Narbengold - Katharina Koch - E-Book
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Katharina Koch

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Beschreibung

Als ein neuer Nachbar neben ihr einzieht, nimmt sie sich fest vor, dass das Ganze nicht über Freundschaft hinausgehen soll... Leseprobe: Akne Inversa: Chronische Abszesse, die die Haut vernarbten. Perfekte Achseln wie in der Deowerbung würde ich nie wieder bekommen. Egal, wie viele Cremes und Deos ich darauf schmierte. Ich musste begreifen, dass ich aufhören konnte, mich an etwas zu klammern, das für mich unerreichbar war. Unheilbar erkrankt. Chronische Krankheit. Ein Leben lang damit konfrontiert. Zwei aufreibende Realitäten innerhalb von so wenigen Stunden brachten das Fass zum Überlaufen. Nicht zu heulen, war ein harter Kampf. Ich wusste nicht, warum ich es nicht zuließ. Es war doch niemand hier, den es stören würde. Kein einziger Mensch würde es bemerken. Still und heimlich. Träne für Träne. Erleichterung würde es mit sich bringen. Das würde mir guttun. Gleichzeitig erlöste mich die Erkenntnis: Der Stein der Schuld, der kalt und schwer in meinem Magen gelegen hatte, rutschte Stück für Stück weiter. Wurde leichter. Wurde kleiner. Ich war nicht Schuld an dieser verdammten Krankheit. Ich war nicht ansteckend. Ich war nicht ekelerregend und da draußen gab es viele weitere Menschen, denen es genauso erging wie mir. Wir teilten das gleiche Schicksal: Dazu verdammt, gegen eine Krankheit zu kämpfen, die mir schon so Vieles genommen hatte. Mein Sexleben war ein Desaster, wenn es denn überhaupt mal existierte. Freunde und Familie verstanden nicht, was ich durchmachte. Mein Arbeitgeber war voreingenommen und hielt mich für träge, dabei war es die Erkrankung. Sie allein bremste mich aus. Welche Wahl hatte ich in dieser Situation? Weitermachen wie bisher? Das brachte nichts. Kämpfen gegen dieses Biest, das wie ein Parasit in mir lebte? Das war meine Chance. Zum allerersten Mal war ich dieser Erkrankung ebenbürtig und ihr nicht schutzlos ausgeliefert. Ich wollte stärker sein als jeder Schmerz, den ich je durch diese Erkrankung erlebt hatte.....

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Danke
Du bist betroffen und weißt nicht weiter?

 

 

 

 

 

Narbengold

Unter meiner Haut

 

 

 

Von Katharina Koch

 

 

 

Copyright © 2023 Katharina Koch – alle Rechte vorbehalten.

Lektorat: Sandra Florean

Covergestaltung: Isabell Schmitt-Egner

 

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin. Personen und Handlungen sind frei erfunden, etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Markennamen sowie Warenzeichen, die in diesem Buch verwendet werden, sind Eigentum ihrer rechtmäßigen Eigentümer. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Autorin die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

 

Claudia Harnoss

Langeholz 37

49479 Ibbenbüren

[email protected]

 

 

 

Dieses Buch ist all denjenigen gewidmet,

die jeden Tag gegen den Maulwurf unter ihrer Haut kämpfen.

Gebt nicht auf und macht euer Schicksal zu Narbengold.

1

Seine weichen Lippen lagen auf meinen. Ich entspannte mich und ließ mich fallen. Seine Hände wanderten langsam von meiner Achselhöhle an meiner Brust vorbei hinunter zu meiner Hüfte. Ein wohliges Kribbeln durchzog meinen gesamten Körper. Als sich seine Zunge zwischen meine Lippen drängte, wurde mir bewusst, dass wir schon bald einen Schritt weitergehen würden. Es war an mir, die Oberhand zu behalten.

Mit zartem Stupsen seiner Zunge verführte er mich zu einem feuchten Tanz. Es fühlte sich wunderbar an. Sanft drängte er mich gegen die Wand. Mit einem Mal waren seine Hände überall. Am Rücken. Am Bauch. An meiner Taille. Am Po. Auf den Oberarmen und dann wieder am Bauch. Sobald er den Versuch unternahm, seine Hand durch den engen Jeansbund zu schieben, stoppte ich ihn. Bis heute waren wir nie zuvor so weit gegangen.

„Nicht heute“, flüsterte ich zwischen zwei Küssen, dabei hielt ich sein Handgelenk umklammert.

Elias zog die Hand weg und stützte seine Handflächen gegen die Wand, drängte seinen Körper fester an mich. Mir wurde heiß. Dann ergriff er mein Gesicht und intensivierte den Kuss. „Du bist so sexy!“

Geschmeichelt sah ich zu Boden. Der Umgang mit Komplimenten war bisweilen kompliziert. Da mir keine Antwort einfiel, sagte ich nichts. Mir war bewusst, dass meine locker sitzende Jeans und die weinrote Bluse absolut nicht heiß waren.

Eher bieder.

Langweilig.

Durchschnittlich.

Er strich mir eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und küsste mich erneut. Seine Finger streichelten über meine Taille, um sich dann an meine Hüften zu legen. Er drückte seinen Unterleib gegen meinen, sodass seine Beule deutlich zu spüren war. Mein Herz klopfte so schnell und meine Hände wurden feucht.

„Du bringst mich um den Verstand“, wisperte er mit rauer Stimme.

Verunsichert biss ich mir auf meine Unterlippe. Seine grauen Augen waren vor Lust verschleiert. Dennoch labte ich mich an seinen Worten. In diesem Moment zählte nur, dass er auf mich stand und meinen Körper heiß fand.

Erneut küsste er mich leidenschaftlich. Ich schloss die Augen und gab mich den Schmetterlingen in meinem Bauch hin.

Nur kurze Zeit später versuchte er schon wieder, seine Hand durch den Jeansbund in mein Höschen zu befördern. Seine Fingerspitzen waren kaum in meiner Hose verschwunden, da hielt ich ihn erneut auf. Als er dennoch versuchte, sich weiter vorzukämpfen, ergriff ich sein Handgelenk und hielt ihn fest.

„Ich möchte das nicht“, sagte ich leise, aber bestimmt. Das ging mir einfach viel zu schnell.

„Bitte, Louisa“, flüsterte er mit durchdringendem Blick.

„Nein, nicht heute, Elias.“

„Warum denn nicht? Wir daten mittlerweile seit fast drei Monaten. Ich habe schon begriffen, dass du nicht leicht zu haben bist. Wieso also noch weitere Spielchen?“

Mein Herz sank mir in die Hose. Warum war es ein Problem, ein Weilchen länger zu warten? Weshalb drängte er plötzlich so? Gab es mit Voranschreiten der Zeit eine unsichtbare Linie, die festlegte, dass der Moment gekommen war, intim miteinander zu werden? Wieso kannte ich diese Spielregel nicht?

Entmutigt begegnete ich seinem selbstbewussten Blick, unfähig etwas zu antworten. Er drängte unbeirrt seinen Unterleib an meinen Körper. Dass er trotz der klaren Zurückweisung weiterhin hart war, beunruhigte mich so sehr, dass mein ganzer Körper anfing zu zittern.

„Ich möchte heute einfach nicht“, versuchte ich es erneut, hörte aber selbst, wie dünn und eingeschüchtert meine Stimme klang.

„Also wenn du deine Tage hast, das stört mich wirklich nicht“, sagte er mit einer Selbstverständlichkeit, die mir endgültig die Schuhe auszog.

„I-I-ich …“ Doch da gab es keine weiteren Worte in meinem Kopf für diese Unverschämtheit. Ich war wie erstarrt, war schlicht nicht fähig, mich zu bewegen, zu handeln oder auch nur verbal zu reagieren.

Er nutzte den Moment und küsste meinen Hals. Seine Hände fuhren wieder über meinen Körper nach hinten zu meinem Po, den er kräftig drückte.

Mit was für einem Mann hatte ich die vergangenen Monate meine Zeit verbracht?

Ja, wir waren einige Male ins Restaurant gegangen, hatten Filme im Kino gesehen und zusammen in Diskotheken gefeiert.

Ich stand auf ihn. Wirklich. Er war ordentlich und gepflegt. Seine Fingernägel waren immer sauber, was mir außerordentlich wichtig war. Den Spleen besaß ich schon länger. Außerdem verhielt er sich normalerweise charmant, nett und lustig. Wir hatten so viele Abende lachend verbracht. Ich hatte mich so wohl in seiner Nähe gefühlt. Er hatte meine Welt an dem Tag auf den Kopf gestellt, als wir uns kennengelernt hatten. Ich dachte, er wäre endlich mal jemand mit Verständnis und Geduld.

Wer war der Mann, der heute versuchte, um jeden Preis intim mit mir zu werden? War das wirklich noch Elias oder sein bösartiger Zwilling, von dem er mir bisher nichts erzählt hatte?

„Elias, stopp“, brachte ich endlich hervor, sobald seine Hand wieder auf meinem Bauch lag. Es klang zwar zittrig, aber zumindest sagte ich überhaupt etwas.

„Stell dich nicht so an, Süße!“ Er hob seine Hand an meine Wange. Mit dem Daumen strich er über meine erhitzte Haut.

Sein Blick drang tief in mich ein und löste ein Schaudern aus. Aber keinen von diesen guten, die er mir schon so oft beschert hatte, sondern einen fiesen, der mir eine unbehagliche Gänsehaut über den Rücken trieb und alles unangenehm erzittern ließ.

„Wirklich! Ich will das nicht!“, wiederholte ich etwas bestimmter.

Er trat einen Schritt von mir zurück. Ihm war die Kränkung deutlich anzusehen, während er die Stirn in tiefe Falten zog. „Bist du noch Jungfrau, oder was?“

Der forsche Tonfall war wie ein Schlag in die Magengrube. Keuchend sah ich ihn an. „Nein!“

„Na also. Wo ist das Problem?“

Ich war unschlüssig, ob ich nicht lieber verschwinden sollte. War es nicht besser, wenn ich diese Entscheidung traf, statt mich wieder bloßstellen zu lassen? Es schien nicht so, als würde er die Wahrheit verstehen.

„Ich will nicht. Fertig. Aus!“

Die Wut in meinem Bauch wuchs. Ich spürte, wie sie die Kontrolle übernahm. Ganz egal, welchen Grund ich hatte: Er musste das Nein einfach akzeptieren. Das war mein Körper! Niemand sonst hatte zu bestimmen, ob ich mit jemandem intim wurde oder eben nicht.

„Bläst du mir wenigstens einen?“

Mit großen Augen sah ich ihn an. War das sein verdammter Ernst?

„Willst du mich verarschen?“ Mein Körper löste sich aus der Starre und ich stieß ihn von mir weg. „Nein heißt nein!“

Verständnislos sah er mich an.

„Mach´s dir gefälligst selbst!“ Ich warf ihm einen kurzen, angewiderten Blick zu. Ohne ein weiteres Wort rauschte ich aus dem Zimmer und durch den Flur. Im Vorbeigehen stieß ich an ein schwarzes Schränkchen, das extrem abgenutzt aussah mit der abgeplatzten Farbe. Irgendetwas fiel klirrend zu Boden, doch ich achtete nicht weiter darauf, sondern lief schnurstracks aus seiner Wohnung.

Er rief mir etwas hinterher, aber ich hörte gar nicht hin. Selbst das war mir egal. Ich hatte genug. Was bildete er sich ein? Wie hatte ich mich so in Elias täuschen können?

 

Den gesamten Heimweg zermarterte ich mir den Kopf. Zuhause angekommen, fühlte ich mich tieftraurig. Die Wut war längst verflogen, sodass Platz für Selbstmitleid war. Anscheinend war alles meine Schuld, weil es mich beschämt, die Wahrheit zu sagen. Meine Erkrankung war zu ekelerregend. Ich hasste die Umstände selbst und würde es so gern ändern, aber ein Vergessen all der erniedrigenden Erfahrungen war schlicht unmöglich. Ich konnte nicht mehr losgelöst und völlig entspannt mit einem Mann ins Bett steigen. So wie früher.

„Du bist echt ekelig. Kein Wunder, dass du vor mir so lange Single warst!“, hörte ich das Echo meines letzten Ex-Freundes wieder, so als hätte er das gestern erst zu mir gesagt.

Und das war nur eine von vielen. Ich kniff die Augen zusammen, um die weiteren Erinnerungen abzuschütteln. Das Verarbeiten all dieser Erlebnisse erschien mir unmöglich, weil meine Erkrankung mit all den Schmerzen und Narben jeden Tag präsent war.

Gern würde ich jemandem die Schuld für all das geben, doch wen sollte ich anklagen? Wer konnte etwas dafür? Die Ärzte sagten wahlweise, es wäre das Übergewicht oder dass ich mich nicht ausreichend waschen würde. Dann gab es wieder Doktoren, die genau das Gegenteil sagten, dass ich mich zu viel wusch und dann ausschließlich über meine Ernährung schimpften, ohne je zu fragen, was ich überhaupt aß. So oder so – all die studierten, selbsternannten Experten suchten die Schuld bei mir.

War ich wirklich schuld?

Hatte nur ich diese Hauterkrankung?

Bei all den Gedanken juckte meine Haut wieder. Mal wieder war passiert, was immer geschah, wenn ich einen Mann kennenlernte und versuchte, mich auf ihn einzulassen. Sobald es zum körperlichen Anteil kam, wurde es für mich kompliziert. Nur mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal die Bremse gezogen hatte, bevor es demütigend wurde. Heute Abend machte ich nicht einfach mit, nur um ihm zu gefallen. Er konnte nicht sehen, wie abstoßend ich war. Vielleicht hatte ich richtig gehandelt. Ja, es tat jetzt weh. Unglaublich weh! Doch ich sollte stolz sein. Ich hatte mich selbst gerettet vor einem Mann, der mich vielleicht genau wie all die anderen verletzt hätte. Ich wollte ihn, aber ich war noch nicht an dem Punkt, ihm alles zu gestehen, ihm zu zeigen, was mich tagein tagaus quälte. Heute hatte er mir gezeigt, wie ungeduldig er war. Wäre er verständnisvoll, wenn ich ihm all die Narben zeigte? Würde er es verstehen? Die Schmerzen und das unendliche Leid, das ich versteckte?

Es war meine Schuld, dass die Situation aus dem Ruder gelaufen war. Auch wenn es jetzt wehtat, wie groß wäre der Schmerz gewesen, wenn ich mich auf das Spiel aus Lust und Liebe eingelassen hätte und er nicht verständnisvoll gewesen wäre? Ich war zum ersten Mal für mich eingestanden und hatte mich nicht überreden lassen. Das machte mich so unglaublich stolz auf mich.

Was wäre jedoch geschehen, wenn ich, wie bei vielen anderen Dingen in meinem Leben, genauso inkonsequent gewesen wäre? Ich mochte es mir gar nicht ausmalen. Dafür reichten die Erinnerungen an vergangene Abende mit anderen Männern. Der innere Schweinehund war normalerweise stärker als ich. Keine einzige Diät hielt ich jemals lang genug durch. Aber heute … heute hatte ich gesiegt und trotz der Lust aus Selbstschutz nicht mit ihm geschlafen.

2

Der nächste Morgen sah nicht besser aus als der vergangene Abend und ich fühlte mich noch genauso beschissen. Mein Körper schmerzte. Im Bad entdeckte ich die gewohnten Flecken in der Unterwäsche. Die quälenden Beulen hatten mich wieder traktiert. Ich warf den Slip in den Wäschekorb und putzte mir die Zähne. Luft tat gut bei den offenen Wunden. Gleich würde ich mich darum kümmern, doch meine Motivation hielt sich in Grenzen. Bei meinem Glück würde es heute sowieso etliche Male wieder aufreißen.

Genervt holte ich mir einen neuen Slip, um dann im Bad nach Pflastern zu suchen. Ich sprühte etwas Desinfektionsmittel auf die Wunde, nahm den gewohnten heftigen Stich wahr und klebte mit viel Mühe vor dem Spiegel die Pflaster auf die frischen Verletzungen.

Ich hätte gern gewusst, was diese schmerzenden Eiterbeulen hervorgebracht hatte, wieso sie mich schon so viele Jahre quälten und einfach nicht gänzlich verschwanden. Außerdem würde ich so gern wissen, wie diese Krankheit hieß.

Ich kontrollierte meinen Busen und stellte fest, dass dort ebenfalls wieder neue, fast zwei zentimetergroße Schwellungen prangten. Sie waren rot und heiß, schmerzten aber bisher nicht. Geduldig schmierte ich etwas Zugsalbe darauf. Der Geruch nach Teer löste den gewohnten Würgereiz aus. Auch hier klebte ich Pflaster auf, damit mir nicht schon wieder ein BH versaut wurde. Danach kontrollierte ich meine Achseln und fand mit Erleichterung keine neuen entzündlichen Stellen. Die Letzte dort war schon fast verheilt. Ich schmierte ein wenig Wundsalbe drauf und puderte dann die Achsel mit Babypuder aus, um Reibungen zu verhindern. In all den Jahren, in denen die Ärzte mir nicht hatten helfen können, hatte ich selbst herumgedoktert in der Hoffnung, wenigstens Kontrolle über die Schmerzen und die Häufigkeit der Entzündungen zu bekommen. Ich schlug mich so durch, doch egal, was ich machte, ich wurde das Gefühl nicht los, dass es immer mehr wurden und sie auch häufiger auftauchten.

Sobald ich in den Spiegel sah, erschrak ich über meine eigene, traurige Erscheinung. Die grünen Augen waren gerötet von den Tränen der vergangenen Nacht. Risse zierten meine sonst so vollen Lippen, die dank meines blassen, runden Gesichts röter erschienen als sonst.

Müde wandte ich den Blick ab und trottete zurück ins Schlafzimmer. Heute war Sonntag und ich musste glücklicherweise nirgends hin. Es würde leicht werden, mich vor der Welt zu verstecken und mich in meinem Leid zu suhlen.

 

Einige Stunden später klingelte es und ich schlurfte, noch immer im weiten Nachthemd, zur Tür. Ich erwartete keinen Besuch, daher machte ich mir nicht die Mühe, mich vorher umzuziehen.

Als ich die Tür öffnete, blickten mir ausgerechnet Elias’ unschuldige graue Augen entgegen. Dazu hielt er mir einen Strauß rosa Rosen und weiße Gerbera hin.

„Louisa, es tut mir so leid“, sagte er mit einem schuldbewussten Ton in der Stimme.

Ungläubig sah ich ihn an. Hatte ich ihn doch nicht in die Flucht getrieben?

„Ich war nicht ganz bei mir. Ich wollte dich wirklich nicht drängen!“

Ich war unschlüssig, was ich darauf erwidern sollte. Dachte er, ich würde nach der Aktion weitermachen, als wäre nichts gewesen? Ich verschränkte die Arme vor der Brust und war mir so unsicher. Einerseits mochte ich ihn sehr. Andererseits war ich aber noch nicht in der Lage, mit ihm zu schlafen, und wusste nicht, wann ich es je sein würde.

„Louisa, komm schon! Sei mir nicht mehr böse. Ich bin doch auch nur ein Mann!“ Seine grauen Augen bettelten mich förmlich an.

Es fiel mir schwer, hart zu bleiben, aber wollte ich einen Freund, der sich so verhielt?

„Elias, denkst du ernsthaft, mit einem Blumenstrauß ist es getan?“

Auch wenn ich einen großen Anteil an der Eskalation hatte, war sein Verhalten absolut unangemessen gewesen.

Er kratzte sich am Kopf und trat von einem Fuß auf den anderen. „Wir haben uns doch so gut verstanden.“

„Ja, bis du über meine Grenzen getrampelt bist wie ein Berserker im Puppenhaus.“

Ich wollte es ihm auch nicht zu leicht machen. Er musste begreifen, dass er das beim nächsten Mal nicht wiederholen durfte.

„Das war doch nur ein kleines Missverständnis!“

Ich verdrehte die Augen. „Ein kleines Missverständnis? Du wolltest mich zum Sex drängen!“

„Drängen? Nein, das nicht.“

„Ich habe mehrfach Nein gesagt. Aber du wolltest es nicht hören.“ Ich wollte eigentlich gar nicht weiter diskutieren, aber ich war einfach zu neugierig, was er noch zu sagen hatte. Daher blieb ich und hörte ihm mit vor der Brust verschränkten Armen zu.

„Ich konnte doch nicht ahnen, dass das dein Ernst war. Ich dachte, das gehört vielleicht zu deinem Spiel dazu. Von wegen, wenn sie nein sagt, meint sie eigentlich ja. Das Lied kennst du doch auch.“

„Ich spiele keine Spiele.“

„Als du abgehauen bist, ist mir das auch klar geworden.“

Ich schüttelte den Kopf. „Ehrlich gesagt, kann ich dir im Moment nicht mehr vertrauen. Es ist besser, wenn du jetzt gehst.“ Das zu sagen, kostete mich unglaublich viel Kraft. Ohne seine Antwort abzuwarten, trat ich einen Schritt zurück und schlug ihm die Tür vor der Nase zu.

Verdammt! War ich verrückt geworden? Ich presste meine Hände auf meinen Mund, um ein Wimmern zu unterdrücken.

Elias klingelte erneut. Es fiel mir schwer, aber ich ignorierte es. Er war schon der Typ Mann, mit dem ich mir eine Beziehung vorstellen konnte. Grundsolide. Gutaussehend. Ein Macher. Doch nach dem, was ich in der vergangenen Nacht über ihn gelernt hatte, war ich da noch bereit, den Preis zu zahlen, den es mich unter Umständen kosten würde, diese Beziehung weiterzuführen?

Wenn er ein Nein nicht wie ein Erwachsener akzeptieren konnte, wie würde er sich erst bei der Offenbarung meiner Hautkrankheit verhalten? Das wollte ich bei aller Schwärmerei und Verliebtheit beileibe nicht durchleben. Diese Erfahrung hatte ich in der Vergangenheit zur Genüge gemacht. Vielleicht hätte ich die Karten von Anfang an auf den Tisch legen sollen, als wir uns das erste Mal in einer Knutscherei verloren hatten, dass ich Sex nicht so einfach konnte … Dass es für mich Überwindung bedeutete und ich dafür sehr viel Vertrauen und Zeit brauchte.

Ich hörte Elias einige Male klingeln und klopfen, doch ich rührte mich nicht mehr. Es war zwecklos, weiter mit ihm zu diskutieren. Ich würde ihm heute nicht auf die Nase binden, was für eine abartige Krankheit ich vor ihm versteckte, denn ich mochte ihn zu sehr, als dass ich bereit war, von ihm verletzt zu werden. So verletzte ich mich nur selbst. Es war ihm gegenüber unfair, aber ich sah ja schon das Unverständnis im Freundeskreis und auch in der Familie. Keiner kapierte, was überhaupt mit mir und meiner Haut los war. Alle hatten gut gemeinte Ratschläge, die aber nichts wert waren, weil nichts davon half und das meiste ausgemachter Quatsch war.

Der stechende Schmerz der Beulen an der Brust frustrierte mich noch mehr. Ich kuschelte mich an mein kleines, weiches Kuschelkissen. Mir war nach Schreien und Heulen zumute. Dass dies nichts brachte, war mir klar, doch konnte ich nicht anders. Ich war müde, erschöpft und traurig. Lustlos holte ich mir mein aktuelles Strickprojekt, eine Mütze. Masche für Masche kam ich mühsam voran. Die fiesen Gedanken und auch die Angst blieben dennoch präsent.

Warum ausgerechnet ich? Wieso traf mich diese schreckliche namenlose Krankheit, die kein Arzt heilen konnte oder vielleicht auch wollte? War eine extreme Gewichtsreduktion die einzige Chance auf Heilung? Hatte der letzte Arzt recht und mein Übergewicht, das ich bei Kleidergröße 44 gar nicht so übertrieben fand, war der ausschließliche Grund für diese furchtbaren Monsterbeulen? Waren das tatsächlich entzündete Fettzellen, die mich so quälten? Hatten das alle dicken Frauen? Was war mit den fülligen Männern? Blieben die verschont? Warum konnte mir keiner sagen, wie das hieß? Ich würde so gern jemanden kennenlernen, der das nachvollziehen konnte und mich verstand. Jemanden, mit dem ich mich austauschen konnte und der ein paar funktionierende Tipps und Tricks hatte, diese Eiterbeulen in Schach zu halten. Doch wie sollte ich das machen? Ich hatte nicht mehr als diese Verdachtsdiagnosen von Karbunkel, Furunkel und eingewachsenen Haaren. Dass die alle falsch waren und willkürlich wirkten, hatten meine Recherchen bereits bestätigt. Auch die Aussage, dass es vom Rasieren käme, schien mir unzutreffend. Ich rasierte mich nicht unter den Brüsten und dennoch wurde ich dort besonders häufig von den Eiterparasiten gepiesackt. Das passte doch alles nicht zusammen.

Ich sah zum Fenster und starrte in den blauen Himmel. Es war ein sommerlicher Tag. Der perfekte Tag, sich draußen zu bewegen, doch ich vergrub mich im Bett und war antriebslos, was mich verdammt wütend machte.

Da spürte ich es – den entlastenden Schmerz der aufplatzenden Beule an meiner Brust. Die Erste war endlich offen. So unangenehm dies auch war, brachte es für den Moment die ersehnte Erlösung. Der schmerzende Druck war weg, bis der Heilungsschmerz auf dem Plan erschien. Seufzend legte ich mein Strickzeug beiseite. Genau davor hatte ich Angst gehabt. Was wäre geschehen, wenn diese Beule vergangene Nacht geplatzt wäre, während Elias auf mir gelegen hätte?

Im Bad riss ich das Pflaster ab, was verhältnismäßig wenig wehtat im Vergleich zu all den Schmerzen, die ich mittlerweile gewöhnt war. Mir stieg ein unangenehmer Duft in die Nase. Es verlangte mir einiges ab, um den Würgereiz unter Kontrolle zu halten. Ich hasste den Geruch. Nahmen den alle um mich herum wahr oder war er nur so intensiv, weil ich davon wusste?

Mit einer Mullbinde drückte ich den Rest des Eiters heraus und wartete einen Moment. Das Desinfizieren schmerzte wie gewohnt, doch ich biss die Zähne zusammen. Ich klebte ein frisches Pflaster auf und wusch mir nochmal gründlich die Hände. Um das kräftige Aroma aus der Nase zu bekommen, spritzte ich ein bisschen Parfüm auf meine Haare. Dann schmierte ich noch etwas Lippenbalsam auf die rissigen Lippen. Ich sah immer noch furchtbar aus. Was fand Elias nur an mir, dass er trotz allem nochmal hier gewesen war? Mochte er mich genau so sehr wie ich ihn? Konnte ich ihm mein Geheimnis anvertrauen?

3

Am Montag klingelte mein Wecker früh und rief mir damit ins Bewusstsein, dass ich wieder arbeiten musste. Es fiel mir schwer aufzustehen. Heute stand Frühschicht auf meinem Arbeitsplan. Nachdem ich alle Pflaster aufgefrischt hatte, zog ich die unbequeme Arbeitskleidung an und machte mich wie immer zu Fuß auf den Weg zur Arbeit. Obwohl ich die Eiterbeule abgeklebt hatte, drückte und spannte sie jetzt schon so schmerzhaft, dass ich mir kaum vorstellen konnte, wie ich den Tag durchstehen sollte. Ich biss die Zähne fest zusammen und versuchte, den Schmerz zu ignorieren.

 

Als ich am Nachmittag zurück nach Hause kam, zog ich die Kleidung aus und eilte ins Bad. Sorgsam reinigte ich die Haut vom Schweiß und drückte vorsichtig auf den Biestern herum. Leider war das Ding in meiner Leiste größer als heute Morgen und spannte schmerzhaft. Hoffentlich würden die bald alle aufgehen.

Nur mit dem kuscheligen Bademantel bekleidet, verließ ich das Bad und lief in die Küche. Jeder Schritt war eine Qual. Genervt von der Gesamtsituation bereitete ich mir einen heißen Kakao zu. Dabei überprüfte ich, ob meine Kräutertöpfe gewässert werden mussten, und setzte mich anschließend hinaus auf meinen Balkon. Es war sonnig und angenehm warm. Der Frühsommer hatte endlich Einzug gehalten. Ich guckte schräg auf einen kleinen See, der heute im Sonnenschein wie tausende Diamanten glitzerte. Genussvoll trank ich und versuchte, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren, anstatt auf meine Schmerzen. Ein leichter Wind fuhr mir durch die Haare und ein paar blonde Strähnen wehten mir ins Gesicht. Die Vögel zwitscherten in der Ferne und das Geschnatter einer Ente schallte vom See zu mir herüber. Der Tag wäre perfekt, wären da nicht die Schmerzen. Ein wenig war ich neidisch auf die anderen Menschen, die in der Ferne am See Frisbee spielten oder sorglos auf Handtüchern in der Sonne lagen.

Zu meiner anderen Seite stand ein Mehrfamilienhaus in Hochparterre, das baugleich zu dem Haus war, in dem ich wohnte. Es hatte ebenfalls vier Mietparteien. Mir war schon aufgefallen, dass die Wohnung unten rechts aktuell unbewohnt war. Voller Neugier sah ich hinüber, doch noch immer waren die Jalousien zugezogen und der Balkon unmöbliert. Ich war gespannt, wann sie einen neuen Nachmieter finden würden.

 

Nach einer Weile zogen dunkle Wolken auf, der Wind wurde stärker und die Temperaturen sanken. Da es mich aber fröstelte, blieb mir nichts anderes übrig, als zurück in die Wohnung zu gehen. Nur im Bademantel zu sein, hatte zwar den Vorteil, dass meine Beulen nicht durch die Reibung von Kleidung weiter belastet wurden, aber dadurch war es zu frisch, um draußen zu verweilen.

Sobald ich den Fernseher sah, stellte ich ihn ein. Ich schaltete durch die Programme, nur um festzustellen, dass nichts Interessantes lief, das mich von meinen Schmerzen ablenkte. Auf der Stelle durchzog mich das kalte Gefühl von Langeweile. Innerlich spürte ich den Drang aufzustehen und mir etwas zu Essen zu holen, doch war mein Gehirn schlau genug zu wissen, dass der Bauch gar nicht hungrig war. Woher kam dieses Verlangen? Immer wieder lenkte ich mich mit Essen ab, wenn ein unangenehmes Gefühl aufkam.

Um gegen diesen Drang anzukämpfen, stand ich auf, zog mir eine lockere Jogginghose sowie ein weites T-Shirt an und verließ die Wohnung. Mit Musik auf den Ohren machte ich einen kleinen Spaziergang zum See und lief dort einige Zeit auf dem Weg am Ufer entlang. Obwohl ich gute Laune machende Elektro-Musik hörte, war ich frustriert. Die Schmerzen bei jedem einzelnen Schritt konnte ich nicht verdrängen. Für diese Erkrankung musste es doch irgendeine verdammte Lösung geben! Konnte es so schwer sein? Dieser Mist schränkte mein ganzes Leben ein. Schmerzende Bewegungen, beschämende Situationen mit Mitmenschen, wenn mal wieder das typische Aroma der Eiterbeulen an mir haftete, und die Gewissheit, niemals jemanden zu finden, der bereit sein würde, mit all dem klarzukommen. Wenn ich wenigstens eine sichere Diagnose hätte, würde ich bestimmt auch ohne Hilfe von Ärzten eine Lösung finden.

Mit jedem Schritt wurde ich wütender. Das ganze Gesundheitssystem war doch für die Tonne. Ich war erkrankt und keinen kümmerte es. Niemand fühlte sich dafür zuständig, mir auch nur eine helfende Hand zu reichen. Ich hatte mehrere Dermatologen konsultiert, zweimal den Hausarzt gewechselt und auch einige Male die Notaufnahme besucht, wenn die Biester wieder besonders schlimm waren. War ein Gewichtsverlust die einzige Lösung?

Wie ich aber abnehmen sollte mit schmerzenden Beulen, die meine Bewegung einschränkten und Energie stahlen, konnte mir keiner sagen. Immerhin war ich heute laufen gegangen, statt wieder meine Langeweile mit Essen zu betäuben. Das war ein Minifortschritt und irgendwie machte mich das stolz. Dennoch fehlte mir die Kraft für eine weitere Diät.

Nachdem ich das erlösende Gefühl spürte, das mir bestätigte, dass die fiese Monsterbeule in der Leiste endlich aufgegangen war, hielt ich kurz inne. Ich schloss die Augen, atmete die kühle Abendluft tief ein und genoss den Sieg. So winzig dieser war, dieses fiese Monster hatte ich überstanden. Es kriegte mich nicht klein. Wieder gab ich nicht auf, sondern versuchte, weiter durchzuhalten.

Da die Sauerei weggemacht und die Wunde desinfiziert werden musste, machte ich mich so schnell wie möglich wieder auf den Heimweg.

Dort wiederholte ich den üblichen Ablauf, den die Versorgung meiner Hauterkrankung mit sich brachte.

Nachdem ich endlich auf der Couch saß, überprüfte ich mein Smartphone und entdeckte eine neue Nachricht.

 

Elias, 15:58 Uhr: Willst du ernsthaft alles wegen eines Fehlers wegwerfen?

 

Die Nachricht war schon eine Stunde alt. Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte. Einerseits hatte er recht. Gewiss war mein Verhalten übertrieben, denn er hatte sich entschuldigt und erklärt.

Andererseits hatte er Unrecht, denn nein heißt nein! Was würde beim nächsten Mal passieren, wenn ich nicht wollte?

Ich wog das Für und Wider ab. Letztlich gewannen meine Gefühle für ihn, denn eigentlich wollte ich ihn nicht aufgeben. Ich wollte diese Chance auf die Liebe mit ihm, daher ergriff ich wieder mein Smartphone.

 

Louisa, 17:00 Uhr: Eigentlich nicht.

 

Vielleicht sollte ich nachgiebiger sein. Ihm eine zweite Chance geben, die mir so oft verweigert wurde. Ich musste ihm nur sagen, dass ich noch nicht mit ihm schlafen konnte. Oder würde ich erneut in meiner Angst flüchten, statt Klartext zu reden? Der Eingang einer neuen Nachricht unterbrach mich in meinen Gedanken.

 

Elias, 17:03 Uhr: Welche Schicht hast du morgen?

 

Louisa, 17:04 Uhr: Frühschicht

 

Elias, 17:05 Uhr: Lass uns morgen beim Italiener in Ruhe über uns und unsere Zukunft quatschen. Ich hole dich um 19 Uhr ab.

 

Sein Vorschlag klang vernünftig. Außerdem glühte der kleine Funken Hoffnung wieder auf, dass aus uns wirklich etwas werden konnte. Ich mochte ihn so sehr. Trotz allem, was passiert war. Es bestand die Möglichkeit, dass genau das der entscheidende Unterschied zu all den vorherigen Männern war: Er wollte mich, obwohl ich aus seiner Sicht bestimmt einen gewaltigen Knall hatte, und ich konnte ihm auch nicht lange böse sein.

Es war an der Zeit, das Zweifeln aufzugeben. Morgen ergab sich unsere Chance, auf den richtigen Weg zurückzukehren.

Von der Hoffnung beflügelt sprang ich von der Couch auf und tänzelte vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer. Voller Enthusiasmus durchwühlte ich meinen Kleiderschrank nach dem perfekten Outfit für den morgigen Abend. Ich konnte es kaum erwarten.

4

Nachdem der nächste Tag nicht weniger quälend vorüberzog, präparierte ich meinen Körper mit Pflastern. Die meisten Beulen waren aufgegangen. Mich umwehte wieder dieser ekelhafte Geruch. Egal, wie gründlich ich mich wusch, ich nahm ihn weiterhin wahr. Bei der Menge Parfüm, die ich schon auf mich gesprüht hatte, könnte ich glatt als Mitarbeiterin einer Parfümerie durchgehen. Dennoch stach mir der Duft weiterhin in die Nase. Wenn ich ihn so deutlich wahrnahm, würde Elias das ebenfalls riechen?

Besorgt lief ich durch die Wohnung. Was sollte ich nur tun? Ich stellte mich nach draußen auf den Balkon. Wie wahrscheinlich war es, dass das Auslüften etwas bewirkte?

Sobald ich dort stand, der Wind durch meine Haare fuhr und die Panik langsam abflaute, bemerkte ich, wie die Jalousien in der verlassenen Wohnung nebenan hochgezogen wurden. Das lenkte mich augenblicklich von meinem Problem ab. Hatten sie endlich einen neuen Mieter gefunden? Ich konnte nur eine Gestalt wahrnehmen, doch leider fiel die Abendsonne so ungünstig, dass ich nichts weiter erkennen konnte.

Da ich nicht starren wollte, drehte ich mich um und hob die Arme an. Hoffentlich brachte das hier etwas, damit dieser elendige Geruch des Blut-Eiter-Gemisches verschwand. Es war kühl und ich verzweifelt. Diese dämlichen Beulenmonster! Ausgerechnet heute rochen sie wieder so stark.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich war so aufgeregt. Das Treffen mit Elias war mir unglaublich wichtig. Es würde über eine gemeinsame Zukunft entscheiden. Vielleicht würden wir den nächsten Urlaub zusammen verbringen und ferne Länder erkunden. In ein paar Jahren könnten wir unser Eigenheim haben, verheiratet sein und eine Familie gründen. Bei den Gedanken wurde mir ganz warm.

Der Geruch meiner Beulen stieg mir erneut in die Nase und brachte mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Zuerst mussten wir alles klären, dann konnte ich mir Zukunftspläne ausmalen. Angespannt hopste ich von einem Bein auf das andere. Wie verhielt ich mich nur, wenn der Geruch nicht verschwand? Sonst war es nie so extrem gewesen oder bildete ich mir das nur ein, weil mir der Abend so wichtig war?

Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Das wiederholte ich einige Male, bis ich mich entspannte. Es wird schon alles gut gehen. Wenn er dich nicht aufregend finden würde, hätte er längst aufgegeben. Ihm war das klärende Gespräch genauso wichtig. Elias hätte dich einfach gehen lassen, wenn ihn nur der Sex interessiert hätte. Leise sprach ich auf mich ein. Mein Kopf musste es nur laut hören, um es zu begreifen. Da war ich mir sicher.

Sobald ich zurück in die Wohnung trat, nahm ich den Geruch von Neuem wahr. Mutlos ließ ich mich auf den Sessel sinken, der so gar nicht zu den anderen Möbeln passte, aber urgemütlich war, und schaute mich nachdenklich in meinem Wohnzimmer um. Was könnte mir nur helfen?

Ich sah zu der Duftkerze mit dem weihnachtlichen Zimtduft, die schon seit dem letzten Weihnachtsfest auf dem Bücherregal stand, schüttelte aber sofort den Kopf. Das wäre zu verrückt. Mein Blick wanderte zum automatischen Duftstecker, der hin und wieder einen Stoß Ozeanfrische abschickte. Ich verdrehte sofort die Augen. Wenn er mir für einen Kuss nahekam, würde er mich mit Sicherheit für verrückt halten, weil ich wie ein Raumspray roch.

In meiner Verzweiflung eilte ich zurück ins Bad und durchwühlte das Körbchen mit den Parfümflaschen. War das Aufgetragene zu billig, dass es den Geruch nicht überdecken konnte? Ehe ich mich entschied, welches Duftmisch-Experiment ich vollziehen sollte, klingelte es.

Da war er schon. Warum war er nur so verdammt pünktlich?

Nach einem letzten kurzen Blick in den Spiegel sauste ich zur Tür, die ich schwungvoll aufriss.

„Hey!“

„Hi“, grüßte ich zurück.

Er sah so verdammt schnuckelig aus. Seine hellbraunen Haare waren nach hinten gegelt. Die funkelnden, grauen Augen sahen mich von oben bis unten an.

„Bist du so weit? Können wir los?“

Ich nahm eine Jacke von der Garderobe, ergriff meine Lederhandtasche und zog die Tür hinter mir zu. Er lief vor, schloss das Auto auf und öffnete die Beifahrertür für mich.

Ob er wohl merkte, wie nervös ich war? Wir hatten schon so viele Abende miteinander verbracht. Dennoch war es heute anders als sonst. Ich fühlte mich unbehaglich, roch immer noch diesen dämlichen Geruch der Eiterbeulen und war total nervös. Hoffentlich würde der Abend nicht in einer Katastrophe enden. Das würde ich heute nicht überstehen.

„Ich habe einen Tisch bei unserem Italiener reserviert“, sagte er, während er das Auto anließ.

Wir waren schon ein paar Mal zusammen dort gewesen, daher freute ich mich ungemein auf die mit Hack gefüllten Cannelloni und die leckere Tomatensauce.

„Wie war dein Tag?“, fragte ich.

„Stressig. Wir haben eine neue Baustelle angefangen.“

Seine Antwort lenkte mich von all den Sorgen über den Geruch ab. Elias arbeitete als Fliesenleger und bildete sich nebenher zum Meister weiter. Sein Traum war es, in Zukunft selbstständig zu sein, um endlich unabhängig von irgendwelchen Chefs zu agieren, die ihm sein Arbeitsleben diktierten. Ich war mir sicher, dass er das schaffte. Sein Selbstbewusstsein und sein Fleiß würden ihm dabei helfen, sein Ziel zu erreichen.

Nachdem er seine Geschichte über den Arbeitsalltag beendet hatte, wollte er wissen, wie es mir ging. Leider fiel mir keine geeignete Antwort ein. Noch wusste er nichts über meine körperliche Verfassung und jetzt während der Autofahrt war nicht der richtige Moment, davon zu berichten. Daher hangelte ich das Gespräch an meinem Arbeitstag entlang und vermied es, die Frage konkret zu beantworten.

 

Sobald wir an unserem Tisch saßen, schauten wir schweigend in die Karte.

„Ich denke, ich nehme die Pizza Margarita.“

„Ich nehme mal wieder die Cannelloni.“ Ich schloss die Karte.

Ein Kellner brachte uns die bestellten Getränke und nahm unsere Bestellung auf. Da die Kerze auf dem Tisch bisher nicht brannte, zündete er sie an und verließ uns.

„Hör zu, wegen neulich …“, begann Elias das Gespräch, doch ich war mir nicht sicher, ob wir das weiter besprechen sollten.

Elias sah mich mit großen Augen an. „Es tut mir wirklich leid.“

„Ich weiß und ich nehme die Entschuldigung an, aber lass es uns nicht weiter zerkauen. Passiert ist eben passiert.“

Vielleicht kam ich dann darum herum, mich jetzt offenbaren zu müssen. Ich hatte einfach zu große Angst und brauchte noch ein wenig mehr Zeit.

„Sicher?“

Ich nickte schweigend.

Sein Blick drang in meinen. Ich versank in seinen grauen Augen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und meine Hände wurden schwitzig.

„Ich finde aber schon, dass wir das klären sollten.“

„Was möchtest du denn dazu noch besprechen?“

Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich wusste, dass ich es ihm irgendwann sagen musste, aber in mir sträubte sich alles. Würde er einfach fortrennen und mich hier zurücklassen?

„Ich wüsste gern, was ich falsch gemacht habe.“

„Zuallererst darfst du ein Nein nicht einfach ignorieren.“

„Ja, schon klar.“

„Ich werde dir schon signalisieren, wenn ich bereit bin.“

Wenngleich ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht abschätzen konnte, wann dieser Moment eintreten würde, musste ich ihm Zugeständnisse machen. Für mich war es schwierig, meinen Körper nackt zu zeigen und jemandem genug zu vertrauen, um ihm meine Krankheit zu offenbaren. Sie stank und war ekelhaft. Ausgerechnet an all den Stellen, die intim und so verwundbar waren.

Er legte eine Hand auf meine und strich mit einem Finger über meinen Handrücken. Seine grauen Augen funkelten mich weiterhin an. Ich wünschte, ich könnte über meinen Schatten springen, denn das hier könnte der erste Abend von vielen sein, die wir in Zweisamkeit als Paar verbringen würden.

„Habe ich dir schon gesagt, wie schön du bist?“, flüsterte er.

Seine Worte waren wie Balsam auf meiner geschundenen Seele. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf. Mein Blick senkte sich auf den Tisch.

„Du bist hier die Schönste. Ich bin froh, dass du hier bist und mir noch eine Chance gibst.“

Seine Worte umschmeichelten mich und ließen sofort Hitze in meinem Gesicht aufsteigen. Verunsichert biss ich mir auf die Unterlippe. Wieso fiel es ihm nicht schwer, so etwas zu sagen? Ich sah an mir herab. Genau wie vorgestern trug ich eine locker sitzende Jeans und eine Bluse, die meine Rundungen durch die weite Passform kaschierte. Es war nichts Besonderes, aber komfortabel. Bei der Auswahl in meinem Kleiderschrank gab es für dieses eher kühle, frühlingshafte Wetter auch nicht so viel Schönes.

Aber Geschmäcker waren bekanntlich verschieden. Vielleicht gefiel ich ihm wirklich. Er beugte sich über den Tisch. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich überwand die Distanz und gab mich seinem Kuss hin. Seine weichen Lippen waren genau so, wie ich es in Erinnerung hatte. Die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten wie verrückt zu ihrem ganz eigenen Takt. Ich genoss das Gefühl, das mich dazu brachte, mich tiefer in den Kuss hinein sinken zu lassen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit lösten wir uns voneinander. Schweigend tranken wir einen Schluck. Kaum hatte Elias sein Glas abgestellt, erzählte er mir weitere Anekdoten aus seinem Arbeitsalltag.

Schließlich wurden wir unterbrochen, weil unser Kellner mit dem Essen am Tisch stand.

„Die Pizza Margarita“, fragte er, was Elias mit einem Nicken als seine Bestellung bestätigte.

„Die Cannelloni.“

Ich blickte dem Kellner für einen kurzen Augenblick direkt in die Augen. Sie waren braun. Leuchtend. Schön. Sofort vergaß ich alles um mich herum. Versank regelrecht in diesen funkelnden Edelsteinen. Eine wohlige Gänsehaut kroch über meinen gesamten Körper und es schauderte mich ein wenig. Etwas passierte mit mir, doch konnte ich es nicht einordnen.

„Können wir noch eine neue Karaffe Rotwein bekommen?“, unterbrach Elias den Moment.

„Sehr gerne.“ Ohne einen weiteren Blick verließ der Kellner unseren Tisch, doch hinterließ dies eine Spur der Verwirrung in mir. Was war das nur gewesen?

5

Es war mehr Rotwein geflossen, als ich zu trinken geplant hatte. Leicht schwankend taumelte ich zur Haustür. Zum Glück hatte ich am nächsten Tag Spätschicht.

Elias hatte es sich nicht nehmen lassen, mich zu bringen. „Und du bist sicher, dass du es allein schaffst?“, fragte er erneut, obwohl ich ihm das schon mindestens drei Mal auf dem Weg zur Tür beteuert hatte.

„Ich bin nur ein bisschen angetrunken.“ Ich winkte ab, doch ohne erkennbaren Grund sprang das Türschloss vor meinen Augen umher. „Na komm schon“, stieß ich beim nächsten Versuch, es mit dem Schlüssel zu treffen, genervt hervor.

Elias nahm mir wortlos den Schlüsselbund ab und schloss für mich auf.

„Das Schloss ist auf deiner Seite“, entgegnete ich, was mich aber dann doch zum Kichern brachte.

Er schob mich in den Hausflur und ließ die Tür hinter mir zufallen. „Vielleicht sollte ich heute Nacht besser bei dir bleiben.“

„Nein, ich kann das schon. Ich bin ein großes Mädchen.“ Ich hörte selbst, wie wenig überzeugend ich, mit meinem vom Alkohol verzerrten Gequatsche, klang.

Versehentlich warf ich die Metallschale, in der ich meine Schlüssel aufbewahrte, zu Boden. „Ups.“

Elias bückte sich und hob sie auf. Ich legte den Schlüsselbund hinein und streifte mir beim Gehen die Schuhe von den Füßen. Fast fiel ich dabei hin, aber zum Glück konnte ich mich gerade noch am Türrahmen festhalten. Wein war echt tückisch. Wie viele Gläser hatte ich getrunken? Drei? Vier? Bei den Karaffen und dem ständigen Nachfüllen von Elias und dem Nachschub, den der Kellner gebracht hatte, konnte ich das nicht mehr nachvollziehen.

„Keine Widerrede. Ich bleibe bei dir.“

„Das geht nicht“, sagte ich abwehrend und hickste laut. Na toll – jetzt kam auch noch Schluckauf dazu.

„Warum geht das nicht?“

„Nein heißt nein!“ Mit erhobenem Finger wiederholte ich, was ich vorhin zu ihm gesagt hatte.

„In diesem Fall wäre es für dich besser, wenn ich bleibe.“

Ich ließ mich auf den Sessel sinken. So groß die Sehnsucht auch war, die Nacht nicht allein verbringen zu müssen, genau so groß war die Scham, dass er meine Krankheit entdecken würde. Für die Reaktion war ich nicht bereit.

„Ich bin ekelig. Das geht einfach nicht“, sprach mein betrunkener Körper schneller, als ich ihn aufhalten konnte.

Verdammt.

„Was soll das denn heißen? Du bist nicht ekelig.“ Elias hatte sich mittlerweile vor mich hingehockt. „Du bist wunderschön. Weißt du das denn gar nicht?“

Ich sah in seine grauen Augen. Verwirrt überlegte ich, wie ich aus der Situation herauskommen sollte, konnte meine Gedanken aber nur mühsam fokussieren. Verdammter Wein.

Er beugte sich vor und strich mir ein paar blonde Strähnen aus dem Gesicht. „Ich mag dich so, wie du bist.“

Ich biss mir auf die Unterlippe. Wenn er die Wahrheit wüsste, würde er vollkommen anders von mir denken. Vermutlich sollte ich es endlich hinter mich bringen. Sofern er felsenfest davon überzeugt war, dass ich bildschön war, würden ihn meine verdammten Narben und Beulen nicht stören. Ich knöpfte langsam die Bluse auf. „Willst du mich?“ Dank des Alkohols war ich selbstsicherer als sonst.

Er beäugte mich argwöhnisch.

Ich zog die Bluse von meinen Armen und schmiss sie zu Boden.

„Elias! Willst du mich?“, wiederholte ich mit drängendem Ton. Ich beugte mich vor und küsste ihn. Er schmeckte nach Tomate und Cola. Eine merkwürdige Kombination. Da fiel mir wieder ein, was er gegessen hatte. Das brachte mich zum Kichern.

„Ist das dein Ernst?“

„Ja, komm mit!“ Ich zog ihn hinter mir her ins Schlafzimmer. Langsam schob ich ihn zum Bett. Mit zittrigen Fingern zog ich ihn aus, knöpfte die Jeans auf. Ich versuchte, zu verdrängen, wie ich aussah und wie viele Pflaster auf meinem Körper verteilt klebten. Den Geruch hatte ich längst vergessen. Wenn ich bildschön war, würde es ihn zudem nicht stören. Dann wäre es wie ein Muttermal, das niemand in Frage stellte. Gewiss hatte ich es mir nicht ausgesucht.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen. Ich wollte es. Er war heiß, sympathisch und ein Kandidat für eine langfristige Beziehung. Warum länger warten? Je tiefer meine Gefühle für ihn wurden, desto größer wäre die Enttäuschung, sofern er sich deswegen von mir abwenden würde. Wenn er nicht akzeptierte, dass mein Körper nicht perfekt war und es niemals sein würde.

Endlich löste sich Elias aus seiner Starre, zog mich in seine Arme und küsste mich leidenschaftlich.

„Aber nicht, dass du mir nachher vorwirfst, ich hätte ausgenutzt, dass du betrunken warst“, brachte er zwischen den Küssen hervor.

„Ich will das.“

Seine Hose sank endlich zu seinen Knöcheln. Ehe ich mich versah, drängte er mich aufs Bett. Seine Hände fuhren über meinen Körper. Er schob das Top hoch und zog es mir aus.

Wenn er jetzt genau hinsah, würde er sehen, was unter meinen Achseln los war, doch er beachtete es keinen einzigen Moment. Die Angst wurde unaufhaltsam größer. Ich kniff die Augen zusammen und ließ schnell die Arme sinken. Erste Hürde geschafft.

Seine Lippen strichen über meinen Hals. Dabei öffnete er meine Jeans, schob sie eilig von meinen Hüften und warf sie zu Boden. Es ging mir ein wenig zu schnell. Aber es hatte dennoch etwas Gutes, dass er sich keine Zeit ließ: So würde er gar nicht bemerken, wie viele Narben ich versuchte zu verstecken.

„Du bist so schön.“ Er seufzte genüsslich, während er meinen Brustansatz küsste. Dann zog er den Cup hinunter und umspielte meine Brustwarzen. Solange der BH an blieb, würde er nichts sehen, was er nicht unbedingt angucken musste. Dennoch war ich total unentspannt und spürte kaum Erregung. Die Nervosität, wann er endlich mein Geheimnis entdecken würde, brachte mich fast um den Verstand.

Er schob seine Hand in meinen Slip. Ich zog zischend die Luft ein und wartete auf das Unheil. Es passierte aber nichts. Er fuhr unbeirrt fort, dabei musste er doch das Pflaster bemerkt haben. Seine Finger drangen zwischen meine Schamlippen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich war völlig trocken, daher war das nicht sonderlich angenehm, doch versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen.

---ENDE DER LESEPROBE---