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Chelsea dachte, sie hätte den Mann ihres Lebens gefunden. Doch Elec verlässt sie für seine Jugendliebe, und Chelsea ist am Boden zerstört. Hat sie sich seine Gefühle nur eingebildet? Erst ihr Nachbar Damien lenkt sie von ihrem Kummer ab. Denn er ist unhöflich, und seine lauten Hunde rauben ihr den Schlaf. Sie kann ihn nicht ausstehen! Leider ist er sowohl ihr Vermieter als auch der schönste Mann, den sie je gesehen hat. Sie findet ihn unwiderstehlich ... Doch Damien geht aus einem guten Grund keine Beziehungen ein, und sein Geheimnis könnte Chelseas Herz erneut in tausend Teile brechen.
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Seitenzahl: 467
Buch
Chelsea dachte, sie hätte die wahre Liebe gefunden – den Mann, mit dem sie alt werden wollte. Doch Elec verlässt sie für seine Jugendliebe, und für Chelsea bricht eine Welt zusammen. Wie können Gefühle, die sich so groß und echt anfühlen, einfach verschwinden? Sie weiß, dass Selbstmitleid gefährlich ist, und tut ihr Möglichstes, um sich abzulenken. Doch erst ihr unhöflicher Nachbar Damien, Besitzer zweier lauter Hunde, lässt sie ihren Kummer vergessen: Denn er raubt ihr den letzten Nerv. Leider ist er sowohl ihr Vermieter als auch der unwiderstehlichste Mann, den sie je gesehen hat, weshalb jede Konfrontation mit ihm damit endet, dass Chelsea unkontrolliert errötet. Und irgendwann muss sie sich eingestehen, dass sie sich in den rüden Künstler von nebenan verliebt hat. Doch Damien geht aus einem guten Grund keine Beziehungen ein, und sein Geheimnis könnte Chelseas Herz erneut in tausend Teile brechen …
Weitere Informationen zu Penelope Ward sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.
Penelope Ward
Neighbor
Dearest
Roman
Übersetzt von Julia Brennberg
Prolog
Als sein Wagen vor unserem Haus hielt, wurde mir ganz flau. Ich wusste es einfach. Die letzten paar Wochen hatten sich angefühlt wie ein Gewitter, das sich langsam zusammenbraut. Ich könnte nicht sagen, warum, aber aus irgendeinem Grund spürte mein Herz, dass heute der Abend sein würde, an dem es in tausend Teile zerschlagen würde.
Es hatte ja sowieso schon Sprünge bekommen.
Elec war verändert, seit er vor einigen Wochen vom Begräbnis seines Vaters in Boston zurückgekehrt war. Er hatte alle nur denkbaren Ausreden vorgebracht, warum er nicht mehr mit mir schlafen könne. Ja, wirklich. Mein Freund – die Liebe meines Lebens – mit dem unersättlichen sexuellen Appetit hatte plötzlich kein Verlangen mehr nach mir. Als wäre in ihm ein Schalter umgelegt worden. Das war das erste Indiz, aber es gab noch mehr Hinweise, dass der Typ, den ich für meinen Seelenverwandten gehalten hatte, sich irgendwie von mir entliebt hatte.
Seit seiner Rückkehr hatte er die Abende wie ein Besessener schreibend verbracht, anstatt ins Bett zu kommen – alles, um mir auszuweichen. Seine Küsse, die immer so leidenschaftlich gewesen waren, konnte man gerade noch als zärtlich, manchmal nur noch als keusch bezeichnen.
Ich wusste zwar, was da passierte, aber ich hatte keine Ahnung, wie oder warum. Ich hatte geglaubt, dass er mich liebte. Hatte es so lange gespürt. Das war echt gewesen. Also wie konnten sich die Dinge so schnell ändern?
Die Tür öffnete sich langsam. Mein Körper wurde starr, nachdem ich mich im Bett aufgesetzt hatte. Ich war auf das Schlimmste gefasst.
Elec nahm seine Brille ab und legte sie auf den Schreibtisch. Dann schob er nervös die Hände in seine Hosentaschen. Ich bezweifelte, ob diese Hände meinen Körper jemals wieder streicheln würden. Seine Augen waren gerötet. Hatte er im Auto geweint? Dann kamen die Worte, die jegliches Vertrauen in mein Urteilsvermögen vernichten sollten.
»Chelsea, bitte glaub mir, dass ich alles in meiner Macht Stehende versucht habe, um dir nicht wehzutun.«
Der Rest war ein Durcheinander, verdrängt von dem riesigen Schmerz und der Trauer, die sich in meiner Brust ausbreiteten und meinen Verstand betäubten.
Ich wusste nicht, wie ich mich jemals von dieser Verletzung erholen sollte, wie ich je wieder auf die Liebe vertrauen sollte. Denn ich war wirklich davon überzeugt gewesen, dass er mich liebte. Ich hatte geglaubt, diese Liebe sei unzerstörbar.
Ich hatte mich geirrt.
Kapitel 1
Übersinnliches Gehör
Meine kleine Schwester ist eine Drama Queen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Jade spielt tatsächlich am Broadway.
Sie klatschte in die Hände und applaudierte den Schülern, die gerade mutig für das Musical Joseph vorgesprochen und -gesungen hatten. »Ihr wart heute alle echt großartig! Morgen verteilen wir die Rollen und fangen gleich mit unserer ersten Probe an. Das wird episch!«
Jade war für eine Woche zu Besuch bei der Familie in der Bay Area. Sie hatte angeboten, in dem Jugendzentrum, wo ich arbeitete, ehrenamtlich zu helfen. Weil die Zeit nicht für ein ganzes Stück reichte, hatte Jade vorgeschlagen, nur eine Schlüsselszene aus dem Musical mit den Kids einzustudieren, die dann Ende der Woche aufgeführt werden sollte.
Ich liebte meinen Job als Leiterin der Kunstabteilung im Mission Youth Center. Er war so ungefähr das Einzige in meinem Leben, was funktionierte. Der Nachteil bestand darin, dass mich dort alles an meinen Ex Elec erinnerte, der früher als Sozialpädagoge dort gearbeitet hatte. So hatten wir uns auch kennengelernt. Er hatte seinen Job ebenfalls geliebt, bis er nach unserer Trennung kündigte, um nach New York zu gehen. Er war umgezogen, um bei ihr zu sein. Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken an ihn und Greta zu verscheuchen.
Jade griff nach ihrer Handtasche. »Ich muss noch mal in deine Wohnung, um mich ein bisschen frisch zu machen und einen Happen zu essen.«
Ich war eben erst in eine neue Wohnung, nur ein paar Blocks von meinem Job entfernt, umgezogen. Der Vertrag für die Bleibe, die ich auf der anderen Seite der Stadt zusammen mit Elec gemietet hatte, war endlich ausgelaufen. Obwohl mein Ex mir seinen Anteil der Miete für die noch verbleibende Zeit geschickt hatte, konnte ich es kaum erwarten, dort rauszukommen. Jeder Winkel erinnerte mich an ihn und die schlimmen Monate, die ich nach unserer Trennung durchgemacht hatte.
Meine neue Wohnung lag in der südlichen Mitte des Mission District. Ich liebte die Atmosphäre in meinem neuen Viertel. Die Straßen waren von Cafés und Ständen mit Obst und Gemüse gesäumt. Es gab viel Latino-Kultur, was zwar toll war, mich aber auch wieder an Elec erinnerte, der halber Ecuadorianer war. Das Leben war einfach voller kleiner Erinnerungen an den Kerl, der mir das Herz gebrochen hatte.
Jade und ich spazierten den Gehsteig entlang, und sie kaufte ein paar Papayas an einem Stand. Daraus wollte sie uns einen Smoothie zubereiten. Außerdem gönnten wir uns noch zwei Kaffees zum Mitnehmen.
Ich öffnete den Deckel meines Bechers, als wir weiterschlenderten. »Na, Schwesterchen, das hätte ich auch nie gedacht, dass wir uns mal gleichzeitig im selben Beziehungsstatus befinden würden.«
Jade war kürzlich von ihrem Freund, einem Musiker, verlassen worden.
»Ja. Der Unterschied besteht nur darin, dass ich in meinem Alltag so viel mehr Ablenkung habe als du. Dabei ist es nicht so, dass ich nie an Justin denke. Und dass ich nie traurig wäre, aber meine Aufführungen beschäftigen mich derart intensiv, dass mir fast keine Zeit bleibt, um mich in meinem Kummer zu suhlen, verstehst du?«
»Ich hab dir schon von meinen Therapiestunden am Telefon erzählt, oder?«
Jade nippte an ihrem Kaffee und schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Also, ich habe da diese Psychologin entdeckt, die auf Traumata nach gescheiterten Beziehungen spezialisiert ist, aber sie wohnt leider in Kanada. Jedenfalls haben wir einmal pro Woche eine Therapiesitzung am Telefon.«
»Und hilft es?«
»Es hilft immer, über eine Sache zu reden.«
»Klar. Aber, und das ist jetzt nicht bös gemeint, du wirkst nicht so, als ginge es dir besser. Du kannst doch auch mit Claire oder mir darüber reden. Jedenfalls brauchst du nicht einen Haufen Kohle ausgeben, um mit jemand Fremdem zu reden.«
»Die einzige Zeit, wenn ich überhaupt mit jemandem reden kann, ist abends. Da hast du deine Auftritte, und Claire ist dann vollauf damit beschäftigt, eine glückselige frischgebackene Ehefrau zu sein. Außerdem hatte sie noch nie Liebeskummer. Sie kann bestimmt zuhören, aber sie kapiert es nicht.«
Unsere ältere Schwester Claire hat ihre Highschool-Liebe geheiratet. Zwar standen wir drei uns während unserer Kindheit in der Nähe von Sausalito alle nahe, doch war es mir immer lieber, mich Jade anzuvertrauen.
Als wir bei meinem Apartmenthaus ankamen, blieb meine Schwester stehen und setzte sich auf eine der Bänke in der Ecke des umzäunten Innenhofs. »Lass uns hier noch unseren Kaffee austrinken.« Dann wanderte ihr Blick über den Rasen zu meinem Nachbarn, der mal wieder obenrum nackt war. »Okay … wer ist denn der Hottie mit der Beanie, der das ganze Anwesen verunstaltet?«
»Was hast du bloß immer mit Beanies?«
»Justin hat immer eine getragen. Deshalb mag ich sie. Schlimm, was?«
»Das ist echt schlimm.«
»Sagt diejenige, die immer noch im Shirt von ihrem Ex schläft.«
»Es ist einfach gemütlich. Das hat nichts mit Elec zu tun«, log ich. Das war die einzige Sentimentalität, die ich mir erlaubte. Es machte mich traurig, aber ich trug es trotzdem.
»Also … wer ist der Typ?«
Ich kenne den Namen meines Nachbarn nicht, aber ich hatte ihn einmal gesehen, als er Graffiti an die Betonmauer sprühte, die das Grundstück umgab. Was er da sprayte, war echte Kunst gewesen, nicht irgendein Graffiti. Das Ganze stellte eine Mischung aus Sternbildern und geografischen Motiven dar. Der Typ fügte immer wieder Neues hinzu, quasi work in progress. Ich konnte nur vermuten, dass er vorhatte, die ganze Einfriedung zu gestalten und die komplette Mauer auszunutzen.
»Er wohnt im selben Gebäude, sogar direkt nebenan.«
»Was treibt er denn da? Haben die ihm das erlaubt?«
»Keine Ahnung. Als ich ihn das erste Mal hier draußen sah, dachte ich noch, das wäre Vandalismus. Aber es scheint keinen zu stören, und offenbar hindert ihn niemand daran. Er vergrößert das Wandgemälde jeden Tag. Es ist wirklich ganz schön. Wobei ich finde, dass es nicht zu seiner Persönlichkeit passt.«
Jade pustete in ihren Kaffee. »Wie meinst du das?«
»Er ist nicht besonders nett.«
»Hast du mal mit ihm geredet?«
»Nein. Er ist einfach unfreundlich. Ich hab’s mal mit Blickkontakt versucht, aber er marschierte nur an mir vorbei. Und dann hat er noch diese zwei Riesenköter, die ziemlich fies sind. Sie bellen andauernd. Mit denen geht er jeden Morgen spazieren.«
»Vielleicht ist er so eine Art Inselbegabter. Du weißt schon, weil er richtig gut malt. Oder vielleicht ein Genie mit beschränkten sozialen Fähigkeiten. Wie nennt man das doch gleich … Asperger?«
»Nein. Er kann durchaus kommunizieren. Ich hab ihn schon ein paar Leute anbrüllen hören. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er so was nicht hat. Der Typ ist einfach unfreundlich. Der hat kein Asperger. Ist eher nur ein Arschloch.«
Jade lachte glucksend. »Ich finde, du solltest unbedingt mal mit einem Körbchen voller frisch gebackener Muffins bei ihm vorbeischauen. Das macht man unter Nachbarn doch so. Vielleicht wird er dann ein bisschen lockerer … oder macht dich lockerer.«
»Muffins, ja? Was sollte ich ihm deiner Meinung nach damit signalisieren?«
»Du bringst ihm einfach Muffins. Wenn ich hier wohnen würde, ich würde es sofort machen. Aber ich wohne hier ja nicht. Du schon. Und du brauchst dringend mal Ablenkung. Ich sage dir … das ist er.«
Ich bewunderte seine breiten Schultern und den gebräunten muskulösen Rücken, während er beim Sprayen den Arm auf und ab bewegte. »Meine Güte, erinnert er dich denn nicht an Elec? Tattoos auf den Armen … dunkelhaarig. Künstler. Ganz ehrlich, das ist die letzte Sorte Typ, die ich gerade brauche.«
»Das heißt, wenn einer aussieht wie Elec oder ihm sonst wie ähnelt, dann scheidet er automatisch aus? Weil er sich genau wie Elec verhalten würde? Glaubst du das? Das ist doch total dämlich.«
»Vielleicht ist es dämlich. Aber das Letzte, was ich will, ist nun mal jemand, der mich auch nur im Geringsten an ihn erinnert.«
»Tja, jammerschade, denn Elec war verdammt heiß, und dieser Kerl … ist sogar noch heißer.«
»Kannst du mir verraten, warum wir das hier diskutieren? Der Typ grüßt mich noch nicht mal. Er hat sich nicht für diese eingebildete Version von Die Bachelorette angemeldet. Er ist nicht an mir interessiert.«
In dem Moment wischte mein Neighbor Dearest sich plötzlich den Schweiß von der Stirn, nahm die Schutzmaske vor Nase und Mund ab und steckte die Spraydosen in einen schwarzen Seesack. Den warf er sich dann über die Schulter. Als ich schon dachte, er würde den Innenhof verlassen und verschwinden, kam er direkt auf uns zu. Verärgert stellte ich fest, dass mein Puls sich beschleunigte.
Sein Blick war auf mich gerichtet. Zwar starrte er mich nicht wütend an, aber er lächelte auch nicht. Das Sonnenlicht fiel direkt in seine blauen Augen und ließ sie im Kontrast zu seiner gebräunten Haut erstrahlen. Jade hatte recht. Der Typ sah wirklich umwerfend aus.
»Die mit Blaubeeren mag ich am liebsten«, sagte er.
»Was?«
»Muffins.«
»Oh.«
Jade schnaubte, sagte aber nichts und überließ die ganze Peinlichkeit mir.
»Und ich bin weder unsozial noch inselbegabt. Ich bin nur ein guter alter Dreckskerl … mit übersinnlich scharfem Gehör.«
Dann grinste er und marschierte davon, bevor ich irgendetwas erwidern konnte.
Als er definitiv außer Hörweite war – diesmal wirklich –, seufzte Jade. »Wütend sind sie im Bett am besten.«
»Du kannst es einfach nicht lassen, was? Hast du nicht schon genug Schaden angerichtet? Ich habe dir schon immer gesagt, dass du noch laut redest, wenn du schon glaubst zu flüstern. Da haben wir den Beweis … auf meine Kosten.«
»Du wirst mir später noch dankbar sein, wenn er den wahren Künstler rauslässt und dich beim Orgasmus zum Schreien bringt.«
»Du spinnst.«
»Dafür hast du mich so lieb.«
»Stimmt.«
Kapitel 2
Höhepunkt mit Gebell
Eine Woche später war Jade wieder in New York. Ich vermisste sie wie verrückt. Es gab nur einen einzigen Grund, warum ich sie nicht gleich besuchte, nämlich weil Elec dort mit Greta zusammenlebte. Obwohl es extrem unwahrscheinlich war, ihm zufällig zu begegnen, konnte ich mir trotzdem noch nicht vorstellen, in das Territorium der beiden einzudringen.
Angry Artist und ich waren uns seit dem peinlichen Vorfall, als Jade hier zu Besuch war, nicht mehr über den Weg gelaufen. Aber auch wenn ich ihm nicht begegnete, weckten mich fast jeden Morgen seine Hunde mit ihrem irren Gebell auf. Seitdem ich nachmittags im Jugendzentrum arbeitete, hatte ich morgens frei. Nachts fiel es mir oft schwer zu schlafen, und darum brauchte ich eigentlich die Vormittage, um mich noch etwas auszuruhen.
So langsam konnte ich das Gekläffe nicht mehr ertragen. Wenn der eine Hund nicht bellte, dann tat es der andere. Die meiste Zeit kläfften sie allerdings einträchtig im Chor. Es interessierte mich nicht, wie einschüchternd gut aussehend er war, ich musste dringend mit meinem Nachbarn sprechen.
Am Dienstagmorgen kroch ich müde aus dem Bett und schlüpfte in den erstbesten Jogginganzug. Nachdem ich etwas Abdeckcreme unter meine Augen getupft hatte, ging ich rüber zu seiner Wohnungstür und klopfte.
Er öffnete in einem eng anliegenden weißen T-Shirt. Sein Haar war noch vom Schlafen zerzaust. »Kann ich was für dich tun?«
»Wir müssen über deine Hunde reden.«
»Wie? Kein Körbchen mit Muffins?«
»Nein. Tut mir leid. Ich hätte auch gar nicht die Kraft zu backen, weil ich wegen des ständigen Gebells deiner Tiere nicht schlafen kann.«
»Es gibt nichts, was ich dagegen tun kann. Ich habe schon alles versucht. Sie hören einfach nicht damit auf.«
»Und was meinst du, sollen wir anderen hier im Haus tun?«
»Keine Ahnung. Ohrstöpsel besorgen?«
»Jetzt mal im Ernst: Es muss doch irgendetwas geben, was du dagegen unternehmen kannst.«
»Außer ihnen einen festen Maulkorb anzulegen – was ich aber nicht tun werde – gibt es keine Möglichkeit. Hörst du sie übrigens jetzt gerade bellen?«
Aus irgendwelchen Gründen hatten die beiden aufgehört.
»Nein. Aber es ist selten, dass sie morgens so still sind wie jetzt, und das weißt du auch.«
»Also, wenn du dich beim Vermieter beschweren willst, nur zu. Ich kann dich nicht aufhalten. Aber es gibt nichts gegen das Bellen, das ich nicht schon versucht hätte. Die beiden haben ihren eigenen Kopf.«
»Tja, dann werde ich mich wohl an den Vermieter wenden müssen. Schönen Dank auch, dass du mir diesen Weg aufgezeigt hast. Ansonsten danke für gar nichts«, sagte ich und ging. Kurz danach hörte ich, wie er seine Wohnungstür zuwarf.
In dem Augenblick, als ich wieder mein Apartment betrat, begann das Gebell von Neuem.
Zurück in meinem Bett wusste ich, dass es vermutlich nur eine Sache gab, die ich tun konnte, um mich genug zu entspannen und trotz des Gebells einzuschlafen. Dennoch wollte ich nicht gleich darauf zurückgreifen, sondern schnappte mir stattdessen meine Kopfhörer, die Außenlärm ausblenden konnten, und setzte sie mir auf. Obwohl ich keine Musik hörte, halfen die Kopfhörer. Allerdings lag ich auf der Seite. Und die Dinger waren nur eine Lösung, wenn ich auf dem Rücken lag. Doch in der Position lag ich nur, wenn ich masturbierte. Und warum dachte ich eigentlich plötzlich an Angry Artist? Leider beschwor der Gedanke, mich selbst zu berühren, umgehend unerwünscht Bilder von ihm herauf. Ich wollte nicht auf diese Weise an ihn denken. Er war ein Idiot. Er hatte es überhaupt nicht verdient, zum Objekt meiner Lust zu werden. Aber er hatte so verdammt gut gerochen, nach Gewürzen, Moschus und Mann. Wir alle haben keine Kontrolle über das, was in unserer Fantasie vor sich geht. Die Tatsache, dass er fies und unerreichbar war, machte ihn für meine verbotenen Gedankenspielchen nur noch attraktiver. Genauso wie ich es im Psychologiekurs im College gelernt hatte, führten unterdrückte Gedanken oft zu bloßem Verlangen. Wenn man sich selbst befiehlt, nur ja nicht an etwas Bestimmtes zu denken, beschäftigt es einen nur noch mehr.
Ich schob die Hände in meinen Slip und begann, meine Klitoris zu streicheln. Gott, ich kannte ja nicht einmal seinen Namen. Das Ganze war verrückt, aber in diesem Moment spielte es keine Rolle. Ich stellte mir vor, wie er sich über mich beugte, in mich stieß und mich wütend entschlossen vögelte. Während der ganzen Zeit, als ich mich lustvoll vor und zurück bewegte, war im Hintergrund immer noch das Gebell zu hören, und es brachte mich zu einem der weltbesten Höhepunkte, die ich je erlebt hatte.
Erschöpft ließ ich mich zurücksinken und schlief eine Stunde lang tief und fest.
Als ich wieder erwachte, fiel das Licht der späten Morgensonne durchs Fenster. Meine schläfrigen Augen blinzelten, und ich stellte fest, dass das Gebell aufgehört hatte. Die Hunde waren wohl auf ihrer morgendlichen Runde.
Bis ich bei der Arbeit erwartet wurde, waren noch ein paar Stunden Zeit, also beschloss ich, die Telefonnummer des Hausbesitzers herauszusuchen. Es gab zwar eine Hausverwaltung für das Gebäude, aber die Dame, die dort arbeitete, verhielt sich ziemlich gleichgültig.
Ich nahm an, sie würde meine Beschwerde über das Bellen nicht ernst nehmen, darum beschloss ich, mich gleich nach ganz oben zu wenden. Bisher hatte ich nur diese eine Dame im Büro für die Vermietungen kennengelernt, aber noch nie mit dem Vermieter selbst gesprochen.
Meine Internetrecherche ergab den Namen D. H. Hennessey Comp. Ich wählte die Kontakttelefonnummer, doch dort erreichte ich nur einen Anrufbeantworter mit Standardbegrüßung. Ich wollte aber mit jemandem persönlich sprechen, darum legte ich auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Dann bemerkte ich, dass die angegebene Adresse der Firma hier im Haus in der ersten Etage sein musste. Sofort beschloss ich, dorthin zu gehen. Ich schlüpfte in ein Kleid und hübsche Schuhe und bürstete mir die Haare.
Vor der entsprechenden Tür im ersten Stock angekommen, atmete ich tief ein und klopfte. Als ich sah, wer die Tür öffnete, kippte ich beinahe um.
Angry Artist stand vor mir, mit nacktem Oberkörper und wieder dieser verdammten Beanie auf dem Kopf. Mein Herz hämmerte. Schweiß rann ihm über die muskulöse Brust, sodass mir beinah das Wasser im Mund zusammenlief.
»Kann ich was für dich tun?« Die gleiche Frage wie heute Morgen, als er mir die Tür zu seinem Apartment geöffnet hatte. Es fühlte sich wie ein Déjà-vu an, wie eine Szene aus Twilight Zone oder aus einem Albtraum, in dem, egal an welche Tür ich auch klopfe, immer wieder Angry Artist öffnete.
»Was machst du denn hier?«
»Das ist meine Wohnung.«
»Nein. Die befindet sich direkt neben meiner.«
»Stimmt. Das ist mein Apartment. Dies hier ist mein Atelier und mein Fitnessraum.«
»Aber unter dieser Adresse soll der Vermieter zu finden sein.«
Ein ironisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Als es mir dämmerte, fühlte ich mich plötzlich wie der dümmste Mensch auf Erden: Er war der Vermieter. Darum hatte der Scheißkerl mich auch ermutigt, eine formale Beschwerde an den Vermieter zu richten.
»Du bist D. H. Hennessey …«
»Ja. Und du bist Chelsea Jameson. Absolut kreditwürdig, beste Referenzen … chronische Meckerziege.«
»Na, das erklärt ja einiges … Zum Beispiel, warum du trotz Verschandelung des Grundstücks davonkommst und dich wie ein totales Arschloch gegenüber deinen Nachbarn verhältst.«
»Ich würde meine kreative Kunst eigentlich nicht als Verschandelung des Grundstücks bezeichnen. Hast du dir denn die Nachbarschaft noch nicht angesehen? Das ist eine Pilgerstätte für Kunstliebhaber. Meine Werke sind bei Weitem nicht die einzigen Wandgemälde. Und wegen der Hunde regst du dich zu sehr auf. Wer nun das wahre Arschloch ist? – Ich würde sagen, darüber könnte man streiten.«
Hinter seinem Rücken waren einige Leinwände mit gesprayter Graffiti-Kunst zu erkennen, genauso wie eine Bank zum Gewichtestemmen und weitere Trainingsausrüstung.
»Und wo sind die Hunde jetzt?«
»Die machen ein Nickerchen.«
»Hunde machen Nickerchen?«
»Ja. Sie machen Nickerchen. Sie holen ihren Schlaf nach, weil sie dein Gemecker heute Morgen davon abgehalten hat«, erklärte er schief grinsend. Erst da bemerkte ich, wie sehr ihn diese Unterhaltung offenbar amüsierte.
»Das D in deinem Namen steht verständlicherweise für Depp?«
Er antwortete nicht gleich, und bevor er etwas sagte, kämpften wir so etwas wie einen kleinen gegenseitigen Anstarrwettbewerb aus. »Das D steht für Damien.«
Damien.
Natürlich musste er auch noch einen attraktiven Namen haben.
»Damien … wie in dem Film Das Omen? Das passt.« Ich blickte mich um. »Weshalb hast du diese Wohnung als Kontaktadresse für deine Mieter eintragen lassen?«
»Oh, keine Ahnung. Vielleicht wollte ich nicht, dass durchgeknallte Leute, die mich für den Antichristen halten, jederzeit in meinem Apartment auftauchen.«
Daraufhin musste ich kurz auflachen. Die Sache war aussichtslos. »In Ordnung, ganz offensichtlich war mein Besuch vergebens. Noch viel Spaß mit deinem Work-out.«
* * *
Am Nachmittag kamen Mitglieder des Sinfonischen Orchesters San Francisco zu Besuch ins Jugendzentrum. Sie gaben ein kleines Konzert für uns. Das Lächeln auf den Gesichtern der Kinder, als sie sich die tollen Instrumente aus der Nähe ansehen durften, bestätigte mir mal wieder, warum ich meinen Beruf so liebte.
Während alle mit unseren Gästen beschäftigt waren, fiel mir eine der Jugendlichen auf: Ariel Sandoval, die sich mit ihrem Handy in eine Ecke verdrückt hatte. Weil das Zentrum ein Ort war, an dem gelernt werden sollte, waren Smartphones & Co. verboten.
Teenager mussten ihre Handys eigentlich am Empfang abgeben und bekamen sie auf dem Weg nach Hause wieder zurück.
»Ariel, ist alles in Ordnung? Du solltest dich wirklich lieber den anderen anschließen.«
Sie schüttelte ablehnend den Kopf. »Tut mir leid. Ich weiß, ich darf mein Handy nicht benutzen. Aber ich brauche es. Und nein, es geht mir nicht gut.«
Ich setzte mich neben sie auf den Boden. Sofort wurde mein Po kalt. »Was ist los?«
»Es geht um Kai. Ich beobachte ihn auf Facebook, um zu sehen, ob ihm jemand nachstellt.«
Kai war ihr fester Freund und ebenfalls Stammgast hier im Zentrum. Er spielte in unserem Basketballteam und war das Objekt der Begierde vieler Mädchen. Als ich herausfand, dass Ariel und Kai zusammen waren, machte ich mir umgehend Sorgen, nicht allein wegen ihres Alters – sie waren beide fünfzehn –, sondern vor allem wegen Kais allgemeiner Beliebtheit.
Also überraschte es mich überhaupt nicht, als sie sagte: »Ich glaube, er trifft sich mit einer anderen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Er ist die ganze letzte Woche nicht hergekommen, und mein Bruder meinte, er hätte Kai mit einem Mädchen in der Mall gesehen.«
Mir wurde ganz flau. Am liebsten hätte ich ihr erklärt, dass sie mit ihrem Eindruck wahrscheinlich nicht falschlag, aber ich war mir nicht sicher, ob sie emotional bereit war, das zu hören.
»Zieh keine falschen Schlüsse, solange du es nicht genau weißt, aber du solltest definitiv mit ihm sprechen. Es ist besser, über diese Dinge Bescheid zu wissen, als später aus heiterem Himmel getroffen zu werden. Du willst ja nicht deine Zeit mit jemandem verschwenden, der es nicht ehrlich meint.«
Wer wüsste das besser als ich?
Auch wenn Elec mich nicht körperlich betrogen hatte, ein emotionaler Betrug war es jedenfalls.
Ariel wischte sich über die Augen und wandte mir dann wieder den Kopf zu. »Kann ich dich was fragen?«
»Klar.«
Mein Magen rührte sich. Ich hatte nicht vor, über Elec zu sprechen, und die Geschichte war viel zu lange her, um noch einmal aufgewärmt zu werden.
Für alle hier war Elec der Lieblingssozialpädagoge gewesen. Als er das Zentrum verließ, waren die Kinder am Boden zerstört. Jeder wusste damals, dass er und ich ein Paar waren, und alle freuten sich darüber.
»Du möchtest wissen, warum wir uns getrennt haben?«
»Ja.«
Wenn ich alles Geschehene in einem Satz zusammenfassen wollte, gab es nur eine Antwort. »Er hat sich in jemand anders verliebt.«
Ariel wirkte durcheinander. »Wie kann man jemanden lieben und sich trotzdem in jemand anders verlieben?«
Ah. Die Frage des Jahres.
»Ich versuche selbst noch, darauf eine Antwort zu finden, Ariel.«
»Ich erinnere mich, wie ihr so miteinander wart. Das sah aus, als würdet ihr euch lieben.«
»Das dachte ich auch«, flüsterte ich.
»Glaubst du, er hat dich eigentlich überhaupt nicht geliebt … oder hat er sich einfach nur in die andere Frau mehr verliebt als in dich?«
Es war, als hätte dieses fünfzehn Jahre alte Mädchen in meiner Seele gegraben und intuitiv die eine Frage herausgepickt, die mich selbst am allermeisten beschäftigte. Ich wollte ehrlich zu Ariel sein.
»Ich bin mir nicht sicher, ob es unterschiedliche Intensitäten von Liebe gibt, oder ob sein Beenden der Beziehung bedeutet, dass er mich niemals geliebt hat. Ich verstehe nicht, wie es überhaupt möglich ist aufzuhören, jemanden zu lieben. Ich versuche, mir ein Bild über diese schwerwiegenden Fragen zu machen. Aber das Entscheidende ist: Wenn dich jemand betrügt, dann liebt er dich nicht.«
Ariel starrte ins Nichts. »Ja.«
Ich stupste sie mit der Schulter an und lächelte aufmunternd. »Weißt du, was das Gute an der Sache ist? Du bist noch so jung und hast genug Zeit, den Richtigen zu finden, falls Kai es nicht ist. Momentan bist du in einem schwierigen Alter, vielleicht sogar im schwierigsten Alter deines Lebens. Ihr beide, Kai und du, seid gerade in so einer Art Hormonrausch und findet erst heraus, wer ihr wirklich seid.«
»Und was ist mit dir?«
»Was mit mir ist?«
»Hast du jemand anderen gefunden?«
»Nein.« Ich hielt kurz inne und blickte auf meine Fußspitzen. »Ich bin mir auch nicht sicher, ob das je wieder passieren wird.«
»Warum nicht?«
Warum sollte ich die Hoffnungen dieses jungen Mädchens zerstören? Warum sollte ich zugeben, nicht zu glauben, je wieder einem Mann vertrauen zu können? Dabei handelte es sich um mein ganz persönliches Problem, und ich weigerte mich, Ariel in meine dunklen Gedanken und Zweifel hineinzuziehen.
»Weißt du was? Alles ist möglich, Ariel«, sagte ich lächelnd.
Wenn ich doch nur an meine eigenen Worte geglaubt hätte.
Kapitel 3
Das Loch in der Wand
»Ich habe nur ein paar Minuten, denn ich muss vor der Vorstellung noch in die Maske, also erzähl mir schnell, was los ist«, meldete sich Jade am Telefon.
Zuvor hatte ich meiner Schwester eine Nachricht geschickt: Das wirst du mir niemals glauben. Ruf an.
Ich schrieb ihr das, nachdem ich die wahre Identität meines Vermieters herausgefunden hatte.
»Also, du erinnerst dich doch an Angry Artist?«
»Du hast mit ihm gevögelt?«
»Nein!«
»Was dann?«
»Es hat sich rausgestellt … dass er der Besitzer des Gebäudes ist.«
»Unglaublich!«
»Das ist nicht gut.«
»Warum nicht? Ich finde es großartig!«, meinte Jade.
»Wieso das denn? Jetzt werde ich diese Hunde niemals dazu bringen, still zu sein.«
»Nein, ich meine eher, wenn ihr beide anfangt, miteinander zu poppen, wirst du nicht einmal mehr Miete zahlen müssen.«
»Ich werde nicht mit ihm poppen. Weil er ein Arsch ist. Und selbst wenn ich jemals in einer weit entfernten, skurrilen Galaxie auf die Idee käme, es zu tun … würde ich auf gar keinen Fall meine Miete nicht bezahlen. Da würde ich mich doch fühlen wie eine Nutte.«
Jade lachte. »Hmmm.«
»Was?«
»Wütender Sex ist der beste, das weißt du doch.«
»Ja, das sagtest du schon mal. Ich kann aber nicht behaupten, in dieser Hinsicht je Erfahrungen gemacht zu haben.«
»Nun, wenn du was anfängst mit … Wie heißt er?«
»Damien. Das ist sein Name. Ich werde jedenfalls keinen wütenden Sex mit Damien haben.«
»Damien? Wie in Das Omen?«
»Das habe ich ihn auch gefragt! Gleich, als er mir seinen Namen verraten hat. Das schien ihn nicht sehr zu freuen.«
»Wann schien er sich denn überhaupt schon mal über was zu freuen?«
Ich musste kichern. »Stimmt.«
»Trotzdem eine heiße Geschichte. Mist … jemand ruft nach mir. Ich muss los.«
»Hals- und Beinbruch!«
»Krall dir den Vermieter!«
»Du bist verrückt.«
»Hab dich lieb.«
»Hab dich auch lieb.«
Gespräche mit meiner Schwester bereiteten mir immer augenblicklich gute Laune.
Da bis zu meiner telefonischen Therapiesitzung noch eine Stunde Zeit war, beschloss ich, mir noch rasch etwas zu essen zu holen. Auf der Treppe nach unten begegnete ich Murray, dem Hausmeister. Er wischte fröhlich pfeifend die Stufen, während die Dutzende von Schlüsseln, die an seinem Gürtel baumelten, klirrten.
»Hi, Murray!«
»Na hallo, wunderschöne Lady.«
»Du arbeitest doch normalerweise dienstags nicht.«
»Hab ein bisschen Ebbe in der Tasche. Und der Boss lässt mich zum Glück ein paar bezahlte Überstunden machen.«
»Apropos Boss … meinst du D. H. Hennessey?«
»Yo … Damien.«
»Weißt du, ich habe ihn gerade erst kennengelernt. Und ich hatte keinen Schimmer davon, dass mein asozialer Nachbar mit den ständig bellenden Hunden tatsächlich mein Vermieter ist.«
Murray schmunzelte. »Yo, das hängt er nicht an die große Glocke.«
»Was ist überhaupt mit ihm los?«
»Du meinst, wie ein so junger Typ dazu kommt, Besitzer dieses Hauses zu sein?«
»Nun ja, das, aber auch, warum er so fies ist?«
»Hunde, die bellen, beißen nicht.«
»Und das meinst du nicht bloß im übertragenen Sinn?«
»Richtig.« Murray lachte. »Tief im Herzen ist Damien ein guter Mensch. Verschafft mir immer Überstunden, wenn ich es brauche, und ist wirklich großzügig an Weihnachten … obwohl er manchmal echt einen Stock verschluckt hat.«
»Einen Stock? Scheint mir eher ein Pfosten zu sein«, schnaubte ich.
»Yo, hin und wieder. Aber hey, er sorgt dafür, dass Essen auf meinem Tisch steht, darum wirst du von mir nie ein böses Wort über ihn hören«, meinte Murray augenzwinkernd.
»Er ist künstlerisch ziemlich begabt«, sagte ich. »Das muss ich ihm lassen.«
»Und er hat auch was im Kopf. Glaub mir. Es geht das Gerücht, dass er einen Abschluss vom MIT hat.«
»Dem berühmten Massachusetts Institute of Technology? Machst du Witze?«
»Nope. Man kann natürlich keinem hinter die Stirn sehen. Aber er hat irgendwas erfunden. Dann die Rechte am Patent verkauft und das Geld in Immobilien investiert. Jetzt sammelt er einfach die Mieten ein und macht, wozu er Lust hat … Kunst zum Beispiel.«
»Wow. Das ist … verdammt beeindruckend.«
»Du hast es trotzdem nicht von mir.«
»Alles klar, Murray.«
»Was Hübsches vor heute Abend?«
»Nope. Ich wollte mir bloß schnell was zu essen besorgen.«
»Na dann, viel Spaß.«
»Werd ich haben.«
Zwanzig Minuten später war ich mit Tostones, köstlich gebratenen Kochbananen, und dem wunderbaren Reisgericht Arroz Blanco con Gandules zurück aus meinem mexikanischen Lieblingsrestaurant Casa del Sol.
Nachdem ich das Essen heruntergeschlungen hatte, hockte ich mich auf den Boden und meditierte, um mich auf meine telefonische Therapiestunde mit Dr. Veronica Little vorzubereiten, einer Trauma-Spezialistin für Beziehungen.
Mit zweihundert Dollar pro Stunde war Dr. Little nicht gerade preiswert. Meine Mutter hatte mir vorgeschlagen, mit einem Profi über meine Gefühle zu sprechen. Auch wenn ich mir unsicher war, ob das wirklich etwas brachte, blieb ich dabei, jeden Dienstagabend um halb neun mit Dr. Little zu sprechen.
Vielleicht hätte ich die Rechnungen für die Therapie an Elec weiterleiten sollen.
* * *
Während ich im Schlafzimmer Wäsche zusammenlegte, hörte ich meiner Therapeutin via Lautsprecher am Telefon zu.
»Die Frage, ob Elec dich wahrhaftig geliebt hat oder nicht, stellst du ziemlich oft, Chelsea. Ich denke, warum wir an der Stelle scheinbar nicht weiterkommen, lässt sich mit dem Einhorn-Prinzip erklären.«
»Mit einem Einhorn? Worum geht’s denn da?«
»Das Einhorn verkörpert den Mythos von Schönheit und Unerreichbarkeit, nicht wahr?«
»Okay …«
»Das stellte Greta für Elec dar. Er hat die Möglichkeit, sie zu lieben, völlig ausgeschlossen, weil es ihm verboten war. Aber sich in dich zu verlieben, das war zwischendurch machbar. Diese Liebe war echt und ungekünstelt. Als jedoch auf einmal das Einhorn erreichbar wurde, änderte das alles. Die Macht des Einhorns ist extrem stark.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Elec mich wirklich geliebt hat, aber nur solange er glaubte, die Liebe zu Greta sei unerfüllbar. Sie war sein Einhorn. Und ich war keins.«
»Richtig … Sie waren nicht sein Einhorn.«
»Ich war nicht sein Einhorn«, wiederholte ich flüsternd. »Ich kann es einfach nicht …«
»Tut mir leid, Chelsea. Unsere Zeit ist für heute leider vorbei. Wir werden uns diesem Thema nächsten Dienstag weiter widmen.«
»Okay. Danke, Dr. Little.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, atmete ich tief aus und ließ mich auf mein Bett plumpsen, um über den tieferen Sinn von Dr. Littles Worten nachzudenken.
Einhorn. Hmm.
Als ich plötzlich Gelächter hörte, erstarrte ich.
Zuerst dachte ich, mir das nur einzubilden.
Die Laute drangen hinter dem Kopfteil meines Bettes durch die Wand.
Ich sprang sofort auf.
»Einhorn. Was für ein Scheiß!«, meinte er mit seiner tiefen Stimme, bevor er weiter dreckig lachte.
Damien.
Er hatte bei meiner Therapiesitzung zugehört.
Mir wurde ganz flau.
Wie konnte er all das denn durch die Wand hören?
»Hörst du meine Wohnung ab?«, fragte ich.
»Nein. Du hast mich bei der Arbeit gestört.«
»Wie das denn?«
»Da ist ein Loch in der Wand. Und ich konnte gar nicht anders, als während meiner Arbeit dein verkorkstes Telefonat mit anzuhören.«
»Ein … Loch in der Wand? Und du wusstest von diesem Loch?«
»Ja. Ich hatte noch keine Gelegenheit, es zu reparieren. Es muss schon da gewesen sein, bevor ich das Haus gekauft habe. Wurde wahrscheinlich als sogenanntes Glory Hole für Sexspielchen oder irgend so einen Dreck genutzt.«
»Du hast mich … durch ein Glory Hole belauscht?«
»Nein. Du hast mich gezwungen, durch ein Glory Hole Zeuge deines Gesprächs mit einer Person zu werden, die dich verarscht und ausnimmt.«
»Du bist so ein …«
»Scheißkerl?«
Kapitel 4
Du machst mich wahnsinnig
Am nächsten Tag bei der Arbeit konnte ich nicht anders, als mich immer weiter hineinzusteigern und darüber aufzuregen, dass Damien mein Telefonat mitgehört hatte. War das überhaupt legal?
Gestern Abend, nach seiner Offenbarung, hatte ich unser Gespräch durch die Wand ziemlich schnell beendet und mich ins Wohnzimmer zurückgezogen, wo ich dann zur Beruhigung neben einer Packung Cookie Dough-Eiscreme eine Flasche Rotwein vernichtet hatte.
Glücklicherweise beschäftigte mich die Arbeit im Jugendzentrum so sehr, dass ich mich den Gedanken an den gestrigen Abend nicht völlig hingeben konnte. Schließlich war hier heute der berühmte Frühstück-satt-Tag. Einmal im Jahr bereiteten die Angestellten des Zentrums in der riesigen Profi-Küche für alle Kinder und Jugendlichen ein gigantisches Frühstück zu, das allerdings erst nachmittags gegessen wurde. Ich war für das Braten von pfundweise Speck zuständig.
Auf dem Heimweg stank ich nach purem Bratenfett und nahm die quälenden Gedanken wegen des Lochs in meiner Schlafzimmerwand wieder auf. Es befand sich direkt am Kopfteil meines Betts. Das einzig Beruhigende war, dass mein Zimmer offenbar an sein Arbeitszimmer oder etwas in der Art grenzte und er sich vermutlich normalerweise dort nachts nicht so oft aufhielt wie in anderen Räumen seines Apartments. Vielleicht hatte er gar nicht alles von meiner Sitzung mitbekommen. Oder vielleicht machte ich mir auch nur etwas vor.
Wie viel wusste Damien tatsächlich? Ich hatte mich mit Dr. Little über einige wirklich intime Dinge unterhalten. Als ich mich auf meinem Spaziergang nach Hause daran erinnerte, wäre ich, durcheinander wie ich war, beinahe in einen Obststand gerannt.
Zu Hause angekommen, war ich vor lauter Zorn ziemlich in Fahrt. Spontan ging ich an meiner Wohnungstür vorbei und zu Damiens Apartment. Die Hunde, die für gewöhnlich abends ruhig waren, kläfften aus irgendwelchen Gründen wie wahnsinnig.
Ich klopfte heftig an die Tür, denn mein Plan war, Damien aufzufordern, mir genauestens zu sagen, was er alles durch die Wand gehört hatte. Als er nicht öffnete, klopfte ich erneut und noch fester als zuvor. Das Bellen wurde lauter, aber sonst geschah nichts. Ich wollte mich schon umdrehen und gehen, da flog die Tür auf einmal auf.
Damiens dunkles Haar war feucht, und das Wasser perlte von seiner Stirn auf die Brust. Er war klatschnass. Und das gemeißelte V seiner Bauchmuskeln bestätigte, dass sich all das Training im Büro in der ersten Etage auszahlte.
Er trug nichts als ein kleines Handtuch um die Hüften seines ansonsten nackten Körpers.
Seines ausgeprägt muskulösen Körpers.
Heilige Scheiße.
Er war unanständig scharf.
Ich zwang mich, ihm in die Augen zu sehen. »Was denkst du dir, so die Tür zu öffnen?«
»Was ich mir denke? Was denkst du dir, wie eine Verrückte an meine Tür zu klopfen? Ich hatte eigentlich nicht vor, aus der Dusche zu kommen, aber ich dachte, es ginge um etwas wirklich Wichtiges. Und was zur Hölle ist das für ein Geruch? Das ist Speck, oder?«
»Ja. Ich habe bei der Arbeit Speck gebraten. Ich …«
»Verdammt!«, knurrte er durch zusammengebissene Zähne.
»Ich bin gekommen, um mit dir über die Reparatur des Lochs in meiner Wand zu sprechen, aber offenbar …«
Bevor ich den Satz zu Ende sprechen konnte, rasten plötzlich die beiden Rottweiler auf mich zu und sprangen mich freudig an, sodass ich nach hinten fiel. Sofort leckten sie begeistert mein Gesicht, den Hals und, als ich schließlich ausgestreckt auf dem Boden im Flur lag, auch noch mein Dekolleté. Außerdem machten sie sich mit ihren Zähnen über mein Shirt her. Völlig verängstigt brachte ich nur heraus: »Hol sie weg von mir!«
Damien hatte Mühe, die beiden kräftigen Hunde endlich von mir wegzureißen. Mein Gesicht klebte von ihrem Gesabber. Damien befahl die Rottweiler zurück in sein Apartment, während die Pfoten der beiden über den Holzboden rutschten und kratzten. Dann kehrte er zurück zu mir und warf hinter sich die Wohnungstür zu, um die beiden Tiere auszusperren. Er streckte die Hand aus, und als ich sie ergriff, half er mir behutsam, aber mit solch einer Mühelosigkeit vom Boden auf, als wäre mein Körper leichter als eine Feder.
Sprachlos schaute ich an mir herab. Auf der Vorderseite meines Shirts fehlte ein großes Stück Stoff, sodass mein BH zu sehen war. Damien wirkte, als suche er nach Worten.
»Chelsea, ich …«
»Bist du jetzt glücklich? Schau, was sie angerichtet haben.«
»Verdammt. Ist das dein Ernst? Nein, ich bin nicht glücklich. Die Hunde sind einfach verrückt nach Speck, okay? Das ist ihr Liebstes. Darum haben sie dich angesprungen. Warum zur Hölle musst du auch hier auftauchen, wenn du derartig stinkst?«
»Ich muss los«, antwortete ich und wandte mich meiner Wohnungstür zu.
Er versuchte, mich aufzuhalten. »Warte!«
»Nein. Bitte. Ich will einfach nur vergessen, dass das je passiert ist.«
Daraufhin zog ich mich in mein Apartment zurück und ließ Damien mit in die Hüfte gestemmten Armen stehen.
* * *
Nach einer heißen Dusche hatte ich mich etwas beruhigt und kam zu dem Schluss, dass ich wohl etwas überreagiert hatte, als ich Damien die Schuld gab, weil seine Hunde ausgerastet waren. Er hatte sein Bestes gegeben, um mich so schnell wie möglich von den beiden zu befreien, was gar nicht mal so leicht war, da er gleichzeitig das Handtuch um seine Lenden festhalten musste, um nicht seine ganze Pracht vor mir zu entblößen.
Außerdem war ich mir ziemlich sicher, dass er sich eigentlich entschuldigen wollte, bevor ich ihm das Wort abschnitt. Trotzdem hatte ich wegen seines gestrigen Lauschangriffs immer noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Doch das war nichts, was sich heute Abend regeln ließ. Dafür war ich viel zu müde und niedergeschlagen.
Ich schnappte mir meine Geldbörse, denn ich hatte vor, zum Lebensmittelgeschäft Bodega zu laufen und dort etwas zu kaufen, das ich mir rasch zu Abend machen konnte. Als ich mein Apartment verließ, fiel ich beinah über eine kleine Tüte auf der Türschwelle. Ich bückte mich, um das Päckchen aufzuheben und bemerkte, dass es etwas von Casper’s, dem lustigen T-Shirt-Laden in der Innenstadt, sein musste.
In der Tüte befand sich ein rostrotes Shirt in der Größe S, und in weißer Schrift stand darauf: Du machst mich wahnsinnig. Daneben befand sich die Abbildung eines grinsenden Smileys.
Zwar fand ich keine Nachricht, aber ich wusste, das Ganze konnte nur von Damien sein.
Auf dem Heimweg vom Einkaufen überlegte ich ständig, wie er über seinen Schatten gesprungen sein musste, um mir als Friedensangebot dieses T-Shirt zu kaufen. Führte ich mich echt wie eine hysterische Bitch auf, die wegen allem sofort durchdrehte – vom Loch in der Wand bis zur Speckattacke der Hunde? Ganz ehrlich, keine Ahnung. Alles, was ich wusste, war, dass ich die überempfindliche Person, die ich während des vergangenen Jahres geworden war, wirklich nicht leiden konnte.
Nachdem ich mir schnell Spaghetti Marinara gemacht hatte, verschwand ich in meinem Schlafzimmer, um zu lesen. Immer wenn ich nun auf meinem Bett saß, fragte ich mich, ob Damien sich wohl auf der anderen Seite der Wand befand.
Als ich plötzlich Geräusche hinter mir wahrnahm, sagte ich: »Bist du da?«
Es dauerte nicht lange, da war seine tiefe Stimme zu hören. »Ja, ich habe in meinem Arbeitszimmer zu tun. Ich belausche dich nicht.«
Weil ich nicht ernstlich mit einer Antwort gerechnet hatte, bekam ich umgehend Herzklopfen.
Einem kurzen Moment später hatte ich mich wieder im Griff. »Danke für das Shirt.«
»Na, ich hab dir ja ein neues Shirt geschuldet … und eine Entschuldigung.«
»Ich weiß, dass ich dir nicht wirklich eine Gelegenheit gegeben habe, dich zu entschuldigen. Tut mir leid.«
Da er darauf nichts entgegnete, sprach ich weiter: »Wie heißen sie? Deine Hunde.«
»Dudley und Drewfus.«
»Süß. Wo hast du die beiden her?«
»Nicht ich.«
»Sondern?«
»Meine Ex.«
Interessant.
»Verstehe.« Ich biss mir auf die Lippe. »Warum sind sie nachts so ruhig … so wie jetzt … aber morgens so laut?«
»Momentan sind die beiden nicht da.«
»Wo sind sie denn?«
»Bei ihr. Wir teilen uns sozusagen das Sorgerecht. Sie bringt sie morgens auf dem Weg zur Arbeit her und holt sie abends wieder ab.«
»Wow. Ich habe mich schon gefragt, warum ich abends nie etwas höre. Jetzt ergibt das alles einen Sinn.« Das hätte ich mir ja auch denken können. »Also, du warst verheiratet?«
»Nein. Sie ist meine Exfreundin.«
»Habt ihr hier gemeinsam mit den Hunden gelebt?«
»Weißt du, für eine, die mir nicht einmal verraten wollte, was sie so tut, bist du ganz schön neugierig.«
»Sorry. Aber meinst du nicht, dass das nur fair ist, nachdem du so viel von mir mitbekommen hast?«
Er seufzte hörbar. »Ja. Wir haben hier zusammen gewohnt.«
»Was ist passiert?«
»Was glaubst du denn? Wir haben uns getrennt.«
»Schon klar. Aber ich meine, … warum hat es mit euch nicht geklappt?«
»Darauf gibt es nicht immer eine eindeutige Antwort. Es ist nicht immer so einfach, wie …«, er zögerte einen Augenblick, »wenn der andere, die eigene Stiefschwester vögelt.«
Oh. Mein. Gott.
Was für ein Arschloch!
Er hatte definitiv mehr belauscht als nur die letzte Sitzung. Ich fühlte mich zutiefst beschämt, denn ich hatte außer Jade und Dr. Little noch nie jemandem davon erzählt, dass die Frau, für die Elec mich verlassen hatte, tatsächlich seine Stiefschwester ist, in die er offensichtlich seit Jahren verliebt gewesen ist – seit Teenagerzeiten.
Als ich darauf nicht reagierte, kicherte er. »Tut mir leid. Das war böse. Ich komme bestimmt in die Hölle.«
Verständnislos den Kopf schüttelnd schwieg ich immer noch.
Damien fuhr fort: »Ist das wirklich passiert? Klingt eher wie aus einem schlechten Roman.«
»Ja, ist wirklich so gewesen. Was hast du noch alles gehört?«
»Himmel, ich verurteile dich doch nicht, Chelsea. Das interessiert mich alles nicht die Bohne. Spielt überhaupt keine Rolle.«
»Doch, für mich spielt es eine Rolle.«
»Diese Therapeutin verarscht dich.«
»Warum sagst du das?«
»Sie zieht bloß irgendwelche Einhörner aus dem Ärmel, damit du nur ja weiterhin alles infrage stellst und ihr teures Geld überweist. Verrat mir eins. Nach all den Wochen, in denen du mit dieser Frau über all das nachgedacht hast, fühlst du dich da auch nur eine Spur besser?«
»Nein.«
»Das liegt daran, weil es manchmal keine befriedigende Antwort auf alles gibt. Möchtest du eine Antwort? Dumm gelaufen. Das ist deine Antwort. Menschen entlieben sich, verlieben sich und bauen Scheiße. Das gehört zum Leben. Du hast nichts falsch gemacht. Hör also auf, herausfinden zu wollen, was du falsch gemacht hast.«
Ich schloss die Augen und ließ die Worte auf mich wirken. Überraschenderweise füllten sich meine Augen mit Tränen. Nicht weil Damien mich angeblafft hatte, sondern weil mir zum allerersten Mal richtig klar wurde, dass ich gegen das, was geschehen war, gar nichts hätte ausrichten können.
Und dass nicht alles meine Schuld war.
Endlich fand ich meine Sprache zurück. »Ich war nicht immer so unsicher. Bloß … diese Erfahrung mit ihm – mit Elec – war ein einschneidender Moment in meinem Leben, denn seither stelle ich alles infrage. Ich dachte, ich hätte alles richtig gemacht, damit diese Beziehung hielt. Ich dachte, er liebt mich, und ich fühlte mich bei ihm so sicher, dass ich schon unsere ganze gemeinsame Zukunft vor mir sah. Darauf hätte ich mein Leben verwettet. Nun kommt es mir vor, als wäre ich nie wieder in der Lage, jemandem aus vollem Herzen zu vertrauen. Das tut weh, weil ich nicht einsam enden will. Ich dachte echt, er wäre der Eine.«
»Nun, offensichtlich war er das nicht. Du musst diese Tatsache einfach akzeptieren und weiterleben. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, aber letztlich läuft es darauf hinaus. Du hast gar keine andere Wahl, als es zu akzeptieren. Also liegt es allein an dir, ob du noch mehr Zeit damit verschwenden willst, in der Vergangenheit zu leben und ein nicht zu lösendes Problem lösen zu wollen, statt weiterzumachen und dein Leben zu genießen.«
O Gott, er hatte recht.
Ich lachte erleichtert auf. »Warum bist du so schlau?«
»Was ich gesagt habe, weiß doch jeder.«
»Nein. Nicht nur das. Ich meine … MIT?«
»Wie hast du das rausgekriegt?«
»Also stimmt das Gerücht?«
»Ja. Ich war da, aber das ist nichts, womit ich angebe.«
»Du solltest sehr stolz auf dich sein. Denn das ist großartig.«
»So großartig ist es nun auch wieder nicht. Menschen kämpfen für unser Land … Kinder kämpfen gegen Krebs … das sind großartige Menschen. Mit anderen Nerds in einer Physikvorlesung zu hocken ist weniger großartig.«
»Du bist ja wohl kaum ein Nerd, Damien.«
»Nicht äußerlich, nein.«
»Ich wäre nie auf die Idee gekommen, so wie du …«
»Wie ich was?«
»Wie du aussiehst … dass du am MIT studiert hast.«
»Wieso? Weil ich tätowiert bin und trainiere?«
»Nein, das ist es nicht. Sondern, weil du einfach …«
Verflucht hinreißend bist. Und jemand, der so heiß ist wie du, kann unmöglich auch noch derart intelligent sein.
»Ach, vergiss es«, sagte ich stattdessen.
Wieder schloss ich die Augen und genoss die neue Klarheit in meinem Kopf, die sein gradliniger Ratschlag bewirkt hatte.
Nach einer Weile des Schweigens sagte Damien: »Ich hau jetzt ab. Murray wird morgen Nachmittag das Loch in der Wand reparieren. Falls du gerade arbeiten bist, schließt er sich selbst auf.«
»Danke.«
Merkwürdigerweise war ich mir gar nicht mehr sicher, ob mir das Loch in der Wand wirklich noch etwas ausmachte.
Kapitel 5
Es brennt!
Mein Vermieter hielt Wort. Direkt am nächsten Tag hatte Murray das Loch in der Wand zugemauert und verputzt, sodass es künftig null Chancen auf spontane Therapiesitzungen mit Dr. Damien mehr gab.
Tatsächlich verging eine ganze Woche ohne einen einzigen Streit zwischen D. H. Hennessey und mir.
Die Hunde bellten immer noch regelmäßig jeden Morgen, aber ich wagte mich nicht in ihre Nähe, um mich zu beschweren. Jetzt, da ich wusste, dass sie allmorgendlich von seiner Ex abgeliefert wurden, linste ich, wenn ich zufällig schon wach war, aus dem Fenster, um einen Blick auf sie zu erhaschen.
Eines Morgens gelang es mir endlich genau im richtigen Moment, und ich sah, wie eine Frau ungefähr in meinem Alter und mit kurzem braunem Haar mit den beiden Rottweilern ins Haus eilte. Daraufhin rannte ich zu meiner Wohnungstür, öffnete sie einen Spaltbreit und spähte den Flur entlang, während sie vorbeilief. Sie flitzte so schnell, ich konnte nicht wirklich gut etwas erkennen, außer dass sie eine kurvigere Figur besaß als ich.
Fünf Minuten später und nachdem sie sein Apartment wieder verlassen hatte, hörte ich erneut ihre Schritte im Flur. Während sie über den Hof rannte, sah ich ihr aus dem Fenster hinterher und fragte mich, welche Art von Beziehung die beiden wohl mittlerweile verband – ob rein freundschaftlich oder ob sie immer noch Sex miteinander hatten. Ich fragte mich, wer wohl Schluss gemacht hatte. Und ich fragte mich, warum ich mir Gedanken über etwas machte, was mich ganz und gar nichts anging – und warum ich seit Neuestem ständig an Damien dachte. Eines war sicher: Das war verdammt noch mal viel besser, als permanent an Elec zu denken.
Als ich mich an diesem Nachmittag auf den Weg zur Arbeit machte, entdeckte ich, dass Damien kürzlich etwas seinem Wandgemälde hinzugefügt haben musste. Auf einmal waren dort einige Pyramiden zu sehen.
Seine Begabung, all die verzwickten Details darzustellen, und die Art, wie die Farben sich mischten und ineinander übergingen, war so erstaunlich, dass ich eine Gänsehaut bekam. Ich fragte mich, ob diese gemalten Szenen einen tieferen Sinn hatten. Damien Hennessey war auf alle Fälle eine komplexe Persönlichkeit.
Im Jugendzentrum angekommen wartete Ariel bereits in meinem Büro auf mich. Sie wirkte, als hätte sie geweint.
Mist.
Obwohl ich mir gut vorstellen konnte, was geschehen war, fragte ich: »Was ist passiert?«
»Ich hatte recht mit Kai. Er hat mich betrogen.«
»Das tut mir so leid.«
Nachdem sie bei mir rund eine Stunde Luft abgelassen hatte, meinte ich schließlich: »Es gibt da dieses Gelassenheitsgebet, Ariel. Hast du schon mal davon gehört?«
»Das, in dem man für die Kraft betet, Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann? Yep, meine Mom hat es mir vor langer Zeit beigebracht.«
»Ja. Genau das. Ich übe mich auch immer noch darin, doch ganz ehrlich, wir haben keine andere Wahl, als bestimmte Dinge einfach hinzunehmen. Alles, was wir tun können, ist, unser Bestes zu geben, um nach vorne zu schauen.«
Ich lächelte über mich selbst, weil ich Ariel im Grunde den gleichen Rat gab, wie Damien ihn mir gegeben hatte. Allerdings war es sehr viel leichter, diesen Rat zu erteilen, als ihn anzunehmen.
Als ich an diesem Abend nach Hause ging, fühlte ich mich aus irgendeinem Grund nach langer Zeit friedlicher gestimmt. Ich beschloss, mir im Bio-Supermarkt eine Portion meiner Lieblings-Tiefkühllasagne zu holen. Ich würde sie zu Hause aufwärmen, dazu Wein trinken und vielleicht irgendetwas auf Netflix schauen. Ich freute mich richtig darauf.
O Mann, mein Leben war ziemlich erbärmlich.
Daheim stellte ich die Lasagne in den vorgeheizten Ofen. Bis sie fertig war, dauerte es vierzig Minuten. In der Zwischenzeit konnte ich baden, mir die Beine rasieren und ein bisschen in der Wanne lesen.
Es war das wahrscheinlich entspannendste Bad, das ich jemals hatte. Umgeben von vielen brennenden Kerzen versank ich förmlich in dem süchtig machenden Roman, den Jade mir geschenkt hatte – tatsächlich eine Dreiecksgeschichte. Normalerweise stehe ich nicht auf derart abartige Storys, aber Jade war fest davon überzeugt, dass ich es lieben würde, vor allem weil es sich in dem Buch um zwei Männer und eine Frau handelte und nicht andersherum. Letztlich fesselte mich das Ganze so sehr, dass ich mich nach einer der heißesten Szenen mit mir selbst vergnügte und daraufhin glatt eingeschlafen sein musste.
Erst der Lärm des Rauchmelders und der Geruch von verbranntem Käse ließen mich in der Wanne aufschrecken. Ich schnappte mir ein Handtuch und raste in die Küche, wo Flammen aus dem Ofen züngelten. Der Herd brannte!
Panisch nahm ich eine Schüssel und füllte sie mit Wasser. Bevor ich auch nur die Möglichkeit hatte, das Wasser über das Feuer zu gießen, krachte meine Wohnungstür auf. Das Nächste, an das ich mich erinnern konnte, war Damien, der mit einem Feuerlöscher auf mich zurannte und brüllte, ich sollte aus dem Weg gehen.
Alles geschah sehr schnell. Ich stand bloß dumm rum und wickelte das Handtuch enger um mich, während er die Flammen löschte.
Als das Feuer schließlich aus war, standen Damien und ich schweigend da und starrten auf die kümmerlichen Überreste meines geliebten Ofens. Der größte Schaden war am Herd selbst entstanden, aber die Küchenarbeitsplatte schien auch etwas verkohlt zu sein.
Ich hustete wegen des Rauchs.
»Was zur Hölle«, murmelte Damien und blickte entsetzt auf die Katastrophe.
»Es tut mir so leid. Ich komme für den Schaden auf.«
»Wie ist das passiert?«
»Die Lasagne … ist verbrannt.«
»Nein. Ich meine, … wieso ist das passiert?«
»Ich hab in der Wanne gelegen und gelesen und …«
»Du hast in der Wanne gelesen«, unterbrach er mich und zischte die Wörter durch die Zähne. »Du hast in der Wanne GELESEN, während du etwas im Ofen hattest, das beinah mein gottverdammt ganzes Haus in Brand gesetzt hat?«
»Nein. Du verstehst das nicht richtig. Ich …«
Damien hörte gar nicht zu, sondern machte sich auf den Weg ins Bad.
»Wohin gehst du?«
»Ich will sehen, welches Buch so wichtig ist, dass es dich fast dein Leben gekostet hat.«
Fuck.
Nein.
Fuck!
Zu spät. Damien hatte bereits meinen Kindle vom Boden aufgehoben. Mein Herz schlug schneller als wahrscheinlich jemals zuvor.
Als er einen Blick auf den Titel des Buchs und ein paar Seiten geworfen hatte, drehte er sich zu mir und lachte ungläubig.
»Nett. Wirklich nett. Das Apartment wäre fast abgebrannt, während du hier liest, wie zwei Typen jede Körperöffnung eines Mädchens bumsen«, schnauzte er, bevor er den Kindle beiseitewarf. Dann grinste er schräg, als er sagte: »Du kleine Perverse.«
Völlig beschämt konnte ich noch nicht einmal beschreiben, was ich empfand. Am liebsten hätte ich geweint, aber ich befand mich in solch einer Schockstarre, dass ich keine Tränen hatte.
»Ich bin eingeschlafen. Tut mir leid. Es war nicht meine Absicht.«
»Was wäre, wenn ich nicht zu Hause gewesen wäre?«
»Keine Ahnung. Darüber will ich nicht einmal nachdenken.« Der Schock schien sich etwas zu lösen, denn die erste Träne lief über mein Gesicht.
Damien atmete tief aus, als er bemerkte, dass ich weinte. »Verdammt. Heul doch nicht.«
»Das alles tut mir schrecklich leid.«
Damien verließ das Badezimmer und fing an, alle Fenster in der Wohnung zu öffnen. Immer noch nur in das Handtuch gewickelt, folgte ich ihm wie eine Idiotin.
»Das Apartment muss gelüftet werden. Es ist nicht gut, diesen Mist einzuatmen«, erklärte er.
»Okay.«
»Magst du Pizza?«, fragte er.
Bloß eine nichtssagende Frage. Damien war dermaßen unerklärlich.
»Ja.«
»Dann zieh dich an und komm nach nebenan. Gib dem Rauch die Möglichkeit, sich zu verziehen.«
Damien schnappte sich den Feuerlöscher und verschwand so schnell, wie er zuvor aufgetaucht war.
Hatte er mich etwa gerade zum Essen eingeladen, nachdem ich fast sein Haus in Brand gesetzt hatte?
Hustend rannte ich ins Schlafzimmer und zog ein kurzes schwarzes Sommerkleid an. Ich kam mir bescheuert vor, weil ich mich aufbrezelte, obwohl mir Damien nach der Beinahe-Katastrophe nur ein Dach überm Kopf und etwas zu essen angeboten hatte. Aber aus irgendeinem Grund wollte ich gut aussehen.
Konnte dieser Abend noch merkwürdiger werden?
* * *
Mit schwitzenden Händen stand ich vor seiner Wohnungstür.
Reiß dich zusammen, Chelsea.
Ich holte tief Luft und klopfte vorsichtig an.
Die Tür öffnete sich schneller, als ich darauf vorbereitet war.
»Na, wenn das nicht der Feuerteufel ist«, begrüßte mich Damien brummig. »Komm rein.«
»Der Feuerteufel und Das Omen