüber nach, meinen Himmel-und-Erde-Menschen einfach aufzuspüren und wieder zurückzuholen, damit ich ihn wieder ansehen und er mein Innerstes beruhigen konnte. Nur dem letzten Rest an Verstand in mir hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht einfach davonstürmte, um genau das zu tun.
Wohin hätte ich ihn denn auch bringen sollen? Hierhin? Wohl kaum, wenn man an den Grund dachte, aus dem er fluchtartig von hier verschwinden musste. Er gehörte auch gar nicht mir, hatte einen Gefährten und dieser würde es mit Sicherheit auch nicht gerne sehen, wenn ich seinen Menschen nur wegen meines Seelenheils entführen würde. Das waren nur ganz wenige der vielen vernünftigen Argumente, mit denen ich es am Ende schaffte mich zu beherrschen.
Ich war trotzdem ein Dummkopf, weil ich überhaupt solche Gedanken hegte. Ein ziemlich verwirrter, gestörter und sehr launischer Dummkopf, der zudem noch abartig war. Ich verachtete mich selbst dafür und wenigstens das war kein neuartiges Gefühl. Damit konnte ich umgehen.
Womit ich hingegen gar nicht zurechtkam, war das ständige Gerenne von Sam. Der Junge lief jede Nacht einen Marathon, seitdem er sich mit seinen Gefährten zerstritten hatte. Nun gut, zerstritten war nicht das richtige Wort. Die Vampire ignorierten den Kleinen einfach, seitdem er und Raphael sich geküsst hatten. Das tat mir auch manchmal leid für ihn, vor allem dann, wenn er eines seiner traurigen Gesichter aufsetzte, aber trotzdem ...
Stundenlang ging es durch den großzügig angelegten Park des Anwesens. Er lief hin und her und ich immer hinterher. Das zermürbte mich zusätzlich, denn es war langweilig, unsinnig und kräfteraubend. Es machte mich müde und genau das war das schlimmste daran. Ich wollte nicht müde werden, wollte nicht schlafen und danach jedes Mal mit meinen Erinnerungen kämpfen müssen.
So ging das Tag, für Tag, für Tag, in denen mich meine Ruhelosigkeit immer mehr an Stärke kostete. Es fühlte sich an, als würde ich langsam zerbrechen. Ein bedrohliches Gefühl, das mich immer mehr zu einer Gefahr für mich und andere werden ließ, denn es machte mich auch wütend und die Wut steigerte sich rasend schnell.
Es wurde so schlimm, dass ich dazu übergehen musste, mir selbst ein paar Knochen zu brechen, nur damit der darauffolgende Schmerz den unterschwelligen Zorn überlagerte und sich so mein Verstand wieder etwas klären konnte. Das war nichts, was auf Dauer funktionieren würde, dessen war ich mir bewusst, aber ich wollte wenigstens so lange durchhalten, bis Sam und seine Vampirgefährten endlich mit ihrer Schmierenkomödie aufhörten. War der Junge erst mal an seinem vorgesehenen Platz, an der Seite seiner Männer, dann würde ich Andy um die Entbindung von meinem Schwur bitten können und dann ... dann würde ich weitersehen.
Heute, mehr als drei Monate nachdem ich die ehrenvolle Aufgabe erhalten hatte Sam zu bewachen, war es fast soweit. Es war ein besonderer Tag in vielerlei Hinsicht.
Direkt nach der Abenddämmerung hatten die Vampirfürsten Besuch bekommen. An sich würde mich das nicht wirklich kümmern, allerdings hatte meine empfindliche Nase eine ganz besondere Witterung aufgenommen. Der Duft nach wärmenden Sonnenstrahlen hatte mich sofort betört, mein Innerstes auf eigenartige Weise vibrieren lassen und mir die Ruhelosigkeit der letzten Wochen mit einem Schlag genommen und sie gegen ... etwas anderes ausgetauscht. Ich wusste nicht genau, was es war, aber es fühlte sich weitaus angenehmer an. Er war wieder da! Mein Himmel-und-Erde-Mensch war zurückgekehrt!
Ich wollte am liebsten sofort zu ihm und seinen Anblick wie früher in mich aufsaugen, doch dazu hätte ich Sam alleine lassen müssen und das widerstrebte mir nun mal auch, solange ich noch nicht offiziell aus meinem Dienst entlassen war. Ich hatte vorgehabt, Andy gleich heute darum zu bitten, schließlich hatte der Junge endlich zu seinen Gefährten gefunden. Na ja, das hieß, zumindest so halb.
Es lag eine seltsame Spannung zwischen allen dreien und Sam schien auch nicht besonders glücklich zu sein, obwohl sie gestern Nacht ziemlich verwirrende Sachen in der Gartenlaube angestellt hatten. Zumindest für mich war das Ganze sehr verwirrend gewesen. Ich hatte kaum hinschauen können bei dem, was die Gefährten miteinander getrieben hatten. Sehr schnell hatte Sam plötzlich nackt dagestanden und ich hatte mich schleunigst vom Acker gemacht.
Natürlich wusste ich, was das ganze Gestöhne, Gereibe und Geküsse zu bedeuten hatte, ich war schließlich nicht ganz weltfremd. Seitdem ich hier lebte, hatte ich so ein Verhalten oft beobachten können. Sex nannte man es, aber das war nichts für mich. Die, die es taten verloren augenscheinlich für einen kurzen Moment ihren Verstand und fielen sinnlos übereinander her. Sie nahmen ihre Umgebung nicht mehr wahr und machten sich damit angreifbar und verletzbar. Sie riskierten es, für ein paar Augenblicke schwach zu sein. Für was?
Das war einfach dämlich und ... gefährlich. Da den Vampiren das egal zu sein schien, blieb ich in unmittelbarer Nähe, bis sie alle drei endlich ins Anwesen gingen. Dort war es sicher und ich konnte beruhigt aufatmen.
Nun gut, jedenfalls lag trotz der nächtlichen Aktivitäten noch einiges sichtbar im Argen. Da konnte ich allerdings nichts machen und so sah ich den Ablauf meiner Dienstzeit in greifbare Nähe gerückt. Sobald die Vampirfürsten heute ihren Gefährten unter ihre Fittiche nehmen würden, würde ich kündigen und dann heimlich zu dem zurückgekehrten Raphael schleichen und mir ein wenig Frieden gönnen. Vielleicht würde ich dann sogar mal wieder ohne einen Alptraum schlafen können?
Die Aussicht darauf beflügelte mich. Man konnte fast schon sagen, ich bekam gute Laune und es legte sich sogar ein ungewohntes Zucken um meine Mundwinkel. Scheiße, fing ich etwa an zu lächeln? Ich wunderte mich so sehr über mich selbst, dass ich fast Sam übersah, der sich in diesem Augenblick frisch geduscht aus den Gemächern schlich.
Sofort zwang ich mich zur Konzentration. Nur noch ein wenig länger, nur noch ein paar Stunden weiter den Wachhund spielen und ich wäre frei. Das sollte zu schaffen sein. Hätte ich allerdings gewusst, dass die nächsten Stunden so turbulent und chaotisch werden würden, dann hätte ich mit Sicherheit schon eher um eine Befreiung von meiner Pflicht gebeten.
Alles fing damit an, dass Sam eine harmlose Trainingsstunde im Fechten mit Shion absolvierte. Danach unterhielten sich die beiden ganz ungezwungen miteinander und dann ... tja, dann wurde es ungemütlich. Ich hatte nicht aufgepasst und meinen eigenen Gedanken und meiner Vorfreude auf Raphael nachgehangen, bis mich ein panischer Schrei von Sam wachrüttelte.
Gerade als ich erschrocken aufsah, kam Andy in die Trainingshalle gestürmt und starrte genauso fassungslos wie ich auf Shion, der völlig in seine Vampirform transmutiert über den am Boden liegenden Sam aufragte. Der Vampir bot einen ehrfürchtigen Anblick, das musste ich gestehen, aber ich hatte nicht wirklich lange Zeit ihn für seine augenscheinliche Stärke zu bewundern, denn Andy war impulsiv genug, etwas sehr Dummes tun zu wollen. Und er tat es. Mein Bruder stürzte sich kopflos auf Shion und ich mich rein aus Reflex auf ihn. Ich erwischte ihn gerade noch rechtzeitig und konnte ihn zurückziehen, bevor der Vampir ihm mit seinen Klauen ernsthaften Schaden zufügen konnte.
Das war knapp gewesen und meine Wut auf seine Dummheit so groß, dass ich ihn grob in eine weit entfernte Ecke der Halle stieß. Wie konnte er es nur wagen, sich einer solchen Gefahr auszusetzen? Wollte er sterben? Jeder wusste doch, dass man gegen einen transmutierten Vampir so gut wie keine Chance hatte.
Mein Herz schlug rasend schnell in meiner Brust. War das etwa Angst, die das ausgelöst hatte? Der Gedanke machte mich noch zorniger. Mein Blick trübte sich und ich musste mir schnell das Handgelenk brechen, damit mich der Schmerz ablenkte und ich somit die Kontrolle über mich behalten konnte.
Als ich wieder klar sehen konnte, war Shion mit seinem Menschen verschwunden und Andy rannte aufgebracht aus dem Raum. Ich verfolgte ihn ebenfalls, bis ich mir sicher sein konnte, dass sich Andy nicht wieder in Gefahr begeben konnte, da Shion und Sam in einem unterirdischen Kellerverlies verschwanden, das nur die Fürsten selbst betreten konnten.
Andy verfluchte mich für mein Eingreifen, oder besser gesagt, für mein Nichteingreifen und rannte dann zornig zu Vain, um diesem Bericht zu erstatten oder Hilfe zu holen oder keine Ahnung.
Ich war mal wieder zutiefst verwirrt. In mir wirbelten viele ungewollte Gefühle herum. Ganz stark darunter vertreten waren auch Schuldgefühle. Ich hatte es vermasselt, hatte nicht rechtzeitig reagiert und deshalb war Sam jetzt mit Shion eingeschlossen.
Bei diesen Gedanken befiel mich auch wieder das Gefühl, das ich eben bereits bei Andy verspürt hatte. Geknickt musste ich mir eingestehen, dass dies wohl Sorge war. Grenzenloser Selbsthass überrannte mich, denn Sorge war immer begleitet von Angst und Angst machte schwach. Ich hatte den ehemaligen Schwächling in mir also doch nie ganz ausradieren können. Erbärmlich!
Mein gebrochenes Handgelenk war inzwischen wieder geheilt. Ich brach es mir gleich noch mal und da es mir zu wenig erschien, auch noch einen Fuß, den ich so lange gegen die harte Kellerwand trat, bis die Knochen zersplitterten. Keuchend ging ich in die Knie und ließ mich von den Schmerzen berauschen, bis ich nichts anderes mehr wahrnehmen konnte und er mir somit für einen kurzen Moment Vergessenheit schenkte.
Wie immer war auch dieser Augenblick viel zu schnell vorbeigegangen. Ich rappelte mich auf meine Füße, versuchte nicht zu denken und vor allem nicht weiter zu fühlen. Um einen Fuß vor den anderen zu setzen brauchte man diese Dinge nicht. Ich lief erst ziellos umher, beachtete nichts und niemanden. Alle waren für mich unsichtbar, genau wie ich für sie. So wie immer, so wie es sein sollte. Es war besser für mich, besser für alle. Ich sollte ganz verschwinden und nie wieder auftauchen.
Warum ich plötzlich trotzdem vor einer Tür stand, aus der der Geruch von Sonne herausdrang, wusste ich nicht zu sagen. Hatte ich es verdient diesen Duft zu inhalieren? Nach meinem Versagen wohl eher nicht. Mich wieder fortzubewegen funktionierte allerdings auch nicht. Meine Beine wollten nicht gehorchen, schienen wie mit Blei gefüllt. Daher lehnte ich meine Stirn an das kühle Holz und verharrte dort. Ich lauschte auf die leisen Atemgeräusche und den festen Herzschlag auf der anderen Seite der Tür, ließ mich von dem Sonnenduft einhüllen und schloss ergeben die Augen. Ich schaffte es die ganze Nacht nicht, mich ein einziges weiteres Mal zu rühren.
- Phil -
Lautlos, mit der Dunkelheit der Nacht zu einer Einheit verschmolzen, schlich ich mich durch das Anwesen des Vampirfürsten Vain. Es war lange her, seitdem ich das letzte Mal hiergewesen war. Sehr lange. Unter anderen Umständen hätte ich mich nicht wie ein Dieb hier eingeschlichen, doch leider zwangen mich gewisse Umstände dazu, gegen die Regeln der Höflichkeit zu verstoßen. Das war mir nicht wirklich recht, war mir doch Anstand und Respekt immer sehr wichtig gewesen, aber was sollte ich tun?
Ich schüttelte mich innerlich und konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe: unerkannt meinem Ziel näher zu kommen. Das war einfacher als gedacht, denn dafür, dass es Nacht war, war es erstaunlich ruhig in dem Gebäude. Eigentlich müsste zu dieser Zeit hektisches Treiben herrschen, aber hier lag eine geradezu gespenstische Stille in den Gängen. Die Menschen, deren Anspannung ich riechen konnte, hielten sich in ihren Zimmern auf und auch von den Vampiren, die hier lebten, gab es weit und breit keine Spur.
Das war merkwürdig, aber ich hoffte, dass es daran lag, dass mir die Göttin Fortuna ausnahmsweise einmal wohl gesonnen war. Ein wenig Glück von ihr konnte ich nämlich gerade gut gebrauchen. Ich war gekommen, um etwas zu tun, womit ich mich nicht wirklich auskannte. Ich war gekommen, um zu stehlen.
Mir war etwas sehr Wichtiges abhandengekommen und ich gedachte es mir zurückzuholen. Heute Nacht sollte es nach vielen Monaten endlich soweit sein. Ich hatte lange auf eine so günstige Gelegenheit gewartet und jetzt war sie da. Mein Gefährte war hier, auf Vampirterritorium und würde mir jetzt auf keinen Fall mehr entkommen. Na ja, so hoffte ich wenigstens.
Er war ganz nah. Ich spürte seine Präsenz so stark in mir widerhallen, als wären wir längst miteinander verbunden. Doch das waren wir nicht. Er hatte mir keine Chance dazu gegeben und nun zwang er mich deshalb, zu solchen Mitteln zu greifen.
Oh Raphael, warum machst du es mir auch so schwer?
Ich seufzte innerlich laut und überprüfte dann, ob mein Geruch und meine Gestalt wirklich zu hundert Prozent mit einem Zauber überdeckt waren. Nun stellte sich heraus, dass es ein Segen war, dass ich mir in den vielen Jahren meiner Existenz einiges an Wissen in der Magie aneignen konnte. Ich hatte es nie wirklich gebraucht, die vielen alten Schriften nur aus Langeweile studiert und nun war ich froh darum.
Ich schlich leise weiter durch die vielen Gänge des Hauses. Vain lebte wirklich im Luxus. Ich gönnte es ihm ja, aber heute verfluchte ich es, denn das riesige Gebäude zerrte an meinen Nerven. Umso näher ich der Witterung meines Gefährten kam, desto unruhiger wurde ich. Ein ungewohnter Zustand für mich, denn ich war, völlig untypisch für einen Vampir, in der Regel immer beherrscht und auf Kontrolle bedacht.
Das hatte sich erst vor drei Monaten geändert, als ich voller Vorfreude auf meinen lang ersehnten Gefährten gewartet hatte und dieser mir dann den schlimmsten Schlag meines Lebens versetzt hatte. Über tausend Jahre lang war mir kein Gefährte vergönnt gewesen, dann sandten mir die Schicksalsgöttinnen endlich einen und dieser ... dieser ließ mich eiskalt abblitzen.
Einen behaarten kleinen Molch hatte mich der verzogene Mensch genannt und hatte dann auch noch die Frechheit besessen, einfach am nächsten Tag vor mir davonzurennen. Ich war am Boden zerstört gewesen, aber damit nicht genug, hatte er sich auch noch den freien Menschen angeschlossen und mir eine offizielle Mitteilung zukommen lassen, dass er mich ablehnte und niemals mehr etwas mit mir zu tun haben wollte.
Das war sein gutes Recht, denn obwohl die Übersinnlichen und allen voran die Vampire über diese Welt regierten, so hatten wir es den Menschen vor kurzem doch zugestanden, dass sie frei wählen durften, ob sie nun für sich oder unter den Vampiren leben wollten. Ich selbst hatte einen Sitz im Hohen Rat inne und hatte für dieses Abkommen gestimmt. Obwohl ich immer noch felsenfest davon überzeugt war, dass dieses Abkommen genau das war, was diese Welt brauchte, damit alle im Einklang miteinander leben konnten, so konnte ich es doch nicht akzeptieren, dass gerade mein Gefährte, mein Raphael davon Gebrauch machte. Das war so niederschmetternd.
Ich hatte lange Zeit überlegt, was ich nun tun sollte. Nach tausend Jahren Einsamkeit war es für mich nicht vorstellbar, dass ich nun einfach so kampflos aufgeben sollte. Ich wollte ihn für mich gewinnen, aber wie tat ich das, wenn er und die freien Menschen in seinem Rücken mir nicht die Chance dazu gaben? Ich hatte oft versucht, in sein Lager zu kommen und mit ihm zu sprechen, doch schon an der Grenze davon war ich gescheitert, da man mich gnadenlos abwimmelte.
Falcon, dieser blöde Vogelwandler, hatte sich als Beschützer der Menschen auserkoren und zudem noch dafür gesorgt, dass alle Lager mit mächtigen Schutzzaubern versehen wurden. An denen kam selbst ich nicht vorbei, wenn ich nicht offiziell dazu eingeladen wurde. Das war schlecht und so blieb mir jetzt also gar nichts anderes mehr übrig, als mir meinen eigenen Gefährten zu klauen.
Ich brach damit sämtliche Regeln des Hohen Rates und somit auch meine eigenen. Das konnte mich mehr als in nur einer Hinsicht den Kopf kosten, aber mal ehrlich, was brachte mir ein langes Leben, wenn ich dafür ewig gezwungen war, es in völliger Einsamkeit zu verbringen? Ich war es leid und dieses Lebens müde geworden. Ich wollte endlich mehr ... oder es ganz aufgeben. Ich hatte also nichts zu verlieren.
Ich erdachte mir also einen Plan, meinen Gefährten zu entführen. Oh Mann, schon das laut zu denken bescherte mir selbst eine Gänsehaut. Na, hoffentlich behielt ich jetzt die Nerven, das auch wirklich durchzuziehen. Ein wenig zittrig war ich deswegen ja schon. Na klar, ich war ja auch sonst kein Krimineller. Aber egal, jetzt mal weiter im Text, wie ich hier nun gelandet war.
Ich stellte jemanden zur Beobachtung des Lagers ein und als dieser mir dann berichtete, dass Raphael, Falcon und ein weiterer, aber leider unbekannter Mensch auf dem Weg zu Vain waren, sah ich meine Chance gekommen und tja, nun war ich hier und spielte Mission Impossible nach. Ähm, ich meinte natürlich Mission Possible, man soll ja immer positiv denken.
Es war alles vorbereitet. Ich hatte ein sicheres und vor allem unauffindbares Versteck für uns organisiert, welches mit den mächtigsten und genialsten Schutzzaubern versehen war. Es war bombensicher. Selbst wenn der Hohe Rat oder andere mir auf die Schliche kommen würden, die kämen da nicht rein und ich hätte somit genug Zeit, um meinen Gefährten von mir zu überzeugen. So viel also zur Theorie, dann mal auf zur Praxis.
Prickelndes Adrenalin rauschte mir durch die Blutbahn, als ich endlich in den Gang gelangte, in dem sich eindeutig Raphaels Zimmer befand. Ich machte es sofort mit meinen Sinnen aus, lief schneller und konnte mich nur mit Mühe zur Ruhe ermahnen. In dieser Situation meinen kühlen Kopf zu verlieren, könnte fatal enden. Ich musste meinen sorgsam ausgeklügelten Plan nun Schritt für Schritt und wohl bedacht ausführen.
Tja, leider wurde mir gleich darauf aber ziemlich schnell klar, dass auch ein noch so sorgfältig erdachter Plan in die Hose gehen konnte, wenn plötzlich unvorhergesehene Komplikationen auftraten. Einer dieser Komplikationen sah ich mich nun gegenüber. Es war die Präsenz einer unsichtbaren Person, die mir einfach mal so den Zugang zu meinem Gefährten versperrte. Ein Schattenmann, der zur Bewachung abgestellt wurde?
Ich blieb in sicherer Entfernung stehen und versuchte die Lage und vor allem die Präsenz vor mir zu analysieren. All meine Sinne schärften sich und konzentrierten sich nur auf diese Person. Sein Geruch identifizierte ihn eindeutig als männlich, als Schattenmann und ... noch etwas anderes. Scheiße, wie war das möglich? Konnte es wirklich sein, was mir meine Nase da einzureden versuchte? Das wäre ja ... unglaublich! Er wäre unglaublich!
Ich musste mich setzen und ließ mich deshalb geräuschlos auf den Boden sinken, während ich wie ein Verrückter immer wieder seinen Duft inhalierte und versuchte das Ganze zu verstehen. Das war nicht leicht, in meinem Gehirn brannten zwar die Lichter, aber irgendwas musste einen Kurzschluss ausgelöst haben, denn mein Verstand lief allerhöchstens nur noch im Energiesparmodus.
Trotzdem konnte ich mich vor dem was ich roch nicht verschließen und es erschütterte mich. Wie konnte ein solches Halbwesen wie er eines war existieren? Wusste Vain davon? Wenn ja, warum hatte er es verheimlicht? Wie hatte das Wesen es verheimlichen können? Gott verdammt, es musste doch jemand gerochen haben!
Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Fragen wirbelten in meinem Kopf umher und doch waren nicht sie es, die mich in Wahrheit so erschütterten. Es war die Aura des Unsichtbaren, die scheinbar ungefiltert bis in mein Innerstes drang und mir Einblicke in die Seele des Mannes boten.
Es war nicht ungewöhnlich für mich, denn ich war schon immer sehr empathisch gewesen. Ich hatte dies immer als einen Vorteil gesehen. Ich war dadurch immer in der Lage meine wahren Freunde und meine Feinde zu erkennen. Im Augenblick verfluchte ich diese Gabe allerdings. Der Mann hatte viel durchgemacht und litt noch heute darunter. Seine Selbstverachtung, der viele Hass und auch die unterschwellige Wut in ihm erschlugen mich fast. Er war zerrissen und genau in diesem Augenblick war ich es auch.
Nur schwer kam ich wieder auf die Füße, wagte mich einige Schritte näher und ließ mich an der Wand ihm gegenüber erneut nieder. Er bemerkte mich nicht einmal, war wie ein Gefangener seiner Selbst und fügte sich mit seinen Gedanken und Erinnerungen Schaden zu. So verloren ... so allein ...
Ich konnte meinen Blick nicht von ihm nehmen, obwohl ich durch seinen dicken Schutzpanzer der Unsichtbarkeit nicht hindurchdringen konnte. Das war auch nicht schlimm. Ich konnte ihn auch so sehen, nicht mit den Augen, sondern mit etwas viel Wichtigerem. Mit all meinem Sein sah ich ihn an und erkannte ihn.
Es sollte viele Stunden dauern bis ich wieder dazu in der Lage war mich zu bewegen und abzuwenden. Das musste ich, denn der Sonnenaufgang kam näher. Das zerbrochene Wesen hatte sich in dieser Zeit genauso wenig gerührt wie ich. Er hatte sich nur selbst gequält und an der Präsenz des jungen Raphael festgehalten, als könne er ihm etwas Frieden schenken. Es war nur ein trügerischer Schein, eine kleine Hoffnung seiner Seele, die er nicht einmal bewusst wahrnahm, aber es hatte ihm durch diese Nacht geholfen und ihn am Leben gehalten.
Es fiel mir alles andere als leicht jetzt zu gehen, aber wenn ich gleich hier an Ort und Stelle in den für Vampire natürlichen Tiefschlaf während der Tageszeit fiel, dann würde das sicherlich unangenehme Fragen für mich nach sich ziehen. Ich beeilte mich also, rannte mit überschneller Geschwindigkeit aus dem Gebäude und verschanzte mich in einem alten Gartenhäuschen. Das war nicht ganz stilecht für einen tausendjährigen Vampir, aber besser als gar nichts. Wenigstens sah es nicht so aus, als würde sich hier oft jemand aufhalten und das war doch das Einzige, was zählte.
Hinter staubigem Gerümpel legte ich mich nieder und schloss die Augen, während mein Gehirn auf Hochtouren weiterarbeitete. Mein eigentlicher Plan war durch meine heutige Entdeckung hinfällig geworden. Er war so nicht mehr ausführbar, oder besser gesagt, er musste um einiges erweitert werden. In groben Zügen hatte ich mir da schon etwas überlegt, allerdings konnte dabei auch so einiges schiefgehen und das durfte ich mir nicht erlauben.