Novellen und Erzählungen - Heinrich Mann - E-Book

Novellen und Erzählungen E-Book

Heinrich Mann

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Beschreibung

Eine vielschichtige Novellen- und Kurzgeschichtensammlung von Heinrich Mann: Ob in der Novelle "Kobes", deren Titelfigur sich an der historischen Figur des Industriellen Hugo Stinnes orientiert, in den eigenen Kindheitserinnerungen an das Lübeck der 1870er oder in der Darstellung bestimmter Rollenbilder am Beispiel der Schauspielerin – Heinrich Mann zeigt sich einmal mehr als scharfsinniger und oftmals gesellschaftskritischer Beobachter seiner Zeit.-

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Heinrich Mann

Novellen und Erzählungen

 

SAGA

Novellen und Erzählungen

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1947, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726885156

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Kobes

I

Ein Mann lief durch die Stadt. Er trug einen Cut, im Laufen stand der nasse Cut wie Holz hinten ab, und Regen trommelte drauf. Sein Hut war fort; aber die Aktentasche hielt er fest. Um die fliegenden Beine warf er manchmal Arme samt Aktentasche, um noch höher zu fliegen. Er kreischte rauh dabei auf, um sich anzustacheln und auch, weil alles ihm furchtbar weh tat. In Hindernisse rannte er kurzweg hinein, so blind war er schon.

Feuersäulen standen rings in der Luft, der Himmel war rot und schwarz, ein höllisches Pfeifensignal krallte manchmal hinein. Tageszeit unbekannt, so war der Himmel von je. Auf leeres Pflaster fiel schwarzer Regen, der gewaschener Ruß war. Wo der einsame Läufer gerade patschte, sauste, anschlug, umfiel, da duckte sich der und jener angstvolle Kleinbürger beschleunigt in niedrige Türchen. Die Stadt hatte einstöckige Häuschen – und dann die ungeheuren, nackten, lodernden Fabriken über undurchdringlichen Labyrinthen von Kohlengruben. Alles Volk war in den Fabriken, den Gruben.

Der Wildling im Cut rannte nun schon über den feurigen Unflat des Flusses. Drüben das Haus! Das große Haus aus Glas und Eisen, das Haus mit dem Dach der fünfhundert Leitungsdrähte! Er lechzte danach, die Zunge weit draußen, Augen wie beim Nahen Gottes. Nochmals platt in eine Lache. Letztes Aufraffen, Endmatch mit dem Keuchen tödlicher Brunst, auf den Lippen schon Blut. Durchs Ziel und Treppen hinauf, Wild-um-sich-Schlagen statt Hilferufs, der nicht mehr kam.

Da rannte er in zwei Herren. Augenblicklich Alarmzeichen; es zwitscherte durch das Haus. Der Sterbende klammerte sich auch noch an. Zwei Schüsse. Alle Türen auf. Haufen von Menschen. Wohin ist der Attentäter? Die Haufen wälzen sich. Dort auf den Stufen. Kopf abwärts liegt er in schwarzer Nässe! Man wendet sein Gesicht herum, indes immer noch wildes Zwitschern durchs Haus schrillt. Nun? Mittelstand, sonst nichts zu bemerken. In der Aktentasche ein Papier. Was sagt es? Gewählt ist Kobes.

Kobes ist gewählt. Gleich, wie, wo und von wem. Wieder einmal gewählt. Und der Mittelstand bringt sich ihm persönlich dar, rennt selbst, es ihm zu melden, und erstirbt auf seiner Schwelle. Dies war ein Ehrgeiziger. Er hat gedacht: ›Ich renne. Ich bin früher da als Telegraf, Telefon, früher als die Luft, die Kobes und seine Größe auf ihren Flügeln trägt. Ihn sehen und sterben! Ich will ja keinen Posten, ich will ja nichts für mich. Es ist für das große Ganze, es ist für Kobes, unseren Größten!‹ Er war ehrgeizig in Selbstverleugnung. Nun ist er tot und sah ihn nicht. Kobes wird nie von ihm wissen. Kobes ist noch erhabener, als jener dachte.

Kein nennenswerter Vorfall, nichts, was hier aus dem Rahmen fiele. Die zusammengeströmten Beamten zogen von selbst ab; Befehl nicht notwendig. Nur die Rayonchefs blieben in der Halle versammelt, seltene Gelegenheit, alle gemeinsam Zigarren zu rauchen. Die Halle lag gleich an der Treppe; sie bewachten alle gemeinsam, bis der Arzt kam, die Leiche des totgerannten Mittelstandes.

II

Klubsessel im Halbkreis, andächtiges Selbstgenügen. Nur der Rayonchef für Völkisches hatte es eilig. Er war es, der mit seinem Kassierer den Anprall des Attentäters erlitten hatte. Ein ohnedies nervöser Mensch wie er, und das Signal, das er in Bewegung gesetzt hatte, kreischte noch immer. Abstellen! Sein Kassierer übrigens war ihm im Gedränge abhanden gekommen. »Immer und ewig sehe ich Sie mit dem Kassierer, Herr Kollege für Völkisches«, sagte der Rayonchef für Ersparnisse. Persönlich atmete er Kraft wie ein Fleischhacker, anders als der abgehetzte Völkische, der gleich hochging. »Herr Kollege, Sie führen in aller Seelenruhe ein gottgefälliges Leben«, rief der Völkische bebend. »Ich aber? Ich habe seit drei Tagen dreimal meine Dispositionen ändern müssen. Einmal bezahle ich den Putsch, damit er kommt, ein anderes Mal, damit er nicht zu weit geht. Es ist aufreibend.«

»Es ist unkaufmännisch«, sagte der Rayonchef für Ersparnisse. Man glaubt nicht, mit wie wenig Weisheit selbst hier noch regiert wird.« Was aber der Rayonchef für Parlamentarisches rund abstritt. »Man lege endlich einmal unsere Steuerfreiheit gesetzlich fest, sofort werden die völkischen Belange abgebaut. Sie meinen doch nicht, daß etwas anderes als ihre Ergiebigkeit darüber entscheidet, ob wir sie finanzieren? Den Arbeitern vom Lohn die Steuern sofort abziehen, sie aber erst zwei Monate später, ausgenützt und entwertet, dem Staat erstatten: so konnten wir diesen Staat nur abtun, weil wir ihn unter völkischem Hochdruck hielten! Stecken wir Deutschland nur erst in die Tasche, reiten wird es schon können.« Der Rayonchef für Parlamentarisches hatte die Augen an der vorderen Front seiner turmartigen Glatze, und sie gaben Leuchtsignale. Nicht weniger phosphorgeladen war das Hirn des Rayonchefs für Propaganda, Generals des ehemaligen Hauptquartiers. »Bluff!« kommandierte er. »Bluff und Gewure, sonst nichts, und ich garantiere jeden Erfolg. Wer hat den Mittelstand für den Aufbau begeistert? Wir. Für vertikalen Aufbau? Wir. Für Wirtschaft statt Staat? Wir. Für seinen eigenen Hintritt auf dem Felde der Inflation? Kunststück, wir. Aus reiner Begeisterung hat er sich totgelaufen« – mit Wink nach der Treppe. Flüchtige Blicke der Sympathie streiften die Leiche. Der Rayonchef für Propaganda fuhr fort:

»Der Mittelstand hat hergegeben, was er wert war. Ehre seinem Andenken. Jetzt aber muß mehr gearbeitet werden. Die Arbeiter sind dran. Sie haben mehr als nur Geld an uns zu verlieren. Täglich zwanzig Stunden Arbeitszeit! Das ist ein Besitz. Das ist das größte Vermögen der Welt. Ihnen beibringen, daß sie es hergeben müssen, leisten müssen, verschenken müssen! Sonst untragbar und Zusammenbruch! Mein strategischer Gedanke. Ich führe ihn durch oder schieße mir glatt eine Kugel vor den Kopf. Deutsch sein heißt: aufs Ganze gehen.«

Das ehemalige Hauptquartier zündete sich noch eine Zigarre an. Statt seiner sprach der Rayonchef für Soziales. »Wir haben erst 60 000 Selbstmorde jährlich erreicht«, sagte er bitter. »Aus öffentlichen Mitteln oder durch Wohltätigkeit des In- und Auslandes leben zwanzig Millionen. Leben immer noch, während ihr Recht ans Leben schon längst auf uns – auf uns, meine Herren, übergegangen ist. Kann irgendeine Propaganda bewirken, daß sie sämtlich Selbstmord verüben? Und doch sind es genau die zwanzig Millionen, denen schon unser bekannter Kriegsgegner sagte, sie könnten gehen. Wir werden es ihnen durch die Tat beweisen, daß sie gehen können. Sozialabbau!« – »Gehälterabbau«, fiel der Rayonchef für Ersparnisse ein. »Beamtenabbau.« – »Kulturabbau!« verlangte der Rayonchef für Kulturelles.

»Abbau des Lebens«, schloß der Rayonchef für Soziales. Er hatte das schönste, noch immer glatte Jünglingsgesicht bei schon so wichtigen Verdiensten. Seine Bewegungen waren nicht ohne Anspruch auf edle Form. Nur das Haifischmaul störte. »Abbau des Lebens«, wiederholte er, entschlossen zuschnappend. »Wir sind die Wirtschaft. Leben müssen nicht Menschen, sondern die Wirtschaft. Zu erhalten ist nicht das Leben, sondern die Substanz. Unser Problem: durchkommen mit unverminderter Geltung und konzentriertem Nationalvermögen, bis genügend Menschen verhungert sind, daß der Rest in unser System paßt. Wir sind System! Wir sind Idee!«

»Der deutsche Idealismus sieht wesentlich anders aus, als Literaten ihn sich gedacht haben«, sagte sinnend der Rayonchef für Propaganda.

Auch aus jener blauen Wolke kam endlich eine Stimme. Sie näselte. »Das Nationalvermögen konzentrieren, bei uns natürlich, können wir nur gegen das Reich. Wir oder das Reich! Einer hat die Macht, der andere zahlt. Das Reich verdient nichts Besseres als zahlen. Wissen die Herren auch, wer das meiste aus ihm herausgeholt hat?« wobei die Wolke sich öffnete und das scharfe Kavaliersgesicht des alten Staatsmannes erschien, das zwinkerte. Den langen Finger hielt er auf die eigene Brust gerichtet. ›Der Kollege für Auswärtiges öffnet die Archive‹, fühlten gespannt die Kollegen.

»Irgendwo war mal Besetzung«, verriet der Rayonchef für Auswärtiges. »Gott, heute wird so viel besetzt. Wir hier hatten lange vorher gesagt, es wäre nicht das Schlimmste. Also der Feind besetzt. Nach drei Monaten spürten wir's denn doch im Betrieb. Es hatte was zu geschehen. Ich, nicht faul, mobilisiere unseren östlichen Teilhaber. Sollte drücken auf seinen südlichen Geschäftsfreund, damit der Kerl vermittelte beim westlichen Vertragsgegner. Streng vertraulich, Innendienst. Was glauben Sie aber, daß uns zurückberichtet wurde? Ich sag es nicht. Nicht einmal hier. Genug, da hatten wir kein Interesse mehr. Sie denken sich schon, warum. Inzwischen zahlte das Reich unsere Löhne. Das war die Patentlösung. Man soll niemand am Zahlen hindern, vor allem das Reich nicht.« Hiermit schloß sich die Wolke.

Sämtliche Rayonchefs unterdrückten ihr Schmunzeln, sie wandten nicht ohne Besorgnis die Hälse. Aber die Treppe stand gerade leer, nur die Leiche des Mittelstandes konnte zuhören. Der Rayonchef für Kulturelles beherrschte sich nicht länger. »Damit auch ich einen Schwank beitrage!« sagte er in irgendeinem unwahrscheinlichen Dialekt. »Nicht weit von hier ist ein Kohlenforschungs-Institut. Strenge Wissenschaftler. Die Leute haben nichts zu beißen und zu brechen.«

»Ihr Schwank, Kollege, ist reichlich abgespielt.«

»Moment. Die Leute haben nachgewiesen, was alles in der Braunkohle steckt. Man glaubt nicht, was alles drin steckt. Daraufhin, meine Herren, haben wir gekauft. Wir haben daraufhin sämtliche Braunkohlenlager der Welt gekauft. Jährlich bringen sie uns todsichere Goldmillionen, dank jenen Leuten. Die Leute brauchen zur Fortführung ihres wissenschaftlichen Instituts jährlich ganze siebzigtausend Mark, die sie nicht haben. Was für einen Witz, glauben Sie, daß ich mir geleistet habe? Unser Berliner Zentralorgan habe ich, weiß Gott, schreiben lassen, das um die Wissenschaft hochverdiente Kohleninstitut müsse eingehen, wenn das Reich nicht siebzigtausend Mark zahle. Titel: Kulturschande.«

Man lachte – herzhaft und unbeschwert. Es war der gegebene Augenblick, die Sitzung abzubrechen. Aber der Rayonchef für Propaganda öffnete in der Wand einen Deckel, er war wohl eifersüchtig auf den Lacherfolg; sofort begann eine Radiostimme: »Ich habe einfache Gedanken, einfache Ziele. Ich bin nichts Vornehmes, Politik verstehe ich nicht. Rühriger Kaufmann bin ich, Sinnbild der deutschen Demokratie. Mich kann keiner. Ich bin Kobes.«

Die Stimme erhob sich, sie ward rhythmisch wie Kirchengesang. Die Herren in den Klubsesseln sangen mit. »Kobes schlemmt nicht, Kobes säuft nicht, Kobes tanzt nicht, Kobes hurt nicht, Kobes arbeitet zwanzig Stunden am Tag.«

»Kobes gibt es nicht«, sang der Rayonchef für Völkisches noch hinzu. Auf Proteste erwiderte er gereizt: »Kobes ist nichtexistent. Er ist eine mythische Erfindung, die Personifizierung von Naturkräften, sagen wir Sonnengott. Das Volk liebt so was auch heute noch. Faule Wirtschaft heißt Kobes.« Auf weitere Proteste: »Haben Sie ihn gesehen? Na also« – und fort war er.

»Das Völkische macht nervös«, brummte man, unzufrieden, aber nicht ohne daß Zweifel durchdrangen. Die Radiostimme brüllte: »Arbeiten! Viel mehr arbeiten sollt ihr! Nicht für Geld, nein, für die Sache! Auch Kobes arbeitet nicht bloß um Geld. Malt ein Maler, komponiert ein Musiker um des Geldes willen? Schaffensdrang des schöpferischen Menschen, das ist Kobes. So seh ich aus.« Im selben Atem aber verlangte er, hart wie das Schicksal, die Nation solle gewärtig sein, daß noch mindestens drei Jahre lang eine Menge Menschen verhungere. »Wo das Ganze Not leidet, muß der einzelne Opfer bringen« – indes die Rayonchefs einander von Begegnungen mit dem leibhaftigen Kobes erzählten. Aber keiner glaubte dem andern so recht. Zum Schluß trennten sie sich ohne besondere Freundschaft. Jeder knallte eine Tür hinter sich zu.

III

Die vereinsamte Radiostimme predigte: »Schon 1914 wurde das Vermögen von Kobes auf hundert Millionen Goldmark geschätzt, die er, wie alle Großindustriellen, während des Krieges hat vervielfältigen können.« Da traten gleichzeitig aus einer der Türen ein kleiner Mann und aus dem Lift eine große Dame.

Der kleine Mann ging den Deckel schließen, er war ein Untergebener des Rayonchefs für Propaganda. Als er aber die Dame sah, blieb er stehen, die Arme wurden ihm steif, und er spreizte die Finger. Die Dame dagegen sagte zielbewußt: »Wo ist Mister Kobes?« – ohne den kleinen Mann des Ansehens zu würdigen. Es konnte der Radiostimme oder dem nächsten leeren Klubsessel gelten. Der kleine Mann jedenfalls war nicht selbstbewußt genug, es auf sich zu beziehen. Er hatte einen zu großen Philosophenkopf, kahl, plattnasig; sonst war er gering. Die Radiostimme ihrerseits zählte die Werke, Reedereien, Bank- und Handelsgesellschaften auf, die Kobes durch Aktienmehrheitsbesitz kontrollierte. Die Dame, der nichts entging, entdeckte auf der Treppe den Leichnam des Mittelstandes. Hineilen und angeregt sich darüber beugen. »Oh! lovely«, sagte sie.

Der kleine Mann hatte Zeit, seine Geister zu sammeln. »Eine Verrückte«, bedachte er, »aber keine landläufige. Sieht unbedingt nach Geld aus und will hier irgend etwas. Winkst du, Schicksal?« Wie nur je, empfand der kleine Mann das Unhaltbare, Vernunftwidrige seiner geringen Lage. Er hatte in seinem zu großen Kopf die Mittel, sie richtigzustellen. Rohe Körpermassen in Gestalt von Vorgesetzten waren ihm übergeordnet, versperrten ihm bis jetzt noch den Weg. Er verachtete sie, obwohl er sie fürchten mußte. Die Schleuder Davids war sein … Hier ging eine Tür auf.

Der kleine Mann hockte sich schnell, schnell hinter einen Klubsessel. Sein Rayonchef, der General. Mit der eckigen Anmut, die ihn auszeichnete, schritt er quer hinüber. Welch ein Fatzke mußte er sein, da er es blieb, sogar wenn niemand ihm zusah! Der kleine Mann und sein zu großer Kopf haßten jenen kleinen eleganten Militärschädel besonders … Gottlob, er war fort. Hervor! Auch die Dame kehrte wieder.

»Ein Vermögen, das in Milliarden von Goldmark geht! Erst die Nachwelt vielleicht wird einst die volle Wahrheit erfahren über Entstehung und Ausdehnung dieser Macht, die alles Vergleichbare, samt Morgan, Vanderbilt und den noch Schwächeren schon übertroffen hat und sichtlich ins Mythische wächst. Kobesmythe! Die neue Religion, nach der unser ganzer Erdteil in furchtbaren Zuckungen ringt, sie ist gefunden!«

Die Radiostimme schloß donnergleich. Der kleine Mann klappte den Deckel darüber – indes die Dame ergriffen noch dastand. »Wundervoller Mann!« sagte sie, schweratmend. »Sie meinen nicht mich. Sie meinen Herrn Kobes«, sagte der kleine Mann. Die Dame rief: »Und das in einem so dummen Volk!« – ›Gans!‹ dachte der zu große Kopf. ›Unfähig logischer Verbindungen!‹

Laut sagte er: »Ich stehe Ihnen restlos zur Verfügung mit allem, was ich bin und kann«, und verbeugte sich bis über die Füße der Dame. Sie staken nackt in den seidenen Schuhen, was ihm jäh das Gleichgewicht raubte. »Stehen Sie wieder auf«, sagte die Dame. »Und bringen Sie mich zu Mister Kobes.«

Sein Unglück stimmte ihn tückisch. »Woher wissen Sie denn, daß irgend jemand Sie zu Mister Kobes bringen kann?« fragte er und betrachtete sie gelb.

»Bringen Sie mich zu Mister Kobes!« verlangte sie. »Oder holen Sie mir einen anderen Mann!«

Da überwand er seine Bosheit. Nur niemand in dies Geschäft lassen! »Ein anderer Mann«, sagte er eilig, »hat Mister Kobes so wenig gesehen wie ich selbst. Mister Kobes ist unsichtbar«, flüsterte er. Geheimnisvoll werden! Spannend werden! »Mister Kobes wohnt in den Lüften. Kein Weg führt uns Sterbliche hin. Sie sehen, Madame, hier hört die Treppe auf und auch der Lift.«

»Dann ist ein anderer Lift da«, sagte sie unbeirrt. Er gab es auf, ihr etwas vorzumachen. »Treten Sie bitte in mein Büro, Madame. Jeder, der Sie hier überrascht, läßt Sie sofort an Ihr Auto zurückgeleiten. Zu Mister Kobes bringt niemand Sie. Erstens würde er entlassen werden. Außerdem kann er es nicht.«

»Mein Mann ist bei Mister Kobes«, sagte die Dame. »Ich muß auch hin.« – »Dann macht Ihr Mann Geschäfte mit Mister Kobes. Haben Sie Geduld, bis er zurückkommt! Vielleicht merkt er sich den Weg. Wahrscheinlich ist es nicht.«

»Wenn Sie ihn mir sagen: wieviel?« Womit die Dame ihn genau ins Auge faßte. Sein zu großer Kopf ward über und über rot, er schlug die Augen nieder. Du mochtest die Welt, die dich ausschloß, so sehr verachten als nach ihr gieren: dies war doch hart. Er sah auf, aber sah unklar. »Sie irren, Madame. Ich selbst gäbe Geld, könnte ich Mister Kobes sehen. Nur deshalb bin ich hier.«

»Sie armer Teufel«, sagte die Dame, die ihn weinen sah.

»Ich heiße Sand«, sagte er. »Nicht Kant. Nur Sand. Ich war Privatdozent. Bin Doktor der Philosophie, der Naturwissenschaften und anderer inzwischen abgebauter Spezialitäten. Um Ihnen einen Begriff zu geben: das Nützlichste, was ich zeit meines Lebens noch anfing, waren Forschungen über die Schlafkrankheit.«

»Sie waren gegen die Schlafkrankheit und sind so langweilig? Bringen Sie mich doch zu Mister Kobes!«

Die Dame saß nun. Sie entblößte eigens ihre Hand. Mit dem nackten Finger strich sie dem kleinen Mann unter dem Kinn umher. »Kleiner Junge!« sagte sie, indes sein alterndes Gesicht in Zuckungen verfiel. Er hatte völlig heraus, daß dies, mochte Seide noch so warm knistern, dichtgesätes Edelgestein noch so feurig tun, eine überreife Dame war, bemalt, emailliert, gefärbter Tituskopf, vermutlich hysterisch. Aber der Hauch der großen Welt, ihre Frechheit, Menschenverachtung und einfältige Niedertracht ergriff ihn wie ein Giftgas. Er ward blind, und sein Blut floß. »Ihr Wunsch ist mir Befehl«, seufzte er.

»Nun also. Ich wußte, daß du ein schlauer Junge bist. Natürlich hast du längst ausspioniert, wo es zu Mister Kobes geht. Bringe mich hin, und ich spreche ihm von deiner Schlafkrankheit. Er soll dir Geld dafür geben.«

»Mister Kobes gibt niemals Geld, Madame, bemühen Sie sich nicht! Ich werde belohnt sein, wenn ich selbst ihn leibhaftig zu Gesicht bekomme. Obwohl ich wahrscheinlich die Augen werde schließen müssen. Mich blendet alles, was nicht Gedanke ist. Gott aber weiß: Mister Kobes ist nicht Gedanke … Bemühen Sie sich in meinen Zettelkasten, Madame!«

Er öffnete ihr das Nebenzimmer. Nichts als Pappschachteln. »Er war einst mein«, sagte der kleine Mann. »Mein Zettelkasten! Inbegriff meines Lebens! Keine Persönlichkeit Deutschlands, die hier nicht ihren Akt hätte. Persönlichkeit, Idee, Leistung, Verwendbarkeit: nichts fehlt. Ich habe gesammelt, hab geforscht. Ich habe geschrieben, hab gedacht. Kobes hat gekauft. Er hat mir, bevor ich vollends verhungerte, meinen einzig geliebten Zettelkasten abgekauft. Nicht für Geld. Er hat mir eine Anstellung gegeben. So kauft Kobes.«

Eine große Pappschachtel unter dem Arm, verneigte sich der kleine Mann. »Ich hole Sie, wenn die Luft rein ist.« Schloß von außen die Tür und zog den Schlüssel ab.

IV

An seinem Schreibpult kramte er in der Pappschachtel; fand etwas, warf es wieder hin; schlich zur Tür seines Chefs, des Generals, horchte ganz still, sah ein wenig durchs Schlüsselloch. Schüttelte sich leise, aus Freude an der eigenen Überlegenheit. Dann hinüber zur Tür des Zettelkastens. Wieder Horchen, Spähen, Schütteln. Es klopfte, der Eintretende sah ihn noch von der Tür flüchten.

Es war der Rayonchef für Soziales, jener schöne, schlanke Jüngling mit dem Haifischmaul, er wollte in den Zettelkasten. »Sie können nicht hinein«, sagte der kleine Mann. Er erklärte den Schlüssel für verloren, aber mit einem Gesicht, daß niemand es geglaubt hätte. Als jener es nicht glaubte, ward der kleine Mann frech, so unvorhergesehen frech, daß jener stutzte. Nur ein geheimes Machtgefühl konnte jemanden hier so frech machen. Dem Rayonchef ging ein Licht auf. Gleich erlosch es wieder, es war zu unwahrscheinlich. Dieser großschädelige Wicht sollte erblickt haben, was keinem noch über den Weg ging? Er sollte begnadet worden sein von dem leibhaftigen Nahen? Dem Rayonchef fielen der Gott und die Bajadere ein. Unmöglich war kein Wunder. Wer sonst übrigens hätte sich dort drinnen eingeschlossen und nicht gerührt? Sodann die Miene dieses Menschen, den Geheimnis schon mehr wir Irrsinn umwitterte. »Wer ist drinnen?« fragte der Rayonchef, obwohl er es dem Menschen ansah. »Das möchten Sie wissen«, zischte der kleine Mann.

Unverstellt triumphierte sein Haß. Den schönen, schlanken Jüngling mit dem Haifischmaul haßte er noch mehr als die anderen Rayonchefs, mehr als den kleinen Militärschädel. Tücke und Gewalt waren die Natur all dieser Feinde des Gedankens, aber dieser war auch noch schön und schlank! Dafür wich er jetzt rückwärts; Schauer, heiß und kalt, überliefen ihn sichtlich. Er ahnte ersterbend die furchtbare Nähe des Göttlichen. »Wer konnte darauf – darauf – darauf«, stammelte er, »gefaßt sein«, und war draußen. Der Sieger sah stolz ringsum … Kehrt. Zu den Akten. Aber jetzt nahm nebenan der General die Front zurück, er ging. Zeit des Aufbruches, draußen gingen die letzten. Der kleine Mann öffnete nach dem Korridor langsam, mit fanatischer Geduld einen ganz kleinen Spalt, er streckte ein Ohr hinaus. Wann ward der Hauptausgang drunten geschlossen? Den geheimen mußte man kennen … »Als ich mich das erstemal hier einsperren ließ, kannte ich ihn noch nicht und mußte die ganze Nacht dableiben.«

Das Tor, in weiter Ferne, fiel zu. An die Arbeit! »Wenn nicht alles täuscht, liefert mein Zettelkasten mir ungeahnte Waffen.« Einen Zettel geschwungen: »Ich kann, vermittels dieses Vierecks aus Papier, alle hier demütigen, sie überholen und an die Spitze gelangen. Sie werden auf dem Bauch rutschen, ich bin Vizepapst. Oder soll ich das Ganze hier in die Pfanne hauen? Vielleicht will der Weltgeist nichts Geringeres von mir, als daß ich diese fürchterliche Veranstaltung, Geißel der Menschheit und ihr Gegenbeweis, stillege, ja dem Erdboden gleichmache. Ich kenne ein Giftgas …« Gieriges Sinnen, aber es ging nicht auf Geld. Vor die Wahl gestellt, entschied sich der kleine Mann nicht frisch und frei für den Genuß des Seienden. Es auszulöschen, schien ihm ersehnenswerter.

Die Dame im Zettelkasten unterbrach ihn durch immer entschiedenere Zeichen, daß sie heraus wolle. Er herrschte sie durch die Tür an: sich ruhig zu verhalten oder Folgen zu gewärtigen, die bis zur Lebensgefahr gehen könnten. Der kleine Mann ängstigte nicht ungern die große Dame. Im Gefühl, sie sei ihm ausgeliefert, erwog er gelassener als vorher den unerhörten Plan.

War je ein Plan scharfblickend, verwegen, von blühender Romantik und dennoch mathematisch sicher wie dieser? Der kleine Mann bestaunte sich selbst. Wer war er hier? Referent für Varietétheater, fertig. Bearbeitete auf dem unermeßlichen Gebiet der Propaganda im Sinne Kobesscher Interessen, nicht etwa die Pressekorrespondenzen oder den Rundfunk: nur die kleine Welt des Varietes. Lieblinge des Publikums unterlagen seiner Kontrolle, ob ihre Verse nützlich waren. Wer nützliche sang, war gemacht. Widerstand gegen Aufträge führte unweigerlich dazu, daß man zurückblieb. Ein Künstlerruhm weniger.

Dies war alles – und dem gegenüber die erschütternde Größe seiner Erfindung! Titanischer Vorsatz! Ringen, Auge in Auge, Stirn an Stirn, mit dem Herrn der Heerscharen, mit Kobes in leiblicher Gestalt! Ihm ein Wagnis aufzwingen, dessen unermeßliche Folgen –. Den kleinen Mann schwindelte. Im Grunde lag es ihm besser, gradweise vielleicht einmal Rayonchef als sofort göttergleich zu werden. Aber er hatte sich vermessen. Die Tat litt keinen Aufschub. »Noch heute wirst du vor deinem Richter stehen.«

Der Schweiß brach ihm aus. Er suchte unter den Möbeln. Wo so vermessen gedacht ward, konnte der Unerforschliche nicht ohne Späher und Häscher sein! – Niemand. Der kleine Mann war enttäuscht. Er wäre lieber ergriffen worden, noch bevor er die ruchlose Hand ausstreckte. Menschliche Schwäche! Hiergegen nun war die Verrückte im Zettelkasten von Nutzen. Sie schien nicht der Art, sich blenden zu lassen, wäre es selbst vom Anblick Kobes'. Sie bändigte im Gegenteil auch noch den Tiger, der kleine Mann hatte es an sich selbst erprobt. Mochte sie mitkommen und den ersten Anprall empfangen! So faßte er sich denn, brach die Brücken ab und ging vor. »Madame, ich bitte. Es ist soweit.«

V

»Folgen Sie mir blind«, befahl er. »Ein Laut, eine falsche Bewegung, und ich gebe keine lumpige Billion für unsere Haut.« Wobei er scharf ausspähte nach jenem fernen Dunkel, in das der Korridor verlief. Drei Sprünge, er war an einer Ecke, er duckte sich neben den Heizungskörper. Selbst die Dame begann, trotz dickem Teppich, auf den Zehen zu schleichen, so eindrucksvoll benahm sich der kleine Mann. Mit den Händen machte er ihr klar, daß in dem Seitengang, dem er mißtraut hatte, wahrhaftig zwei Aufseher sich unterhielten. Warten!

Sieben Minuten nach der Uhr. Die Dame sagte: »Ich werde die Männer bluffen.« Worauf der kleine Mann sich über sie warf, eisern ihre Handgelenke hielt und ihr ein Taschentuch in den Mund stopfte. Zufällig war es ihr eigenes, weshalb sie nicht viel einwandte. So zog er sie fort; die Männer waren verschwunden.

Unterbrechungen drohten, wo immer ein Atem ging, ihrem Weg. Auch kannte ihn der kleine Mann nicht überall gründlich. »Dort könnten wir in eine Falle gehen. Die Fallen liegen täglich anders.« Er brauchte eine Viertelstunde, um sie unter Vermeidung gewisser Stellen des Bodens an einer einfachen Garderobe vorbeizuführen. Endlich wurde der Gang viel enger. Kurze Durchblicke zeigten, daß daneben ein zweiter, des weiteren auch noch ein dritter lief. »Wir sind nahe«, warnte der kleine Mann. Das Stück vor ihnen war grell beleuchtet.

Da sahen sie, worauf es hinausging. Ein runder Raum, alle Korridore strahlten dem Kreis zu. In der Mitte am Tisch saß ein gutgenährter Wachtmeister in Zivil, er reinigte einen zerlegten Revolver. Ein nichtzerlegter war auch zur Hand.

»Nicht ins Helle treten! Legen Sie sich flach hin! Ich zweige ab. Wenn ich wiederkomme, springen Sie auf. Komme ich nicht mehr wieder, stellen Sie sich noch am besten tot.« Damit wagte sich der kleine Mann in den vordersten Durchgang nach den Strahlen der anderen Korridore, da hinten verschwand er um die Ecke des dritten. Alsbald ertönte seine Stimme, oder doch nicht seine: eine ganz hohe, wie böse Vögel. »Rettich!« keifte die Stimme. »Sind Sie knatschgeck? Was lassen Sie Leute herein? Gleich herkommen! Tür schließen!«

Der stramme Wachtmeister, dies hören und auffahren in solcher seelischen Erschütterung, daß sein Tisch umfiel. Er tappte wie durch tiefe Nacht, sichtlich hatte er das Gefühl für den Ort verloren. Diese Stimme! Dort! Jetzt! Keine Erfahrungstatsachen hielten hier Stich, der Wachtmeister ergab sich. Weiche Beine, aber sie fanden die Richtung des Verhängnisses. Gehorsam schloß er hinter sich die Tür zu jenem Korridor. In diesem Augenblick war der kleine Mann schon wieder bei der großen Dame. »Schnell auf!« – und er flog über jenen vom Wachtmeister verlassenen Kreis.

In die Wand gebaut war etwas wie Panzertür und Kassenschrank. Die Scheibe hin und her gedreht. Es stimmte, der Griff gab nach. Seufzen der Erleichterung, er trat ein, die Dame stieß er voraus, die Tür zog er hinter sich fest an. Sie traten ein; denn es war kein Kassenschrank, es war ein Wartezimmer.

Sie traten in ein mittelgroßes, gutbürgerliches Wartezimmer. Augenblicklich stand es leer. Man hatte sogar den Eindruck, hier werde wenig gewartet – trotz Grammophon, Luxusdrucken, Radioapparat, Börsenbericht. »Machen Sie doch!« sagte die Dame, weil der kleine Mann sich erst noch umsah. Er schaltete alles Licht ein, setzte das Grammophon in Gang und drückte an den Wänden, wo immer ein Knopf war. Nichts erfolgte. Darauf ward er wütend. »Was wollen Sie von mir? Ich habe Ihnen oft genug gesagt, daß es lebensgefährlich ist, zu Mister Kobes zu gehen. Sie haben es ausschließlich sich selbst zuzuschreiben, wenn im nächsten Augenblick der Wachtmeister da ist und Sie über den Haufen schießt. Mich übrigens leider auch.«

Er kroch am Boden, ohne zu finden, was er suchte. Die Panik im Wartezimmer wuchs zusehends. »Sie werden mich retten!« rief die Dame, in Sessel sinkend und gleich wieder auf. »Denn ich habe Geld. Viel Geld! Was kostet der Wachtmeister?« fragte sie auch. Der kleine Mann aber hatte Besseres zu tun, als zu antworten, er hatte das offene Fenster bemerkt. Dahinter war gleich Wand, das Fenster mußte besondere Gründe haben, offenzustehen. Er schloß es, sofort hob sich das Wartezimmer.

Sie stiegen auf. »Hören Sie den Wachtmeister?« fragte der kleine Mann. »Endlich riecht er Lunte. Er arbeitet an der Panzertür, aber jetzt streikt sie.« Ihr Aufstieg war unaufhaltsam, beide lachten aus vollem Hals, das Grammophon spielte dazu Shimmy. »Zur Sache«, sagte der kleine Mann und stellte es ab. »Madame, wir werden gemeinsam bei Mister Kobes eintreten. Sie werden mich gefälligst als Ihren Landsmann vorstellen. Ich denke, ihm ein Geschäft vorzuschlagen.« »Oh«, sagte die Dame mißtrauisch. Er, sehr streng: »Haben Sie schon vergessen, daß Ihr Leben in meiner Hand war? Ich kann übrigens noch immer umkehren.« Worauf sie erwiderte, solche Sprache sei ihr ungewohnt. Er biß sich auf die Lippen.

Da sie nun einmal beleidigt war, erinnerte die große Dame sich auch ihres Gatten. »Er soll es mir bezahlen! Ist dies eine Lage für eine Dame? Anstatt mich gleich mitzunehmen zu Mister Kobes! Er denkt nur an sein Geschäft. Soll ich es Ihnen sagen? Wenn ich nicht will, macht keiner das Geschäft, mein Mann nicht und Mister Kobes nicht. Damen gehen vor.«

Der kleine Mann hielt dies für leeres Geschwätz. »Noch etwas«, sagte er, »der Wachtmeister hat inzwischen natürlich hinauftelefoniert. Ich weiß nicht, was noch kommt.« Da stand das Wartezimmer. Es legte mit Tür und Fenster an. Durch das Fenster sprang wie toll ein Mensch, der die Waffe schwang. Gerade hatten sie noch Zeit, aus der Tür zu flüchten, stießen aber außerhalb des Lifts an eine zweite, verschlossene. Schmaler Raum, schwarzes Dunkel; darin blieben sie zurück, während der Lift sich senkte. »Einen Augenblick«, sagte der kleine Mann. »Jetzt fährt der Sekretär hinunter. Gelingt es, diese verschlossene Tür zu öffnen, bleibt er stecken.«

Es gelang. In dem steckengebliebenen Wartezimmer fiel ein Schuß, er hallte beträchtlich. Sogleich erschien hinter ihnen ein erschrecktes Gesicht mit schwarzem Bart; die Tür stand offen. Die Dame drang wuchtig ein und schlug sie zu. Sein Glück, der kleine Mann hatte schon den Fuß dazwischen. Das Wartezimmer unter ihm stand und schoß, bis nichts mehr in der Waffe war. Der kleine Mann sah einzig sein Heil, wenn er die Tür offenhielt. So wachte er denn, verraten und ausgeschifft, auf dieser öden Schwelle, mit schwindelndem Blick in den Abgrund. Seine Knie wurden zittrig, Schweiß brach ihm aus, aber es hieß wachen.

VI

»Guten Tag«, sagte drinnen die Dame. »Mister Kobes, Sie sind ein wunderbarer Mann, das wollte ich Ihnen sagen.« In ganz anderem Ton: »Aber ich bin höchst unzufrieden mit Ihnen, das sollen Sie gleichfalls wissen. War dies eine Lage für eine Dame?«

Der ungebügelte Herr in Schwarz stand angedonnert. Hinter dem Schreibtisch jener andere lachte wie ein Neger. Die Dame herrschte ihn an: »Sei still!« – worauf er den Mund zuklappte. Er hatte ein grauweißes Negergesicht, breit, keine Stirn, ergrautes Kraushaar wie Gewächs auf fetter Scholle. »Du hast nicht getan, was ich wollte«, herrschte die Dame. »So benimmt sich kein Gentleman. Was Mister Kobes auch meint, du hattest nicht ohne mich hierherzukommen. Ohne mich machst du das Geschäft nicht. Fertig, du verstehst mich.« Worauf der Gatte besorgt die Augendeckel rührte. Seine breiten Schultern versuchten, ganz hinter den Tisch zu rutschen. Nun aber der ungebügelte Herr in Schwarz: »Hier sind wir das nicht gewöhnt, gnädige Frau. In Geschäfte reden Damen uns nicht hinein. Die Frau gehört ins Haus. Ich lasse mich nicht –« Da unterbrach ihn ein Schrei der Begeisterung. Die Arme nach ihm ausgereckt, rief die Dame: »Oh, Mister Kobes! Was haben Sie für eine komische Stimme! Im Radio sprechen Sie nicht so hoch, wie eine Pfeife!«

Aber Kobes war entschlossen, auf nichts hineinzufallen. Wenn sie nur nicht schoß. »Im Radio spricht ein anderer für mich«, sagte er sachlich. »Ich aber lasse mich nicht –«

»Schlauer Bursche sind Sie, Mister Kobes!«

»Ich lasse mich nicht vergewaltigen, gnädige Frau.«

»Gerade das will sie aber«, erklärte der Gatte. »Sie werden sehen, daß Sie nichts dagegen machen können.« Sein Ton war entsagungsvoll, was ihn selbst anging, und für den anderen schonend. Kobes keifte: »Wir müssen weiterverhandeln, ich kann sonst meine Zeit produktiver verwenden. Sie, gnädige Frau, warten am besten nebenan.«

»O nein, Mister Kobes. Vielleicht sitzt dort noch ein Sekretär. Der andere war kein Gentleman.« – Und sie setzte sich an den Tisch als Dritte.

Kobes übersah sie. »Also los«, sagte er zu seinem Kumpan. »Die ganze Welt.«

»Vertrusten«, sagte der Kumpan. »Alles –« mit rundem Griff der grauweißen Hand.

»Aufkaufen«, sagte Kobes, »ich und ihr, Arm in Arm, und die Weltwirtschaft wird glatt Privatsache. Unser ist der Orbis pictus.«

»Yes«, sagte der Kumpan, fest entschlossen. Sie saßen sich gegenüber wie zwei furchtbar geladene Kraftzentren.

»Mir fehlt nur noch eins«, sagte Kobes – und auf seinem Schreibtisch setzte er die kleine Lokomotive in Gang. Sie lief bis an den Rand, kippte und schnarrte – worauf Kobes sie umkehrte und zurücklaufen ließ. Er sah ihr nach aus seinen tiefliegenden, einander zu nahen Augen, die gelbe Stirn bekam Wülste. Sein Ausdruck ward halb irr von einer Art trauriger Gier. Die fremdländischen Gatten tauschten laut in ihrer Sprache ihre Eindrücke aus, der Mann lachte wie ein Neger. Aber Kobes hörte nicht. Seine traurige Gier beherrschte ihn zwingend.

Sein Sümmchen pfiff: »Ich konnte sie nicht in meine Hand bekommen. Ich muß sie doch noch in meine Hand bekommen! Nehmt sie euch als Pfand für die deutschen Schulden! Ihr macht eine Privataktiengesellschaft. Ihr kauft die Obligationen, ihr stellt den Generaldirektor, aber ich habe meine Finger drin, damit ist es richtig. Ich und ihr!« – Wobei er, halb vom Sitz gehoben, den Kumpan hypnotisch anblickte. Dem weißen Neger verging das Lachen. Die Dame sagte in höchsten Tönen:

»Mister Kobes, das macht Ihnen keiner nach! Um Ihrem Land seine Bahnen abzuknöpfen, verbünden Sie sich mit seinen ausländischen Gläubigern. Anstatt selbst die Gläubiger Ihres Landes zu bezahlen, machen Sie mit ihnen das beste Geschäft Ihres Lebens, und Ihr Land bezahlt es. Sie sind der schlaueste Bursche der Welt. Nur mich werden Sie nicht betrügen.«

»Das ist wahr«, sagte der Gatte. »Warten Sie nur!«

»Ihr großes Geschäft werden Sie nicht machen, oder Sie tun, was ich will.«

Aber Kobes übersah sie.

»Mister Kobes«, fragte die Dame noch, »wie kamen Sie nur auf den prachtvollen Inflationsschwindel, der Ihre Nation ganz ausgequetscht hat? Sagen Sie's mir, bitte! Es ist der großartigste Schwindel seit Law.«

Kobes fand sich schwer zurecht. Als er sie begriffen hatte, erhob er sich, er wies mit gelbem Finger auf sein gestärktes Vorhemd, die breite Trauerkrawatte. »Ich höre immer Schwindel? Sie irren sich wohl in der Person. Sonst müßte ich bitten, daß Ihr Mann Sie nach Hause bringt. Ich bin ehrbarer Kaufmann und ausgesprochen national. Ich verdiene Geld, damit nütze ich auch meinem Lande. Vielleicht werde ich sogar noch steuern müssen. Wo das Ganze Not leidet, muß der einzelne Opfer bringen.«

»Oh!« schwärmte die Dame. »Das sagen Sie auch im Radio. Sie verstehen zu bluffen!«

»Ich bin gegen Reklame«, sagte Kobes, völlig überzeugt.

»Oh!« – und der Dame blieb denn doch der Mund offen.

»Ich bluffe nicht. Ich bin ein einfacher Mann, ich habe einfache Gedanken.«

»Ich träumte von Ihnen, Mister Kobes!« rief die Dame. »Aber so schön habe ich Sie nicht geträumt. Wie? Sie tun es nicht mit Absicht? Sie wissen gar nicht, wer Sie sind? Haben Sie auch nur zehn Cents für die tuberkulösen Kinder gegeben, die Ihr Werk sind? Ich möchte Sie küssen!«

»Nehmen Sie sich in acht!« sagte der Gatte schonend. Kobes wich zurück. Er sah an sich nieder, ob ihm etwas passiert sei. Die Dame sagte: »Bei uns sind wir auch reich, aber das Volk ist darum nicht besonders arm. Was haben wir also davon. Was hat man vom Reichtum, wenn er keine Sünde ist! Sie aber sind nun schon reicher als sogar wir, und das in dem ärmsten Volk der Welt. Sie wissen, was Lebensgenuß ist!«

Selbst der Gatte kam in Begeisterung. »Auch noch die Bahnen!« brüllte er. »Dann sind Sie so weit, daß Sie das ganze Deutschland auf Zero setzen können. Der Bankier zahlt den Gewinn in Dollars aus. Glücksjunge!«

Von Kobes lief es ab, er stand in Trauer da und mißbilligte. »Glauben Sie an den Teufel?« fragte die Dame. »Wenn ich ihn sähe, hätte ich meinen verlorenen Kinderglauben zurück.«

Hier entschied Kobes sich: es war mit der Dame nicht richtig.

»Und jetzt sehe ich ihn«, erklärte die Dame bestimmt. Der süße Schauder schlug ihr die Zähne aufeinander. »Nehmen Sie sich in acht!« rief der Gatte, indes Kobes schon hinter dem Tisch war. Aber die Dame hatte die Nerven wiedergefunden. Sie sagte vollkommen nüchtern: »Mister Kobes, ich liebe Sie.«

Da ward die Trauer Kobes' zu offenem Entsetzen. »Im Beisein Ihres Mannes?« stammelte er. »Eine Erklärung?«

»Wir sind so«, sagte der Gatte nicht ohne Stolz. »Was unsere Damen wollen, daran tippen wir nicht. Sonst ist man kein Gentleman. Meine Frau will mit Ihnen schlafen, Mister Kobes. So ist es.«

Dem begehrten Mann klappte der Kiefer herunter. Seine Arme hingen bis auf den Boden. »Wie komme ich dazu?« murmelte er. »Ich bin Familienvater.«

»Sie sind von allen der größte Schurke, Mister Kobes«, erklärte die Dame. »Darum gefallen Sie mir.«

»Ich?« rief Kobes, und Entrüstung färbte sein Entsetzen. »Mit meiner Achtung vor Familie und Moral? Nie!«

»Dann machen Sie aber das Geschäft nicht«, sagte der Gatte. »Denn ich darf mit Ihnen nicht abschließen, außer Sie schlafen mit meiner Frau.«

»Untragbar, es droht Zusammenbruch«, stöhnte Kobes, rang die Hände und brach im Sessel zusammen.

»Nun müssen Sie sich entschließen.« Der Gatte zog die Uhr. Die Dame fragte: »Wird es Ihnen wirklich so schwer, Mister Kobes?« Sie bog sich vor und zurück, sie machte Shimmyschritte, sie girrte wie die Königin von Saba. »Wird's bald?« girrte sie. Der Gatte gluckste, die Hand vor dem Mund. »Sonst mache ich das Geschäft nicht«, brachte Kobes aus ringender Brust. Irre Gier, er ließ das Lokomotivchen laufen. »Untragbar«, wiederholte er sterbensbleich und stand auf. Hier erscholl vom Himmel eine große Stimme: »Kobes schlemmt nicht, Kobes säuft nicht, Kobes tanzt nicht, Kobes hurt nicht –.«

Der Gatte sah hinaus. Schichtwechsel: drunten zogen zwei Ströme Arbeiter unabsehbar aneinander vorbei. Die Radiostimme rief ihnen aus rot durchlohter Himmelshöhe zu, was sie hören sollten: »Kobes hurt nicht –.«

Der Gatte sah sich um. Kobes in seiner ungebügelten Trauergestalt stand stumm gebeugt vor der Dame. »Also los«, seufzte er. Sie sagte: »Auch tanzen müssen Sie, Mister Kobes« – und drehte ihn herum zu dem Getön der Radiostimme: »Kobes arbeitet zwanzig Stunden am Tag.«

VII

Als die Tür jäh aufgerissen ward, fehlte wenig, daß der kleine Mann in den Abgrund stürzte. Sie sahen aber, daß das Wartezimmer nicht da war, und schlossen, ohne sonst etwas zu sehen, die Tür, bis es heraufkäme. Es kam; aber wie sie es öffneten, fiel der Dame, die eintreten wollte, der Kobessche Sekretär an die Brust. Er rutschte leblos an ihr entlang und schlug nochmals auf. Er hatte sich, da seine Laufbahn beendet schien, den letzten Schuß aus seiner Waffe versetzt. Er blutete wenig und war leicht wegzuräumen. Während die Gatten zu ihm einstiegen und Kobes nachwinkte, gelangte der kleine Mann unbemerkt ins Zimmer.

Seine Nerven waren gestählt durch die Prüfungen der vergangenen Stunde. Mitten in Schwindel und Schweißausbrüchen der Lebensgefahr hatte er zu fühlen bekommen, daß er dennoch stärker sei als die Mächtigen. Er war Ohrenzeuge ihres Elends geworden, er, den nichts Menschliches in Versuchung führte! Was vermochte denn gegen ihn jener Kobes! – So sicher fühlte der kleine Mann sich an der Schwelle des furchtbaren Abgrundes. Kaum aber ins Zimmer geborgen, verlor er den Glauben. Konnte es ohne Katastrophen abgehen, mit einem so reichen Mann im selben Zimmer?

Rückkehr Kobes'. Wie durch den Staub geschleift, ein armer Überrest. Streit von Begier und Vorurteil hatte diese große Kraft erschüttert! Hatte seine Knochen verrenkt, sein schlichtes Kleid zu Fetzen zerknüllt. Sein Gesicht war lang, und unwillkürliche Zuckungen kräuselten es. Als er einen Menschen im Zimmer erblickte, rief er: »Helfen Sie mir!«

Der kleine Mann, dies hören und vor Schreck mit dem Gesicht zucken um die Wette mit Kobes. So standen sie, einer bedürftiger als der andere. Der zu große Philosophenkopf durchschaute es zuerst, er richtete sich auf am Wissen. »Kobes«, sagte er, »Sie stehen an der Schwelle furchtbarer Abgründe. Unweigerlich reißt Sie hinein die Wut einer Leidenschaft, die Sie diesmal nicht anders als mit Verlust Ihrer bürgerlichen Ehrbarkeit stillen können. Sie sind der tragische Mensch, Kobes! Begabt mit Habgier, der einzigen unter allen Leidenschaf ten, die berechnet, nicht verschwendet, sehen Sie sich plötzlich vor der Notwendigkeit, ihr opfern zu müssen, was Sie waren, den Ehemann, Vater, die sittliche Persönlichkeit. Und Sie wollen Hilfe?«

»Wer sind Sie?« fragte Kobes endlich. Da der kleine Mann nur auf seine gewaltige Stirn hinwies: »Leben Sie davon?« Versuch, sich schadlos zu halten an der wirtschaftlichen Unterlegenheit des Mahners; der kleine Mann durchschaute auch dies. Er lächelte erhaben. »Ich heiße Sand. Nicht Kant. Nur Sand. Ich bin trocken und unfruchtbar, aber beweglich – und bewahre keine Spur.« – »Was soll ich davon haben?« fragte Kobes, wieder auf begangenem Weg.

Der kleine Mann faßte Fuß. Er nahm den Stuhl nicht, nach dem Kobes winkte. Er faßte Fuß und sprach mit Sprechtechnik: »Ich biete Ihnen unerhörte Gewinnchancen. Sie werden in den Stand gesetzt, die neue Religion, nach der unser ganzer Erdteil in furchtbaren Zuckungen ringt und die Sie auf radiotelegrafischem Wege Ihrer Kundschaft vorankündigen, sofort greifbar zu machen, ja, ohne weiteres in Betrieb zu nehmen.«

»Welche neue Religion?« Kobes spielte den Unbeteiligten. »Den Kobesmythos«, erklärte jener. Worauf Kobes: »Ich bin gegen Reklame.«

»Sie sind nur gegen Bezahlen«, sagte der kleine Mann ungeduldig. »Gegen Reklame sind Sie mitnichten. Denn Ihr Kredit lebt von Reklame, und Sie leben auf Kredit. Wollen Sie vernünftig sein? Oder ich gehe und überlasse Sie mitleidslos den Schuldforderungen Ihrer unerbittlichen Ausländerin. Sie sind zahlungsunfähig.«

»Helfen Sie mir«, stammelte Kobes, seinem schlechten Gewissen zurückgegeben. »Wie kommt die Religion zu der Dame?«

»Bieten Sie mir Gegenwerte, wenn ich den Kobesmythos groß aufziehe, und ich erledige gleichzeitig die Dame. Diesmal unblutig. Sie können die deutschen Reichseisenbahnen in Ihre Hand bekommen, ohne daß Sie je in Ihrem Leben von der Dame und ihren Schrecken noch werden hören müssen.« – »Ist das kein Schwindel?« pfiff Kobes ganz oben. »Geben Sie Unterlagen!« Er lehnte es ab, auch nur ein weiteres Wort zu hören ohne fertige Unterlagen. Der kleine Mann aber konnte sich von dem Glück des Forschers nicht trennen, er plante noch schmerzhaftere Eingriffe seiner Seelenbehandlung gegen den großen Kobes. Er warf umsichtige Blicke. »Sind wir tatsächlich allein? Ihre technischen Mittel könnten reichhaltiger sein, als ich weiß.« Kobes in Person mußte ihn über jeden Millimeter Raumes eingehend beruhigen. Als auch die unscheinbarste geheime Vorrichtung ausgeschlossen schien, sagte der kleine Mann kalt: »Hier ist ein versiegelter Umschlag, er enthält meine Erfindung. Sie haben das Recht, den Inhalt zu lesen, sobald Sie diesen Vertrag unterschrieben haben. Der Vertrag bestimmt, daß ich an die Stelle meines Chefs rücke.«

»Wie?« pfiff Kobes. »Sie sind Hilfsarbeiter im Rayon für Propaganda?«

»Durch den Vertrag werde ich Generalvertreter des Kobesmythos. Täuschen Sie sich nicht: damit sind Sie und Ihre gesamten Unternehmungen mir ausgeliefert. Ich mache den Gott und kann ihn stürzen. Ein gestürzter Gott ist pleite.«

»Und Sie haben die Stirn«, pfiff Kobes, »als mein Angestellter mir ein Geschäft anzubieten! Her mit dem Brief und hinaus!«

Der kleine Mann, mit der Hand in der Hosentasche: »Was ich herausholen werde, falls Sie nicht anständig sind, Kobes, wird Ihnen nicht gefallen.« Worauf der Reiche zähneklappernd zurückwich. »Wenn Sie durch die Tasche schießen«, lallte er, »man hört es. Sie haben den Sendeapparat nur nicht gefunden … Vorsicht! Sie fallen in den Schacht!« rief er – was sich als List erwies. Denn wie der andere umsah, wollte Kobes über ihn her. Der kleine Mann bog aber rechtzeitig aus. Die Vertragsgegner standen und bliesen einander an.

Kobes beruhigte sich zuerst. Ihm war eingefallen, besiegt sei er schon manchmal gewesen, aber nie für lange. Seine Rache kam von selbst, denn seine Kraft sammelte Rückhalte, wenn der Feind schon nichts mehr hatte. Er konnte Niederlagen einstecken und warten. »Also los«, sagte Kobes. »Wo wollen Sie die Sache besprechen? Bestimmen Sie selbst!«

»Im Wartezimmer. Aber zuerst Ihre Unterschrift!«

Der eine mit seiner Unterschrift, der andere mit seinem versiegelten Angebot, betraten sie das heraufgeholte Wartezimmer. »Wir fahren so lange auf und nieder«, sagte der kleine Mann, »bis wir einig sind. Sie dürfen den Brief mit greifen, ich den Vertrag.«

»Sie haben mehr Geschäftssinn, als zu erwarten war«, sagte Kobes unter schnellem Seitenblick und einem Lächeln, das harmlos sein wollte.

So fuhren sie denn auf und nieder. Geschäftlich stark interessiert auf und nieder. Persönlich in Atemnähe auf und nieder. Auf Mord ineinander verbissen immer im Schacht auf und nieder.

VIII

Volkshaus. Abend einer Vorführung, nur Gerüchte wußten, was kommen sollte. Zahllos die Arbeiter samt Nachwuchs, endlich schätzten sie richtig das Glück, vom Werk unterhalten, belehrt, gerührt, geneckt zu werden. Welt und Werk als Einheit hingestellt zu bekommen; als Menschen zu verschwinden im Werk. Die menschliche Übereinstimmung zwischen Leitung und Masse, im frühen patriarchalischen Zustand von selbst gegeben, fand sich auf der bisher höchsten Stufe wieder. Die Seele des Arbeiters ward erfaßt. Vorbei die Zeit untiefen Materialismus. Propaganda ist wesentlich Anerkennung der Seele, ihre Erfassung zum Zwecke größerer menschlicher Ergiebigkeit.

Auffallend war nur das Fehlen des Chefs der Propaganda. Sein Untergebener, der zu große Philosophenkopf, ward ausführlich in Arbeit genommen von dem schönen schlanken Jüngling mit dem Haifischmaul. »Sie scheinen den General hier zu vertreten. Von uns anderen Rayonchefs weiß keiner, was seit drei Tagen aus ihm geworden ist. Beunruhigende Auslegungen tauchen auf …« Worauf der kleine Mann sich in Wolken hüllte. Er wisse von einem Urlaub seines Chefs, sonst nichts.