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Neue Essays Alfred Brendels – zu Musik, Literatur und über das Altern. Alfred Brendel ist nicht nur einer der besten Pianisten unserer Zeit, sondern auch einer der anregendsten Essayisten, der sich nicht nur mit »Naivität und Ironie«, sondern auch mit großer Kenntnis und Empathie mit der Musik auseinandergesetzt hat. Wenn Goethe behauptet: »Wer Musik nicht liebt, verdient nicht, ein Mensch genannt zu werden; wer sie liebt, ist ein halber, wer sie aber treibt, ein ganzer Mensch«, dann spricht in diesen neuen Arbeiten der »ganze Mensch« Alfred Brendel. Ob er über Goethes »musikalische Bedürfnisse« oder über »Goethe und Beethoven, über Mozart oder den oft vernachlässigten Haydn schreibt, immer öffnet er uns die Augen für die besonderen Aspekte ihrer Musik. Über Haydn: »Neben der verwirrenden Vielfalt seines Schaffens ist es die weit verbreitete Humorlosigkeit, die ich als einen Hauptgrund dafür sehe, dass Haydn immer noch gerne unterschätzt wird.« Neben den großen Essays stehen drei Gespräche, die nicht nur über sein Verhältnis zur Musik und zum Musikbetrieb, sondern auch zur Literatur, die er zeitlebens geliebt, und zum Alter, das nun auch diesen Menschen erreicht hat, Auskunft geben. Anlässlich eines Gesprächs über Busoni hat er ein kleines Selbstporträt gezeichnet: »Was mich an ihm sofort fesselte, war die Vielfalt seiner Persönlichkeit: Pianist, Komponist und Pädagoge, Schriftsteller und Büchernarr, Herausgeber und Bearbeiter, Liebhaber der bildenden Künste und der Architektur sowie des Theaters … das alles in einer Person. Kennen Sie einen anderen Musiker mit einem so weiten Horizont?«
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2025
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EDITION PETRARCA
Herausgegeben von Hubert Burda, Peter Hamm (†),
Peter Handke, Alfred Kolleritsch (†)
und Michael Krüger
Alfred Brendel
Naivität und Ironie
Essays und Gespräche
Herausgegeben von Martin Meyerund Michael Krüger
Wallstein Verlag
Naivität und Ironie. Goethes musikalische Bedürfnisse
Haydn: Ordnung und Widerspruch
Überlegungen zu Mozart
Beethoven spielen, eine Randbemerkung
Goethe und Beethoven
Gespräch über Busoni mit Peter Paul Kainrath
Gespräch über den Roman mit Paul Holdengräber
Gespräch über das Altern mit Michael Krüger und Martin Meyer
Nachwort
Nach einer Aufführung von Haydns »Schöpfung« in Weimar schrieb Carl Friedrich Zelter unter Goethes Augen einen Aufsatz, in dem er Haydn die Merkmale des wahren Genies bescheinigt, nämlich Naivität und Ironie. Ich werde später auf diese Behauptung zurückkommen. Die Frage, ob Goethe selbst musikalisch war und wie viel Musik er brauchte, ist oft gestellt worden. Der Anteil der Musik an Goethes Leben wird gewöhnlich unterschätzt.
Betrachten wir zunächst, was Goethe selbst über Musik gesagt und geschrieben hat. Ich zitiere:
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»Wer Musik nicht liebt, verdient nicht, ein Mensch genannt zu werden; wer sie liebt, ist ein halber, wer sie aber treibt, ein ganzer Mensch.«
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»Wäre die Sprache nicht unstreitig das Höchste, das wir haben, so würde ich Musik noch höher als Sprache und ganz zuoberst setzen.«
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»Musik steht so hoch, daß kein Verstand ihr beikommen kann, und es geht von ihr eine Wirkung aus, die alles beherrscht und von der niemand imstande ist, sich Rechenschaft zu geben.« So steht es im Eckermann. Mit anderen Worten: Goethe spricht der Musik dämonische Qualitäten zu.
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Über Bach schreibt Goethe an Zelter: »… als wenn die ewige Harmonie sich mit sich selbst unterhielte, wie sich’s etwa in Gottes Busen, kurz vor der Weltschöpfung, möchte zugetragen haben – so bewegte sich’s auch in meinem Innern, und es war mir, als wenn ich weder Ohren, am wenigsten Augen und weiter keine übrigen Sinne besäße noch brauchte.«
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In seinen Maximen und Reflexionen lesen wir: »Die Musik ist heilig und profan. Das Heilige ist ihrer Würde ganz gemäß, und hier hat sie die größte Wirkung aufs Leben, welche durch alle Zeiten und Epochen gleich bleibt. Die profane sollte durchaus heiter sein.«
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Die Musik war für Goethe der Ort, »woher alle Dichtungen entspringen und wohin sie zurückkehren.«
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Im Werther heißt es: »Wie mich der einfache Gesang angreift!«
Und hier noch ein paar Gedichtzeilen:
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Nur nicht lesen, immer singen. (An »Lida«)
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Fühlst Du nicht an meinen Liedern, daß ich eins und doppelt bin?
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Drum danket Gott, ihr Söhne der Zeit, daß er die Pole für ewig entzweit. (Gott, Gemüt, und Welt)
Wir sind hier in das Gebiet der Ironie geraten. Mit den Widersprüchen in Goethes Natur will ich mich später beschäftigen.
Trotz seiner enzyklopädischen Interessen, seiner riesigen Arbeitsleistung als Autor, seiner intensiven Beschäftigung mit den Naturwissenschaften, seiner Belesenheit im Griechischen und Lateinischen, seiner Kenntnis englischer, französischer und italienischer Schriftsteller, seiner Verantwortung für die Universität von Jena und seinen Staatspflichten ist Goethes Verbindung mit der Musik kaum jemals unterbrochen worden. Seine Beschwörung, man solle nie lesen, immer singen, ist fast wörtlich zu nehmen. Schon ein frühes Gedicht, das er kaum 17-jährig in englischer Sprache schrieb, enthält die Zeilen: I hum no supportable tune / I can no poet be. (Ich summe keine geeignete Melodie, also kann ich kein Dichter sein.) Viele seiner Gedichte waren schon in der Vorstellung mit Musik verbunden. Gedichte mussten so schnell wie möglich komponiert werden, manche waren schon von vornherein auf bereits existierende Melodien zugeschnitten. Einige von Goethes oder Schillers Gedichten wurden gleich mit beigefügten Musiknoten publiziert. Die wunderbaren Gedichte, die in Goethes »Wilhelm Meister« mysteriös auftauchen, erschienen im Erstdruck des Romans schon in Reichardts Vertonung. Goethe nannte zahlreiche seiner Gedichte »Lieder« – in allen seinen Ausgaben der gesammelten Werke standen sie am Anfang. Nach Goethes Wunsch mussten die Kompositionen einfach bleiben, durften den Text nicht stören und mussten die Anfangsmelodie, ob es nun drei Strophen waren oder zehn, beibehalten, ein Schema, das vom Volkslied herrührte. Das hört sich heutzutage mühsam an und konnte schon damals nur den Vorteil haben, dass die Melodie sich dem Gedächtnis einprägte. Ferdinand Hiller nannte es eine »idealisierte Bänkelsänger-Manier«. Abwechslung schaffen musste der deutlich deklamierende Sänger. Nicht der Komponist sollte charakterisieren, sondern der Interpret. Dieses Schema entsprach den Grundsätzen der Ersten und Zweiten Berliner Liederschule, denen Reichardt bzw. Zelter als ihre bemerkenswertesten Mitglieder angehörten. Die hier geforderte Einfachheit war die Reaktion auf barocke Kompliziertheit und auf die Virtuosität italienischer Koloraturarien. Das Ziel war, mit Hilfe weniger Noten den Hörer unprätentiös ans Herz zu greifen.
Goethe liebte es, seinen Komponistenfreunden zu sagen, wie sie komponieren sollten, und zwar nicht nur seine Gedichte, sondern auch seine Opernlibretti. Mit der Oper hat Goethe sich nämlich die längste Zeit seines Lebens abgegeben. Aber es mussten leichte Opern sein, wie sie damals die Opera comique, Opera buffa und das Singspiel vor Augen führten. Goethe schätzte die Opera seria gar nicht und zog die Vergnügtheit Cimarosas bei weitem vor. Der Sänger Eduard Genast hat verzeichnet, dass Goethe mit seiner Bassstimme komische Texte unvergleichlich deklamierte, während sich im Tragischen manchmal falsches Pathos einschlich. Sein Freund Kayser bezeugte, dass in Goethes Libretti die Oper quasi schon vorauskomponiert war; die Anweisungen waren so detailliert, dass dem Komponisten wenig Bewegungsfreiheit übrig blieb. Eine ganze Reihe dieser Libretti wurde zu seinen Lebzeiten vertont und aufgeführt, und einige sogar in seine Gesammelten Werke aufgenommen. Unter den Komponisten waren Johann André, Philipp Christoph Kayser, Karl Siegmund von Seckendorff, die Sängerin und Schauspielerin Corona Schröter, die Herzogin Anna Amalia und Johann Friedrich Reichardt. Dreizehn verschiedene Versionen von »Claudine von Villa Bella« und sechzehn von »Jery und Bätely« sind bekannt. Noch im 20. Jahrhundert komponierte Othmar Schoeck »Erwin und Elmire« und der Schönberg-Schüler Egon Wellesz »Scherz, List und Rache«. Hofmannsthal studierte Goethes Operntexte und schrieb ein Vorwort für einen Sammelband. Keine der komponierten Fassungen machte allerdings einen bleibenden Eindruck, und der Triumph von Mozarts »Entführung« stellte alle anderen Versuche, ein deutsches Singspiel zu präsentieren, in den Schatten.
Goethe war geradezu besessen von Lied und Gesang. Im Lied musste die Musik unmittelbar dem Wort und der Wortmelodie entnommen werden und allen Verlockungen, das Gedicht zu illustrieren, aus dem Weg gehen. Wie sein Mentor Herder war er davon überzeugt, daß es die Musik sei, von der alle Dichtungen herkommen und wohin sie zurückkehren. Als Goethe in jungen Jahren auf Herders Wunsch elsässische Volkslieder und Balladen sammelte, sang er sie seiner Schwester Cornelia vor, die sie niederschrieb. »Des Knaben Wunderhorn«, die Sammlung von Volkspoesie Achim von Arnims und Clemens Brentanos, erschien 1806 mit einer Widmung an Goethe, der das Werk freundlichst aufnahm.
In der orientalischen Dichtung, die Goethe später so entzückte, spielt neben dem Lieben, Trinken und Beten das Singen eine wichtige Rolle. Marianne von Willemer, deren Gedichte im »West-östlichen Divan« Goethe mit seinen eigenen vereinigte, erfreute ihn durch die Fähigkeit, ihre Lieder zur Gitarre zu singen. Musik steht auch im Zentrum von Goethes letztem Roman »Wilhelm Meisters Wanderjahre«. Für die Bewohner der pädagogischen Provinz ist Gesang der erste Schritt ihrer Erziehung, dem alles übrige nachfolgt und der alles weitere erreichbar macht. Wo in den Wanderjahren Menschen zusammenkommen, wird gesungen. Goethe selbst brauchte immer jemanden, der ihm vorsang. In Weimar waren es drei junge Frauen: Caroline Bardua, Dlle Brand und Ernestine Engels, die das besorgten. In späteren Jahren, als Goethe selten das Haus verließ, hielt er sich sein eigenes Collegium Musicum Vokale, das in Christianes Räumen seine Proben abhielt und mit einer einfachen Mahlzeit belohnt wurde. Manchmal griff er in die Proben ein und gab Ratschläge zu Tempo und Ausdruck.
Goethes musikalische Ansprüche waren anhaltend, aber sie waren unvollständig. Es scheint, als hätte er nie eine Aufführung einer Haydn-, Mozart- oder Beethoven-Symphonie angehört. (Dass Mendelssohn ihm Beethovens Fünfte zumindest in Teilen vorspielte, kann kaum als vollwertige Aufführung gelten.) Während das eine seiner Ohren für den Gesang stets offen war, blieb das andere für instrumentale Musik weitgehend taub, es sei denn, sie wurde von Wunderkindern präsentiert oder von schönen Damen. Goethe hatte den siebenjährigen Mozart in Frankfurt spielen gehört, ein Eindruck, der ihm bis ans Ende des Lebens gegenwärtig blieb. Andere Kinder, die ihm vorspielten, waren Mendelssohn, den er wie einen Sohn liebte, Clara Wieck, Karl Eckert und Ferdinand Hiller. In Goethes Worten: »Ursprüngliches Talent ist Wasser auf meiner Mühle.« Unter den Frauen war es die Polin Maria Szymanowska, die »zierliche Tonallmächtige«, deren Klavierspiel und Schönheit ihn ins Herz traf. Eine männliche Ausnahme war Johann Heinrich Friedrich Schütz, sein »privater Musiker«, dem er drei oder vier Stunden lang zuhören konnte, wenn er Bach oder, historisch geordnet, Späteres spielte. Goethe besorgte ihm eine Abschrift des »Wohltemperierten Claviers«. Unübertrefflich blieb die Wirkung der führenden Sängerinnen der Opernbühne: Gertrud Schmeling, Corona Schröter, Anna Milder-Hauptmann, Wilhelmine Schröder-Devrient und Henriette Sontag.
Als Goethe sich in Weimar niederließ, war das kleine Herzogtum musikalische Provinz. Zwar hatte Johann Sebastian Bach dort mehrere Jahre verbracht, zunächst 1703 als Geiger im Dienste des Fürsten, dann seit 1708 als sein Organist und Kapellmeister. Um 1757 bestand die Hofmusik, laut Wilhelm Bode, aus einem Musikdirektor, einem Hoforganisten, zehn Hofoboisten (!), einem Hofpandoristen, acht »musikalischen Trompetern« und zwei Paukern. Im Jahre 1775 übernahm der 18-jährige Carl August die Regierung. Goethe genoss, wie wir von Wieland wissen, das uneingeschränkte Vertrauen und Wohlwollen des Herzogs. 1791 wurde er zum Leiter des Weimaranischen Theaters ernannt, eine Aufgabe, derer er sich 26 Jahre später entledigte. Innerhalb dieses Zeitraums gab es im Theater mehr als 1800 Veranstaltungen. Es wurden 600 Theaterstücke aufgeführt, darunter 104 Opern und 31 Singspiele. Sämtliche spätere Opern Mozarts standen auf dem Spielplan, am häufigsten »Die Zauberflöte« (82) und »Don Giovanni« (68), den er mit besonderer Sorgfalt inszenierte. Als Goethe in der Zauberflöte Regie führte, ließ er sich von seinem Schwager Vulpius ein neues Textbuch schreiben. Goethe war von dieser Oper, diesem komponierten Bildungsroman, so gefesselt, daß er das Libretto einer Fortsetzung entwarf, die zum Glück nie komponiert wurde. Schiller schrieb ihm, kein Libretto sei imstande, eine Oper zu retten, solange die Musik nicht überzeugend sei.
Während seiner zehnjährigen engen Verbindung mit Reichardt beriet ihn dieser in der Auswahl von Werken und Sängern. Goethes späte Direktionsjahre wurden durch die Sängerin und Schauspielerin Caroline Jagemann getrübt, die als Geliebte des Fürsten das Theaterleben zunehmend beeinflusste. Goethe, der kein Kämpfer war, zog sich allmählich zurück. »Mit der Oper, wie sie bei uns zusammengesetzt ist, mag ich mich nicht abgeben«, schrieb er an Zelter. Die Qualität der Vorstellungen muss dürftig gewesen sein, das Orchester schwach, die Sänger oft mittelmäßig und die Probenzeit zu kurz. Es gab keinen permanenten Chor, man lieh sich Studenten und Schulkinder von der Schule aus, zum Missvergnügen der Lehrer. Anders war die Situation im Sprechtheater, wo sowohl das Repertoire als auch die Qualität der Darstellung dank Goethe einen Aufschwung erlebten, der Weimar zu einer der lebendigsten Bühnen Deutschlands machte.
Der Opernspielplan der Zeit enthielt Namen, die inzwischen verblichen sind: Méhul, Auber, Boieldieu, Paër, Marschner, Spontini. Erst seit 1791 gab es in Weimar ein festes Hoftheater. Davor stützte sich das Weimarer Kulturleben, von reisenden Theatertruppen abgesehen, hauptsächlich auf Amateure, unter denen sich viele Mitglieder der Aristokratie befanden, die im Theater auftraten oder sangen, oder sogar für das Theater schrieben und komponierten. Goethe übersah und organisierte diese Tätigkeiten. Er selbst spielte einige der Hauptrollen, in denen man nicht singen musste. Besonders gern sah er sich der schönen Corona Schröter gegenüber. Sie komponierte auch und malte, und war die einzige professionelle Sängerin. Manchmal machten sie Ausflüge zu zweit, um gemeinsam zu zeichnen. Goethe war ein geschickter Zeichner. Zu seinen schönsten Blättern gehört ein Porträt Coronas.
Goethe war beeindruckt von Palestrina, dessen Musik er während der plötzlichen Italienreise 1786 kennenlernte. Er bewunderte Händels Oratorien und spielte sogar mit dem Gedanken, den Umfang des »Messias« in einem zehnteiligen Werk, das alle wichtigen Ereignisse der Bibel behandeln würde, zu übertreffen. Es gehörte zu Goethes vielen Widersprüchen, dass er, der sich weder als christlich noch als gläubig ansah, geistliche Musik besonders schätzte. In seinen früheren Jahren war er begeistert von Gluck, der ihn allerdings damit enttäuschte, dass er die von Goethe eingesandten Gedichte nicht komponieren wollte mit der Begründung, ein Opernkomponist brauche keine »gefeilten Verse«. Goethe pries auch Rousseau, der damals als Komponist von »Le Devin a village« allgemein bekannt war, weil dessen einfacher und geradliniger Stil seinen musikalischen Vorstellungen entgegenkam. Er rühmte Haydns Messen und vor allem den »unvergleichlichen« Mozart – der Goethes »Veilchen« komponiert hatte und dachte, das Gedicht sei von Gleim. Mozarts Komposition ist jedoch kein Lied im damaligen Sinn, sondern eine kleine dramatische Szene.
An Beethoven ging Goethe fast völlig vorbei mit einer Ausnahme: Seine Musik zu Egmont wurde dankbar entgegengenommen und in Weimar aufgeführt. Goethes Freund Zelter sagte über Beethoven: »Mir scheinen seine Werke wie Kinder, deren Vater ein Weib oder deren Mutter ein Mann wäre.« Er sagte auch: »Ich bewundere ihn mit Schrecken.« Dass Goethe diese Meinung nicht geteilt hätte, ist kaum anzunehmen. Die Abneigung zwischen Carl Maria von Weber und Goethe war gegenseitig. Als der junge Berlioz ihm seine Faust-Szenen Op. 1 schickte, nannte sie Zelter, der sich gerne drastisch ausdrückte, »eine Ausgeburt, welche aus gräulichem Inzeste entsteht.«
Schubert und Loewe, die großen Erneuerer des Liedes und der Ballade, wurden von Goethe nicht wahrgenommen, ebensowenig wie Beethoven, der zwanzig von Goethes Gedichten komponiert hat. Es bedurfte der inspirierenden Gegenwart der großen Wilhelmine Schröder-Devrient, um Goethe nach ihrer Aufführung von Schuberts »Erlkönig« die Feststellung abzuringen, das Ganze ergebe in einer solchen Aufführung ein sichtbares Bild. Für einen so visuellen Menschen wie Goethe war das ein Wort der Anerkennung. Beethoven und Schubert, auf der anderen Seite, verehrten Goethes Schriften.
Goethe, der die böhmischen Bäder oft besuchte, traf Beethoven 1812 viermal in Teplitz und danach auch noch in Karlsbad. Nach der ersten Begegnung schrieb Goethe an Christiane Vulpius: »Zusammengefasster, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen.« Dieser Satz gereicht Goethe zu immerwährender Ehre, denn er trifft in wunderbarer Weise auch den Charakter von Beethovens Musik: ihre Konzentration, ihre vorwärtsweisende Dynamik, und ihre Wärme und Zartheit. Beethoven erinnerte sich an Goethe stets mit der größten Dankbarkeit – obwohl es ihn verstimmt hatte, dass Goethe mit der lebhaften, wenn auch leidenden, Kaiserin von Österreich, Maria Ludovica, in Teplitz allzu viele Stunden verbrachte. Goethe seinerseits fand Beethoven zu ungezähmt; er war zwar damit einverstanden, dass man die Welt detestabel findet, sah aber keine Notwendigkeit, dies jedermann mitzuteilen.
In Weimar kannte man kein gehobenes Konzertleben bevor Johann Nepomuk Hummel die musikalische Leitung übernahm. Hummel galt als der führende Pianist der Zeit und war auch als Komponist hochgeschätzt. Er hob das Niveau der weimaranischen Oper und brachte Symphonien zu Gehör, wo vorher über Jahrzehnte nur reisende Virtuosen sich bei Hofe produziert hatten. Erst im späteren 18. Jahrhundert verlor die gesungene Musik ihre Dominanz und trat langsam hinter die Instrumentalmusik zurück.