Nüchternheit - Mauritius Wilde - E-Book

Nüchternheit E-Book

Mauritius Wilde

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Beschreibung

Pater Mauritius Wilde lädt zu mehr Nüchternheit im Leben ein. Damit meint er nicht den Verzicht auf Genuss, sondern das anzunehmen, was Gott für uns bereithält. Das Buch beleuchtet die Facetten dieses alten und doch so aktuellen Begriffs und zeigt, welche spirituelle und praktische Bedeutung er für uns in der momentanen gesellschaftlichen Situation haben kann.

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Seitenzahl: 128

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Mauritius Wilde

Nüchternheit

Die Kunst, sich ein achtsames Herz zu bewahren

Vier-Türme-Verlag

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2014

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Marlene Fritsch

Umschlaggestaltung: www.derUHLIG.com, unter Verwendung eines Motives von www.1001FreeDownloads.com

ISBN 978-3-7365-0159-1 (print)

ISBN 978-3-7365-0214-7 (epub)

www.vier-tuerme-verlag.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Wie im Rausch alles schiefgehen kann
Nüchternheit und ihr guter Geschmack
Was macht der Mönch in der Nacht?
Was brauche ich, nüchtern betrachtet, wirklich?
Ernüchterung
Einüben der Nüchternheit
Die Gegner der Nüchternheit
Die Wirkung der Emotionen auf unsere Beziehungen
Die Dynamik der Gedanken
Begierden und Leidenschaften
Leidenschaft und Freiheit
Wut
Neugier - Die mediale Versuchung
Sorgen und Angst
Positive Gefühle
Ideale
Emotionen äußern und von ihnen frei werden
»Nüchterne Trunkenheit«
Nüchternheit als Leitungsqualifikation
Kühler Kopf und warmes Herz
Das wachsame Herz
Die Wahrheit ist freundlich
Wie ein Gefäß
Das leere Grab
Literatur

Vorwort

Was tut gut in diesen Tagen? Die Nachrichten vermitteln den Eindruck, dass die Welt aufgeregter ist denn je. Ob sie es wirklich ist oder ob wir sie nur so erleben, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, die Aufregung ist ein Faktum. Und wenn sich die Stimmung in welchem Bereich oder welchem Teil der Erde auch immer weiter erhitzt, wird – so ahnt man – daraus nichts Gutes hervorgehen.

Was also hilft? »Nehmt euch in acht, dass Rausch und Trunkenheit und die Sorgen des Alltags euch nicht verwirren«, ermahnt Jesus seine Jünger (Lukas 21,34ff). Er spielt damit auf die zwei Grundversuchungen des Menschen an: angesichts von Schwierigkeiten entweder einfach wegzuschauen, sich abzulenken und sich zu »benebeln«, oder aber sich ganz von den Sorgen einnehmen zu lassen und auf diese Weise verwirrt zu werden. Nüchternheit hingegen klärt den Blick und lässt uns angemessen handeln.

Das Wort »nüchtern« klingt jedoch erst einmal so unsexy wie das, was es zu bezeichnen scheint. Es erinnert uns an Alkoholkontrolle oder an den Arzt, der uns vor dem Eingriff daran erinnert, nüchtern zu bleiben. Nüchternheit ist aber mehr als ein leerer Magen. In der Geschichte der christlichen Spiritualität spielt sie eine wichtige Rolle. Ziel eines »nüchternen Lebens« ist eine Haltung, die die Menschen, die Dinge, die Geschehnisse und Gott so nimmt, wie sie sind, und damit der Wahrheit der Menschen und der Wahrheit Gottes vollsten Raum gibt.

Ich bin schon immer fasziniert gewesen von trockenen Alkoholikern. Ich habe nicht nur höchsten Respekt vor ihrem Weg und ihren Entscheidungen, sondern an ihnen auch eine Haltung wahrgenommen, die ich in dieser Klarheit nur hier fand: Demut. Trockene Alkoholiker sind brutal ehrlich zu sich selbst und zu anderen und dabei äußert demütig. Sie haben so viel lügen müssen während ihrer Abhängigkeit, dass sie dies nun vollends zu vermeiden suchen und der Wahrheit ins Gesicht schauen. Das mag ein extremes Beispiel von »Nüchternheit« sein, aber eines, das mich nachhaltig beeindruckt hat.

Auf der Suche nach dem Ursprung des deutschen Begriffs »nüchtern« kam ich zu der überraschenden Erkenntnis, dass er der monastischen Tradition entstammt. Das lateinische Lehnwort geht auf nocturnus zurück, was so viel heißt wie »nächtlich«. Wahrscheinlich war damit ursprünglich der Zustand gemeint, in dem der Mönch sich in den nächtlichen Stunden vor der morgendlichen Eucharistiefeier jeder Speise enthalten hat. Diese Entdeckung machte mich als Mönch neugierig, weiter nach dem Charakter und der Praxis der Tugend der Nüchternheit zu forschen.

Dass wir mit dem Thema nicht in eine genussfreie oder gar genussfeindliche Ecke geraten, erkennt man daran, dass schon bei den alten Kirchenvätern eine paradoxe Formulierung gebräuchlich war; sie redeten von der »nüchternen Trunkenheit« (sobria ebrietas). Die Religion kennt beides: den Rausch, die Ekstase, und den Verzicht, die Enthaltung; sie kennt ein dionysisches Element und das apollonische. Beides findet sich im Leben Jesu wie in der Geschichte der christlichen Spiritualität. Mit scheint es, dass wir, wenn wir es richtig angehen, über den Weg der Nüchternheit in einen Lebenszustand gelangen können, der beschwingt ist und lustvoll. Damit ist aber eine andere Art des »Rausches« gemeint, die mit der Einnahme von Drogen nichts zu tun hat. Es ist der Weg des Konsumverzichts, bei dem es darum geht, Kontrolle aufzugeben und sich so dem hinzugeben, was das Leben und was Gott für uns tatsächlich bereithält. Der Weg der Nüchternheit ist somit sozusagen der andere Weg der Bewusstseinserweiterung.

Vielleicht haben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, die Befürchtung, dass dieses Buch über Nüchternheit so trocken ist, dass Sie am Ende der Lektüre das Gefühl haben, erst einmal eine wilde Party feiern zu müssen. Ich verspreche Ihnen: Wenn Sie sich einlassen auf das Thema und es auf sich ganz persönlich anwenden, werden Sie aufregende Entdeckungen machen, die Ihr Leben bewegen und verändern können und die Sie in ein erfüllteres Leben hineinführen.

Wie im Rausch alles schiefgehen kann

Es gibt eine Geschichte im Neuen Testament, die so fürchterlich und erschreckend ist, dass man sich fragt, warum man sie überhaupt in die Heiligen Schriften aufgenommen hat. Sie lehrt uns aber etwas über das Leben – und auch über ein besseres Leben:

Herodes hatte Johannes festnehmen und ins Gefängnis werfen lassen. Schuld daran war Herodias, die Frau seines Bruders Philippus, die er geheiratet hatte. Denn Johannes hatte zu Herodes gesagt: Es ist dir nicht erlaubt, die Frau deines Bruders zur Frau zu haben. Herodias verzieh ihm das nicht und wollte ihn töten lassen. Sie konnte es aber nicht durchsetzen, denn Herodes fürchtete sich vor Johannes, weil er wusste, dass dieser ein gerechter und heiliger Mann war. Darum schützte er ihn. Wenn er ihm zuhörte, geriet er in große Verlegenheit und doch hörte er ihm gern zu. Eines Tages ergab sich für Herodias eine günstige Gelegenheit. An seinem Geburtstag lud Herodes seine Hofbeamten und Offiziere zusammen mit den vornehmsten Bürgern von Galiläa zu einem Festmahl ein. Da kam die Tochter der Herodias und tanzte und sie gefiel dem Herodes und seinen Gästen so sehr, dass der König zu dem Mädchen sagte: Verlange von mir, was du willst; ich werde es dir geben. Er schwor ihr sogar: Was du auch von mir verlangst, ich will es dir geben, und wenn es die Hälfte meines Reiches wäre. Sie ging hinaus und fragte ihre Mutter: Was soll ich verlangen? Herodias antwortete: Den Kopf Johannes’ des Täufers. Da lief das Mädchen zum König hinein und verlangte: Ich will, dass du mir sofort auf einer Schale den Kopf Johannes’ des Täufers bringen lässt. Da wurde der König sehr traurig, aber wegen der Eide und der Gäste wollte er ihren Wunsch nicht ablehnen. Deshalb befahl er einem Scharfrichter, sofort ins Gefängnis zu gehen und den Kopf des Täufers herzubringen. Der Scharfrichter ging und enthauptete Johannes. Dann brachte er den Kopf auf einer Schale, gab ihn dem Mädchen und das Mädchen gab ihn seiner Mutter. Als die Jünger des Johannes das hörten, kamen sie, holten seinen Leichnam und legten ihn in ein Grab.

Markus 6,17–29

Diese schauderhafte Geschichte belegt, was passieren kann, wenn Menschen nicht »bei sich sind«. Es beginnt mit einem König, Herodes, der selbst von Emotionen hin und her geworfen wird. Auf der einen Seite ist er fasziniert von Johannes, er hört ihm gerne zu. Gleichzeitig bringt ihn die Begegnung mit ihm in Verlegenheit, weil sie ihn an das Unrecht erinnert, auf das Johannes ihn furchtlos hingewiesen hat. Die Furcht spielt in dieser Geschichte eine Rolle: Herodias will Johannes umbringen lassen, aber Herodes schützt ihn, weil er die Anhänger des Johannes fürchtet. Er hat Angst um seine Reputation. Er hat Angst vor schlechter Presse und Ärger im Reich. Er ist zerrissen und schützt deshalb Johannes, obwohl er ihn teilweise gar nicht schützen will. Dann kommt es zum »Showdown« bei seinem Geburtstag – in aller Öffentlichkeit. Wir können uns die Atmosphäre bei diesem Fest vorstellen: Es wurde ausgelassen gefeiert, mit Sicherheit auch getrunken. Dann tanzt das Mädchen, die Tochter der Herodias. Die Kombination aus Alkohol, Musik und sinnlicher Stimmung vernebeln Herodes den Verstand so weit, dass er eine irrsinnige Versprechung macht. Er lässt sich hinreißen vom Reiz der jungen Frau und verspricht ihr zu geben, was immer sie will. Es kommt sogar noch extremer: Er schwört ihr, alles zu geben, und wenn es die Hälfte des Reiches wäre. Welcher Mensch würde in nüchternem Zustand einen solchen Schwur ablegen? Und dann noch vor allen Leuten!

Das Mädchen weiß nicht, was sie verlangen soll, vielleicht hatte sie gar keinen konkreten Wunsch. Doch Herodias sieht in diesem Moment die Stunde ihrer ultimativen Manipulation gekommen. Als Herodes klar wurde, was sie will, hätte er als König immer noch sagen können: Nein, das kann ich dir nicht erfüllen. Doch er handelt wiederum nicht aus Einsicht, sondern lässt sich von der Furcht treiben – hat er das Versprechen doch öffentlich gegeben! – und sagt zu, wovon er gar nicht überzeugt ist. Denn eigentlich wollte er dem Ansinnen seiner Frau nicht nachgeben, eigentlich wollte er Johannes schützen. Aber er gibt auch hier wieder nach.

Das Resultat ist tödlich für Johannes. Ein Mensch, der aus tiefster innerer Überzeugung ein Unrecht angeprangert hat, muss sterben – aus der Weinlaune eines Machthabers und dessen intriganten Hofes heraus. Das Endbild der Geschichte, das Stoff für einen guten Hollywoodfilm böte, könnte symbolischer nicht sein: Da wird ein abschlagener Kopf auf die Party gebracht, auf einem Silbertablett serviert, mitten im Tanz und im Feiern ist da ein blutiger Menschenkopf. Es demonstriert den Machtmissbrauch, ausgehend von Furcht. Man könnte aber auch sagen, dass hier Kopf von Rumpf und Herz getrennt wurden, dass sozusagen nüchterne Überlegung den Emotionen und Begierden geopfert wurden.

Diese Geschichte ist das Gegenbild zur Nüchternheit. Hier waren alle »besoffen«: die intrigante und auf Rache sinnende Herodias, die manipulierte Tochter, die lauernden Gäste, der armselige und zugleich grausame König. Wenn die Nüchternheit verlorengeht, noch dazu auf allen Seiten, kann das verheerende Folgen haben. Diese Art von Rausch kann in Gewalt und Zerstörung, in Unrecht und Verwüstung führen.

Nüchternheit lässt sich nicht auf die Frage reduzieren, ob man zu viel Alkohol getrunken hat. Es geht darum, bei sich zu sein. Wenn Menschen nicht bei sich sind, sondern sich von Emotionen davontragen lassen, können schreckliche Dinge passieren. Ich bin mir sicher, dass sich Geschichten wie die der Enthauptung Johannes des Täufers auch heute noch abspielen, wenn auch vielleicht nicht in dieser Drastik, sondern mit subtileren Mitteln. Man mag sie in der Politik oder in Organisationen, aber auch in anderen Zusammenhängen finden, selbst in Familien. Es sind Situationen, in denen alles »schief« ist, in denen nichts mehr stimmt, in denen sich eine Lüge an die andere reiht, ein Betrug auf den anderen folgt. Es sind die Situationen, in denen Narzissten die Führung übernehmen können. Narzissten sind Menschen, die von sich selbst »besoffen« sind. Am Ende muss dann immer jemand dafür bezahlen. Und es gibt Opfer, weil niemand da war, der im entscheidenden Moment einen kühlen Kopf bewahrte.

Es ist ein Segen, wenn wir solche Situationen, im Großen wie im Kleinen, wahrnehmen. Wenn wir persönlich in sie verwickelt sind, ist es gut, ihrer gewahr zu werden, denn dann haben wir bereits Abstand zu ihnen, können uns neu ausrichten und uns und andere schützen. Manchmal erkennt man allerdings die Schwierigkeit auch erst hinterher, dann stellt sich so etwas wie ein »Gefühlskater« ein – und oft empfinden wir zudem Scham über das Geschehene. Besser ist es, wenn wir schon in den Situationen selbst den Abstand gewinnen können. Es kann helfen, sich für einen kurzen Moment aus der Atmosphäre, der Stimmung zu befreien, in dem man zum Beispiel nach draußen geht, um wieder »nüchtern« denken zu können, die eigenen Gefühle zu sortieren und sich so von ihnen und von denen der anderen nicht mitreißen zu lassen.

Mich tröstet, dass sich die zitierte Geschichte in den Heiligen Schriften findet, denn das bedeutet, dass auch solche Situationen Teil unseres Lebens sind, dass auch sie in ihrer »Entgleisung« vorkommen zwischen allem Heiligen, Guten und Schönen. Gleichzeitig ist es ein Lichtblick, wenn wir die Situationen als ungerecht wahrnehmen. Unsere Wahrnehmung drückt dabei die tiefe Sehnsucht des Menschen nach Liebe und Klarheit, Barmherzigkeit und Wahrheit aus.

Nüchternheit und ihr guter Geschmack

Wir assoziieren Nüchternheit zunächst einmal mit einem Verzicht, zum Beispiel auf Essen, Trinken oder Emotionen, also mit der Abwesenheit von etwas. Wenn wir aber Nüchternheit wirklich kennengelernt haben und schätzen, entdecken wir, dass sie selbst so etwas wie einen »Geschmack« hat. Sie ist sie gehaltvoll. Sie schmeckt gut und hinterlässt einen guten Geschmack. Ich erinnere mich daran, dass ich einmal für eine längere Zeit Limonade getrunken habe als täglichen Durststiller. Auf die Dauer aber wurde sie mir zu süß. Dann stieg ich auf einfaches Wasser um – und mochte es so gern. Schlichtes, einfaches Wasser. Wie köstlich! Seitdem möchte ich nicht mehr tauschen, und die Limonade kann mir nicht mehr geben als das einfache Wasser.

Ein anderes Beispiel: Wir umgeben uns gerne mit einer Geräuschkulisse. Der Fernseher läuft oder das Radio, zu Hause oder bei der Arbeit. Man fühlt sich dann nicht so allein, außerdem möchte man keine Neuigkeiten verpassen. Bewusst das Gerät auszuschalten, mag sich im ersten Moment hart anfühlen, doch wenn wir durchhalten und uns daran gewöhnen – so wie wir uns vorher an das Geräusch gewöhnt hatten –, erleben wir die Schönheit der Stille. Wir merken, dass das Radio nicht wirklich viel mehr als ein Geräusch geboten hat. Und wir erfahren, wie erfüllend die Stille sein kann. Wenn wir sie einmal »geschmeckt« haben, dann möchten wir es nicht mehr anders haben.

Ich denke auch an eine Erfahrung, die heute schon viele gemacht haben: die des Pilgerns. Am Anfang stehen wir vor der Frage: Was nehme ich mit? Und wir packen eine ganze Menge ein für den Weg! Wenn wir dann aber auf der Pilgerschaft sind, merken wir schnell, dass wir – nüchtern betrachtet – tatsächlich viel weniger brauchen, als wir mitgenommen haben. Es geht alles viel einfacher! Das ist eine befreiende Erfahrung: Man lässt los, gibt Dinge ab und fühlt sich leichter, wesentlicher, besser.

Für die Mönche hat nüchtern zu bleiben von Anfang an bedeutet, sich all dessen zu enthalten, was den Empfang des Heiligen, der Eucharistie, behindern könnte. Noch bis in die 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts gab es das Nüchternheitsgebot für alle Katholiken, das besagte, dass man sich vor dem Gang zur Kommunion mindestens ab Mitternacht des Essens und alkoholischer Getränke enthalten musste. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist die Zeit verkürzt worden auf eine Stunde, was heute immer noch gilt. Dahinter steckt die Überzeugung, dass es sich lohnt auszuwählen: Was nährt mich wirklich? Die Hostie hat zunächst einmal fast keinen Geschmack. Aber wenn ich eine Weile nichts gegessen habe, werde ich auch sie genießen können – ganz irdisch gesprochen. Natürlich zielte das Nüchternheitsgebot nicht auf diesen irdischen Genuss, sondern auf eine fundamentale Offenheit Gott gegenüber. Diese Offenheit konnte der Mönch besonders während der Nacht einüben. Während der Nacht konnte er eine Klarheit erreichen, die für ihn am Tag, im Licht und zwischen all den Ansprüchen und Erwartungen, die das Leben stellt, nicht zu erreichen war.

Was macht der Mönch in der Nacht?

Wie schon erwähnt, wird der Ursprung der Tugend der Nüchternheit dem klösterlichen Kontext zugeschrieben. Der deutsche Begriff »nüchtern« ist dem lateinischen nocturnus entlehnt und beschreibt den Zustand des Mönches in der Nacht (vgl. Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache