Nowgorodfahrer - Heinz-Jürgen Zierke - E-Book

Nowgorodfahrer E-Book

Heinz-Jürgen Zierke

0,0

Beschreibung

Die Hansen im Kriege mit König Erich von Dänemark. Der Bote des mächtigen Lübeck will Stralsund bewegen, größere kriegerische Anstrengungen zu unternehmen, begegnet dort aber geheimen Vorbereitungen zu einem lukrativen Sonderfrieden. Der Bürgermeister wird Arnd Hidding, seinen Pflegesohn und Geschäftsführer, an den dänischen Hof entsenden, doch es wird Verrat und Brand geben. Vorerst ist Arnd aber noch im Peterhof, der deutschen Niederlassung in Nowgorod, er liebt die schöne Natalia, hat in dem Pelzhändler Bulgrin einen Freund gewonnen, vor allem will er seinen Lebensplan verwirklichen: er hat in Flandern Manufakturen gesehen ... 15. Jahrhundert, die dänische Residenz, das fremde Nowgorod, die Stadt Stralsund: von inneren Unruhen geschüttelt und regiert von einem Bürgermeister, der alles in allem ein Kaufmann ist.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 542

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Heinz-Jürgen Zierke

Nowgorodfahrer

Historischer Roman

ISBN 978-3-95655-282-3 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1973 im VEB Hinstorff Verlag Rostock.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Jehann Latermann, Kaufherr aus Lübeck, war mit seinen Begleitern, vier bewaffneten Knechten, zu früher Stunde aufgebrochen. Er erreichte die Stadt am Sund, als die fahle Wintersonne eben die steilen Gipfel der Giebelhäuser erklommen hatte und nun ihre bleichen Strahlen über die dunklen Mauern hinweg auf die mit einer dünnen Eisschicht bedeckten Teiche warf. Über den schmalen Damm pfiff der eisige Nordwind. Der Herr drückte die Kappe aus Marderpelz tiefer in die Stirn; er war froh, dass er seiner Hausfrau zum Trotz den Reisemantel aus robustem englischem Tuch angezogen hatte, der innen mit weichem Lammfell gefüttert und außen mit Schönwerk verziert war. Die Knechte bliesen sich ihren warmen Atem gegen die kalten Nasenspitzen.

Die Reiter froren um so mehr, als die ersten Wochen des Jahres 1428 mild gewesen waren, so mild, dass See und Buchten eisfrei blieben und Schuten und Kreier schon die Küstenschifffahrt aufgenommen hatten, wogegen die größeren Koggen und Holke noch immer in der Winterlage ruhten, wie es die hansische Tagfahrt beschlossen hatte.

Der Torwächter rieb sich mit dem Knöchel einen Rest Schlaf aus den Augen. Er fragte umständlich nach dem Wohin und Woher, nach Namen und Begehr und öffnete endlich, nachdem er die Hände mit schmutzigen Lappen umwickelt hatte, die die Haut vor der Kälte des eisernen Riegels schützen sollten, die breiten Torflügel.

Stille empfing die Ankömmlinge, eine unheimliche Stille. Latermann reckte verwundert den Kopf aus dem Kragen. Die Straße, die doch zum Markt führte, lag öde und verlassen da wie am Sonntag während der Frühmesse; nicht einmal Kinder tollten umher, und kein Bettler streckte dem fremden Herrn seine gichtige Hand entgegen. Dabei hatte Herr Jehann vor einer guten halben Stunde noch gemeint, der Wind trüge ihm von der Stadt her Glockengeläut zu. Es war kein feierlich bedachtsames Läuten gewesen, wie es die Bürger zum Gottesdienst rief, sondern ein dumpfes Gedröhn gleich einem fernen Gewitter und dazwischen ein aufgeregtes Gebimmel wie Hagelschlag auf ein Kupferdach. Und nun diese Stille! Als der Trupp in die Breitschmiedstraße einbog, sprengte ein Reiter, den kurzen Spieß quer über den Sattel gelegt, so nahe an ihnen vorüber, dass der Schaft der Waffe sich im Riemenwerk des Packpferdes verhakt hätte, hätte sein Führer das Tier nicht mit einem kurzen Ruck zur Seite gerissen. Der Stadtknecht schaute sich nicht einmal um. Herr Latermann war hochgefahren und hatte nach der Peitsche gelangt, aber der Reiter war schon davon. Wirbelnde Hufschläge türmten eine Mauer von Staub und Schmutz hinter ihm auf.

Der Kaufherr ließ sich in den Sattel zurücksinken. Diese Stadt ist mir immer unheimlich gewesen, dachte er, hinter ihren sumpfigen Tümpeln trotzt sie Gott und der Welt; das Rathaus sieht aus, als wollte es den Himmel zersägen, und die Kirchen schnellen ihre spitzen Türme als Pfeile gegen die Heiligen.

Der Markt, sonst an Wochentagen voller eiliger, lärmender, kaufender und verkaufender, anpreisender und jammernder, staunender und schimpfender Menschen, lag verödet, die Stände waren fortgeräumt, die Buden verschlossen, der Zugang zur Kirche versperrt, die Gewölbe des Rathauses, die die Hallen und Lauben der Tuchmacher und Gewandschneider, der Krämer und Knochenhauer beherbergten, mit schweren Balken verriegelt. Doch mitten auf dem Markt, nur drei Schritt vom Brunnen, stand ein ungefüger Holzklotz - wie geschaffen zum Richtblock. Sollte auch hier wie in Wismar und Rostock ...?

Latermann steckte den Finger in den Kragen, bot der kalten Luft den schweißnassen Hals und war froh, als der kleine Trupp am Eckhaus hielt und der Knecht herantrat, um dem Herrn aus dem Sattel zu helfen, während ein anderer den schweren Klopfer gegen die eichene Tür schlug.

Der Bürgermeister Claus von der Lippe stand mitten in der geräumigen Diele vor dem Hausbaum, der, mit geschnitzten und eingebrannten Ornamenten geschmückt, die hohe Decke der Halle zu tragen schien wie Atlas das Himmelsgewölbe. Herr Claus hielt den Kopf etwas gesenkt, als schaute er auf den kleineren Gast herab. Doch es war das Alter, das ihn zu dieser eigentümlichen Haltung zwang: das eckige Kinn war nach links geruckt, wobei der schüttere Bart den stämmigen Hals nur halb verdeckte, die Mundwinkel verzogen sich, als steckten sie voller Spott, das Lid des rechten Auges hing weit über den Augapfel, von dem nur ein schmaler Streifen Weiß sichtbar blieb und das tiefdunkle Rund der Pupille. Wer den Mann nicht kannte, mochte meinen, er wollte seinem Gegenüber zuplinkern, um ihm einen derben Schwank zu erzählen. „Gilt der Besuch dem Kaufherrn oder dem Bürgermeister?", fragte er leise, obwohl niemand im Raum war als die alte Magd, die auf einem Brett zwei zinnerne Becher und einen Krug angewärmten Bieres hereinbrachte.

„Ich komme sowohl zum Herrn dieses Hauses als auch zum Herrn dieser Stadt." Latermann neigte die Stirn, nur ganz wenig, wie um anzudeuten, dass die Bürger des Hauptes der Hanse nicht geringer seien als die Glieder der Geschlechter in den anderen Städten.

„Einen Herrn der Stadt gibt es nicht." Lippe wischte mit einer harten Handbewegung die Schmeichelei fort.

Jetzt erst fiel dem Gast auf, dass ihn Lippe nicht in einem bequemen Hauskleid empfing, sondern mit einem Lederkoller angetan war, der der hohen Gestalt des hageren Alten etwas Massiges gab; sogar die Schienbeine waren mit breiten Lederstücken umgürtet. Als er den Besucher zu dem gepolsterten Lehnstuhl geleitete und sich selbst dazusetzte, legte er auf einen Schemel neben sich das kurze Einhandschwert. „Verzeiht, ich bin auf friedliche Geschäfte und auf Empfang von Gästen nicht eingerichtet."

Latermann sah sich um. Wohin hatte die Magd den Pelz gehängt? War es nicht klüger, die Stadt noch in dieser Stunde zu verlassen und weiterzureisen nach Greifswald? Der Pöbel in seinem Zorn fragte nicht lange, ob der Herr ein Einheimischer war oder aus Lübeck kam, aus Köln, Aachen oder gar aus dem fernen Rom. Wer einen pelzbesetzten Rock trug, musste um seinen Kragen fürchten.

„Bleib nur sitzen, Freund!" Lippe zog das Gesicht noch schiefer. „Du bist nicht in Rostock und nicht in Wismar. Noch kann mein Arm das Schwert führen. König Erich hat sich verrechnet. Wenn heute die Wände unserer Häuser vor Lärm erbeben, so wird die Ursache nicht der Jubelschrei der Aufrührer sein, sondern ihr Klagegeheul."

Seit Jahren lagen die Städte in Fehde mit dem nordischen Großreich. Erich von Pommern, König von Dänemark, Schweden und Norwegen, bestrebt, seine Macht zu stärken und das Monopol der Hanse zu brechen, stritt um das Herzogtum Schleswig. Allzu nahe würde er den Lübeckern und Hamburgern an die Stadtmauer rücken. Und als er gar den Holländern und Engländern den Zugang zur Ostsee gestattete und ihren Handel förderte, während er die hansischen Privilegien in Schonen beschnitt, hatten sich die Städte mit Herzog Heinrich von Holstein, der wie Erich Ansprüche auf Schleswig erhob, verbündet und dem König ihre Fehdebriefe geschickt. Freilich ließ sich der Krieg schlecht genug an; nur die Städte des wendischen Viertels und einige pommersche rüsteten ihre Schiffe; die sächsischen steuerten keinen einzigen Mann bei, nicht einmal eine Handvoll Silber. In den preußischen und livländischen Städten fanden die lübischen Sendeboten erst recht verriegelte Rüstkammern und verknotete Stadtsäckel. Als gar der Sturm auf Flensburg missglückte, schlugen die Hamburger ihrem Bürgermeister den Kopf ab. Die städtische Flotte, die Kopenhagen angriff, wurde in den seichten Gewässern von den Dänen so hart bedrängt, dass Tidemann Steen, Lübecks Bürgermeister, die Ruder herumwerfen ließ und die wertvolle Baienflotte, mit Salz für Livland und Russland beladen, dem Feind in die Hände fiel. Herr Tidemann büßte dafür im Kerker. Die Stralsunder freilich hatten nicht mitgefochten. Ihre Schiffe hätten den Kampfplatz nicht zur rechten Zeit erreicht, hieß es, aber man flüsterte hinter der hohlen Hand, die Stralsunder hätten sich mit Willen versegelt, denn Herzog Barnim von Barth, der Vetter des Königs, hatte die dänische Flotte befehligt, und die Sundischen wollten sich nicht ohne Not mit ihrem Landesherrn anlegen. Auch Jehann Latermann glaubte diesem Gerücht, aber er hütete sich, es auszusprechen. Das Haupt der Hanse konnte es sich nicht leisten, sich mit seinen Gliedern zu entzweien.

Nein, man hatte keine Freude am Krieg in den Städten, auch in den wendischen nicht. Die Kaufleute mochten am Jahresende keine Rechnung aufmachen, die Böttcher klapperten mit Dauben und Reifen, die Heringspacker lungerten vor den Badestuben herum, denn sie hatten nicht den Pfennig für das Wasser, die Brauer tranken ihr eigenes Bier, nur die Schiffbauer hatten, bessere Tage, denn was die Dänen und ihre Auslieger an Koggen und Holken, Schuten und Schniggen auf den Grund der Ostsee sandten, musste ersetzt werden, solange sich noch jemand fand, der einen Beutel Silber für ein neues Schiff anzulegen wagte. Die Zünfte bleckten, wie immer in schweren Zeiten, die Zähne, bellten die Geschlechter an, bissen um sich, und in Rostock und Wismar hetzte die Meute die Ratsherren. Blut war geflossen, Ratsherrenblut. Nun auch hier in Stralsund?

„Die Weisesten der Stadt Lübeck", hob Latermann an, denn er sah seinen Gastgeber in Eile, und es erschien ihm untunlich, die kostbare Zeit mit langen Reden zu vergeuden, „die Herren sind in Sorge um die Fortführung des Krieges. Nicht dass sie Erichs Macht fürchteten, aber allzu große Lässigkeit der Rüstungen in den Städten ..." Er stockte, als er bemerkte, wie sich Lippes Brauen zusammenzogen. „Die Bürger sind ungeduldig ... Wenn der Krieg voranstürmte wie eine Herde Hengste, hätten die Reiter Mühe, sich im Sattel zu halten, aber der Kutscher einer Bauernkarre, die mit knirschenden Achsen durch den Sand kriecht, hat Zeit zum Grillenfangen ..."

Die Eichentür flog auf. Ein Windstoß fegte den Staub von dem gefliesten Boden des Eingangs, fuhr Herrn Jehann in den Kragen und fachte das Holzfeuer im Kamin zu heller Lohe an. Lippe schob den Zinnbecher so hastig fort, dass das Bier überschwappte, und sprang auf, ohne jedoch nach dem Schwert zu greifen. Unwillkürlich rückte Latermann seinen Stuhl hinter den schützenden Hausbaum.

„He, Hidding, treibt dich der Teufel!"

„Ist er fort, Herr? Wirklich fort? Es ist so still in der Stadt. Die Ohren schmerzen einem davon. Oder kommt das vom Wind? Ist Arnd wirklich fort, gerettet?"

„Du siehst Hidding, ich bin beschäftigt. Geh schon! - Sie haben vor Mitternacht Steinort passiert. Leg dich aufs Ohr, es ist heut vorteilhaft, den Kopf in die Daunen zu graben."

„Heut nacht träumte ich, Herr, ein Kuckuck flog über den Neuen Markt, vom Schuhhaus hinauf zu den Rüststangen am Marienturm, mitten im Winter, ihr Herren, denkt nur! Und von oben ruft das Biest dreimal kiwitt, wie der Totenvogel. Kiwitt! ruft der Sperber, wo hat einer das gehört, und mitten im Winter! Und wie ich am Morgen die Luke aufstoße, fährt mir der Wind in den Bart. Der Kuckuck, denke ich, mitten im Winter! Von Nordost bläst es. Wer kann gegen den Wind segeln?"

Die Hände des Mannes, der doch gut zwanzig Jahre jünger war als der Bürgermeister, aber schon gebückt ging, weil er sich, um Geld für die Träger zu sparen, an einem Heringsfass verhoben hatte, die von der Salzlake ausgelaugten Hände zerrten am Rock, als wollten sie die Bändsel aufknoten, aber sie bekamen sie nicht zu fassen, so zitterten sie. „Wenn du es sagst, Herr Claus, wo doch dein Neffe mit unter Segel ist. Ich wollte selbst hinunter zum Hafen, aber es ist so still in den Straßen. Und dann der Kuckuck, mitten im Winter!"

Der alte Hidding wandte sich zur Tür, kam aber noch einmal zurück und streckte die zitternden Hände vor. „Mein Sohn, fremder Herr, ein kluger Junge und gelehrt, in seinen Kopf geht mehr hinein als in den Bauch einer Schute. Herr Claus schickt ihn in die fernsten Länder, wo die Heiden wohnen mit den geflochtenen Bärten. Nur etwas unbedacht, wie so ein junger Mensch ...“

Lippe schob ihn zur Tür hinaus.

„Mitten im Winter ...“

Das schmiedeeiserne Schloss schnappte ein, das Kaminfeuer fiel in sich zusammen, aus den verglühenden Scheiten stieg beißender Qualm. Die Alte stocherte in der Glut, bis die grauen Wolken in die schwarze Esse hinaufstiegen.

Lippe setzte sich, die Beine weit vorgestreckt, langte nach dem Becher und tat einen tiefen Zug. „Ein Krämer, wisst Ihr, der den Ehrgeiz hat, aus seinem Sohn einen Herrn zu machen. - Tatsächlich ein begabter Bursche, der Junge. Leitet mein Kontor. Klug, willig, ehrlich. Kein Täuscher noch ein Knapser. Schlägt mit Ehrlichkeit aus einer Mark Silber anderthalb. Wollte Gott, ich hätte einen solchen Sohn!" Latermann, immer wieder Atem holend und doch nicht zum Sprechen gekommen, nutzte den Augenblick, in dem Lippe den Becher zum Munde führte. Seine Frage klang scharf: „Ihr habt eine Kogge in See geschickt?"

Lippe schob den Ärmel hoch und wischte mit dem Handrücken den Bierschaum aus dem Bart. „Eine? Zu gefährlich. Ein ganzes Geleit, das sich der dänischen Auslieger wohl erwehren kann."

„Mitten in der Winterlage?"

„Nicht mitten, gegen Ende. - Ein sehr milder Winter. Die Ostsee ist seit Wochen eisfrei. Es wäre eine Sünde, die Gabe Gottes nicht zu nutzen."

Latermann wollte etwas erwidern, aber Lippe ließ ihn nicht dazu kommen. „Übrigens zwingen mich Umstände, die du am Abend besser verstehen wirst als zu dieser frühen Stunde. Euer Wohl!"

„Gegen den Beschluss des Hansetages? Wie wollt Ihr das verantworten, Ihr und Eure Stadt?"

„Wollt Ihr's dem hochweisen Rat zu Lübeck hinterbringen? Ihr werdet ein ‚Vergelt's Gott!' dafür einstecken. Aber ich? Meine Läuse beißen Euch nicht. Freilich, Ihr möchtet Euern Hintern im weichen Ratssessel wärmen. Meint Ihr wirklich, Jehann, dass man Euch noch ein Kissen unterschiebt? Ein williges Pferd stelle ich nicht in den Stall, ich spanne es vor den Wagen, bis es zusammenbricht. - Krämer rechnen nach Lot und Unzen, wir Kaufleute nach Last und Schiffspfund. Wer in den Rat will, braucht Freunde, gewiss, aber nicht nur in seiner Stadt. Was helfen drei oder vier günstig gesonnene Ratsherren, was ein oder auch zwei Bürgermeister? Wenn du vor das Tor trittst und deine Augen aufhebst, siehst du den Wetterhahn auf der Turmspitze. Er kräht immer in den Wind, wie er sich auch dreht. So ist ein Mensch, ein einzelner. Aber Städte, die stehen fest, trotzen dem Sturm. Ratsherren sterben, auch Bürgermeister. Aber hast du je gehört, dass eine Stadt zerfiel, eine aus Stein gebaute Stadt? Genug, ich will dich nicht mit Sonntagspredigten langweilen. Reden wir von Geschäften! - Wie ich Herrn Jehann kenne, beherbergt der Speicher über seinem Haus in der Buttergasse ein wohlsortiertes Lager flandrischen Tuches. Das lange Lagern stumpft die Farbe und mürbt den Faden. Und wenn sich der Krieg, wie Ihr sagtet, dahinschleppt wie ein schwerfälliger Bauernkarren, müsst Ihr die Luken noch lange geschlossen halten. Das kräftige grüne Tuch aus Ypern? Ich wüsste Verwendung dafür. Im Preis müsst Ihr freilich nachlassen. Der Krieg! Wer hat noch gutes Geld! Und das Risiko: Dänen, Auslieger, schwedische Freibeuter. Schlimme Zeiten!"

Latermann erhob sich zornig. Seine Stimme flatterte, und er presste die Nägel in die Handballen. „Herr Claus, ich komme im Auftrage ..."

Lippe sprang ebenfalls auf, und der verstummende Latermann kam sich plötzlich klein vor. Er wollte sich straffen, als ihn der Stralsunder aber von oben ansah, fielen seine Schultern wieder zusammen. „Eure Botschaft ist für den Rat bestimmt. Hier ist eines Kaufmanns Haus. Begeben wir uns an die Geschäfte! Bitte, dort ist meine Schreibkammer."

Latermann hatte das Gefühl, dass ihm die Knie wegknickten. Hastig griff er nach dem Tischrand, und erst als er Lippes kalten, strengen Blick spürte, richtete er sich auf, dass ihm die Rückenwirbel knackten.

Hufgeklapper, Waffengeklirr, lärmende Stimmen, knappe Befehle. Lippe fasste sein Schwert. Latermann hielt sich stöhnend die Seite. Die alte Narbe, die aus dem Bergener Spiel stammte, begann zu zucken und zu stechen. Er suchte sein Wehrgehänge, aber er hatte es mit dem Mantel abgelegt.

„Es gilt nicht Euch", beruhigte ihn Lippe und winkte der Alten, die einen Korb Holzscheite zum Kamin trug. „Führ den Gast in die Oberstube vor dem Fenster mit den kleinen Scheiben. Herr Jehann soll sehen, wie man am Sunde mit Aufwieglern verfährt."

Und dann begannen wieder die Glocken zu dröhnen, dumpfe, hallende Schläge, ungeheuer laut, das ganze Haus bebte, die Mauern wankten. Herrn Jehann stockte der Atem. Er wollte sich ducken vor dem Gedröhn, das von schräg oben auf ihn herabfiel. Seine Hände umklammerten das Geländer. Er schaute auf zu dem Hausbaum, der in die Höhe ragte. Der stand fest und gerade. Oder schwankte auch er? Stieß nicht die Weihe, die in grauen Farben auf das dunkle Holz aufgetragen war, herab auf Herrn Jehann? Die kleine Glocke bellte schrill, die Becher auf dem Tisch stimmten scheppernd ein, tanzten nach dieser Höllenmusik.

„Kommt, Herr!", brummte die alte Frau.

Claus von der Lippe ritt durch die Straßen. Ein Dutzend Stadtknechte folgte ihm. Den Lübecker, dessen Auftrag und das Geschäft, hatte er vergessen. Er dachte an Notwendiges, vergaß, was Zeit hatte. Nur nachts unter der Daunendecke und auch abends, wenn er im Lehnstuhl saß und in das Kaminfeuer starrte, überfielen ihn Gedanken, die er nicht denken, Träume, die er nicht träumen wollte; Menschen, die längst im Grabe moderten, sie haderten mit ihm, nörgelten an dem, was er getan und was er unterlassen hatte. Nachts.

Jetzt aber war Tag. Er flocht aus den Strahlen der Wintersonne Zügel für seine Gedanken. Die Tat brauchte ihren Mann, die Stadt ihren Herrn, und noch war er der Herr. Kerzengerade saß er und war doch an die Siebzig. Der Lübecker Sendebote mochte sich wundern, wenn er ihn so sah, wie er den Arm hob, mit der Spitze des Kurzschwerts auf ein Haustor zeigte. Zwei, drei Knechte sprangen von den Gäulen, warfen sich gegen die Tür, die aus den Angeln flog, riefen die Männer heraus, Meister und Knechte, zerrten die sich Wehrenden, stieben mit den Spießen, traten mit den Stiefeln nach Frauen und Kindern, die sich jammernd an die Väter klammerten, und trieben die Gefangenen die Straße hinaus zum Markt. Glockendonner verschlang Wehgeschrei und Flüche.

Nicht in jedes Haus schlug der Blitz ein aus Herrn Lippes Arm. Des Bürgermeisters Gedächtnis, durch ein langes Kaufmannsleben geschult, verwahrte Namen und Wohnplätze, die ihm seine Gewährsmänner in den letzten Wochen zusammengetragen hatten, und lenkte die Schläge.

Die ersten Aufwiegler hatte Lippe noch in der Morgenfrühe festsetzen lassen, sechs Brauer, angesehene Männer, die Köpfe der Verschwörung. Beim ersten Sturmgeläut hatten die Häscher sie aus den Betten geholt, und wenn die große Glocke von St. Nikolai zum dritten Mal schlug, sollten sie mit geschorenen Köpfen vor dem Richtblock knien. Lippe hatte genau gerechnet, das war er gewöhnt. Nicht eine Stunde zu früh hatte er losgeschlagen, erst als die Gegner die Messer in die Gürtel steckten, aber auch nicht eine Atemlänge zu spät. Schwer genug war es gewesen, die Freunde im Rat, die wenigen, denen er wahrhaft vertraute, bis zum rechten Augenblick zurückzuhalten. Was in Rostock und Wismar geschehen, hatte den Rat das Zittern gelehrt, nicht aber Claus von der Lippe. Für ihn lag ein größeres Gewicht auf der Waage als der Sitz im Rat und das bisschen Leben, das ihm noch blieb. Denn der hohe Bau seines Hauses wankte, die festen Ziegelmauern hatten es nicht vor aufrührerischen Gedanken geschützt. Arnd Hidding, sein engster Vertrauter, Leiter seiner Schreibkammer, und Gerwin, der Brudersohn, auch sie hatten die geheimen Zusammenkünfte besucht und unverständliche Reden geführt. Nun ja, Arnd war, obwohl sonst ein nüchterner Rechner, schon als Kind ein Fantast gewesen. Da träumte er nun davon, Stralsund als eine Stadt zu sehen, in der nicht nur der Handel, sondern auch das Gewerbe blühten. In anderen Zeiten hätte Herr Claus gedacht, Stralsund war nicht Flandern, die rügenschen Schafe trugen nicht die feine, feste Wolle der englischen, und die Finger der sundischen Tuchmacher waren zu steif, es mit den Webkünstlern aus Ypern, Gent und Brügge aufzunehmen. Und wozu auch? Stralsund war eine Handelsstadt, der Handel hatte es reich und mächtig gemacht, und die Gewerbe waren immer nur Diener des Handels gewesen. Die Stadt musste den Handel erhalten, damit der Handel die Stadt erhielt, alles andere war Dummheit, Kinderei. Wäre Arnd mit seinen Fantastereien nur zu ihm gekommen! Aber nein, er war damit in die Badestuben gegangen, zum Pöbel. Heutzutage stellte die Widerpartei jedes Wort, das sich gegen den Rat verwenden ließ, in ihre Rüstkammer. Gerwin aber war immer dort, wo es Tumult gab. Er besaß eine kräftige Stimme und überlegte nicht lange, wen er anschrie. Er war hinter Arnd her gelaufen, und was der geflüstert hatte, hatte er über den Platz geschrien. Vielleicht hatte man die beiden nur deswegen nicht in die geheimen Pläne der Verschwörer eingeweiht; man traute ihnen nicht, und so hatte Lippe sie retten können.

Retten? Hätte er zur unrechten Zeit zugeschlagen, auch sie wären getroffen worden. Dann hätte er den Arm ausstrecken müssen gegen sein eigenes Haus; die Knechte hätten seine Tür erbrochen, die Spieße gegen sein eigenes Geschlecht gekehrt, und Arnd ...

Er schwenkte in die Grützmacherstraße ein, in deren kümmerlichen Buden die Unzufriedenheit wucherte wie Schimmel auf abgestandenem Bier.

Nicht irgendwelche Gefühle waren es, nicht darum hatte er Arnd und Gerwin befohlen, fünf Schiffe auszurüsten, zu beladen, nach Greifswald zu segeln, wo zwei Koggen hinzukommen sollten, und lange vor dem Tag, an dem es die Hanse gestattete, auf große Fahrt nach Nowgorod zu gehen. Nicht Gefühle hatten ihn bewogen, meinte er, Familienbande waren ein morsches Seil, wenn es um das Wohl der Stadt ging. Er wäre der erste nicht gewesen, der Glieder seiner eigenen Familie dem Beil überantwortet hätte. Und Arnd Hidding war ihm nicht einmal verwandt, ein Krämersohn, ein Schreiber, im Grunde doch nur ein Knecht.

Er brauchte Arnd. Er war ein alter Mann, und wenn er sich auch noch kerzengerade auf dem Pferd hielt und sein Sinn so fest war wie die Grundmauern der Nikolaikirche, so wurde ihm doch der weitverzweigte Handel seines Hauses allmählich zur Last, zumal auch seine städtischen Obliegenheiten Zeit und Kraft beanspruchten. Wenn er Arnd nicht hätte! Sein Neffe Gerwin aber besaß nicht genug Verstand und Geduld, die Tugenden des Kaufmanns. Die Schreiber, die in seinem Kontor saßen, konnten ihre Zerter ebenso gut ausfertigen wie ein königlicher Sekretarius, aber Geschick für den Handel fehlte auch ihnen. Ein guter Kaufmann wird nicht angelernt, der wird geboren.

Und dann war da noch etwas, das hatte nun doch mit Gefühlen zu tun, aber das hätte Lippe nie zugegeben, nicht vor sich selbst und schon gar nicht vor seiner jungen Ehefrau Kunneke. Er hatte Arnd damals aufgenommen, weil der alte Hidding vor ihm auf den Knien gelegen und eine gute Rente geboten hatte, wie es üblich war. Aber der Junge hatte ihm dann mehr eingebracht als die paar Silberstücke alle Quatember. Er hatte Arnd einen Lehrer gegeben, einen Vikar von St. Nikolai, der auch Gerwin unterrichtete. Aber während dieser mit stumpfen Augen über dem Rechenbrett saß, klapperten bei Arnd die Kugeln, dass es sich anhörte, als ob ein Trupp Reiter über eine hölzerne Brücke sprengte. In der lateinischen Bibel las er bald wie ein Mönch. Auf Reisen, auf die ihn Herr Claus mitnahm, lernte er Dänisch und Englisch; er wusste italienische Briefe zu lesen und konnte sich gar, wohl der einzige Mensch in der ganzen Stadt, mit den Nowgoroder Russen in ihrer Sprache verständigen. Bald schon begleitete Lippe seinen Schüler nicht mehr. Größeren Gewinn als Arnd hätte auch er nicht erzielt. Kein Brabanter Tuchhändler übergab ihm je einen Ballen Tuch, der kürzer als fünfzig Ellen war, kein Russe dachte je daran, ihm verfälschtes Wachs oder verfärbtes Pelzwerk zu verkaufen, wie denn auch jedermann sicher war, von Arnd gute Ware und gutes Geld zu erhalten. - Claus von der Lippe, Kaufherr, Ratsherr, Bürgermeister, vielleicht der reichste Mann der Stadt, entsprossen einem der ältesten, vornehmsten Geschlechter, er hatte auf seine Art den Jungen lieb gewonnen.

Die Schärfe des vom Sund herüberwehenden Windes nahm zu, und nicht einmal die Kälte störte ihn. Er ließ die Zügel sinken, tätschelte der Stute die Ohren. Das Tier blieb stehen; aus den Nüstern stiegen graublaue Wölkchen, die der Wind sofort verwehte.

Der Trupp hielt, die Stadtknechte traten vor, rieben die Hände an den Hosen warm und fassten die Schäfte ihrer Waffen fester. Der Rottenführer setzte schon den Fuß auf die erste Stufe der ausgetretenen Steintreppe.

Doch Herr Claus hob den Arm nicht. Ein Prickeln kroch ihm den Rücken herauf, zog über den Nacken hin, setzte sich an den Haarwurzeln fest. Er schüttelte sich, hob den Kopf, rieb das Genick am Kragen, ein leises Brennen blieb, und der Bürgermeister fühlte sich plötzlich müde, sehr müde. Man müsste ins Haus treten, Mantel und Stiefel von sich werfen und sich aufs Bett sinken lassen, die Augen schließen, schlafen, und wenn man erwachte, das weiche Fell eines schwarzen Kätzchens streicheln oder einen strubbeligen Jungenkopf.

Die Knechte standen und harrten des Befehls.

„Genug", flüsterte er, und laut ordnete er an: „Lasst die Glocken schweigen! Genug, sofort aufhören, sofort!"

Drei Reiter jagten nach verschiedenen Richtungen davon.

Dem erschrockenen Rottenführer erklärte Lippe: „Zu Mittag sollen sie ihr Urteil haben."

„Noch haben wir nicht alle Straßen durchgekämmt, Herr, und wenn nur eine Laus entkommt, ist der Pelz bald wieder verfilzt." Mit einem leichten Klopfen brachte Lippe sein Reittier wieder in Schritt. Der Rottenführer hielt sich neben ihm.

„Du siehst die Welt nur durch die Visierklappe, Soldat. Es ist ein Unterschied zwischen Menschen und Läusen, im Guten wie im Bösen."

Der grobknochige Reiter zog die Nase kraus, wandte sich nach seinen Leuten um und spie verächtlich die Hauswand an.

Was ist mit mir? dachte Lippe, als die Glocken schwiegen. Bin ich zu alt für mein Amt? Mag ich dem Tod nicht begegnen, weil ich selbst dem Grabe nahe bin? Oder fürchte ich, dass die, die ich jetzt dem Schwert überantworte, mich dort droben vor den Richterstuhl zerren werde, Auge um Auge, Zahn um Zahn? Pfaffengeschwätz! Er wollte seine Grabkammer unter der Nikolaikirche mit einer Steinplatte verschließen, die schwerer als drei Anker wog. Oder fürchtete er sich vor dem Blut, weil er sich einen Augenblick lang vorstellte, nicht die Brauer, sondern Arnd Hidding legte seinen weißen Hals auf den schmutzig braunen Holzklotz und die gleißende Wintersonne spiegelte sich in dem erhobenen Richtschwert?

Ein Mönch in graubrauner Kutte, einen groben Strick um den Leib, trat aus einer der Lehmbuden. War nicht befohlen, dass jeder in seinen vier Wänden zu bleiben hatte? Eine schiefschultrige, dürre Frau lief ihm hinterherr, krallte die Hände in seine Schulter; er duckte sich, wollte sich losreißen, da gewahrte die Frau den strengen Reiter, ließ von dem Mönch ab und stieß einen schrillen Schrei aus. Erschrocken fuhr der Graue herum; das Käppchen rutschte ihm vom Kopf und trudelte in den Straßenkot.

Die spinnenfingrigen Hände der Alten reckten sich dem Bürgermeister entgegen. Die Stute scheute. „Verflucht sollst du sein, du und dein Haus!"

Der Rottenführer schlug mit der ledernen Schwertscheide zu, und niederstürzend spie ihm die Frau vor die Füße. „Verflucht sollst du sein, du und alles, was deine Hand berührt, verflucht in Ewigkeit!" Der Mönch beugte sich zu ihr nieder und erstickte mit seiner Kutte ihre Flüche. „Und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern!"

Claus von der Lippe, fahl im Gesicht, winkte dem Rottenknecht. „Ruft die Ratsherren zusammen! Noch vor dem Essen wollen wir sitzen und richten - mit hungrigen Mägen, dass wir schneller zu einem Spruch kommen, zu einem strengen Spruch."

Jehann Latermann stützte die Hand auf die Stuhllehne. Er bemühte sich, durch die kleine Scheibe - eine der wenigen des schmalen Fensters, die mit Klarglas versehen waren - zu erkennen, was auf dem Markt vorging. Er hatte Herrn Claus und die Knechte fortreiten sehen. Die Glocken dröhnten, die braunen und blauen Scheibchen klirrten in ihren Bleifassungen, und die Mauern bebten.

Er sah sich nach der alten Frau um, aber die war längst wieder die enge Stiege hinabgeschlurft. Sollte er nach ihr rufen, sie bitten, sich zu ihm zu setzen wie eine Mutter an das Bett ihres kranken Kindes? Ihn fröstelte. Sie waren früh aufgebrochen, bald nach Mitternacht. Der Schlaf fehlte ihm. Und das Lager im Hause des Ritters, der in Lübeck verschuldet war und sich der Stadt gefällig erwies, indem er die Landstraßen um Stralsund beobachtete und dem Haupt der Hanse berichtete, wie seine Glieder sich reckten, das Lager in dem festen Hause am Torfmoor war hart gewesen, Latermann hatte gehofft, sich in der Stadt von den Strapazen der Reise erholen zu können.

Stadtknechte trieben zwei nur halb bekleidete Männer quer über den Platz. Sie stießen sie mit den Spießen, schrien, aber das war nicht zu hören, nur zu sehen, und verschwanden mit ihnen in einer Seitenstraße. Für wenige Augenblicke blieb der Markt leer, dann wiederholte sich das Bild: Stadtknechte mit stoßbereiten Waffen, taumelnde Männer, mit Stricken gebunden. Auch eine Frau war darunter. Mit zusammengebissenen Zähnen ertrug sie die Schläge. Und schließlich brachen sie aus allen Straßen hervor, wurden in der Mitte des Marktes zusammengetrieben, von wütenden Knechten umstellt: meist ärmlich gekleidete Leute, manche trotz der Winterkälte nur im härenen Hemd, ohne Mütze, andere in warmen Röcken, einer in eine Pferdedecke gehüllt. Nur pelzbesetzte Mäntel fehlten. Ein junger Mann mit blutverschmiertem Gesicht brach in die Knie, erhielt einen Stoß, seine Gefährten fingen ihn auf, schleppten ihn weiter.

Jehann Latermann schrak auf. Schlug da nicht eine Tür? Im Hause? Schritte? Kamen die Häscher auch zu ihm? - Unsinn! Er hatte mit all dem hier doch nichts zu tun. Glaubte Herr Claus vielleicht, Lübeck habe die Bürger aufgehetzt, um den störrischen Rat gefügiger zu machen? Schweiß brach ihm aus. Dann lachte er, lachte laut, um sich selbst im Glockengedröhn zu hören. Es war die Alte, die die Treppe heraufstieg und ein wenig fester auftrat, da sie in den knotigen Händen einen Holzteller trug, der mit Käse, einer Scheibe Schönroggen und einem Krug Milch bepackt war.

Herr Jehann lachte noch immer, die Augen der Frau aber leuchteten darum nicht einen Schein heller. Schweigend, wie sie gekommen, verließ sie den Raum. Latermann riss ein Stück des hellen Brotes ab und stopfte es in den Mund, trank hinterher, biss in den Käse. Und plötzlich verstummten die Glocken. Stille. Latermann schluckte die Bissen hinunter und holte tief Atem. Die Stille drückte auf die Ohren, war wie ein schrilles Pfeifen, unterbrochen von hellem Klingen. Er schlug sich die Fäuste gegen die Schläfe, presste die Daumen auf die Ohrläppchen. Da klang das Gedröhn auch hinter seiner Stirn aus.

Als er wieder an die Scheiben trat, hörte er von unten Kettenrasseln, dumpfe Flüche, Jammern, Unschuldsbeteuerungen. Wie viele Gefangene? Hundert? Zweihundert, vielleicht mehr? Wozu versammelte man sie auf dem Markt? Wie man am Sund mit Aufwieglern verfährt! hatte Herr Claus gedroht. Nur der Platz neben dem Brunnen, wo der Richtblock stand, blieb leer.

Aus der Straße, die vom Hafen heraufführte, bog ein Reitertrupp ein. Herr Claus voran. Grau sah er aus, grau vor den lebhaften Farben der Häuser, dem Braun der Ziegel, dem Rot der Türen und dem Weiß der getünchten Budenwände. Sehr aufrecht ritt Herr Claus, und grau sah er vielleicht nur von weitem aus. Latermanns Augen waren nicht mehr die besten. Claus von der Lippe ritt am Brunnen vorbei und am Richtblock, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen, grau, aufrecht und steif.

Latermann langte nach dem Rest Käse, den Brotkrumen. Der Milchtopf war schon leer. Und dann sah er, noch während er auf der Kruste herumkaute, wie die Spießknechte eine Gasse in den Haufen der frierenden Männer trieben, und durch diese Gasse schritten die Herren, ihrer dreiundzwanzig, in pelzbesetzten Röcken und warmen Kappen, sie schritten zu Rat.

2. Kapitel

Fast um die gleiche Stunde, da die kleine Flotte, mit der sich Arnd Hidding auf dem Wege nach Nowgorod befand, halb gegen den Wind die dänische Wiek verließ, wo sie durch zwei Greifswalder Koggen und einen Wolgaster Kreier verstärkt worden war, legte in einem livländischen Klipphafen ein Boot ab, gerudert von zwei bärenstarken Schiffsknechten, und steuerte die beiden gotländischen Schiffe an, die draußen vor der Reede lagen. Nur der eine der beiden Lastsegler war beladen; er hatte seine Waren, Holz und einige Tonnen Wachs, ebenso heimlich eingenommen wie der andere seine Gäste - die Schifffahrtsaison war noch nicht eröffnet. Beide waren mit einer zahlreichen, wohlbewaffneten Mannschaft versehen.

Die Insassen des Bootes, voran vier in derbe Schafspelze gehüllte, doch offensichtlich vornehme Männer, wie man aus der Art erkennen konnte, in der die Schiffsknechte die Strickleiter hielten und ihnen die Hände entgegenstreckten, kletterten an Deck und begaben sich sofort ins Achterkastell. Das Boot legte wieder ab, und die Schiffsleute sprangen an die Segel, um den günstigen Wind zu nutzen.

Die Gäste hatten eine geheime Botschaft ihrer Stadt Nowgorod für König Erich, der in Kopenhagen Hof hielt. Seit Langem strebte die Nowgoroder Kaufmannschaft danach, das Joch des hansischen Zwischenhandels abzuwerfen und auf eigenen Schiffen die wertvollen Güter ihres weiten Landes über die See in die Städte des Westens zu bringen. Segelten nicht in alten Zeiten russische Schiffer bis nach Visby und weiter? Warum sollten sie nicht heute, mit größeren und stärkeren Fahrzeugen, mit verbesserter Steuerkunst, bis nach Kopenhagen und Falsterbo, ach, warum nicht bis Sluys oder gar ins ferne Lissabon gelangen? Die Danziger Werften bauten Schiffe auch für Nowgorod, wenn sie nur Silber dafür bekamen. Bisher hatten die Deutschen den Nowgoroder Seehandel verhindert, jetzt aber wurden sie selbst von Erich bedrängt. Erich war also Nowgorods natürlicher Verbündeter. Allerdings würde man den Dänen einige Privilegien einräumen müssen, nicht zu viel freilich. Am besten, man drohte den Deutschen mit den Dänen und den Dänen mit den Deutschen; dann beschäftigten sie einander, und die See wurde frei für Nowgorod, für den Handel der Nowgoroder Kaufmannschaft.

Noch aber waren die Deutschen mächtig genug; wenn sie vorzeitig von den Verhandlungen erfuhren, schlossen sie ihren Handelshof in Nowgorod, und der Schaden für die Pelzgroßhändler war nicht abzusehen. Die Botschaft für König Erich war geheim.

So hatten sich die Gesandten, geführt von livländischen Bauern, unter mannigfachen Gefahren von Pskow aus durch das Ordensland schleichen müssen, durch Eis und Schnee, dann über vom Winterregen aufgeweichte Landwege, und auf der letzten Wegstrecke hatte sie erneut das Frostwetter überfallen und sie fürchten lassen, das Eis der Ostsee könnte ihre Fahrt verhindern oder um Wochen verschieben. Während sie in einer rauchigen Schilfhütte die durchnässten Kleider trockneten, fand sich vielleicht ein Bauer oder ein Fischer, der sie, um seinen frierenden Kindern ein Stück Leinwand zu kaufen, für ein paar Pfennige an den nächsten Komtur verriet. Doch sie hatten Glück, erreichten ungehindert die Küste. Die Bucht war offen; nur wo die Tiefe weniger als einen Fuß betrug, bildeten sich starre Scheiben, die in der Dünung klirrend zerbrachen.

Der kleine Raum im Achterkastell, der den Gästen für die Zeit der Überfahrt als Wohn- und Schlafraum diente, war bitterkalt. Die Männer hatten die Pelze geöffnet, aber nicht ausgezogen. Sie hielten die steifen Hände über die qualmende Holzkohlenpfanne, die der mürrische Schiffer hereingestellt hatte.

Burunin, ein rundlicher Vierziger mit einem faltenlosen Gesicht, das glänzte, als hätte er es mit Wachs poliert, rieb seine dicken Finger und schlug, als er sie erwärmt hatte, dem dürren Laptschak auf die Knie. „Glück muss man haben. Unsereiner hat immer Glück." Seine Schweinsäuglein glänzten. „Eine armdicke Kerze hab ich der Muttergottes weihen lassen und eine dem heiligen Nikolaus."

Laptschak schüttelte unwillig den Bart und schob die Hand des Wachshändlers fort. Er liebte solche Vertraulichkeiten nicht. Diese schmutzigen Händler! Der eine roch nach ranzigem Fett, der andere, Struglew, trug die Ausdünstungen ungegerbter Felle an sich, und der dritte, Pankrati Potap, der hansische Heringe aufkaufte und ins Großfürstentum Moskau weiterschleuste, stank nach Tran. Sollte er womöglich mit diesen Leuten, wenn das Wetter umschlug, wochenlang in einem Raum hausen, in einem Raum, der drei Arschin breit und nicht mehr als vier lang war? Schließlich war er, Laptschak, Erblicher Kaufmann und seit einem halben Jahr einer der Vorsteher der Gilde des heiligen Johannes.

„Wenn dein Kerzenwachs", spottete Potap, „so gut ist wie das, was du den Deutschen verkaufst, wird uns der Heilige durchschütteln wie der Herbstwind den Nussbaum."

„Sag das nicht. Zuzeiten bin ich ein ehrlicher Mensch. Ich schau mir halt meine Leute an. Wenn's einem auf die Stirn gezeichnet ist, dass seine Tuche eine Elle zu kurz oder mit falschem Siegel versehen sind, nun, dann mag sich in einer Wachstonne auch eine Schicht Hammeltalg oder gar ein Klumpen Ton finden. Hat Bruder Grigorij vielleicht noch nie in einen Packen Schönwerk ein paar Kaninchenbälger eingeschmuggelt?"

„Nur in bösen Jahren, nur in ganz bösen Jahren!" Struglew bewegte die kalten Zehen in den Stiefeln. „Mir wird übel, wenn ich daran denke, dass wir zehn Tage oder länger auf diesen morschen Planken schwimmen sollen, unter uns bodenlose Tiefe mit wer weiß welch zottigem, grässlichem Getier. Bin ein Landmensch."

Aber so schnell war Burunin nicht vom Thema abzubringen, wenn er über Geschäfte redete. „Von den Dänen heißt es, sie beschneiden das Geld. Man wird nur Ware gegen Ware handeln können."

Laptschak stand auf; er stieß mit dem Kopf fast an die Balkendecke. Er wusste nur zu gut: seine Begleiter glaubten nicht viel zu gewinnen, wenn sie die Dänen ins Land holten. An den Umgang mit den Städtern waren sie gewöhnt. Natürlich gab es oft genug Streit, Betrug kam vor, Rauferei, sogar Totschlag. Sie kannten das. Würde es mit den Dänen anders sein?

Er ging, sich an den Kojenbrettern haltend, langsam zur Tür und setzte dabei die Füße so ungelenk wie ein neugeborenes Kalb.

Die Zurückbleibenden zogen die Mäntel fester um die Schultern, als der scharfe Seewind zwischen sie fuhr. Nachdem Laptschak die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieben sie noch eine Weile stumm sitzen, dann schälte sich einer nach dem andern aus seinem Pelz.

„Ich weiß nicht, wie viel Tagereisen ich im Rindenboot oder auf Flößen zurückgelegt habe. Anderthalb Nächte lag ich einmal auf einer zerbröckelnden Eisscholle, vor sieben Jahren auf der Onega. Streunende Samojeden zerrten mich an Land, halb erfroren und verhungert. Aber immer sah man doch ein Stück Ufer, eine struppige Kiefer, eine verkrüppelte Birke. Hier aber? Nichts als Wolken. Möge uns die Gottesmutter vor Sturm bewahren!" Struglew hustete.

Doch die hatte kein Einsehen mit seinen Nöten. Am dritten Tage, nach einem milden, fast windstillen Nachmittag, kräuselten sich kurz vor Sonnenuntergang die Wellen. Die Planken unter den Füßen begannen zu schaukeln, nicht eben heftig, nur so, als wollten sie die müden Seeleute und ihre Gäste in den Schlaf wiegen, aber noch vor Mitternacht schlugen die Wogen quer gegen die Bordwände, und Burunin, der in einer der oberen Kojen schlief, stieß mit der Stirn an den Bettpfosten. Fluchend warf er den Pelz zur Seite und sprang herab. Auch Laptschak, der unter ihm schlief, erwachte, nahm den Mantel und stolperte an Deck. Er war unter den Russen der einzige, der die Nacht mit ihrem Rollen, Schlickern und Schlingern gut überstand. Struglew und Potap hingen mit grüngelben Gesichtern an der Reling und ließen sich von den Schiffsleuten festbinden, während sich der dicke Burunin noch drei Tage lang nicht aus seiner Koje wagte.

Nachdem in den frühen Morgenstunden ein eisiger Hagelschauer niedergegangen war, klärte sich der Himmel, die Wogen glätteten sich, und der Wind, der bislang die Segel gebläht hatte, dass sie aussahen wir prall gefüllte Weizensäcke, drehte von Nordost auf Südost, ließ nach. Das Tuch hing schlaff an den Rahen, und die Steuerleute hatten Mühe, ihre Schiffe in Fahrt und auf Kurs zu halten.

Zwei Tage darauf schwollen die Segel wieder, und am späten Abend sichtete der Mann im Toppkastell fremde Fahrzeuge. Die Gotländer wichen nach Norden aus, der Wind stand ihnen günstig. Die Russen, die sich über die Kursänderung wunderten, ahnten nicht, dass sich ihre Begegnung mit den Hansen dadurch um einige Wochen hinausschob. Die Stralsunder hielten die beiden Koggen, die vor ihnen davonsegelten, für dänische Auslieger, nahmen sich aber nicht die Zeit, sie zu verfolgen. Sie waren froh, dass der Wind jetzt auch ihnen etwas Fahrt verlieh.

Nach elf Tagen langten die Nowgoroder auf der Reede von Kopenhagen an. Nur eine einzige Störung hatte es gegeben: eine schwedische Schnigge, die doch auch dem König untertan war, legte sich in ihre Fahrtrichtung. Die Gotländer zeigten ihre zahlreichen Gewappneten, und die Schweden schlugen die Ruder ein.

In einem Wagen mit schellenbehangenen Pferden ließ sie Graf Everstein, einer der engsten Vertrauten des Königs, in ihr Quartier in der Grönnegade fahren, einer ruhigen Straße, die schon außerhalb der Wälle lag und in der sich nur wenige, aber fest gebaute Höfe befanden. Der König, berichtete man ihnen, sei zur Jagd geritten, er werde die Gesandten der Stadt Nowgorod in den nächsten Tagen zu sich rufen.

Drei Tage ließ der König sie warten. Sie wagten sich kaum aus dem Hause, obwohl sich Struglew gern die Stadt angeschaut hätte. Er verspürte auch Lust, in die Wohnungen zu gehen, in die steinernen Paläste, aber auch in die kleinen weißgetünchten Häuschen mit den bunten Fensterluken. Hölzerne Gebäude wie daheim in Nowgorod fanden sie nur wenige. Vielleicht war das Holz knapp auf dieser hügligen Insel.

So waldreich wie das riesige russische Land war sie jedenfalls nicht. - Potap hätte Struglew sicher begleitet, vielleicht auch Burunin, der sonst am liebsten im weichen Ledersessel schlief, aber Laptschak erinnerte sie daran, dass der pommersche Graf sie gebeten hatte, sich vom Pöbel fernzuhalten: man wisse hier, dass die Hanse Gewinne aus Nowgorod zöge, und die Bürger seien gegen die Städte erbittert, sie könnten es die Russen entgelten lassen.

Tatsächlich. Potap hatte sich am ersten Tag auf die Gasse gewagt, war bis an die nächste Ecke gegangen, um die Nase in den Wind zu stecken und zu erforschen, wo es nach Fisch roch. Knechte und Mägde reckten die Köpfe über die aus Weidengerten geflochtenen Zäune, halbwüchsige Burschen riefen ihm unverständliche Worte zu. Ein schwarzer Kater flüchtete vor einem zottigen gelben Hund, fuhr zwischen Potaps Beinen hindurch, dass der stolperte, und verschwand in dem kahlen Astgewirr einer breitkronigen Schwarzpappel.

Der Hund bellte den Baum an, sprang am Stamm empor, gab dann die Verfolgung auf und lief hinter dem Fremdling her.

Rückwärtsgehend, das knurrende Tier nicht aus den Augen lassend, erreichte Potap die Holzpforte. Knechte und Mägde klatschten sich vor Lachen auf die Schultern.

Endlich brachte Graf Everstein den Dank des Königs für die Gastgeschenke, überreichte Laptschak ein Kurzschwert mit silberbeschlagenem Griff und seinen Begleitern ebensolche Messer und bat die Gäste zum König, zum König selbst.

„Ein Pelzmantel aus bestem Schönwerk und dann drei Tage warten", brummte Struglew. Nur Potap verstand ihn. „Wenn's nur nicht ein zu teurer Handel wird."

Erich empfing sie nicht in einem der zahlreichen Gemächer seines Schlosses, sondern im Hof. Er saß zu Pferde und ließ auch für die Gäste Reittiere satteln. Burunin spürte ein Prickeln unter dem Brustbein, und selbst Laptschak, der sonst immer eine starre, undurchdringliche Miene bewahrte, zuckte unwillkürlich mit den Augenbrauen. Struglew musterte den Herrscher der drei nordischen Reiche. Die kalten Augen in dem etwas schwammigen Gesicht, die so gar nicht zu den freundlichen Worten passen wollten, irritierten ihn.

„Die Jungfrau hat Eure Gebete erhört", flüsterte Graf Everstein Struglew zu und lachte in seinen roten Bart. „Der König ist bester Laune. Drinnen im Saal ist er mürrisch und unnachgiebig. Kann er aber durch Wiesen und Felder streifen, ob nun die Sonne lacht oder der Westwind Nebelfetzen über die Klippen peitscht, da erreicht man alles - wenn man nicht zu viel auf einmal will."

Sie ritten durch nasse Wiesen und über brachliegende, von Steinen übersäte Felder, ohne dass sich der König auch nur nach seinen Gästen umsah. Aber er kümmerte sich auch nicht um seine Begleiter. Nur Graf Everstein gönnte er hin und wieder eine kurze Bemerkung. Die Nowgoroder sahen nur seinen breiten, ein wenig gebeugten Rücken, und wenn er zur Seite blickte, die kräftige Nase und die vorgeschobene Unterlippe.

Der Wind wehte von Südwesten grauweiße Schwaden heran, dicke, klebrige Tropfen, die sich in den winzigen Poren der Tuchröcke festsetzten und selbst in den dichtesten Pelz eindrangen. Die Russen froren, obwohl es ein milder Tag war und die Kälte längst nicht so streng wie daheim am Ilmensee. Und immer schmeckte die Luft nach Salz. Nur der Heringshändler sog sie gierig ein.

Sie durchquerten ein Waldstück, prächtige Buchen, ohne ein Stück Wild aufzustöbern. Als ein paar Enten über sie hinwegstrichen, einem von Erlen und Rotdorn umsäumten Soll zu, sprang Erich mit einer Behändigkeit vom Pferd, die man dem fast fünfzigjährigen schweren Mann kaum zugetraut hätte, ließ sich von einem Knappen die Armbrust reichen, hängte den Köcher in den Gürtel, befahl seinen Begleitern zu warten, nur den Knappen nahm er mit, und schlich sich im Schutz der Dornenhecke dem Wasserloch zu.

Struglew sah Laptschak an, der ratlos die Achseln zuckte. Burunin, dem die Schenkel schmerzten, wäre am liebsten abgesessen, aber dann hätte ihn wohl niemand wieder in den Sattel gebracht. Potap schmeckte die Salzluft, dachte an Heringstonnen und drängte sich an den Grafen heran.

Everstein rieb sich die Handgelenke. „Die Königin ist eine schöne Frau, eine kluge, eine herrliche Frau, unsere Königin Philippa, eine Engländerin, ein klein wenig bleich - schwarzbrauner Zobel müsste ihr gut stehen."

Potap beschloss, gleich nach der Rückkehr mit Struglew zu reden.

Der König kam zurück, lachte sein breites Lachen. Der Knappe schwenkte die Beute und erzählte strahlend, wie er im rechten Augenblick in die Hände geklatscht habe, sodass sich die Enten, die sich eben auf das eisige Wasser niedergelassen hatten, erschrocken in die Luft erhoben und der König die Beute nach rechter Jägerart im Fluge erlegen konnte, ein prächtiges schwarzes Tier mit weißer Bauchseite und langen Schopffedern.

„Eine Reiherente", erklärte der Graf den Gästen.

Der König ritt nun an Laptschaks Seite. Der begann zu stottern, fasste sich aber bald. „Alle freien und guten Völker, will sagen: alle tapferen Völker, blicken mit Hochachtung und Liebe auf die segensreiche Herrschaft in den nordischen Reichen ..."

Erich schürzte die Lippen und dachte an die Schweden, die sich, wie er eine Stunde vor dem Ausritt erfahren, erneut zusammenrotteten, Bauern und Adel, um seine Vögte zu bedrängen. Erst als Laptschak zur Sache kam, hörte er wieder zu.

„... Wünschen Nowgorods Bürger ein gutes Einvernehmen mit dem Beherrscher der drei Völker, mit allen Großen seines Reiches und mit allen seinen Untertanen, friedlichen und sicheren Handel und Schiffsverkehr für beide Seiten und Entschädigung im Falle ..."

„Wollt Ihr damit sagen, dass meine Untertanen Eure Schifffahrt schädigen?" Jetzt lachte er. „Hm, ich hörte, im letzten Herbst haben Auslieger einen Russen aufgebracht. Nicht zum ersten Mal geschah das. Ich soll Euch dafür entschädigen, ich?"

„Gewiss nicht, großmächtiger Herr, keineswegs. Ich wollte ..."

„Also! Was soll's? Sprechen wir über Realitäten!"

Die Hofleute steckten die Köpfe zusammen. Aber keiner, nicht einmal Graf Everstein, wagte es, in das Gespräch einzugreifen und den König vor weiteren unbedachten Worten zu bewahren.

„Ihr seid Kaufleute, macht mit schönen Reden das Salz salziger und den Pelz weicher. Ich bin ein Krieger, geradeaus mit dem Wort und rasch mit dem Schwert. - Ihr wollt also Privilegien in meinen Häfen, Sicherheit für die Sundfahrt, hm, aber treibt Ihr nicht Handel mit den Hansen, mit meinen Feinden?"

„Wir sind ermächtigt, den Kaufleuten des dänischen Königs die gleichen Rechte einzuräumen und einen dänischen Hof –„

„Ach was, dänischer Hof! Den deutschen will ich! Ich gebe Euch die Privilegien - wenn ihr den Hansen die Tore sperrt, auch den Städten, die nicht mit mir im Kriege liegen."

„Die Verträge, Herr - wir haben das Kreuz geküsst!"

„Kreuze kann man abwaschen."

Das Gefolge des Königs war weit zurückgeblieben. Nur Everstein und Struglew hielten sich in Hörweite.

„Meine Rechtsgelehrten kennen Eure Verträge. Eröffnet Ihr einen dänischen Hof, habt Ihr sie schon gebrochen. Wozu also Halbheiten? Ich schoss nicht nach den bunten Schopffedern der Ente, sondern erlegte den ganzen Vogel; so hab ich die Federn und den Braten dazu."

„Nowgorod, Herr König", versuchte Laptschak zu erklären, „ist umgeben von wütenden und mächtigen Feinden: die livländischen Städte sind nahe, der Ritterorden sammelt Zunder, um unsere Mauern niederzubrennen, Witold von Litauen schärft das Schwert, seine Scharen lechzen nach dem Gold unserer Kirchen, und der Grogfürst von Moskau sucht den Zugang zum Meer. Seht unsern guten Willen, Herr!"

Erich lieg die Zügel locker. Die Pferde setzten sich, die Nähe des Stalles witternd, in Trab.

„Privilegien, Schutzbriefe, nun gut. Aber als Preis dafür eine Krämerbude und einen Brotscharren? Das nenne ich einen rechten Handel! Ich biete Euch ein Bündnis wider die Hansen und verlange wenig dafür: der hansische Hof wird geschlossen, den Hansen der Aufenthalt in Eurer Stadt untersagt. - Everstein, ruft den Schreiber!"

Laptschak schielte zu Struglew hinüber, der den Hals seines Reittieres kraulte. Richtig, der Pelzhändler war wohl früher selbst Jäger gewesen. Ich würde unterschreiben, dachte Laptschak, wenn nur die Schutzbriefe genügend Sicherheit böten.

Bevor er aber auch nur eine halbe Zusage geben konnte, sprach Struglew schon: „Wir bitten um Vergebung, aber einen solchen Vertrag zu unterzeichnen, sind wir nicht ermächtigt."

Sie erreichten die Straßen der Stadt. Die Passanten drückten sich in die Hoftore und Haustüren. Der König schob, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte, die Unterlippe vor. „Ermächtigt, ermächtigt! Wozu hat Euer Fürst oder Euer Possadnik Euch zu mir geschickt?"

Struglew richtete sich auf. „Wir sind der Versammlung der freien Bürger unserer Stadt verantwortlich."

Der König zog die Unterlippe zurück und sah ihn schräg von der Seite an. „Mut habt Ihr, Ihr Kreuzbärtigen! Ich könnte Euch köpfen lassen für solche Worte, und Eure Versammlung freier Bürger würde eine Kerze stiften für Euer Seelenheil und Euch vergessen." Ihm kamen die Schweden in den Sinn, Engelbrecht Engelbrechtsson, der Bergwerksbesitzer,,der sich von einer Versammlung freier Leute zum Anführer ausrufen lassen hatte und seinen König und Herrn nun mit unbilligen Forderungen bedrängte.

Dann wies er mit dem Arm weit über die Stadt hinaus. „Ich bin der Herr des Sundes und der See."

Die Berater des Königs scheuten sich nicht, ihren Herrn ihre Unzufriedenheit spüren zu lassen. Namentlich der Bischof von Roeskilde sparte nicht mit spitzen Bemerkungen. Erich stieg die Zornröte ins Gesicht, aber er wagte es nicht, den geistlichen Herrn grob zurechtzuweisen. Schließlich sagte er: „Was verlieren wir? Wir treiben mit ihnen keinen Handel, also können sie ihn nicht sperren."

„Wir verlieren einen Verbündeten, der, wenn er uns nicht anders hülfe, doch die Städte ständig in Sorge hielte."

„Für diesen zweifelhaften Vorteil soll ich ihnen die Privilegien einräumen, wegen derer ich mich mit den Hansen balge? Ehrwürdiger Vater, ich führe nicht Krieg aus Langeweile. Ich will halten, was ich habe."

Der Bischof, ein noch junger Mann, der nicht mit der Wimper zuckte, wenn ihn der König „Ehrwürdiger Vater" nannte, ein waghalsiger Reiter, der mit dem Jagdspieß ebenso gut umzugehen wusste wie mit der Monstranz, sah seinen König lächelnd an. „Solange man den Hering nicht im Netz hat, soll man den Stint nicht der Katze hinwerfen."

Der König ließ die Gesandten der Stadt Nowgorod warten. Auch vom Grafen Everstein erreichte sie kein Wort, und als Struglew nach ihm schickte, ließ er sich verleugnen. Am fünften Tag trafen im Kopenhagener Schloss der Stettiner Herzog Kasimir und Barnim von Barth ein. Sie kamen von Hälsingborg herüber, wohin ihnen ein Gewährsmann die neuesten Nachrichten aus Pommern zugetragen hatte. Sie hatten jederzeit freien Zutritt zum König.

Als der Knappe sie zu ihm führte, glättete Erich wie ein gewöhnlicher Waffenknecht ein Dutzend Pfeilschäfte. Die Pfeile seiner Armbrust richtete er mit eigener Hand her. Er schnitt die Eschenstöcke, schabte und glättete sie, hämmerte in der Schmiede die Spitze mit den Widerhaken und brachte selbst die Befiedrung an. Niemand, auch der erfahrenste Waffenmeister nicht, meinte Erich, sei in der Kunst des Pfeilschnitzens so geschickt wie er. In früher Kindheit, noch daheim in Stolp, bevor ihn Margarete an ihren Hof geholt hatte, um ihn zu ihrem Nachfolger zu erziehen, hatte er sie von einem slowinzischen Schirrknecht erlernt.

„Man denke, neun Schiffe, beladen mit den prächtigsten Waren und mit Salz! Vetter Barnims schnelle Schniggen sind bereit. Wenn sie nicht Riga ansegeln, was unwahrscheinlich ist, erreichen wir sie in der finnischen See ..."

„Warum", fragte Erich, ohne aufzublicken, „ist Barnim nicht längst unterwegs?"

„Herr Vetter, meine Mannschaft ... Lippe hat seine Leute bis an die Zähne bewaffnet. Ihr wisst, die Verwaltung der schonischen Festungen ..."

Erich prüfte die Stäbe auf gleiche Länge. „Geld brauchst du also. Wenn ich es dir gebe, fallen mir - sagen wir - drei Viertel der Beute zu."

„Herr Vetter, verzeiht, Schiffe und Fracht gehören in mein Herzogtum. Natürlich will ich Euern Einsatz ..."

„Likedeeler, Vetter Barnim, wie? Wäre ich nicht König, wollte ich Auslieger sein." Er umschnürte das Dutzend Schäfte mit einem Bastfaden.

Kasimir unterstützte den Barther Vetter. „An Bord sind Gerwin, des alten Claus' Brudersohn, und Arnd Hidding, für den Lippe sein halbes Haus geben würde, denn ohne ihn ist es nicht ein Viertel wert. Geiseln, Faustpfänder gegen die Stadt Stralsund!"

Barnim stampfte mit dem Fuß auf. „Die Stadt zwingen, ihre Mauern brechen, die Dickschädel aneinanderschlagen! Mit eigener Hand wollte ich ihnen das Rathaus anzünden."

„Nach Nowgorod sind die Sundischen unterwegs?"

„Nach Nowgorod. Ehe sie in die Newa gelangen, fallen wir über sie her."

„Nein", sagte Erich, trat ans Fenster und winkte einem der Knechte, der eine Magd mit Bier hereinschickte. Barnims Miene hellte sich auf. „Sie sollen nach Nowgorod segeln, unsere Stralsunder Freunde, nichts Besseres kann uns geschehen. Du zweifelst, Barnim? Du bist ein Krieger, ein braver Stratege, ich vergesse dir nie, wie du mir die hansische Flotte aus dem Sund herausschlugst. Aber in der Politik kommt es nicht allein auf die Stärke des Armes an. Politik ist ein Brettspiel, nicht zu hastig, nicht zu zag, den Gegner verwirren, am Ende schlägt er seine eigenen Steine. - Du, Kasimir", er nahm den Stettiner am Arm, „du verstehst dich mehr auf Schliche und Täuschungen, du begreifst mich. Nicht nur Stralsund, die ganze Hanse zwingen wir, wir, die Herren des Nordens."

Barnim begehrte auf: „Ich bin nicht Herzog der Hanse, sondern Herzog von Barth und meiner Stadt Stralsund, die sich mächtiger dünkt als ich. Sie will ich haben. Ich werde ihre spitzen Kirchtürme köpfen, dass sie aussehen wie Weidenstümpfe im Herbst."

„Gemach, mein Freund." Er legte dem Jüngeren die Hand auf die Schulter. „Die Nowgoroder liefern uns am Ende auch deinen Hidding, damit du an dem Pfeffersack Lippe dein Mütchen kühlen kannst. Kasimir, hast du unter deinen Leuten einen verlässlichen, seebefahrenen Mann mit geschickter Zunge und treuherzigen Augen?"

Die Russen waren uneins untereinander. Laptschak, der Leiter der Gesandtschaft, wollte auf Erichs Bedingungen eingehen. „Eine russische Seemacht, Nowgoroder Schiffe auf allen Meeren! Frei von der Hanse. Wir bestimmen Ware und Preis. Und sind wir erst stark genug, wagt es auch kein Erich mehr, uns den Sund zu sperren. Unsere Pelze brauchen sie alle."

Burunin hörte mit offenem Munde zu. Struglew nickte verdrossen. Nur Potap äußerte Bedenken: „Und wenn die Hanse siegt?"

„Wenn, wenn! Jetzt haben wir keinen eigenen Seehandel, bei einem Sieg der Hanse auch nicht. Also kein Verlust. Die Städte können uns den Hof für einen Sommer sperren. Das haben sie mehr als einmal getan und ihn später doch wieder geöffnet. Sie sind auf uns angewiesen: Pelze, Wachs, Honig!"

„Und dann verlangen sie für die Waren aus dem Westen den doppelten Preis, während wir froh sein müssen, unsere Stapel überhaupt loszuschlagen."

„Du rechnest falsch, Grigori Anastasewitsch. Wir müssen unsere Waren klug zurückhalten, unsere Stapel verstecken. Der Kaufmann will nicht wochenlang umsonst unterwegs sein, er wird unsere Preise zahlen."

„Ihr könnt Euch das leisten, Ossip Jefimowitsch, ihr, Johannisbrüder und Bojaren. Wer aber vom Handel lebt, der Kleinbürger, der Pelzjäger, woher soll der seine Nahrung nehmen, wenn der Handel ruht, sagt mir das!"

„Du bist ein Nörgler, Struglew. Liebst du nicht unsere Stadt? Schlägt nicht auch dein Herz schneller bei dem Gedanken: Nowgoroder Schiffe auf allen Meeren, in allen Häfen?"

Später, als er mit Potap allein war, fragte Struglew: „Wirst du ein Schiff ausrüsten, Pankrati?"

Potap seufzte. „Hatte ich es nötig, mich in dieses Abenteuer einzulassen? Wochen fort von Haus und Familie, ein Essen, das Knoten in die Gedärme schlingt, die Grobheiten des Königs und seiner Herren! Und nun? Sind wir frei, gefangen? Selbst wenn der König sich besinnt, müssen wir vielleicht noch Wochen auf rechten Wind warten. Und dann die Fahrt! Unser Mütterchen aus Kiew, die Muttergottes vom Höhlenkloster, möge ihre Hände über uns halten! Und wenn uns das Meer wieder ausspeit wie der Fisch den Propheten Jona und wir glücklich den Rittern entrinnen, so sind die Hansen längst im Peterhof, und die Nagatkis und Patrikejews machen die Geschäfte. In drei Jahren hab ich mich von dem Verlust nicht erholt. Und du, Bruder Grigori, sprichst von eigenen Schiffen? Hast du sie? Du bist immer ein Träumer gewesen."

„Du nicht und ich nicht. Wer also wird seine Schiffe über die Meere senden? Laptschak und die Hundertschaft der Johannisbrüder. Dann kaufst du die Heringe nicht mehr von Oldendorp und Veckingshusen, sondern von Sachar Morsow und Boris Subarew. Meinst du, sie lassen dir die Tonne um den halben Preis, weil du ihre Sprache sprichst? Du darfst noch stolz darauf sein, dass dich ein Nowgoroder übers Ohr haut. Nun wäre ein dänischer Hof neben dem deutschen gewiss nicht schlecht, ein holländischer noch dazu, und auch ein russischer, meinetwegen mehrere. Jeder kauft und verkauft, wo er es für günstig hält. Nicht wer Privilegien besitzt, der ehrliche Händler, der die beste Ware auslegt - hast recht, ich bin ein Träumer."

Tags darauf ließ der König die Gesandten zu sich bitten. Er empfing sie im großen Saal des Schlosses, ein böses Zeichen. Ein dritter Pommernherzog stand an seiner Seite. Wartislaw von Wolgast, der finster dreinblickte und sich die Lippen leckte, wobei sich die Haut am Kinn so straffte, dass sich der Bart aufrichtete.

Graf Everstein winkte. Ein Knappe brachte ein Tischchen herein, auf dem ein beschriebenes Pergament lag. Ein zweiter stellte Wachs und eine brennende Kerze dazu.

Der König ließ im Hofe Paukenschläger und Pfeifer aufspielen, als sollte es ein Fest geben. Knappen brachten gefüllte Becher. Aus den Küchenräumen stieg der Duft von Gebratenem und Gesottenem empor. Verwundert sahen die Russen den Grafen an. Der aber zuckte die Achseln.

Erich trat an das Tischchen. „Die Gesandten der Uns befreundeten Stadt, die vergangenen Tage zu kluger Besinnung nutzend, haben sich von den Vorteilen einer engeren Verbindung mit Uns überzeugt und wollen die Freundlichkeit besitzen, das Pergament, das ich von den besten Schreibern meiner Länder ausfertigen ließ, durch Wort und Siegel zu bestätigen."

Der Bischof reichte ihm den Messingstock, während einer der Knappen den Wachstiegel über die Kerzenflamme hielt.

Struglew, Potap und Burunin starrten Laptschak an; der bedeckte die Augen mit der Hand und schwieg.

„Ihr zögert? Oh, ich vergaß" - Erich wandte sich an die Herzoge „in den Ländern des Ostens ist es üblich, Verträge mit dem Kusse des Kreuzes zu besiegeln. Everstein, Graf Everstein!"

Der Graf eilte hinaus. Struglew trat an das Tischchen, um das Pergament zu überfliegen. Es machte ihm Mühe, die eckige Schrift in der fremden Sprache zu entziffern, nach drei Sätzen gab er es auf.

„Der Vertrag, großmächtiger Herr, zeugt von Eurer Weisheit und Weitsicht, Und unsere Stadt weiß Eure Freundschaft und Macht zu schätzen. Erlaubt jedoch", er verbeugte sich tief, „dass wir das Pergament ungesiegelt den Bürgern unserer Stadt vorlegen."

Laptschak schlug erschrocken die Lider auf. Barnims Hand fuhr an den Schwertknauf. Erich schob die Unterlippe vor, seine Augen verdunkelten sich.

„Die Bedingungen des Vertrages gehen über die Vollmachten der Gesandtschaft hinaus und bedürfen der Bestätigung durch die Volksversammlung. Zum Zeichen aber, dass mit diesem Tage Freundschaft und Bündnis beider Reiche beginne, sind wir ermächtigt, einen Vertrag über die Errichtung eines dänischen Hofes in Nowgorod und eines Nowgoroder Hofes in …“

Erich stampfte mit dem Fuß auf, seine Stirn lief blau an. „Einen dänischen Hof neben dem hansischen? Ihr haltet es mit den Städten, meinen Feinden. Soeben erhielt ich Nachricht, dass, während Ihr uns hier mit schönen Worten schmeichelt, Eure Stadt sich vorbereitet, hansische Kauffahrer zu empfangen, die von einem meiner grimmigsten Feinde geleitet werden, der zugleich auch Euer heimlicher Gegner ist."

Burunin öffnete den Mund weit, Potap trat hinter Struglew zurück, der erschrocken Laptschak ansah. Der aber faltete seine zitternden Hände schweigend vor der Brust.

Für Erich sprach Kasimir weiter, seine Stimme, obwohl er sich um Festigkeit bemühte, klang auffallend schrill: „Eine Flotte aus unseren pommerschen Städten segelt auf die Newa zu, wider unser herzogliches Gebot. Claus Lippe, Stralsunds Bürgermeister, hat sie ausgerüstet und seinem Neffen Gerwin und seinem Gehilfen Arnd Hidding anvertraut."

Graf Everstein setzte die Rede seines Lehnsherrn, der ihn an den königlichen Hof empfohlen hatte, fort: „Ihr führtet Beschwerde, dass russische Schiffer in schwedischen Gewässern beraubt und erschlagen wurden. Wir haben festgestellt: dieser Hidding ist der Mörder Eurer Landsleute. In Nowgorod Handel treibend, anscheinend ein ehrlicher Kaufmann, kundschaftete er Gelegenheiten für Überfälle aus."

„Verzeiht, edler Herr, in jener Zeit, als die feige Tat geschah, befand sich Hidding im Hof zu St. Peter. Mit eigenen Augen sah ..."

„Oh ja, er ist Kaufmann, macht sich die Hände nicht schmutzig. Den tödlichen Streich gegen den Schiffer führten seine Mordbrüder. Ihr zweifelt? Einer seiner Schiffsknechte, der in unsere Hand fiel, hat sein Gewissen erleichtert, bevor er morgen sein Haupt auf den Block legt. Soll ich ihn rufen?" Fragend sah er den König an.

Bevor Erich die Hand heben konnte, warf sich Laptschak vor ihm auf die Knie, auch Burunin und Potap ließen sich nieder. Struglew senkte den Kopf, blieb aber, obwohl es auch ihm in den Gelenken zuckte, aufrecht stehen,

„Wir bitten um Vergebung, großmächtiger Herr. Wir sind überrascht, erschrocken, werden genauestens prüfen ..."

„Ihr zweifelt an den Worten eines Königs?"

„Gewiss nicht, hoher Herr, eine peinliche Untersuchung ..."

„Also das Siegel!"

„Gewiss, sogleich ..., nur ..., der Possadnik ..." Laptschak beugte den Nacken noch tiefer, und als Erich einen Schritt auf ihn zutrat, stöhnte er: „Ich nehm's auf mich."

Wieder hielt der Knappe das Wachs über die Flamme. Als der König schon die Hand ausstreckte nach dem Siegel, das ihm der Bischof hielt, trat Struglew zu ihm. „Verzeiht, erhabener Herr, wir sind nicht ermächtigt, das Kreuz zu küssen, nur die Volksversammlung ...“

Vor Erichs wütendem Blick verstummte er. Der kleine rundliche, stets schwitzende Burunin, der bisher kein lautes Wort gewagt hatte, drängte sich an seine Seite und stotterte: „Kein Zweifel, edelster, gnädiger aller Herren ..., man wird ..., man wird zustimmen, zweifellos ..., lasst uns nur schnell fort, damit wir ..."

Laptschak hatte schon die Lippen am Kreuz, das ihm der Herzog Kasimir entgegenstreckte. Ein lateinisches Kreuz, ein Passionskreuz, dachte Laptschak, nicht unser Kreuz, der Schwur gilt nicht vor Gott.

„Zum Zeichen Eurer Bereitschaft, das Bündnis treu und ehrlich zu erfüllen, sendet Ihr mir Gerwin Lippe und Arnd Hidding gebunden, aber lebendig nach meinem festen Platz Hälsingborg."

3. Kapitel

Arnd Hidding stand auf dem Vorderkastell des Holks, der den kleinen Konvoi anführte. Er liebte es, bequem an der Reling zu stehen, den Blick in Fahrtrichtung. Das Schiff hob und senkte sich, die Weite war ohne Grenzen, und der Steven schnitt in die gerippte Scheibe einen breiten Keil. Manchmal stand Niklas neben Arnd. Er war erst in Greifswald an Bord gekommen, erschöpft, hungrig, ohne alle Ausrüstung für die lange Reise.

Steuerbord glitt die flache Küste vorbei, allzu langsam, fand Arnd, gelbliche Dünen vor schwarzen Wäldern. Der Mann im Toppkastell zählte die Landmarken, die hölzernen Türme der Dorfkirchen, die weißen Fleckchen einzelner Fischerhäuser, hin und wieder eine über die Kiefern aufragende Eiche. Viel zu zählen war da nicht; der Wind stand ungünstig. Arnd erkundigte sich besorgt, ob man ankern oder anderes Wetter abwarten müsse. Der Schiffer beruhigte ihn: der Wind werde bald umschlagen, er rieche das. Dreißig Jahre fahre er zur See, und wenn sie am Tage auch nur zwei Meilen zurücklegten, so seien sie am Abend dem Ziel doch diese zwei Meilen näher als am Morgen.

Von Kolberg aus stießen zwei Salzschiffe zu ihnen, schwerfällige Holke mit breitem Bug, tief im Wasser liegend. Seit der Krieg die Fitten auf Schonen geschlossen hatte, verfielen die pommerschen Salinen, die die Heringsfänger versorgt hatten, die Gräben versandeten, die Hecken verdorrten, Bitterwasser stieg in die Sole, die Knechte lungerten bettelnd vor den Kirchentüren. Als die Dänen die Baienflotte wegnahmen, bot sich ein Ausgleich: die Länder des Ostens. Claus von der Lippe hatte nicht nur in Greifswald, sondern auch in Kolberg ansehnliche Lasten der begehrten Würze aufkaufen und mit den Seglerhausältesten auf Parten die beiden Schiffe befrachten lassen.

Als Arnd sich nach dem Essen auf seinen gewohnten Platz am Bug begeben wollte, wo Niklas schon auf ihn wartete, sagte der Schiffer: „Ich rieche Wind". Er stieg ins Toppkastell, krauste seine knollige Nase und ordnete an, alle Gegenstände auf und unter Deck fest zu vertäuen. Die Schiffsknechte stülpten die Kapuzen mit den breiten Schulterkragen über und erschreckten die Gäste, die ihnen im Wege standen, mit Berichten von tagelangen Stürmen, masthohen Brechern und grässlichen Kraken, die ihre Fangarme um die schlotternden Leiber der Schiffbrüchigen schlangen. Doch die Kaufleute und Knappen waren seebefahren, hatten Kattegat und Kanal erlebt und fürchteten die Ostsee nicht. Weil aber der Schiffer sie bat, verließen sie das Deck. Da kam der Sturm. Arnd teilte das Logis mit Gerwin, der, die Hände unter dem Kopf verschränkt, in seiner Koje lag, mit Ewerd Below, einem grobschlächtigen, graubärtigen Alten, der den Mund nur zum Essen und Trinken öffnete und seinem Gehilfen, der wie Niklas mit der Mannschaft unter dem Vordeck logierte, selbst beim Handel das Wort ließ, und mit Tobias Wydenbrugge, der die ganze Sturmnacht auf den Knien lag und Sankt Nikolaus, den Schutzheiligen der Seefahrer, um Hilfe anrief.

Tobias stieß einige Male mit dem Kopf gegen die Bodenbretter der Koje über ihm; dann sprang Gerwin hinzu und drückte ihm den harten Knauf seines Messers auf die schmerzende Stelle, damit ihm keine Beule wuchs.