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Was kommt nach dem Happy End? Nadine kann sich nicht mehr erinnern, was Sex überhaupt ist. Klar, am Anfang hatten auch Thomas und sie ein tolles Liebesleben, aber davon ist leider nichts mehr übrig geblieben. Der Gang zum Kühlschrank ist eben doch nicht so anstrengend wie der ins Fitnessstudio - und so sind die beiden im Laufe der Zeit ziemlich rundlich geworden. Als Nadine im Urlaub plötzlich ihrem Ex-Freund gegenübersteht, ist das ein großer Schock. Daniel ist immer noch rank und schlank und hat von seiner Performance in der Horizontalen offenbar nichts eingebüßt. Nadine ist neidisch - und beschließt, ihr Leben ab sofort drastisch zu ändern - mit oder ohne Thomas.
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Verführerisch blicke ich den Mann an, der splitternackt aus dem Badezimmer unseres Fünf-Sterne-Hotels kommt. Groß, athletisch, definierte Brust, muskulöse Oberarme, Sixpack, stramme Beine. Er wirft mir einen lüsternen Blick zu.
„Baby, ich bin rattenscharf auf dich“, sagt er mit vibrierender Stimme, die mir heiße Schauer über den Rücken jagt.
„Du bist mein. Du gehörst mir. Ich will dich. Jetzt, Baby.“
Oh, ich liebe diese Worte! Schmachtend räkele ich mich auf dem riesigen Bett. Aus Erfahrung weiß ich, dass er es mir gleich dermaßen besorgen wird, dass ich aus dem Freudengeheul gar nicht mehr herauskommen werde.
„Mist, ich wäre fast in der Dusche ausgerutscht. Können die nicht eine Matte hinlegen oder muss man sich die selbst mitbringen? Ich hätte mir sonst was brechen können.“
Die anklagende Stimme meines Gatten holt mich in die Realität zurück. Ich blinzele. Er ist – wie in meinem kurzen Tagtraum – tatsächlich splitternackt, aber er sieht nicht aus wie ein Hugo Boss Model, sondern eher wie ein Michelin Männchen.
„Habe ich eigentlich wieder diesen Ausschlag am Arsch? Guckst du mal nach, Schatz?“
Unbefangen dreht Thomas sich zu mir um und präsentiert mir sein behaartes Hinterteil. Ich wende mich schaudernd ab.
„Thomas, bitte! Ich möchte das nicht sehen.“
„Aber warum denn nicht, Liebling?“
Jetzt versucht er, seinen Po im Spiegel zu begutachten, was jedoch misslingt.
„Weil es nicht sehr erotisch ist, wenn du mir was von Ausschlag am Hintern erzählst“, erkläre ich.
Thomas sieht mich verständnislos an, und ich muss laut lachen. Was rede ich denn da? Als ob es noch auf ein paar Pickel ankommen würde. Es ist völlig egal, ob Thomas Flecken am Allerwertesten oder eine Blase auf dem Schniedel hat – Sex haben wir sowieso nicht mehr. Und Erotik ist bei uns schon lange ein Fremdwort.
Ich spitze meine Ohren. Ist das nicht ein Stöhnen, das man durch die dünnen Wände hören kann?
„Die im Nebenzimmer bumsen gerade“, stelle ich fest und kann nicht verhindern, dass in meiner Stimme der Hauch eines Vorwurfes mitschwingt.
„Wie schön für sie“, erwidert Thomas uninteressiert.
Er ist der einzige Mann, den ich jemals gesehen habe, der Cellulite hat. Kein Wunder. Beim Matratzensport spannt man Oberschenkel und Hintern an und trainiert somit beides. Das fällt bei Thomas flach.
Ich betrachte seinen aufgeblasenen Bauch mit dem stark vorgewölbten Nabel. Thomas sieht aus, als stehe er kurz vor der Niederkunft. Was auch die ansehnlichen Brüste erklären würde, für die er sich glatt einen BH umschnallen könnte.
Ich kann kaum glauben, dass das derselbe Mann ist, der vor wenigen Jahren noch ein Sixpack hatte und perfekt durchtrainiert war. Damals ging er mehrmals in der Woche ins Fitnessstudio und hat viel für sich und seinen Körper getan. Jetzt tut er das auch, aber leider in die falsche Richtung. Er futtert nur noch. Und ich futtere mit.
„Vielleicht ist das der Grund, warum du deinen Schwanz nicht mehr benutzt – du siehst ihn unter deinem Bauch nicht“, sage ich. „Du hast ihn schlichtweg vergessen.“
Thomas runzelt die Stirn und starrt nach unten auf seinen Schwangerschaftsbauch.
„Was redest du denn da für einen Blödsinn? Natürlich sehe ich ihn.“
„Aber höchstens im Spiegel. Wenn du nach unten guckst, siehst du allenfalls deinen Bauch.“
Thomas seufzt theatralisch auf und stemmt beide Arme in die Hüften.
„Was meinst du damit, dass ich ihn nicht mehr benutze? Willst du damit andeuten, wir hätten keinen Sex mehr?“, fragt er allen Ernstes.
„Das ist relativ“, erwidere ich. „Ziehst du mich aus dem Bett?“
Thomas greift mit seinen Puddingarmen nach mir, schafft es aber nicht, mich auch nur einen einzigen Zentimeter zu bewegen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass er mich am Anfang unserer Beziehung kraftvoll aus einem Boot gezogen hat. Heute würde er bei diesem Versuch kläglich scheitern und kopfüber ins Wasser fallen.
„Du machst dich extra schwer“, stöhnt er und versucht verbissen, mich hochzuhieven.
„Nein“, entgegne ich. „Ich bin so schwer.“
Thomas ist nicht der Einzige in unserer Beziehung, der einen Schwangerschaftsbauch hat. Auch ich sehe so aus, als sei ich im zwölften Monat und würde demnächst Sechslinge zur Welt bringen. Alles, was ich in der Zeit mit ihm zugelegt habe, habe ich ausschließlich am Bauch zugenommen. Wir schieben beide eine riesige Kugel vor uns her.
„Und du hast überhaupt keine Kraft“, stelle ich fest.
Thomas ist immer für Sport zu haben, aber nur noch passiv. Er sieht sich gern Fußball, Skispringen und Boxen an, aber selbst ist er überfordert, wenn er von der Haustür bis zum Auto gehen muss. Auch das habe ich anders in Erinnerung. Früher war er öfter im Fitnessstudio als zu Hause und hat sich im Spiegel bewundert. Heute gibt es bei uns keine Spiegel mehr.
„Okay, ich schaffe es auch allein“, verkünde ich, lasse seine Hand los und sehe dabei zu, wie er vor die Wand prallt.
„Aua!“, schreit er auf. „Jetzt habe ich mich verletzt.“
Erwähnte ich schon, dass mein Mann ein Weichei ist? Sobald sein zarter Fuß eine Muschel im Sand streift, muss der Rettungshubschrauber eingeflogen werden.
Ich weiß, ich zeichne jetzt nicht unbedingt ein positives Bild meines Gatten und man fragt sich sicher, warum ich diese Memme überhaupt geheiratet habe. Das frage ich mich manchmal auch bzw. habe ich oft das Gefühl, ich habe damals einen völlig anderen Mann geheiratet. Bei unserer Eheschließung am Strand von Miami habe ich einem sportlichen, durchtrainierten, fitten Mann das Jawort gegeben. Jetzt, fünf Jahre später, ist davon nichts mehr zu finden, so sehr ich auch suche.
Aber das Äußere ist natürlich nicht alles. Thomas hat selbstverständlich viele innere Werte. Ich kann mich hundertprozentig auf ihn verlassen. Er ist immer für mich da. Er ist sensibel, einfühlsam, zärtlich, witzig und hat noch weitere tausend gute Eigenschaften, die mir nur gerade nicht einfallen. Und, mal ganz ehrlich: Diese vor Kraft strotzenden, ewig potenten Superhelden aus den Millionärsromanen gibt es erstens gar nicht und zweitens wären sie niemals zu einer monogamen Beziehung fähig. Man kann nicht alles haben, zumindest nicht in der Realität. Mir ist ein Mann, mit dem ich den Alltag meistern kann, wesentlich lieber als ein Typ, der zwar im Bett der Überflieger ist, aber beim Frühstück keinen zusammenhängenden Satz herausbringt. Das hatte ich schon. Man muss sich da schon entscheiden, denn alles zusammen gibt es nicht, jedenfalls nicht auf Dauer.
Ich fühle mich wohl und geborgen bei Thomas und immer noch habe ich ein warmes Gefühl im Bauch, wenn ich ihn sehe. Wir gehören einfach zusammen und ich liebe ihn aus tiefstem Herzen, wenn das auch vielleicht jetzt nicht so rüberkommt. Aber nur, weil ich ihn liebe, muss ich ja nicht völlig verblendet sein und so tun, als habe er ein Sixpack, wenn er eine Bier- bzw. in seinem Fall Weinwampe vor sich herschiebt.
„Wann hatten wir denn das letzte Mal Sex?“, erkundige ich mich, während Thomas sich seinen schmerzenden Rücken reibt.
„Gab es da schon Internet?“
Thomas schüttelt mahnend den Kopf.
„Du übertreibst maßlos, Nadine. Ich weiß genau, wann wir das letzte Mal Sex hatten. Ich weiß es noch wie heute.“
Interessiert schaue ich mein Michelin-Männchen an. Jetzt wird es aber spannend! Für gewöhnlich kann Thomas sich nicht mal daran erinnern, was er am Tag zuvor gegessen hat.
„Aha. Wann denn?“, forsche ich nach.
„Das war … Lass mich nachdenken.“ Thomas legt sein Gesicht in Falten.
Ich warte. Und warte. Und warte.
„Auf jeden Fall gab es schon Internet, soviel ist sicher“, erläutert er und kratzt sich am Kopf.
„Ist das so wichtig? Wir lieben uns doch. Nur das zählt. Findest du Sex so entscheidend?“
„Nein, aber wenn er gar nicht mehr stattfindet, ist das schon betrüblich“, finde ich.
Das Stöhnen im Nebenzimmer steigert sich zu einem wahren Stakkato.
„Nebenan sind garantiert irgendwelche Youngsters, die gerade erst zusammen gekommen sind“, vermutet Thomas. „In unserem Alter zählen ganz andere Werte.“
„In unserem Alter?“
Pikiert starre ich auf seine dünnen Beine, die einen interessanten Kontrast zu seinem Bauch bilden. Abwechslungsreich ist sein Körper, das muss ich zugeben. Früher hatte er stramme Oberschenkel und benutzte sie auch. Heute dagegen …
„Wir sind 38, nicht 83“, erinnere ich ihn. „Findest du, dass man mit Ende Dreißig mit dem Thema Sex abgeschlossen haben sollte?“
„Herrgott noch mal, wir haben doch gar nicht damit abgeschlossen!“, schreit Thomas jetzt etwas unbeherrscht gegen das Gejaule und Gefiepe aus dem Nebenzimmer an.
„Es ist nur eine vorübergehende Flaute. Wir haben eben im Moment sehr viel um die Ohren.“
„Was denn?“, spotte ich. „Wir sind seit zwei Wochen im Urlaub und haben gar nichts um die Ohren. Wir gehen zum Frühstück, liegen faul am Strand und fressen uns abends voll. Allzu stressig ist das nicht. Und trotzdem findet im Bett nichts statt.“
„Ich muss mich von den Strapazen des Alltags erholen“, erklärt Thomas.
Ich ziehe meine Augenbrauen hoch.
„Sex baut Stress ab, schon mal davon gehört? Wie lange brauchst du denn, um dich von den ‚Strapazen des Alltags‘ zu erholen? Drei Monate? Müssen wir erst eine Weltreise unternehmen, damit wir mal wieder ficken?“
Thomas hält sich die Ohren zu. Ich weiß nicht, ob es an dem ordinären Wort „ficken“ liegt oder an dem Geschrei nebenan, das mir allmählich auf die Nerven geht. Wie kann man nur so einen Zirkus veranstalten? Die können sich doch denken, dass im Nebenzimmer Gäste sind, die sich gestört fühlen. Ist denen das nicht peinlich? Am liebsten würde ich unsensibel an die Wand klopfen, aber wahrscheinlich hören die das in ihrem Freudentaumel gar nicht – oder es ist ihnen schlichtweg egal.
„Wir gehen jetzt frühstücken“, bestimmt Thomas resolut und greift nach seiner Unterhose.
„Die Croissants sind einfach ein Traum. Und wenn man sie dann noch mit Nutella bestreicht … das ist ein Erlebnis.“
Ich wünschte, er hätte dieses Entzücken im Gesicht, wenn er mich ansieht.
„Schlimmer geht es gar nicht mehr“, kann ich mir nicht verkneifen. „Dir ist schon bekannt, dass ein Croissant zu den ungesündesten Lebensmitteln gehört, die es gibt? Mit Nutella bestrichen haust du dir da garantiert fünfhundert Kalorien rein, dazu jede Menge Fett und Kohlenhydrate. Und satt macht so ein Teil auch nicht.“
„Aber es schmeckt“, entgegnet Thomas uneinsichtig und zwängt sich in seine Hose.
„Außerdem muss es nicht satt machen, denn ich esse schließlich noch was anderes. Wäre ja noch schöner, wenn ich zweihundert Euro pro Nacht bezahle und mir dann nur ein lausiges Croissant zum Frühstück gönne. Nein, das muss sich schon lohnen. Das Frühstücksbuffet ist erfreulicherweise sehr üppig.“
Was für ein Glück, dass wir im Schlosshotel an der Ostsee nicht verhungern müssen. Der Tag beginnt für Thomas meist mit zwei Spiegeleiern, ordentlich viel Speck und einem Brötchen. Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es mit einem oder zwei der bereits erwähnten Croissants weiter, die er zu allem Überfluss auch noch dick mit Nutella bestreicht. Den Abschluss bildet ein Stück Kuchen, und auch da wählt Thomas die kalorienreiche Variante. Er nimmt sich nicht ein Stück Obstkuchen, sondern am liebsten eine richtig fettige Torte. Abgerundet wird das Ganze mit diversen Gläsern Obstsaft, die auch nicht gerade zuträglich für seinen Bauchumfang sind. Wenn er all das in sich hineingeschaufelt hat, ist er so fertig, dass er sich mindestens eine Stunde hinlegen muss und über Bauchschmerzen klagt.
Bei mir sieht das ganz anders aus. Ich esse zum Frühstück nur ein Brötchen mit Käse und weiß wirklich nicht, warum ich so einen Bauch bekommen habe. Wenn ich so viel essen würde wie mein Mann, würde ich schon längst nicht mehr durch die Tür passen. Also, ich ernähre mich nicht so schlecht wie er. Bei mir ist es nicht nachvollziehbar, so sieht es aus. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich eine Frau bin und einen lahmen Stoffwechsel habe. Ich muss ein Salatblatt nur ansehen und wiege prompt zwei Kilo mehr. Nein, bei mir hat das nichts mit dem Essen zu tun. Bei Thomas hingegen schon. Ich könnte ihm sofort sagen, was er alles falsch macht, aber er hört ja nicht auf mich.
„Du musst aber auch nicht alles essen, was es am Frühstücksbuffet gibt“, versuche ich, ihn sanft zurecht zu weisen, aber das prallt an ihm ab. Entrüstet schaut er mich an.
„Wieso denn nicht?“, legt er los. „Ich habe schließlich dafür bezahlt. Je mehr ich esse, umso mehr lohnt sich das. Verstehst du das nicht? Wenn ich morgens nur ein Knäckebrot essen würde, wäre das die absolute Geldverschwendung. Wenn ich hingegen viel esse, kann man den Betrag dafür schon wieder von den Übernachtungskosten abziehen.“
Thomas versucht, den Knopf seiner knielangen Shorts zu schließen und muss dabei seinen imposanten Bauch einziehen. Er schafft es schließlich und der Bauch hängt attraktiv über den Shorts. Es sieht schrecklich aus.
Ich seufze unwillkürlich. War Thomas schon immer so knickerig und ich habe es nur nicht bemerkt? Oder hat er sich im Laufe der Jahre so sehr verändert? Wird man so, wenn man älter wird? Meistens sind es tatsächlich die älteren Leute, die immer was zu meckern haben. Liegt das daran, dass man schon so viel gesehen und erlebt hat und viel mehr Vergleiche hat, als wenn man jung ist? Bedeutet das, dass es immer schlimmer wird? Ich meine, noch schlimmer?
Ich kann mich sehr wohl daran erinnern, wie es war, als wir das erste Mal hier in diesem malerischen Städtchen waren. Wir fanden alles toll und waren hin und weg. Jeden Tag gab es etwas Neues zu entdecken, wir sind stundenlang gewandert und konnten gar nicht aufhören, uns über die Natur zu begeistern.
Und jetzt? Jetzt hängen wir faul am Strand herum und beschweren uns, dass es zu heiß ist, zu viele Quallen im Wasser sind, das Wasser zu kalt ist, zu viele Leute am Strand sind und und und.
War das damals anders? War da niemand am Strand, sind die Quallen vor uns geflüchtet, hatte das Meer angenehme Badetemperatur? Was ist denn nur mit uns passiert, dass wir so unzufrieden geworden sind? Oder sind wir einfach nur unzufrieden mit uns selbst und projizieren das auf alles andere? Und wenn das so ist, können wir wieder zufriedener mit uns selbst werden?
Wären wir zufriedener, wenn wir fitter wären? Würde es unsere Lebensqualität erhöhen, wenn wir uns besser bewegen könnten und alles leichter wäre?
Ich glaube schon. Früher hatten wir diesen Zustand und es lag sicher auch daran, dass wir damals besser drauf waren und oft miteinander geschlafen haben.
„Wenn du zu viel isst, schadest du vor allem deiner Gesundheit“, erwidere ich mechanisch. „Ganz egal, was du dir sonst noch einredest.“
„Ich schade nicht meiner Gesundheit; ich genieße es, dass mir alles vor die Nase gestellt wird und ich einfach nur noch zugreifen muss“, widerspricht Thomas halsstarrig. „Einmal im Jahr wird mir das ja wohl vergönnt sein.“
Er hat sich wirklich verändert. Bei unserem ersten Urlaub war das Essen jedenfalls nicht das zentrale Thema. Wir waren viel unternehmungslustiger und wenn ich mich recht entsinne, hatten wir damals auch oft Sex.
Was ist nur mit uns passiert? Warum ist es passiert und kann man das wieder rückgängig machen?
Thomas versucht, das T-Shirt über seinen Bauch zu ziehen, doch es bedeckt ihn nur etwa bis zur Hälfte. Das T-Shirt hat er in besseren Zeiten gekauft.
„Gab es das Shirt nicht in deiner Größe?“, grinse ich und klopfe ihm auf seinen weichen Bauch. Er fühlt sich an wie ein Wasserbett und ich habe schon so manches Mal sehr kuschelig darauf gelegen. Klar hat das auch seine Vorteile, das will ich gar nicht abstreiten. Ich brauche zum Beispiel kein Kissen mehr, wenn wir vor dem Fernseher liegen. Das war in der Anfangszeit anders, da lag ich etwas hart und unbequem. Tja, da war auch noch einiges andere hart, was jetzt nur noch schlaff und nutzlos in der Gegend herumbaumelt.
„Es ist in der Wäsche eingelaufen“, behauptet Thomas, zerrt sich das Shirt vom Leib und wühlt im Kleiderschrank nach einem anderen. In der nächsten Minute steht er in einem gänzlich unpassenden Shirt vor mir. Darauf ist ein dicker Mann abgebildet, der einen noch größeren Bauch als Thomas vor sich herträgt und einen Schwimmreifen mit einem lustigen Entenkopf um seinen Leib geschlungen hat. Über ihm prangt der Satz Sommerfigur – Ziel erreicht.
„Thomas, musst du dieses T-Shirt unbedingt anziehen?“, stöhne ich. „Das ist voll peinlich.“
„Ich finde es lustig“, beharrt Thomas und betrachtet sich wohlgefällig im Spiegel. Immerhin bedeckt dieses T-Shirt seinen Bauch. Das ist aber auch schon alles. Ich finde es unmöglich und möchte in diesem Outfit eigentlich nicht mit ihm zum Frühstück schreiten. Ob ich mich unauffällig an einen anderen Tisch setzen kann?
„Wenn du einen durchtrainierten Körper hättest so wie früher, wäre es lustig, aber so ganz bestimmt nicht“, murmele ich und verdrehe die Augen.
Naja, wir kennen hier im Hotel schließlich niemanden und morgen treten wir die Heimreise an. Wenn sich Thomas heute also blamiert, ist es auch egal. Achselzuckend ergebe ich mich in mein Schicksal, werfe mich in ein Kleid aus der Abteilung Säcke, Umhänge, Zelte und greife nach der Türklinke.
Als ich die Tür öffne, öffnet sich die Tür vom Nebenzimmer ebenfalls. Das Paar, das bis vor wenigen Minuten noch jede Menge Spaß miteinander hatte, betritt den Flur.
Ich erstarre. Wir kennen hier im Hotel doch jemanden. Dies ist einer der peinlichsten Momente meines Lebens.
Vor mir steht mein Exfreund Daniel.
Daniel und ich haben von Anfang an nicht zusammen gepasst. Wir kannten uns nur flüchtig und sind eher aus einer Laune heraus miteinander ins Bett gegangen. Weder waren wir verliebt ineinander noch fanden wir den anderen besonders spannend. Aber es war eben gerade niemand anders da und wir hatten an diesem Abend Lust auf Sex.
Das Verrückte war: Im Bett klappte es hervorragend. Daniel war schlank, sportlich, durchtrainiert und besaß eine unglaubliche Kondition, die sehr von Vorteil für mich war. Ich musste praktisch gar nichts machen, konnte mich einfach auf den Bauch rollen und los ging es. Daniel erledigte die Arbeit, ich hatte das Vergnügen. Das war sehr in meinem Sinne.
Und da das erste Mal so gut geklappt hatte, folgten noch weitere Male, die ebenfalls zu unserer Zufriedenheit verliefen.
Mehr noch: Der Sex war genial. Ich muss hier unbedingt die These widerlegen, dass Sex die Qualität der Beziehung spiegelt. Das ist völliger Quatsch. Der Sex war toll, aber eine Beziehung hatten wir gar nicht. Wir konnten nicht wirklich etwas miteinander anfangen, da wir grundverschieden waren. Wir interessierten uns nicht für dieselben Dinge, sahen die Welt mit völlig anderen Augen und waren uns nie einig. Im Gegenteil, wenn einer etwas sagte, sagte der andere schon aus Trotz genau das Gegenteil. Wir passten überhaupt nicht zusammen.
Trotzdem machten wir den Fehler, nach ein paar Monaten eine Beziehung einzugehen. Irgendwie band uns der gute Sex aneinander und ich bildete mir ein, daraus müsse man doch mehr machen können. Konnten sich zwei Körper so sehr irren?
Sie konnten. Das Bett blieb der einzige Ort, wo es zwischen uns gut klappte. Ansonsten herrschte nur Krieg und wir stritten uns ständig. Trotzdem schafften wir es drei Jahre nicht, uns zu trennen, bis Daniel schließlich den Schlussstrich zog. Er flog allein in den Urlaub, kehrte zurück und verkündete, er habe sich in eine Australierin verliebt. Dass sie auf einem anderen Kontinent wohnte, schien ihn nicht weiter zu stören. Ich bin heute noch sauer auf ihn, weil er mir noch tagelang vorgespielt hat, es sei alles in Ordnung und erst nach einigen Tagen am Telefon mit mir Schluss gemacht hat. Das ist zehn Jahre her, aber ich habe ihm sein Verhalten nie verziehen. Seit dem abrupten Ende haben wir uns nicht wieder gesehen und ich verspürte auch nie das geringste Verlangen dazu.
Was für ein beschissenes Schicksal ist es, dass ich ihm ausgerechnet jetzt begegnen muss? Jetzt, wo ich eine Kugel vor mir herschiebe und neben einem Mann stehe, der ein peinliches T-Shirt über seinem gigantischen Bauch trägt?
Es ist völlig klar, was mein Exfreund jetzt denkt:
‚Da hat sie sich aber verschlechtert. Der passt auf jeden Fall besser zu ihr als ich. Sie haben beide dicke Bäuche. Wahrscheinlich fressen sie den ganzen Tag und haben keinen Sex. Wie sollten sie auch? Der kommt doch kaum auf sie drauf. Die beiden Bäuche sind immer im Weg. Und so einen langen Dödel wird er nicht haben. Den habe nur ich.‘
„Nadine?“
Ungläubig starrt mich mein Exfreund an und lässt seinen Blick unverhohlen über meine Gestalt gleiten. Ich möchte im Erdboden versinken. Das war immer meine Horrorvorstellung, und in diesem Moment wird sie wahr. Am liebsten würde ich ganz schnell davonlaufen. Kann ich nicht einfach sagen, dass ich gar nicht Nadine heiße?
„Daniel“, bringe ich mühsam hervor und taxiere ihn ebenfalls. Er hat ein paar Falten mehr bekommen und in seinen dunklen Haaren glitzern silberne Strähnen, aber ansonsten sieht er noch genauso aus wie vor zehn Jahren. Er ist immer noch beneidenswert schlank und hat nicht mal den Ansatz eines Bauches. Seine Oberarme sind trainiert, er wirkt sportlich und sieht mindestens zehn Jahre jünger aus, als er ist. Ich glaube, ich habe mich lange nicht so elend gefühlt wie in diesem Moment.
Mein Blick wandert zu seiner Begleitung, die er gerade ordentlich durchgefickt hat. Auch da scheint sich bei ihm nichts verändert zu haben. Er liefert auch mit 45 offenbar immer noch eine gute Performance auf der Matratze ab.
Seine Begleitung ist gertenschlank, fast schon zu dünn, ziemlich groß, vom Gesicht her nicht übermäßig hübsch, aber auch nicht hässlich. Durchschnittlich eben. Sie hat blonde, kurze Haare und wirkt recht burschikos.
Jetzt hebt sie fragend die Augenbrauen, während ihr Blick zwischen Daniel und mir hin und her wandert. Auch der Mann mit dem unpassenden T-Shirt sieht mich verwundert an.
„Das ist Nadine, meine … äh …. Exfreundin.“
Daniel ist es offenbar mehr als peinlich, mich als seine Exfreundin vorzustellen. Fast erwarte ich, dass er den erklärenden Satz hinterher schiebt, dass ich damals noch nicht hochschwanger aussah. Er scheint völlig geschockt zu sein. Ob das an meiner Figur liegt oder an der Tatsache, dass wir uns hier zufällig treffen, weiß ich nicht. Ich jedenfalls bin einer Ohnmacht nahe.
„Das ist Daniel, mein Exfreund“, wende ich mich an Thomas und wünsche mir, ich hätte ihn gezwungen, ein anderes T-Shirt anzuziehen. Daniels Blick klebt förmlich an diesem dämlichen Aufdruck und er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
‚Da habt ihr ja beide eure Sommerfiguren‘, scheint er zu sagen. ‚Komisch, als ich dich damals regelmäßig beglückt habe, warst du wesentlich schlanker. Aber wie heißt es so schön? Essen ist der Sex des Alters. Was anderes habt ihr offensichtlich nicht mehr in eurem armseligen Leben.‘
Ich könnte diesem unverschämten Kerl echt eins in die Fresse hauen, bis ich mich daran erinnere, dass ich es bin, die ihm diese Gedanken zuschreibt.
Ach was, ich kenne ihn. Er hat immer so gedacht. Auch jetzt wird er so denken. Sein fieses Grinsen lässt jedenfalls keinen anderen Schluss zu. Ich hasse ihn. Warum hat er keinen Bauch gekriegt und warum steht er nicht in so einem dämlichen T-Shirt hier rum? Warum sind ihm nicht alle Haare ausgefallen und er trägt jetzt in der Mitte eine Glatze?
„Ich bin Britt“, sagt die burschikose Blonde, die glatt als Lesbe durchgehen könnte. Ein bisschen zu männlich sieht sie für meinen Geschmack schon aus.
„Thomas“, stellt sich mein Mann knapp vor.
Natürlich habe ich ihm von Daniel erzählt, aber er wollte keine Einzelheiten wissen, da er der Meinung ist, dass nur die Gegenwart zählt. Dumm nur, dass jetzt meine Vergangenheit vor mir steht und ich ihr nicht entgehen kann.
Warum residiert Daniel in einem Fünf-Sterne-Hotel? Früher hat er am liebsten Urlaub auf einem Campingplatz gemacht, wofür er mich nur bedingt begeistern konnte. Eine billige Ferienwohnung war das höchste aller Gefühle, aber ein Hotel kam für ihn nicht infrage. Und jetzt muss es unbedingt dieses Luxushotel sein? Wir scheinen nicht die einzigen zu sein, die sich verändert haben.
„Das ist wirklich eine Überraschung“, sage ich mit belegter Stimme.
‚Und weiß Gott keine freudige‘, füge ich in Gedanken hinzu. ‚Schlimmer kann der letzte Urlaubstag gar nicht enden.‘
„Ja, das stimmt“, sagt Daniel einfallslos und starrt mich immer noch an, als sei ich ein Alien.
Erwähnte ich schon, dass Daniel nicht gerade der große Formulierungskünstler ist? Mir haben sich damals die Fußnägel aufgerollt, wenn er versuchte, ein paar Sätze zu bilden. Es war schwer zu ertragen, wenn er abgehackte Wortfetzen von sich gab, die grammatikalisch einfach unterirdisch waren. Nein, wir passten wirklich nicht zusammen. Wir hätten niemals versuchen sollen, aus der Sexkiste mehr zu machen.
„Wie lange seid ihr schon hier?“, erkundige ich mich.
„Wir sind gestern Abend angekommen“, gibt Britt bereitwillig Auskunft. „Wir bleiben nur über ein verlängertes Wochenende.“
„Aha. Wir waren zwei Wochen hier und reisen morgen wieder ab“, erkläre ich.
„Zwei Wochen?“ Mein Ex-Lover kraust die Stirn. „Näh, das wär mir zu langweilig. Viel kann man hier nicht machen. Für drei Tage ist es gut. Aber sonst? Es gibt ja hier nicht viel. Und nur am Strand? Näh, zu langweilig. Das wär nix. Drei Tage – okay. Aber mehr nicht. Näh. Viel zu langweilig.“
Meine Fußnägel rollen sich schon wieder auf. Er kann wirklich besser ficken als reden. Wahrscheinlich hatten die beiden deshalb gerade Sex. Er hat den Mund aufgemacht und weil diese Britt sein Gestammel nicht ertragen konnte, hat sie ihn ins Bett gezerrt. Da ist er wenigstens – bis auf das brünstige Stöhnen – still. Ich kann sie gut verstehen.
„Wir wollten frühstücken gehen“, schaltet sich Thomas ein. „Ich habe Hunger. Kommt ihr mit?“
Ich schließe die Augen. Warum muss er das jetzt fragen? Er kann sich doch denken, dass mir jeder Bissen im Hals stecken bleibt, wenn ich mit meinem Exfreund an einem Tisch sitzen muss.
Britt nickt. „Ja, klar. Wir hatten dasselbe vor.“
Was sie wohl essen wird? Eine Selleriestange an Salatblatt mit einer Tasse Tee? Oder doch lieber ein Stück Paprika ohne Joghurtdressing, serviert mit einer Tasse schwarzen Kaffee?
Daniel hat immer Müsli gegessen und mich schon damals kritisiert, wenn ich mir ein Brötchen reingeschoben habe. Aber er hat sowieso alles an mir kritisiert. Ich fühle, wie Wut in mir hochsteigt. Warum muss er mir ausgerechnet meinen letzten Urlaubstag verderben, dieser Arsch?
Und warum rennt Thomas ungewöhnlich schnell vor mir her, sodass er nun Britt an seiner Seite hat und ich meinen verhassten Ex? Jetzt beginnt Thomas auch noch ein Gespräch mit dieser verkappten Lesbe, ich fasse es nicht. Fest presse ich meine Lippen aufeinander. Ich habe nicht die geringste Lust, mit dem langen Lulatsch zu meiner Linken ein Gespräch anzufangen. Doch der lange Lulatsch hat offenbar Lust dazu.
„Schon ‘ne Weile her, was?“, beginnt er geschliffen wie immer eine Konversation und grinst blöde.
„Was ist schon eine Weile her?“, frage ich aggressiv. „Hast du immer noch nicht gelernt, in ganzen Sätzen zu sprechen?“
Daniel verzieht das Gesicht.
„Was’n los mit dir?“
Meine Fußnägel verschlingen sich gerade in meinen Sandalen. Ich spüre, wie die alte Wut in mir hochkriecht. Die Wut darüber, wie er mit mir Schluss gemacht hat – am Telefon. Die Wut darüber, dass er noch tagelang so getan hat, als sei alles in bester Ordnung. Die Wut darüber, dass ich mich überhaupt mit ihm eingelassen habe. Die Wut darüber, dass er jetzt hier ist. Ich muss mich beherrschen, um ihm nicht eine zu scheuern.
„Nichts“, sage ich mühsam beherrscht.
„Du hast doch was“, erkennt Daniel sehr richtig.
„Meinst du, ich finde es toll, dich hier zu treffen?“, fahre ich ihn an. „Ich hätte mir für meinen Urlaubsausklang wirklich etwas Besseres vorstellen können.“
Daniel runzelt die Stirn und zuckt mit den Schultern.
„Näh, ich mache doch gar nix. Nichts tue ich.“
„Wir müssen ja nicht unbedingt am selben Tisch sitzen und zusammen frühstücken, okay?“, blaffe ich.
„Wieso bist du so gereizt?“, erkundigt Daniel sich und fängt auch noch an zu pfeifen. Dabei stiert er Britt auf ihren kleinen Hintern, dieser Lüstling.
„Ich war eigentlich immer gereizt, wenn ich dich gesehen habe“, schleudere ich ihm entgegen. „Das hat sich nicht geändert.“
Jetzt sieht Daniel richtig ärgerlich aus.
„Wenn du mit dich unzufrieden bist, musst du das nicht an mich ausladen.“
„Auslassen!“ Ich verdrehe die Augen. „Das heißt auslassen und nicht ausladen. Und es heißt ‚mit mir unzufrieden‘ und ‚an mir auslassen‘. Mein Gott, hattet ihr in der Schule eigentlich kein Deutsch oder was war los?“
Giftig blickt Daniel mich an.
„Näh, du muss dich nicht immer einblicken, dass du was Besseres bist. Nur, weil du gut Deutsch kannst.“
„Einbilden und ‚dir einbilden‘“, murmele ich, obwohl bei Daniel echt Hopfen und Malz verloren ist. Sprechen hat ihm seine neue Flamme offensichtlich nicht beigebracht.
In gewohnter Manier drückt Thomas beim Fahrstuhl auf die Taste. Brett-Britt zieht pikiert ihre Augenbrauen nach oben.
„Ihr fahrt die drei Stockwerke mit dem Aufzug?“, fragt sie in einer Tonlage, als würden wir nackt aus dem Fenster springen.
„Die läuft man doch. Runter laufen tut man die auf jeden Fall, aber wir tun die auch hochlaufen.“
Nein, Britt hat Daniel das Sprechen nicht beigebracht, weil sie selbst auch nicht gerade das große Artikulationstalent ist. Die Qualitäten der beiden liegen offenbar auf anderen Gebieten.
„Wir auch“, behaupte ich, mache einen Schritt nach vorne und nehme Thomas‘ Hand. Auf keinen Fall will ich mich weiterhin unerquicklichen Konversationen mit meinem radebrechenden (eine Sprache nur mühsam und unvollkommen sprechenden) Exfreund hingeben. Da ist mir Thomas tausendmal lieber.
Thomas macht ein gequältes Gesicht, als wir Hand in Hand die Treppen runterlaufen. Naja, laufen ist wohl zu viel gesagt. Wir schleppen uns mühsam Stufe für Stufe nach unten, immer die beiden agilen, hageren Gestalten in unserem Rücken, die uns wahrscheinlich am liebsten einen kräftigen Stoß verpassen würden, damit wir endlich schneller gehen. Aber es ist eben nicht so einfach, einen völlig eingerosteten Körper die Treppe hinunter zu wuchten. Wenn wir alleine wären, hätten wir selbstverständlich den Aufzug genommen, aber das können wir jetzt natürlich nicht machen.
Ich bin richtig außer Atem, als wir unten ankommen, versuche aber, das zu verschleiern. Es kann doch wohl nicht sein, dass ich schon keine Luft mehr kriege, wenn ich eine Treppe runter gehe! Ich muss sagen, das schockt mich jetzt doch. Ich werfe einen Blick auf das Paar hinter uns, das frisch und fit aussieht.
„Schaut mal, da wird gerade ein Tisch am Fenster frei“, ruft Britt und rennt los. Daniel folgt ihr mit großen Schritten, während Thomas und ich deutlich langsamer auf den Vierertisch zugehen.
„Wir müssen nicht mit denen frühstücken“, raune ich Thomas zu. „Ich will lieber meine Ruhe haben.“
Thomas zuckt mit den Schultern.
„Ich finde es interessant, deinen Exfreund kennen zu lernen.“
„Wirklich? Du wolltest doch nie etwas über ihn hören.“
„Naja, aber wenn er jetzt live vor mir steht, ist das was anderes.“ Thomas grinst.
„Was habt ihr nur aneinander gefunden? Ihr passt gar nicht zusammen.“
Ich zucke mit den Schultern.
„Es hat halt im Bett gut funktioniert, aber das war auch schon alles.“
Thomas lässt sich nicht irritieren.
„Daran siehst du doch, dass das nicht wichtig ist“, sagt er zufrieden. „Das Leben findet nun mal nicht ausschließlich im Bett statt. Die meiste Zeit verbringt man außerhalb der Matratze.“
Der dünne Daniel ist schon auf dem Weg zum Buffet, seine Begleiterin im Schlepptau. Ob die beiden tatsächlich ein Paar sind? Daniel hat mir von Anfang an erzählt, dass er eigentlich nicht der Typ für eine feste Beziehung sei, wie ich dann auch leidvoll feststellen musste. Er hielt sich nicht an Verabredungen, vergaß mich ständig und ging lieber mit Freunden ins Kino, als ich krank zu Hause im Bett lag. Er hatte einfach keine Lust, sich um jemand anderen als um sich selbst zu kümmern. Ob das mit dieser Frau anders ist? Und was ist eigentlich aus der Australierin geworden?
Wie erwartet erscheint Britt mit einem Teller voller Obst und Salat, während Daniel eine Müslischüssel auf den Tisch stellt. Thomas kennt kein Erbarmen und zieht sein gewohntes Frühstücksritual durch. Zwei Rühreier mit Speck und ein Brötchen, danach zwei Croissants mit Nutella und zum Abschluss ein riesiges Stück Torte. Daniels Blicke sprechen Bände. Am liebsten würde ich mich in Luft auflösen. Ich beschränke mich diesmal auf einen Joghurt und hole mir sogar ein bisschen Alibi-Obst.
„Arbeitest du immer noch in diese Kanzlei?“, eröffnet Daniel ein Gespräch, während Thomas‘ Mund in allen möglichen Farben verschmiert ist. Es sieht so lustig aus, dass zwei kleine Mädchen ihre Eltern anstupsen und laut los prusten. Das ist nicht das erste Mal. Beim Bergmannstraßenfest in Kreuzberg war Thomas das absolute Highlight, als er den Senf einer Bratwurst im ganzen Gesicht verteilt hatte. Ein paar Touristen haben sogar Fotos von ihm gemacht. Wahrscheinlich ist er schon längst der Comedy Star im Internet, ohne dass wir das überhaupt wissen. Das Schöne an Thomas ist, dass er immer herzlich über sich selbst lachen kann. Das konnte Daniel nie. Er war total spaßbefreit und verkniffen. So wie jetzt.
Ich schüttele den Kopf.
„Nein. Ich arbeite nicht mehr als Sekretärin in dieser Kanzlei. Ich arbeite überhaupt nicht mehr als Sekretärin.“
„Sondern?“, fragt Daniel weiter.
Ich hole tief Luft. Diesen Moment genieße ich jetzt in vollen Zügen. Jetzt werde ich meinem Exfreund aber mal ordentlich eins reinwürgen.
„Ich lebe seit einigen Jahren vom Schreiben.“
Zwei ungläubige Augenpaare blicken mich an.
„Was meinst du mit Schreiben?“, kräht Britt. „Tippst du den ganzen Tag was ab? Wie heißt das noch mal? Phonopistin oder so?“
„Phonotypistin“, stelle ich richtig. „Nein, das meine ich nicht. Ich schreibe Bücher. Romane, genauer gesagt.“
Britt reißt ihre Augen weit auf.
„Du bist Schriftsetzerin? Äh … Schriftführerin?“
„So ähnlich. Schriftstellerin. Autorin.“
Daniel verschluckt sich fast an seinem Kaffee. Natürlich hat er damals mitgekriegt, dass ich Romane geschrieben habe. Aber er hat auch mitgekriegt, dass ich eine Absage nach der anderen von Verlagen und Literaturagenten erhielt. Er hätte wohl nicht damit gerechnet, dass es doch noch mal klappt. Diesen Triumph koste ich jetzt voll aus.
„Näh! Du hast doch noch ein Verlag gefunden?“, fragt er erstaunt.
„Näh“, erwidere ich. „Und es heißt ‚einen Verlag‘, Daniel. Ich habe das selbst in die Hand genommen, als Self Publisher bei Amazon.“
„Sell …. verkaufen?“, fragt Britt. „Du verkaufst also deine Bücher, ist ja klar. Aber was hat ein Pub damit zu tun? Verkaufst du die nur dort?“
Also, die hellste Birne am Weihnachtsbaum ist diese Britt aber auch nicht gerade. Aber Hauptsache, sie ist so klapperdürr, dass sie beim Duschen von Wasserstrahl zu Wasserstahl hüpfen muss.
„Nicht sell, sondern self – selbst“, erläutere ich. „Und publish wie veröffentlichen. Wie der Begriff ‚Self Publisher‘ schon sagt – man publiziert seine Werke selbst. Jeder kann bei Amazon hochladen, was immer er geschrieben hat. Es gibt keine Prüfung, ob das Buch gut oder schlecht ist. Das entscheiden allein die Leser. Jeder Idiot kann dort veröffentlichen. Es gibt keine vorgeschaltete Instanz mehr, die das selektiert.“
„Du meinst, man kann einfach irgendwas schreiben und die anderen kaufen das dann?“
Daniels Augen glänzen. Wahrscheinlich bildet er sich noch ein, auch er wäre dazu in der Lage.