Neue Bauern braucht das Land - Ophelia Nick - E-Book

Neue Bauern braucht das Land E-Book

Ophelia Nick

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Beschreibung

Zufriedene Bauern, glückliche Tiere, idyllische Landschaften: Romantische Vorstellungen prägen unser Bild vom Bauernhof. Doch die Realität ist längst eine andere: Agrarfabriken, Massentierhaltung und Monokulturen dominieren den ländlichen Raum. Eine solche Art der Landwirtschaft ist nicht nur schädlich für Mensch, Tier und Natur, sie ist auch nicht in der Lage, vielfältige und gesunde Lebensmittel zu produzieren. Die Biobäuerin und Politikerin Ophelia Nick wendet sich gegen diese Entwicklung. Sie fordert Landwirte, die pestizidfreie Lebensmittel produzieren, ihren Tieren ein würdiges Dasein ermöglichen und als Klima- und Umweltschützer eine bunte, artenreiche Agrarlandschaft gestalten. In diesem Buch erklärt sie anschaulich, wie und warum sich die bäuerliche Landwirtschaft zur Agrarindustrie gewandelt hat. Und sie stellt inspirierende Vorreiterinnen und Pioniere vor, die andere Wege gehen, die für lebendige Höfe kämpfen, von denen alle profitieren: die Bauern, die Konsumenten und die Natur.

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Ophelia Nick
Neue Bauernbraucht das Land
Ein Plädoyerfür gute Lebensmittelaus einergesunden Umwelt
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2019 oekom verlag MünchenGesellschaft für ökologische Kommunikation mbHWaltherstraße 29, 80337 München
Lektorat: Konstantin Götschel, oekom verlagKorrektorat: Silvia Stammen, MünchenUmschlaggestaltung: Elisabeth Fürnstein, oekom verlag
E-Book: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt
Alle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-96238-583-5
Inhalt
Vorwort
Von Ästhetik, Wohlgeruch und Geschmack
Bullerbü oder Industrie 4.0?
Eine kurze Geschichte der Landwirtschaft
Bauern und Landwirte
Bauernhöfe, die ich meine
Ein Gang über den Hof
Saatgut und Allgemeingut
Kann man Glyphosat trinken?
Vielfalt des Landbaus – Vielfalt des Lebens
Der Boden der Tatsachen
Glückliche Schweine und arme Säue
Preise und Werte
Wer hat, dem wird gegeben
Ein Verband der Bauern?
Die Macht des Verbrauchers
Wert und Schöpfung
Mit Genuss den Planeten schützen
Lebensmittel für zehn Milliarden Menschen
Umpflügen im Kopf
Anmerkungen
Zum Weiterlesen
Danksagung
Ich widme dieses Buch
allen Vereinen, engagierten Menschen, Verbänden und Institutionen, die für eine bessere Landwirtschaft und Ernährung kämpfen, die sich gegen Tierleid, Artensterben und Klimawandel wehren und Ideen für eine schonende Landwirtschaft entwickeln. Einigen gehöre ich an, viele verfolge ich mit Interesse, viele Informationen und Ideen konnte ich für dieses Buch verwenden. Dafür bedanke ich mich aufrichtig.

Vorwort

Jeder von uns isst jeden Tag – der eine mehr, die andere weniger, die eine häufiger, der andere seltener. Aber alle nehmen wir mehrere Mahlzeiten am Tag zu uns. Und doch machen wir uns erstaunlich wenige Gedanken darüber, woher unsere Lebensmittel eigentlich kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt werden. Dabei hat unser Essen einen immensen Einfluss auf unseren Körper und unsere Seele, auf die Entwicklung unserer Kinder und auf unsere Umwelt. Deshalb es ist keineswegs egal, ob in China ein Sack Reis umfällt oder bei uns ein Huhn geschlachtet wird. In unserer vernetzten Welt hat das globale Auswirkungen. Denn wenn bei uns ein Huhn geschlachtet wird, bleibt in der Regel nur die Brust in Deutschland, der Rest landet in Westafrika oder China. Unsere Art der Ernährung und der Landwirtschaft zerstört hier wie dort bäuerliche Strukturen. Deutschland ist ein erfolgreicher Nahrungsmittelexporteur, auch dank der Unterstützung der Europäischen Union, die Jahr für Jahr rund sechzig Milliarden Euro unter den Landwirten der EU verteilt. Ändern wir in Deutschland die Art der Lebensmittelherstellung, hat das internationale Auswirkungen. Ändern wir in Europa die Subventionspolitik, kann das weltweit zu Veränderungen führen – im Guten wie im Schlechten.
So wenig wir uns mit den komplizierten europäischen Agrarsubventionen auseinandersetzen, so wenig beschäftigen wir uns in aller Regel mit dem Wohl der Tiere, die für unsere Ernährung gehalten werden. Dabei ist es einem Großteil der jährlich achthundert Millionen in Deutschland geschlachteten Tiere nicht vergönnt, vor ihrem Tod ein einigermaßen würdiges Leben zu führen. Mehr Achtung vor unseren Mitgeschöpfen, denen wir viel zu viel Schmerz und Leid zumuten, stünde uns gut zu Gesicht. Allzu oft höre ich an dieser Stelle, wir würden zu viel Aufhebens um Tiere machen, während weltweit Kinder an Unterernährung sterben; wir würden uns zu viele Gedanken über Biofleisch machen, während in Asien Kleidung unter menschenverachtenden Bedingungen hergestellt wird. Diejenigen, die mit solchen Einwürfen die Diskussion um Verbesserungen abwürgen möchten, wissen oft nur zu genau, dass gerade die Wirtschaftsweise der industriellen Landwirtschaft ihren Teil zur weltweiten Zerstörung kleinbäuerlicher Strukturen und zum Hunger in der Welt beiträgt.
Aber auch auf das Klima hat die Art, wie wir Nahrung auf unseren Feldern herstellen und wie wir massenhaft Tiere halten, erhebliche Auswirkungen. Der weltweite Temperaturanstieg wird ganze Landstriche unter Wasser verschwinden lassen und andere verwüsten. Verändern wir die Landwirtschaft, verändern wir die Welt. Die Bilder, die wir im Kopf haben, wenn wir das Wort »Bauernhof« hören, gehören weitgehend der Vergangenheit an. Aber noch gibt es sie, die wirklich schönen Bauernhöfe, und die gilt es zu schützen. Und mehr noch: Die bäuerliche Landwirtschaft muss wieder mehr Raum bekommen – auf Kosten der großen Agrarfabriken.
Denn so, wie wir mit unserem Planeten umgehen, kann es nicht weitergehen. Das ist mittlerweile in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen. Neunzig Prozent der Deutschen wollen weniger ressourcenverbrauchend und umweltverträglicher leben. Leider bleibt das meist Theorie, die Praxis sieht ganz anders aus: Neunzig Prozent wünschen sich einen besseren Umgang mit Tieren, nur ein Prozent kauft Fleisch aus ökologischer Haltung. Woran liegt das? Das will ich gemeinsam mit Ihnen verstehen. Auf der Suche nach Antworten bin ich auf Erstaunliches gestoßen.
Was müssen wir tun? Müssen wir unseren Lebensstil ändern? Müssen wir verzichten? Verweigern wir uns deshalb wider besseres Wissen einer vernünftigeren, nachhaltigeren Lebensweise? Oder fehlt es schlicht an Wissen? Das vage Versprechen von Optimisten erscheint da sehr verlockend: Es wird schon irgendwie gut gehen, so schlimm ist es doch gar nicht, Flora und Fauna haben sich noch immer angepasst und Überlebensstrategien entwickelt. Unsere Welt bleibt uns schon erhalten.
In diesem Buch möchte ich aufzeigen, wie eine Landwirtschaft aussehen kann, die die Natur nicht schädigt, die in ihre Umwelt eingebunden ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, welche Kräfte in der industriellen Landwirtschaft und der Nahrungsmittelbranche aufeinandertreffen. Ich möchte erklären, wie die Landwirtschaft geworden ist, was sie ist, und wie sie etwas anderes werden kann. Denn heute ist die Landwirtschaft ein Teil des Problems. Aber sie kann auch ein wichtiger Teil der Lösung sein, eine Antwort auf Klimawandel und Artensterben. Dafür müssen wir die Widersprüchlichkeit unseres menschlichen Handelns verstehen. Wieso essen wir alle nicht gesünder und vernünftiger, wieso geben wir Tieren nicht mehr Platz und auch mal frische Luft? Wieso steht der Preis über allem? Wo sind sie, die stolzen Bauern und Bäuerinnen, die um ihren schönen Beruf und ihre Höfe kämpfen? Wo liegen die Stolpersteine auf dem Weg zu einer Landwirtschaft, die gesundes Essen produziert und gleichzeitig der Natur ihren Platz lässt?
Im Laufe der Arbeit an diesem Buch stieß ich auf viele Antworten auf diese Fragen. Insbesondere die Stolpersteine waren schnell gefunden, mitunter waren es regelrechte Felsen. Und zweifellos habe ich hier und da noch einen Brocken übersehen. Wieso ich den steinigen Weg mit Ihnen gehe? Der Anblick eines intakten Hofes erfüllt mich mit Glücksgefühlen. Zufriedene Hoftiere, eine eifrig summende Insektenvielfalt, stolze Bäuerinnen und Bauern, die wertvolle Lebensmittel erzeugen – diese Schönheit möchte ich Ihnen aufzeigen. Leider gehören die verheerenden Katastrophen, die eine destruktive Landwirtschaft hervorrufen kann, auch zu diesem Bild. Was wir brauchen, ist eine stabile, widerstandsfähige und nachhaltige Landwirtschaft. Sie ist für uns und nachfolgende Generationen überlebensnotwendig. Gehen wir gemeinsam auf die Suche nach einer fruchtbaren und produktiven, einer enkeltauglichen Landwirtschaft, die Mensch, Tier und Natur gerecht wird!

Von Ästhetik, Wohlgeruch und Geschmack

Bei Landwirtschaft spielt auch die Ästhetik eine Rolle.« Jan Grossarth, ehemaliger Landwirtschaftsredakteur der FAZ, formulierte einmal diesen Satz. Wer könnte ihm widersprechen? Die Schönheit einer Kulturlandschaft, die Lebendigkeit der Flächen, auf denen unsere Nahrungsmittel wachsen – in ihnen spiegelt sich die Sinnhaftigkeit unseres ganzen Lebens. Schönheit stiftet Sinn und sie hat auch in der Landwirtschaft ihre Berechtigung. So ist es nicht nur schön, es ist für uns auch ungemein wichtig, Tiere in der Natur und auf der Weide zu sehen. So wie wir die Begegnung mit anderen Menschen benötigen, brauchen wir den Kontakt mit den kleinen und großen Lebewesen auf der Erde und in der Luft. Es erfüllt uns mit Glück und Lebensfreude, wenn wir durch eine abwechslungsreiche Acker- und Weidelandschaft wandern, vorbei an großen Bäumen, blühenden Hecken und kleinen Biotopen, wenn die Insekten über die Blumenwiesen summen und die Kühe gemächlich über die Weide trotten. Welche Freude, wenn am Ackerrand Wildblumen wachsen, wenn einzelne Mohnblüten dem Weizenfeld rote Farbtupfer verleihen! Welche Schönheit, wenn Bäche natürlich ihre Schleifen ziehen, gesäumt von Weiden und Erlen!
Finden wir in dieser Landschaft einen alten Hof, ein herrschaftliches Bauernhaus, das von Menschen aller Generationen belebt wird – ein Tisch steht im Freien zwischen Gemüsegarten und Obstwiese, gemeinsam wird an ihm zu Abend gegessen –, dann sehen wir das Idealbild eines Bauernhofes vor uns. Noch gibt es das auch jenseits kitschiger Heimatfilme. Noch ist das gelebtes Bauernleben, von Nordstrand bis zum Berchtesgadener Land. Das Landleben kann idyllisch sein. Wer das so sieht, wird schnell als weltfremder Romantiker abgetan. Doch ich bin nicht bereit, das Bild eines schönen landwirtschaftlichen Betriebs – egal ob groß oder klein –, der Tieren, Menschen und Konsumenten Freude macht, aufzugeben zugunsten anonymer, lebensfeindlicher Agrarfabriken.
Denn warum sollte ein Bauernhof mit vielen verschiedenen, sich gegenseitig befruchtenden Wirtschaftszweigen eine naive Vorstellung sein? Gerade im Kleinen sind die Kreisläufe noch überschaubar und leicht zu handhaben: Tiere, die zur Milch- und Fleischerzeugung gehalten werden, sorgen für wertvollen Mist und Dünger. Hecken und Steinmauern bilden einen Erosionsschutz. Eine mehrgliedrige Fruchtfolge spart Dünger und Pestizide. Artenvielfalt ist eine Wohltat, auch für einen modernen landwirtschaftlichen Betrieb. Viele Nützlinge sind wichtige Helfer, sie fressen Blattläuse, lockern den Boden, bestäuben Blüten.
Warum sollten vielfältige Betriebe, die in ihrer Region verankert sind, in direktem Kontakt zu den Verbrauchern vor Ort stehen und selbst Orte der Begegnung sind, keine Zukunft haben? Angesichts des Bevölkerungsschwunds im ländlichen Raum könnten solche Höfe nicht nur Impulse für eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion, sondern ebenso für den Erhalt und die Wiederbelebung der Gemeinschaft geben.
Die Schönheit einer lebensfreundlichen Landwirtschaft lässt sich kaum beschreiben, man muss sie erleben. Eine Bauernhofpädagogin berichtet mir, wie berührend es für die Kinder ist, ihre Hände an die zu Kühe halten, die Wärme zu fühlen. »Den Kindern den Hof zu zeigen, die Pflanzen und Tiere zu erklären, ist zwar wichtig, aber wenn sie die Tiere nicht spüren, macht der ganze Hoftag keinen Sinn«, schildert sie eindrücklich ihre Erfahrungen. Jedes Kind darf sich in die Hühnerherde setzen und den Tieren das Futter hinhalten. Die Hühner picken aus ihrer Hand. Anfängliche Scheu weicht einer tiefen Ruhe. Die Kinder verstehen schnell, dass sie sich ruhig und beobachtend verhalten müssen, damit der Kontakt zu den Tieren möglich wird.
Der Geruch des Heus mit vielen Wildkräutern ist betörend. Viele Menschen mieten sich sogar in Heuhotels ein, um ihn zu erleben. Heumilch und aus ihr hergestellter Käse haben einen besonderen Geschmack, den Silage oder Kraftfutter nie erzeugen können. Kompost kann sich innerhalb von wenigen Monaten von stinkendem Mist in wunderbar duftenden Humus verwandeln. Der Gestank der Unmengen an Gülle, die die industrielle Landwirtschaft produziert, verpestet dagegen ganze Regionen. Schon am Geruch zeigen sich die Unterschiede der unterschiedlichen Wirtschaftsweisen. Immer der Nase nach – auch so könnte man eine moderne, schonende Landwirtschaft entwickeln.
Zu einer landwirtschaftlichen Ausbildung gehört keine Einführung in Architektur oder Kunst und erst recht kein Feng-Shui-Kurs. Vielleicht wäre es aber gar keine schlechte Idee, die Lehrpläne darum zu ergänzen.
Mensch und Tier auf dem Land, in einer schönen Umgebung, durch eine gelungene Architektur ergänzt – das klingt nach einer gelungenen Symbiose. Hin und wieder begegnen einem solche Höfe, aber der Trend geht eindeutig zu monotonen, lebensfeindlichen Gebäuden und Feldern, in denen weder die dort lebenden Tiere noch die dort arbeitenden Menschen sich wirklich wohlfühlen können.
Vielen Bauernhöfen mangelt es an geeigneten Lehrlingen. Vielleicht fiele es ihnen leichter, junge Menschen zu finden, die sich für die Arbeit in der Landwirtschaft begeistern, wenn die Auszubildenden nicht nur lernen, wie man technische Apparate steuert oder Traktoren bedient, sondern wenn sie beim Hacken auch einmal die Erde spüren, beim Melken die Kuh streicheln können, in einem guten Stallklima und einer schönen Umgebung arbeiten dürfen. Es kann nicht jeden Tag die Sonne scheinen und Mistschippen gehört dazu; es ist immer noch ein Beruf in und mit der Natur. Doch die Betriebe haben es in der Hand, die Abläufe auf dem Hof so zu gestalten, dass die Tätigkeit sinn- und glückstiftend ist, dass Tiere und Pflanzen nicht nur noch technisch betreut werden, dass das Leben, das uns ernährt, Wertschöpfung erfährt.
Eine schöne Umgebung bedeutet einen Gewinn an Lebensqualität und Wohlbefinden, ermöglicht mehr Leistung und Kreativität. Das gilt nicht nur für die Landwirtschaft, sondern auch für Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Gebäude und Plätze. Die ägyptische Entwicklungsinitiative SEKEM macht vor, wie eine gelungene Gestaltung aussehen kann. Nordöstlich von Kairo wurde die Wüste zum Erblühen gebracht, eine fruchtbare biodynamische Landwirtschaft aufgebaut, verschiedene Einrichtungen und Unternehmen wurden gegründet. Die Gebäude sind bunt und ansprechend gestaltet, die Felder werden immer wieder unterbrochen von blühenden Arzneipflanzen. Treffen sich die Menschen zum Abendessen, kommen gesunde und wohlschmeckende Lebensmittel von den Höfen der Initiative auf den Tisch. Die Qualität ist mit allen Sinnen erlebbar. Das Auge isst mit – dieser Satz gilt in einem umfassenden Sinn.
Deshalb machen sich mittlerweile auch viele Städter auf und gründen die verschiedensten Garteninitiativen in städtischen Freiräumen. »Urban Farming« soll nicht nur den Menschen ihre Nahrungsmittel näherbringen, sondern auch die Städte lebenswerter machen. Die Herstellung von Lebensmitteln wird für die Menschen erlebbar und sorgt für wunderschöne Beete an den skurrilsten Orten. Im Film »Tomorrow – Die Welt ist voller Lösungen« sieht man, wie Polizisten mit einem Schlauch das vor der Polizeistation angelegte Beet wässern. Jeder kann sich an dem Gemüse solcher städtischer »Farmen« bedienen.
Die Städter holen sich so etwas in die Stadt zurück, was sie auf dem Land immer seltener finden. Wenn sie ins Umland fahren, sehen sie oft eine stupide Landwirtschaft, Monokulturen, so weit das Auge reicht. Radtouristen berichten entnervt von ihrer Tour durch das Münsterland, bei der sie kilometerweit nichts als links und rechts aufragende Mauern aus Mais gesehen hatten.
Die Ästhetik spielt aber nicht nur bei der Erzeugung, sondern genauso beim Konsum der Lebensmittel eine große Rolle. Liebevoll handwerklich erzeugte Lebensmittel – Olivenöl, Käse oder Marmelade – riechen und schmecken fantastisch. Wer sie das erste Mal kostet, erlebt eine richtige Offenbarung. Ganz anders die Produkte der Agrarindustrie: Wir freuen uns über eine wunderschöne Tomate und – sie schmeckt nach Wasser. Wir sind gewöhnt an das Gleichmaß und das makellose Aussehen von Obst und Gemüse in unseren Supermärkten. Eigentlich absurd, von Naturprodukten ein genormtes Aussehen zu erwarten. Und doch werden Unmengen an genießbaren Lebensmitteln weggeworfen, weil sie dieser Erwartung nicht entsprechen.
Mittlerweile gibt es Versuche, den Verbraucher wieder an vielfältiges Aussehen zu gewöhnen. Penny wirbt mit »Bio-Helden«, die »auch mal Macken« haben dürfen. Die Biobranche hat das in ihrer Anfangszeit manchmal ein wenig übertrieben. Das ach so gesunde Obst und Gemüse in den Auslagen war da mitunter nicht nur etwas schrumpelig, sondern auch schon etwas älter. Doch diese Zeiten sind längst vorbei, die Biobranche hat sich stark verändert. Viele Läden überzeugen mit Ästhetik und mit Topqualität beim Geschmack und eben auch Aussehen der Produkte. Inzwischen muss die Branche eher aufpassen, nicht aus wirtschaftlichen Zielen die Fehler der konventionellen Branche – Masse statt Klasse – zu wiederholen.
Auch alte Sorten werden langsam wiederentdeckt. Mittlerweile gibt es Verköstigungen für verschiedene Apfelsorten, Möhren oder Kartoffeln. Es müssen nicht immer Gala, Bolero oder Linda sein. Es können auch einmal Borsdorfer Herbstrenette, Kölner Palme oder Schwarzblaue Frankenwälder auf dem Teller landen. Im Sommer 2017 veranstalteten wir von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft NRW eine Verköstigung von achtzig Tomatensorten. Größe, Farbe, Form und Geschmack – keine Sorte gleicht der anderen. Welche Fülle, welche Vielfalt! Mit einer Scheibe Brot, einem Stück Käse und einem Glas Wein ein wahrer Hochgenuss.
Slow Food macht es vor. Die Bewegung, die ihren Ursprung in Italien hat, hat es sich auf Fahnen geschrieben, die Vielfältigkeit an Obst, Gemüse und Getreide wieder ins Bewusstsein und in unsere Küchen und Restaurants zu bringen. Heute gibt es in fast jeder größeren Stadt Slow-Food-Vereinigungen, sogenannte Convivien, die Erzeuger, Märkte und Restaurants betreuen und auszeichnen. Mit dem Slow-Food-Emblem können Betriebe ausgezeichnet werden, die vielfältige, regionale, saisonale, frische und authentische Produkte anbieten. Eine »neue Kultur des Essens« soll so entstehen, die die Beziehungen zwischen Erzeugern, Händlern und Köchen genauso achtet wie das Wissen um handwerkliche Traditionen.
Landwirtschaft ist ein sinnliches Erlebnis. Jeder von uns kann unterscheiden, was schön, gesund und natürlich ist. Ich bin überzeugt: Sinnlichkeit kann eine Entscheidungsgrundlage für Landwirtschaftspolitik sein, auch wenn das unkonventionell klingt. Denn eine schöne, gut riechende Landwirtschaft mit Feldern, auf denen das Leben zu sehen und zu hören ist, ist gesund für Mensch und Natur. Das Auge isst mit und das schon, bevor das Essen auf dem Teller liegt. Machen wir uns auf die Suche nach der schönen, leckeren, duftenden und summenden Landwirtschaft!

Bullerbü oder Industrie 4.0?

Viele von uns denken beim Wort »Bauernhof« an einen schönen Hof mit dem Hahn auf dem Misthaufen, Kühen auf der Weide und fleißigen Menschen, die nach getaner Arbeit gemeinsam zufrieden unterm Apfelbaum sitzen und sich an den angerichteten hausgemachten Speisen gütlich tun.
Wann waren Sie das letzte Mal auf einem Hof? Wann haben Sie Tiere auf der Weide gesehen? Ich sehe sie kaum noch. Wenn ich durch die Lande fahre, sehe ich nur ordentliche Felder, Hofgebäude und Hallen mit Solardächern. Auch bei näherem Hinsehen ist ein Stall für die meisten Menschen nicht mehr als Stall zu erkennen. Hinter den sauberen Betonwänden vermutet man eher Maschinenparks. Tatsächlich tummeln sich hier Abertausende von Hühnern – Bodenhaltung. Eine große Scheune mitten auf der Wiese, aber kein Weidezaun für die Tiere: Darin stehen wahrscheinlich Mastbullen, die nie den Himmel zu sehen bekommen und kein frisches Gras fressen dürfen. Das natürlichste Futter der Welt bekommt heute kaum noch ein Rind, sie gäben sonst zu wenig Milch oder setzten nicht schnell genug Fleisch an. Wenn die Tiere überhaupt Gras bekommen, dann lädt es der Bauer mit seinem Hänger frisch geschnitten auf die Futterrampe. Meist gibt es aber nur Grassilage und Kraftfutter, Sojafutter für die schnelle Gewichtszunahme, das in riesigen Mengen aus Nord- und Südamerika herangekarrt wird. Für dieses Tierfutter werden riesige Regenwaldflächen abgeholzt, wird die Lunge unserer Erde zerstört. »Das Futter kommt aus Südamerika, das Fleisch verkaufen wir nach Asien, nur der Unrat, der bleibt hier.« Bernd Schmitz, der Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Nordrhein-Westfalen, findet klare Worte für die globalisierte Agrarökonomie.
Seit Jahrzehnten wird die Landwirtschaft auf immer niedrigere Produktionskosten getrimmt. Mechanisierung und Automatisierung machen menschliche Arbeitskraft weitgehend überflüssig. Traktoren sind heute digitale Hightechfahrzeuge, die viele Aufgaben auch ohne ihren Fahrer erledigen können. Nicht von ungefähr ernährt ein Bauer in Deutschland heute etwa einhundertdreißig Menschen. Vor hundert Jahren waren es gerade einmal sechs. Arbeiteten um 1900 noch neununddreißig Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft, sind es heute nur noch anderthalb Prozent – und dieser Prozentsatz sinkt stetig. Das Hofsterben geht ungebremst weiter. Allein die Milchkrise der Jahre 2015 bis 2017 trieb zehn Prozent der deutschen Milchbauern in den Ruin. Gerade die kleinbäuerlichen Familienbetriebe mussten ihre Hoftore für immer schließen. Sie konnten es sich schlicht nicht mehr leisten, ihre Kühe noch auf der Weide grasen zu lassen. »Wachse oder weiche«, so lautet seit Jahrzehnten das Motto der Branche. Wollen wir das?
Sollten wir nicht eingreifen und das erhalten, was unsere Lebensgrundlage – unsere Nahrungsmittel – sichert? Nicht nur ein paar Museums- oder Erlebnishöfe bewahren, sondern Höfe, die mit einem natürlichen Kreislauf arbeiten und in einer gesunden, artenreichen Natur Lebensmittel herstellen? Wie kann unsere Landwirtschaft in der Zukunft aussehen? Ist eine bäuerliche Landwirtschaft eine romantische Vorstellung von gestern? Bäuerlich bedeutet eine Landwirtschaft, die nicht nur auf Profit, Wachstum, Expansion und Verdrängung ausgelegt ist, sondern auch die Grundlagen unserer Erde als zu erhaltendes Gut ansieht, mit Menschen, die mit diesen Werten und ihrer Verantwortung die Tiere versorgen und die Felder bestellen.
Sollen wir uns mit eintönigen Feldern und Riesenstallungen mit Massen an Tieren abfinden? Gewöhnen wäre hier das falsche Wort, denn gewöhnen kann man sich nur an etwas, das man kennt. Unsere Nahrungsmittelproduktion aber findet zu großen Teilen hinter verriegelten Türen statt. Heute wird Getreide in sterilen Labors weltweit agierender Agrarunternehmen gezüchtet. Diese werden dann zusammen mit künstlichem Dünger und Pestiziden an die Bauern vermarktet. Die Art der Produktion ist undurchschaubar geworden. Der Verbraucher wird mit schönen Bildern und althergebrachten Vorstellungen für dumm verkauft. Auch der Bauernverband bedient die Klischeebilder – und propagiert gleichzeitig die Technisierung der Höfe. Schließlich trage sie zur Sicherung der Welternährung bei. Da weiß er sich mit den Firmensprechern und Agraringenieuren der mächtigen Agrarindustrie einig. Ein Schelm, wer vermutete, es ginge schlicht um den schnöden Profit. Die Labore der Firmen ernähren nicht die Welt, und sie müssen es auch nicht. Rund achtzig Prozent der weltweiten Lebensmittelproduktion erfolgt durch bäuerliche Betriebe. Das ist in Afrika oder Indien nicht anders als in Rumänien oder Griechenland.