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Aléjandro kocht vor Wut ... seine Verlobte hat ausgerechnet ihn, den erfolgverwöhnten Frauenschwarm, sitzen lassen und ihm eine Affäre mit der Autorin Cady angedichtet.
In seinem Stolz verletzt, schmiedet er Rachepläne und überredet Cady zu einer Zusammenarbeit.
Doch mit ihr zieht nicht nur das Chaos bei ihm ein, sondern auch eine Frau, deren Zunge mindestens so spitz ist wie ihre Absätze.
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Für die wilde Hummel,
die mich mit ihrem Gesumme und dem honigsüßen Lachen auf Trab hält,
und mir den Glauben an mich selbst zurückgegeben hat.
Danke!
Angelique Darkness’ „Sizilianische Träume“
» Domènico blieb wie angewurzelt in der Tür des Schlafzimmers stehen und musterte die halbnackte Frau, die selig schlummernd auf seinem breiten Bett lag.
Guilia Valdés zwischen seinen Laken?
Er musste träumen.
Geräuschlos schloss er die Tür hinter sich, lockerte die Krawatte und zog sein Jackett aus. Langsam ging er zu der Schlafstätte hinüber, wohlweislich ihren wie hindrapierten Körper nicht aus den Augen lassend. Guilia seufzte leise. Als sie sich auf die andere Seite drehte, verrutschte die dünne Decke und gab ihre nackten Brüste frei.
Rund und prall wie spanische Melonen.
Domènico blieb am Fußende stehen und starrte sie mit dunklem Blick an. Ein boshaftes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Monate der Kränkungen und Zurückweisungen hatte er ertragen müssen. Jetzt bekam er endlich seine Chance.
Rache war betörend, wie zuckeriger Honig.
Mit erzwungener Ruhe zog er sich aus.
Schließlich griff er nach dem Laken, das sie bedeckte, und ließ es sanft über ihren Körper hinabgleiten, bis dieser in all seiner Makellosigkeit vor ihm entblößt lag.
Ein weiterer Seufzer kam über ihre Lippen.
Wer hätte gedacht, dass die Königin der Intrigen und Lügen sich betrunken in sein Bett verirren könne. Domènicos Lächeln vertiefte sich, während er sacht nach ihrem linken Fuß griff, ihn anhob und einen federleichten Kuss darauf hauchte. Seine Augen ließen sie nicht los. Seitdem er sie kannte, versuchte sie seine Geschäfte zu manipulieren und ihm das Leben schwer zu machen.
Behutsam begann er an ihrem großen Zeh zu saugen und ein schläfriges Kichern entrang sich ihrer Kehle. Sie hatte ihm mit ihren Eskapaden der Vergangenheit nicht schaden können, aber seine Wut auf sie wuchs stetig und der Wunsch es ihr heimzuzahlen war ungebrochen.
Sie versuchte ihr Bein wegzuziehen, doch er hielt es sanft aber bestimmt fest. Er küsste ihre Haut und ließ seine Lippen über ihr Sprunggelenk wandern. Die Finger seiner rechten Hand strichen ihre Wade empor und blieben in ihrer Kniekehle liegen. Unruhig bewegte Guilia sich im Schlaf, ihr Atem wurde flacher.
Domènico war es nicht gewohnt auf Widerstand zu treffen. Er besaß Einfluss, Macht und Geld. Er war ein Álvarez und er war stolz darauf.
Das sizilianische Blut seiner Mutter, gepaart mit den spanischen Wurzeln seines Vaters, verlieh ihm sein hitziges Temperament und gutes Aussehen. Keine Frau verweigerte sich ihm und besaß anschließend die Frechheit ihn zu verspotten. Keine offenbarte je solchen Ungehorsam ihm gegenüber.
Es war an der Zeit, dass er Guilia bewies, wie zwecklos ihre Behauptung war, sie sei immun gegen seine Verführungskünste.
Seine Zunge bahnte sich einen Weg über ihr Schienbein zur Innenseite ihres Oberschenkels. Ihr schöner Körper begann sich unter seinen Liebkosungen anzuspannen und Domènico warf der nackten Nymphe einen lüsternen Blick zu. Ihre Augenlider bewegten sich unruhig und ihr dunkles Haar lag wie ein Vorhang ausgebreitet auf dem Kissen. Leichte Röte überzog ihren bloßen Leib.
Sacht ließ er ihren Fuß zurück auf die Matratze sinken und widmete sich auf die gleiche Weise ihrem rechten Bein. Wenn sie erwachte, könnte sie sich ihm nicht länger verweigern. Er registrierte mit anzüglichem Grinsen, wie sein eigener Körper auf den Anblick der willigen, nackten Frau vor ihm reagierte. Sie würde ihn anbetteln, dass er beendete, was er begonnen hatte und sie würde es nie wieder wagen sich ihm entgegen zu stellen.
Er drückte ihre Schenkel auseinander, ließ seine Hände über die samtene Haut ihrer schlanken Beine gleiten und berührte mit den Daumen die weichen Lippen ihres rosigen Fleisches. Ein leises Stöhnen verließ ihre Kehle und sie wand sich unter den kreisenden Liebkosungen seiner kundigen Finger. Während er zärtlich das Zentrum ihrer Weiblichkeit streichelte und sich ihr immer wieder näherte, ohne ihr Erfüllung zu schenken, beugte er sich über sie.
Seine Zunge hinterließ eine feuchte Spur auf ihrem Oberschenkel. Guilias Beine zuckten und Domènico platzierte seine warmen Hände darauf. Er ließ die Handinnenflächen an ihrer Haut entlang gleiten, bis seine Daumen sich zärtlich gegen ihren Schoß drückten. Ihr Atem ging stoßweise und ihr Körper bog sich ihm in eindeutiger Weise entgegen.
Domènicos Hand strich über ihren Venushügel. Sanft glitten seine Finger durch den schmalen Streifen dunkler Haare. Er umkreiste die erregte Knospe, senkte den Kopf und küsste sie an ihrer intimsten Stelle. Er hörte ihr heiseres Stöhnen und während er sie liebkoste, drängte sie sich ihm entgegen. Guilias Bewegungen wurden fahriger und er bemerkte das Beben, das von ihrem Körper Besitz ergriff.
Als er von ihr abließ, seufzte sie so enttäuscht auf, dass er ein leises Lachen nicht mehr zurückhalten konnte. Langsam wanderte sein Mund über ihren Bauch zu ihren Brüsten hinauf.
Zärtlich umfasste er den hübschen Busen und hob seinen Lippen einen steil aufgerichteten Nippel entgegen. Er strich mit der Zunge darüber, umkreiste die Brustwarze und begann sanft daran zu saugen.
Sie stöhnte unter seinen Berührungen und ihre Lider flatterten. Energisch hob er ihr Becken ein Stück an und setzte seine erotische Verführung fort. Er rückte näher an sie heran, drückte sich an ihren Körper und ließ sie spüren, wie sehr es ihn nach ihrem Schoß verlangte.
„Oh.“
Ihr heiseres Stöhnen machte es ihm schwer, sie nicht sofort zu nehmen. Er spürte ihre Bereitschaft und die Lust, die sie übermannte. Er wollte sie. Er wollte von ihr kosten, sie spüren und besitzen. Sie sollte ihm gehören.
Wach endlich auf, schoss es ihm durch den Kopf.
Unsanft biss er in die empfindliche Haut ihrer Brust, was ihr einen leisen Aufschrei entlockte. Nur langsam ließ die trunkene Schläfrigkeit nach und er spürte, wie die Wirkung des Alkohols, den sie offensichtlich zu sehr genossen hatte, mit wattiger Zähigkeit von ihr abfiel.
Mühsam schlug sie die Augen auf und zwei unergründliche Smaragde begegneten Domènicos dunklem Blick. Er sah sie an. Ihre Miene war verhangen von Lust und Begierde - fern jeder Erkenntnis. Gefangen zwischen Traum und Realität hob sie ihm ihr Becken entgegen. Lächelnd drückte er ihre Schenkel auseinander, führte sein hartes Glied an ihre feuchten, willigen Lippen und schob sich mühelos in ihren Leib. Guilia zuckte kurz zusammen, dann hieß ihr Körper ihn willkommen.
In dem Moment, da ihr Blick klar wurde, begann er sich zu bewegen.
„Nein!“
Sie umschloss ihn, eng und warm, und er glaubte schier den Verstand zu verlieren, während er sich immer und immer wieder in ihr versenkte. Zorn und Lust tobten in ihrem Gesicht, sie wollte ihn mit den Händen von sich schieben. Doch ihr Körper ließ ihn nicht gehen, bog sich ihm voller Gier entgegen und empfing ihn hungrig.
„Verdammt - geh weg!“, keuchte sie erbost. Ihre Wangen färbte ein tiefes Rot, während sie sich verzweifelt bemühte den Trieb zu bekämpfen, der sie längst fest in seinem Griff hielt.
„Nein!“, raunte er nicht weniger wütend. Er stütze sich mit den Händen neben ihrem Gesicht ab und stieß erneut in sie hinein. „Du bist zu mir gekommen. Ich nehme, was du so willig dargeboten hast und nun gehörst du mir.“ Domènico ließ sich auf die Knie sinken und zog Guilia hoch auf seinen Schoß. Tief drang er in sie ein und ihrer Kehle entrang sich ein röchelnder Laut. Schwer atmend krallte sie die Fingernägel in seine Schultern.
„Ich hasse dich.“
Wütend sah er ihr in die funkelnden Augen, in denen kalte Ablehnung und heiße Leidenschaft stritten.
„Ich weiß“, gab er zurück. Seine Hände glitten zu ihrem Hintern und die Finger kneteten ihre Pobacken. Mit kreisenden Hüften ließ er sich Zeit, ihr Inneres zu erforschen. Einen Moment lang sah sie aus, als wolle sie in Tränen ausbrechen, während die Empfindungen sie überwältigten. Sie zitterte und stöhnte.
Ihre Lippen bebten und Domènico presste ihren warmen Leib an sich. Grob stieß er seine Zunge in ihren Mund. Er konnte fühlen, wie ihre Muskeln sich anspannten, sich in ihrem Inneren zusammenzogen. Er spürte ihren herannahenden Höhepunkt und die Kontraktionen in ihrem Unterleib.
„Aber dein Körper liebt mich“, hauchte er an ihren Lippen. Domènico drückte sie zurück auf die Matratze, packte ihre Beine und hielt sie fest. Begierig steigerte er das Tempo seiner Bewegungen. Seine Stöße kamen heftiger, länger, tiefer.
Guilia stöhnte und schrie unter ihm. Sie beschimpfte ihn, flehte um mehr und konnte nicht verhindern, dass ihr Leib sich ihm erregt entgegen warf. Bockend und sich windend gab sie sich den Wogen ihrer Lust hin. Er spürte ihre Fingernägel in seinem Rücken, die schmerzhafte Abdrücke hinterließen. Überwältigt von seiner Gier ließ er ihre Beine los, die sich um seine Hüften wanden und ihn näher zogen.
Zitternd klammerte Guilia sich an ihn, während er von seinem eigenen Orgasmus übermannt wurde und sich mit wildem Stöhnen in die Hitze ihres Schoßes ergoss. «
***
„Kann ich Ihnen noch einen Kaffee bringen, Mr. Pérez-Vasquez?“ Die anmutige Brünette vom Empfang stand mit ineinander verschränkten Fingern vor ihm und schenkte Aléjandro ein seliges Lächeln.
Er ließ das Buch, das er in seinen Händen hielt, sinken und betrachtete die attraktive Frau einen Augenblick lang abschätzend von oben bis unten. Mit einem knappen Kopfschütteln lehnte er ab.
„Danke, ich bin versorgt“, erwiderte er. Interessiert beobachtete er, wie ihre Wangen sich eine Spur rosa verfärbten und sie sich mit einem Nicken abwandte. Sie war mehr als nur hübsch. Dunkle Augen, braunes Haar, aparte Gesichtszüge. Vielleicht würde er sie später in sein Hotelzimmer einladen - allerdings nicht zum Kaffee.
Verwirrt wandte er den Blick wieder auf die Lektüre in seinen Händen und stutzte.
Verdammt!
Seine älteste Freundin Melody hatte ihn gewarnt, als er das Buch kaufte.
„Du wirst feststellen, dass Domènico dir extrem ähnlich ist. Es wird sein, als hielte dir jemand einen Spiegel vor, in dem dir all deine angenehmen und unangenehmen Eigenschaften vor Augen geführt werden. Viel Spaß bei deinem Déjà-vu.“
Missmutig stopfte er das Lesezeichen zwischen die Buchseiten und klappte die gebundene Sonderedition mit einem lauten Knall zu.
Angelique Darkness.
Dieser Name verfolgte ihn seit vier Wochen.
Ja, schreiben konnte sie und sie zog ihn hinein in ihre Story. Besonders die erotischen Szenen ihres Romans sprachen ihn an und er war bestimmt nicht der Einzige.
Vor fast dreißig Tagen hatte Sienna ihn verlassen und das nur, weil sie aufgrund des Buches von Angelique Darkness irgendwelche hanebüchenen Rückschlüsse auf sein Mitwirken zog.
Steif und fest behauptete Sienna, Aléjandro habe eine Affäre mit der Autorin. Wie sonst könne es sein, dass der Medienmogul Domènico Álvarez ihm nicht nur optisch glich wie ein Ei dem anderen, sondern auch den gleichen unsteten Charakter besaß wie Aléjandro? Selbst vor seiner Familie hatte sie nicht haltgemacht.
„Lies dir ihre Bücher durch“, hatte Sienna ihn angefahren. „Sein Leben, seine Affären und sein Aussehen, alles weist auf dich hin. Wie er die Frauen liebt, wie er sie verführt und berührt. Jede Bewegung, jeder Liebesakt ist eine Hommage an dich.“ Ihr Blick war wütend. „Das bist du, Aléjandro! Domènico ist ein unberechenbarer, egozentrischer Mann, intelligent und mit hitzigem Temperament. Seine Mutter ist Sizilianerin, sein Vater Portugiese, er hat eine jüngere Schwester. Wie du! Er ist groß und durchtrainiert, mit schwarzem Haar und braunen Augen. Wenn sie sein Gesicht beschreibt, ist es als würde sie dich beschreiben. Die Darstellung des erfolgsverwöhnten Playboys mit dem enormen Frauenverschleiß ist so passend, dass ich kotzen könnte.“ Zornig hatte sie ihn angestarrt. „Wie lang läuft das bereits zwischen euch?“
All seine Beteuerungen, dass er diese Frau nicht kenne, waren sinnlos. Sienna glaubte ihm kein Wort. Sie hatte den Verlobungsring von ihrem Finger gezogen und auf den Couchtisch geknallt, danach war sie aus dem Haus gestürmt. Sie ignorierte seine Telefonanrufe, die Post kam ungeöffnet zurück und weder auf E-Mail noch SMS reagierte sie mit einer Antwort.
Stattdessen lächelte sie ihm wenige Tage später, in den Armen eines Anderen, aus der Zeitung entgegen. Sie hatte sich offensichtlich rasch getröstet. Nach dem anfänglichen Schock kochte Aléjandro vor Wut. Er war voller Zorn, erst auf Sienna, dann auf diese Angelique. Man servierte ihn nicht einfach ab.
Aufgebracht hatte er damit begonnen, Erkundigungen über die Verursacherin seiner gelösten Verlobung einzuholen. Auch wenn er Sienna auf diese Art nicht zurückgewinnen konnte, würde er sich auf seine eigene Weise Genugtuung verschaffen.
Wem sollte er Rechenschaft ablegen?
Er war schließlich wieder Single und konnte tun und lassen, was er wollte. Da brauchte er sich auch kein schlechtes Gewissen einreden.
Seit einer ganzen Weile schon veröffentlichte die Autorin diverse erotische Kurzgeschichten auf einer Plattform für neue Schriftsteller-Talente. Über Angelique Darkness selbst war nicht viel herauszubekommen. Dafür bot ihr erstes Buch allerdings ausreichend Material für Spekulationen.
Aus mehreren ihrer aufeinanderfolgenden kurzen Kapitel, die sich mit dem smarten, reichen Medienmogul Domènico Álvarez und seinen heißen Liebschaften befassten, war ein ganzer Band geworden. Nachdem sie ihm zudem die kratzbürstige, selbstbewusste Guilia Valdés zur Seite stellte und zwischen den beiden Protagonisten nicht nur die Fetzen flogen, sondern auch die Hormone übersprudelten, war die Geschichte zum Publikumserfolg mutiert. Vor zwei Monaten schließlich hatte sich ein kleiner Verlag in Brisbane die Rechte gesichert. Dieses Buch verkaufte sich bereits jetzt mit lauter werdendem Echo.
Dass die Autorin sich nach wie vor bedeckt und ihre Identität geheim hielt kurbelte die Verkäufe zusätzlich an – denn alles Rätselhafte hatte seinen eigenen Reiz. »Sizilianische Träume« mutierte mehr und mehr zu einem Selbstläufer. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann daraus ein Kassenmagnet wurde.
Wenn sie ihn schon als Vorlage für ihren Hauptdarsteller nutzte, wollte er ein Stück von diesem Kuchen abhaben. Ein Grund mehr, warum heute so viel von seinem Besuch bei Porterhouse & Mills abhing. Zu gern wäre er geradewegs an die Autorin herangetreten, doch da man sie auf dem direkten Weg nicht erreichen konnte, war er zu diesem Schritt über ihren Verlag gezwungen. Wobei es ihm mittlerweile gar nicht mehr so verkehrt erschien.
Wenn er Mr. Mills bei seinem heutigen Treffen positiv stimmte und ihn von seinem Anliegen überzeugte, stünde Aléjandros weiteren Planungen nichts mehr im Wege. Er sah dem Treffen mit Zuversicht entgegen. Er konnte ausgesprochen überzeugend sein und wusste, wie man Menschen lenkte, um ihnen eine Idee als ihre eigene zu verkaufen.
Es war an der Zeit Angelique vor Augen zu führen, welche Konsequenzen ihr leichtsinniges Handeln nach sich zog. Er ließ weder sich noch seine Familie zum Gespött ihrer Geschichten machen.
Die gute Angelique Darkness konnte sich warm anziehen.
„Ehrlich gesagt hege ich gewisse Zweifel, dass sie sich auf diesen Vorschlag einlassen wird“, bemerkte Jonathan Mills. Er zerrte an seiner Krawatte, öffnete den obersten Hemdknopf und strich sich fahrig das schüttere Haar aus der Stirn. Aléjandro Javier Pérez-Vasquez war für ihn kein Unbekannter. Seit gut zwanzig Jahren gefeiert als Schauspieler, hatte er sein Hauptinteresse mittlerweile auf die Produktion verlagert und nebenher bei einigen preisgekrönten Filmen Regie geführt. Er galt als verschrobenes Genie und als Workaholic – der Ruf den er sich allerdings als Frauenschwarm während seiner Schauspielkarriere gemacht hatte, war geradezu legendär. Der Name A. J. Vasquez war ein Garant für Erfolg. Er war talentiert und er besaß die nötige Disziplin, um ein Projekt von Anfang bis Ende durchzuziehen.
Allerdings wusste Jonathan auch, dass Mr. Pérez-Vasquez zudem als heimliche Vorlage für Angelique Darkness’ männlichen Protagonisten gehandelt wurde. Die Autorin betonte immer wieder, dass es kein reales Vorbild für ihren rüpelhaften Macho gab. Doch selbst Jonathan war bei Auswertung der Leserstimmen der letzten Wochen klar geworden, dass diese Aussage wohl so nicht ganz stimmen konnte.
Der egozentrische Domènico Álvarez mit dem enormen Frauenverschleiß hatte überdeutlich viele Gemeinsamkeiten mit Mr. Pérez-Vasquez. Das würde nicht einmal seine Erfinderin abstreiten können.
Es war seltsam, diesen fleischgewordenen Frauentraum überraschend und sehr real vor sich sitzen zu haben.
Dass er ihm zudem nun das Angebot unterbreitete, sich die Filmrechte für »Sizilianische Träume« sichern zu wollen, zog Jonathan gerade ein wenig den Boden unter den Füßen weg.
Porterhouse & Mills war ein kleiner Verlag, der sich nur mit wenigen namhaften Autoren rühmen konnte. Aber sie hatten ein Gespür für Talente und mancher Schriftsteller, der später zu einem der großen Verlage gewechselt war, hatte einst bei ihnen seine Karriere gestartet.
Sie waren nicht weltbekannt, doch in Brisbane etabliert und der Verlag hatte sich ganz gut gehalten - zumindest für ein paar Jahrzehnte. Erst seit die Wirtschaftskrise sich mehr und mehr ausweitete, ging es auch Porterhouse & Mills längst nicht mehr so rosig wie früher. Hinzu kam der weitverbreitete Irrglauben in ihrer Branche, dass sich elektronische Bücher - sogenannte eBooks - niemals etablieren würden und als Konkurrenz zu gedruckten Büchern keine Chance hätten.
Sie hatten sich geirrt, sie alle. Dieser Markt boomte täglich mehr.
Jonathan und seine Partnerin Annie Porterhouse begegneten neuen Autoren mit deutlich weniger Enthusiasmus als früher. Irgendwann hatte Annie dann damit begonnen, sich auf dem größer werdenden Markt der unbekannten Schriftsteller umzusehen und diese selbsternannten Indie-Autoren genauer unter die Lupe zu nehmen. In Bezug auf Angelique waren sie sich allerdings so einig wie selten zuvor gewesen, was deren Talent und Zukunft betraf.
Der Besuch von Mr. Pérez-Vasquez war in Jonathans Augen ein eindeutiger Beweis, dass sie richtig handelten.
Angeliques Buch verkaufte sich täglich besser und die Zahlen stimmten ihn und Annie mehr als zufrieden. Sie hatten sich auf das Experiment eingelassen sowohl die Druckversion als auch das dazugehörige eBook zu vertreiben und es war genau der richtige Schritt gewesen.
Wenn Mr. Pérez-Vasquez tatsächlich die Filmrechte erwerben würde, wäre das ein Gewinn für sie alle. Gerade in Zeiten der weltweit stagnierenden Wirtschaft bedeutete das nicht nur zusätzlichen Profit, sondern auch gesicherte Arbeitsplätze.
„Sie werden gewiss die passenden Argumente finden, um Miss Darkness davon zu überzeugen“, erwiderte Aléjandro. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, das seine dunklen Augen nicht erreichte. Aléjandro stand auf und Jonathan tat es ihm nach. Er war nicht klein, dennoch überragte der Schauspieler ihn um mehr als fünfzehn Zentimeter. Eine Visitenkarte erschien wie hingezaubert zwischen den schlanken Fingern und Jonathan nahm sie mit zugeschnürter Kehle entgegen.
„Überlegen Sie es sich, Mr. Mills.“ Den Kopf schief gelegt, musterte Aléjandro ihn eindringlich. „Es ist viel Geld, über das wir hier sprechen. Miss Darkness erhält ihr individuelles Mitspracherecht, ihre Anonymität bleibt gewahrt und ich erhoffe im Gegenzug eine positive Zusage bezüglich der Besetzung der weiblichen Hauptrolle. Davon hängt alles ab. Seien Sie zuversichtlich und überzeugend. Ein Nein wäre für alle Seiten sehr bedauerlich.“
Jonathan straffte die Schultern, nickte dem vor ihm stehenden Mann zu und schüttelte dessen dargebotene Hand.
„Ich werde tun was in meiner Macht steht, Mr. Pérez-Vasquez“, versprach er.
Aléjandro sah ihn nur an. Mit ausdruckloser Miene griff er nach Angelique Darkness’ Buch. Er klemmte es sich unter den Arm und lehnte mit einer herrischen Handbewegung Jonathans Versuch ab ihn zur Tür zu begleiten.
Als er allein war, starrte Jonathan erneut auf die Visitenkarte in seinen Fingern. Schließlich zwang er sich zurück an seinen Schreibtisch und wählte die Nummer von Annie. Er musste mit ihr sprechen. Sie brauchten dringend ein stimmiges Konzept, um Angelique von der Notwendigkeit ihres Einverständnisses zu überzeugen. Sie alle konnten dadurch nur gewinnen – und es wäre genau die Art von Aufmerksamkeit, die Porterhouse & Mills endgültig wieder in die schwarzen Zahlen katapultieren würde.
***
Verblüfft starrte Cady Anderson ins Leere und presste Daumen und Zeigefinger gegen den Nasenrücken.
Nein - nein! Auf gar keinen Fall!
Seit zwei Wochen hatte sie bereits das absurde Gefühl verfolgt zu werden und sah hinter jeder Ecke einen Schatten lauern. Ständig befürchtete sie, dass ihre Tarnung aufflog und man ihr die Bude einrennen könnte. Natürlich war es albern - sie war nicht berühmt. Sie war niemand. Sie war höchstens ein bisschen paranoid.
Unter dem Künstlernamen Angelique Darkness hatte sie sich dazu hinreißen lassen einem alten Traum hinterher zu jagen. In Form von Domènico und Guilia lebten ihre dunklen Fantasien auf, während Cady kichernd und mit erhitzten Wangen vor ihrem Laptop saß. Sie hatte nicht geahnt, welche Resonanz ihre Geschichte um den gut situierten Lebemann und die zickige Marketingexpertin erzielen würde, als sie die ersten Seiten als unvollendetes eBook ins Internet stellte.
Es war ein seltsames Gefühl, plötzlich einen lesenden Fan-Club zu haben und in dem Wissen zu schreiben, dass irgendwo Menschen saßen, die ihre Geschichten mochten und mehr davon verschlingen wollten. In erster Linie waren es Frauen, die schon dem nächsten Kapitel entgegenfieberten. Es war befremdlich, es war schön und es machte süchtig.
Schließlich war der kleine, aber exquisite Verlag Porterhouse & Mills mit einem Vertragsangebot an sie herangetreten. »Sizilianische Träume« wurde als Printausgabe, und somit als richtiges Buch veröffentlicht - und plötzlich schienen ihre Hirngespinste, eine ernst zu nehmende Autorin zu sein, gar nicht mehr so unrealistisch. Natürlich hatte sie glücklich zugesagt. Endlich ein Verlag, endlich die Chance sich auf dem Weg ihre Brötchen zu verdienen, den sie sich immer heimlich erhofft hatte.
Heute Morgen hatte sie der Anruf einer gewissen Susan Murray vom Sender Link-International überrascht. Die Dame am Telefon hatte sich als Regie-Assistentin des Late-Night-Talkers Steve Brighton vorgestellt und Angelique Darkness zu einem Interview-Termin in seine Show eingeladen.
Zweifelsfrei ein tolles Angebot.
Angelique würde ein Wochenende in Canberra verbringen, eine luxuriöse Suite in einem Fünfsternehotel bewohnen und eine hohe Gage erhalten.
Im Gegenzug wolle man die Exklusivrechte.
Sie bräuchte nicht einmal in das Studio kommen. Selbstverständlich könne das Interview in ihrem Hotel aufgezeichnet werden. Verfremdet, sie müsse sich nicht öffentlich zeigen.
Dieses Angebot war verdammt verlockend.
Cady hatte den Kreis der Eingeweihten um ihre wahre Identität so klein wie möglich gehalten. Wie zur Hölle war diese Frau an ihre Telefonnummer gekommen?
Du hättest sie fragen sollen, ging es ihr durch den Kopf.
Glücklicherweise hatte Cady rasch genug geschaltet und sich als Mitarbeiterin von Angelique ausgegeben. Man würde sich melden, war ihre souveräne Antwort. Sie notierte die Kontaktdaten und verabschiedete sich unverbindlich.
Cady schüttelte den Kopf. Sie konnte dieses Angebot nicht annehmen. Unmöglich!
Denn wenn sie es tat, würde anschließend halb Australien wissen, wer sich hinter ihrem Pseudonym verbarg. Es war allgemein bekannt, dass Steve Brighton es liebte, die wahre Identität derer zu enthüllen, die versuchten, ihr Privatleben zu schützen. Sie wollte ihren Frieden. Sie wollte keine Interviews geben, Lesungen abhalten und vor irgendwelchen Paparazzi flüchten müssen. Sie wollte nur schreiben und ihr ruhiges Leben beibehalten.
Mit einem Seufzer stemmte sie die Ellenbogen auf den Tisch und legte den Kopf in ihre Hände. Ihr Blick glitt zu dem Notizblock, der neben dem schnurlosen Telefon lag. Nachdenklich starrte sie darauf. Die Zahl, die Mrs. Murray ihr genannt hatte, war unglaublich hoch. Früher hätte Cady Stein und Bein geschworen, dass sie nicht käuflich sei, aber seit einem halben Jahr sah ihre Welt anders aus.
Verdammt! Es war so verlockend: einfach ja sagen, das Geld nehmen, einen Teil der Schulden bezahlen und wieder ruhig schlafen können. Nicht mehr bei jedem Telefonanruf zusammenschrecken und sich fragen, welcher Kreditgeber als Nächstes seine gierigen Finger nach ihr ausstreckte.
Leise stöhnend bettete sie die Stirn in ihre Handflächen. Hatte sie wirklich eine Wahl? Sie musste Rechnungen bezahlen - jede Menge sogar - und langsam verlor sie den Überblick über die Höhe ihrer Schulden. Ihre Handballen pressten sich auf die geschlossenen Lider.
In ihrem Kopf hämmerte seit Wochen die gleiche Frage, die sie daran hinderte, positiv nach vorne zu blicken: Welchen Gläubiger sollte sie zuerst bezahlen?
Es fiel ihr zunehmend schwerer, optimistisch zu bleiben.
Früher war das anders.
Trotz einer harten Kindheit hatte sie sich durchgeboxt und nach vorn gekämpft. Sie hatte einen tollen Job und war bis vor kurzem noch sehr zufrieden mit ihrem Leben. Erst als sie vor knapp sechs Monaten diese Arbeit verloren und gezwungen war eine Stelle in einem Callcenter anzunehmen, war es erneut bergab gegangen. Sie wusste kaum ihre Rechnungen zu bezahlen und musste jeden Cent dreimal umdrehen.
Die ständigen Sorgen belasteten sie und die Schreiberei half ihr, für eine Weile die kalte Realität zu vergessen. Auf diese Weise konnte sie abschalten und sich völlig in ihre Fantasien und Geschichten fallen lassen.
Das Problem war nur: Sobald sie aus dieser anderen Welt zurückkehrte, war auch die Beklemmung wieder da – ebenso wie die Schulden und die Angst vor dem, was am nächsten Tag kommen würde.
Durchwachte Nächte, Heulkrämpfe und dieses ständige unterschwellige Gefühl des Wartens auf die nächste Katastrophe, waren längst zu einem Teil ihres Lebens geworden.
Cady zuckte zusammen, als das Telefon erneut klingelte. Mit müden Augen nahm sie es in die Finger und starrte auf das Display: Jonathan Mills.
Oh bitte, nicht das auch noch. Sie hatte jetzt keinen Nerv auf ihren Literatur-Agenten.
Sie schob sich die Brille wieder auf die Nase.
Hatte Mrs. Murray ihn zusätzlich angerufen, um über den Verlag noch ein wenig nachzuhelfen?
Gereizt nahm sie das Gespräch entgegen.
„Hallo Jonathan“, grüßte sie.
„Cady! Hallo, hier ist Annie Porterhouse“, erklang eine melodische Stimme.
Dass ihre Lektorin in der Leitung war, machte den Anruf nicht angenehmer. Vermutlich wollte Annie wissen, wie es mit dem neuen Buch voranging und gerade jetzt hatte Cady überhaupt keinen Sinn für Annies unterschwellige Art Druck auf sie auszuüben.
Sie seufzte tonlos und fuhr sich schläfrig mit den Fingern durch das lange Haar.
„Hallo Annie“, erwiderte sie. „Wenn Sie wegen des Manuskriptes anrufen ...“
„Oh nein.“ Annie gluckste in den Hörer, was Cady zu einem irritierten Stirnrunzeln veranlasste. Kicherte diese Frau?
Cady kannte Miss Porterhouse als resolute und willensstarke Endfünfzigerin. Eine Frau, die sich ihren Platz in der Verlagsbranche hart erkämpft hatte und selten lächelte. Sie hatte wirklich Haare auf den Zähnen und ihr Ruf als gnadenlose Lektorin war legendär. Ein Kichern passte zu ihr, wie Schlagsahne auf einen sauren Hering.
„Ist es wegen Link-International?“, wollte Cady wissen.
„Link-International?“, wiederholte Annie überrascht. „Der TV-Sender aus Canberra?“
Cady presste die Lippen aufeinander und schlug sich die Fingerknöchel gegen die Stirn.
Mist! Mist! Mist!
Hätte sie doch nur den Mund gehalten.
„Was ist mit Link-International?“, fragte Annie.
„Sie haben sich nach einem Interview mit Angelique erkundigt“, erwiderte Cady widerwillig. „Ich habe gesagt, man würde sich gegebenenfalls melden.“
„Das ist doch eine tolle Chance, Cady.“
„Ich weiß.“
„Überlegen Sie es sich, Cady. Sie haben großes Talent. Ihre Bescheidenheit ist hier fehl am Platz.“
„Ich weiß.“
„Sie sollten wirklich ...“
Nicht die gleiche Leier.
Kurzerhand unterbrach sie die Verlagschefin.
„Was ist der Grund Ihres Anrufes, Annie?“
Sie wollte diesen Sermon nicht zum gefühlten hundertsten Mal durchkauen.
„Oh ja. Mein Telefonanruf.“
Annie gluckste leise vor sich hin.
Was war denn heute los?
„Wir haben ein Angebot für »Sizilianische Träume« bekommen“, erklärte die Lektorin.
„Was für ein Angebot?“
„Da werden Sie niemals drauf kommen“, verkündete Annie.
Cady presste die Lippen aufeinander und schwieg. Sie hatte keine Lust auf Ratespielchen. Wenn Annie nicht gleich zur Sache kam würde sie auflegen.
„Wir haben einen Interessenten, der die Filmrechte an Ihrem Buch kaufen will“, platzte diese heraus.
„Was?“ Das sich überschlagende Krächzen aus ihrer Kehle erschreckte Cady. Annie kicherte schon wieder.
„Sie haben richtig gehört, Cady. Pranchwood Studios will »Sizilianische Träume« verfilmen und man hat Ihnen ein umfassendes Mitspracherecht eingeräumt. Sie können sich mit einbringen und die Bezahlung ist phänomenal. Wir sprechen von einem Betrag im sechsstelligen Bereich.“
Cady ließ das Telefon auf die blank polierte Oberfläche ihres alten Eichentisches sinken und versuchte mühevoll Atem zu holen. Ein wildes Rauschen betäubte ihre Ohren und benebelte ihre Sinne. Sie konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen.
Verstört schloss sie die Augen.
Irgendjemand erlaubte sich einen furchtbar schlechten Scherz mit ihr und das nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag.
Das war verrückt. Cady hatte ihr ganzes Leben damit zugebracht, sparen zu lernen und sich dreimal zu überlegen, welche Anschaffung wirklich notwendig war - und plötzlich sollte das mit einem Fingerschnippen vorbei sein?
Einfach so?
Nein. Ihr fiel nichts in den Schoß.
Es gab immer einen Haken.
Bei Link-International hieß er Steve Brighton. Was war es hier?
In ihrem Leben waren Probleme nicht mal eben aus der Welt geschafft. Sie war es gewohnt sich abzustrampeln und hart dafür arbeiten zu müssen, um auch nur kleine Teile jenes Schuldenberges abzutragen, der mittlerweile zu ihrem Lebensinhalt geworden war.
Über Jahre hatte Cady sich ihre Zuversicht bewahrt. Sie war fröhlich geblieben, dachte positiv und sagte sich ständig, dass es anderen Leuten noch schlechter ging. Irgendwie war es immer weiter gegangen. Es verlangte ihr kein großes Opfer ab, sich einzuschränken und ein bescheidenes Leben zu führen.
Aber ihre Welt war ein Stück weit aus den Fugen geraten, seit sie vor einem halben Jahr ihren Job in der einstigen Vermittlungsagentur für Lehrkräfte verloren hatte. Ihr liebevoller, altersschwacher Boss hatte sich in den Ruhestand begeben, weil seine Pumpe nicht mehr mitmachte - und sie war mit Ende dreißig offensichtlich zu alt für eine adäquate Beschäftigung an anderer Stelle. Zumindest hinterließen die unzähligen Absagen auf ihre Bewerbungen genau diesen Eindruck.
Letztlich war ihr keine andere Wahl geblieben, als das Jobangebot in diesem Callcenter anzunehmen. Eine Arbeit, die sie hasste wie die Pest.
Sie arbeitete im Mehrschichtbetrieb und entweder musste sie um halb vier in der Früh aus dem Bett oder sie kam erst mitten in der Nacht heim. Das Gehalt deckte gerade die monatlichen Kosten und Cady blieb kaum genug Geld, um sich etwas zu essen zu kaufen. Von Kleidung oder Ähnlichem ganz zu schweigen.
Die Einnahmen aus den Verkäufen ihrer Bücher waren zwar ein Bonus, aber nach Abzug der Steuern blieb auch davon nicht viel übrig.
Seit fünf Monaten ernährte sie sich fast nur noch aus ihrem kleinen Gemüsebeet. Eine magere Beute, denn sie war nicht unbedingt das, was man eine begnadete Gärtnerin nennen konnte. Der Ertrag ihrer Ernte war dürftig. Wie das nächste halbe Jahr verlaufen sollte, war ihr immer noch schleierhaft, zumal es ja nicht nur um sie allein ging.
Sie teilte ihr Leben mit dem Rüden Loki und der Hündin Vicky - und dann war da noch diese zarte, blasierte Katze namens Caramel ... drei Lebewesen, von denen sie sich um nichts in der Welt getrennt hätte, denn sie waren alles, was Cady an „Familie“ geblieben war. Ja, für ihre „Babys“ würde sie jeden Weg gehen, ganz gleich, welchen Preis es von ihr forderte.
Link-International oder Pranchwood Studios? Beides gefiel ihr nicht besonders. Letzteres am wenigsten ... aber es brachte das meiste Geld. Ein sechsstelliger Betrag und damit die Aussicht auf ein fast schuldenfreies Leben war mehr als verlockend – es war die Lösung ihrer Probleme.
„Cady???“
Annies Stimme hatte deutlich an Lautstärke zugenommen. Vermutlich rief sie nicht das erste Mal ihren Namen. Fahrig hob Cady die Hand und legte das Telefon wieder an ihr Ohr.
„Ich bin noch da“, krächzte sie.
„Ach, meine Liebe. Ich kann mir vorstellen, dass das ein kleiner Schock für Sie ist.“
„Gelinde gesagt“, warf Cady ein. Annie lachte.
„Nun, wir hätten da vielleicht einen kleinen Haken an der Geschichte“, bemerkte sie zögernd. Cadys beginnendes Glücksgefühl sackte augenblicklich zurück in den Keller. Natürlich - es gab immer einen Haken.
Wie schlimm mochte es sein?
„Eigentlich sind es sogar zwei: Der Produzent möchte, dass Sie damit beginnen das Drehbuch zu schreiben ... und außerdem hofft er, dass Sie die weibliche Hauptrolle selbst übernehmen. Er ist der Ansicht, Sie kennen die Figur der Guilia am Besten und sind somit vielleicht auch in der Lage sie im Film zu verkörpern. Die fehlenden schauspielerischen Kenntnisse sollen Ihnen in einem sechswöchigen Intensivkurs von dem Kollegen vermittelt werden. Sie erhalten dafür natürlich eine gesonderte Gage.“
„Bitte was?“
Selbst in Cadys eigenen Ohren klang ihre Stimme hysterisch und schrill. Das Rauschen wurde so laut, dass sie nicht mehr hörte, was Annie am anderen Ende der Leitung von sich gab. Wilde Punkte tanzten vor ihren Augen und sie spürte, wie ihr schwindelig wurde.
Was hatte sie heute gegessen?
Zwei Tomaten und einen Apfel. Es war fünf Uhr nachmittags. Sie hatte in den letzten Monaten gute zwanzig Kilo abgenommen. Nicht dass es ihr geschadet hätte - sie war keineswegs unglücklich damit, dass die Pfunde von ihren Hüften geschmolzen waren. Nur der Weg zu ihrer veränderten Figur hätte gern ein anderer sein können. Hunger war eine neue und unangenehme Erfahrung.
Keine Panik.
Es war bloß ihr Kreislauf, der sich meldete.
Ihr eigener Herzschlag dröhnte in ihrem Kopf. Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. Mit verschwommenem Blick starrte sie auf das Telefon in ihren Fingern und ein hysterisches Kichern kroch durch ihre Kehle hinauf.
Schauspielerin? Sie?
Das Drehbuch bekam sie ja vielleicht noch hin – mit ein bisschen Hilfe ... aber sie als Schauspielerin?
Cady lachte leise.
Dieser idiotische Produzent wollte, dass sie die Hauptrolle spielte?
Ha - natürlich kannte sie die Figur der Guilia. Wem mochte sie vertrauter sein als Cady. Aber ihre Protagonistin war locker zehn Jahre jünger als sie. Wie wollte man diese Tatsache kaschieren? Von diversen weiteren Problemen, wie ihrem mangelnden Talent und ihrer Kamerascheu, ganz zu schweigen.
„Cady?“
Verwirrt schaute sie sich um ehe ihr einfiel, dass Annie immer noch am anderen Ende der Leitung war. Sie kicherte erneut und hob das Telefon wieder ans Ohr.
„Die sind verrückt, oder?“, wollte sie amüsiert wissen.
„Nun, das ging mir auch durch den Kopf“, gab Annie zu.
Cady verzog den Mund. Sie brauchte keine Bestätigung ihrer eigenen Zweifel - sie wollte dass Annie beteuerte, sie würde sich ganz großartig machen.
Kopfschüttelnd schloss Cady die Augen.
Annie Porterhouse war Lektorin, keine Motivationstrainerin. Umständlich räusperte sie sich am anderen Ende der Leitung.
„Jonathan versicherte mir, dass der Herr bei völlig klarem Verstand war.“
„Wieso will man mich? Ich bin keine Schauspielerin, ich habe noch nie vor einer Kamera gestanden. Das ist völlig absurd.“
„Danach haben wir nicht gefragt“, erwiderte Annie.
Cady schüttelte immer noch den Kopf.
Sie fühlte sich seltsam, als habe sie zu viel getrunken. Der Cocktail aus Endorphinen und Adrenalin in ihrem Körper sorgte für ein wahres Gefühls-Chaos. Sie war unschlüssig, ob sie vor dem anstehenden Abenteuer - das plötzlich vor ihr lag - davonrennen oder sich mit Anlauf hineinstürzen sollte. Ihr Blick fiel auf Loki und Vicky, die auf ihren Plätzen neben dem Kachelofen lagen.
Wie lang würde sie sich das Futter für sie noch leisten können? Sie hätte schon längst mit ihnen zum Tierarzt gehen müssen, um sie impfen zu lassen.
Caramel, die grazile schokoladenfarbene Katze, sprang auf den Tisch, setzte sich mit aufmerksamem Blick vor Cady und starrte sie an.
Diese Katze tat nie etwas ohne Grund - so verrückt es in den Ohren anderer oft klang. Cady sah ihr in die leuchtend grünen Augen und war sich plötzlich ziemlich sicher, dass Caramel ihr klar zu machen versuchte, dass ihre Entscheidung doch längst gefallen war.
Sie holte tief Luft.
„Wird man öffentlich machen, dass die Autorin auch gleichzeitig die Hauptdarstellerin ist?“, wollte sie wissen.
„Nein, es wurden absolutes Stillschweigen und Anonymität zugesichert“, gab Annie zurück. „Lediglich Mr. Pérez, der Produzent, wäre über Ihre wahre Identität informiert. Für alle anderen sind Sie eine unbekannte Laienschauspielerin, die man engagiert hat, um die Authentizität der weiblichen Protagonistin zu erhalten - was mit einer bekannten Akteurin nicht gewährleistet wäre.“
Authentizität?
Die hatten doch allesamt einen Knall!
Sie sollte die Hauptrolle in ihrer eigenen Geschichte spielen? Das war verrückt!
Dass sie selbst es überhaupt in Erwägung zog, obwohl sie noch nicht einmal das Interview mit Steve Brighton wollte, war Wahnsinn.
Warum dachte sie überhaupt darüber nach?
Cady verzog die Lippen. Sie wusste warum: das Geld lockte. Das Geld für den Verkauf der Filmrechte und die zusätzliche Gage. Keine finanziellen Sorgen mehr, keine Angst vor dem nächsten Morgen und einem möglichen Anruf der Bank. Endlich wieder mit leichtem Herzen durchs Leben laufen.
Sie hatte sich bereits unzählige Male eine solche Chance gewünscht – und nun, wo sie sich ihr bot, hatte sie das Gefühl sich selbst wie ein Opferlamm zur Schlachtbank zu schicken.
Cady seufzte, strich Caramel über das schmale Köpfchen und pustete sich das Haar aus der Stirn. Okay, sie hatte schon ganz andere Dinge überstanden, aber das hier war etwas anderes als Hunger und Geldnot.
Es ging nicht nur darum an Mimik und Gestik zu arbeiten oder Texte auswendig zu lernen ... sie würde nackt vor einer Kamera agieren müssen. Nackt!
Noch dazu mit einem Mann, der vermutlich aussah wie ein griechischer Adonis und mit dem sie Szenen darstellen musste, in denen sie ungezügelten Sex miteinander hatten. Ein Mann, neben dem sie sich - mit ihrer Cellulite und den Narben - noch unansehnlicher fühlen würde, als sie es ohnehin schon tat.
Verdammt!
Sie hatte schon ein Problem damit, dass alle Welt erfahren könnte, wer sie wirklich war - und nun überlegte sie allen Ernstes sich auf eine Weise preiszugeben, die weitaus mehr von ihr offenbarte als nur ihre Identität als Autorin?
Wie wollte sie das mit ein paar Wochen Training kompensieren?
Ihre Hände schwitzten und sie biss sich auf die Unterlippe.
Es war so wahnsinnig viel Geld!
Konnte sie sich wirklich dazu überwinden?
Tief durchatmend versuchte sie, ihre Aufregung unter Kontrolle zu bekommen. Das wäre kein Spaziergang und sie würde danach nicht so tun können, als wäre das alles nicht passiert. Selbst wenn niemand den Zusammenhang zwischen Angelique und ihr herstellen würde, jeder wüsste wie sie nackt aussähe – sogar ihre Nachbarn.
Aber was war schlimmer?
Dass alle Welt ihren unästhetischen Körper sehen würde - den bislang nur die Gäste am Strand im Badeanzug hatten betrachten können - oder dass jemand herausfinden würde, wer Angelique Darkness wirklich war?
Sie hatte es bis heute vermieden, damit hausieren zu gehen, dass sie ein Buch geschrieben hatte. Nur wenige Menschen wussten davon. Der Gedanke, dass viele Leser glaubten, sie hätte all die Dinge erlebt, von denen sie erzählte, bereitete ihr Unbehagen. Wenn sie Geschichten schrieb, war darin natürlich auch immer ein Teil von Cady selbst enthalten und mit jeder Zeile, die sie veröffentlichte, machte es sie ein Stück weit verletzbar. Aber in erster Linie waren es ihre Wünsche und Träume, ihre geheimen Fantasien, denen sie Raum zum Wachsen gab.
Wenn sie ehrlich war, war der Gedanke daran sich nackt zu präsentieren wesentlich annehmbarer, als der sich als Autorin der »Sizilianischen Träume« zu offenbaren. Sie würde nur ihr Äußeres bloßstellen, nicht das, was in ihr war.
Wenn sie dem Angebot des Produzenten folgte, obwohl sie weder Schauspielerin noch Model war, gab es immerhin die Chance, dass er seine Wahl überdachte.
Wer sagte denn, dass sie Talent besaß?
Sie war nur Cady Anderson, irgendeine Laiendarstellerin, die keine Ahnung von diesem Job hatte und nicht wusste, worauf sie sich da eigentlich einließ.
Was hatte sie also zu verlieren? Höchstens ein bisschen Stolz, wenn dieser Verrückte feststellte, dass er sich besser jemand anders für seine Darbietung suchte.
Das war kurios, wirklich kurios.
Sie war so gut wie erledigt!
Nervös drückte sie das Telefon an ihr Ohr.
„Man kennt mich doch gar nicht. Rein optisch passe ich überhaupt nicht in die Rolle der Guilia. Außerdem bin ich zu alt.“
„Der Herr bestand darauf. An der Optik kann man nacharbeiten, heute wird doch alles retuschiert, was nicht hundertprozentig stimmt. Im schlimmsten Fall müssen Sie sich eben die Haare färben und bekommen ein Körperdouble. Im Übrigen sind Sie keineswegs zu alt, Cady. Sie sehen wesentlich jünger aus, als Sie sind.“
Cadys Augenbrauen hoben sich. Das war wohl Annies Art ein Kompliment zu machen. Wobei sie recht hatte - Falten ließen sich durch ein entsprechendes Grafikprogramm vertuschen und die essentielle Frage war doch eher die, ob sie überhaupt einen Funken Talent besaß. Aber das sollte nicht ihr Problem sein.
„Ich kann meine Hunde und die Katze nicht allein lassen.“
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann gab Annie ein zustimmendes Schnauben von sich.
„Ja nun, dann nehmen Sie die mit. Wenn Sie Kinder hätten, würden Sie diese auch nicht allein zu Hause lassen.“
***
Drei Stunden zu spät.
Missmutig strich Cady sich das immer noch feuchte Haar aus der Stirn, warf einen Blick in den Innenspiegel und seufzte. Sie wollte heulen vor Wut und sich irgendwo verkriechen.
Doch dafür blieb keine Zeit. Verdorben hätte es allerdings nichts mehr, sie sah ohnehin grauenhaft aus.
Dieser Montag war die reinste Katastrophe.
Auf dem Weg nach Byron Bay war alles schief gegangen, was schief gehen konnte.
Sie hätte wieder ins Bett gehen sollen, als sie noch die Möglichkeit dazu hatte. Stattdessen war sie morgens bereits in der Küche über Caramel gestolpert und hatte sich schmerzhaft die rechte Schulter geprellt. Eine Viertelstunde saß sie heulend auf den Fliesen und tat sich selbst leid.
Irgendwann riss sie sich aus ihrer eigenen Lethargie. Es war Zeit aufzubrechen. Die Jammerei half ihr auch nicht weiter. Außerdem war ihr bereits ein ausgesprochen großzügiger Vorschuss zugedacht worden und sie fühlte sich verpflichtet, wenigstens wie verabredet zu erscheinen.
Also, Augen zu und durch.
Wie sehr sich dies schon zu Beginn des Tages bestätigen würde, war Cady da noch nicht klar gewesen.
Rasch hatte sie Caramel eingefangen, sich drei blutige Kratzer geholt, als sie die Katze in den Korb sperrte, und diese dann mit Leberwurst bestochen, damit sie friedlich blieb.
Glücklicherweise war die Samtpfote davon so begeistert, dass sie gleichzeitig die kleine Beruhigungspille schluckte, die darin versteckt war und ihr helfen sollte, die Fahrt möglichst entspannt zu überstehen.
Geplant waren ungefähr zwei Stunden Fahrt.
Doch Cady war kaum aufgebrochen, als sie schon im Stau stand und ihr der Pacific Motorway entlang der Goldküste verwehrt blieb. Ein schwerer Unfall sorgte für eine unabsehbare Vollsperrung in beide Richtungen, weshalb sie ihr Navigationssystem neu programmiert hatte.
Vermutlich hatte sie irgendetwas falsch eingetippt, denn vor ihr lag plötzlich ein gut hundertdreißig Kilometer längerer Weg, wodurch sich ihre Reisezeit verdoppelte. Kurzerhand schickte sie eine entsprechende Nachricht an die Handynummer, die sie für Notfälle dieser Art erhalten hatte, und machte sich auf den Weg.
Das Unwetter zog gerade über Queensland, als sie die Umgebung der National Parks hinter sich ließ. Mehrfach musste sie rechts ranfahren, weil die Scheibenwischer der Wassermassen nicht mehr Herr wurden, die vom Himmel herunter kamen. Schließlich war sie ein paar Meilen nach Kyogle mit einem Platten liegen geblieben.
Ihr Handy fand kein Netz und sie keine Hilfe.
Sie holte Loki und Vicky aus dem Kofferraum und sperrte sie auf den Rücksitz neben Caramel, damit sie sich nicht in der fremden Umgebung selbstständig machten und vom nächsten Auto überrollt wurden. Anschließend hievte sie das Reserverad aus der Vertiefung im Kofferraumboden und begab sich eifrig daran, den Reifen zu wechseln. Währenddessen prasselte der Regen nur so auf sie herunter, durchnässte sie bis auf die Unterwäsche und sie brach sich zu allem Überfluss drei Fingernägel ab.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war sie endlich fertig. Wutentbrannt verstaute sie das defekte Rad samt Werkzeug im Kofferraumboden und öffnete die hintere Tür ihres Wagens, um Loki und Vicky wieder in den Kofferraum zu verfrachten.
Im gleichen Augenblick erbrach Loki, der inzwischen die Tüte mit den Hundekeksen in ihrem Rucksack geplündert hatte, sich auf Cadys Schuhe. Mit hängenden Ohren und in geduckter Haltung hockte der Rüde auf dem Rücksitz und beobachtete sie geradezu schuldbewusst. Einen Moment lang war sie versucht, sich einfach auf den Asphalt zu setzen und eine weitere Runde zu heulen.
Dieser Tag war eine einzige Katastrophe!
Stattdessen führte sie die Hunde kurz an den Seitenstreifen, ließ sie sich erleichtern und sperrte sie wieder in den Kofferraum.
Resigniert säuberte sie ihre Schuhe mit Unmengen an Papiertaschentüchern, vermied den Blick in den Spiegel und setzte ihren Weg fort.
Es war später Nachmittag, als sie endlich in Byron Bay eintraf und der Erfolg ihrer Bemühungen, die Spuren ihrer Odyssee zu beseitigen, war eher mäßig. Sie bemühte sich vergeblich, die Reste von Schmieröl aus ihrem Gesicht zu entfernen, fuhr mit den Fingern durch das feuchte Haar und band es im Nacken zu einem Zopf.
Sie verzog das Gesicht, als dieser sich klamm und kühl an ihre Haut legte. Frustriert warf sie einen Blick auf ihr ramponiertes Outfit. Zeit zum Umziehen war ihr nicht geblieben. Die letzte Stunde war sie durchgefahren, ohne anzuhalten – nicht einmal, als sie hörte, wie Loki sich den Rest der Hundekekse im Kofferraum noch mal durch den Kopf gehen ließ und Vicky sich an die Vernichtung der halb verdauten Leckereien machte. Cady hatte einen Moment gegen das daraufhin einsetzende Gefühl von Übelkeit in ihrem Magen angekämpft.
Vor einer halben Stunde war dann Caramel erwacht und tauchte seither das Innere des Fahrzeuges in ein Crescendo aus empörten, schrillen Misstönen. Seufzend zog Cady den Schlüssel ab und hängte sich ihre Handtasche über die Brust.
Keine fünf Minuten später stand sie, zwei Hundeleinen in der linken Hand und in der Rechten den Katzenkorb, vor der weiß lackierten Haustür der noblen Strandvilla, vor der sie ihren Wagen geparkt hatte.
Sie sah sich einen Moment lang um.
Geld regiert die Welt, schoss es ihr durch den Kopf.
Hier war es unübersehbar. Die hell verputzte Villa strahlte Luxus und Eleganz aus, ohne dass es überladen wirkte. Durch die blank polierten Butzenglasscheiben konnte sie einen verschwommenen Blick in den komfortabel eingerichteten Empfangsbereich erhaschen.
Direkt am Strand gelegen bot sich den Bewohnern wahrscheinlich ein grandioser Ausblick auf malerische Sonnenauf- und Sonnenuntergänge. Weißer Sand und Palmen, azurblaues Meer und ein weiter, offener Himmel - die perfekte Urlaubskulisse. Selbst am späten Nachmittag schien die Sonne noch auf sie herunter.
Hier hatte es ganz offensichtlich nicht geregnet.
Cady seufzte.
Vielleicht könnte sie ein paar schöne Fotos knipsen - den Moment festhalten und das Beste daraus machen. Dem Aufenthalt selbst sah sie ohnehin mit äußerst gemischten Gefühlen entgegen.
Caramel gab ein lang gezogenes Maunzen von sich. Mit einem weiteren Aufseufzen beugte Cady sich vor und drückte notgedrungen ihre Nase auf den Klingelknopf. Wenn sie jemand beobachtete, hielt er sie vermutlich für irgendeine verrückte Alte.
Einen Augenblick später erkannte sie durch das gewölbte Glas die schemenhafte Gestalt eines groß gewachsenen Menschen. Offensichtlich ein Mann. Er schien für einen Moment innezuhalten, ehe er zu ihr hinüber kam. Erst kurz vor dem Eingang wurden die Konturen unwesentlich schärfer.
Die Tür öffnete sich schwungvoll und Cady sah sich plötzlich dem lebendig gewordenen Domènico Álvarez gegenüber. Sprachlos und mit geöffnetem Mund starrte sie ihn an.
„Kann ich Ihnen helfen?“, wollte Aléjandro wissen. Interessiert ließ er seinen Blick über die junge Frau wandern, die ihm gegenüberstand.
Sie sah aus, als hätte ihr jemand erst vor wenigen Stunden einen gigantischen Kübel Wasser über den Kopf gekippt. Die klamme Kleidung klebte an ihrem Körper und das feuchte Haar hatte sie zu einem behelfsmäßigen Zopf im Nacken gebunden. Sie bot einen befremdlichen Anblick.
Hübsch, doch ziemlich absonderlich.
Die weiße Bluse, die sie trug, gab nur deshalb nicht mehr preis, weil sie eine abgegriffene Lederjacke darüber trug. Eine abgewetzte Jeanshose schmiegte sich an jede Linie ihrer gut geformten Beine. Er unterdrückte ein Schmunzeln. Ja, sie gefiel ihm wirklich gut, auch wenn ihr Kleidungsstil deutlich zu wünschen übrig ließ. Eindeutig Old-School, er fühlte sich an die Neunziger erinnert.
Er hob den Blick und sah ihr ins Gesicht.
Ein schmales Oval mit hohen Wangenknochen und einer Nase, die vielleicht ein wenig zu breit schien, sich aber trotzdem harmonisch in das Gesamtbild einfügte. Ihre Wangen wirkten hohl, als hätte sie in kurzer Zeit zu viel Gewicht verloren.
Ein energisches Kinn und Lippen, die kein Maler schwungvoller hätte zeichnen können, vervollständigten das Bild. Aus veilchenblauen, mandelförmigen Augen, die von langen Wimpern eingerahmt wurden und ihn durch die Gläser einer altmodischen Brille hindurch musterten, starrte sie ihn an.
Offenbar legte sie nicht nur wenig Wert auf die Qualität ihrer Kleidung, sondern auch auf ein nicht vorhandenes Make-up. Stattdessen zierte ihre Wange ein dunkler Schatten.
Das war Motoröl, oder?
War das ein neuer Trend?
Tatsächlich musste Aléjandro zugeben, dass es für ihn ein ungewohnter Anblick war, einer Frau gegenüberzustehen, die offensichtlich keinen Wert auf ihr Äußeres legte.
Seine Verlobte war anfangs sogar mit Make-up ins Bett gegangen, ehe sie die Permanent-Variante wählte, und sie war nicht die erste Frau mit dieser Marotte in seinem Leben gewesen. Er hatte beides nicht nachvollziehen können, aber die Diskussionen diesbezüglich hatte er längst aufgegeben. In der Branche und den Kreisen, in denen er sich bewegte, wurden Schönheit und Jugend hoch gehandelt. Da galten andere Maßstäbe.
Während er die Fremde musterte, schätzte er sie auf gut einen Meter siebzig. Zu seinem Bedauern verbarg die Lederjacke deutlich mehr, als er zu sehen erhoffte und so konnte er über die weiteren Proportionen nur spekulieren.
Da er lediglich einen Gast an diesem Tag erwartete und dieser seine verspätete Ankunft bereits angekündigt hatte, ahnte er, wer vor ihm stand. Zugegeben, er hatte sie sich anders vorgestellt. Eher wie die glutäugige, rassige Guilia in ihrem Roman.
Angelique Darkness ... war es ein Wunder, dass er bei einem solchen Namen an eine zierliche, grünäugige Schönheit mit dunkler Haarpracht dachte? Wer erwartete schon eine groß gewachsene Blondine, die aussah wie eine ertrunkene Ratte.
Als ein misstönendes Maunzen aus dem Korb in ihrer rechten Hand erklang, zuckte sie deutlich sichtbar zusammen. Blinzelnd schüttelte sie den Kopf, grinste Aléjandro entschuldigend an und stellte den Korb ab, ehe sie sich ihm zuwandte.
„Verzeihung. Mr. Pérez?“
Er nickte wortlos. Sein Blick verharrte kurz auf dem Transportkorb, dann wanderte er zu den beiden stattlichen Hunden undefinierbarer Rasse hinüber, die zu ihrer Linken standen. Seine Augenbrauen zogen sich widerwillig zusammen.
„Nennen Sie mich Aléjandro“, erwiderte er gedankenverloren.
„Die Ähnlichkeit hat mich gerade ein bisschen umgehauen“, fuhr sie unbeirrt fort und lächelte. „Mein Name ist Cady, Cady Anderson.“ Sie reichte ihm die Hand.
Irritiert betrachtete er sie einen Moment lang.
Cady Anderson?
„Müsste ich Sie kennen?“, wollte er wissen. Ihr Grinsen vertiefte sich und Aléjandro starrte sekundenlang auf ihre Lippen. Ihre Unterlippe war ein weniger voller als die Oberlippe. Ein Mund, der eindeutig zum Küssen einlud - und zu anderen Dingen.
„Sie haben mich herbestellt, Mr. Pérez.“
Irrte er sich oder ignorierte sie sein Angebot, ihn beim Vornamen zu nennen, einfach?
„Angelique Darkness.“
Es war eine Feststellung, keine Frage. Cady versteifte sich sichtlich und in ihre Augen trat ein unbehaglicher Ausdruck.
„Mr. Mills dürfte Sie doch zwischenzeitlich über alles informiert haben“, entgegnete sie ausweichend.
War es ihr etwa unangenehm, bei ihrem Pseudonym genannt zu werden?
„Ich verstehe“, bemerkte er gedehnt. Erneut betrachtete er sie prüfend von oben bis unten. Er spürte den wachsenden Unmut, den seine stille Musterung bei ihr entfachte.
„Sie sind spät dran.“
Aléjandro nahm ihre Hand. Sie hatte einen festen Griff, kühle Haut und lange, schlanke Finger. Für einen Moment beäugte er nachdenklich die Hand in seiner. Natürlich gewachsene Fingernägel, keine quadratischen Acrylkrallen, wie sie in letzter Zeit Mode waren. Sie hatte Pianistenhände, schön geformt und gepflegt - abgesehen von den drei frisch verschorften Kratzern auf ihrem Handrücken und den dunklen Rändern unter ihren Nägeln.
Was hatte sie unterwegs getrieben? Einen Ölwechsel vorgenommen?
Er hob den Blick und sah ihr in die Augen.
Eine wirklich ungewöhnliche Farbe.
Faszinierend.
„Ich weiß, es tut mir leid, aber ...“
„Interessiert mich nicht“, unterbrach er sie rüde. Ihre linke Augenbraue hob sich unwillig. „Sie sind blond!“, setzte er hinzu.
„Scharf beobachtet“, erwiderte sie trocken und wollte ihm ihre Finger entziehen.
Er hielt sie fest und betrachtete Cady aus schmalen Augen.
„Ehrlich gesagt habe ich erwartet, Sie wären ... ein etwas anderer Typ.“
In ihrem Gesicht zuckte es. Amüsierte sie sich über ihn?
„Tja, das passiert, wenn man die Katze im Sack kauft.“ Sie hob gelassen die Schultern. „Ich kann selbstverständlich wieder gehen ...“
„Nein! Ich bin nur überrascht.“
Aléjandro zog sie ein Stück zu sich heran und musterte sie eindringlich.
„Sie sind doch Angelique, oder nicht?“, fragte er. Leicht verstimmt schoben sich ihre Augenbrauen zusammen, doch sie hielt seinem bohrenden Blick stand.
„Das würde ich gerne innerhalb Ihrer vier Wände besprechen und nicht hier draußen, wo jeder zuhören kann, Mr. Pérez.“ Sie schaute kurz auf seine Finger hinunter und sah ihm erneut in die Augen. „Darf ich meine Hand jetzt wieder haben, oder wollen Sie sich mit mir verloben?“
Ihre zweideutige Bemerkung verursachte ein ungewohntes Pochen an seiner Schläfe. Das war dreist: ihn ausgerechnet mit seiner verunglückten Beziehung zu Sienna zu verhöhnen, über die in den letzten Wochen ausgiebig in den Medien berichtet und spekuliert worden war. Er spürte, wie Ärger in ihm hochstieg.
Die andere Hand zur Faust geballt betrachtete er sie unter halb gesenkten Lidern. Gut, wenn sie es auf diese Weise bevorzugte, dann konnte sie es haben.
Mit stoischer Gelassenheit starrte er sie einen Moment lang an. Winzige Lachfältchen lagen um ihre Augen, aber er erkannte auch die dunklen Schatten darunter. Interessiert musterte er ihre Lippen. In weniger als zwei Monaten würde er sie küssen und noch ganz andere Dinge mit ihr tun.
Ihr langer, schlanker Hals lud ihn ein, sie näher zu ziehen. Es würde ihm wirklich großes Vergnügen bereiten, ihr eine Lektion zu erteilen. Wenn sie meinte, ihn provozieren zu müssen, musste sie auch mit den Konsequenzen klarkommen.
Sie wollte Domènico Álvarez?
Er würde ihn ihr geben.
Aléjandro grinste anzüglich. Die nächsten Wochen würden sich amüsanter gestalten, als er erwartet hatte.
„Verloben? Eher nicht“, antwortete er und ließ endlich ihre Hand los.
Aber flachlegen werde ich dich in jedem Fall, ging es ihm durch den Kopf.
Ein erneutes Maunzen veranlasste ihn den Blick auf den Korb zu senken, den sie nun wieder an sich nahm. Zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine steile Falte und sein Lächeln erlosch.
„Sie bringen Ihre Katze und Ihre Hunde mit?“
Ihm war bewusst, dass man ihm seine mangelnde Begeisterung deutlich ansah. In seinem Haushalt gab es keine Tiere. Er hatte nichts gegen Haustiere, aber er hasste es, wenn sie überall ihre Haare hinterließen.
„Na ja, Sie haben das Gesamtpaket gebucht“, erwiderte Cady trocken und ein freches Grinsen veränderte ihr ganzes Gesicht.
Er betrachtete sie prüfend.
„Inwieweit ich allerdings Ihren Ansprüchen genügen werde, kann ich nicht beurteilen. Wie Sie selbst wissen, bin ich Autorin und keine Schauspielerin. Ob der Intensivkurs irgendwelche Früchte trägt, kann ich nicht versprechen.“
„Ich bin sicher, wir werden es herausfinden“, erwiderte Aléjandro, trat zur Seite und ließ sie hinein. Missmutig sah er dabei zu, wie acht Hundepfoten ihre Abdrücke auf den polierten Marmorfliesen hinterließen.
Das konnte ja heiter werden.
Nachdem er Cady ihr Zimmer gezeigt hatte, war Aléjandro verschwunden. Dankbar ließ sie die Hunde los, stellte den Transportkorb ab und befreite Caramel aus ihrem Gefängnis. Immer noch ein wenig wackelig auf den Beinen kletterte die junge Katze hinaus und entschied sich ihren Rausch kurzerhand auf dem Bett auszuschlafen.
Cady machte sich auf den Weg zurück zu ihrem Auto, um ihr Gepäck zu holen. Als sie die Eingangshalle durchquerte, entdeckte sie Aléjandro der in dem weitläufigen, offenen Wohnraum mit dem Handy am Ohr geschäftig hin- und herlief. Ob er gerade mit Jonathan und Annie telefonierte, um sich zu beschweren? Der Widerwillen, dass drei Schmutz verursachende Tiere in sein perfektes, makelloses Haus einzogen, war ihm deutlich ins Gesicht geschrieben gewesen.
Sie grinste schadenfroh und zuckte mit den Schultern.
Sein Problem.
Wenn er meinte, sie hierher beordern zu müssen, dann musste er auch mit den Konsequenzen leben. Cady huschte durch die Haustür hinaus zu ihrem Auto, wo sie eine Kiste vom Beifahrersitz und einen Koffer aus dem Fußraum zog, die sie beide neben dem Wagen abstellte. Sie schlug die Beifahrertür zu.
Seit dem Anruf von Annie war fast eine Woche vergangen. Cady hatte sich einen Tag Bedenkzeit erbeten und eine Nacht darüber schlafen wollen. An Schlaf war allerdings nicht zu denken gewesen. Sie verbrachte die nächsten Stunden grübelnd an ihrem alternden Laptop. Sich selbst gegenüber konnte sie zugeben, dass sie ihre Entscheidung längst getroffen hatte. Doch sie tat sich schwer damit, es laut auszusprechen.
Natürlich würde sie auf das Angebot eingehen.
Die Verlockung war einfach zu groß und sie hätte völlig verrückt sein müssen, es nicht zu tun. Das war die einmalige Chance, ihre Schulden los zu werden und endlich ein normales Leben führen zu können. Keine Sorgen mehr, keine durchwachten Nächte, kein Magenknurren. Sie wollte keine goldenen Wasserhähne oder einen teuren Sportwagen vor der Tür, aber es wäre schön sich wieder etwas leisten zu können und sei es nur ein Paar neue Socken oder neues Spielzeug für ihre haarigen Lieblinge.
Kurz nach acht Uhr hatte sie bei Annie angerufen und dem Auftrag zugestimmt.
Zwei Stunden später ging die E-Mail eines gewissen Pete Smolders in ihrem Postfach ein. Cady studierte den Vertrag lang und ausgiebig, unterschrieb und schickte die Unterlagen auf dem Postweg an die Pranchwood Studios zurück. Dass ihr dabei ein wenig mulmig war, hat sie einfach verdrängt.
Ganz gleich, ob dieser Job ihrem eher zurückhaltenden Charakter entgegenkam: die dafür anberaumte Summe war deutlich überzeugender als ihre Skrupel.
Sie war zu ihrer Nachmittagsschicht im Callcenter aufgebrochen und hatte sich mit Arbeit abgelenkt. An eine Fortführung ihres zweiten Manuskriptes von »Sizilianische Träume« war vorerst nicht zu denken. Das Chaos in ihrem Kopf war zu groß.
Drei Tage später starrte sie fassungslos auf ihren Bildschirm. Die Summe, die in der Online-Übersicht ihres Bankkontos erschien, versetzte sie in Fassungslosigkeit. Es war von einem Vorschuss die Rede gewesen, den sie vorab erhalten sollte, aber das, was in ihrem Kontoauszug erschien, war deutlich höher ausgefallen als erwartet. Eine ganze Weile saß sie schluchzend vor dem Monitor und schüttelte nur den Kopf. Als sie sich endlich ein wenig beruhigt hatte, begann sie die ersten Schuldenposten zu begleichen.
Es war ein berauschendes Gefühl und mit jeder Position, die auf der langen Gläubigerliste wich, kehrte ihre Zuversicht zurück. Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatten Abschlagszahlungen und Schuldscheine ihren Alltag bestimmt.
Nun würde sie schuldenfrei sein - zum ersten Mal in ihrem Leben.
Am gleichen Tag hatte sie sich dem notwendigen Gespräch mit ihrem Personalchef gestellt. Immerhin standen ihr ein mehrwöchiges Schauspieltraining und eventuelle Dreharbeiten bevor. Natürlich hatte sie ihm nichts von dem erzählt, was sie vorhatte - er hätte ihr ohnehin kein Wort geglaubt.
Ihre Bitte, sie aus persönlichen Gründen für ein halbes Jahr freizustellen, lehnte er kategorisch ab. Stattdessen verließ Cady eine Viertelstunde später mit ihren Papieren und ihrer Kündigung sein Büro. Sie weinte diesem Job keine Träne nach. Dank dieses verrückten Produzenten und seinem Interesse an »Sizilianische Träume«, würde sie sich in Ruhe eine neue und wesentlich angenehmere Arbeit suchen können, sobald sie am Filmset nicht mehr gebraucht wurde.
Auch wenn sich herausstellte, dass sie als Hauptdarstellerin völlig ungeeignet sei, konnte sie von dem Verkauf der Filmrechte noch eine ganze Weile leben, ohne am Hungertuch zu nagen. Solange sie keinen Höhenflug bekam und bescheiden blieb, hatte sie nichts zu befürchten. In der Zwischenzeit würde sie versuchen es sich bei Aléjandro bequem zu machen und die Entwicklungen der nächsten Wochen abzuwarten.
Mit einem Lächeln öffnete sie die hintere Tür ihres Wagens, hob den zweiten Koffer aus dem Fußraum hinter dem Beifahrersitz und stellte ihn ebenfalls neben der Kiste ab. Als sie schließlich über die Rückbank hinweg nach dem schweren Rucksack langte, an dem Loki sich bedient hatte, durchzuckte ein stechender Schmerz ihren Rücken.
Cady stöhnte auf.
Verdammte Bandscheiben.
Von jung und knackig war sie mit achtunddreißig wohl doch schon ein ganzes Stück entfernt. Sie schluckte. Hatte sich denn heute wirklich alles und jeder gegen sie verschworen?
Flach atmend ließ sie den Rucksack los und versuchte sich aufzurichten. Erneut schoss ein Stechen durch ihren Rücken. Sie keuchte.
Verflucht!
„Ich nehme an, Ihr Gepäck werde ich wohl hineintragen müssen“, bemerkte Aléjandro hinter ihr. Cady drehte den Kopf. Er war durch die Tür getreten und kam die zwei Stufen zu ihr hinunter. Sein Gesicht drückte deutlichen Unwillen aus, als er wortlos ihre Koffer und die Kiste nahm, um damit wieder im Haus zu verschwinden.
Sie spürte, wie ein hysterisches Lachen in ihr emporkroch und Cady schüttelte, schwankend zwischen Belustigung und Verzweiflung, den Kopf. Als ob sie auf seine gastfreundliche Hilfe gehofft hätte. Sie rechnete bestimmt nicht damit, dass er plötzlich zum Gentleman mutierte. Den Eindruck hatte er bereits zu Beginn ihres Kennenlernens verdorben.
Großartig! Nun stand sie hier, vornübergebeugt, halb in ihrem Auto, stützte sich auf dem Sitz ab und wusste sich nicht mehr zu bewegen. Wenn das nicht mal wieder eine der peinlichen „Typisch-Cady-Situationen“ war. Sie hätte darüber gelacht, wenn es nicht so furchtbar wehgetan hätte.
„Wollen Sie hier Wurzeln schlagen?“
Seine warme Stimme erklang direkt hinter ihr.
„Das nicht, aber Sie haben unglücklicherweise das Auslaufmodell gebucht“, gab sie zurück. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter und zog sie kurzerhand nach hinten. Cady konnte ein Wimmern nicht unterdrücken. Dennoch war sie froh, dass sie nun neben dem Wagen stand.
Ihr schwindelte. Sie schloss die Augen und kämpfte gegen die Übelkeit an, während sie sich in gekrümmter Haltung gegen das Auto lehnte.
„Was ist mit Ihnen?“
„Hexenschuss!“, keuchte sie.
„Was?“