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Es ist kaum vorstellbar: Eine Welt ohne Männer. Und doch gibt es sie, wie Corey erstaunt feststellen muss, als sie auf einer Erkundungsmission mit ihrem Raumschiff auf einer Erden-Kolonie landet. Denn auf dem ganzen Planeten leben nur Frauen. Ein Virus hatte vor Jahrhunderten den männlichen Teil der Bevölkerung dahingerafft, doch die Frauen haben Mittel und Methoden gefunden, auch ohne Männer zu überleben. Gentechnisch perfektioniert kommt auch das Äußerliche nicht zu kurz, und die umwerfend attraktive "Erste Beraterin" Thora spart zwar nicht mit Reizen, hat aber ganz andere Vorstellungen von Romantik und Liebe als Erdling Corey. Doch wie sich bald herausstellen wird, soll das nicht Coreys einziges Problem bleiben, denn die friedliche und harmonische Gemeinschaft der Bewohnerinnen scheint bedroht ...
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Seitenzahl: 313
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Eine utopische Science-Fiction
© 20122. Auflage 2017édition el!es
www.elles.de [email protected]
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978-3-95609-032-5
Coverillustration: © mozZz – Fotolia.com
»Fremde Welten sind nicht dazu da, unterworfen und mit kriegerischen Mitteln ›befriedet‹ zu werden!«
»Ach nein?« Der riesenhafte Kanonier schaute auf seine Vorgesetzte, die als Frau zwar groß, aber mindestens einen Kopf kleiner als er war, hinunter.
»Nein.« Corey seufzte. Was diskutierte sie überhaupt mit Hartmann? Das war doch sowieso alles zu hoch für den. Er war nicht umsonst Kanonier geworden. Immer nur ballern, das war seine liebste Beschäftigung.
»So fremd ist diese Welt außerdem gar nicht«, fügte sie hinzu. »Wir haben vor zweihundert Jahren Kolonisten hierhergebracht. Aber die Verbindung riss ab, und niemand hatte bis heute Zeit, diese Kolonie wieder zu besuchen. Wir wissen nicht, was aus ihnen geworden ist. Vielleicht lebt keiner mehr. Um das festzustellen, sind wir hier und nicht zum . . .«, sie starrte auf die gewaltigen, behaarten Pranken ihres Untergebenen, »zum Rumballern.«
»Sag mir nur Bescheid, Boss, dann hole ich die Kanone«, nickte Hartmann lächelnd.
Er hat nichts verstanden. Diesmal seufzte Corey nur in Gedanken. Nichts außer ›Rumballern‹. »Okay«, sagte sie. »Aber nur, wenn ich dir Bescheid sage. Wir gehen erst einmal davon aus, dass diese Welt friedlich ist. Schließlich waren die Kolonisten mal Bewohner der Erde, es sind also keine fremden Wesen.«
»Soll ich die Kanone holen?«, fragte Hartmann.
»Du bleibst hier.« Corey ersparte sich ein drittes Seufzen. »Ich gehe mich allein ein bisschen umsehen.«
»Aber Boss –«
»Keine Widerrede!« Corey hob die Hand. »Das ist ein Befehl.«
»Zu Befehl, Captain.« Hartmann nahm Haltung an und salutierte.
Das wenigstens funktioniert, dachte Corey. »Ich nehme eine kleine Waffe mit, falls irgendetwas sein sollte. Aber soweit ich weiß, gab es kein vernunftbegabtes Leben auf diesem Planeten, bevor unsere Kolonisten hier eintrafen, also erwarte ich keine Probleme.«
»Dann hole ich die Kanone.« Hartmann warf einen Blick auf das kleine Raumschiff zurück.
»Ja, dann holst du die Kanone.« Corey ergab sich in ihr Schicksal. »Aber nur, wenn ich es dir befehle, hörst du? Auf keinen Fall ohne Befehl. Hast du das verstanden?«
»Ja, Captain.« Hartmann salutierte wieder. Das konnte er gut. Es sah sehr zackig aus.
»Also du bleibst hier, und du schießt auf nichts, außer es hängt dir schon an der Kehle, ist das klar?«
Hartmann sah sie verständnislos an.
Corey hoffte, dass kein wie immer gearteter Bewohner dieses Planeten vorbeikommen würde, und schlenderte los. Sie wollte niemanden durch allzu heftige Bewegungen erschrecken, und bei ihren bisherigen Missionen hatte sie immer Erfolg damit gehabt, auf martialisches Auftreten zu verzichten.
Dass die Forschungsflotte ihr einen Kanonier mitgegeben hatte, weil diese Mission sie weiter von der Erde fortführen würde als jemals zuvor, störte sie zwar, aber sie musste damit leben. Das nächste Mal würde sie sich verbitten, ihr so einen Halbaffen an die Seite zu stellen. Corey verbrachte mehr Zeit damit, ihn vom Ballern abzuhalten, als mit ihrer Forschungsarbeit.
Langsam schlenderte sie auf einen kleinen Wald zu, der sich nicht weit entfernt aus der flachen Landschaft erhob. Sie versuchte einen uninteressierten Eindruck zu erwecken, aber ihre Augen wanderten ständig hin und her und nahmen die Umgebung fast wie ein Scanner in sich auf. Der Planet war erdenähnlich wie alle Planeten, auf denen terrestrische Kolonien gegründet worden waren, aber der kleine Wald, auf den Corey immer noch zuschlenderte, war so ziemlich das einzige höhere Gehölz, das sie in weiter Entfernung sehen konnte. Sonst schien der Planet eher wüsten- oder halbwüstenähnlich. Der Horizont erstreckte sich in weiter Ferne, ohne von auch nur einer einzigen Erhebung unterbrochen zu werden, das Raumschiff stand mitten auf einer Art Düne. Glücklicherweise war sie fest genug gewesen, nicht unter dem Gewicht wegzusacken.
Corey blickte vorsichtig in den kleinen Wald hinein. Wald war eigentlich schon zuviel gesagt, denn es waren eher Sträucher, die sich darin erhoben, kaum einer höher als ein Meter fünfzig. Die wenigen, die Coreys eigene Körpergröße erreichten, schienen so trocken, dass sie sich fragte, ob sie noch lebten.
Lebte überhaupt irgendetwas auf diesem Planeten? Es war still wie in einem Grab. Kein Vogelgezwitscher, kein Geraschel in den Sträuchern, keine plötzlich auffliegenden oder weghuschenden Tiere.
Sie würde den Wald nicht betreten, solange sie ihn nicht mit ihren Messgeräten von außen untersucht hatte, aber der erste Blick versprach auch dafür nicht viel. Vielleicht auf mikroskopischer Ebene, das würde sie dann herausfinden.
Die Weite war so leicht zu überblicken, dass sie jeden hätte sehen können, der sich näherte. Sie legte die Hand über die Augen. Die Sonne stach ziemlich. Es bestand wohl keine Aussicht, dass es hier in der Nähe eine menschliche Siedlung gab.
Innerhalb der Halbwüste, die vor ihr lag, entdeckte sie einen Farbfleck. Vielleicht doch Leben? Sie umfasste den Griff ihrer kleinen Waffe in der Hosentasche und ging auf den Farbfleck zu.
Als sie davor angekommen war, starrte sie erstaunt darauf. Was sollte das sein? Ein Schild? Jedenfalls war es nicht natürlichen Ursprungs. Ein Pfahl war in den Sand gerammt, und daran befestigt war eine Art Tafel mit zwei parallel laufenden Strichen darauf. Das war nicht aus dem Boden gewachsen, das musste jemand da hingestellt haben.
Sie blickte sich erneut um, als sich auf einmal ein heftiger Wind erhob. Sand wurde ihr ins Gesicht geweht und prasselte schmerzhaft auf ihre Wangen, so dass sie die Augen schließen musste. Hätte sie doch den Sturmhelm mitgenommen. Aber sie hasste solche kriegerischen Hilfsmittel. Mit dem Sturmhelm sah jeder, der ihn trug, aus wie ein Kampfroboter ohne Gesicht.
Tröt!
Ein merkwürdiger Ton bohrte sich in ihre Ohren. Sie versuchte die Hände vors Gesicht zu halten, um den Sand abzuhalten und vielleicht etwas sehen zu können. Es war hoffnungslos. Der Sand wehte um sie herum wie ein dichter Schleier. Ein sehr schmerzhafter Schleier allerdings.
»Komm. Das hört nicht so schnell auf. Was machst du denn hier draußen?« Eine Frauenstimme schrie durch den Sandsturm. »Hast du den Wetterbericht nicht gehört?«
Wetterbericht? Corey fühlte sich äußerst verwirrt. Die Frau hatte einen merkwürdigen Akzent, aber sie musste eine Nachfahrin der Kolonisten sein, die vor zweihundert Jahren hier abgesetzt worden waren.
Corey versuchte sich zu orientieren, da griff eine Hand nach ihr. Ein starker Arm zog sie in etwas hinein. Ein Riegel wurde vorgeschoben. Der Sand, der ihr Gesicht perforiert hatte, war verschwunden.
Vorsichtig nahm sie die Hände vom Gesicht. Die Frau, die vor ihr saß – anscheinend befanden sie sich in einer Art Gefährt, das entfernt an einen Jeep erinnerte – runzelte die Stirn. »Bist du aus dem nördlichen Bereich? Ich habe dich hier noch nie gesehen.«
»Ich . . . ja . . . so könnte man sagen. Aus dem nördlichen Bereich«, erwiderte Corey geistesgegenwärtig. Es war nie gut, einheimische Bewohner zu sehr zu überfordern. »Ich war noch nie in dieser Gegend.«
Die andere rückte auf dem Sitz nach vorn und drückte etwas in eine Vertiefung. Das Gefährt begann zu rollen – oder eher zu schlittern wie auf Eis. Aber anscheinend musste das so sein, denn die Fahrerin kümmerte sich nicht darum. »Wieso bist du zu Fuß unterwegs? Ist dein Quad liegengeblieben?«
»Äh . . . ja«, stimmte Corey zu, auch wenn sie nicht wusste, was ein Quad war, jedenfalls nicht auf diesem Planeten. »Ich wollte eigentlich zur nächsten Ortschaft.«
»Hast du bei uns zu tun?«, fragte die Fahrerin, die anscheinend viel ihrem Gefährt überließ. Sie griff kaum ein, und sie schlitterten ständig hin und her. »Zu wem willst du?«
»Gibt es so etwas wie einen Bürgermeister in der Stadt?«, fragte Corey. »Oder einen Präsidenten?«
»Das sind altertümliche Wörter.« Ihre Fahrerin lachte. »Musstet ihr die auch in der Schule lernen? Ich habe das immer gehasst. Du meinst wohl die Erste Beraterin.«
»Ja, genau.« Corey war froh, dass es überhaupt so etwas gab. Einen Ansprechpartner. Oder wohl eher eine Ansprechpartnerin. Langsam sollte sie sich einmal vorstellen. »Ich heiße Corey«, sagte sie.
»Bromila.« Die andere lachte sie an. Ein sehr offenes Lachen, das keinerlei Misstrauen verhieß. »Corey. Das ist ja ein komischer Name. Ich muss doch mal in den Norden fahren, ihr scheint da ja ganz anders zu sein als wir. Deine ganze Kleidung . . .«, sie musterte Corey von oben bis unten, während das Gefährt sich allein seinen Weg suchte, »ist irgendwie merkwürdig.«
»Tja.« Corey zuckte die Schultern. »Im Norden finden wir das ganz normal.«
Bromila konzentrierte sich für einen Moment auf die Straße – falls da eine war, vor lauter Sand sah man nichts – und verkündete dann plötzlich: »So, wir sind da.« Sie schaute Corey an und lachte. »Gut, dass du an dem Straßenschild gewartet hast. Woanders hätte ich dich bestimmt nie gesehen.«
Aha, ein Straßenschild. Ein Straßenschild mitten in der Wüste. Das war es also gewesen.
Bromila stieg aus. Sand wehte herein. Die Tür fiel hinter ihr zu, kurz darauf öffnete sich die Tür auf der anderen Seite. »Gib mir deine Hand.« Bromila streckte Corey ihre Hand hin. Auch auf dieser Seite wehte der Sandsturm seine Bestandteile in das Gefährt.
Corey griff nach Bromilas Hand und bedeckte mit der anderen Hand ihre Augen. Bromila führte sie, halbblind wie sie war, ein paar Schritte, dann öffnete sie eine Tür und zog Corey hinter sich in ein Gebäude hinein.
Vom Gebäude selbst hatte Corey außen nicht viel erkennen können, aber als sie nun darin standen, sah es recht irdisch aus. Einfach, aber durchaus ansprechend.
»Das ist unser – wie du wohl sagen würdest – Rathaus.« Bromila lachte. Sie schien ein fröhlicher Mensch zu sein. »Gut, dass ich in der Geschichtsstunde mit den alten Wörtern aufgepasst habe. Ich schaue mal, wer da ist. Bei diesem Sturm sind vielleicht alle zu Hause geblieben.«
Sie ließ Corey stehen und begab sich in den hinteren Teil des großen Raumes, in dem sie sich befanden. Dort verschwand sie durch eine Tür.
Der Raum schien einen quadratischen Grundriss zu haben, ein paar Regale an den Wänden waren mit Bildern und Keramik gefüllt, vielleicht noch Restbestände der ersten Siedler. Kleine Fenster gaben den Blick auf den gelben Sandsturm draußen frei, der sich immer noch nicht beruhigt hatte. Er schien sogar stärker zu werden. Hier drin jedoch spürte man nichts davon.
Außer der Tür, durch die Bromila den Raum verlassen hatte, gab es noch eine zweite, die rechts aus dem Raum hinausführte. Corey ging langsam hinüber. Die Tür stand offen. Dahinter war ein weiterer Raum, kleiner als der, in dem sie sich befand. Der Raum schien so eine Art Ruheraum zu sein, denn es standen mehrere Liegen herum, wie man sie vielleicht eher in einem Saunabereich erwartet hätte.
»Ich habe jemand gefunden!« Bromilas fröhliche Stimme riss Corey aus ihren Gedanken.
Sie drehte sich um.
»Das ist Corey«, sagte Bromila und wies mit einer Hand auf sie. »Unsere Erste Beraterin Thora.« Sie wies auf die Frau neben sich. »Du wolltest sie doch sprechen.«
Corey schluckte. Ja. Ja, das hatte sie gewollt, aber dazu war sie im Moment nicht fähig. Die Frau, die lächelnd neben Bromila stand, war die schönste Frau, die sie je gesehen hatte.
»Ich begrüße dich«, sagte die blonde Schönheit, und ein leicht fragender Ausdruck legte sich über ihre Züge. »Was wolltest du mit mir besprechen?«
Corey schluckte. »Ich . . . Ich . . . Ich bin fremd hier«, brachte sie dann mühsam hervor.
»Das habe ich schon gehört.« Thora warf einen kurzen Seitenblick auf Bromila. »Unsere Umweltbeauftragte hat dich in der Wüste aufgesammelt. Sehr unvorsichtig, da hinauszufahren, wenn man sich nicht auskennt.«
Umweltbeauftragte. Was das wohl bedeutete bei einer Umwelt wie dieser? Von Verschmutzung hatte Corey bisher nichts gesehen. Außer natürlich – dieser Sand. »Ja, das war es wohl.« Langsam gehorchten ihr ihre Stimmbänder wieder. »Tut mir leid, dass ich so viele Umstände mache.« Sie verzog das Gesicht.
»Wir hatten schon lange keinen Besuch mehr aus dem Norden«, sagte Thora. »Komm doch erst einmal mit und erzähl mir, was ihr da im Moment so macht. Wie geht es Klaviga?« Sie drehte sich zur Tür im hinteren Teil des Raumes, warf einen einladenden Blick auf Corey und ging langsam los.
Du meine Güte, wer war Klaviga? »Gut, glaube ich«, sagte Corey und schloss sich ihr an.
Thora war fast genauso groß wie Corey, also etwa einsachtzig, und als sie neben Corey herging, schwang das weite Gewand, das sie trug, leicht um sie. Es erinnerte ein wenig an einen arabischen Kaftan. Auch Bromila hatte so etwas getragen. Wohl die geeignete Kleidung für die Wüste.
»Das freut mich«, sagte Thora. »Sie hat sich also von der schweren Geburt erholt?«
»Ja.« Corey nickte.
Thora lächelte sie an und wies auf die Tür, aus der sie mit Bromila gekommen war. »Wir setzen uns am besten in meinen Raum, da ist es am bequemsten.«
Sie ließ Corey vorgehen, dann schloss sie zu ihr auf und führte sie in ein kleineres Zimmer, das sehr persönlich ausgestattet war. Auch hier stand eine ähnliche Liege wie in dem Raum, den Corey bereits gesehen hatte.
»Bitte.« Thora wies auf einen von sechs Stühlen, die um einen großen Tisch herumstanden.
Corey setzte sich, und Thora ließ sich ihr gegenüber am Tisch nieder. »Dann lass uns mal zur Sache kommen. Du bist nicht aus dem Norden.«
Coreys Herz klopfte plötzlich schneller. Sie hatte das im Griff, aber sie wusste für einen Augenblick nicht, was sie sagen sollte. »Wie kommst du darauf?«, fragte sie.
»Selbst mit unseren technischen Möglichkeiten . . .«, begann Thora leicht lächelnd. »Klaviga ist eine Frau von 79 Jahren. Sie lässt ihre Enkelinnen die Kinder bekommen, sie macht das schon lange nicht mehr selbst.«
»Ja.« Corey lachte. Thora war nicht nur schön, sondern auch klug. Corey hoffte, sie hatte sich Thoras Sympathie nicht verscherzt. »Ich bin nicht aus dem Norden.«
Sie schaute sich um. Tatsächlich, da hing ein Bild der Erde an der Wand, sicherlich auch ein Mitbringsel der ersten Kolonisten. »Ich komme daher.« Sie wies auf das Bild. »Wir sind vor wenigen Stunden hier gelandet.«
»Wir?« Thora zog die Augenbrauen hoch, und Corey hätte sie am liebsten geküsst.
»Ich und mein . . . Begleiter. Wir sind sozusagen die Vorhut. Wir sollten überprüfen, ob es auf diesem Planeten noch Reste der Kolonie gibt, die einst hier gegründet wurde.« Sie lächelte. »Die gibt es offensichtlich.«
»Ja.« Thora lehnte sich zurück und musterte sie aufmerksam. »Die gibt es.«
»Ich . . .« Corey lachte verlegen. »Ich muss mich entschuldigen, dass ich hier unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – Aber Bromila vermutete, ich käme aus dem Norden, und da dachte ich, es wäre einfacher, erst einmal nichts von dem Raumschiff zu sagen.«
»Verständlich«, nickte Thora und musterte sie immer noch. »Du sprachst von einer Begleiterin. Wieso hast du sie nicht mitgebracht?«
»Ähm . . . keine Begleiterin, ein Begleiter. Mein –« Corey brach ab. Kanonier konnte sie wohl kaum sagen, das klang wirklich kriegerisch, und etwas anderes fiel ihr nicht ein.
»Begleiter . . .«, wiederholte Thora nachdenklich. Sie runzelte die Stirn. »Ich weiß, das ist die . . .«, sie runzelte noch mehr die Stirn, »die Stammform von Begleiterin.« Sie schaute Corey unsicher fragend an. »Dein Begleiter ist . . .«, sie zögerte, »keine Frau?«, fragte sie dann, und es klang sowohl unsicher als auch ungläubig.
»Äh . . . nein«, sagte Corey, ebenso verunsichert, wie es anscheinend Thora war. »Ist das ein Problem?«
Thoras Mundwinkel verzogen sich. »Nein«, sagte sie. »Wenn du ihn mitgebracht hättest, wäre er nur der erste . . . wie heißt es doch gleich? . . . Mann gewesen, den ich gesehen hätte.«
Corey starrte sie an. »Der erste . . . Mann?«, fragte sie verwirrt. »Leben Männer und Frauen denn hier getrennt?«
»Es gibt keine Männer«, erwiderte Thora.
»Es gibt . . . keine . . . Männer?« Coreys Gedanken ratterten.
War sie hier unter die Kannibalinnen gefallen? Oder hatten sie einen Kult entwickelt, in dem alle männlichen Babys sofort nach der Geburt getötet wurden? Warum auch immer?
Es gab die schrägsten Entwicklungen im Universum, selbst wenn die Kolonisten von der Erde stammten. Im Laufe der Zeit entfernten sie sich immer mehr von den Werten, die sie mitgebracht hatten, und schufen sich neue, die ihrer Umgebung angemessen waren.
Diese Umgebung war sehr hart, eine Wüste, kaum Leben. Vielleicht hielten sie deshalb die Bevölkerungsdichte gering. Aber warum nur die Männer?
»Schon lange nicht mehr«, fuhr Thora fort. »Die Männer wurden alle von einem Virus dahingerafft. Wir Frauen sind dagegen anscheinend immun. Die erwachsenen Männer siechten dahin, etwa zwanzig Jahre, nachdem die Kolonisten hier auf dem Planeten eingetroffen waren, und männliche Babys starben noch im Mutterleib. Viele der Mütter auch, weil sie es zu spät bemerkten. Nach ein paar Jahren war kein Mann mehr übrig. Nur die Frauen.«
Corey lehnte sich erschüttert in ihren Stuhl zurück. Das war eine Situation, mit der sie nicht gerechnet hatte.
Thora stand auf, ging zu einem Gefäß und goss etwas in ein kleineres Gefäß um. »Hier.« Sie reichte Corey den Becher. »Trink. Du wirst den Geschmack wahrscheinlich gewöhnungsbedürftig finden, aber die Flüssigkeit sollte dir nicht schaden.«
Corey griff nach dem Becher und trank. Die Flüssigkeit war bitter, hatte aber eine gewisse Ähnlichkeit mit Wasser.
»Der Virus . . .« Sie schaute zu Thora auf, die immer noch neben ihr stand. »Ist er noch aktiv? Ich meine, mein Begleiter . . .«
Nicht dass ihr besonders viel an Hartmann lag, aber gleich umbringen wollte sie ihn denn doch nicht. Zumindest nicht ohne Grund.
Thora runzelte zweifelnd die Stirn. Sie begab sich auf ihren Platz zurück und setzte sich wieder. »Wir glauben, dass er nicht mehr aktiv ist«, sagte sie. »Aber einen Beweis dafür haben wir nicht. Es gibt keine Männer mehr, also –«
»Also können sie auch nicht sterben, um es zu beweisen«, setzte Corey fort.
Sie trank den Rest der bitteren Flüssigkeit. Das war ja eine tolle Situation. Möglicherweise war Hartmann in absehbarer Zeit tot, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte.
»Ihr habt kein Gegenmittel?«, fragte sie.
»Wir brauchen keins«, sagte Thora. »Wir sind Frauen.«
»Ja, natürlich.« Corey versuchte nachzudenken. »Aber damals . . . ich meine, als das anfing, da hat man doch bestimmt nach einem Gegenmittel gesucht. Die Männer sind doch nicht einfach so gestorben, ohne etwas dagegen zu unternehmen.«
»Ja.« Thora nickte. »Es gab einen Wissenschaftler, der viel auf dem Gebiet geforscht hat. Er fand auch eine Möglichkeit, das Leben der Männer zu verlängern. Deshalb hat es Jahre gedauert, nicht Monate. Aber ein wirkliches Gegenmittel fand er nicht. Er war der letzte Mann, der starb.«
»Gibt es . . . gibt es darüber noch Unterlagen?«, fragte Corey. »Hat er das irgendwie festgehalten?«
Thora nickte wieder. »Ja, die Unterlagen liegen im Museum. Aber ich denke –« Sie zog die Augenbrauen zusammen und betrachtete Corey mit forschendem Blick. »Ich denke, wir können testen, ob der Virus noch existiert. Wir haben es nur lange nicht mehr getan.« Sie griff in ihren Kaftan und zog etwas heraus, drückte auf einen Knopf. »Bromila? Bist du noch da?«
Es knackte, dann erfüllte Bromilas Stimme den Raum, als ob sie neben ihnen stände. »Ja?«
»Könntest du versuchen Dahn zu kontaktieren? Sie müsste eigentlich im Labor sein. Wenn du sie erreichst, frag sie, ob sie den Alphatest durchführen kann.«
»Den Alphatest?« Bromilas Stimme klang ungläubig.
»Ja.« Thora wirkte ungeduldig. »Ich hätte das Ergebnis gern so schnell wie möglich.«
»Ist gut.« Bromilas Stimme verschwand aus dem Raum.
»Ich . . . Danke«, sagte Corey. »Ich hoffe –«
»Das hoffe ich auch.« Thora schaute sie an. Es sah aus, als ob sie über etwas nachdachte. »Wie sind Männer?«, fragte sie nach einer langen Minute. »Ich habe darüber in alten Berichten und Geschichten gelesen, aber vieles ist mir unverständlich. Soviel ich verstanden habe, lebten Männer und Frauen früher eng zusammen.«
»Ja, das ist immer noch so. Mehr oder weniger«, sagte Corey. »Wenn man will, kann man das tun.«
Es knackte in der Luft. »Dahn sagt, der Test dauert eine Weile«, meldete Bromila.
»Ist gut.« Thora nickte. »Sie soll sich beeilen, sag ihr das. Der Test hat höchste Priorität.«
»Sie hat schon angefangen«, erwiderte Bromila und verschwand aus der Luft.
Corey versuchte ihre Gedanken auf andere Dinge zu konzentrieren als auf diesen Test, der über Hartmanns Leben entscheiden konnte, ein Leben, das ihr anvertraut war.
»Du sagtest, zwanzig Jahre, nachdem die Kolonisten hier angekommen waren, ist der Virus ausgebrochen«, überlegte sie stirnrunzelnd. »Aber du bist . . .« Sie lachte. »Entschuldige, aber du siehst nicht gerade aus, als wärst du über einhundertfünfzig Jahre alt.«
Vielleicht hatten sie ja auf diesem Planeten den optimalen Konservierungsstoff für Menschen entdeckt. Konnte alles sein.
Thora lächelte, und trotz aller Besorgnis, die Coreys Denken erfüllte, konnte sie sich diesem Lächeln nicht entziehen. Es zog sie zu Thora hin, und mittlerweile wünschte sie sich nicht nur einen Kuss, sondern mehr als das.
»Bin ich auch nicht«, sagte Thora.
»Aber . . . aber wie . . . ich meine, wenn es keine Männer gibt . . . woher kommen dann die Kinder?«
»Parthenogenese«, sagte Thora. »Dieser Wissenschaftler, von dem ich zuvor erzählte, hat die Technik noch zur Perfektion gebracht, bevor er starb. Unsere Vorfahren hatten es mit gefrorenem Samen versucht, aber das funktionierte nicht, weil er auch von dem Virus befallen wurde. So blieben nur die weiblichen Eizellen übrig. Ihre Verschmelzung ergibt ein neues weibliches Kind, das dann auch überleben kann.«
»Das heißt, alle eure Kinder werden im Labor gezeugt?«
»Ja.« Thora nickte. »Ich wüsste nicht, wie es anders gehen sollte.«
Corey war für einen Moment verblüfft. Thoras Erklärung war in sich schlüssig, aber eine Frau wie Thora wäre auf der Erde . . . nun ja, nicht so ahnungslos gewesen.
Sie lächelte Thora an. »Wenn ich dich so anschaue, kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass du in einem Labor entstanden sein sollst.«
»Ich weiß, früher war das nicht so«, erwiderte Thora. »Allerdings kann ich mir von der Methode der Fortpflanzung aus früheren Zeiten, über die ich gelesen habe, keine richtige Vorstellung machen.« Sie runzelte erneut die Stirn. »Auf der Erde wird sie immer noch angewandt?«
Corey wäre fast rot geworden. Sie räusperte sich. »Oh . . . äh . . . ja. Sie wird immer noch angewandt«, sagte sie.
Auch wenn die Methode, an die Corey jetzt gerade dachte, nicht zur Fortpflanzung geeignet war, hätte sie sie mit Thora durchaus gern angewandt. Aber danach konnte sie sie wohl kaum fragen.
Unter diesem weiten Kaftan war zwar nicht viel von Thoras Körper zu erkennen, aber ihre Bewegungen waren weich und fließend, sie schritt kraftvoll und elegant durch den Raum, sie war ein Bild von einer Frau. Ein Traum. Corey schluckte.
»Das ist wahrscheinlich einfacher, als die verschmolzenen Eizellen dann einer der Mütter einzusetzen«, philosophierte Thora nachdenklich. »Dabei geht leider manchmal nicht alles glatt, und wir verlieren dadurch einige Töchter, aber meistens klappt es. Dahn ist sehr erfahren darin.«
»Auch bei der anderen Methode geht nicht immer alles glatt«, sagte Corey. »Die Mütter . . .« Sie räusperte sich. »Leben sie dann zusammen? Ziehen sie gemeinsam die Kinder auf? Wie ist es mit – ich meine, gibt es Partnerschaften?«
»Oh ja.« Thora nickte. »Natürlich. Viele ziehen gemeinsam die Kinder auf, die sie selbst oder die Spenderin der anderen Eizelle geboren haben. Aber nicht alle. Es gibt auch lebenslange Partnerschaften, das ist aber eher selten. Die meisten Frauen leben in größeren Gruppen mit ihren Kindern zusammen, vier bis sechs Frauen mit den gemeinsamen Kindern oder denen, die keine Mutter mehr haben.«
»Weil die Mutter gestorben ist?«
»Ja. Leider –« Thora schaute aus dem Fenster, das immer noch nur gelbe Sandschwaden erkennen ließ. »Leider sterben einige beim Rohstoffabbau oder bei anderen Arbeiten im Umland. Meine Mutter ist so gestorben. Ich meine, eine meiner Mütter. Die, bei der ich aufgewachsen bin. Meine Mütter haben nicht zusammen gelebt.«
»Tut mir leid, dass du sie verloren hast.« Corey betrachtete Thoras Gesicht. Es wirkte auf einmal wie eine Maske. »Das war sehr schlimm für dich.«
Thora atmete tief durch. »Es ist noch nicht lange her«, sagte sie. »Kurz nach der Geburt meiner Tochter.«
»Du hast eine Tochter?« Corey schaute Thora überrascht an.
»Ja, sie lebt bei ihrer Mutter . . . bei ihrer anderen Mutter. Ich bin als Erste Beraterin so eingespannt, da kann ich mich schlecht um ein Kind kümmern.«
»Und diese andere Mutter und du . . . ihr seid . . . Freundinnen?« Corey wollte die Antwort im Grunde gar nicht hören.
»Eigentlich nicht«, sagte Thora. »Wir versuchen die Eizellen zu vereinigen, die am besten zusammenpassen, genetisch. Wir sind ja irgendwie alle miteinander verwandt durch die ersten Kolonisten, und da möchten wir natürlich die stärksten und am weitesten entfernten Gene miteinander kombinieren, damit keine Inzucht entsteht. Ich kenne die andere Mutter kaum. Die Eizellen wurden verschmolzen und mir dann eingesetzt, dann habe ich das Kind ausgetragen, und sie hat es nach der Geburt übernommen. Sie hatte schon drei Kinder ausgetragen, deshalb –«
»Die anderen drei waren aber nicht . . . von dir?« Puh! Corey wurde langsam so heiß in Thoras Gegenwart, dass sie lieber ein Gespräch über andere Themen geführt hätte.
»Nein«, sagte Thora. »Sie sind von verschiedenen Frauen.« Sie erhob sich und schaute aus dem Fenster. »Hört dieser Sturm denn nie auf?«, murmelte sie.
»Die Umweltverhältnisse hier sind sehr hart«, sagte Corey. »Dass ihr da überhaupt überlebt habt . . .«
Thora drehte sich zu ihr um. »Wir verwenden viele technische Hilfsmittel. Auch wenn man das nicht sieht. Wir mussten das, was die Kolonisten mitgebracht hatten, im Laufe der Jahre weiterentwickeln, denn die ersten Geräte waren bald nicht mehr zu reparieren. Der Planet hat Rohstoffe, aus denen wir dann die neuen Geräte gefertigt haben. Damit geht es bis jetzt ganz gut.«
Corey stand ebenfalls auf und ging zu ihr. Als sie vor Thora stand, fiel es ihr sehr schwer, sich zu beherrschen. Thoras Duft überwältigte sie fast.
»Ich bin sehr beeindruckt«, sagte Corey. Und sie meinte damit nicht nur die technischen Hilfsmittel. Thoras Lippen waren ihr so nah – Sie räusperte sich. »Ich bin schon auf vielen Missionen gewesen, aber diese hier ist . . . etwas Besonderes.«
Sie drehte sich um und ging ein Stück auf das Regal zu, das an der Wand stand. Thoras Nähe war einfach zuviel für sie. Sie spürte, wie sehr sie sie begehrte. Hätte sie sich nicht von ihr entfernt, hätte sie möglicherweise etwas getan, was Thora überrascht und die gerade aufkeimenden Beziehungen zwischen der Herrscherin dieses Planeten und der alten Erde hätte belasten können.
Corey drehte sich um und schaute Thora an. »Normalerweise fallen die Kolonisten eher technisch zurück«, fuhr sie fort. »Ohne die Hilfe der Erde könnten sie kein funktionierendes Gemeinwesen erhalten. Es gibt regelmäßige Kontakte, Frachtschiffe, die zwischen der Erde und den Kolonien pendeln . . . Aber die anderen Kolonien sind natürlich nicht so weit von der Erde entfernt wie ihr.«
Thora atmete tief durch. »Ja, unsere Vorfahren waren sehr eigenwillig«, sagte sie. »Sie wollten eigentlich nichts mehr mit der Erde zu tun haben. Anscheinend gab es vor der Abreise da einige Probleme. Steht in unseren Büchern. Aber vieles ist nicht so ganz nachvollziehbar.« Sie lächelte Corey an. »Vielleicht kannst du mir da einiges erklären.«
Oh Frau, was ich dir gern alles erklären würde . . .! »Ja sicher«, sagte Corey, von Thoras Lächeln so erschlagen, dass sie kaum sprechen konnte. »Die Zustände auf der Erde haben sich allerdings auch sehr verändert in den letzten zweihundert Jahren. Vielleicht hätten eure Vorfahren heute keinen Grund mehr auszuwandern.«
»Einer der Gründe war anscheinend Überbevölkerung«, sagte Thora. Sie lachte leicht. »Das können wir uns hier kaum vorstellen. Wir sind immer froh, wenn wir einen Menschen sehen. Manchmal sieht man tagelang niemand, wenn man draußen unterwegs ist.«
»Ja, es scheint hier sehr leer zu sein. Am Anfang dachte ich, hier wohnt überhaupt keiner mehr.« Corey zuckte die Schultern. »Das mit der Überbevölkerung haben wir immer noch nicht so richtig im Griff. Es gibt riesige Städte und sehr wenig Land. Aber es gibt Programme, um die Fortpflanzung zu steuern. Damit nicht zu viele Kinder auf die Welt kommen. Es wird langsam besser. Und dann gibt es natürlich auch noch die Kolonien. Die meisten sind zwar nicht so menschenleer wie eure, aber unter Überbevölkerung haben sie nicht zu leiden. Da ist genügend Platz für Menschen, denen es auf der Erde zu eng wird.«
»Da wir so weit entfernt sind, kommen wir für die meisten Auswanderer sicherlich gar nicht erst in Frage.« Thora schien sich nicht ganz entscheiden zu können, ob sie das gut oder schlecht fand.
»Momentan weiß auf der Erde niemand, dass diese Kolonie immer noch existiert«, sagte Corey.
Sie überlegte sich, ob es nicht am besten wäre, es dabei zu belassen. Der Planet schien so ruhig und friedlich, und die Erde war – nun ja, Corey war immer froh, wenn sie dort nicht zu lange bleiben musste, obwohl sie sich durchaus jedesmal freute, nach einer Mission in die Heimat zurückzukehren. Dauerhaft dort zu leben konnte sie sich aber nicht vorstellen. Es war wirklich zu eng.
»Wir könnten ein bisschen Unterstützung gebrauchen.« Thora seufzte. Interessiert schaute sie Corey an. »Und es wäre bestimmt gut für unsere Kinder, wenn sie erfahren würden, wie man woanders lebt.«
»Du meinst so eine Art Austauschprogramm?« Corey runzelte die Stirn.
»Ich greife vor.« Thora lächelte leicht. »Ich war immer schon neugierig, wie es woanders ist. Aber hier bei uns gibt es nur den Norden und den Süden, das ist alles.«
»Wenn ich das richtig verstanden habe, besteht da aber nicht viel Kontakt«, bemerkte Corey. »Bromila hat gedacht, ich könnte aus dem Norden kommen.«
»Ja, es ist schwierig«, gab Thora zu. »Die Gesellschaft im Norden ist eher religiös geprägt, wir hier eher wissenschaftlich. Das hat sich so entwickelt aus den verschiedenen Gruppen, die die Kolonie gegründet haben. Meine Tochter zum Beispiel«, sie schluckte, »lebt im Norden. Ich habe sie lange nicht gesehen.«
»Kannst du sie nicht besuchen?«, fragte Corey. »Oder die andere Mutter dich?«
»Die Verkehrsverbindungen sind etwas eingeschränkt.« Thora atmete tief durch. »Wir würden das gern ändern, aber die Nordlerinnen sind nicht so sehr daran interessiert. Außerdem sind unsere technischen Mittel auch begrenzt.«
»Du bist die . . .«, Corey überlegte, »oberste Frau auf diesem Planeten und kannst dein eigenes Kind nicht sehen?« Das erschien ihr etwas merkwürdig.
»Doch, ich könnte. Wenn ich mehr Zeit hätte.« Thora seufzte erneut. »Ich müsste lange Reisen auf mich nehmen, durch Stürme und Sand, und in der Zeit wäre niemand hier, um wichtige Entscheidungen zu treffen. So viele Leute sind wir nicht. Und die meisten sind nicht wild auf ein Regierungsamt.«
Corey schmunzelte. »Das ist auf der Erde definitiv anders. Viele arbeiten darauf hin.«
»Vielleicht sollte ich einige unserer begabten jungen Frauen einmal auf die Erde schicken«, sagte Thora lächelnd, »damit sie das lernen.«
»Dann sollten sie aber zuerst lernen, wie man mit Männern umgeht«, erwiderte Corey. »Sonst könnte das in die Hose gehen.«
»Ach ja?« Thora hob die Augenbrauen. »Sind Männer denn so anders?«
»Ziemlich«, sagte Corey. »Und vor allem . . . na ja . . . du erinnerst dich . . . die Geschichte mit der Fortpflanzung.« Sie räusperte sich. »Männer und Frauen. Eure jungen Frauen könnten davon etwas . . . überrascht werden, wenn sie nicht ausreichend informiert sind.«
»Vielleicht könntest du ja ein paar Informationen zusammenstellen«, schlug Thora vor, »und unsere jungen Frauen durch Vorträge in die Thematik einführen.«
»Ähm . . . ich . . . also . . .« Corey stotterte etwas herum. »Ja, gut, könnte ich«, sagte sie dann.
Auch wenn ihre eigenen Erfahrungen mit Männern, zumindest in persönlichen Beziehungen, äußerst begrenzt waren. Sie fürchtete, detaillierte Fragen der hiesigen interessierten weiblichen Jugend dazu konnte sie nicht beantworten.
Thoras Mundwinkel zuckten. »Am liebsten würde ich gleich mit dir zurückfliegen. Ich finde das alles so ungeheuer spannend.«
Und die Männer auf der Erde wären bestimmt begeistert von dir, dachte Corey. Sie zweifelte keinen Moment daran, dass sie alle liebend gern über Thora herfallen würden, sobald sie terrestrischen Boden betrat.
Und konnte sie dann damit umgehen? Stand sie auf Männer? Corey betrachtete Thora nachdenklich. Sie konnte Thora nicht fragen, denn sie kannte keine Männerbeziehungen. Aber Corey hatte den Verdacht, dass sie auf der Erde hetero gewesen wäre.
»Das ist ein langer Flug«, sagte Corey. »Wer vertritt dich dann hier solange?«
Thora nickte. »Ja, das wäre ein Problem. Dennoch ließe es sich sicher lösen. Aber –«, sie schaute Corey an, »ich hoffe, dass du noch ein bisschen bleibst und uns von der Erde erzählst. Wir haben da großen Nachholbedarf.«
Ich täte nichts lieber als für immer hierzubleiben, dachte Corey. Bei dir.
Komisch, sie war schon auf so vielen Planeten gewesen, aber so etwas hatte sie noch nie empfunden. Nach einiger Zeit hatte es sie immer wieder fortgezogen. Aber sie war ja auch noch nicht so lange hier.
Sie räusperte sich. »Ich denke, das erste, was wir jetzt tun sollten, ist, Hartmann herzuholen, damit er nicht noch Unsinn anstellt, falls ihn eine von deinen Frauen entdeckt.«
»Meine Frauen«, erwiderte Thora schmunzelnd, »sind durchaus in der Lage, auf sich selbst aufzupassen. Aber du hast recht.« Sie schaute zum Fenster hinaus. »Der Sturm lässt nach. Wir sollten das nutzen.«
»Ach . . . verdammt!« Corey schlug sich an die Stirn. »Was ist mit dem Test?« Sie schaute Thora an. »Hartmann muss sich dann wohl untersuchen lassen, ob er den Virus eingefangen hat.«
»Warten wir einfach auf Dahns Ergebnisse«, sagte Thora. »Vielleicht ist das gar nicht nötig. Wollen wir es hoffen.«
»Ja, wollen wir es hoffen.« Corey schüttelte den Kopf. »Mit so etwas hatte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Unsere Sensoren haben nichts angezeigt.«
»Offenbar ist der Virus hier auf diesem Planeten entstanden und wahrscheinlich zu fremd für eure Geräte«, vermutete Thora. »Die ersten Kolonisten haben ja auch nichts gemerkt.«
»Das war vor zweihundert Jahren. Man sollte meinen, unsere Geräte hätten sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt«, bemerkte Corey.
»Ich möchte gern dein Schiff sehen.« Thora schaute Corey an. »Und den Mann.« Aus ihrem Munde klang das Wort wie die Bezeichnung eines äußerst exotischen Wesens. »Ich bin sehr, sehr neugierig auf ihn.«
»Er ist nicht gerade eine Zierde der menschlichen Rasse, noch nicht einmal des männlichen Teils«, erwiderte Corey schmunzelnd.
»Aber er ist der einzige Mann hier auf dem Planeten«, sagte Thora. »Etwas ganz Besonderes.«
»Wenn du meinst . . .« Corey seufzte. »Also dann auf zu Hartmann.«
Einige Zeit später kamen sie am Landeplatz des Raumschiffes an, und Hartmann stürzte mit einem schweren Raumgewehr im Arm heraus, das er sofort auf sie richtete.
»Hartmann! Nicht schießen!«, rief Corey. »Ich bin’s.«
Hartmann blickte zuerst misstrauisch, doch dann ließ er das Gewehr sinken. »Ah, Captain.«
»Ja, ich.« Corey stieg aus dem Quad, das sie und Thora befördert hatte.
Die Fahrerin war diesmal nicht Bromila, sondern wohl Thoras persönliche Chauffeurin, die ihr als Präsidentin, nein: Erste Beraterin zustand, und das Quad war auch größer.
»Wir müssen uns hier nicht verteidigen«, klärte Corey Hartmann auf. »Die Bewohner dieser Kolonie sind friedlich.« Sie wies auf Thora.
»Das sehe ich.« Hartmann grinste. »Gibt es noch mehr davon?« Sein Blick wanderte über Thoras in den weiten Kaftan gehüllte Gestalt.
»Etwas Respekt!«, fuhr Corey ihn an. »Diese Dame hier ist Thora, die Erste Beraterin des Planeten, und um es für dich zu übersetzen: die Chefin vom Ganzen.«
»Oh.« Hartmanns Unterkiefer fiel herunter. »Tut . . . tut mir leid, Frau Präsident.«
Thora hatte ihn die ganze Zeit interessiert, ja geradezu fasziniert betrachtet. »Sind alle Männer so groß und breit?«, fragte sie jetzt.
»Wie?« Hartmann starrte sie verständnislos an.
»Mach dir keine Gedanken, das regle ich schon«, sagte Corey. Ihr Blick wandte sich zu Thora. »Nein, das ist genauso wie bei Frauen«, antwortete sie. »Manche sind kleiner, manche sind schmaler, die meisten sind nicht so groß und breit wie er hier.« Sie warf einen etwas amüsierten Blick auf Hartmann. »Er ist eine Sonderausführung.«
»Aha«, sagte Thora. »Extra gezüchtet?«
»Nein, nein.« Corey lächelte. »Er ist auf ganz natürliche Weise entstanden, soweit ich weiß.«
»Natürlich.« Thora dachte nach. »So wie es in unseren alten Büchern beschrieben wurde, meinst du. Nicht im Labor.«
»Ja, nicht im Labor«, bestätigte Corey. »Aber wäre es nicht besser, wir würden das woanders besprechen als ausgerechnet hier? Oder hält das Wetter jetzt?« Sie blickte zum Himmel.
Thora tat es ihr nach. »Kaum«, sagte sie. »Du hast recht. Wir sollten möglichst schnell zurückkehren.«
»Ich glaube, so viel Aufmerksamkeit von Frauen hat Hartmann in seinem ganzen Leben noch nicht erfahren«, grinste Corey.
»Es ist nichts so aufschlussreich wie das Studium am lebenden Objekt«, erwiderte Thora ganz ernst. Sie schien Coreys Bemerkung nicht lustig zu finden. »Und wir wissen noch nicht einmal, ob er noch lange ein lebendes Objekt sein wird. Dahn hat ihre Untersuchungen noch nicht beendet.« Ihre Stimme klang besorgt.
»Entschuldige.« Corey senkte den Blick. »Auf der Erde gibt es eben viele Männer, und da zählt Hartmann nicht unbedingt zur Oberklasse in der Gunst der Frauen. Sie haben die freie Auswahl.«
»Sofern es nicht gerade um die Verschmelzung der Eizellen geht, um ein gemeinsames Kind, haben wir die hier auch.« Thora schaute sie erneut mit diesem neugierig-interessierten Blick an, den Corey jetzt schon so gut kannte. »Wie ist das auf der Erde? Du sagtest, es gibt Programme, um die Überbevölkerung einzudämmen. Gibt es auch Vorschriften, wer mit wem Kinder zeugen darf? Um die besten Gene zu verbinden?«
»Das ist heiß umstritten«, erklärte Corey. »Immer noch. Es gab zu viele Vorfälle, in denen bestimmte Gruppen so etwas zu ihrem eigenen Vorteil nutzen wollten. Eine bestimmte Rasse erschaffen, die dann besser als alle anderen sein sollte, die Welt beherrschen. So etwas sieht man bei uns nicht mehr gern. Dennoch lassen viele Paare sich untersuchen, bevor sie gemeinsam Kinder zeugen, um zum Beispiel Erbkrankheiten auszuschließen. Man kann sich auch tatsächlich den genetisch passenden Partner aussuchen, wenn man das möchte, sowohl in Samenbanken als auch in Eizellenbanken. Das gibt es beides.«