Neues Glück im kleinen Friseursalon - Elizabeth Horn - E-Book

Neues Glück im kleinen Friseursalon E-Book

Elizabeth Horn

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Beschreibung

Alle Wege führen nach Engelsbrunn: Ein humorvoller, herzerwärmender Roman im Odenwald für Fans von Manuela Inusa und Jenny Colgan  »Toll! Wenn du die Kuh Elvira frisieren darfst, dann ist deine Stellung im Ort endgültig gesichert. Dann bist du jetzt so etwas wie ein Promifriseur.«  Sie hat keine Ahnung, was sie auf der Flucht vor ihrem alten Leben in den verträumten Ort Engelsbrunn im Odenwald geführt hat. Doch als die junge Friseurin Hanne den gemütlichen 50er-Jahre-Friseursalon am Marktplatz sieht, der zu verpachten ist, kann sie nicht widerstehen. Zwischen liebenswerten, teils kauzigen Dorfbewohnern, einer Kuh auf dem Sprung zur Modelkarriere und nicht zuletzt einem feschen Dorfpolizisten scheint sie ihr Glück zu finden. Vorausgesetzt, die Schrecken der Vergangenheit holen sie in ihrer neuen Heimat nicht ein ...

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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© Piper Verlag GmbH, München 2025

Redaktion: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Dieses Werk wurde vermittelt von der Literaturagentur Lianne Kolf.

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Hinweis

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Epilog

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Alle Figuren und Ereignisse dieses Romans sind frei erfunden, allerdings gab es bei dem Radiosender HIT RADIO FFH ein Format mit dem Titel »Hessens Next Top-Kuh«. Dies hat mich zu der Episode um die abenteuerlustige Kuh Elvira inspiriert. Ich danke dem Sender sehr, dass er mir gestattet, den Titel zu verwenden. Die Ereignisse um die Wahl und der Auftritt der Moderatorin Julia Nestle in Engelsbrunn sind allerdings reine Fiktion.

Auch Frau Nestle danke ich für ihre Zustimmung, ihren Namen benutzen zu dürfen.

Für Wolfgang, Julia und Thomas

Kapitel 1

»Mann, Elmar, jetzt hast du die Seiten schon wieder so kurz gemacht!«

»Das sagst du jedes Mal, du Dappschädel. Dann kommst du alle drei Wochen zum Schneiden. Was soll ich denn da machen, wenn nix absoll?«

»Na ja …«

»Siehst du, da fällt dir nix dazu ein. Dann sag halt, du kommst zum Waschen und Legen.« Der Friseur grinste.

»Odder, Heiner, du kenntst der ja auch mal e schick Dauerwell mache lasse!«, schlug Schorsch, einer der Zaungäste der Aktion, vor und schlug sich lachend auf die Oberschenkel.

»Wenn du mein Geld nicht willst, Elmar, dann sag es nur!«

Heiner, der zu kurz Geschorene, fand den Austausch offenbar gar nicht witzig.

»Ach, komm, Heiner! Sei nicht so empfindlich. Es war ja nicht böse gemeint. Aber ich habe wirklich praktisch nichts abgeschnitten.«

»Schon gut, Elmar. Schon gut!«, lenkte Heiner ein.

Elmar Engel, seit bald vierzig Jahren der Inhaber des Friseursalons Engel, seufzte tief und presste beide Hände in den Rücken. Auf allem Papierkram stand inzwischen Frisörsalon Engel, aber das Neonschild über dem Eingang lautete immer noch Friseursalon Engel.

Das Schild in der schwungvollen Schrift hatte Elmars Vater, Peter Engel, in den 50er-Jahren anbringen lassen. Auch ein Großteil der Einrichtung stammte noch von dieser Modernisierungsmaßnahme, die bei Elmars Großvater, Gustav, fast einen Herzinfarkt verursacht hätte. All diesen »modernen Kram« hatte der furchtbar gefunden.

Vorher hatte der Laden über zwei Generationen hinweg immer gleich ausgesehen. Der Fünfziger-Jahre-Look hatte nun auch schon wieder ganz schön lange durchgehalten. Diesmal würde kein Engel mehr etwas daran ändern. Elmar ging stramm auf die siebzig zu, und obwohl er seinen Beruf und die meisten seiner Kunden nach wie vor liebte, war es längst Zeit, sich zur Ruhe zu setzen. Sein Rücken tat heute mal wieder alles, um ihn zu überzeugen, dass seine Zeit als Friseurmeister vorüber war.

»Na, Elmar, quält dich der Rücken wieder?«, fragte Roland Schellhaas, genannt Doc, mitfühlend.

Elmar nickte nur matt.

»Und wie soll es nun weitergehen?«

»Die Anzeige im Lokalblättchen hat nichts gebracht. Das Schild im Fenster hängt nun auch schon ewig. Lange halte ich das nicht mehr durch. Aber wenn ich den Laden nicht verpachten oder verkaufen kann, wird es mit meiner Rente ganz schön eng. Das hier war nie eine Goldgrube, obwohl Heiner alle drei Wochen kommt.« Der Friseur grinste schief und legte seinem Kunden die Hand freundschaftlich auf die Schulter. »Wenn es gar nicht mehr geht und ich niemanden finde, dann werde ich das Haus mit dem Laden verkaufen und mir eine kleine Wohnung suchen müssen. Ich hatte so gehofft, ich könnte wenigstens oben wohnen bleiben. Nun ja, noch geht es ja, und vielleicht geschieht ja ein Wunder.«

»Hoffentlisch dauert des noch! Ich hab echt kaa Lust, mir von irschendwem uf em Kopp rummache zu lasse«, maulte Schorsch und sein Rauhaardackel knurrte dazu.

»Irgendwann wird dir nichts anderes übrigbleiben.« Elmar seufzte.

Mit dem dicken Echthaarpinsel bürstete er Heiner die letzten losen Haare aus dem Nacken und nahm ihm dann den Umhang ab.

»So, Heiner, fertig. Doc, jetzt bist du dran, oder hast du es eilig, Schorsch?«

»Na! Mei Alt kommt gut emal ohne misch aus. Mach erst den Doc. Vielleicht reißt sich einer en Splitter ei und er wird gebraucht.«

»Ich hab es auch nicht eilig, Elmar. Trink doch erst mal einen Kaffee und setzt dich einen Moment hin«, schlug Doc vor und sah den Friseurmeister besorgt an. Elmar war richtig blass und die tiefen Falten neben seinem Mund waren heute besonders ausgeprägt. Lange würde sein Rücken diesen Beruf ganz eindeutig nicht mehr aushalten.

Elmar nickte dankbar und setzte sich zu seinen Stammkunden.

Der Salon Engel befand sich am Marktplatz eines so kleinen Ortes, dass es fast niemanden gab, den er nicht persönlich kannte. Laufkundschaft verirrte sich nicht hierher. Der Großteil seiner Klientel bestand aus älteren Herren, die schon kamen, solange er denken konnte. Am einen oder anderen hatte er schon als Lehrbub seines Vaters üben dürfen. Nun waren sie alle zusammen alt geworden.

Weibliche Kundinnen verirrten sich auch ab und zu in den Salon. Meist ältere Semester, die zum Waschen und Legen und ab und zu für eine neue Dauerwelle kamen. Bis vor fünf Jahren hatte er noch eine Damenfriseurin beschäftigt. Aber das rechnete sich nun schon lange nicht mehr.

Die jüngeren Leute fuhren in den nächsten größeren Ort zu Salons mit coolen Namen und schicker Aufmachung. Die jungen Männer auch gern mal zum Barber, welche gerade überall wie Pilze aus dem Boden zu schießen schienen.

Als gelernter Herrenfriseur und Meister der alten Schule, beherrschte auch Elmar die Messerrasur perfekt. Für seine älteren Stammgäste gehörte zur Vorbereitung auf ein Familienfest oder andere Feiern eine Rasur von Elmar einfach dazu. Einer seiner ältesten Kunden behauptete immer, er sähe noch so jung aus, weil er sich alle zwei Wochen mit dem Messer rasieren lassen würde. Leider brachte dieses Lob Elmar nicht viel, da der alte Herr keinen Tag jünger aussah als seine 89 Jahre.

Wer würde den wohl barbieren, wenn Elmar wirklich aufhörte? Für diesen Kunden kam eine Fahrt in die nächste Stadt kaum noch infrage. Auch für Frau Bratengeier, die sich gerade mit ihrem Rollator über den Marktplatz quälte, würde es schwierig werden, zu einem anderen Friseur zu kommen.

»Oh, Frau Bratengeier kommt, sicher will sie eine neue Dauerwelle. Ich fürchte, sie muss morgen wiederkommen.«

Die letzten paar Jahre hatte Elmar so wenig zu tun gehabt, dass kein Mensch mehr Termine machte. Man kam einfach herein und schaute, ob es gerade passte.

»Ach was, mach doch der Rosswidda die Wickler und mir schwätze solang noch bissje.«

»Geht das Doc?«

»Ich hab Zeit.«

»Na prima, komm, Heiner, ich kassiere dich schnell ab.«

»Lass mal! Ich bleib auch noch ein bisschen. Doc wollte erzählen, was die auf dem Gewerbegelände in Fürth bauen wollen.«

Vielleicht sollte ich aufhören, Haare zu schneiden und stattdessen Kaffee und Kuchen anbieten, dachte Elmar. Irgendwie war der Salon im Laufe der Jahre immer mehr zu einer Art Seniorenclub geworden. Selbst Schorschs griesgrämiger Rauhaardackel war schon im Rentenalter.

Wehmütig schaute Elmar in die Runde. Selbst wenn er einen Kollegen fand, der den Salon übernahm, würde es nicht so bleiben wie jetzt. Das ging auch gar nicht, wenn man vernünftig davon leben wollte.

Nicht nur ihm würden die Runden hier fehlen, so viel war sicher.

Kapitel 2

Sie war spontan von der Autobahn abgebogen. Warum gerade da, hätte sie gar nicht sagen können. Nun fuhr sie schon eine ganze Weile im strahlenden Sonnenschein mit offenem Verdeck über Land und das so früh im Jahr.

Weite Täler wechselten mit sanften Hügeln, zartgrüner Laubwald mit weiten Feldern. Ab und zu kam sie durch kleine Ortschaften mit hübschen Fachwerkhäuschen oder auch durch Vororte, die eher Industriegebiete waren. Wenn sie über eine Kuppe kam, boten sich immer wieder unverhofft geradezu zauberhafte Ausblicke. Ländliche Idylle wie aus dem Bilderbuch. Aber besonders das Fahren durch den Wald wirkte Wunder. Das schillernde, eben erst keimende Grün, die tanzenden Sonnenflecken, die kühle, aromatische Luft, die Einsamkeit …

Sie lenkte ihren Wagen in eine Parkbucht neben der kurvigen Straße, machte den Motor aus, legte den Kopf an die Stütze und schloss die Augen.

Scheinbar hatten sich zwei Vögel wegen irgendetwas in der Wolle und schimpften regelrecht aufeinander ein. Der laue Wind ließ die jungen Blättchen ab und zu wispern. Sonst war da nichts.

Es kam ihr vor, als wäre sie auf einem anderen Planeten gelandet. Nichts war so, wie dort, wo sie herkam.

Ob sie wohl endlich weit genug gefahren war?

Über diesen Gedanken war sie scheinbar eingedöst.

Das Tuckern eines Motors weckte sie und ließ ihr Herz vor Schreck rasen. Im Rückspiegel sah sie einen riesigen roten Traktor, der von einem Mann in Latzhose und Karohemd gelenkt wurde. Man hatte den Eindruck, man könnte bequem neben dem Fahrzeug herlaufen. So gemächlich bewegte es sich.

Als er auf ihrer Höhe war, stoppte der Fahrer mitten auf der Fahrbahn, offenbar ohne sich Gedanken über andere Fahrzeuge zu machen – die ja im Moment auch nicht vorhanden waren – und sprach sie in einer Sprache an, die sie noch nie gehört hatte. Die Vokale waren dunkel und irgendwie flossen alle Wörter ineinander. Vielleicht war es eine skandinavische oder slawische Sprache? Nur das Wort »Problem« hatte sie verstanden. Der Mann lächelte sie aufmunternd an.

»Sorry!«, sagte sie lächelnd. »Do you speak English?«

»No. I no schpick Englisch. Auto okay? Du okay?«, fragte er mit gerunzelter Stirn. Besorgt betrachtete er das mintgrüne schicke Cabrio und seine zarte Fahrerin.

»Everything is okay!«, versicherte diese und hob zur Bekräftigung beide Daumen. Das schien den potenziellen Retter zu überzeugen. Er tippte an seine Mütze und winkte ihr zum Abschied. »Okay. Goodbye and happy day!«, rief er ihr zu und sah ungemein zufrieden aus.

Sie winkte ihm nach und streckte sich. Vielleicht war er ein Saisonarbeiter, der hier in der Landwirtschaft half. Jedenfalls war es nett gewesen, zu fragen, ob sie Hilfe brauchte.

»Happy day!« Sie schmunzelte. Ja, das wäre mal wieder schön.

Sie musste weiter, wenn sie auch nicht wusste, wohin. Auf alle Fälle hatte sie riesen Hunger. Also fuhr sie wieder los. Bald überholte sie den Traktor und winkte. Der Fahrer nahm seine Mütze ab und schwenkte sie zum Abschied.

Hinter dem Wald führte sie die Straße an eine Kreuzung. Die Orte auf den Wegweisern sagten ihr natürlich alle nichts. Da sie gerade in ihren Englischkenntnissen herumgewühlt hatte, fiel ihr ein Spruch ein, den sie einmal gehört hatte. »If nothing goes right, go left.« Man konnte das nicht übersetzen, weil »right« im Englischen zwei Bedeutungen hatte, nämlich »rechts« aber auch »richtig«. Jedenfalls war es Grund genug, nach links zu fahren. Außerdem hieß der nächste Ort in der Richtung »Engelsbrunn«. Das klang doch vielversprechend.

Hinter dem Ortsschild fuhr sie durch ein kleines Neubaugebiet mit einigen schmucken Häuschen mit hübschen Gärten. Der Ortskern bestand aus schmalen Sträßchen, gesäumt von Fachwerkhäusern, die aussahen, als gehörten sie in ein Freilichtmuseum. Einige hatten große Tore, die wohl in Innenhöfe und vielleicht zu Stallungen führten. Jedenfalls roch es auch mitten im Ort an manchen Ecken recht ländlich.

Schließlich gelangte sie an einen ebenfalls von Fachwerkhäusern eingefassten Platz mit einem Brunnen in der Mitte. Offenbar war das der Marktplatz. An der Stirnseite befand sich eine hübsche Kirche aus rotem Sandstein, deren eindrucksvolles Portal von zwei großen Heiligenfiguren flankiert wurde. Da der Platz praktisch verlassen in der Sonne lag, war es kein Problem, einen Parkplatz zu finden.

Sie schloss das automatische Verdeck und stieg aus. Zwei Jungs von etwa neun Jahren standen nebeneinander und bewunderten unverhohlen ihr Cabrio.

»Tag! Geile Karre!«, grüßte der etwas Größere sie.

»Danke! Finde ich auch. Sagt mal, ihr kennt euch hier doch sicher aus. Kann ich den Wagen hier eine Weile stehen lassen? Oder meint ihr, da passiert vielleicht was dran?«

»Also ehrlich! Hier passiert nie irgendwas!«, versicherte der Kleinere. Und das klang nicht wie ein Loblied auf seinen Heimatort. »Wir hängen hier auch noch bisschen rum. Wir passen auf, wenn Sie wollen.«

»Das wäre nett. Was gebe ich euch denn dafür?«

Scheinbar war der Ort doch nicht so verträumt und unschuldig, wie er auf den ersten Blick schien.

»Was? Nein, so haben wir das nicht gemeint. Das ist nur einfach … Service.«

»Vielen Dank, dann. Gibt es hier ein Gasthaus in der Nähe?«

»Ja, den Ochsen. Der ist …« Der Größere streckte seinen Arm aus, ließ ihn aber wieder sinken. »Wir bringen Sie besser hin!«, verkündete er bestimmt und sein Kumpel nickte zustimmend. So marschierten sie los und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihnen zu folgen.

Sie begannen den Platz zu umkreisen. Als sie an der Kirche vorbeikamen, blieben die Jungs stehen.

»Das hier ist die Christopherus-Kirche, katholisch. Der Kerl mit dem Bart und dem dicken Baby auf der Schulter, das ist er. Also der Christopherus. Das Baby ist Jesus. Der Christopherus ist Schutzheiliger für …«

»… für Reisende und Verlorengegangene und ganz viel anderes Zeug«, fiel ihm sein Kollege ins Wort, der sich offenbar nicht lumpen lassen wollte.

»Ich bin beeindruckt, und wer ist die Dame gegenüber?«, fragte sie lächelnd.

»Das ist die Maria Magdalena. Die war so was wie dem Jesus seine Freundin. Also als er nicht mehr ein Baby war natürlich.«

»Und ist sie auch eine Schutzpatronin?«

»Ja, auch für alles Mögliche. Viel so Frauenkram. Der Herr Engel sagt, sie ist auch die Schutzpatronin für Friseure. Das passt ja auch. Friseur ist ja auch mehr Frauenkram.«

»Schon. Aber zum Herrn Engel, da kommen fast nur noch alte Männer«, wandte der andere ein. »Mama sagt, dem seine Tage sind gezählt. Ich hoffe, er stirbt nicht.«

»Ach Quatsch! Der macht nur zu, weil er zu alt ist. Aber nett ist er und schneidet einem nicht so einen albernen Kinderpony. Ach ja, für Gefangene ist sie auch noch gut, die Maria Magdalena. Wohl auch für Männer. Ob die auch Serienkiller und so beschützt? Das fände ich irgendwie nicht fair.«

Scheinbar hatten ihre Fremdenführer sie regelrecht vergessen und gerieten in eine Diskussion über dieses heikle Thema. Schutzpatron der Reisenden und Schutzpatronin der Gefangenen und Friseure. Das passte ja alles irgendwie beunruhigend gut.

»Was denken Sie?«

»Bitte?« Sie war mit ihren Gedanken weit weg gewesen.

»Meinen Sie, eine Schutzheilige beschützt Serienkiller?«

»Oh je! Da fragt ihr mich was. Mit so was kenne ich mich gar nicht aus.«

»Wollen Sie mal rein in die Kirche? Wir könnten beim Küster den Schlüssel holen. Eigentlich war die Kirche immer auf, aber im Winter hat wer das goldene Kreuz geklaut. Das war echt und sicher eine Milliarde wert. Jetzt steht ein anderes drin. Aber kein so cooles.«

»Danke! Ehrlich gesagt würde ich lieber was essen. Ich habe einen Bärenhunger.«

»Okay. Hier entlang.«

So umrundeten sie den Marktplatz weiter und erreichten an der Ecke einen Gasthof. Das Haus war wunderschön saniert und in den Blumenkästen leuchteten samtige Stiefmütterchen. Die geschnitzte Massivholztür war allerdings zu. Ein kleines Messingschild zeigte, dass der Gasthof erst in einer guten Stunde wieder öffnete. Sie stöhnte auf.

»Bis dahin bin ich verhungert.«

»Also, ein Mensch kann je nach Gewicht tagelang ohne Essen überleben«, versicherte ihr einer ihrer Begleiter.

»Das möchte ich aber nicht ausprobieren.« Sie musste lachen.

»Keine Angst, die Eisdiele hat auf. Die hat tolle Eisbecher«, tröstete sie der Kleinere.

»Gut, dann gibt es einen Eisbecher. Auch nicht schlecht.«

Vor besagter Eisdiele saßen tatsächlich als einzige Menschen weit und breit zwei junge Männer in Radlermontur an einem Tisch und eine ältere Dame stand an dem Fenster, aus dem verkauft wurde und bestellte eine Tüte Eis.

»Kommt mal mit. Ich spendiere euch ein Eis für eure Hilfe.«

»Super!«, freuten sich die beiden und traten an das Fenster.

»Hallo, Frau Lautenschläger!«, grüßten sie die Kundin vor ihnen.

»Na, ihr zwei, investiert ihr euer Taschengeld in ein Eis?«, fragte die freundlich.

»Wir bekommen eins spendiert, weil wir einer verirrten Frau geholfen haben. Der da!« Mit ausgestrecktem Arm wies der Kleinere auf ihre Gönnerin.

»Na, da haben Sie ja Glück gehabt, dass Sie so gute Fremdenführer gefunden haben!«, sagte die Frau lächelnd und zwinkerte ihr zu, ehe sie mit ihrem Eis fortging.

Als die Jungs auch mit einem Eis versorgt waren, bedankten sie sich höflich und versprachen zu gehen und auf ihr Auto aufzupassen – auf ihr Auto, das ihr genau gegenüber auf der anderen Seite des Marktplatzes stand. Wären sie quer über den Platz gegangen, hätten sie die Eisdiele in einer Minute erreicht. Zur Not hätte sie sicher auch allein hergefunden, aber offenbar war das hier ein Ort, wo jede noch so kleine Abwechslung willkommen war.

Während sie ihren wirklich köstlichen Eisbecher an einem Tisch am Rand des Platzes verzehrte, sah sie die beiden Jungen Eis schleckend mit wichtiger Miene ihr Auto umrunden. Und noch etwas sah sie: Schräg hinter dem Wagen befand sich der Friseursalon Engel, wie die verschnörkelte Neonschrift verkündete. In der großen Fensterfront hing ein rotes Banner mit der Aufschrift: »Provisionsfrei zu verpachten oder zu verkaufen«. Das hatte sie beim Aussteigen gar nicht gesehen.

Ihr Herz begann, schneller zu schlagen, und ihre Hände wurden feucht. »Du spinnst doch!«, schalt sie sich selbst. »Du kannst nicht einfach mitten im Nirgendwo einen Friseursalon pachten.«

In dem Moment kamen die beiden Jungs quer über den Marktplatz geflitzt.

»Wir wollten nur sagen, dass wir jetzt leider heimmüssen. Wir können nicht mehr auf das Auto aufpassen.«

»Macht euch keine Gedanken, Jungs. Vielen Dank. Ich muss jetzt ohnehin weiter.«

Zufrieden trotteten die beiden davon. Sie zahlte und ging auf dem Weg, den sie gekommen war in Richtung Wagen. Vor der Kirche blieb sie noch einmal stehen. Maria Magdalena sah sie mit einem milden Lächeln an. Christopherus hingegen wirkte in seiner gebeugten Haltung eher, als litte er unter massiven Rückenschmerzen. Das war durchaus vorstellbar, denn der kleine Jesus auf seiner Schulter sah eher aus wie ein kleiner Buddha.

War Maria Magdalena nicht auch die Schutzpatronin der »gefallenen Mädchen«, wie es ihre Großmutter wohl ausgedrückt hätte. In dem Sinne fühlte sie sich nicht als gefallen, vielleicht eher als reingefallen.

Eins hatten die Jungs glasklar erkannt: Sie war eine verirrte Frau.

Kapitel 3

Als sie ihren Wagen erreichte, schaute sie hinüber zu dem Friseursalon. Friseursalon Engel stand da. Friseur mit eu. Sie seufzte tief.

Durch das große Fenster sah man drei ältere Männer um einen kleinen Tisch sitzen und Kaffee trinken. Der Friseur, der tatsächlich noch einen weißen Kittel trug, löste gerade die kleinen Dauerwellenwickler vom Kopf einer ebenfalls weißhaarigen Frau.

Das Fenster würde man etwas abdecken müssen. Als Kundin schätzte man es nicht, wenn einem von der Straße aus jeder sehen konnte – mit Wicklern oder Folie auf dem Kopf. Andererseits war es auch nicht schlecht, von außen einen Eindruck von dem Geschäft zu bekommen. Vielleicht könnte man ja …

Was sollte der Unsinn nur? Sie konnte doch nicht einfach irgendwo einen Salon mieten. Was für eine bescheuerte Idee! Also stieg sie in ihren Wagen, wartete, bis das Verdeck geöffnet war und wollte gerade losfahren. In dem Moment traf sich ihr Blick mit dem des Friseurs, der sie scheinbar traurig anschaute.

Als sie wenig später Engelsbrunn am anderen Ende verließ, führte die Straße wieder durch den Wald. Die Sonne stand inzwischen schon recht tief, sodass er plötzlich dunkel und kühl wirkte. An der nächsten Kreuzung, die sie erreichte, fuhr sie nach rechts. Nach einigen hundert Metern kam sie an einen Kreisel. Entschlossen, einfach in der Richtung weiterzufahren, bog sie hinein. Gerade als sie abbiegen wollte, sah sie einen Ortsnamen, den sie kannte. Engelsbrunn. Dreimal fuhr sie durch den Kreisel, nur um dann doch ihre Richtung wieder aufzunehmen, aber wenige hundert Meter weiter wies das nächste Schild in einen Abzweig nach links. Auch der führte nach Engelsbrunn.

»Okay! Ich gebe auf. Ich habe ja keine Ahnung, wo ich sonst hinsoll. Also zurück nach Engelsbrunn!«, sagte sie laut zu sich selbst.

Sie war überrascht, wie wenig sie sich von dem Ort entfernt hatte. Aus der anderen Richtung kommend war sie bald wieder an dem Marktplatz. Sie parkte praktisch da, wo sie vorher schon gestanden hatte, doch statt direkt zu dem Salon zu gehen, umrundete sie den Platz noch einmal. In den letzten Sonnenstrahlen schien Maria Magdalena auf einmal zufrieden zu grinsen, statt zu lächeln.

»Erwarte nicht zu viel! Ich frage nur mal nach!«, mahnte sie die Heilige.

Langsam schlich sie auf den Salon zu. Die Tür öffnete sich, und der Friseur trug einen Rollator die Stufen vor der Tür hinunter auf den Bürgersteig. Dann ging er zurück und führte seine Kundin am Arm hinunter. Die schnappte sich ihre Stütze, winkte vergnügt und machte sich erstaunlich flott auf den Weg.

Sollte sie wirklich hineingehen? Ihr Blick wanderte zu dem Neonschild. Friseursalon mit »eu«. Dem konnte sie nicht widerstehen.

So stieg sie die Stufen hinauf und öffnete die Tür. Ein helles Klingeln kündigte sie an. Einer der drei Männer, die immer noch da waren, war gerade aufgestanden und im Begriff, sich in den Friseurstuhl zu setzen. Der Salon war offenbar in zwei Teile geteilt, so wie es früher oft üblich gewesen war. In einen Damen- und einen Herrensalon.

Der Friseur wandte sich ihr lächelnd zu.

»Kann ich ihnen helfen? Einen Friseur scheinen Sie nicht zu brauchen. So etwas habe ich ja noch nie gesehen.« Zaghaft ging er auf sie zu und betrachtete ihren akkurat geschnittenen Bob. Die Form war perfekt, aber das wirklich Spektakuläre war die Farbe. Das gesamte Deckhaar war strähnenweise vom Ansatz bis in die Spitzen in allen Schattierungen von rot gefärbt. Der Effekt war, dass das Haar je nach Bewegung und Lichteinfall die Farbnuance zu wechseln schien.

»Das ist ein Kunstwerk!«, sagte Elmar Engel nur.

»Danke!« Die junge Frau errötete direkt. »Ich wollte … Ich bin wegen des Schilds im Fenster hier. Ich wollte mich nach den Bedingungen erkundigen.«

»Oh! Ich bin Elmar Engel, der Inhaber!«

Sie reichte ihm die Hand. »Ach, ich dachte, Sie hätten das Geschäft nach dem Ortsnamen Salon Engel genannt.«

»Oh, nein! Der Ort ist nach der Familie Engel benannt. Wir leben seit Urzeiten hier.«

»Unglaublich! Ich habe noch nie jemanden kennengelernt, nach dem ein Ort genannt wurde.« Sie sah ihn mit großen blauen Babyaugen staunend an. Die drei Männer lachten.

»Lasse se sich net veräppele, Frolleinsche!«, grinste der Mann mit dem Hund.

»Ja, ich fürchte, Elmar erzählt mal wieder Friseur-Latein. Der Ort ist nach dem Engel benannt, der einem Hirten eine dringend benötigte Quelle gezeigt hat. Der Brunnen da drüben erinnert an die Begegnung. Aber die Engels passen schon sehr gut dazu und sind ein wichtiger Teil der Gemeinde«, lächelte der Mann, der offenbar schon bedient worden war.

Der Kunde, der sich gerade in den Stuhl gesetzt hatte, stand auf und sagte: »Elmar, ich komm morgen wieder! Komm Schorsch, ich geb dir ein Bier aus. Der Ochs hat jetzt auf. Wir gehen, dann kannst du in Ruhe mit der Dame reden.«

»Alla gut, Doc. Bis mosche Elmar! Mach nix, was dir später leidtut«, sagte der Mann mit dem Rauhaardackel an der Leine, und die beiden verließen das Geschäft.

»Danke, ihr zwei! Bis morgen!«, rief ihnen der Friseur nach. »Ich kassiere nur noch schnell ab. Heiner, das macht 18 Euro.« Der dritte im Bunde zahlte und ging auch.

»Sie interessieren sich also für den Salon?«, fragte er die junge Frau. In seiner Frage klang eine Mischung aus Hoffnung und Verwunderung mit.

»Womöglich. Ich hätte da ein paar Fragen. Haben Sie den Salon im Internet angeboten?«

Mit der Frage hatte Elmar nun nicht gerechnet. »Nein. Ich muss zugeben, damit kenne ich mich so gar nicht aus.«

»Wo haben Sie denn inseriert?«

»In einem regionalen Blättchen. Das liest hier jeder. Ich habe mir gesagt, einen Salon in Engelsbrunn pachtet nur jemand, der einen Bezug zur Region hat. Und ich habe das Schild im Fenster.«

»Ah, gut!« Die junge Frau schien regelrecht aufzuatmen.

»Wissen Sie, hier im Ort gibt es nicht mehr sehr viel Kundschaft. Man müsste Werbung machen und so. Aber dazu habe ich einfach keine Energie mehr. Ich hätte längst aufhören sollen. Es ist nicht nur eine finanzielle Frage, warum ich weitermache. Ich mache meinen Beruf immer noch ausgesprochen gern. Die wenigen Kunden, die ich noch habe, schaffe ich gerade noch. Ich muss Ihnen sagen, dass Sie hier kaum Laufkundschaft haben werden. Obwohl … einige Damen hier im Ort kämen sicher, wenn es eine Friseurin gäbe, die etwas … sagen wir … moderner ist. Ich bin einfach eher ein Herrenfriseur.«

Während er sprach, hatte sie sich im Salon umgeschaut. Die Einrichtung war einfach unglaublich. Alles offensichtlich aus den 50er-Jahren. Die vier dunkelgrünen Stühle waren in ausgezeichnetem Zustand. Die runden Spiegel, die Theke mit der geschwungenen Platte aus schwarzem Glas mit geometrischen Mustern, die Trennwand aus Buntglas zwischen den beiden Räumen des Geschäfts. Im Damensalon stand eine lange zartgrüne Couch an einer Wand den Frisierplätzen gegenüber mit drei an der Decke montierten eierförmigen Trockenhauben darüber. Der Laden hatte ein sagenhaftes Flair. Man müsste einfach nur die Wände farblich etwas anpassen, ein paar schöne Details einbauen und …

»Sie sehen ja. Die Einrichtung ist veraltet. Natürlich müssten Sie alles rausschmeißen und modernisieren. Das hieße, Sie hätten erst mal Kosten.«

»Nein, die Einrichtung ist großartig. Diese Vintagesachen werden für ein Schweinegeld gehandelt. Lassen Sie sich nur nie überzeugen, sie wegzuwerfen. Könnte ich die Einrichtung denn übernehmen? Es wäre so einfach und sicher effektiv, das 50er-Jahre-Motiv zu betonen.«

»Wirklich?«

»Also … Falls ich es mache.«

»Natürlich! Sie können behalten, was Sie wollen und rausschmeißen, was Sie nicht brauchen. Wenn Sie den Laden pachten, ist es Ihrer und Sie können damit machen, was Sie wollen. Ich wohne in der Wohnung obendrüber, aber ich schwöre, in dem Moment, wo ich aufhöre, hören Sie von mir keinen Ton. Sie haben da freie Hand. Kommen Sie, setzen wir uns. Ich mache zu und wir bereden die Einzelheiten. Dann können Sie überlegen, ob es für Sie tatsächlich infrage kommt. Sind Sie Meisterin, oder haben Sie einen Meister an der Hand?«, fragte Elmar.

»Ich bin selbst Meisterin. Ich will auch erst mal allein arbeiten. Wenn es richtig gut liefe, könnte der Salon vom Platz her gut noch ein oder zwei Mitarbeiter verkraften.«

»Ich hoffe, Sie machen sich keine falschen Vorstellungen. Ich komme gerade so über die Runden, weil mir der Laden gehört und ich keine Pacht zahlen muss. Lassen Sie uns mal über Zahlen reden. Aber ich weiß noch gar nicht, wie Sie heißen.«

»Entschuldigung! Mein Name ist … Ich heiße … Hanne … Hanne Vulpius.«

»Freut mich, Frau Vulpius!«

»Von woher hat es Sie denn in unseren schönen Odenwald verschlagen?«, fragte Elmar lächelnd.

Gut, dachte sie. Jetzt weiß ich wenigstens, wie die Gegend hier heißt.

»Ich habe zuletzt in … Berlin gearbeitet.«

So saßen sie eine ganze Weile beisammen und redeten. Sie hörte staunend Preisvorstellungen zu, für die man da, wo sie herkam, kaum eine Garage hätte mieten können. Finanziell wäre das alles kein Problem. Wenn sie das Cabrio verkaufte, was sie ohnehin vorhatte, hatte sie erst mal ein gutes Polster, selbst wenn der Salon gar nicht laufen sollte.

»Nun, was denken Sie, Frau Vulpius? Ein bisschen Verhandlungsspielraum gibt es natürlich schon.«

»Nein, nein! Die Konditionen sind sehr akzeptabel. Ich weiß nur nicht … Ich habe das Schild gesehen und gedacht … Das geht alles so schnell.«

»Was halten Sie von folgendem Vorschlag? Sie kommen morgen ein paar Stunden her und schauen sich an, wie hier alles so läuft. Engelsbrunn ist ein freundlicher kleiner Ort. Hier lässt es sich gut leben. Aber wenn man aus Berlin kommt, wie Sie, dann ist es natürlich ein echtes Kaff.«

»Das ist eine sehr gute Idee, Herr Engel! Machen Sie sich keine Gedanken. Ich bin hier, weil ich das Gefühl habe, ich brauche eine radikale Veränderung. So gesehen ist Engelsbrunn genau das Richtige. Gibt es ein Hotel, wo ich übernachten kann?«

»Außerhalb gibt es ein Hotel Garni. Aber das ist ziemlich ungemütlich. Ein paar Straßen weiter in der Wunschbrunnenstraße gibt es eine nette Pension. Sie heißt Bei Henriette. Die Wirtin ist auch Engelsbrunner Urgestein. Ihr Haus ist gemütlich und sie serviert ein unglaubliches Frühstück. Sie können es sich ja mal ansehen. Soll ich Henriette fragen, ob sie was frei hat? Vor Ostern ist hier meist nichts los, aber sie hat auch immer ein paar Handelsvertreter, die das ganze Jahr über kommen.«

»Ja, bitte, das wäre nett.«

Nach einem kurzen Telefonat erklärte der Friseur, wie sie zu der Pension kam, und sie verabredeten sich für den nächsten Morgen um 10 Uhr.

Die kleine Pension war nicht weit vom Marktplatz entfernt und lag in einer Seitenstraße, die von Fachwerkhäusern teils mit großen Toren gesäumt war.

Sie stellte ihr Cabrio vor dem Tor mit einem unguten Gefühl ab. Andere Fahrzeuge hatten nur wenig Platz daran vorbeizukommen. Im Moment waren allerdings keine zu sehen. Unter den schmucken Häusern war die Pension eindeutig das schönste. Weiß verputzt mit dunkelrotem Gebälk sah sie aus, wie aus dem Ei gepellt. Vor jedem der kleinen Sprossenfenster der drei Stockwerke hingen Blumenkästen mit Stiefmütterchen, Erika und hängendem Efeu.

Neben dem großen Tor war eine Klingel. Kaum hatte sie geläutet, öffnete sich die Tür, die in das Tor eingefügt war und eine weißhaarige Frau lächelte sie freundlich an.

»Ah, die verirrte Frau! Schön, dass Sie mich gefunden haben.«

Sie schaute sie fragend an. Aber da fiel es ihr wieder ein.

»Ah, die Eisdiele!«

»Richtig!«

»Herr Engel hat mich hergeschickt. Ich bräuchte ein Zimmer für erst mal zwei Nächte.«

»Elmar hat mich angerufen. Ich bin Henriette Lautenschläger. Aber meine Gäste nennen mich alle Henriette.«

»Hanne Vulpius! Aber dann nennen Sie mich bitte auch Hanne.«

»Ist der flotte Flitzer Ihrer?« Sie wies auf das Mercedes Cabrio.

»Ja, ist er. Gibt es hier irgendwo einen besseren Parkplatz? Hier ist es doch etwas eng. Ich hole eben mal meine Sachen raus.«

»Lassen Sie sie erst mal drin. Ich mache das Tor auf. Ich habe zwei Stellplätze im Hof. Moment.«

Unter lautem Quietschen öffneten sich die beiden hölzernen Torflügel und gaben eine große Einfahrt frei.

»Sie können gleich hier parken oder hinter dem grünen Schuppen neben dem Haus. Wie Sie möchten.«

Sie entschied sich für den Platz hinter dem Schuppen. Dort war der Wagen gut aufgehoben und sprang selbst möglichen Pensionsgästen nicht sofort ins Auge. Am nächsten Tag würde sie zum Salon laufen. Sie entspannte sich merklich und holte ihr Gepäck aus dem Wagen. Einen Rollkoffer, eine große Reisetasche und ihren alten Doktorkoffer, in dem sie ihr wichtigstes Hab und Gut transportierte.

»Herzlich willkommen! Elmar sagt, Sie interessieren sich womöglich für den Salon und wollen sich morgen mal den Betrieb ansehen?«

»Genau!«

»Ich würde mich für Elmar freuen. Mit seinem Rücken sollte er längst nicht mehr arbeiten. Wenn Sie hierbleiben, wann würden Sie denn dann einsteigen wollen?«

»Also, falls ich es mache … Herr Engel meinte, es wäre ihm am liebsten, wenn ich zum Ersten übernehmen würde. Das wäre in acht Tagen. Mir wäre das auch recht. Das wäre vor Ostern. Ich könnte das Geschäft etwas renovieren und dann die Woche nach den Feiertagen wieder aufmachen.«

»Das heißt, wenn alles klappt, bräuchten Sie direkt länger eine Bleibe? In dem Fall ist es das Beste, ich gebe ihnen das Zimmer unterm Dach. Das ist eigentlich eine winzige Wohnung. Sie ist aber etwas teurer als die normalen Einzelzimmer.«

»Das klingt gut. Das passt schon. Vielleicht könnte ich dableiben, bis ich etwas anderes finde … also falls ich es mache.«

Die ältere Frau lächelte sie an, als wüsste sie, dass die Entscheidung eigentlich schon gefallen war. »Na, dann kommen Sie mal mit, Hanne! Ich zeige Ihnen Ihr Reich. Sie müssen allerdings etwas klettern. Aber Sie sind ja noch jung.«

So folgte sie ihrer Wirtin die schmalen, knarrenden Stufen hinauf.

Hanne! Nun war sie also Hanne. Das passte sehr gut zu dem Neuanfang, der nun hoffentlich vor ihr lag.

Kapitel 4

Am nächsten Morgen wachte sie zum ersten Mal seit Wochen erholt auf. Draußen war es zwar schon hell, aber das Licht war noch milchig und verhalten. Sie stand auf und blickte aus dem kleinen Fenster mit den Häkelgardinen auf die Straße hinunter. Dort war niemand zu sehen. Aber in einigen Häusern gegenüber brannte Licht.

Am vergangenen Abend hatte sie auf dem kleinen Gerät noch etwas ferngesehen. Sie war überrascht festzustellen, dass es sogar über einige Streaminganbieter verfügte. WLAN hatte sie auch. Offenbar war sie doch nicht ganz so weit vom Rest der Welt entfernt, wie es ihr zuerst vorgekommen war. Sie hatte noch viel Zeit, bis sie im Friseursalon Engel sein sollte.

So hängte sie ihre Kleidung in den bemalten Bauernschrank, suchte etwas Geeignetes zum Anziehen aus und ging dann in das kleine Bad zum Duschen. Die Dusche befand sich unter der Dachschräge. Der Raum war offenbar vor nicht allzu langer Zeit neu gefliest worden, auch die restliche Ausstattung war offenbar noch recht neu. Ein schmaler Schrank bot erfreulich viel Platz für alles, was sie im Bad so brauchte. Wenn man nicht größer war als 1,80 Meter, war alles perfekt. Und davon war sie weit entfernt.