Nora Horst - Raimund Eich - E-Book

Nora Horst E-Book

Raimund Eich

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Beschreibung

Robert Winter und seine Frau Samantha sind vor acht Jahren über Nacht spurlos aus Ottweiler verschwunden. Der mysteriöse Fall konnte damals nicht aufgeklärt werden, wird aber wieder aufgenommen, nachdem Gerhard Winter zufällig in der Saarbrücker Altstadt in einem Landstreicher seinen jüngeren Bruder wieder erkennt und dies der Kripo meldet. Warum Robert, ein vormals erfolgreicher Bauingenieur, auf der Straße gelandet ist, wo seine Frau Samantha steckt und warum er seinem Bruder aus dem Weg geht, darauf versucht Oberkommissarin Nora Horst aus Neunkirchen in ihrem dritten Cold Case - Fall die richtigen Antworten zu finden.

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Raimund Eich lebt im Saarland.

Neben Büchern über seine Heimatstadt Neunkirchen, Tatsachenromanen, heiteren und besinnlichen Gedichten und Geschichten hat er einige Werke mit gesellschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Themen veröffentlicht. Gerne lässt er auch naturwissenschaftliche und technische Aspekte in sehr anschaulicher Form mit einfließen. Daraus resultieren einzigartige Bücher, spannend, dramatisch, informativ und unterhaltsam zugleich, was insbesondere seine NORA HORST-Krimis kennzeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Die wichtigsten Personen in dieser Geschichte

Vorwort

Namenstag

Neuer Auftrag

Aktenfrust

Behördenfrust

Winter in Ottweiler

Altstadtbummel

Überraschung

Auf Spurensuche

Kindtaufe

Im Gässling

Pfeifer am Triller

Hausbesuch

Hugo räumt auf

An der Geisterbrücke

Urlaubsrapport

Schlachtplan

Treffpunkt Geisterbrücke

Neue Erkenntnisse

Geständnis

Weitere Veröffentlichungen

Die wichtigsten Personen in dieser Geschichte

Nora Horst, Oberkommissarin aus Neunkirchen, beschäftigt beim Landeskriminalamt des Saarlandes im Dezernat LPP 299

Björn Horst, ihr verstorbener Ehemann

Andrea und Holger, ihre Schwägerin und Björns Neffe

Sven Beckmann, Kriminalrat, Leiter des Dezernats LPP 299 beim LKA Saarbrücken

Gerhard Winter, Geschäftsführer der Firma Winter-Bau GmbH

Robert Winter, sein jüngerer Bruder und dessen Ehefrau Samantha

Prof. Dr. Ing. W. Pfeifer, ehemaliger Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Technik

Vorwort

Bei einem fiktiven Kriminalroman mit regionalem Bezug orientiert man sich als Autor zwar weitgehend an der Realität, nimmt sich aber auch die Freiheit, Orte und Namen so zu wählen, dass sie sich nahtlos in die Rahmenhandlung einfügen, ohne Namens- und Persönlichkeitsrechte Dritter zu verletzen. Dies gilt auch für diesen Kriminalroman, bei dem die Namen frei erfunden sind und somit Ähnlichkeiten mit noch lebenden oder toten Personen rein zufällig und unbeabsichtigt wären.

Auch die kleine Einheit LPP 299 - Sonderermittlungen des Landespolizeipräsidiums des Saarlandes und des Landeskriminalamtes (LKA) ist meiner Fantasie entsprungen, ebenso wie die Oberkommissarin Nora Horst aus Neunkirchen als zentrale Figur in diesem Roman.

Der Neunkircher Oberkommissarin wurde nach einem schweren Autounfall, bei dem ihr Mann Björn ums Leben kam, aufgrund unfallbedingter körperlicher Einschränkungen eine neue Aufgabe in einer kleinen Einheit zur Ermittlung in Cold Case Fällen zugewiesen. Dieser Tätigkeit kann sie von ihrer Heimatstadt Neunkirchen aus nachgehen.

Nachdem sie in Band 1 das mysteriöse Verschwinden von fünf Neunkircher Bürgern in den Neunziger Jahren aufklären konnte, gelang es ihr in Band 2, den Tod einer im Boden verscharrten Frauenleiche in Wiebelskirchen aufzuklären.

Auch im vorliegenden Band 3 muss sich Nora Horst mit einem nicht minder komplexen und mysteriösen Cold Case Fall auseinandersetzen.

Ich wünsche Ihnen dazu eine spannende Lektüre.

Raimund Eich

Namenstag

„Guten Morgen, Frau Horst, und herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Namenstag“, begrüßte mich Sven Beckmann, mein Chef beim LKA am frühen Morgen am Telefon. „Wussten Sie eigentlich, dass es für Ihren Vornamen verschiedene Deutungen gibt? Nora ist eine Kurzform für die Namen Eleonora, Eleonore oder Norberta und steht sowohl für die Fremde als auch für die Lichtbringerin. Na, was glauben Sie, welche Version ich bevorzuge?“

„Keine Ahnung, aber Sie werden mich ja wohl kaum im Dunkeln damit tappen lassen.“

„Eine bessere Antwort hätte ich mir kaum wünschen können. Da Sie mir zum Glück nicht fremd sind, bringe ich Ihren Namen eindeutig mit einer Lichtbringerin in Verbindung, denn Sie sind förmlich dazu auserkoren, Licht ins Dunkle zu bringen.“

„Zu viel der Ehre, lieber Herr Beckmann, aber wie ich Sie kenne, steckt doch hinter Ihrem Gesülze ganz bestimmt wieder eine böse Absicht, oder?“

Ein schallendes Lachen am anderen Ende der Leitung. „Oh Mann, Sie haben wirklich einen hammerharten Humor. Also gut, ich fasse mich dann einfach mal kurz. Ich habe einen neuen Fall für Sie, Frau Horst.“

„Und ich hatte schon auf Blumen gehofft. Etwas Schöneres hätten Sie sich zu meinem Ehrentag aber schon einfallen lassen können“, konterte ich trocken.

„Zugegeben, aber so wie Sie mit Ihrem Chef umgehen, haben Sie auch nichts anderes verdient“, kam prompt die Retourkutsche.

„Womit es mal wieder Unentschieden zwischen uns beiden stehen dürfte, oder?“

„Richtig, und dabei sollten wir es auch vorerst belassen.“

„Na schön. Was haben Sie mir denn diesmal anzubieten?“

„Das würde am Telefon zu weit führen. Ich muss morgen Nachmittag dienstlich zu den Kollegen von der Polizeiinspektion St. Wendel und könnte vielleicht vorher für ´ne halbe Stunde bei Ihnen vorbeikommen und die Akte zum Fall gleich mitbringen. Ließe sich das bei Ihnen einrichten?“

„Wann müssen Sie denn in St. Wendel sein?“, erwiderte ich.

„Um 15 Uhr habe ich dort eine Besprechung, Frau Horst.“

„Mmh, Sie brauchen bis dorthin knapp eine halbe Stunde von hier aus und mindestens noch eine Stunde bei mir, um bei Kaffee und Kuchen im Garten in aller Ruhe über den Fall zu sprechen. Kommen Sie doch einfach gegen dreizehn Uhr hier vorbei. Sie wissen ja, wo ich wohne.“

„Prima, da sage ich natürlich nicht nein. Was gibt es denn für einen Kuchen?“

„Keine Ahnung. Was mögen Sie denn für welchen?“

„Ich? Eigentlich jeden, aber machen Sie sich bloß keine Mühe deswegen. Eine Tasse Kaffee genügt vollkommen. Was macht eigentlich der Fall Lohmeyer? Sind Sie da schon weitergekommen?“

„Nein, um ehrlich zu sein. Die Befragung der Angehörigen gestaltet sich schwierig. Irgendwas haben die offenbar zu verbergen, wenn Sie mich fragen. Aber ich bleibe natürlich dran.“

„Na schön, Frau Horst. Ich muss jetzt leider Schluss machen, denn Ihre beiden Kollegen stehen gleich bei mir auf der Matte. Ich will ja nicht jammern, aber die Zwei…“, er stockte für einen kurzen Moment und fuhr dann fort, „lassen wir das. Ich bin jedenfalls sehr froh, wenigstens mit Ihnen so einen guten Fang gemacht zu haben.“

Ich musste lachen. „Einen guten Fang, sagen Sie. Na ja, aber dann sollten Sie mich aber wenigstens an der langen Leine lassen.“

„Ehrensache, Frau Horst, wir sehen uns morgen Nachmittag“, erwiderte er und legte auf.

Neuer Auftrag

Am nächsten Tag klingelte es kurz nach ein Uhr nachmittags an der Haustür. Mein Chef stand vor der Tür mit einem kleinen Blumenstrauß in der rechten Hand. Ein schmaler Ordner klemmte unter seinem linken Arm. „Nachträglich noch einmal herzlichen Glückwunsch zum gestrigen Namenstag“, sagte er und drückte mir die Blumen in die Hand.

„Vielen Dank, aber das wäre wirklich nicht nötig gewesen“, erwiderte ich. „Wir feiern hier in der Gegend eigentlich keinen Namenstag, und wenn Sie es mir gestern nicht verraten hätten, hätte ich es überhaupt nicht mitbekommen.“

Er nickte. „Ja, ich weiß. Heute wird der Namenstag kaum noch gefeiert, aber meine Vorfahren stammen aus der Region um den Chiemsee. Dort wurden die Namenstage früher sogar groß gefeiert. Als es meine Großeltern aus beruflichen Gründen nach Hessen verschlagen hat, haben sie diesen alten Bruch auch dort weitergeführt. Und deshalb komme ich selbst auch nicht richtig weg von dieser Tradition.“

„Dann müsste ich mich also nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei Ihren Großeltern für die schönen Blumen bedanken, Herr Beckmann. Leben die eigentlich noch?“

Er schüttelte den Kopf. „Schon ziemlich lange nicht mehr. Meine Eltern haben in Sannerz mit mir und den Großeltern mütterlicherseits in einem großen Haus mit drei Generationen unter einem Dach gelebt. Eine wunderschöne Zeit, besonders für mich als Kind und Jugendlicher.“ Für ein paar Sekunden schien er bei diesen Worten gedanklich in die Vergangenheit abzutauchen.

„Gehen wir doch in den Garten bei diesem schönen Wetter. Ich habe auf der Terrasse für uns beide gedeckt“, versuchte ich ihn wieder in die Realität zurückzuholen.

Als wir die Terrasse betraten, kam uns Agathe laut schnatternd und Flügel schlagend entgegengerannt, während sich die drei Katzen in der Sonne räkelten. „Oha“, entfuhr es meinem Chef, als Agathe sich vor ihm aufbaute und ihm am Hosenbein zupfte, „mir scheint, sie mag mich nicht besonders, oder?“

Ich musste lachen. „Im Gegenteil, das ist sogar ein gutes Zeichen. Agathe ist fast noch besser als ein Wachhund. Ihr entgeht buchstäblich nichts. Entsprechend neugierig ist sie halt Fremden gegenüber. Wenn sie Ihnen jetzt in die Schuhe gepickt hätte, müsste ich mir ernsthaft Sorgen um Sie machen, aber wenn Agathe jemand am Bein zupft, ist das etwa so zu verstehen, wie wenn ein Hund zur Begrüßung Pfötchen gibt.“

„Ach so, na dann. Kann man sie eigentlich auch streicheln?“

„Nur, wenn Sie Agathe vorher mit einem Leckerli bestochen haben. Warten Sie, ich gebe Ihnen ein Stück Banane, die mag sie besonders gerne“, erwiderte ich und drückte ihm eine halbe Banane in die Hand. „Die Schale müssen Sie aber vorher abmachen und die Banane in zwei bis drei kleine Stücke teilen.“

Er grinste. „Und ich dachte, Bananen wäre nur etwas für Affen.“ Etwas umständlich begann er sie zu schälen und zu teilen, was Agathe natürlich nicht schnell genug ging. Laut schnatternd beschwerte sie sich darüber. Im Nu hatte sie die Banane verschlungen und zupfte ihn erneut am Bein.

„Nein, Agathe, jetzt ist es genug. Du hast gerade eben erst Futter bekommen und solltest jetzt lieber mal ´ne Runde im Teich schwimmen.“

Als hätte sie es verstanden, watschelte sie prompt in Richtung Schwimmteich, nicht ohne ihren Unmut dabei leise meckernd kund zu tun. Bei Kaffee und Kuchen sahen wir ihr eine Weile zu, bis er mit einem Blick auf seine Armbanduhr auf den neuen Fall zu sprechen kam.

„Vorgestern hat mich ein Anruf von einem Herrn Winter erreicht, der mir mitgeteilt hat, dass er vor ein paar Tagen seinen seit acht Jahren vermissten Bruder zufällig in der Saarbrücker Altstadt entdeckt hat. Doch ich erzähle Ihnen am besten die Geschichte von Anfang an, jedenfalls, soweit ich sie am Telefon verstanden habe. Herr Winter betreibt in Ottweiler eine kleine Baufirma, in der auch sein jüngerer Bruder gearbeitet hat, bis der vor etwa acht Jahren zusammen mit seiner Frau spurlos verschwunden ist. Die polizeilichen Ermittlungen in diesem ungewöhnlichen Vermisstenfall hatten damals leider nichts Verwertbares ergeben und sind deshalb nach ein paar Monaten eingestellt worden. Ich möchte Sie daher bitten, sich der Sache mal anzunehmen und die dortige Ermittlungsakte anzufordern. Vielleicht können Sie sich ja auch mit den damals zuständigen Kollegen über den Fall unterhalten. Schauen Sie sich den Vorgang mal an und geben mir dann bitte Bescheid, wie wir nach Ihrer Ansicht am besten weiter vorgehen sollten. Mich müssen sie jetzt leider entschuldigen, denn ich möchte die Kollegen in St. Wendel ungern auf mich warten lassen.“

Aktenfrust

Am nächsten Vormittag erfuhr ich von den Kollegen in der Falkenstraße, dass der damals ermittelnde Beamte schon seit ein paar Jahren pensioniert und zwischenzeitlich auch verstorben sei. Auch ansonsten sei aufgrund einiger organisatorischer und personeller Veränderungen leider niemand mehr da, um mir im Vermisstenfall Winter Auskunft geben zu können. So musste ich mich notgedrungen nur mit der Ermittlungsakte aus dem Archiv zufrieden geben, mit der ich mich vom Polizeirevier in der Falkenstraße auf den Heimweg machte. Ich hatte bewusst einen kleinen Umweg durch den Stadtpark gewählt, weil ich mir den Baufortschritt an der neuen Kita mal etwas näher anschauen wollte. Zudem galt es, nach und nach wieder mehr Kondition aufzubauen, was mir nach dem schrecklichen Autounfall, verbunden mit Björns tragischem Tod und meinen schweren Verletzungen, über lange Zeit überhaupt nicht möglich war. Ich benutzte zwar immer noch den Gehstock, aber ich spürte jeden Tag mehr, wie die Kraft im rechten Bein zurückkehrte. Lange würde ich ihn wohl nicht mehr zu benutzen brauchen. Aber jetzt würde ich mir erst mal eine kleine Auszeit auf einer Parkbank gönnen. Mein Blick fiel auf die große Wiese, die zu meiner Zeit noch für uns Kinder und Jugendliche vollflächig in saftigem Grün erstrahlte und von niemand betreten werden durfte. Heute war sie dagegen als arg strapazierte Spielfläche zertrampelt. In Teilen „zierte“ sie nur noch sandiger Untergrund. Auch die ehemalige Liebesbank, wie wir sie nannten, war längst verschwunden. Mit Robert, meiner ersten Jugendliebe, hatte ich sie gegen Abend, wenn es im Stadtpark allmählich ruhiger wurde, desöfteren klammheimlich aufgesucht. Doch die Ermittlungsakte in meiner Tasche vertrieb rasch meine nostalgischen Erinnerungen. Ich wollte die Unterlagen hier wenigstens kurz überfliegen, um sie dann zu Hause ausgiebig zu studieren. Doch alleine die kurze Akteneinsicht ließ nur den Schluss zu, dass hier vermutlich ein eher lustloser Kollege am Werk war, der wenig von einer ordnungsgemäßen Aktenführung hielt. Während die damalige Vermisstenanzeige noch relativ umfangreiche Informationen enthielt, wurde die Akte im Verlauf der Ermittlungen nur noch durch meist stichwortartige Angaben ergänzt, die uns im vorliegenden Fall kaum weiterhelfen konnten. Trotzdem würde ich mir die Unterlagen zu Hause noch einmal in aller Ruhe anschauen. Was soll´s, dafür wirst du ja schließlich bezahlt, Nora, sagte ich mir und verließ den Stadtpark in Richtung Ringstraße, vorbei an der Fachoberschule, an der ich damals meinen Fachhochschulabschluss gemacht hatte, nachdem ich zwei Jahre zuvor wegen schlechter Noten das Gymnasium Am Steinwald freiwillig verlassen hatte. Durch die obere Parallelstraße, vorbei an der beeindruckenden Häuserzeile mit einigen Häusern in Jugendstil-Architektur, ging ich langsam wieder in Richtung Heizengasse zurück. Wehmut überkam mich beim Anblick meines ehemaligen Elternhauses an der Einmündung zur Quellenstraße, einer kurzen und nur wenig befahrenen Verbindung zwischen Parallelstraße und Willi-Graf-Straße. Wir Kinder nutzten sie früher gerne als Spielstraße für Federball- oder Völkerballspiele, während unter der kleinen Ahornbaumallee gerne mit Murmeln gespielt wurde. Im Spätherbst scharrten wir manchmal die vielen Ahornblätter, die unter den Bäumen lagen, zu einem großen Blätterberg zusammen, in den wir dann mit Anlauf hineinsprangen und begeistert aufschrieen, wenn wir darin weich landeten und die Blätter uns für kurze Zeit unter sich begruben. Eine unbeschwerte Kinder- und Jugendzeit damals. Doch dieses unbeschwerte Leben, das für mich im Alter von etwa drei Jahren begann, als mich meine späteren Adoptiveltern aus dem St. Vincenz Waisenhaus bei sich aufnahmen, währte leider nicht allzu lange. Mit Anfang Zwanzig war ich jedenfalls wieder Vollwaise, nachdem meine Eltern schon relativ früh im Abstand von nur knapp fünf Jahren verstarben und ich alleine in einem viel zu großen Haus für einige Zeit ein einsames Dasein fristete, bis ich Björn kennenlernte, der nur ein paar Hundert Meter weiter in seinem Elternhaus in der Heizengasse wohnte. Schon bald darauf beschlossen wir zu heiraten. Ich zog zu ihm in die Heizengasse und verkaufte das Haus in der Parallelstraße. Die lange verdrängten nostalgischen Erinnerungen waren plötzlich wieder da, als ich mich kurz auf die kleine Mauer neben dem Haus setzte, um ein bisschen zu verschnaufen. Wie es wohl heute im Haus und dem dahinter liegenden Garten aussah? Nur kurz war die Versuchung, das Anwesen nach all den Jahren wieder mal zu betreten, doch dann schüttelte ich den Kopf. Vorbei ist vorbei, Nora, murmelte ich, gab mir einen Ruck und ging weiter. Laut schnatternd empfing mich ein paar Minuten später Agathe am Gartentor in der Heizengasse, wo auch die Hühner und die drei Stubentiger schon sehnsüchtig auf ihre Fütterung warteten.

Gegen Abend setzte ich mich noch einmal mit der Akte auf die Terrasse, um mir wenigstens ein paar verwertbare Notizen zu machen. Doch irgendwann fiel mir die Akte aus den Händen, weil mich der Schlaf übermannt hatte. „So Kinder, ab ins Haus, es ist höchste Zeit zum Schlafen gehen“, rief ich und klatschte dreimal in die Hände, ein Signal, das die Tiere nur zu gut verstanden. Kurz darauf kamen Nicky, Rocky und Henry auch schon angetrottet, während Agathe wieder mal eine Extraeinladung brauchte wegen der obligatorischen Ehrenrunde auf ihrem geliebten Gänsesee, wie ihn Holger getauft hatte.

Behördenfrust

Am nächsten Vormittag rief ich im LKA an und berichtete meinem Chef von dem dürftigen Ergebnis meines Aktenstudiums.

„Zu ärgerlich, aber das wundert mich kein bisschen“, schnaufte Beckmann am anderen Ende der Leitung. „Das war vermutlich genau so ein engagierter Kollege wie die zwei Sorgenkinder unter meiner Obhut“, womit er meine Kollegen Schumann und Lesmeister meinte, ohne deren Namen auszusprechen. „Also, wo fangen wir am besten an? Was schlagen Sie vor, Frau Horst?“

„Na ja, fast wieder bei Null, würde ich sagen. Am besten wäre es, den Bruder des Vermissten noch einmal ausführlich zu befragen.“

„Ganz meiner Meinung, so gehen wir ´s an, Nora“, erwiderte er.

Es war das erste Mal, dass er mich nur bei meinem Vornamen nannte. Ich hatte auch nichts dagegen, weil wir beide sehr ähnlich ticken und er mir gegenüber auch nie den Vorgesetzten herauskehrte.

„Haben Sie die aktuelle Telefonnummer von ihm? Ich meine, wo er sich doch bei Ihnen gemeldet hatte, was mich eigentlich verwundert. Ich würde mich dann mit ihm in Verbindung setzen und einen Termin mit ihm ausmachen.“

„Lassen Sie mal, das mache ich schon selbst, denn der Mann war merklich verschnupft, nachdem er sich offenbar durchs halbe Präsidium fragen musste und ihm wohl jeder erklärt hat, dass er für diesen Fall nicht zuständig sei.“

Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. „Das kommt mir weiß Gott nicht unbekannt vor, und ich bin sehr froh, dass ich dem Behördenwahnsinn in Saarbrücken zumindest nicht mehr unmittelbar ausgesetzt bin wie bei meiner früheren Tätigkeit“, erwiderte ich.