Neue Arbeitswelten, alte Führungsstile? - Stina Rike Barrenscheen-Loster - E-Book

Neue Arbeitswelten, alte Führungsstile? E-Book

Stina Rike Barrenscheen-Loster

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Beschreibung

Seit den 1950er Jahren wandelte sich das Bild von »Führung« in den Großunternehmen der Exportnation Deutschland: Mit zunehmender Internationalisierung stieg in ihnen die große, anonyme und universitär ausgebildete Gruppe der mittleren Manager auf und wurde ein essenzieller Teil des wirtschaftlichen Erfolgs. Anhand ausgewählter Unternehmen, etwa Volkswagen, BMW und Bayer, zeigt diese Studie, wie sich diese Akteure professionalisierten, wie ein Markt für Weiterbildung entstand, das Personalwesen sich neu ausrichtete und aufgrund welcher internen und externen Faktoren sich diese nachhaltigen Veränderungen vollzogen.

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Cover for EPUB

Stina Rike Barrenscheen-Loster

Neue Arbeitswelten, alte Führungsstile?

Das mittlere Management in westdeutschen Großunternehmen (1949–1989)

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Seit den 1950er Jahren wandelte sich das Bild von »Führung« in den Großunternehmen der Exportnation Deutschland: Mit zunehmender Internationalisierung stieg in ihnen die große, anonyme und universitär ausgebildete Gruppe der mittleren Manager auf und wurde ein essenzieller Teil des wirtschaftlichen Erfolgs. Anhand ausgewählter Unternehmen, etwa Volkswagen, BMW und Bayer, zeigt diese Studie, wie sich diese Akteure professionalisierten, wie ein Markt für Weiterbildung entstand, das Personalwesen sich neu ausrichtete und aufgrund welcher internen und externen Faktoren sich diese nachhaltigen Veränderungen vollzogen.

Vita

Stina Rike Barrenscheen-Loster ist Leiterin der Gedenkstätte KZ-Außenlager Braunschweig Schillstraße und Geschäftsführerin des Arbeitskreis Andere Geschichte e.V.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Abkürzungen

Dank

1.

Vom angeborenen Talent zum geschulten mittleren Manager: Zwischen alten Vorstellungen von Führung und Zukunftserwartung

1.1

Wer sind die Manager des Kapitalismus?

1.2

Forschungen zur Managementgeschichte

1.3

Der Manager und die Führungskraft in Deutschland – Ein Definitionsproblem

1.3.1

Führungskraft und Manager

1.3.2

Professionalisierung

1.4

Theoretisches und methodisches Vorgehen

1.4.1

Theoretische Rahmensetzung

1.4.2

Managementgeschichte als Diskurs- und Unternehmensgeschichte

2.

Zwischen alten Arbeitswelten und neuen Herausforderungen: Kollektive Erwartungen an die bundesdeutschen Führungskräfte

2.1

Kontinuitäten der Führungsstrukturen im Wiederaufbau

2.1.1

Der Geschäftsführer und die Unternehmerpersönlichkeit in den 1950er Jahren

2.1.2

Autorität und der Faktor Mensch

2.1.3

Betriebspsychologie und Urteilsbildung von Mitarbeiter:innen als demokratischer Neuanfang

2.2

Vom »Ingenieur als Führungskraft« zum »Manager mit Marketingerfahrung«: Neue und alte Führungs- und Organisationsstrukturen

2.2.1

Synergie von alt und neu: Der Ingenieur und die Beratungsbranche

2.2.2

Neue Arbeitswelten und alte Führungsstile

2.2.3

Professionalisierung durch Standardisierung in den 1960er und 1970er Jahren

2.2.4

Spezialisierung und Arbeitsteilung von Führungspositionen in den 1980er Jahren

2.3

Die Ablösung der alten Wirtschaftskapitäne

2.3.1

Management- und Organisationswandel durch Beratungsunternehmen

2.3.2

Trainees erobern die Unternehmen

2.3.3

Die wachsende Bedeutung des (jungen) Managers

3.

Neue Wege zur Professionalisierung der Mitte: Öffentlichkeit, Individualisierung und Bildung

3.1

1968 der Manager als Triebkraft der Professionalisierung

3.1.1

Öffentliche Reaktionen auf verschlafene Trends

3.1.2

Die Auswirkung der öffentlichen Kritik auf die Selbstwahrnehmung der Führungskräfte

3.1.3

Das »Forschungsprogramm zur Humanisierung des Arbeitslebens« als Beispiel der Professionalisierung von unten

3.2

Institutionalisierung des mittleren Managements: Die neue kollektive Erwartung an Führungspositionen

3.2.1

Die neue Klasse: Mitbestimmung, Betriebsverfassung und Entpersönlichung

3.2.2

Unternehmensberatung, Ratgeber und Zeitschriften: Management als Lifestyle

3.3

Die Etablierung eines Weiterbildungsmarktes für das mittlere Management

3.3.1

Die Dringlichkeit einer (unbelasteten) Führungskräfteweiterbildung

3.3.2

Unternehmen oder Universität? Diskussionen um die Ausrichtung der Führungskräfteweiterbildung zwischen Theorie und Praxis

3.3.3

Mehr Bildung wagen: Gesellschaftliche Stimmen über Führung seit den 1970er Jahren

4.

Reaktionen auf die neue Arbeitswelt: (Re-)Organisation des mittleren Managements

4.1

»Personalchefs müssen sein« – Die Neuausrichtung des Personalwesens in bundesdeutschen Großunternehmen

4.1.1

Von Verwaltung zu Integration: Zuständigkeitsentwicklung des Personalwesens

4.1.2

Implementierung und Integration des Personalleiters

4.1.3

Der »turning point« der Professionalisierung des Personalwesens im Unternehmen

4.2

Unternehmensinterne Weiterbildung und Maßnahmen zur Managementschulung

4.2.1

Neues System für traditionelle Exklusivität: Die innerbetriebliche Nachwuchsförderung

4.2.2

Mit Nachwuchsmanagern, Marketingmanagement und Führungskulturen in eine neue Zukunft

4.2.3

Die Systematisierung der innerbetrieblichen Weiterbildung seit den 1960er Jahren

4.3

Führung? Kooperativ, Partizipativ, Demokratisch!

4.3.1

Die Etablierung von Führungsleitsätzen

4.3.2

Die Pluralisierung des Kooperativen: Erweiterungen der Führungsstile in den 1980er Jahren

5.

Die anonyme Mitte: Das professionalisierte mittlere Management zwischen neuen Arbeitswelten und alten Führungsstilen

Literatur und Quellen

Archive

Konzernarchiv der Volkswagen Aktiengesellschaft

Bestände

BMW Group Unternehmensarchiv

Bestand UA

Bestand UR

Bestand UU

Bayer AG Unternehmensarchiv

Archiv der Sozialen Demokratie

Archiv der Universität Göttingen

Archiv der Universität Bochum

Archiv der Technischen Universität Braunschweig

Privatarchiv Union Leitender Angestellter e. V.

Archiv Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e. V.

Zeitungen, Zeitschriften und Periodika

Gesetze

Stellenanzeigen

Literatur und publizierte Quellen

Abbildungen

Tabellen

Abkürzungen

AFK

Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft

BDI

Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BMW

Bayerische Motorenwerke AG

BMWU

BMW Group Unternehmensarchiv

BBUG

Baden-Badener Unternehmergespräche

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BWL

Betriebswirtschaftslehre

CME

Coordinated Market Economy

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

DIF

Deutsches Institut zur Förderung des industriellen Nachwuchses

DGfP

Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V.

DNB

Der Neue Betrieb – Studienkreis für sozialwirtschaftliche Betriebsformen

GFU

Gesellschaft zur Förderung des Unternehmernachwuchses

HAL

Hauptabteilungsleiter

HJ

Hitlerjugend

IFN

Institut zur Förderung des industriellen Nachwuchses

IG

IG Farbenindustrie AG

IMSF

Institut für Marxistische Studien und Forschungen

KVW

Konzernarchiv der Volkswagen Aktiengesellschaft

MAB

Management Akademie des Berufsfortbildungswerkes des DGB

MbO

Management-by-Objectives

MFK

Mittlere Führungskraft (BMW)

OEEC

Organisation for European Economic Co-operation

OFK

Obere Führungskraft (BMW)

PZ

Zentrale Personal- und Sozialwesen (BMW)

RI

Reichsgruppe Industrie

UFK

Untere Führungskraft (BMW)

ULA

Union Leitender Angestellter e. V. / Union der leitenden Angestellten e. V.

USTAP

United States Technical Assistance and Productivity Program

USW

Universitätsseminar der Wirtschaft

VGF

Vereinigte Glanzstoff-Farben AG

VfS

Verein für Socialpolitk

VoC

Varieties of Capitalism

VW

Volkswagen AG

WuK

Wuppertaler Kreis

Dank

Ein eigenes Buch in den Händen zu halten ist eine großartige Erfahrung. Es lässt einen schnell vergessen, wie anstrengend und nervenaufreibend der Weg zu diesen vielen Seiten war. Und trotz alle dem ist es ein schöner Moment, um nun endlich sagen zu können: Mama, Papa – ich habe ein Buch geschrieben!

Es sind die beiden, meine Eltern Jörg und Edith Barrenscheen, denen ich genau diesen Moment zu verdanken habe. Vor allem, weil sie mich immer unterstützt und nicht an meinen Entscheidungen gezweifelt haben. Als Tochter eines promovierten Ingenieurs und aufgewachsen in Niedersachsens Autometropole, war ein Studium der Wirtschafts- und Sozialgeschichte sicherlich nicht die naheliegendste Entscheidung. Sie hielten mir immer den Rücken frei, unterstützten meinen Weg und standen mit Rat und Tat zur Seite. Ihre Einstellung zum Leben, zum Lernen und zum Entdecken haben sie mir mit auf meinen Lebensweg gegeben. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Insbesondere für das stetige Interesse am Thema und den vielen Nachfragen, das Lesen von Kapiteln und das Besuchen von Vorträgen bestätigten mich und meine Entscheidung auch in den Tiefphasen der Forschungszeit immer wieder. Ohne den Zuspruch und das »Sie wird das schon machen«, wäre dieses Projekt sicherlich nicht zum Ende gebracht worden. Ihnen ist dieses Buch gewidmet.

Auch meiner Schwester Katrin Barrenscheen möchte ich an dieser Stelle danken. Ohne ihren Realismus und ihre direkte Art wäre ich an vielen Stellen über meine eigene Unsicherheit gestolpert. Sie hat mir gezeigt, wie wichtig auch Pausen während der Recherche- und Schreibarbeit sind. Unsere gemeinsamen Urlaube und gegenseitigen Besuche in Nord- und Süddeutschland waren während der Promotionszeit die Erholung, die ich brauchte. Danke für Deine Geduld und Deinen Zuspruch.

Meinem Mann Patrick Loster gilt genauso großer Dank. Er war es, der nie daran zweifelte, dass ich dieses Buch irgendwann in den Händen halten würde. Von Beginn an hat er mich auf dem Weg im Studium und der Promotionsphase begleitet und mit seiner ruhigen Art immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Danke für Dich, danke für unseren Sohn Florentin, danke für viele unvergessliche Momente, danke für Deinen Humor, danke für Deinen Soul. Nicht nur die Musik vereint uns.

Familie war und ist für mich die Balance zwischen Arbeit, Freizeit und Sicherheit. All das kann ich bei meiner Familie immer finden. Danke an Thea, Yannick, Ulf, Michaela, Gudrun und Julia für viele schöne Erinnerungen bei gemeinsamen Familienfeiern – vor allem bei Oma Fiti – die mich immer wieder daran erinnern, was wirklich zählt.

Doch was wäre ein Forschungsprojekt ohne die kollegiale und freundschaftliche Hilfe, die mir in den letzten Jahren immer wieder zuteilwurde. Aus Kolleg:innen wurden Freund:innen, aus kruden Ideen wurden Forschungsprojekte.

Dieser Dank gilt einerseits dem Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Marburg mit meinem Zweitbetreuer Christian Kleinschmidt, der mich in der ersten Phase meiner Promotionszeit mit Fachwissen und Zuspruch unterstützt hat. Mein Kollege und Freund Julian Faust, der mich sowohl in Göttingen als auch in Marburg begleitete, musste wohl am meisten mit mir leiden. Vertrags-, Antrags- und Deutsche-Bahn-Probleme schweißten unsere Leidensgemeinschaft zusammen. Das Bordbistro im Wagen 11 des IC 2277 von Göttingen nach Marburg war immer Ort guter Ideen und schlechten Kaffees.

Andererseits gilt ein besonderer Dank den Kolleg:innen des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Hartmut Berghoff in Göttingen. Knapp zehn Jahre – erst als Tutorin, dann als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Erasmus-Mundus-Koordinatorin – durfte ich mit den schöpferischen Zerstörer:innen verbringen. Vielen Dank für die lehrreiche, abwechslungsreiche, intensive und immer positive Zusammenarbeit.

Großer Dank gilt meinem Doktorvater Ingo Köhler. Dass ich dieses Forschungsprojekt verfolgen, realisieren und beenden konnte, ist sein fachlicher und persönlicher Verdienst. Unsere gemeinsame Passion norddeutscher Mittelklassewagen ist bis heute Grundlage vieler Diskussionen – seien sie fachlicher oder rein ästhetischer Natur. Auch Christel Schikora danke ich von ganzem Herzen. Ohne Christel wäre das Dissertationsmanuskript einerseits voller Fehler und andererseits niemals beendet worden. Ohne ihre stetige gute Laune und ihrem fulminanten Wissen über Universitätsabläufe, würde nicht nur ich heute ohne Buch dastehen. Ebenso danke ich Yassin Abou El Fadil und Jan Logemann für die langjährige Freundschaft, den vielen Zuspruch an mich und mein Projekt sowie die immer sehr gute Zusammenarbeit.

Forschung ist ein Prozess, der aus Phasen der individuellen Recherche besteht, viel mehr jedoch lebt von kollegialem und fachlichem Austausch lebt. Die vielen Marburger und Göttinger Kolleg:innen und Freund:innen – natürlich auch des Arbeitskreises für kritische Unternehmens- und Industriegeschichte e.V. – der letzten Jahre haben viel zu ebenjenem Austausch beigetragen. Danken möchte ich hier Anina Brundert, Florian Carl und Stefanie Eisenblätter, Frauke und Fabian Engel, Juliane und Hendrik Otto, Daniel Hirschmann, Vincent Lindner, Max Haßenpflug, Philipp Mosmann, Reinhild Kreis, Jutta Pulter, Nele Falldorf, Denise Lehner-Renken, Lea Pfeffermann-Goehl, Bastian Linneweh-Kaçmaz, Bruno Witzel de Souza, Rouven Janneck, Sandra Funck, Nina Kleinöder, Alexander Engel, Manfred Grieger, Martin Lutz, Johannes Sandhäger, Michael C. Schneider, Christian Marx, Boris Gehlen, Heike Wieters, Robert Bernsee, Stefan Hördler, Thaisa Cäsar, Caetano Franz, Niels Grote, Paul Moersener, Jan Brinkmann, Sören Windeler, Lea Wagner und dem Studierendenwerk der Uni Göttingen für das Kichererbsenmus.

Bedanken möchte ich mich auch für die hilfreiche Unterstützung der Unternehmensarchive, insbesondere beim Konzernarchiv der Volkswagen AG, dem BMW Group Archiv und der Heritage Communications der Bayer AG. Die wochenlangen Recherchen und der rege Austausch haben meinen Forschungsfokus und die Ergebnisse immer wieder hilfreich erweitert und präzisiert. Ein besonderer Dank gilt dem Team des Volkswagen Konzernarchivs um Ulrike Gutzmann und Dieter Landenberger, die meine Dissertation im November 2022 mit dem Ivan-Hirst-Preis für besondere Forschungen über die Unternehmensgeschichte ausgezeichnet haben.

Braunschweig, August 2023

1.Vom angeborenen Talent zum geschulten mittleren Manager: Zwischen alten Vorstellungen von Führung und Zukunftserwartung

Im August 2019 verstarb der langjährige Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende Volkswagens Ferdinand Piëch im Alter von 82 Jahren.1 Der Enkel Ferdinand Porsches war keineswegs unumstritten. Er galt gemeinhin als sehr guter Ingenieur – er kannte seine Materie: Das Auto. Jedoch war er auch bekannt als Patriarch, als Herr-im-Haus, als wichtiger Teil der deutschen Wirtschaftsgeschichte – geradezu eine Auto-Legende.2 Die Beschreibung reiht sich damit in die Tradition der Darstellung von Volkswagens obersten Köpfen ein, wurde doch schon der erste Generaldirektor Heinrich Nordhoff kurz nach seinem Tod 1968 als »Mister Volkswagen« und »größter Nachkriegs-Manager« der Bundesrepublik betitelt.3

In den Berichterstattungen zu Piëchs Tod wird deutlich, wie die Gesellschaft die Topmanager noch immer wahrnimmt: Ob »Ingenieur der Macht«4, »Alpha Manager«5, oder der »große Visionär«6 – es geht um Macht, Visionen und Kritik.7 Es gab jedoch nicht ausschließlich positive Zuschreibungen. Der umstrittene Patriarch stand aufgrund seiner altmodischen Führungspraktiken trotz der hier überwiegend positiven Konnotationen häufig in der Kritik:

»Im Alleingang hat Ferdinand Karl Piëch mehr als zwei Jahrzehnte lang Volkswagen beherrscht. Und den angeschlagenen Wolfsburger Autohersteller in einen Weltkonzern verwandelt. Für seine Anhänger war er ein genialer Techniker und visionärer Stratege, für seine Gegner ein intriganter Autokrat. Am Ende entmachtete sich der Patriarch selbst.«8

Der »polarisierendste [sic!] Industrielle unserer Zeit«9 gilt also in der west- und gesamtdeutschen Geschichte als einer der Manager der Nachkriegszeit, der zwar mit harter Hand autoritär herrschte, Volkswagen jedoch zu einem Weltkonzern machte.

Die Zuschreibungen, die der Person Piëch in der aktuellen Berichterstattung zuteilwurden, lassen ihn im Vergleich zu gegenwärtigen Führungspersönlichkeiten unzeitgemäß wirken, da er weiterhin so beschrieben wird, wie diejenigen, die schon in den 1970er Jahren als »konservativ-autoritäre[n] Patriarchen […] in der Managementtradition des frühen Rheinischen Kapitalismus« beschrieben wurden.10 In der Darstellung von Piëchs Leben, die einen Tag nach seinem Tod in den Print- und Onlinemedien erschienen, wurden auch seine Kollegen ähnlich konservativ betitelt:

»Einer der spannendsten Kämpfe betraf unmittelbar die Familien Piëch und Porsche, namentlich die geplante Übernahme von Volkswagen durch den damaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking, hinter der zuletzt vor allem Wolfgang Porsche stand. Dabei gerierte sich der barocke Wiedeking frühzeitig so, als gäbe er in Wolfsburg bereits den Ton an, und drohte, es werde in Wolfsburg ›keine heiligen Kühe‹ geben.«11

Und noch weiteres wird in der Berichterstattung zu Piëchs Tod deutlich: Die personellen Netzwerke und die soziale Herkunft der Führungsriege wirken als Karrieresprungbrett. Es ist kein Zufall, dass das Verhältnis des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn zu Ferdinand Piëch als Ziehsohn bezeichnet wurde.12 Das deutsche Topmanagement war lange Zeit geprägt und durchzogen von Beziehungen. Das Who-is-Who und Vitamin B – gemeinhin als durch Kaminkarrieren bezeichnete Aufsteiger – rekrutierte sich in größtem Maße gegenseitig und bezogen sich dabei auf ein vermeintlich angeborenes Talent, zu führen.13

Dass Führungskompetenzen erlernbar sind, Führungsstrukturen nicht patriarchal-autoritär sein müssen und kooperative, inkludierende Führungsstile die Mitarbeitermotivation erhöhen, beweisen nicht zuletzt die unzähligen Ratgeber, die sich bis heute mit der Vermittlung von Führungskompetenzen und -stilen befassen. Das Buchcover zeigt ein Relikt aus genau dieser Zeit: Es zeigt das »Haus Rhode« – eine VW-interne Weiterbildungsstätte, die seit 1969 gerade das mittlere Management schulen sollte, die mit ihren VW Typ 1 und Typ 3 Dienstwagen zu dem 30 Kilometer vom Hauptwerk entfernte Herrenhaus fuhren und mit den »alten Herren« bei Kamingesprächen diskutierten, aber auch Workshops und Seminare besuchten.

In den meisten deutschen Großunternehmen der Nachkriegszeit wurde die Koordination und das Fortbestehen zunächst sehr pragmatisch betrachtet, indem sie mit erprobten Führungsstrukturen wieder aufgebaut wurden , in denen Aus- und Fortbildungsmethoden für Führungskräfte zunächst keine Rolle spielten.14 In den folgenden Dekaden entwickelte sich jedoch eine Debatte um zeitgemäße und moderne Führungsstile, die von gesellschaftlichen Veränderungsimpulsen getragen wurde.

1.1Wer sind die Manager des Kapitalismus?

Der Amtsantritt Willy Brandts im Jahr 1969 und seine Devise »mehr Demokratie wagen«15 markierten eine geänderte gesellschaftspolitische Stimmung, die geprägt war von sozialpolitischen Reformen. Neben umfassenden bildungspolitischen Neuerungen waren es im unternehmerischen Kontext insbesondere Maßnahmen, die sich der gewandelten Arbeitsrealität annahmen. Zu erwähnen sei dabei beispielsweise das Reformprojekt Humanisierung des Arbeitslebens (HdA), das zwischen 1974 und 1989 vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) und dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) durchgeführt wurde. Zwar ist die nachhaltige Wirkung der HdA noch nicht umfassend erforscht worden, jedoch zeigte sich hinsichtlich der gewandelten Ansprüche an den Sinn und die Ausgestaltung von Arbeit, dass insbesondere das mittlere Management als neue Führungsgruppe einen Bedeutungszuwachs erfuhr.16 Viele HdA-Projekte reihten sich ein in Prozesse der stärkeren Willensbildung und einer gesteigerten Mündigkeit der Bürger:innen. Zeitgenössisch wurden diese Veränderungsimpulse, die zunehmend postmaterielle Werte in den Fokus rückten, als nachindustrielle Gesellschaft wahrgenommen.17

Diese Veränderungen der Arbeitswelt wurden bereits in den 1970er Jahren als Wertewandel wahrgenommen. Der Wertewandel als Quellenbegriff einerseits und Analysekonzept der Sozial- und Geschichtswissenschaft andererseits, führt unmittelbar das Problem der Zeitgeschichte vor Augen.18 Diese nutzt die Deutungsangebote ihrer Nachbardisziplinen, wie in diesem Fall der Sozialwissenschaften, und muss gleichzeitig mit der gebotenen Distanz zur Quelle die dortige Darstellung hinterfragen.19 Der Wertewandel, ähnlich wie die Theorien einer post- oder nachindustriellen Gesellschaft, gehört damit zu jener Kategorie zeitgenössischer Theorien, die im Laufe ihres Zugriffs viel Kritik erfahren haben: »Die Frage, ob und inwiefern Werteorientierungen menschliches Verhalten erklären können, ist wohl eher von Philosophen und Psychologen als von Historikern zu beantworten.«20

Der Nutzung dieses Begriffs steht insofern nichts entgegen, wenn er kritisch reflektiert und an den angebrachten Stellen hinterfragt wird.21 Die Verwendung des Wertewandels findet hier als Analysebegriff Eingang in die Arbeit und wird im Kontext des Managementwandels verstanden als Transformationsphase, in der neue gesellschaftliche Normen aufkamen, die nicht einzig durch Selbstverwirklichung und Individualismus geprägt waren, sondern zudem durch gesetzlichen, politischen und gesellschaftlichen Druck ausgelöst wurden.

Diese gesellschaftlichen und politischen Transformationen wirkten sich auch auf das Bild und Selbstbild der Manager aus, die seit den 1960er Jahren einem massiven Wandlungsprozess unterworfen waren. Der Prozess, Führung als erlernbar zu begreifen und die Vorstellung eines ausschließlich angeborenen Führungstalents zu durchbrechen, fiel ebenso in diese Phase vermehrter bildungspolitischer Reformen, bedurfte jedoch einige Zeit der Implementierung in Deutschland.

In den späten 1970er Jahren schulte BMW ihre Führungskräfte mithilfe von Fallstudien zum Thema »Der neue Manager«. Unter Bezugnahme eines Multiple-Choice-Tests wurde gefragt:

»Wann ist eine Führungskraft ein Manager?

[…] Wenn er nur Management-Funktionen erfüllt

[…] Wenn er allein eine fachliche Funktion wahrnimmt

[…] Wenn er sowohl eine fachliche als auch eine Management-Funktion wahrnimmt

[…] Nur die Führungskräfte in den oberen Ebenen können als Manager bezeichnet werden.«22

Der Seminarleiter wollte die künftigen BMW-Manager darauf aufmerksam machen, dass eine gute Führung in der Verknüpfung fachlicher und führungstechnischer Belange liege. Die Frage, wann eine Führungskraft ein Manager ist und was im deutschen Kontext den Unterschied darstellt, bleibt aus heutiger Sicht dabei jedoch unbeantwortet.

Im deutschsprachigen Raum gestaltet sich die Trennung zwischen Führungskraft und Manager bis heute schwer. Nicht zuletzt unterliegen die Begriffe Manager und Führungskraft, ebenso wie analog verwendete Umschreibungen, die von Elite bis Kader reichen, immer einem historischen Wandel. Während dieser gesellschaftlichen Transformationszeit versuchten die Soziologin Helge Pross und der Leiter des Büros für Wirtschafts- und Sozialforschung Karl W. Boetticher das Selbstbild des Manager[s] des Kapitalismus sowie die beruflichen und gesellschaftlichen Erwartungshorizonte von leitenden Angestellten zu ermitteln.23 Sie hielten fest, dass zwar zu Beginn der 1970er Jahre Alternativkonzepte zur bestehenden Unternehmensverfassung fehlten, warnten jedoch davor anzunehmen, dass diese in den nächsten Jahren weiterhin ausbleiben würden. Und sie behielten Recht: Das mittlere Management begann seinen Siegeszug.

Mit der zunehmenden Internationalisierung und Produktdiversifizierung seit den 1970er Jahren stieg die Komplexität in den bundesdeutschen Großunternehmen an. Im Zuge dessen dezentralisierten sich die Unternehmen und passten sich diversifizierten Organisationsstrukturen an, der Abschied vom Taylorismus wurde postuliert.24 Mit den international agierenden Großunternehmen, die aufgrund ihrer Größe neue Organisationsstrukturen implementieren mussten, stieg auch die Bedeutung der mittleren Managementpositionen an. Diese hatten in den neu entstandenen Sparten weitgehend eigenverantwortliche Verwaltungsstrukturen, die durch die Abgabe von Entscheidungsbefugnissen fachspezifischer Art »Unternehmungen in der Unternehmung« wurden.25 Dies führte dazu, dass die von Boetticher und Pross benannten Manager des Kapitalismus als mittlere Manager zunehmend diversere Anforderungen mitbringen mussten und durch ihre merklich wachsende Gruppengröße und dem damit einhergehenden Abschied von patriarchalen Strukturen die Erwartungen an diese Gruppe stetig wuchsen. In der Kombination mit den sich wandelnden Ansprüchen an Arbeit von den Unternehmen, aber auch aus den Reihen der Arbeitnehmer:innen, kam es zum Aufstieg des mittleren Managements.

Verschiedene externe Faktoren trugen ebenfalls zu diesem Wandel bei. Erstens steht die Geschichte des deutschen Managements auch im Zusammenhang mit der Diskussion um eine mögliche Amerikanisierung der deutschen Wirtschaft und damit zusammenhängender transnationaler (Wissens-)Transfers. Die breite gesellschaftliche Wahrnehmung dieser Wandlungsprozesse ebenso wie die der wissenschaftlichen Öffentlichkeit spielten dabei eine wesentliche Rolle, da durch den »produktiven Blick nach Westen«26, neue Vorstellungen aus der US-amerikanischen Wirtschaft aufkamen, an denen sich das mittlere Management innerhalb des kooperativen Kapitalismus orientierte.27

Zweitens wirkten sich die Debatten zur Verwissenschaftlichung und Individualisierung der Gesellschaft ebenfalls auf das Management aus. Diese führten dazu, dass sich das mittlere Management vor dem Hintergrund seiner neuen Bedeutung in seinen Anforderungen professionalisierte: Dezidierte Weiterbildungsprogramme, eigene Gruppeninteressen und neue Verständnisse von Mitbestimmung und Partizipation ermöglichten, dass eine eigene verbandsähnliche Vertretung und eine neue Wahrnehmung innerhalb der Gesellschaft entstanden, die sich durch die Diskussion um das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) von 1972 speisten. Zusammen mit erweiterten Weiterbildungsmöglichkeiten für mittlere Manager und der Zunahme von Managermagazinen und Ratgeberliteratur entstand in der Bundesrepublik ein neuer Berufszweig oder – dem Englischen folgend – eine profession.28 Diese Wandlungsprozesse werden als Professionalisierung des mittleren Managements verstanden, die sich in der (Weiter-)Bildung von Führungskräften und Neustrukturierung der Führung in den Unternehmen niederschlug.29

Bereits vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland gab es erste Versuche, Unternehmer in ihrer Führungsverantwortung weiterzubilden. Der bekannteste Befürworter einer stetigen Weiterbildung war dabei der Industrielle und Chemiker Carl Duisberg, der sich schon in den 1920er Jahren regelmäßig für eine lebenslange Weiterbildung aussprach und davor warnte, »daß der Student sein Studium bei übermäßiger Beschäftigung als Werkstudent nur auf das für das Examen Notwendige einstellt oder auch nur das eigentliche Fach- und Brotstudium ohne weitgehende Vertiefung treibt.« Vielmehr solle er sein Allgemeinwissen vertiefen, um eine »vollwertige Persönlichkeit« zu werden.30 Bereits seit dem 19. Jahrhundert war mit der Entstehung der Handelshochschulen ein Ort geschaffen worden, an dem die unternehmerische Bildung ausgebaut wurde. Ein weiterer Versuch in der Form eines Studienlehrgangs wurde an der damaligen TH Hannover angeboten, in dem Ingenieur:innen erstmals auf zukünftige Führungsaufgaben interdisziplinär vorbereitet werden sollten.31 Expertenstimmen der Zeit sahen jedoch erst in der Nachkriegszeit erhebliche Veränderungen in der Umwelt der Manager. Nach der Kriegswirtschaft der 1930er und 1940er Jahre und den wirtschaftlichen Boomjahren 1950er Jahre, waren die Bedingungen für Neuerungen im Management erst in den 1960er Jahren gegeben. Die Wahrnehmung von angeborenen Führungstalenten zugunsten eines erlernbaren Managements erhielt im Zuge einer gefestigten Demokratie, liberaleren Bildungsstrukturen und pluralisierten Lebenswelten Einzug in die Unternehmen. Auch die Vergrößerung der Märkte durch Internationalisierungsprozesse waren dabei ausschlaggebende Faktoren.

Wichtige Veränderungen brachten die 1960er Jahren vor allem mit dem Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt und dem vermehrten Eintritt amerikanischer Unternehmen auf den deutschen Markt.32 Durch den erhöhten Konkurrenzdruck mussten neue Wege zur Marktbewältigung gefunden werden. Außerdem verstärkte sich der Trend zu Diversifikation, Kooperation, Fusion sowie dem Streben zu größeren und komplexeren Unternehmenskonglomeraten.33

Proteste aus der Gesellschaft gegen autoritäre Entscheidungsstrukturen erreichten die Großunternehmen in den späten 1960er Jahren zunächst scheinbar nicht. Zeitgenössisch sah man das Problem in einer fehlenden Gegenbewegung, da Unternehmen in ihrem gesamten Aufbau autoritär strukturiert seien. Es gäbe keinerlei Kontrolle von unten, da sie sich über den Markt legitimierten und nicht über Inhalte und Formen der Demokratie:

»Damit verkörpern die Unternehmen alles das, wogegen die Proteste in den kulturellen und den politischen Organisationen gerichtet sind. […] Demokratisierung meint hier die Herstellung von Entscheidungsstrukturen, die sowohl die direkte oder die indirekte Mitbestimmung aller jeweils Betroffenen als auch die Orientierung der Entscheidungen an der Steigerung von Freiheit und Gleichheit gewährleisten.«34

Solche Forderungen nach demokratischeren Entscheidungsabläufen und Beteiligung von unten waren erst im Laufe der 1970er Jahre in den Großunternehmen zu vernehmen.

Diese Arbeit stellt daher die mittleren Führungskräfte als unternehmerische Akteure in den Vordergrund. Anhand dieser Gruppe können Professionalisierungsprozesse sichtbar gemacht werden, Leitbilder herausgearbeitet und Aussagen über die Entwicklung Personalbildung und -politik in Großunternehmen in der BRD getätigt werden. Der Untersuchungszeitraum des Projektes umfasst die Jahre der deutsch-deutschen Teilung von 1949 bis 1989 und konzertiert sich dabei auf Westdeutschland, da sich die Unternehmensstrukturen und (politischen) Rekrutierungsmuster in der Deutschen Demokratischen Republik außerhalb eines freien Arbeitsmarktes gestalteten.35

Anknüpfend an die aktuelle Forschung wird 1) davon ausgegangen, dass sich in den 1970er Jahren eine Demokratisierung in der neuen Arbeitswelt vollzog, die sich auch auf die Position und Selbstwahrnehmung der mittleren Führungskräfte auswirkte, 2) die bundesdeutsche Wirtschaft zumindest im Rahmen des Rheinischen Kapitalismus Elemente amerikanischer Unternehmensorganisation und Führungsstrukturen übernahm, die vorrangig durch externe Beratung eine Grundlage der Professionalisierung schufen jedoch 3) insbesondere rechtliche Rahmenbedingungen, die Entstehung von Berufsverbänden bzw. Interessenvertretungen und der zunehmenden Wahrnehmung von Management als Lifestyle die Professionalisierung manifestierten.

Es gilt aufzuzeigen, dass sich solche Professionalisierungsprozesse insbesondere im mittleren Management durchsetzten. Die These der Professionalisierung soll dabei anhand von Veränderungen in der Managementweiterbildung und den Führungsstrukturen belegt und die Akteure, die dazu beitrugen, analysiert werden.36

Als Länderstudie mit unternehmenshistorischem Methodenzugriff leistet die Arbeit Pionierarbeit, da die Entstehung des mittleren Managements bisher nicht dezidiert erforscht wurde. Gleichzeitig kann die Untersuchung eine Grundlage für spätere international vergleichende Studien legen. Die vorliegende Analyse konzentriert sich auf Kapitalgesellschaften und managergeführte Familienunternehmen, da sich Professionalisierungsstrukturen in der Personalrekrutierung in diesen frühzeitig nachweisen lassen, während sich in klein- und mittelständischen Unternehmen eine größere und mitunter bis in die Gegenwart reichende Persistenz von Verwandtschaftsbeziehungen zwischen unternehmerischer Eigentümer- und Führungsebene ausmachen lässt.37

Für die Arbeit wurden drei Unternehmensfallstudien ausgewählt. Die Volkswagen AG (VW), die Bayerischen Motorenwerke AG (BMW) und die Bayer AG bieten drei unterschiedlich entwickelte und verschiedene Marktsegmente abdeckende Fallstudien, anhand derer die Führungskräftestrukturen unterschiedlicher Branchen (Chemie/Pharma und Automobil) und innerhalb einer Branche (VW und BMW) betrachtet werden können. Darüber hinaus wiesen beide Branchen im Betrachtungszeitraum sowohl erfolgreiche als auch krisenanfällige Phasen auf, in denen sich die hier untersuchten Unternehmen behaupten mussten. Während BMW trotz strategischer Fehlentscheidungen nach dem Zweiten Weltkrieg in den 1960er Jahren eine ausgesprochen erfolgreiche Phase der Unternehmensgeschichte erfuhr, standen beiVolkswagen zu der Zeit hauptsächlich Überlegungen zur Diversifizierung der vorherrschender Käfermonokultur im Mittelpunkt der strategischen Entscheidungen.38 Die Bayer AG hingegen gilt als frühes Beispiel diversifizierter Unternehmen in der Bundesrepublik und bietet als forschungsintensives Unternehmen einen anderen Einblick in die Personalrekrutierung.39

Um die sich veränderten Rollenmuster bundesdeutscher Führungskräfte aus der Sicht der betrieblichen Personalpolitik im Zeitraum von 1949 bis 1989 zu rekonstruieren, gilt es einerseits, einen akteursorientierten Blick darauf zu werfen, wie sich im Unternehmenskontext die Vorstellungen von Betriebsführung, aber auch von Kommunikations- und Entscheidungskulturen wandelten.40 Andererseits ist zu fragen, inwieweit die Veränderungen des gesellschaftlichen Umfeldes von außen auf das soziale System Unternehmen einwirkten und zu einem veränderten Rollenverständnis des Managers führten. In dieser Hinsicht bietet die Rekrutierung von mittleren Führungskräften ein lohnendes Untersuchungsfeld, anhand dessen die Schnittstellen zwischen Unternehmens- und Gesellschaftswandel detailreicher und tiefer als bislang beleuchtet werden können.

Infolgedessen wird auch der Frage nachgegangen, wie sich das Leitbild der Führungskraft im Untersuchungszeitraum veränderte und welche neuen Erwartungen an mittlere Manager herangetragen wurden, als sich die Erstarrung hierarchischer Betriebsstrukturen seit den 1960er Jahren zu lösen begannen. Wie wurde neues betriebswirtschaftliches Wissen, das u.a. zur Entstehung eines professionellen Personalwesens und damit zu einer Reorganisation des Faktors Mensch im Zuge humanerer und demokratischerer Arbeitswelten führte, in die Unternehmen getragen? Insbesondere letzteres beflügelte die Professionalisierung der Managementstrukturen.41

Ausgehend von der Frage nach den Triebkräften der Professionalisierung des mittleren Managements ergeben sich folgende erkenntnisleitende Fragenkomplexe:

Erwartungen der Akteure: Wie entwickelten sich die Erwartungshaltungen deutscher Unternehmen gegenüber ihren Führungskräften? An welchen Leitbildern und Werten orientierten sich die Unternehmen und Führungskräfte? Welche Anforderungsprofile formulierten die Unternehmen für den Arbeitsmarkt? Demokratisierten sich die Erwartungen an mittlere Führungskräfte?

Institutionalisierung der mittleren Manager und deren Führungsstrukturen: Inwieweit führte dieser Erwartungswandel zu einer systematischen Professionalisierung der Führungskräfte- und der Personalpolitik? Welche Rolle spielten spezifisch deutsche Spielarten des Kapitalismus? Wie wirkte sich diese auf die Institutionalisierung von Führungsstrukturen in den Unternehmen aus?

Externe und interne Wissensstrukturen: Welche Rolle spielten externe Expert:innen und Beratungsunternehmen bei der Entwicklung von Erwartungen, Rekrutierung und der Organisationsstruktur an Führungskräfte? Welche Expertennetzwerke bildeten sich? Welche Wandlungsprozesse durchliefen die Weiterbildungsangebote für Führungskräfte? Wie organisierten sich interne und externe Weiterbildungsmöglichkeiten?

Die Beantwortung dieser Fragen wird dabei zeigen, wie das bundesdeutsche Management auf Strukturbrüche und die daraus resultierenden neuen Vorstellungen von und Ansprüchen an Arbeit und Arbeitsbeziehungen seit den 1970er Jahren reagierte und sich professionalisierte.42 Diese bestand einerseits aus der Entwicklung und Nutzbarmachung impliziten Wissens für Manager und andererseits aus gesellschaftlichen Forderungen von unten, auf die aufgrund von gesetzlichen Änderungen und der eigenen Positionierung der Führungskräfte auch führungsstrukturell reagiert werden musste.

Die Arbeit zielt auf die Verbindung verschiedener Untersuchungskomplexe ab. Dabei zeigt sich zum einen, dass Verbände und Vereine, Fachzeitschriften (u. a. auch als Verbandsorgan) sowie die Tages- und Wochenpresse, den gesellschaftlichen Diskurs über das Management formten. Als direkte Antwort auf den sogenannten managerial gap, dem das deutsche Management seit Mitte der 1960er Jahre unterlag, können Diskussionen und Anwendungen verschiedenster Managementtechniken, Führungsphilosophien und weitere Neuerungen in der Unternehmensführung gedeutet werden.43 Durch einen unternehmenshistorischen Zugriff ist es somit möglich, die Analyse von Diskurs und Praxis zu verbinden und Aussagen über die tatsächliche Professionalisierung und Demokratisierung des mittleren Managements zu fällen.

Während sich die alten, von Männern dominierten Netzwerke des oberen Managements weiter fortsetzten und festigten, kam mit der Entstehung eines Weiterbildungsmarktes für mittlere Manager die Möglichkeit auf, Führungskraft zu werden. Aufgrund des zunehmenden Drucks durch die internationale Konkurrenz, kamen bereits in den 1950er Jahren Ideen der Führungskräfteweiterbildung auf, die sich konstant weiterentwickelten und zu einem speziellen deutschen System der Managerausbildung wurden. Darüber hinaus wirkten sich die zunehmenden gesetzlichen Neuerungen, wie die Novellierung des BetrVG 1972 und die Mitbestimmung von 1976 auf die Stellung und das Selbstverständnis der mittleren Führungskräfte aus. Die neuen politischen Möglichkeiten seit der sozialliberalen Ära, die in dem Ausspruch »mehr Demokratie wagen«44 von Willy Brandt mündeten und der zunehmende Druck von unten, welches unter anderem in Reformmaßnahmen wie der Humanisierung des Arbeitslebens zum Ausdruck kam, formten eine neue Führungsgeneration, die sich nicht mehr dem klassischen Patriarchen beugten und sich nicht mehr mit autoritären Führungspraktiken identifizierten.

1.2Forschungen zur Managementgeschichte

Die Geschichte des »modernen Managers« in Deutschland war lange ein Desiderat in der Forschung. In der angloamerikanischen Business History und an den Business Schools, ist die Management History hingegen kein neues Forschungsfeld. Wohl kaum andere Werke haben die Unternehmensgeschichte und dabei spezifisch die Managementgeschichte so geprägt wie Alfred Chandlers Strategy and Structure und The Visible Hand.45 Fernab der Chandlerschen Grundlagenwerke gewann die Betrachtung des Managements und seiner Strukturen stetigen Zuwachs. Jedoch offenbart eine genauere Betrachtung der Forschungen, die sich dezidiert mit der Management History beschäftigen, dass sich diese eher ideen- als unternehmenshistorischer Methoden bedienen und der historische Zugriff oftmals einer Vermittlung neuer Führungskonzepte dient.46 Die deutsche historische Forschung hat sich darüber hinaus bislang allenfalls kursorisch mit der Frage auseinandergesetzt, nach welchen fachlichen und persönlichen Kriterien die Auswahl von Führungskräften erfolgte. Gerade in Hinblick auf das mittlere Management ist kaum bekannt, was Nachwuchsmanager zur Übernahme verantwortungsvoller Positionen qualifizierte und welchen Rekrutierungsmustern sie unterlagen. Obwohl die unternehmenshistorische Forschung von nachhaltigen Professionalisierungstrends in der Personalrekrutierung ausgeht, sind Managerleitbilder und deren Wandel seit dem Zweiten Weltkrieg noch nicht differenziert und tiefenscharf problematisiert worden.47

Im Hinblick auf den Forschungsstand wird deutlich, dass die Managementforschung in Deutschland bislang weitgehend auf wirtschaftssoziologischen Arbeiten über Eliten(-strukturen) aufbaut. Bereits seit den 1960er Jahren zeigte die deutsche Elitenforschung auf, dass es in der Spitze der deutschen Wirtschaftslenker wenig soziale Zirkulation und Fluktuation gab. Erwähnenswert sind dabei die ersten beiden »Mannheimer Elitestudien« von 1968 und 1981 sowie die 1995 erschienene »Potsdamer Elite Studie«.48 Große Aufmerksamkeit erlangten in den 1990er Jahren die Arbeiten von Michael Hartmann, der die Abgeschlossenheit der Wirtschaftselite durch neue empirische Untersuchungen untermauerte. In seiner bekanntesten Studie erhob er Daten aus Lebensläufen von 6.500 promovierten Topmanagern49 der Studiengänge Wirtschaftswissenschaften, Jura und Ingenieurswissenschaften und stellte fest, dass diese offenbar nur nachrangig nach objektiven Leistungskriterien eingestellt wurden.50

Die Habilitationsschrift des Mainzer Historikers Bernhard Dietz stellt für die Geschichte des bundesdeutschen Managements die erste Studie dar, die sich mit der Entstehung und Veränderung des Managements mit einem soziologischen Zugriff beschäftigt.51 Unter Berücksichtigung der Debatte um den Wertewandel rekonstruiert Dietz die Entwicklung dieser neuen Berufsgruppe, die symptomatisch für die Zeit nach 1968 mit Konzepten der Flexibilisierung arbeiteten und diese adaptierten. Besonders erwähnenswert ist der dezidierte Fokus auf Weiterbildungsprozesse für das Management sowie die daraus resultierenden veränderten Führungsparadigmen. Der unternehmenshistorische Blick fehlt in dieser Arbeit gerade in Bezug auf interne Bildungsmaßnahmen und sich verändernde unternehmensorganisatorische Führungsstrukturen fast gänzlich, sodass die vorliegende Arbeit dort ansetzt und den Weiterbildungssektor der Führungskräfte und interne Führungsstrukturwandel mit einem besonderen Fokus auf das mittlere Management nachzeichnet. Zudem sei hier auf Dietzs sozialhistorische Betrachtung leitender Berufsgruppen verwiesen, die im Rahmen der Wertewandeldebatte die Gruppe der Leitenden Angestellten (LA) in den Blick nimmt. Die LA bildeten eine Schlüsselgruppe in der Diskussion um den Wertewandel, da sich als neue Interessensgruppe ihr Blick sowohl nach oben als auch nach unten richtete.52 Trotz dieser Arbeiten und einer reichhaltigen Quellenlage, sind die LA als Vertreter:innen des mittleren Managements in Bezug auf die Führungsstile und -formen in der wirtschaftshistorischen Forschung noch weitestgehend unerforscht.

Wie in vielen unternehmenshistorischen Arbeiten wird auch bei der Untersuchung des Managements deutlich, dass die weibliche Perspektive fast gänzlich fehlt. Bernhard Dietz beschäftigt sich in einem Unterkapitel mit dem Feminine Leadership und stellt ebenso fest, dass erstens der weibliche Führungsstil in den 1980er Jahren zwar diskutiert wurde, es aber zweitens nur wenige Forschungen über Frauen in Führungspositionen gibt. Eine Ausnahme stellen die Arbeiten von Christine Eifert dar, die der Abwesenheit von Frauen in Führungspositionen nachgeht und auch zu denselben Schlussfolgerungen kommt.53 Auch in den untersuchten Unternehmen dieser Arbeit spielten Frauen in Führungspositionen keine Rolle.54

Die Forschung über die Entstehung und den Einfluss dezidierter Personalpolitik zeigt auf, dass sich in den 1960er Jahren die Arbeit mit Humanexperten professionalisierte. Die Arbeiten von Ruth Rosenberger und Christian Reuber beschäftigen sich aus wirtschaftshistorischer Perspektive mit der Entwicklung der Personalpolitik in der BRD. Reuber geht in seiner Dissertationsschrift vorrangig auf organisationstheoretische Fragen ein und beschäftigt sich damit, wie Personalentscheidungen im Führungsbereich getroffen wurden und ob dabei eher professionell-rationale oder sozial-informelle Kriterien der Elitendistinktion eine bestimmende Rolle spielten. Dahingegen greift Rosenberger in ihrer Arbeit den Beginn der Personalberatung und den Einfluss externer Expertise auf unternehmerische Personalentscheidungen seit den 1950er Jahren auf und argumentiert, dass neue Vorstellungen von Demokratisierung und Konsens in den Unternehmen aufkamen, die für die vorliegende Arbeit essenziell sind. Dabei wagt sie jedoch nur wenige Ausblicke auf die weiteren Entwicklungen der 1970er und 1980er Jahre, an die diese Arbeit in Bezug auf die Re-Organisation des Faktors Mensch im Unternehmen wiederum anknüpft.55

Die Forschungslandschaft zum Thema Managementgeschichte ist somit durch recht enge, aber ebenso heterogene Forschungszugänge geprägt: In der Unternehmensgeschichte dominieren dabei Einzelfallstudien zu spezifischen Unternehmen, die sich vornehmlich auf die individuelle Rollen, die Bedeutung und den Werdegang einzelner Top-Unternehmensleiter fokussieren.56 Flankiert werden diese Arbeiten durch einige kollektivbiographische Studien, die ausschließlich den Aspekt der sozioökonomischen Herkunft der unternehmerischen Führungselite beleuchten.57 Eine der neueren Studien handelt von der Biografie des ehemaligen Deutsche Bank Manager Alfred Herrhausen, in der Friederike Sattler seine Karriere als Neuausrichter der Deutschen Bank analysiert.58 Hervorzuheben sind zudem Studien, die auf die soziale Kohäsion durch Elitenetzwerke sowie den Kontinuitäten und Diskontinuitäten in der Zusammensetzung der wirtschaftsbürgerlichen Eliten eingehen. Der Begriff des Managers begrenzt sich in diesen Studien auf einen recht kleinen Kreis von Entscheidungsträgern und Patriarchen, während die Entwicklung der erweiterten Belegschaftsgruppe Management oder Führungskräfte auf den mittleren Führungsebenen der Unternehmen kaum in den Blick genommen wird und bis dato ein Desiderat darstellt. Ebenso schwer wiegt, dass sich der zeitliche Horizont der Arbeiten zumeist auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts beschränkt, während zeithistorische Untersuchungen ausbleiben.59

Jenseits des Schwerpunkts der Elitenforschung und der erwähnten Studien zur Geschichte der Führung in der Bundesrepublik, liefern auch weitere Forschungsfelder Hinweise auf die historischen Entwicklungspfade des deutschen Managements. Zu nennen sind dabei die Debatten um die These einer Amerikanisierung der westdeutschen Wirtschaft. Volker Berghahn formulierte in den 1980er Jahren die Annahme, dass die deutsche Managementkultur stark von amerikanischen Vorbildern geprägt sei.60 Harm Schröter hingegen verdeutlichte, dass der Einfluss US-amerikanischer Methoden und Ideen in der BRD unterschiedlich intensiv war. Während sich vor 1945 vorrangig deutsche Alternativen zu US-amerikanischen Managementmodellen etablierten, kamen in den 1950er und 1960er Jahren Bildungsstätten auf, die sich an US-amerikanischen Methoden orientierten, jedoch nie eine Alternative zum post-graduate Studium des Master of Business Administration darstellten.61 Neuere Forschungen zeigen darüber hinaus, dass sich die US-Managementkonzepte nur partiell auf Deutschland übertragen ließen und einen komplizierten Anpassungsprozess an die hier vorherrschenden, eigenen Traditionen der Unternehmens- und Marktkultur durchliefen.62

Im Zusammenhang mit amerikanischen Adaptionen innerhalb der Wirtschaft und ihrem Führungspersonal bewegt sich diese Arbeit auch in der Diskussion um die Varieties of Capitalism (VoC), die sich mit den internationalen Spielarten des Kapitalismus und deren Unterscheidungen und Abgrenzungen beschäftigt. Dem vorausgehend prägte Michel Albert in den frühen 1990er Jahren den Begriff des Rheinischen Kapitalismus und verglich dabei den deutschen, resp. rheinischen, mit dem neo-amerikanischen Kapitalismus.63 Der damalige Chef des französischen Versicherungskonzerns Assurance General de France definierte in seinem Werk Capitalisme contre Capitalisme die Vorteile in der Zusammensetzung und Wirkung des deutschen Kapitalismus.64 Hintergrund des Werkes war die These Alberts, dass der rheinische Kapitalismus der effizientere und für die Gesellschaft die gleichberechtigtere Kapitalismusausprägung wäre. Er stellte ihn dem angloamerikanischen Kapitalismus gegenüber vermutete, dass letzterer sich dennoch durchsetzen würde, da er aus Sicht der oberen Gesellschaftsmilieus Vorteile schaffen würde.65

In der Forschung wurden Alberts Überlegungen zum rheinischen und angloamerikanischen Kapitalismus durch die Varieties of Capitalism abgelöst. Dennoch haben der rheinische Kapitalismus und die von David W. Soskice und Peter A. Hall benannte koordinierte Marktwirtschaft (coordinated market economies, CME) große Schnittmengen und wurden durch den neueren Zugriff der VoC erweitert.66 In der deutschsprachigen Forschung erhielt in den 2010er Jahren die Erweiterung des VoC-Ansatzes durch die sogenannte Deutschland AG einen neuen Stellenwert. Der Begriff ist im Vergleich zu dem, was er umschreibt, relativ jung. In den späten 1990er und 2000er Jahren eroberte der Begriff die bundesdeutsche Presse und brachte die VoC Debatte damit indirekt in die breite Öffentlichkeit.67 Der Begriff Deutschland AG umfasste die Vorteile der bisherigen Spielart des Kapitalismus, die deutsche Unternehmen vor Übernahmen durch ausländische Unternehmen schützte. Im Grunde waren die Deutschland AG und die CME in vielen Punkten deckungsgleich. Gerade die von Soskice und Hall analysierten Netzwerke zwischen Banken, die wechselseitigen Kapitelbeteiligungen von Industrie, Handel, Banken und Versicherungen und langfristige Bankkredite, damit zusammenhängenden Entscheidungsstrukturen durch personellen Verflechtungsstrukturen im Aufsichtsrat bündelten sich in der Deutschland AG. Ralf Ahrens, Boris Gehlen und Alfred Reckendrees beschäftigten sich 2013 in einem Sammelband mit der Deutschland AG als Forschungsgegenstand und reihen sich damit ein in eine Vielzahl von Studien über Kapitalismusausprägungen.68

Einen weiteren Beitrag zu dieser Debatte um Spielarten des Kapitalismus und Managementstrategien liefern Thomas Welskopp und Colleen Dunlavy, die Mythen und Eigenheiten des deutschen gegenüber dem amerikanischen Hire-and-Fire Kapitalismus herausstellen.69 Daran anknüpfend sind noch weitere Studien zu erwähnen, die das Phänomen der Kapitalismusspielarten mit der Entwicklung des Managements in Europa verknüpfen. Die Studie von Luc Boltanski und Ève Chiapello beschäftigt sich Ende der 1990er Jahre mit dem neuen Geist des Kapitalismus. Mit ihrer These, dass der Kapitalismus »eine Forderung nach unbegrenzter Kapitalakkumulation durch den Einsatz formell friedlicher Mittel«70 sei, heben sie die Formveränderungen dessen in den 1960er und 1970er Jahren hevor. Die Wirtschaft sei schrittweise zu einer Spielwiese der Selbstverwirklichung geworden und der Kapitalismus verwirkliche sich in Werten wie Flexibilität und Individualität. Die Ergebnisse dieser Diskursgeschichte der 1960er bis 1990er Jahre verbleiben allerdings weitgehend auf einer theoretischen und ideengeschichtlichen Ebene, und versucht, den strukturellen Wandel von zentralisierten Großunternehmen seit den 1970er Jahren hin zum schlanken Unternehmen nur anhand von Managementliteratur zu erklären.71 Hier knüpft die Untersuchung des mittleren Managements für den deutschen Fall an und bezieht neben Managementliteratur auch Unternehmensquellen mit ein, um den Diskurs vom Manager als Akteur aus nachzuzeichnen.

Zum Einfluss gewandelter Werte des Individuums im Arbeitsleben zählt weiterhin das Werk von Ulrich Bröckling, der mit dem unternehmerischen Selbst eine Beobachtung unternehmerischen Handelns beschrieb. Mit dem Kredo der ständigen Selbstoptimierung und damit einhergehend mit der Debatte um ein lebenslanges Lernen beschreibt Bröckling, dass das unternehmerische Selbst nicht angeboren ist, sondern durch ständige Kreativität und Flexibilität sowie Eigenverantwortlichkeit Leitbild und Ziel des Individuums geworden ist.72

Die historische Entwicklung der Weiter- und Ausbildung von Führungskräften stellt ein weiteres Forschungsfeld dar, das Anknüpfungspunkte für die vorliegende Arbeit eröffnet. Auf der Makroebene sind dabei zunächst jüngst erschienene Arbeiten über die generelle berufliche Weiterbildung zu erwähnen, die sich zum einen auf politische bzw. politisierte Aspekte der Bildungsarbeit und zum anderen auf den Blickwinkel des Arbeitsmarktes der Zukunft beziehen.73 Insbesondere die Beiträge von Franziska Rehlinghaus, die sich mit der innerbetrieblichen Weiterbildung und mit der Politisierung derselben beschäftigt, bieten einen Zugang zur kulturhistorischen Verortung der unternehmerischen Bildungspraxis.74

Die in Deutschland bis in die späten 1990er Jahre fehlenden MBA-Studiengänge, spiegeln Problem und Chance der Bildung von Führungswissen in den deutschen Unternehmen nach 1945 wider. Das Heranziehen von Führungskräften war in der unmittelbaren Nachkriegszeit notwendig – zu viele Männer einer Generation waren im Krieg gefallen. Die Betrachtung der Jahrzehnte vor der Bildungskrise und den folgenden Öffnungen der Hochschulen sowie den Schulreformen kam im Rahmen betrieblicher und überbetrieblicher Weiterbildung erst allmählich auf. In Hinblick auf die Managementaus- und -weiterbildung in der BRD hat Matthias Kipping die These der versteckten deutschen Business Schools aufgestellt.75 Diese seien das deutsche Äquivalent der MBA-Studiengänge und waren externe Bildungseinrichtungen, wie den Baden-Badener Unternehmergesprächen (BBUG). Die Forschung zu Weiterbildungsprogrammen und -einrichtungen im Kontext der Unternehmensgeschichte steht zum Teil noch am Anfang. So gibt es etwa Aufsätze und wenige längere Studien, die sich mit Managementweiterbildungsstätten wie den BBUG oder der Akademie für Führungskräfte (AFK) beschäftigen, teils aber die Managementweiterbildung lediglich als einen Untersuchungsgegenstand innerhalb der Amerikanisierungsdebatte verorteten.76 Weiterhin waren es bisher überwiegend Jubiläumswerke der Weiterbildungsstätten selbst, die Forschungslücken füllten.77 In jüngster Zeit erschienen einige Forschungsarbeiten, die sich mit der Entwicklung von außer- und innerbetrieblicher Weiterbildung auseinandersetzen. Diese zeigen vor allem zweierlei: Erstens weisen die Forschungen über die BBUG nach, dass sich die elitäre, auf einem Netzwerk beruhende Auswahl und Struktur des Managerpools gerade in den Reihen der oberen Führungskräfte weiterhin hielt und sich tradierte Netzwerkstrukturen des gezielten Auswählens der Teilnehmer weiter festigten. Das jüngst erschienene unternehmenshistorische Werk von Joachim Scholtyseck und Martin Hinzmann zeigt auf, dass die Geschichte der BBUG seit 1955 ebenso eine Geschichte der Netzwerke im Topmanagement ist.78 Auch wenn Scholtyseck und Hinzmann die Entstehungsgründe der »neuartigen Einrichtung […] als Kind des bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders«79 bezeichneten, waren sie doch vielmehr Kinder der vernachlässigten Aufarbeitung der nationalsozialistischen Kontinuitäten und damit zusammenhängender Beibehaltung mentaler, habitueller und führungsideologischer Strukturen des NS.80

Zweitens entwickelte sich mit dem sogenannten Harzburger Modell ein erlernbares Konzept zunächst flexibler Führung, das auf festgeschriebenen und erlernbaren Regeln aufbaute und damit mittlere Führungskräfte austauschbar machte. Der Jurist Reinhard Höhn war der Gründer der AFK, in der seit 1956 vordergründig das mittlere Management in Führungsfragen weitergebildet wurde. Kern der AFK war die Delegation von Verantwortung.81 Mit einem dezidiert biographischen Zugang zu Reinhard Höhn beschäftigte sich Alexancer O. Müller, in dessen Studie der Fokus jedoch erst im letzten Drittel der Studie auf das Wirken Höhns als deutschen Management-Guru82 sowie der Rolle und Wirkung der AFK in den Unternehmen gesetzt wird.83 Das 2020 publizierte Essay des französischen Historikers Johann Chapoutot geht wiederum auf die Verstrickungen ehemaliger nationalsozialistischer Entscheider in die bundesrepublikanische Wirtschaft ein, eruiert die langen Linien der nationalsozialistischen Führungsideologien und macht dies am Beispiel Höhns fest.84 Der Titel »Libre d’obéir« – oder wie er in der deutschen Übersetzung heißt: »Gehorsam macht frei« – lässt dabei kaum Interpretationsspielraum für die Deutung der NS-Kontinuitäten im Management durch Chapoutot.85 Ebenso kritisch setzt sich die 2022 erschienene Studie »Arbeit, Dienst und Führung: Der Nationalsozialismus und sein Erbe« mit der Höhn’schen Managementausbildung und generell den Kontinuitäten aus dem Nationalsozialismus in puncto Führung auseinander.86

Auch in den jüngsten Werken zur Geschichte der Managementweiterbildung und Vernetzung von unternehmerischen Eliten, scheint der Fokus weiterhin auf Einzelpersonen und nicht auf der Gesamtorganisation und ihrer Einbettung im unternehmerischen Wirken gerichtet zu sein. Die Studien, die sich mit dem bisher lediglich kursorisch betrachteten, aber nicht unbekannten Erfinder des Harzburger Modells beschäftigen, gehen dezidiert auf das System Höhns sowie die mit ihm einhergehenden Kontinuitäten ein, weniger aber auf die Bedeutung der AFK für die bundesdeutschen Großunternehmen und vor allem deren Wirkung auf das mittlere Management.

Im Zuge unternehmerischer Umstrukturierungen in den 1960er und 1970er Jahren stieg neben der Professionalisierung des Personalwesens auch die Bedeutung von Unternehmensberatungen. Kipping beschreibt die Entstehung eines professionalisierten Managements in Deutschland durch die wachsende Einflussnahme von (amerikanischen) Unternehmensberatungen. Dabei liegt sein zeitlicher Fokus jedoch vornehmlich auf den Entwicklungslinien der 1950er und 1960er Jahre. Zudem stellt er weniger die berufsqualifizierenden Inhalte der Ausbildungskonzepte vor, sondern konzentriert sich vielmehr auf Beratungsangebote zur organisatorischen Einbettung von Personalressorts in den Unternehmensaufbau.87 Zusammen mit Lars Engwall eruiert Matthias Kipping darüber hinaus die Rolle der Unternehmensberatung als knowledge industry im europäischen Kontext. Die Autor:innen des Sammelbandes zeigen auf, dass sich die Beratungen aufgrund unterschiedlicher Ausprägungen der Managementausbildung entsprechend anders agierten.88

Die Ideen und inhaltlichen Konzepte der Beratungsfirmen und ihre Wirkung in den Unternehmen werden durch die Unternehmensquellen der Fallstudien aufgezeigt. Von hier aus lassen sich direkte Verbindungen zur Geschichte von Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in Großbetrieben des 20. Jahrhunderts herstellen.89 Insgesamt nahm die fachwissenschaftliche und die populärwissenschaftliche Literatur rund um das Thema Human Ressources in den 1970er Jahren in Deutschland zu und wurde in den Unternehmen zum Leitbild neuer Arbeitsgestaltung.90 Im Nachklang an die Forschungen über die Zeit nach dem Boom rückte die Betrachtung dieses wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch ereignisreichen Zeitraums in den Fokus unternehmenshistorischer Forschungen.91 Die Wirkung reformpolitischer Reaktionen auf den Arbeitswandel, wie der Humanisierung des Arbeitslebens (HdA) oder auch des viel beschworenen Kredos des Teamworks auf die sich wandelnden Führungskulturen und -erwartungen deutscher Unternehmer wurden tiefergehend untersucht. Die verschiedenen Facetten humaner Arbeitsgestaltung im Rahmen der HdA wurden untersucht, ebenso bieten die Studien eine Bandbreite an Forschungsperspektiven, die sich mit branchen- sowie akteurs- und länderspezifischen Humanisierungsdebatten beschäftigen.92 Die jüngst erschienene Monografie von Gina Fuhrich untersucht am Beispiel von Volkswagen Arbeiter:innen als Akteure innerhalb der HdA Debatten im Unternehmen.93 Diese bisherigen Darstellungen umfassen in erster Linie Teilaspekte der deutschen Führungskräfteentwicklung wie die Weiterbildung, die Verwissenschaftlichung, Unternehmerbiografien und -netzwerke.

Die vorliegende Arbeit will die oben skizzierten Forschungsfelder neu zusammenführen, systematisieren und kontextualisieren. Dabei knüpft sie insbesondere an neuere zeithistorische Studien an, welche die 1960er bis 1980er Jahre als einen Zeitraum massiver ökonomischer und gesellschaftlicher Strukturbrüche identifizieren. Unklar ist beispielsweise, inwieweit Wertewandelsphänomene94, Strukturbrüche und Zukunftserwartungen in der bundesdeutschen Wirtschaft und Arbeitswelt95, aber auch Mitbestimmungsdebatten96 und Reformprojekte wie die Humanisierung der Arbeitswelt97auf die Unternehmen und ihre Führungskräfte einwirkten. Einigkeit herrscht insgesamt darüber, gesellschaftliche und ökonomische Umbrüche in die Zeit nach dem Boom98 zu verorten, die dabei als Veränderungsimpulse direkt auf das Management von Unternehmen einwirkten. Für die Zeit nach dem Boom rekurriert die Arbeit vordergründig auf den von Lutz Raphael umzeichneten Untersuchungszeitraum jenseits von Kohle und Stahl seit Mitte der 1970er Jahre, in dem er Veränderungen der Arbeits- und Lebenswelten für Industriearbeiter eruiert.99

Die Analyse des mittleren Managements und damit zusammenhängender neuer Entscheidungsstrukturen schließt somit verschiedene Forschungslücken: Mit der Betrachtung der Professionalisierungselemente des mittleren Managements werden neue Akteure in den Mittelpunkt gerückt, die sowohl einen wesentlichen Anteil am Aufstieg des Managements hatte als auch an den Debatten um neue Arbeitswelten und -strukturen im Kontext der Strukturbrüche der 1970er Jahre. Die Analyse der Entstehung dezidierter Führungskonzepte als wesentliches Merkmal dieser gewandelten Arbeitsstrukturen im Managementbereich, knüpft an bestehende Forschungen über den Einfluss von Unternehmensberatungen seit den 1960er Jahren als auch an Forschungen über die Rolle von Personalexpert:innen im Unternehmen und dem Einfluss von bildungs- und reformpolitischen Maßnahmen und erweitert dabei die Betrachtungen um den Forschungszeitraum nach dem Boom bis zur Wiedervereinigung. Damit leistet die vorliegende Forschung einen wichtigen Beitrag über die (Weiter-)Entwicklung unternehmerischer Führungs- und Entscheidungsstrukturen und darüber hinaus der Systematisierung der Weiterbildung für Führungskräfte durch die Ausweitung der Handlungsspielräume des Personalwesens im Unternehmen.

Ebenso lässt sich die vorliegende Arbeit an die Westernisierungsdebatten und die Theorien der Kapitalismusspielarten anschließen und wendet diese auf die bisher nicht untersuchte Gruppe des mittleren Managements an. Mit ihrem neuen Rollenverständnis sowie der organisatorischen und rechtlichen Verortung in den Unternehmen können ebenjene Debatten einen tieferen Einblick in die Umsetzung demokratischerer und humanerer Arbeitsstrukturen geben. Die professionelle Ausgestaltung des Personalwesens bietet einen neuen Einblick auf die Einordnung des Faktors Mensch in den unternehmerischen Kontext, ebenso wie die Reaktion und Interaktion der Unternehmen mit staatlichen Reformprogrammen. Darüber hinaus liefert die Arbeit Ergebnisse über qualifikatorische Hintergründe, die Selbstwahrnehmung im Wandel und die Ausrichtung der innerbetrieblichen Weiterbildungen einer bisher anonymen Gruppe der mittleren Manager.

1.3Der Manager und die Führungskraft in Deutschland – Ein Definitionsproblem

1.3.1Führungskraft und Manager

Nachdem die deutsche Übersetzung des amerikanischen Werkes von James Burnham »The Managerial Revolution« im Jahr 1948 in Deutschland erschien, wurden die Begriffe Manager und Management erstmals in nennenswertem Umfang gebräuchlich.100 Durch die Nutzung der Begriffe ohne äquivalente deutsche Übersetzung, etablierten sich diese nach und nach auch im deutschen Sprachgebrauch.101 Insgesamt mussten sich nach Kriegsende viele Begrifflichkeiten neu finden, denn eine Weiternutzung von im Nationalsozialismus etablierten Bezeichnungen zur Führung sollten gerade in der Politik vermieden werden. Zu nah waren dabei die Befehl-und-Gehorsam-Parallelen, die dem organisierten Miteinander von Betriebsführer und Gefolge ähnelten.102

Bis heute gibt es in der Forschung kaum eindeutige Definitionen von Führungskraft oder Manager. Die britische Wirtschaftssoziologin Christel Lane argumentiert, dass »definitions of a manager/managerial work abound. Managers’ work is so varied and fragmented that it is extremely difficult to compress it into simple definitions.«103 Es ist für die Untersuchung von Führungskräften in der bundesdeutschen Wirtschaft somit kaum möglich, operationalisierte, auf rechtlicher Grundlage beruhende Definitionen zu geben. Die Stellung der Führungskraft ist nicht, wie der des Leitenden Angestellten, im Betriebsverfassungsgesetz definiert und beruht je nach Unternehmen, dessen Tradition, Größe und Standort, auf eigenen gesetzlichen Zuschreibungen.104 Der Soziologe Michael Faust merkt dazu kritisch an, dass die Zuschreibung der Leitenden Angestellten nach BetrVG zum oberen Management in der Metallindustrie wohl funktioniere, jedoch bereits in der Chemieindustrie zu Problemen führe, denn dort würden akademische Expert:innen auch ohne Personalverantwortung nach einer Zeit »leitend« eingesetzt.105

Zu den Führungspositionen werden in der vorliegenden Studie fortan alle Stellen gezählt, die mindestens als leitend angegeben sind. Das untere Management wird in der Hierarchie mit der Qualifikation eines Meisters gleichgesetzt, das mittlere Management durch die Stellen bis zur Hierarchiestufe eines Bereichsleiters.106

Obwohl einige soziologische Studien, die sich mit dem Management beschäftigen, das Topmanagement und die Vorstands- sowie Geschäftsebene ausschließen, werden diese berücksichtigt, da gerade in den frühen Jahrzehnten der Bundesrepublik viele Stellen dieser Art ausgeschrieben wurden und Aufschluss über die Wahrnehmung ebenjener Positionen geben.107 Dies unterstreicht ebenso die These nach der neuen Rolle des mittleren Managements, die sich sowohl in den Stellenanzeigen als auch in den Unternehmen in den 1970er Jahren signifikant ändert. Dementsprechend liegt der primäre Fokus der vorliegenden Arbeit auf dem mittleren Management. Wenn es um Karrieren einzelner Manager geht, die es bis in das Topmanagement schafften, wie u. a. der ehemalige VW-Vorstandsvorsitzende Carl H. Hahn, wird dies explizit erwähnt.

Neben der hierarchischen Einstufung der Positionen muss bei der Definition des Begriffs auch festgelegt werden, wie sich das Management grundsätzlich ausrichtete. Bei der akademischen Unternehmensführung wird bis heute die institutionelle von der funktionalen Unternehmensführungslehre unterschieden. Unter die Forschungsbereiche der institutionellen Ebene fallen vor allem die Analyse spezieller Personengruppen, die Frage nach der Rolle des Managements und Probleme der Unternehmensverfassung sowie nach der Ausgestaltung der Corporate Governance. Sobald das Management im funktionalen Sinne verstanden wird, werden Handlungen in den Fokus der Führung gerückt, die sich mit Sicherstellung, Steuerung und Steigerung der organisatorischen Leistungsprozesse beschäftigen. In der Bundesrepublik hat der funktionale Ansatz die größere Aufmerksamkeit erfahren, wie sie sich u. a. in den reformpolitischen Maßnahmen der HdA ausdrückten. Auch die allgemeine Ausrichtung der Betriebswirtschaftslehre, die anhand dieses Ansatzes im Laufe der Zeit ihre Managementlehre weiterentwickelte, ist ein Beispiel für das funktional verstandene Management.108 Dadurch, dass deutsche Manager ihre Abschlüsse vorrangig in den Ingenieurswissenschaften oder Jura erwarben, wurden sie grundsätzlich nicht als Manager ausgebildet. Betriebswirtschaftslehre gehörte nur bedingt zu den Studieninhalten, jedoch waren die in den USA klassischen Business Administrations nicht Bestandteil der akademischen Ausbildung.

Im gesamten Betrachtungszeitraum herrschte in Deutschland die funktionale Managementausrichtung vor. Die Ausbildung der bundesdeutschen Führungskräfte stellte bei der Verortung das ausschlaggebende Kriterium, wie es in den Stellenanzeigen der 1960er Jahre mit der Fokussierung auf Ingenieur:innen wieder zum Vorschein trat. Peter Lawrence beschrieb dieses Phänomen mit der Unterscheidung zwischen educated und trained: Die US-amerikanischen Manager wurden für ihre Position als Manager geschult (trained), während die deutschen Manager im Studium ausgebildet (educated) wurden und somit deutlich spezialisierter waren. Die deutschen Manager wären demzufolge bereit, das Unternehmen zu wechseln, nicht aber die Branche oder Industrie.109 Im angelsächsischen Raum bestand seit jeher die Vorstellung des Managers als unified profession und nicht wie in Deutschland als Akteur im funktionalen Management.110 Die Führungskraft in Deutschland ist auf der Grundlage eines Ausgangsberufes mit spezifischer Qualifikation(-sstufe) rekrutiert worden. Der erlernte Beruf oder das Studienfach war das ausschlaggebende Kriterium und blieb eine permanente Bezugsgröße, auch wenn die Position als Management eingestuft wurde. Der Manager per se war demnach zunächst kein Beruf im Sinne dieser Definition und bedurfte keiner Führungskulturen resp. -leitlinien.111 Die Herausbildung des funktionalen Managements kann dabei als Teil eines spezifischen institutionellen Arrangements des kooperativen Kapitalismus resp. der CME verstanden werden:

»The core features of this peculiar institutional arrangement are:

An active, ›enabling state‹;

The relevance of ›quasi public‹ or ›associationally constructed‹ networks;

The significance of professions (Berufe) in general, and ›functional management‹ in particular, defined by educational background, recruitment patterns, role definition, and authority; and

A ›cooperative‹ corporate governance system with its corresponding personal linkages.«112

Weiterhin werden aufgrund der recht identischen deutschen Definition bzw. Verwendung von Führungskraft und Manager, die Führungskräfte den Managern gleichgesetzt. Es wurde zunächst der Versuch unternommen, den US-amerikanischen leader vom manager zu trennen, jedoch waren die Übergänge zwischen »führenden Managern« und den »managenden Führungskräften« für die Betrachtung zu gering.113 Diese Unterscheidung wird dementsprechend nicht vorgenommen. Die Manager werden daher unter der Kategorie der Führungskräfte mit in die Analyse aufgenommen. Es wird darüber hinaus jedoch ein gesonderter, diskursiver Fokus auf die Erwähnung des Wortes Manager gelegt, da zum einen der Einfluss US-amerikanischer Methoden einen wesentlichen Faktor für diese Arbeit darstellt und zum anderen der Kontext, ab wann von Manager statt Führungskraft gesprochen wurde, aufschlussreiche Ergebnisse liefert.114 Eine Definition der hierarchischen Ebenen kommt besonders in der qualitativen Analyse zum Tragen. Dort werden einzelne Phänomene, die sich in den jeweiligen Jahrzehnten als richtungsweisend herausstellten, erarbeitet und typisiert. In Bezug auf die Stellenanzeigendatenbank werden drei Anforderungskategorien unterschieden: Qualifikationsniveau, Alter und Schlüsselqualifikationen.

Mit der Betrachtung des Wandels von der Führungskraft in der BRD, bleibt es nicht aus, sich auch über den Begriff des Leitenden Angestellten Gedanken zu machen. Dieser wurde im BetrVG von 1972 unter §5 arbeitsrechtlich definiert.115 Der in den 1970er Jahren stark umkämpfte Begriff, bei dem es um die Frage der Zugehörigkeiten im Unternehmenskontext ging, ist durch seine rechtliche Grundlage zwar klarer definiert, durch seine historische Streitposition jedoch politisch aufgeladen.116 Hans-Jürgen Puhle bezeichnete die Zunahme der LA und die damit zusammenhängende Trennung von Besitz und Kontrolle in den Unternehmen auch hier als Phänomen des organisierten Kapitalismus.117 Damit wird davon ausgegangen, dass die rechtliche Grundlage der LA eine Ausprägung des Rheinischen Kapitalismus darstellt und sich damit US-amerikanische Managementkonzepte in die deutschen Rahmenbedingungen integrierten. Der genaue Anteil der LA an der Gesamtheit aller Beschäftigten in der Bundesrepublik ist für die 1970er und 1980er Jahre nicht exakt benennbar.118 Jedoch gaben Eberhard Witte und Rolf Bronner in einer Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung aus dem Jahr 1974 eine Zahl von 480.000 leitenden Angestellten an. Grundlage dieser Zahl bildeten 116 Unternehmen, die 65 Prozent der Arbeitenden in Industrie- und Handelsunternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten ausmachten und somit als Großunternehmen gelten. Außerdem stellten sie fest, dass der Anteil der LA branchenabhängig ist. Während in der chemischen Industrie der Anteil Mitte der 1970er Jahre bei 4,3 Prozent lag, betrug er im Einzelhandel lediglich 0,8 Prozent und reiht sich damit ein in die Ergebnisse der ungleichen Stellenbeschreibungen und -bedürfnisse der LA.119 In dieser Arbeit wird der LA operationalisiert und in der Analyse über Manager und Führungskräfte inkludiert. Wenn es jedoch dezidiert um Institutionen und rechtliche Belange geht, die sich mit dem Begriff des Leitenden Angestellten befassen – so u. a. die Union Leitender Angestellter (ULA) – wird dies hervorgehoben.120

Insgesamt ist es bei Forschungen über das Management demnach schwierig, die Begriffe mit der eigentlich benötigten Trennschärfe zu analysieren. Zwar wird in den Quellen der Unternehmen von unterer, mittlere und oberer Führungskraft (oder top, middle und lower Management) gesprochen, jedoch sind häufig nur generalisierte Aussagen möglich. Ebenso ist es aus den Quellen heraus selten möglich, formalrechtliche Unterscheidungen wie u. a. mit dem leitenden Angestellten laut BetrVG sowie Stellenbeschreibungen und Selbstzuschreibungen vorzunehmen.121 Die hier thematisierte Hierarchiestufe bezieht sich in der Regel auf das mittlere Management. Sollte es sich um ein anderes Hierarchiespezifikum handeln, wird dies explizit erwähnt.

1.3.2Professionalisierung

Die vorliegende Arbeit baut auf der Annahme einer zunehmenden Professionalisierung der Führungskraft seit den 1970er Jahren auf. Im angloamerikanischen Raum versteht man unter professions organisierte Berufsgruppen die von den gewöhnlichen Berufen – den occupations – abgegrenzt werden. Diese professions definieren sich über ihre eigene Macht der Berufsausbildung, sowie in ihrer eigenen Kontrolle über den Marktzutritt. Ebenso definieren sie ihre Organisation und Leistung selbst.122 Es geht weiterhin um spezielles Wissen, das die Monopolisierung dieser Sparte ausmacht, ebenso wie typische Praktiken des Berufes und seiner Ausübung.123 Außerdem, und dies ist für die vorliegende Analyse der wichtigste Punkt, führen Professionen zur Schaffung von Standards der Leistungsbewertung und kontrollieren ebendiese. Daraus setzt sich die Legitimation und Autonomie der Profession zusammen.124 Es geht daher um die fachspezifische Ergründung eines Berufsfeldes, in das neben entsprechenden formalen Grundlagen auch Wissenssysteme integriert und Ausbildungsinhalte angepasst werden.125 Beim Faktor Ausbildung geht es der Professionalisierung darum, dass »die Ausbildung direkt auf die Funktion bezogen ist, die in der späteren beruflichen Position erfüllt wird.«126

In der Forschung werden die Begriffe Akademisierung und Professionalisierung gerne gleichgesetzt oder synonym genutzt, wie Eifert mit Blick auf deutsche Unternehmerinnen feststellt.127 Im Zuge dieser Arbeit trifft dies zu großen Teilen ebenso zu. Betrachtet man die gesellschaftliche Verwendung des Begriffes Professionalisierung wird darunter gemeinhin die zielorientierte Ausrichtung eines bestimmten Feldes, häufig eines Berufes, verstanden. Die Ausrichtung verschiedener Aspekte des Berufes, wie der Zusammenschluss in Berufsverbänden, das gesellschaftliche Verständnis und auch besagte staatlich verankerte Qualifikation führen zu einer permanenten Weiterentwicklung des bisherigen Branchenniveaus über den Status Quo hinaus.128 Der Prozess der Professionalisierung fand im Hinblick auf die Führungsposition primär dahingehend statt, dass sich diese im Laufe der 1970er Jahre institutionalisiert, sich Anforderungen und Führungsstile konkretisierten und schließlich in Berufsverbänden gipfelten.

1.4Theoretisches und methodisches Vorgehen

1.4.1Theoretische Rahmensetzung

Grundlage der vorliegenden Arbeit und deren theoriegeleiteter Aufbau bildet ein Ansatz der fiktiven Erwartungen im Sinne imaginierter Zukünfte und kollektiver Erfahrungen.129 Hierbei werden die veränderten Erwartungen der Unternehmen sowie der Gesellschaft an die Führungskräfte im Laufe der 1970er Jahre thematisiert. Unter Berücksichtigung dieses theoretischen Ansatzes wird danach gefragt, wie sich nicht nur die Fremd-, sondern auch die Selbstwahrnehmung der Führungskräfte veränderte und welche Rolle die eigenen on the job- sowie Rekrutierungs- und Bewerbungserfahrungen dabei spielten. Diese Erwartungen werden diskursiv behandelt und drücken sich in Semantiken und Symboliken aus, die als Spuren der Erwartung im Zentrum der Untersuchung stehen. So können die persönlichen und fachlichen Einstellungsanforderungen, die durch die Führungs- und Personalabteilungen formuliert wurden, erfasst werden. Ebenso können die wandelbaren Ausbildungs- und Qualifikationskonzepte, die von Unternehmen und ihren Berater:innen von den 1950er bis 1980er Jahren eingesetzt wurden, analysiert werden. Daneben wird nicht nur nach der sozialen Herkunft von Managern, sondern konkreter nach Motiven, Leitvorstellungen sowie individuellen Qualifikationsmotiven und -erfahrungen der Führungskräfte gefragt. Im Sinne imaginierter Zukünfte, die für ökonomische Entscheidungen eine wesentliche Rolle spielen, werden jene kollektiven Erfahrungen und daraus resultierende Erwartungen vereint und auf Strategien der Zukunftsvorbereitung überprüft. Darunter fallen u.a. Strategien der Weiterbildungen für Führungskräfte, ebenso wie sich wandelnde Führungsstrukturen als Reaktion auf Krisen und Zukunftsängste.

Die Literatur über Erwartungstheorien ist vielfältig und heterogen. In dieser Arbeit geht es weniger um Erwartungen im Sinne eines ökonomischen Risikos als vielmehr um die Bildung von Erwartungen aus Erfahrungen im Bereich der Führungskräfterekrutierung. Zukunft ist dabei nicht lediglich eine zyklische Wiederholung der Vergangenheit oder »free-floating fantasies«: Erwartungen an und in der Wirtschaft bewegen sich in jeder Gesellschaft in einem von sozialen Gefügen abhängigen Rahmenbedingungen, die sich aus Macht, Privateigentum, Netzwerken, formellen und informellen Institutionen zusammensetzen.130 Insofern spielen auch die Annahmen der VoC und insbesondere der CME eine Rolle in der Benennung von Erwartungen innerhalb des Unternehmens, die sich in spezifischen institutionellen Rahmenbedingungen des rheinischen Kapitalismus äußern.131 Die Personal- und Entscheidungsstrukturen, sind für die Betrachtung des deutschen Managements von besonderer Bedeutung. Durch die innerbetrieblichen Konsensstrukturen, die starke Position von Arbeitgeberverbänden und die jeweils branchenspezifischen Ausbildungsarten, setzte bis in die 1990er Jahre eine Form des deutschen Managements durch, das bestimmt war von einer »socially based, corporatist culture […] founded on strong unions and labor participation in management.«132 Erwartungen an Führungskräfte sind damit geprägt von gesellschaftlichen und ökonomischen Erfahrungen innerhalb dieser CME.