Odins Schwert - Heinz-Jürgen Zierke - E-Book

Odins Schwert E-Book

Heinz-Jürgen Zierke

4,8

Beschreibung

Der junge Wikinger Ansgar muss die Ermordung seiner Eltern und den Raub seiner Schwester miterleben. Als er den Göttern geopfert werden soll, zerstört er im Tempel die Nachbildungen der Götter und flieht mit Odins Schwert. Er findet in Egil einen Blutsbruder und beide werden tollkühne Krieger, die von der Burg Vinborg aus zu Seeschlachten und Raubzügen aufbrechen. Odins Schwert scheint Asgar zu schützen, der es nicht durch Blut entweiht. Doch als er die Mörder seiner Eltern kennt, schwört er nur noch Rache und richtet in seinem Heimatort ein Blutbad an. Das blutige Schwert lässt er im Tempel zurück. LESEPROBE: »Ich bin nicht deine Schwester.« Er fiel nicht enttäuscht zurück, sich selber zürnend wegen seines Unvermögens, Estrid zu finden, er lächelte glücklich und langte nach der goldblonden Flechte, um mit dem strähnigen Haar zu spielen. Egil warf sich herum. Die heftige Bewegung zerriss den Nebel, ein Loch tat sich auf, ein gähnender Krater, ein Mahlstrom, der das Mädchen in sich hineinriss, es verschlang und dann in sich zusammenfiel. Nichts blieb als die schwarze Finsternis. Noch einmal hob er den Kopf und fiel gleich wieder zurück. »Bruder, Bruder, was ist?« »Nichts, Egil, nichts. Ich habe nachgedacht, und das Denken schüttelte mich. Warum Egil, hassen sie uns so? Nur weil wir uns heimlich mit ihren Mägden trafen? Was verlieren denn die Bauern und Fischer dabei? Dubslaffs, des Kaufmanns, Zorn begreife ich. Er meint, wir schmälerten seine Rechte. Die andern aber? Wollte man jeden Burschen, der nachts zu einem Mädchen schleicht, in Stücke reißen, dann wäre die Welt längst tot und leer.« »Die Wenden werden wie die Dänen strenge Regeln haben, und auch das wird sein wie überall: Du kannst Gesetz und Regeln beugen, du darfst dich nur nicht packen lassen. Wir aber ... und allein durch meine Schuld. Still, Bruder, hör mich erst an, dann kannst du mich entschuldigen oder richten. Das strenge Jarlsverbot, von Weibern auch nur zu reden, staut die Natur wie ein hölzernes Wehr den Wildbach; in einer stürmischen Regennacht wird die Wucht des Wassers die Sperre hinwegschwemmen. Im gehorsamen Hütehund erwacht der Wolf, wenn er Wild wittert, und wenn es nur eine hässliche Haselmaus ist wie diese schwedische Magd. Sie lachte mich aus, und ich vergaß, dass ich zum Wachen bestellt war, packte sie und bekam sie auch fast unter, obwohl sie biss und kratzte. Die Nacht trägt jedes Geräusch doppelt und dreifach so weit wie der Tag.«

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Impressum

Heinz-Jürgen Zierke

Odins Schwert

Historischer Roman

ISBN 978-3-86394-259-5 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien 1990 im Hinstorff Verlag Rostock.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta 

© 2013 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Drei Tage und drei Nächte tobte der Nordwest. Die Pfosten, die die Hauswände hielten, knackten und knarrten, als wollten sie bersten und das mit Steinen beschwerte Schilfdach abwerfen. Als Egil am vierten Morgen den Kopf aus der Hütte steckte, den Fuß gegen die Tür gestemmt, damit der Wind sie ihm nicht gegen die Stirn schlüge, lichtete sich der Himmel endlich, die Wolken schleppten sich nur noch träge dahin, die schlanken, schmiegsamen Eschen schüttelten die struppigen Kronen, als beklagten sie die Verwüstungen, die umgebrochenen Jungbirken, die geknickten Äste, das aufgewirbelte Laub, die zerfledderten Vogelnester. Die stämmigen, finsteren Eichen standen starr und steif, als hätte das Wüten des Wetters sie nicht berührt.

Vor der Schweinehütte schilpte wütend eine aufgeplusterte Spatzenschar, die darauf wartete, dass der Trog gefüllt werde. Sollten die dummen Vögel nur lärmen, bis ihnen die Luft ausging! Als ob sie nicht wüssten, dass das Vieh den Sommer über nicht im Stall gefüttert, sondern auf die Waldwiese getrieben wurde, wo es sich von Eckern, Eicheln und Wurzeln nährte. Das kostbare Getreide den Schweinen vorzuwerfen würde die Götter erzürnen. Man musste das Mehl ja schon mit geriebener Borke und mit Wegerichsamen strecken, damit es für die Menschen reichte.

Den ganzen Sommer über blieb das Vieh im Wald, auch nachts, von Hunden bewacht. Es fand von selbst die Plätze, wo es am besten vor Blitz und Hagelschlag geschützt war.

Der Bauer fühlte an der Wolle der Schafe, der Fischer roch am Wind, und die alten Frauen hörten am Knistern der Herdglut, wenn ein Ungewitter nahte, und sie flehten den Gott der Stürme um Milde an.

Odin kannte kein Erbarmen. Allzu oft kühlte er sein Mütchen an den Bewohnern der kargen Insel Bornholm. Zürnte er, weil sie nicht ihn, den Speerschleuderer, sondern den hammerschwingenden Donnerer Thor als den Ersten der Götter ansahen?

Die Gehöfte lagen weit verstreut, aber Egil hatte scharfe Augen, dafür war er bekannt hier am Nordstrand. Er sah, wie die Fischer nach und nach ihre Hütten verließen, sorgsam Wohnhaus, Ställe, Schuppen und Zäune prüften und, wo sich etwas mit wenigen Handgriffe richten ließ, sogleich Ordnung schafften. Die größeren Schäden würden sie später beheben.

Die Greise schnarchten wohl noch. Oder steckten sie schon wieder die Köpfe zusammen? Sie sollten den Jungkriegern endlich erlauben, dem Dänen über die See zu folgen! Hatten sie denn vergessen, dass auch sie in ihrer Jugend der Lust auf Abenteuer, auf Kampf, Sieg und Beute nachgegeben hatten und in die Ferne gezogen waren?

Der Vater trat aus der Hütte, etwas gebückt, damit er sich nicht die Stirn am Türrahmen stieß, rückte ein verschobenes Schilfbündel zurecht und stellte einen umgestürzten Zaunpfahl auf, den er mit einem handlichen Stein festklopfte. Das Rutengeflecht konnten die Frauen ausflicken, Egils Mutter und seine beiden Schwestern.

Ruhig, wie es dem Manne geziemt, stieg Egil die in den Fels gehauenen Stufen an den Klippen hinab, wo schon Frauen, Halbwüchsige und Kinder die auf die Steine gespülten Fische aufsammelten und auf Körbe und Bütten verteilten. Die Fische, in denen noch Leben war, bestimmten sie für Kochtopf, Salzlake und Räuchertonne, die toten zu Viehfutter.

Er belächelte diese einfältige Beschäftigung. Wäre das Unwetter zwei Wochen früher gekommen, hätte auch er sich damit abplagen müssen. Heute scherten ihn weder Butt noch Scholle, Dorsch oder Stint, Hecht oder Hering; selbst nach Lachs oder Stör würde er sich nicht bücken. Denn nun war er ein Krieger. In der Mittsommernacht hatte er die Weihe empfangen.

Während die Männer nach den Booten schauten, die rechtzeitig aufs Land gezogen und vertäut worden waren, spähte Egil auf die See hinaus. Hatte Odin nicht schon öfter, als wollte er die Fischer für das Ungemach der Stürme entschädigen, Kauffahrerschiffe, die nach Öland oder Gotland segeln wollten oder von dort kamen, an den Strand geworfen, die Bordwände eingedrückt und die Mannschaften so erschöpft, dass sie leicht zu überwältigen waren? Die Fischer teilten die Güter unter sich auf. Die Männer schafften sie in einen der Häfen an der südlichen Küste, die von den Schiffen der Sklavenhändler angelaufen wurden.

In dieser Stunde stand Egil der Sinn freilich mehr nach Ehre als nach Gold; er war ja jung, hatte seine Kraft, seine Geschicklichkeit, seinen Mut bei Übung und Spiel gestählt und erprobt, jetzt wünschte er, er könnte sich ernstlich beweisen. Er beugte die Arme und freute sich, wie seine Muskeln schwollen, hart wie abgelagertes Eichenholz und federnd wie eine junge Esche. Also mochte statt des Kauffahrers ein von erfolgreicher Raubfahrt zurückkehrendes, mit kampferfahrenen Ruderern besetztes Langboot stranden, es dürfte mit Schätzen beladen sein, o ja. Egil verachtete bronzene Fibeln, silberne Spangen und goldene Armringe keineswegs, und die Männer müssten sich noch so kräftig fühlen, dass sie ihre Waffen gebrauchen und sich verteidigen könnten.

Hei, wie würde er sein Schwert wirbeln lassen, dem Gegner die Waffe aus der Hand schlagen, ihn zu Boden werfen und ihm den Fuß in den Nacken setzen. Der Fremde, der Däne, sollte sehen, welch prächtige Kämpfer hier heranwuchsen. Gewiss legte er noch ein halbes Dutzend Eisenäxte dazu, um die Alten für sich zu gewinnen, und diese würden endlich begreifen, dass es unverzeihlich wäre, einen so kräftigen und geschickten Arm beim Schleudern von Fischspeeren verkümmern zu lassen.

Doch soviel er auch ausspähte, ein Wrack wollte sich nicht zeigen. Also beschloss er, den Vater um das kleine Boot zu bitten und dann zu den vorgelagerten Schären hinauszurudern.

Just in diesem Augenblick rief da unten ein Mädchen dem andern zu: »Ei, den muss es aber erwischt haben.«

Mit langen Sätzen sprang er von Klippe zu Klippe. Die Schwertscheide schlug scheppernd gegen den Schenkel. Wie alle neu gekürten Jungkrieger ging auch Egil ohne seine Waffe, das Zeichen seiner Würde, keinen Schritt aus dem Haus.

Außer Atem erreichte er die Fundstelle. Da aber lag nur eine zersplitterte Mastspitze mit einem Fetzen groben, graubraunen Segeltuches, der bei jedem Windhauch aufflatterte, als wollte er sich davonschlängeln.

Während die Mädchen noch tuschelten, gingen die Männer achselzuckend wieder an ihre Arbeit. Nur der alte Lodbrok, dessen Hände zu sehr zitterten, um den Bootshaken halten zu können, zischelte: »Wo ein Mast ist, muss auch ein Schiff sein.« Und schon lief alles auseinander. Fisch und Krebs waren vergessen.

Sie fanden tatsächlich eine zerschrammte Bohle, ein zerbrochenes Ruderblatt und ein paar Bretter, die zu einem Fischkasten gehört haben mochten. »Pch!«, stieß Egil enttäuscht hervor, und ohne den Respekt vor den Göttern hätte er laut Odins Geiz verflucht, der nur die Trümmer eines armseligen Fischerbootes an den Strand warf, die allenfalls als Brennholz zu gebrauchen waren.

Und wo war der Mann, der am Ruder gestanden hatte? Gewiss lag er tief auf dem Grunde, halb schon eingesogen vom Schlick, Krabben und Würmern zum Fraße dienend. Welch ein Leichtsinn, sich in dieser Nussschale auf die offene See zu wagen. Und dennoch, insgeheim bewunderte Egil den Mut des Unbekannten.

Hatte er sich vielleicht doch retten können? Die Trümmer lagen nahe beieinander. Demnach war das Boot erst beim Anprall an den Klippen zerschellt. Der Mann konnte vorher abgesprungen sein. Gewiss war er das, sonst wäre seine Leiche angespült worden. Er hatte sich in einen Winkel verkrochen, der ihn vor Sturm und Regen leidlich schützte, und war vor Entkräftung eingeschlafen. Wenn er nun vom Lärm erwachte, würde er ganz still sein und sich noch tiefer in sein Versteck verkriechen. Wer lässt sich schon gern zum Sklaven machen.

Egil kannte einige Plätze, die sich als Unterschlupf eigneten. Die Knaben spielten gern zwischen den Felsblöcken, stiegen in den Spalten und Klüften herum, krochen unter überhängende Steine und versteckten die Zugänge zu ihren Höhlen hinter aufgehäuftem Geröll.

Eine der beliebtesten Höhlen, die gleichwohl keiner ohne heimliches Grausen aufsuchte, in der man nur zu flüstern wagte, hatte die See hinter dem Riesenstein ausgewaschen. In diesem Felsblock von der Größe eines Bauernhauses klaffte ein fingerbreiter Riss, gezackt wie ein Blitz um Mitternacht. Man konnte, wenn die Augen den günstigsten Abstand fanden, durch den Stein weit hinaus auf die See schauen. Und in den Winternächten, bei Frostklirren und Mondschein, sah man die blakenden Kienspäne, die den an Walhalls Göttertafel prassenden Helden leuchteten. Wehe aber, man trat zu nahe an den Spalt oder steckte gar den Finger hinein! Mit Donnergetöse würde sich der Riss auftun, zuschnappen und den Finger, den Arm, den ganzen Leib des Verwegenen schlucken.

Einst hatte der ungeschlachte Riese Hymi den jungen Gott Thor aufgefordert, seine Stärke zu beweisen, indem er mit bloßen Händen des Riesen Goldbecher zerbräche. So sehr sich Thor auch anstrengte, alle Muskeln spannte, dass die Stirnadern platzen wollten, er drückte nicht einmal eine Delle in das Gefäß. In aufloderndem Zorn schleuderte er den Becher gegen den Fels. Der Stein barst, das glänzende Metall aber zeigte nicht den geringsten Kratzer. Hohnlachend sprang der Riese mitsamt seinem Gold in den Spalt, bevor Thor ihm mit seinem Hammer den Schädel zerschmettern konnte. Hymi saß noch heute in diesem Stein, und wenn ihm einer auf Armeslänge nahe kam, packte er mit seiner Bärentatze zu. So warnten die Großmütter die Enkel.

Die aber ... nun ja, sie bewiesen sich ihre Unerschrockenheit, wussten sich in dieser Grotte ungestört und konnten tun und treiben, was woanders Anstoß erregt hätte.

Ein unerklärliches, aber sicheres Gefühl zog Egil gerade dorthin, obwohl er sich sagte, dass ein Fremder nichts von diesem Versteck wissen konnte.

Er stieß einen heiseren Schrei aus, als er die zerschrammten Füße im Geröll sah. Erschrocken schlug er sich auf den Mund. Zu spät.

Der da lag, auf dem Bauch, die Arme unter dem Leib, als hätte er versucht, sich abzustützen und wäre dabei eingeknickt, die Beine leicht angezogen, das Gesicht zur Seite gedreht, der war ein junger Bursche, nicht älter als Egil, der ärmlichen Kleidung nach ein Bauer oder Fischer, und der Schwertknauf, der unter der Hüfte hervorlugte, sagte ihm: ein Jungkrieger.

Nur zögernd näherten sich die andern, Mädchen, Burschen, Frauen, Kinder, mutiger die Männer, aber auch sie gespannt, bereit davonzulaufen, wenn die haarige Tatze sich aus dem Fels schöbe.

Erst als Egil sah, wie sich der alte Lobdrok bückte, um mit seinen zitternden Händen den Verunglückten umzudrehen, regte er sich wieder, schob den Greis beiseite, setzte dem Toten den Fuß in den Nacken, ließ sein Schwert wirbeln und krähte: »Mir gehört er, mir!«

Unter den nackten Sohlen spürte er, da war noch Leben.

2. Kapitel

Die drei hölzernen Asen wälzten sich auf ihn, und der Wendengott hieb ihm sein schweres Füllhorn ins Genick. Ansgar wollte schreien, brachte aber nur ein klägliches Ächzen zustande. Die Götter hörten ihn nicht.

Er öffnete die Lider, einen winzigen Spalt nur, damit ihn der gleißende Glanz Odins nicht blende, aber sein Blick traf auf Grau, nur auf Grau, auf dunkles und helles, stumpfes und glänzendes, glattes und geädertes Grau. Nicht auf dem gestampften Lehm des Tempels lag er und nicht auf der harten Holzbank in der Halle, nein, in einer Mulde aus gerundetem Geröll und kantigen Kieseln. Hatte ihn der Oberpriester von den Klippen geworfen und einen Felsbrocken auf ihn gewälzt?

Er hörte Laute, menschliche Stimmen, erst kaum vernehmbar und verzerrt, wie ein von einem lichten Waldrand zurückgeworfenes Echo, dann klarer und schließlich erschreckend deutlich: »Werft den Toten in die See! Der Wind hat sich gedreht. Der Sog zieht ihn hinaus.«

Welchen Toten? Von wem sprachen sie?

»Er lebt. Er gehört mir.«

Das Zittern des Fußes auf seinem Nacken verriet Ansgar, dass die Rede von ihm war. Die Worte verstand er, aber die Stimmen klangen fremdartig. Das war nicht der dunkle Singsang der heimischen Sprechweise; hier hörte sich die Sprache heller an, härter, brüchiger, wie wenn man mit einem Eisenhammer gegen verwittertes Gestein schlägt.

Wo war er? Wie kam er hierher?

»Strandgut gehört uns allen.«

»Willst du ihn zerteilen?«

Unwillkürlich zuckte Ansgar zusammen.

»Ich wusste, er lebt.«

Der Fuß löste sich von seinem Nacken. Ansgar rührte sich nicht. Was hatte man mit ihm vor? Die Männer redeten durcheinander. Wessen Wort galt?

»Ein kräftiger junger Bursche. Schade um ihn!«

»Der Händler bietet gewiss einen jungen Ochsen für ihn.«

»Hierher kommen keine Menschenhändler.«

»Aber an die Südküste.«

»Der Weg ist zu weit. Das lohnt den Aufwand nicht.«

Ansgar umklammerte den Schwertgriff. Verletzt war er zum Glück nicht, nur erschöpft. Wenn nur die Waffe keinen Schaden genommen hatte! Sollte er aufspringen und davonlaufen? Weit würde er nicht kommen. Aber es war ehrenvoller, im Kampf zu sterben, als in Knechtschaft zu leben.

»Mir gehört er. Ich habe ihn gefangen.«

»Was soll er uns, mein Sohn? Der Hof ernährt keinen Knecht.«

»Wenn ich ins Wendland ziehe, brauchst du helfende Hände.«

Ins Wendland? Ansgar horchte auf.

»Noch bist du nicht fort. Und deine Brüder wachsen heran.«

Eine andere, etwas ältliche Stimme, die an den näselnden Priester erinnerte: »Er ist uns eine Last. Töte ihn, Egil!«

»Ihn töten ohne Kampf?«

»Töte ihn und wirf ihn ins Wasser, damit der Sog ihn fortträgt!«

»Einen Schwertträger schlachtet man nicht.«

»So nimm ihm das Schwert vorher ab!«, warf ein Fernstehender ein.

»Helft mir, ihn umzudrehen. Ich will ihm ins Angesicht schauen.«

Ansgar stöhnte unter den harten Händen. Er tat noch immer, so sehr es ihn anstrengte, als wäre er nicht bei sich, öffnete aber heimlich die Lider einen Spalt. Ein zittriger Alter und ein lebhafter Bursche mühten sich um ihn.

Der Alte langte nach dem Schwert, aber das hatte Ansgar mit einem Riemen ans Handgelenk gebunden, und seine Finger krampften sich um den Griff, unlösbar wie eine Totenhand.

Da entdeckten sie das Zeichen. »Eine Rune. Odins Rune!«

»Bist du gewiss, Lodbrok? Ist’s nicht die Marke einer fränkischen Schmiede?«

»Es ist das Zeichen des Gottes. Odins Schwert.«

Sie wichen erschrocken zurück, alle, auch der Alte. Der Junge folgte zögernd. Die Hand ließ er nicht von seiner Waffe. Ansgar fiel auf, dass jeder ängstlich bestrebt war, dem Felsblock nicht zu nahe zu kommen. Was bedeutete das? So gut es ging, blinzelte er zum Stein hinüber, entdeckte aber nichts als einen fingerbreit klaffenden gezackten Riss.

»Odin? Das bedeutet Sturm und Ungewitter.«

Ein Mann drängte sich heran. In seiner vornehmen Kleidung wirkte er fremd unter den Fischern. Er betrachtete eingehend die Marke auf dem Schwert, dann hob er lächelnd die Arme und sprach feierlich: »Eine Botschaft der Asen. Odin hat euch diesen Jüngling gesandt. Sein Schwert ist das Erkennungszeichen.«

Ein Raunen ging durch die Menge.

»Ihr glaubt, Odin sei ein Gott wie jeder andere auch; er befiehlt den Stürmen, liebt die Jagd, das Wildbret und den Met. Ich aber sage euch: Er ist unter den Göttern, was der Eichenstamm unter den Bäumen ist, standhaft und unerschütterlich. Seine Wurzeln messen die Tiefe der Erde, und seine Krone trägt den gestirnten Himmel. Er ist der Herr des Krieges und der Lenker der Schlachten.«

»Unheil bringt er, nichts als Unheil«, schluchzte eine Frau.

»Nie höre der Mann auf das Weib, Brüder! Den Weibern geziemt es, das Herdfeuer zu hüten und den Männern siegfreudige Söhne zu gebären, nicht aber im Rate zu reden. Nicht Unheil und Not bringt Odin dem Volke, sondern Glanz und Sieg. Wie Sturmgebraus fallen seine Heerscharen den Feind an und fegen ihn über die Heide. Reich an Ruhm und Beute werden die schwertgewaltigen Krieger aus dem Slawenlande zurückkehren.«

Ansgar hätte die Rede belächelt, wäre nicht das Wort Slawenland gefallen.

»Damit sein Sieg der eure werde, sandte er euch sein Zeichen, sein Schwert. Wisset, dass er diese kostbare Waffe nie aus der Hand gab. Nie hat ein anderer sie je berührt, auch kein Gott, nicht Thor, nicht Frey, nicht der lichte Baldr, außer einem, seinem leiblichen Sohn.«

»Sein Sohn, sein Sohn?«

Der zittrige Alte, der so etwas wie ein Priester zu sein schien, obgleich er sich wie ein Fischer kleidete, schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Hat das je einer gehört? Ein Gottessohn als Menschenkind! Denn dieser ist ein Mensch. Das steht außer Zweifel. Seht die Schramme auf der Stirn. Götter kriegen keine Schrammen.«

»Gewiss ist er ein Mensch, zweifellos, und zugleich Göttersohn. Hat doch auch der Gott der Griechen und Franken mit einer jüdischen Frau einen Erdensohn gezeugt. Haltet ihr unsere nordischen Götter für lendenschwach? Meint ihr, sie wären nicht fähig, eine Menschenfrau zu schwängern?«

Damit schien er die Zuhörer zu gewinnen, zumindest die jungen Frauen. Da wäre wohl manche gern Gottesgebärerin gewesen. Ansgar hingegen verbiss sich das Lachen. Ausgerechnet er, der Tempelfrevler, der Odins Bild in Stücke geschlagen hatte, sollte dieses Gottes Sohn sein? Er konnte sich nicht denken, was der Fremde mit der Mär bezweckte. Anscheinend ging es um eine Fahrt ins Wendland. Na gut, wenn er auf diese Weise doch noch an sein Ziel käme, warum nicht! War es erreicht, würde er den Göttermantel abwerfen wie einen zerrissenen Lumpen und seiner eigenen Wege gehen. Odins Rache fürchtete er nicht. Dessen Un-Macht hatte er erprobt. Diese Gedanken erfrischten Leib und Seele.

Der Alte gab so schnell nicht auf. »Warum«, fragte er spöttisch, »sollten die Asen den Christengott nachäffen?«

Lachen breitete sich aus. Die Zweifler, die Unsicheren schlugen sich wieder auf seine Seite. Ihn kannten sie seit vielen Jahren; er hatte sie gewiss nicht schlecht beraten. Allein seines Alters wegen bestimmte man keinen zum Vormann.

Der Fremde verlor die Geduld. »Toren! Kleingläubige! Ihr opfert dem Donnerer, gut, denn ihr seid Bauern und Fischer. Aber tätet ihr nicht besser, euch auch Odin geneigt zu machen, damit seine Stürme eure Netze nicht zerreißen und eure Boote nicht auf die Klippen werfen? Thor und Odin, sie sind ja nicht Feinde. Einträchtig sitzen sie zu Asgard an der Tafel und trinken einander mit schäumendem Met zu. Und wenn Odin euch seinen Sohn sendet, dann nicht ohne Wissen und Willen seines Mitgottes.«

Der Alte beharrte eigensinnig: »Ein Zeichen - das ist kein Zeichen. Er soll uns ein zweites geben.«

Der Fremde geriet in lichten Zorn über so viel Unverstand. Man sah es, ihm lagen Worte auf der Zunge, die auch die Gutwilligen gegen ihn aufbringen würden. Ansgar kannte die Art der Bauern und Fischer: Wenn sie sich auch untereinander wegen eines Heringsschwanzes ankläfften, gegen Fremde hielt das Rudel zusammen. Schweig, Fremder, oder du wirst statt ins Land der Wenden ins Land der Hel segeln!

Niemand achtete mehr auf Ansgar, über den Streit hatte man ihn offenbar vergessen. Er sprang auf die Beine. »Ein Zweikampf sei das Zeichen!«

»Ein Zweikampf, oh!« Freudige und besorgte Ausrufe mischten sich. Sie stoben auseinander, als wichen sie den Schwerthieben aus, und kamen neugierig wieder näher.

»Ich fordere euren besten Streiter zum Schwertkampf. Mag sich erweisen, ob ich meines Vaters würdig bin.« Das meinte er ernst, wenn auch anders, als seine Zuhörer glaubten.

Hei, das war etwas für die Leute. Die Kinder jubelten, die Burschen führten mit bloßen Händen die Stöße und Hiebe vor, die sie gleich sehen würden, die Frauen leckten sich erwartungsfroh die Lippen. Einige wenige schüttelten traurig die Köpfe.

»Ein Schwertkampf ohne Schild.«

Mädchenaugen strahlten. Das tat Ansgar wohl.

Die Männer sahen sich verwirrt an, unschlüssig, wem die Ehre zufallen sollte, den Gottessohn zu prüfen.

Da zog Egil das Schwert aus der Scheide. »Mir gehört er, mir.«

3. Kapitel

Fast um die gleiche Stunde, als sich am klippenreichen Nordstrand der Insel Bornholm die Jungkrieger Egil und Ansgar zum Zweikampf aufstellten, hob in dessen Heimatsiedlung an der abgeflachten Südostküste der Insel Gotland der Odinspriester die mit Ziegentalg gefettete Rute.

Das dicke Tuch um den Mund des Mädchens erstickte die Schreie; es ließ nur ein klägliches Wimmern zu. Bei jedem Schlag zuckte Thyra zusammen, aber auch die Bewegung wurde erstickt, das Mädchen war mit festen Lederriemen an die Bank geschnürt.

Die anderen Mägde hockten verängstigt in der dunkelsten Ecke der Halle und drängten sich aneinander wie frierende Kücken. Wenn die Rute durch die Luft pfiff, schlossen sie die Augen und stöhnten laut, als fühlten sie die Schmerzen der Gestraften mit.

Nicht dass der Oberpriester mit aller Kraft zugeschlagen hätte, nein, nur bei jedem dritten oder vierten Streich holte er weit aus, sonst tippte er die schon von dunklen Striemen gezeichnete Haut nur an. Thyra spürte den Unterschied kaum. Die leiseste Berührung schmerzte, als schlüge ein wütender Wolf seine Reißzähne in das blutige Fleisch.

Der dickliche Priester des Frey saß breitbeinig auf seinem Schemel und schaute hingebungsvoll zu. Wie immer lächelte er, und von Zeit zu Zeit schlug er sich mit den flachen Händen auf die Schenkel. »Ei, wie sie zuckt, wie sie zuckt!«

Die beiden waren so vertieft, der eine ins Schlagen, der andere ins Zuschauen, dass sie nicht wahrnahmen, wie der dritte, der grobschlächtige Priester des Donnergottes Thor, die Halle betrat.

»He, probt ihr ein neues Spiel?« - Als er keine Antwort bekam, legte er dem Dicken die Hand auf die Schulter. Der schüttelte sie unwillig ab und versenkte sich wieder in seine Betrachtung. Der Thorsmann spie auf den Fußboden und fasste nach dem Arm mit der Rute.

»Was schlägst du so zag wie der Hirt eine tragende Färse! Hast du Angst, dass sie verkalbt? Das lohnt nicht, den Stock in die Hand zu nehmen. Lass mich das tun, ich habe einen festeren Hieb.«

Der Oberpriester, der sonst streng auf Würde hielt, auch gegenüber seinen Mitpriestern, stieß ihn mit dem Ellenbogen fort.

»Hände weg! Du Grobian schlügst sie gleich in die Unmacht. Sie soll aber spüren, jeden Schlag spüren ...«

»Zucken soll sie, zucken!«

»Was hat sie dir getan, deine Liebste? Hat sie sich von einem geschorenen Knecht schwängern lassen?«

»Gegen derlei Krankheiten wüsste ich etliche Mittelchen.« Er ließ die Rute über dem Rücken des Mädchens pfeifen. »Sie hat uns verraten.«

»... hat uns verraten«, echote der Freypriester.

»Was teilst du mit ihr Geheimnisse, die du vor uns verbirgst!«

»Hohlkopf! Sie hat dem Tempelschänder, dem Sohn des aufsässigen Sigtur, zur Flucht verholfen.«

»Wie denn das? Du hattest das Mädchen in jener Nacht doch auf deinem Lager. Als ich dich weckte ... du bekamst die Augen kaum auf ...«

»Mit Hilfe Lokis des Listenreichen ...«

»Thors Hammer soll ihn zerschmettern!«

Der Oberpriester schleuderte seine Rute in die Ecke. »Die Götter! Sie schmausen und zechen an der Tafel zu Asgard. Was kümmert es sie, wenn sich einer an ihren Bildern vergreift. Bilder sind Menschenwerk. Nicht um die Götter, um uns, ihre Priester geht es.«

Des Dicklichen Augen glitten über die zerschlagene Haut des Mädchens, das, als ob es die Blicke spürte, zusammenzuckte. Der Gottesdiener lächelte.

»Ihr wisst, seit jener Frevler, nachdem er in seiner jämmerlichen Angst auf die Götter eingeschlagen hatte, auf geheimnisvolle Weise entkam, sodass wir einen unserer Knechte an die Opferschale stoßen mussten, damit die Asen sich an warmem Blute laben konnten, seither grollen die Ältesten, und das gemeine Volk, die Bauern und Fischer, ja selbst die Weiber zweifeln an den Göttern und also auch an uns und an unserer Macht.«

»Sie zweifeln«, klagte der Dicke und wippte mit den Fußspitzen. Der Thorspriester rieb grimmig die Fäuste aneinander.

»Wehe uns aber, wenn sie erfahren, dass wir dem Knecht die Adern mit einem Küchenmesser öffneten, statt mit Odins heiligem Kurzschwert.«

»Dass der Gottesverderber nicht auch Thors Hammer stahl!«

»Mit Thors Hammer zerschlug er Frey das Gesicht und Odin den Arm. Du kannst deine Waffe dem Fenriswolf unter die Rute binden. Da es nun offenbar ist ...« Plötzlich schrie der Oberpriester die wimmernd im Winkel kauernden Mägde an: »Hinaus mit euch! Genug gegafft! An die Arbeit!«

Als er sich vergewissert hatte, dass sich außer ihnen und der immer noch gebundenen Thyra niemand im Raum befand und auch an der Tür und an den Fensterluken keiner lauschte, setzte er fast flüsternd fort: »Da es nun offenbar ist, dass nicht Unholde und Riesen, sondern die eigene Magd ...«

»Deine Magd!«

»Wer fragt danach, wenn auf dem Dache unseres Tempels das Kreuz des Christengottes thront?«

»Das Kreuz des Christengottes?« Der Vorbeter des Frey verzog die wulstigen Lippen und ließ die Unterschenkel schaukeln.

»Das Kreuz sieht nicht viel anders aus als der Thorshammer.«

»Willst du Christenprediger werden? Ich weiß, du schielst schon lange nach dem Oberpriesterrock.«

»Christenprediger?« Der Dicke schüttelte sich.

»Ich aber sage euch: Ohne mich seid ihr so viel!« Er schnipste mit den Fingern.

»Sind wir soviel!«, plapperte der Nachbeter und schaukelte stärker, wobei er mit der Fußspitze gegen die Bank stieß. Thyra stöhnte auf.

»Ei, sie zuckt wieder!«

»Woher sollte man draußen davon wissen?«, fragte der andere einlenkend. Er wusste, dass ihm der Odinspriester über war, nicht nur weil er dem klügeren Gotte diente, sondern weil er sich auf geheime Künste verstand und mit seinem stechenden Blick einen tollwütigen Hund oder einen rasenden Stier bannen konnte.

»Hat sich ins eigene Bein gebissen, die Hündin, als sie nach dem pausbäckigen Ubbe schnappte, damit er ihr verrate, wohin sein Freund geflohen ist. Gewiss wollte sie ihm nach. Ubbes Vater kam dazu und prügelte aus dem Sohn die Kunde heraus. Nun weiß das ganze Dorf Bescheid.«

»Und wohin floh der Tollwütige, weiß man das auch?«

»Ins Wendland, seine Schwester suchen.«

»Hihi, seine Schwester suchen!« Der Diener des Gottes der leiblichen Liebe rieb sich verzückt die Hände.

»Du wirst noch jauchzen, wenn du mit blauer Zunge im heiligen Hain baumelst. In der Siedlung warten gewisse Leute ...«

Der Dicke erbleichte. Der Thorspriester, sonst nicht so empfindlich, fasste sich an den Hals, als wollte er die Schlinge lockern. Zorn packte ihn. »Bindet sie an Händen und Füßen und werft sie ins Wasser! Ersaufen soll sie wie eine räudige Katze!«

»Ein viel zu sanfter, viel zu schneller Tod! Nein, sie soll spüren, lange, lange spüren, was es heißt, dem Willen der Götter zu trotzen.«

Der Freypriester befeuchtete mit der Zunge die Fingerspitzen und fuhr sich damit über die trockenen Lippen. »Wir binden sie an den Opferstein und öffnen ihr die Ader ein ganz klein wenig, ein winziges Löchlein, am besten mit einer knöchernen Haarnadel, damit das Blut nicht verspritzt, sondern als fadenfeines Rinnsal sickert, Tröpfchen um Tröpfchen. Ei, das muss entzückend sein, wenn sie zuckt, zuckt, zuckt ...«

Des Donnerers Gesell spie grimmig in die glimmende Herdglut. »Die Götter werden sich bedanken.»

Der Oberpriester strich sich über die Brauen und verkündete näselnd: »Wodan, der Weise, sende uns seinen rettenden Rat!«

4. Kapitel

Ansgar fühlte sich noch immer matt und zerschlagen. Er wusste nicht, wie lange er der Wut der Wellen ausgesetzt gewesen war; er hatte jedes Zeitgefühl und jede Orientierung verloren gehabt, nicht geahnt, wo er sich befand, und als zuletzt der dünne Mast zersplittert war, hatte er sich lang auf den Boden gelegt, um dem Wind möglichst wenig Widerstand zu bieten und das Boot im Schwerpunkt zu halten. Da traf ihn der Aufprall wie der Schlag einer stumpfen Steinaxt, die Planken barsten ... Eine mitleidige Woge musste ihn angehoben und aufs Land geworfen haben, und ohne es zu wissen, hatte er hinter diesem geborstenen Felsblock Schutz gesucht.

Dieser Stein hatte Ansgar vor dem Wüten der Wellen beschützt, er würde ihn auch vor den Streichen des Gegners bewahren.

Der Schlaf auf dem harten Geröll hatte ihn wohl erfrischt und seinen Mut belebt, aber seinen Magen nicht gefüllt und seine Glieder nicht gestärkt. Dennoch vertraute er seiner Wendigkeit und seiner Übung. Zwei Jahre lang waren er und seine Altersgenossen im Lager jenseits der See, fern der heimatlichen Siedlung, an der kurländischen Küste, auf das Kriegerhandwerk vorbereitet worden. Die erfahrensten Meister des ganzen Gaues hatten sie die Fechtkunst gelehrt, und in den freien Stunden hatten sich die Burschen die Zeit oft genug mit Kampfspielen vertrieben, wenn sie auch statt der Schwerter und Äxte Stöcke benutzten, mit denen sie sich zwar Striemen und Beulen schlugen, aber keine ernsthaften Verletzungen zufügten.

Diese Fischer, die von ihrer Hände Arbeit und gelegentlichem Strandraub lebten, ließen ihre Söhne wohl kaum zu Kriegern ausbilden. An Kräften mochte ihm sein Gegner überlegen sein, an Geschicklichkeit gewiss nicht. Und die Schwäche würde Ansgar überwinden, wenn er die ersten Streiche austeilte. Er war geübt im Ertragen von Entbehrungen, Hunger und übermäßigen Anstrengungen. Wie oft hatte er im Stillen die Anführer wegen ihrer Härte verflucht, auch dem Vater war er ernstlich böse gewesen, der den Sohn nicht geschont, der mehr von ihm verlangt hatte als von anderen. Heute war er dankbar dafür.

Er wischte sich über die Augen, nein, an den Vater durfte er jetzt nicht denken. Er musste hart bleiben, hart und aufmerksam. Dass er sich die Weibergefühle nicht abgewöhnen konnte! Sie zu verbergen hatte er gelernt, sie zu ersticken vermochte er nicht.

Mit einem flachen Stein schärfte er die Schneide des Schwertes und stellte sich auf, den linken Fuß leicht vorgesetzt. Auch sein Gegner hob die Waffe, sich zu schützen und bereit zu Hieb und Stoß.

Eine Hand legte sich beruhigend auf Egils Schultern, die des Alten, den sie Lodbrok nannten. »Du bist jung, ohne Erfahrung im mannhaften Streit. Wenn, was die Nomen verhüten mögen, der Göttersohn dich auf den steinigen Weg schickt, wie willst du vor den Asen bestehen mit rostigem Schild und schartiger Schneide? Sie werden dich vor die Tür weisen, damit du das Wolfsfell seiest, an dem die Recken ihre Füße reinigen, bevor sie in die Halle treten. Du wirst noch manchen Strauß bestehen. Diesen überlass einem erprobten Kämpen, der sich zu wehren weiß und der, sollten ihn die Götter zu sich rufen, sich seines Platzes an ihrer Tafel sicher ist.«

Egil drehte sich so hastig um, dass der Alte fast in Ansgars Schwert gestolpert wäre. Der aber sprang rechtzeitig zur Seite. Der Alte warf ihm einen dankbaren Blick zu und wandte sich an die Männer: »Werfen wir das Los!«

»Mir gehört er, mir! Ich habe ihn gefunden. Ich werde mit ihm fechten, ich allein, ihm das Schwert ins Herz stoßen und ihm die Brust zerfleischen.«

Die Menge begann zu murren.

»... und wer mich daran hindern will ...« Er drehte sich drohend zu den eigenen Leuten um und wies Ansgar den ungeschützten Rücken.

Dessen Schwertarm zuckte. Aber er hielt an sich, nicht nur, weil die Menge ihn für so feige Hinterlist zerrissen hätte, nein, er meinte, diesen Gegner brauchte er jetzt nicht zu fürchten, der war viel zu erregt. Sieg braucht einen kühlen Kopf, Zorn ist ein schlechter Schild.

»Haltet ein!« Der Fremde stellte sich dem zornroten Egil entgegen. »Willst du einen ehrlichen Kampf oder ein Schlachtfest? Sieh, wie durchnässt und übermüdet er ist! Gönne ihm eine Stunde Ruhe, ein wärmendes Feuer, einen labenden Trunk und ein stärkendes Mahl!«

»Wozu, wenn er ein Gott ist? Die Asen verachten irdische Speisen.«

Das klang allzu anmaßend. Die Dörfler steckten die Köpfe zusammen, tuschelten, redeten aufeinander ein. In dem Durcheinander verstand Ansgar kein Wort, doch es schien, als neigten die meisten zur Meinung des überlegen lächelnden Fremden. Verständlich, denn nur wenn beide Fechter bei Kräften waren, ließ sich ein ansehenswerter Kampf erwarten. Ansgar aber lag daran, sich sofort zu schlagen, solange Egils Erregung anhielt und ihn unbesonnen machte.

»Hast recht, Junge. Warum aufschieben, was doch getan werden muss.« Er stellte sich wieder in Positur.

»Nicht hier, versteckt zwischen den Steinen. Komm auf den Dorfplatz! Ein Zweikampf ist eine öffentliche Angelegenheit. Das ganze Dorf soll sehen, wie mein Schwert deine angemaßte Göttlichkeit zerfetzt.«

»Wer Augen hat, der wird auch hier sehen. Du hast darauf bestanden, dass dieser Kampf dir gehört, weil du mich fandest. Das ist dein Recht. Mein Recht aber ist es, darauf zu bestehen, dass wir uns da schlagen, wo du mich gefunden hast.«

»Damit du den Weibern verbergen kannst, wie deine Glieder schlottern, wenn mein Schwertstahl in der Sonne blinkt. Nichts da! Komm, oder ich werde dich am Hosenband hinaufschleppen.«

Ansgar verspürte nicht die geringste Lust auf das Geplänkel mit Schmähungen, das gewöhnlich dem Schwertkampf vorausging, bei dem sich die Gegner in Wut redeten, zum Vergnügen des Publikums, das seine Gunst dem schenkte, der am besten schimpfen konnte. Nein, das hatte Ansgar nicht nötig, aber auf Beleidigungen musste er antworten. Er befahl sich, ganz ruhig zu bleiben. Das würde den andern desto mehr reizen. Zornesglut würde ihm in die Augen steigen und seinen Blick versengen.

»Dich zieht’s hinauf, damit dir noch ein paar Atemzüge Erdenluft vergönnt sind, bevor du in die dunklen Höhlen der Hel hinabsteigst.«

»Wenn dich meine Schwertspitze ritzt, zerplatzt du wie eine getrocknete Schweinsblase, komm, komm! Oder sollen dir die Weiber eine Lutschstange mit Honig unter die Nase halten, damit dir der Tod süßer schmeckt?«

»Hier unten haben es deine Freunde leichter, dir ein Steinmal aufzurichten als einem, der das Maul zu weit aufriss.«

Das war genug. Egil holte aus. »So werde dieser Stein dir zum Grabmal, wenn ich deine zerstückelten Glieder dem Riesen Hymi in den gierigen Schlund werfe.«

Stahl klang an Stahl; hell, fast freundlich, wie zur Begrüßung, so vorsichtig kreuzten sie die Klingen. Sie prüften einander, ihre Aufmerksamkeit, ihre Stärke, ihre Wendigkeit. Keiner dachte daran, den andern sofort niederzustechen. Erst mussten sie den Zuschauern ihre Fechtkünste vorführen. Und: je tapferer der Gegner, desto wertvoller der Sieg.

Ansgar spürte bald, dass Egil nicht nur stark und schnell, sondern auch überaus geschickt war; er musste bei einem erfahrenen Krieger gelernt haben. Schade, dachte er, einen wie ihn bräuchte ich als Gefährten im Wendland.

Härter klang der Stahl, Funken stoben, wenn die Schwerter aneinanderschlugen. Egil griff an und Ansgar wehrte ab. Er kam kaum dazu, den Gegner mit einer Finte zur Vorsicht zu nötigen. Schon schmerzten die Schultern, der Arm erlahmte, Schweiß perlte auf der Stirn, rann über die Brauen, verklebte die Lider. Immer wilder wirbelten die Hiebe. Lange würde er nicht widerstehen können. Er sah Egils Augen im Vorgefühl des Triumphes aufleuchten, wich vor dem ungestümen Andrängen gegen den Fels zurück. Zwei Schritte noch, noch einer, ein halber, dann vermochte er nicht mehr auszuweichen. Er presste sich gegen den grätigen Spalt, als wollte er sich darin verkriechen.

Blind in seiner Siegesgewissheit stieß Egil zu. Ansgar ließ sich zur Seite fallen. Die Schneide des Schwertes schlitzte seinen Ärmel und schlug klingend gegen den Fels. Gestein bröckelte.

Ein Aufstöhnen ging durch die Menge. Einzelne Schreie. Mädchenstimmen. Und alte Weiber. »Der Riese Hymi!« Erschrocken ließ Egil die Waffe fallen.

Ansgar, auf diesen Augenblick lauernd, packte ihn an den Beinen, riss ihn um, warf sich auf ihn und setzte ihm Odins Schwert an die Kehle. Das Opfermesser! dachte er erschauernd.

Die Neugierigen wagten sich näher, doch nicht zu nahe, des Felsens wegen. Eine Kinderstimme fragte: »Warum frisst ihn der Riese nicht?«

»Er fürchtet Odin, den Gott der Götter.«

»Töte mich!«, flehte Egil.

Möwen kreischten über dem Strand, balgten sich um Fische und Muscheln.

»Töte mich!«

So verlangte es die Sitte: Der Sieger tötete den Besiegten, oder, wenn er bösen Geistes war, nahm er ihn zum Sklaven und brannte ihm damit ein untilgbares Schandmal auf die Stirn. Ich muss ihn töten, dachte Ansgar, und Egils von Todesangst verzerrtes Gesicht verschwamm vor seinen Augen, nahm seine eigenen Züge an. Er sah sich, der zugleich Egil war, über die steinerne Opferschale gebeugt, gehalten von dem grobschlächtigen Thorspriester und dem dicklichen, verzückt lächelnden Vorbeter des Frey, und der Oberpriester, Odins geweihter Diener, setzte das Messer an, Odins Schwert, um dem Opfer, Egil-Ansgar, die Adern zu öffnen, damit das Blut in die Schale rinne und von dem erhitzten Stein als Dampf aufsteige, den Göttern als Nahrung und Atemluft.

»Töte mich!«, forderte Egil. Ansgar hätte nicht anders gesprochen an seiner Stelle, aber er brachte es nicht über sich, zuzustoßen.

»Kamerad«, flüsterte er, »Kamerad!« Und sein Griff lockerte sich. Wenn ich schon für einen Gott gelte, will ich auch als ein Gott handeln. Die Asen leben nach eigenen Gesetzen, die sie sich selber geben. So will auch ich, der Menschensohn, kraft der göttlichen Macht Odins, den Menschen ein neues Gesetz geben.

Er nahm das Schwert fort, ließ aber den Fuß auf Egils Brust, sicherheitshalber.

»Nein, es ist der Wille der Götter nicht, dass ein Mann einen anderen Mann gleicher Zunge und gleichen Glaubens niedersticht, erschlägt oder verbrennt. Mein Vater lehrte mich, das Schwert gegen den Feind zu ziehen, nicht gegen den Bruder.«

Ungläubiges, erregtes Staunen. Eine grauhaarige Alte, die nichts gesehen und kaum ein Wort verstanden hatte, schluchzte: »Das arme Blut! Wie viele kräftige Söhne hätte er zeugen können.« Ein paar junge Mädchen kicherten. Die Wangen der jungen Frauen röteten sich. Vielleicht würde eine bereit sein, dem Göttersohn den zerfetzten Ärmel zu flicken.

Missmut unter den Männern. Sie fühlten sich betrogen, hätten lieber gesehen, dass Egil den Odinsbastard erschlug. Aber nein, da dieser den Fischersohn mit dem Schwerte nicht besiegen konnte, überlistete er ihn, ganz nach Götterart, und nun weigerte er sich gar, das Gesetz zu erfüllen. So etwas war ihnen noch nie begegnet. Nicht einmal gehört hatten sie davon, und kein Priester hatte sie gelehrt, dass die Götter so dachten.

Verlangten die Asen, dass auch sie in Zukunft so handelten? Wenn, was zum Glück selten geschah, wenn nun schildbewehrte Langboote die Klippenküste ansteuerten und axtschwingende und speerschleudernde Krieger das Dorf stürmten, um die jungen Frauen und die mannbaren Mädchen zu rauben, sollten sie, die Männer und Väter, bevor sie zum Schwert oder zur Keule griffen, die Räuber fragen: »Welche Götter betet ihr an?« Und wenn die Antwort lautete: »Thor und Odin«, sollten sie dann ihre Weiber und Töchter in Schafwolle gewickelt den Fremden in die Boote tragen? Wenn Odin das von ihnen verlangte, konnte er ihr Gott nicht sein. - So mochten sie denken.

Egils Vater klagte: »Wie konnte er meinem Sohn das antun!« Ein anderer versuchte ihn zu trösten: »Da er ein Gott ist ...«

Da hob der Fremde Egils Schwert auf und reichte es dem Sieger. Man sah ihm an, wie zufrieden er mit diesem Ausgang des Kampfes war.

Egils Augen flackerten ratlos, voller Scham und doch voller Hoffnung. Unter den Jochbeinen bildeten sich weiße Flecke. Als er begriff, dass es ihm nicht ans Leben ging, entspannten sich seine Züge, aber nur, um sich sofort wieder zu verkrampfen. Die Blässe ging in ein prickelndes Rot über, und er stieß hervor: »So nimm mich zu deinem Sklaven, Sohn Odins!«

Sein Vater stöhnte: »Diese Schande! Diese Schande!« Er wollte nach seinem Schwert greifen, trug es aber nicht bei sich. Sicher hatte er, wie es auch auf Gotland die Väter taten, an dem Tage, an dem sein ältester Sohn zum Krieger geweiht worden war, diesem den Stahl übergeben. Eisen war knapp auf den Inseln.

»Diese Schande! Mein Sohn ...«

Ansgar reichte Egil die Hände, hob ihn auf und legte ihm das Schwert in den Arm. »Nicht Sklave, Bruder sollst du mir sein!«

Der Fremde rief jubelnd aus: »Das ist groß, das ist wahrhaft göttlich gedacht!«

Alles schwieg. Nur einer klagte: »Mein Sohn, mein Sohn.«

Da trat der alte Lodbrok aus dem Haufen heraus, schritt feierlich auf die beiden Jungkrieger zu, legte ihre Hände ineinander und ritzte ihnen das Zeichen des Bundes in die Haut, damit sich das Blut mische.

»Ich habe keinen Sohn mehr.«

5. Kapitel

Als der Torwächter meldete, dass der Vormann der Ältesten auf dem Wege zum Heiligen Hügel sei, löste der Oberpriester mit eigener Hand die Riemen und rief die Mägde, damit sie die Ohnmächtige in eine entlegene Hütte brächten und die Stätte der Bestrafung gründlich säuberten.

Als er auch die Mädchen fortgeschickt hatte, so weit, dass sie dem Besucher keinesfalls begegnen konnten, wandte er sich an seine Mitpriester: »Ihr haltet den Mund! Kein Wort, es sei denn, ich fordere euch auf.« Dann erst gab er das Zeichen, den Besucher einzulassen.

Natürlich würde das Warten den Vormann ärgern. Desto besser! So schwerfällig die Bauern sonst waren, einmal in Erregung geraten, verloren sie leicht die Besonnenheit. In Tormund Grimssohn hatte er immer einen heimlichen Gegner gesehen, der seine Stellung im Rat der Alten benutzte, um den Einfluss der Priester einzudämmen. So alt war Tormund eigentlich gar nicht. Noch keine vier Dutzend Mittsommernachtsfeiern hatte er erlebt, war aber wegen edler Abkunft, kriegerischer Tüchtigkeit und einer gewissen Zungenfertigkeit vorzeitig in den Rat der bejahrten Männer gewählt und sogar zu dessen Sprecher bestimmt worden.

Er kam allein. Das war gut. Mochte er auch unter den Greisen der gewandteste sein, vor dem strengen Blick des Priesters würde er verstummen und erstarren wie die Maus vor der zischelnden Schlange.

Sie grüßten einander flüchtig, mehr mit den Augen als mit dem Kopf, zwei starke Männer, keiner von beiden bereit, vor dem andern das Haupt zu beugen oder die Hand zu ihm aufzuheben.

»Was führt Tormund Grimssohn, den schwertstarken, in die ärmliche Hütte der geringen Diener der Götter. Drückt dich der Gram? Hast du ein Anliegen an die allgewaltigen Asen? Was lastet auf deinen bärenstarken Schultern, dass sie hängen wie Tannenzweige im Schneeschauer? Hat sich dein Handpferd einen Dorn in den Huf getreten? Neigt deine milchreichste Kuh zum Verkalben? Ringelt sich eine Giftnatter vor dem heiligen Herdbrand des Hauses? Plagt sich dein Weib mit Leibschneiden oder Harnverhalten? Gebären deine Mägde dir nur Töchter, keine Söhne?«

Er machte eine kurze Pause, um Atem zu schöpfen, und bevor der Gast nur den Mund auftun konnte, redete er schon wieder, wobei er sich bemühte, seine Stimme noch feierlicher klingen zu lassen. »Oder verlangt es gar die ehrbaren Greise, die Klügsten der Kühnen und die Kühnsten der Klugen, nach den Sprüchen der Diener der Asen, deren Willen wir wissen aus allerlei Zeichen wie der Bauer das Wetter aus der Wolle der weidenden Lämmer?«

»Du sagst es, Priester ...«

»Verstand tut not dem, der weithin streift. Daheim ist es leicht, sich vom Rate der Ratgebenden und von den Antworten der Asen leiten zu lassen, denn sie sind Freund dem, der ihnen Freund ist, und vergelten Gabe mit Gabe. So sprich denn als Bote der Bittenden, auf dass wir, der Götter Gehilfen, uns in uns versenken, den Willen der Waltenden zu ahnen und Rat den Ratsuchenden zu gewähren.«

»Du hast mich missverstanden, Priester. Nicht eine Bitte bringe ich, sondern ein Gebot.« Es fiel ihm sichtlich schwer, unter des Oberpriesters spöttisch strengem Blick seine Gedanken zu ordnen und in Sätze zu bringen. »Die Ältesten der Gemeinde erwarten ... erwarten euch am Abend vor Neumond, wenn die sinkende Sonne über den drei Birken steht, auf dem Thingplatz ...«

»Haben die Ältesten keine Knechte, dass sie ihren Vormann mit einer so geringen Botschaft betrauen?«

»Die Ältesten achten die Diener der Götter.«

»Und laden sie vor das Thing! Ja, wenn ihr unsern Rat bräuchtet ... Denn die Worte der Priester laben die nach Wissen Lechzenden wie der Morgentau, der auf die Wiese fällt, die dürstenden Blumen und Gräser.«

»Es geht ein Gerede um über euch.«

»Geredet wird viel im Gau, gewiss auch über die Priester. Wer im hellen Licht steht, wirft einen dunklen Schatten.«

»Deshalb sollt ihr vor der Gemeinde ...«

»Wie der unfreie Knecht vor seinem Herrn? Der Herr des Priesters ist allein der Gott, dem er dient, und nur ihm steht er Rede und Antwort.«

»Die Männer werden sagen: Wollen die Priester nicht die Unseren sein, so mögen sie im Finstern Walde den Bären und Luchsen die Runen werfen.«

Der Oberpriester tat gelassen. Er hatte gewusst, was ihnen drohte. Die beiden andern hatten seine Befürchtungen nicht ernst genommen; nun waren sie erschüttert, er sah es. Der Thorsmann lief rot an und ballte die Fäuste; er musste ihn scharf ansehen und ihn an seinen Platz bannen, damit er sich nicht unbeherrscht auf den Besucher stürzte. Das Lächeln des Freydieners hatte sich zu einer schiefen Grimasse verzerrt; aus dem linken Mundwinkel lief ein dünner Speichelfaden.

Die Schwäche der Kameraden stärkte seinen Mut, gab ihm die Gewissheit seiner Überlegenheit zurück, an der er einen Augenblick gezweifelt hatte. Er konnte wieder spöttisch lächeln, und näselnd erklärte er: Sie würden auch ohne förmliche Vorladung an der Dorfversammlung teilnehmen, da sie wie jeder andere Bewohner der Siedlung ihre Pflicht und ihr Recht wahrnehmen wollten, mit Wort und Tat die Geschicke der Siedlung mitzubestimmen, ja, auch mit dem Wort, da auch sie einige Fragen bewegten. Er wolle sie dem Vormann nennen, damit dieser sie den Alten weiterreiche und die Weisen genügend Zeit hätten, die Antwort gründlich zu bedenken.

Er schwieg bedeutungsvoll, gab seinem Blick noch mehr Strenge und näselte: »Wir Priester wüssten gern, wie die Gemeinde über jenen Zufall denkt, der dem speergewaltigen, listenreichen Tormund Grimssohn, von dem jeder im Dorf weiß, wie sehr er sich sträubte, den von den Göttern gezeichneten Ansgar Sigturssohn ...«

»Ihr versteht es, das Los zu werfen.«

Der Oberpriester winkte unwillig ab. Er schätzte es nicht, unterbrochen zu werden. »... anstelle des nicht eingebrachten Gefangenen als Mittsommeropfer den Asen zu überlassen, wie also die Gemeinde über jenen Zufall denkt, der dich drei Tage vor dem Fest in eine ferne Ortschaft führte und dich erst zurückkehren ließ, als der Frevler entkommen war.«

»Was soll diese Frage? Jedermann weiß, dass ich in Paviken Geschäfte hatte.«

»Gewiss lohnende Geschäfte. Ja, mein Freund, du hast deine Geschäfte, wir werfen die Runen. Jeder weiß, alles geschieht nach der althergebrachten Ordnung, nur der dumme Zufall ...« Er unterbrach sich, um Tormund Zeit zum Einlenken zu lassen.

Der aber senkte nur ein wenig den Kopf, er wich dem Blick des Priesters aus. Seine Stimme blieb fest. »Die Männer werden sagen, der Sohn Grims hat das Seine getan und seinen tüchtigsten Knecht für das Opfer angeboten, kräftig wie ein junger Ochse, ein großer Verlust für einen Mann, der einen Hof bewirtschaftet. Warum nahmen die Priester ihn nicht an? Warum schlachteten sie statt seiner einen ihrer eigenen Knechte, einen blässlichen Hänfling, dessen bleiches Blut den Göttern den Met säuert? Besaß er ein zu gutes Gedächtnis?«

Der Herr des heiligen Hügels war auf der Hut. Nichts ließ er sich anmerken, nicht das geringste Lidzittern. Sorgen machten ihm nur seine Mitpriester; er würde ihnen einen Beruhigungstrank reichen müssen. Tormunds Anschuldigungen überhörte er, um ihm von der andern Seite eins auszuwischen, wo der keinen Angriff erwartete: »Ferner wüssten wir gern, wie sich die weisen Männer Sigturs Tod erklären. War es nicht so, dass unsere braven Jungkrieger alle Feinde erschlugen, dass die so tot waren wie Stockfische und sie keinen einzigen Gefangenen heimbringen konnten? Und dann traf Sigtur der lebensraubende Pfeil. Können Tote Giftpfeile schießen?«

Tormund schluckte, er wusste nicht gleich eine Antwort. In seinen Ohren rauschte es. Er langte hinter sich, um irgendwo Halt zu finden. Eilfertig sprang der Freypriester hinzu und schob ihm einen Schemel unter, ohne dabei ein Wort zu sagen. Reden hatte der Oberpriester verboten.

Die angehenden Jungkrieger waren am Ende der Lehrzeit, die sie an der baltischen Küste verbracht hatten, südwärts gesegelt, um in ein wendisches Dorf einzufallen. Sigtur, der die Jungen in den letzten Wochen betreut hatte, hatte den Zug angeführt, und er, Tormund, war von den Ältesten hinübergesandt worden, damit er sich überzeuge, ob die Jungen fähig und reif seien, in den Kriegerstand aufgenommen zu werden. Als ob es einer Prüfung bedurft hätte, wenn Sigtur sie ausbildete. Aber so war es Sitte.

Sie hatten die braunen Segel der Handelsschiffe aufgezogen, um die Fischer zu täuschen. Doch als die Jungen mit wildem Kampfgeschrei aus den Booten sprangen, verhallte das Getöse in einem leeren Dorf. Die Herdfeuer waren sorgsam gelöscht, die Bewohner geflohen. Wer hatte sie gewarnt?

An der Südküste der Baltischen See rechneten die Dörfler im Frühsommer immer mit einem Wikingerüberfall, mal traf es eine wendische, mal eine prussische Ortschaft, welche, das lag in der Hand der Götter. Nicht einmal die Jungen wussten es vorher. Erst Tormund hatte ihnen die Sternenstände und die Landmarken genannt, nach denen sie ihr Ziel suchen müssten.

Sollte der Wendengott, dieser grobe, grellbunte Klotz aus mürbem Holz, den Asen ihre Geheimnisse abgelauscht haben? Eines so elenden Dorfes wegen? Wenn er seine Anbeter so liebte, warum füllte er dann ihre Netze nicht mit Hering und Dorsch? Warum ließ er ihre Gerste nicht doppelte Ähren tragen? Warum wirbelte er keinen Sandsturm auf, der die Angreifer aufs Meer zurücktrieb?

Kümmerliche Hütten, aus Schilf und Lehm lieblos zusammengeleimt, duckten sich hinter die dürren Dünen, als suchten sie Schutz vor dem salzigen Seewind. Drinnen gab es nichts zu holen. Nur Scherben dickwandiger Tongefäße und einige Schnüre verrotteten Netzgarns lagen herum.

Tormund entdeckte den Tempel, ein stabiles Holzgebäude, das sich abseits der Ortschaft in einem mannshohen Kieferndickicht verbarg. Dort hofften sie lohnende Beute zu finden, Tempel sind immer Schatzhäuser. Da warf sich ihnen eine Rotte junger Burschen entgegen, nicht älter als die Angreifer, bewaffnet mit Ruderschäften und Aalspeeren. Hei, da zeigten die Jungwikinger, was sie in den zwei Jahren Drill gelernt hatten. Einen nach dem andern streckten sie nieder, ohne selbst Verwundungen davonzutragen, die das Umwickeln mit Leinenlappen lohnten. Ansgar, sah Tormund, bekam einen Hieb über den Kopf. Er schüttelte sich nur und schlug seinem Gegner die Axt in die Brust.

Als das blutige Werk getan war, stemmten die Jungen die Schultern gegen die Bohlentür, die überraschend schnell nachgab. Auch der Tempel war ausgeräumt. Mit einer Pechfackel leuchteten sie in die letzte Ecke. Im flackernden Flammenschein fletschte der grellbunte Gott zornig die Zähne.

In wilder Wut erhoben sie die Waffen, um auf ihn einzuschlagen, ihn zu zersplittern, Span um Span, bis er nichts war als ein zerfetzter, zerfaserter Holzklotz. Aber Sigtur breitete die Arme aus und stellte sich schützend vor die Statue.

»Götter zwingt man nicht mit Eisen. Eisen zerfleischt nur den Leib, Stein zermalmt auch die Seele. Thor hat seinen Hammer, aus dem die Blitze stieben, aus schwarzem Stein gebrochen.«

Verdutzt sahen sich die Jungen an. Sie waren mit handlichen scharfen Eisenäxten bewehrt. Wer zog denn heute noch mit den klobigen schweren Steinwaffen in den Kampf?

Tormund reichte die Steinaxt, die er zu diesem Zwecke mitgenommen und bisher verborgen hatte, einem der Jungen, und Sigtur wies seinen Sohn an: »Nimm das Trinkhorn! Das Horn ist die Stimme des Gottes. Damit tut er den Priestern seinen Willen kund. Wenn wir schon keine Schätze heimbringen, dann wenigstens eine Trophäe.«

Dann schlugen sie zu, einer nach dem andern, mit dieser einen Axt. Der erste Schlag traf die Stirn. Ein Spalt klaffte zwischen den Augen. Span um Span splitterte aus dem Gesicht. Die Glieder zerbröckelten. Der Leib zitterte und zerfiel. Holzmehl rieselte zu Boden.

Auch an den Göttern nagen die Würmer, dachte Tormund, und die Jungen wunderten sich über die Schwäche der Statue. Musste nicht ein Donnerschlag niederfahren und die Frevler zu Boden schleudern, ein Blitz sie verbrennen, des Meeres Wut über sie zusammenstürzen? Sie wussten, dass dieser Holzstock nicht der Gott selber war, nur sein Bild. Konnte aber einer, der Macht besaß über Himmel und Erde, Feuer und Wasser, durfte der tatenlos zusehen, wenn man sein Bild verhöhnte, bespie, zertrümmerte?

Als sie durch den knöcheltiefen Sand zu den Booten zurückstapften, traf Sigtur der gefiederte Pfeil in den Rücken.

Er war gut gezielt, allzu gut, wie Lokis Mistelzweig, der den lichten Baldr fällte. Aufseufzend, mehr vor Schreck als vor Schmerz, denn Schmerz zeigt der Mann nicht, brach Sigtur zusammen.

Der Sohn beugte sich über ihn, er verstand kaum noch die geflüsterten Worte: »Hüte deine Schwester!« Dann verfärbten sich des Vaters Lippen. Ansgar legte ihm das Trinkhorn in die erkaltenden Hände und stürmte den Freunden nach, um den feigen Mörder zu fangen.

Tormund hielt die Totenwache.

Länger als eine Stunde hetzten sie durch die Dünen, das Gestrüpp, die Sandheide, den Erlensumpf. Mit gesenkten Köpfen kehrten sie zurück, stellten sich auf und tanzten den Totentanz. Axt schlug an Axt. Der Klang des Eisens bahnte dem Gefallenen den Weg nach Walhall, wo Odin ihn zur Tafel lud, zu Met und Wildbret.

Daran, dass sie einen Gefangenen mitbringen sollten, das Opfer für das heilige Mittsommerfest, hatte in der Aufregung niemand gedacht, auch Tormund nicht.

»Gingst du nicht hinter ihm?«, fragte der Oberpriester. Tormund schrak auf, blieb aber sitzen, fasste sich und entgegnete scharf: »Hüte dich, Priester! Sigtur war mein Freund.«

»Gewiss. Deshalb hast du auch seinen Besitz, Hof, Acker, Vieh, dem deinen einverleibt.«

»In Treuhand genommen. So haben es die Ältesten beschlossen, bis sich herausstellt, wo der Erbe ist. Und dann ist da noch die Frau ...«

»Du brauchst dich vor mir nicht zu rechtfertigen. Die Verteilung des Besitzes ist nicht Sache der Götter, die regelt die Gemeinde auf dem Thing.«

6. Kapitel

Eine laue Sommernacht, die man gern im Freien verbringt, so still, dass selbst die ewig unruhigen Blätter der Espen schwiegen, und das Surren der Mücken klang wie das ferne Dröhnen heiliger Luren. Unter einer uralten Birke, deren Zweige tief herabhingen und rings um den Stamm einen umschlossenen Raum bildeten, schob Ansgar vorjähriges Laub zusammen und sammelte Steine und Reisig ab, damit das Lager nicht zu hart sei.

Sie waren vor Mitternacht aufgebrochen, einzeln und heimlich, als erster Egil, der sich nicht mehr auf das väterliche Gehöft wagte. Es war ihm gewiss nicht leichtgefallen, ohne Abschied von der Mutter und den Geschwistern fortzugehen; er starrte schweigend vor sich hin. Das war Ansgar nur recht. Ihm war nicht nach Reden und Zuhören zumute.

Sie hatten sich an der schiefen Eiche getroffen. Außer ihnen waren nur noch zwei Burschen, Grille und Lasse, den Lockungen des Fremden gefolgt. Eine halbe Stunde hatten sie gewartet, dann mussten sie weiter. Womöglich fiel einem der Väter auf, dass sein Sohn nicht auf der Strohstatt lag, und er schlug Lärm.

Gegen Morgen fanden sie, nachdem sie ein unwegsames Dickicht durchquert hatten, eine versteckte, mit dichtem Unterholz bestandene Mulde, in der sie sich den Tag über verbergen konnten. Die Ruhe hatten sie bitter nötig, am meisten Ansgar.

Während die Gefährten sich im Moos ausstreckten, stieg der Göttersohn auf die nächste Bodenwelle, Egil wollte ihm nach, doch sein Blutsbruder wies ihn schroff zurück, er brauchte Einsamkeit, um mit seinem Vater Zwiesprache zu halten. Egil maulte, und der Fremde blickte Ansgar ärgerlich nach, aber sie folgten ihm nicht.

Zwei Jahre lang hatte er mit den Kameraden im Lager Tag für Tag und Nacht für Nacht aufeinandergehockt. Er hatte ihre dummen Reden, die Schlafgeräusche, die Ausdünstungen ertragen und den Ekel heruntergeschluckt. Noch in der Erinnerung befiel ihn ein Brechreiz. So suchte er jede Gelegenheit, allein zu sein. Inmitten einer Menge fühlte er sich wie ein Hammel, der in der Herde trottete und nur »bäh« schreien konnte.

Eins verwunderte ihn freilich: Der Widerwille würgte ihn nicht, wenn er an das Mädchen Thyra dachte, obgleich sie die willige Magd des Oberpriesters war.