Nur Fantasie reicht niemals aus - Band 2 - Mara Laue - E-Book

Nur Fantasie reicht niemals aus - Band 2 E-Book

Mara Laue

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Beschreibung

„Nur Fantasie reicht niemals aus!“ – Diese Erkenntnis steht am Beginn des Lernprozesses, mit dem Schreibbegeisterte sich auf den Weg machen, das Handwerk des kreativen Schreibens zu erlernen, um erfolgreiche Romane oder Kurzgeschichten zu schreiben. Mara Laue, selbst erfolgreiche Autorin und Schreibcoach, hat in diesem 3-bändigen Ratgeber die 21 Lektionen aus ihren Schreibkursen zusammengefasst, die alle Bereiche und Genres der Literatur abdecken, und ein komplettes Lehrwerk zum Selbststudium geschaffen, zugeschnitten auf den deutschen Buchmarkt. In diesem Band: Spannungserzeugung, Figurenentwicklung, Perspektive, Dialogführung, Rückblenden, Setting (mit Spezialtipps für SF und Fantasy), Titelfindung, Kurzgeschichten und Heftromane schreiben

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Seitenzahl: 651

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Nur Fantasie reicht niemals aus

Kreativ Schreiben in 21 Lektionen

für alle Genres und Textarten

Band 2

Nur Fantasie reicht niemals aus

Kreativ Schreiben in 21 Lektionen

für alle Genres und Textarten

Band 2

Mara Laue

Impressum

Copyright: Autoren-Tipps im vss-verlag

Jahr: 2024

Lektorat/ Korrektorat: Hermann Schladt

Illustrationen: Mara Laue

Covergestaltung: Hermann Schladt

Verlagsportal: www.vss-verlag.de

Gedruckt in Deutschland

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung der Verfasserin unzulässig.

In diesem Buch:

6. Spannungserzeugung 17

6.1 Spannung. Eine Definition 18

6.2 Erzeugung der Grundspannung 20

6.3 Die „Eintrittskarten“ 21

6.4 Die sieben Säulen der Spannung 24

6.4.1 Die Spannung im Klappentext 29

6.4.2 Plot 30

6.4.3 Originalität 34

6.4.4 Konflikte 36

6.4.5Persönlichkeiten mit „Profil“ 37

6.4.6 Stringenz 39

6.4.7 Mit Worten Bilder malen 40

6.5 Methoden der Spannungssteigerung 43

6.5.1 Die Bedrohung 43

6.5.2 Haken schlagen 44

6.5.3 Cliffhanger 47

6.5.4 Der Gruseleffekt 49

6.5.5 Unverhofft kommt oft 50

6.5.6 Das Rätsel 56

6.5.7 Die Lesenden wissen mehr 57

6.5.8 Enttäuschte Hoffnung 58

6.5.9 Andeuten und auslassen 60

6.5.10Verzögerung und verpasste Gelegenheit(en) 62

6.5.11Verschleierungstaktik 63

6.5.12Der Sieg des Bösen 65

6.5.13Amnesie 67

6.5.14Falsche Fährten 69

6.5.15Kill your Darlings 73

6.5.16Mit dem Ende beginnen 75

6.5.17Der Echtzeit-Effekt 79

6.5.18Zeitnot 81

6.5.19Die Perspektive 82

6.5.20Der „Schwarze Freitag“ 84

6.6 Die Spannung halten 87

6.7 Das retardierende Moment 88

6.8Besonderheiten bei Actionszenen 91

7. Figurenentwicklung101

7.1 Klischees112

7.1.1 Geschlechterklischees125

7.2 Der Name140

7.2.1 Figurennennung im Text153

7.2.2 Die Namensliste161

7.2.3 Personenregister im Roman162

7.3 Das Aussehen167

7.3.1 People of Colo(u)r170

7.3.1.1 Religionen175

7.4 Der Charakter176

7.4.1 Charakterbeschreibung181

7.4.2 Die Ausdrucksweise184

7.5 Motive186

7.5.1 Glaubhafte Reaktionen/Handlungen189

7.5.2 Geschlechterunterschiede194

7.6 Die „Personalakte“196

7.6.1 Das Interview210

7.7 Die Hauptfigur und ihr Gegenpart214

7.8 Nebenfiguren216

7.9 Broken Hero – „gebrochene“ Hauptfiguren218

7.10Figuren stellen221

8. Die Perspektive224

8.1 Auktoriale Perspektive224

8.2 Personale und wechselnde personale Perspektive240

8.2.1 Schwebende Perspektive244

8.2.2 Optische Gestaltung von Perspektivwechseln251

8.2.3 Das Braiden252

8.3 Eingeschränkt auktoriale Perspektive255

8.4 Ich-Perspektive260

8.4.1 Varianten der Ich-Perspektive269

8.4.2 Zeitformen der Ich-Perspektive274

8.4.3 Doppelte Ich-Perspektive277

8.5 Du-Perspektive281

8.6Die „Täterperspektive“ – ein Fall für sich283

8.7 Das Wissen der Schreibenden: immer ein

Perspektivbruch290

8.8 „Mauerschau“ und „Botenbericht“292

8.9 Anrede und Figurenbenennung 294

8.10Was Sie beachten müssen297

8.10.1 Wo der Hase im Pfeffer liegt304

9. Der Dialog308

9.1 Dialogformatierung311

9.2 Sprechhinweise und Unterfütterungen316

9.3 Männer reden anders. Frauen auch.324

9.4 Dialekte und Fremdsprachigkeit332

9.5 Nonverbale Dialoge337

9.6 Innerer Monolog, erlebte und indirekte Rede340

10. Die Rückblende346

11. Das Setting – Das Umfeld muss passen353

11.1Ortsbeschreibungen in der Regionalliteratur359

11.2Rechtliches366

11.3Entwerfen fremder Welten für Fantasy und SF370

11.3.1 Science-Fiction-Besonderheiten380

11.3.2 Fremde Welten im realen Umfeld382

11.3.3 Subkulturen384

12. Die Wahl des Titels387

12.1Titelfindung391

12.2Das Cover400

13. Die Kunst der Kurzgeschichte402

13.1Kennzeichen der Kurzgeschichte403

13.1.1 Was eine Kurzgeschichte ausmacht412

13.1.2 Inhaltliche Kennzeichen413

13.1.3 Formale Kennzeichen415

13.2Aufbau einer Story415

13.2.1 Der erste Satz416

13.2.2 Der erste Absatz418

13.2.3 Der zweite Absatz421

13.2.4 Konflikt422

13.2.5 Stringenz423

13.2.6 Kernpunkt425

13.2.7 Das Ende427

13.2.8 Der Titel428

13.2.9 Beschreibungen429

13.3Genre-Besonderheiten432

13.3.1 Krimi432

13.3.2 Fantasy434

13.3.3 Lovestory436

13.3.4 Horror439

13.3.5 Science Fiction441

13.3.6 Humoreske443

13.3.7 Erotik445

13.3.8 Experimentelle Texte448

13.4Storybeispiele452

13.4.1 Krimi: Dumm gelaufen452

13.4.2 Fantasy: Das Auge von Ruhakk458

13.4.3 Science Fiction: Das menschliche Temperament472

13.4.4 Liebesgeschichte: Liegende Venus mit Sandrose478

13.4.5 Horror: Katzenknochen482

13.4.6 Erzählende Story: Symphonie der Stadt485

13.4.7 Humoreske: Dinner-Solitüde489

13.5 Schreiben für Wettbewerbe496

13.6Der Heftroman: ein Hybrid506

13.6.1 Der Kurzroman514

Über die Autorin518

Weitere Schreibratgeber von Mara Laue519

In BAND 1:

nur fantasie reicht niemals aus

1. Schreiben ist ein Handwerk

1.1Am Anfang: eine Idee

1.1.1„Geklaute“ Ideen

1.2 Schreibweise und Textgestaltung

1.3 Zeitmanagement

2. Shortstory bis Roman

2.1 Was ist eine Geschichte?

2.2 Die Unterschiede im Überblick

2.3.Ein Buch ist ein Buch, wenn ...

2.4 Literatur im Wandel der Zeit

3. Die Sprache

3.1 Wie Sie gut schreiben

3.1.1 Das Passiv

3.1.1.1 „Es“ – das „Phantom“

3.1.2 Das Adjektiv

3.1.3 Der Nominalstil

3.1.4 Infodump

3.1.5 Vergleiche/Metaphern

3.1.6 Füllwörter

3.1.7 Betonung von Nichthandlungen

3.1.8 Der Genitiv

3.1.9 Umgangssprache

3.1.10 Was noch zum guten Schreiben gehört

3.1.11 Den eigenen Stil finden

3.1.12Gendern

3.2 Klischees

3.3 Satzbau

3.4 Stilblüten

3.5 Das Tempus (Zeitform)

3.6 Sprache und Genre

3.7 Kleine, tückische Biester

3.8 Zahlwörter, Maße, Datum und Uhrzeit

4. Zeigen, nicht erzählen

4.1 So wird’s gemacht

4.2Der Einfluss der Perspektive

4.3 Gefühle beschreiben

4.3.1 Hass

4.3.2 Angst

4.3.3Mut

4.3.4 Schock

4.3.5 Liebe

4.4 Landschaftsbeschreibung

4.5Atmosphäre schaffen

4.6 Keine „Behauptung“ ohne Beweis

4.7 Handlungsstruktur und Überleitung

4.7.1 Szenenüberleitung und -abschluss

4.7.2 Kausalität und Reihenfolge

4.8 Stringenz

4.8.1 Wiederholungen

4.9 Der Einfluss guter Beschreibungen

5. Der Plot – Aufbau einer Geschichte

5.1 Wie ein Plot entsteht

5.1.1 Plotpoints – wichtige Wendepunkte

5.1.2 Realitätsbezug

5.2 Handlungsaufbau

5.2.1 Plotskizze

5.2.1.1 Die „Zutaten“

5.2.1.2 Der Aufbau

5.2.1.3 Die „Gewürze“

5.2.2 Stringenz

5.2.3 Die Zeittafel

5.2.4Szenenaufbau

5.3 Originalität

5.4 Die unverzichtbare Logik

5.4.1Der Teufel im Detail

5.4.2Zufälle sind tabu!

5.5 Ein guter Anfang

5.5.1 Der Prolog als Anfang

5.6 Der Konflikt

5.7 Das Ende

5.7.1 Offenes Ende

5.7.2Der letzte Satz

5.8 Die „Heldenreise“

5.9 Mehrteiler schreiben

5.9.1 Das Serienhandbuch

5.9.2 Damit die Serie/Reihe Erfolg hat

ANHANG:

Glossar

Über die Autorin

Weitere Schreibratgeber von Mara Laue

In Band 3:

14. Erotik (be)schreiben: ein Kapitel für sich

14.1Die Sprache der Erotik

15. Recherche

15.1Psychologie, Verhalten, Plausibilität

15.1.1 Polizeiarbeit

15.1.1.1 „Miss Marple“

15.2Einarbeitung der Recherche in den Text

15.3Werkzeuge der Recherche

15.4Vom Umgang mit fremdem geistigen Eigentum

15.4.1 Zitieren von Gedichtzeilen und Songtexten

15.4.2 Benutzung von Markennamen

15.4.3 Hinweise für Selfpublishing

16. Überarbeiten

16.1Tipps fürs Kürzen

16.2Im Lektorat

17. Das Exposé

17.1So wird’s gemacht

17.2Aufbau des Rahmenexposés

17.3Entwerfen von Klappentexten

Abbildungen Exposéaufbau

18. Formales

18.1 Manuskriptgestaltung

18.1.1Kapitelwechsel

18.1.2Kapitelüberschriften

18.1.3„Bücher“ im Buch

18.1.4Szenenwechsel

18.1.5Kapitel-/Szenenlänge

18.1.6Zeilen- und Absatzwechsel

18.1.7Inhaltsverzeichnis

18.1.8Verlagsvorgaben

18.2Die Normseite

Abbildung Normseite

18.3Die Manuskriptnorm

18.4Das Verlagsanschreiben

Abbildung Musteranschreiben

18.5Das E-Mail-Anschreiben

18.6Entwerfen Ihrer Kurzvita

18.7Eine dringende Warnung

19. Das Genre

19.1Abenteuerroman

19.2All Age Literatur

19.3Animal Fiction

19.4Autobiografischer/Biografischer Roman

19.5Bildungsroman

19.6Chick Lit

19.7Coming of Age

19.8Entwicklungsroman

19.9Ethno-Literatur

19.10Fantasy

19.11Fur Fiction

19.12Generationenroman

19.13Historischer Roman

19.14Horror/Grusel

19.15Humoristische/heitere Literatur

19.16Kinder und Jugendliteratur

19.17Kriminalroman

19.18Liebesroman

19.19Mystery

19.20New Adult

19.21Science Fiction

19.22Sick Lit

19.23Spannungsroman

19.24Tatsachenroman

19.25Thriller

19.26Western und Indigener Roman

19.27Young Adult

20. Sachbücher, Biografien, Lyrik

20.1Sachbücher

20.2Biografien

20.2.1Ghostwriting

20.3Lyrik

21. Veröffentlichung, letzte Tipps & Nützliches

21.1Regeln

21.2Veröffentlichung

21.2.1Wege zur ersten Veröffentlichung

21.2.2Agentur oder nicht?

21.2.3Selfpublishing

21.2.4Authentisch bleiben

21.2.5„Will das überhaupt jemand lesen?“

21.2.6Co-Autorin/Autor

21.3Das Pseudonym

21.4Schreibblockade – was nun?

21.5Schreiben als Beruf

21.5.1Was Schreibende brauchen

21.5.2Was Schreibende nicht brauchen

21.5.3Das Finanzielle

21.6Rezensionen schreiben

21.7Lesungen vorbereiten und halten

21.7.1Worauf es bei einer Lesung ankommt

21.7.2Wie eine Lesung abläuft

21.7.3Abrechnung von Lesungen

21.7.4Der Umgang mit Lampenfieber

21.7.5Womit Sie rechnen müssen

21.7.6Die Kleiderfrage

21.7.7Was Sie sonst noch brauchen

21.7.8Ein wichtiger Hinweis

21.8Interviews

21.8.1Die Pressemappe

21.9Die letzten Tipps

Abschlussaufgabe

ANHANG:

A. Polizeiarbeit – Fiktion und Realität

A.1 Der trügerische Schein der Fiktion

A.2 Der Ablauf einer Mordermittlung

A.3 Feststellung der Identität/Anschrift

A.3.1 Erkennungsdienstliche Erfassung

A.4Grenzübergreifende Ermittlungen

A.5 Tatortarbeit

A.6 Obduktion

A.7 Vernehmung und Befragung

A.7.1 Aufzeichnung

A.8 Festnahme

A.9 Hausdurchsuchung

A.10 Waffenrecht

A.11 Der verliebte Kommissar

A.12Wissenswertes und Interessantes

B. Muster Verlagsvertrag

C. Literaturverzeichnis

Über die Autorin

Weitere Schreibratgeber von Mara Laue

6. Spannungserzeugung

Spannung im literarischen Sinn ist ein dichterisches Mittel, um die Neugier und das Interesse der Lesenden in gesteigertem Maß zu wecken und wach zu halten. Dies gilt für jede Art der belletristischen Literatur, nicht nur für Krimis und Thriller, die der Inbegriff der Spannungsliteratur sind. Auch alle anderen Genres brauchen ein Mindestmaß an Spannung, um das Lesepublikum nachhaltig aus dem Alltag zu entführen. Die Lesenden erwarten eine Handlung, die sie idealerweise atemlos die Seiten verschlingen lässt in dem Bestreben, möglichst schnell zu erfahren, wie die Geschichte weiter- und ausgeht. Sie möchten mit den Heldinnen/Helden mitempfinden, mit ihnen leiden, hoffen, lachen, sich mit ihnen freuen, um sie bangen. Ohne eine wenigstens zart kribbelnde Spannung sind Romane langweilig. Schon Voltaire meinte: „Jede Art zu schreiben ist erlaubt, nur nicht die langweilige.“

Ein Teil des Interesses wird bereits durch das verarbeitete Thema geweckt und dadurch, wie originell und mitreißend es sich schon in den ersten Sätzen/Absätzen des Textes präsentiert. Jedoch, das sei hier vorab gesagt, liegt es „im Auge der Betrachtenden“, was als spannend oder langweilig empfunden wird. Für manche ist jede Handlung langweilig, die nicht möglichst viel Action enthält, und sie können selbst dem spannendst präsentierten psychologischen Konflikt nichts abgewinnen. Andere fühlen Spannung erst, wenn sie mörderisch zuschlägt und langweilen sich, wenn sie nur zart kribbelt, weil sie diese zärtliche („cosy“) Variante der Spannung nicht „für voll“ nehmen.

Ein weiterer Teil der Spannung ergibt sich grundsätzlich in den meisten Fällen aus der Handlung beziehungsweise der beschriebenen Situation. Ist die Heldin in die Hände ihres Feindes gefallen, muss man nicht zwangsläufig noch eine besondere Spannung erzeugen (darf das aber gerne tun), denn die Situation ist durch die Gefahr, in der sie sich befindet, per se spannend. Gelingt es ihr, sich in der Nacht von ihren Fesseln zu befreien und sie schleicht zum Ausgang ihres Gefängnisses, dann passiert in dieser Situation genau genommen „nichts“, außer dass die Heldin etwas mühsam einen Strick aufbindet und durch einen Raum zum Ausgang geht. Die Spannung entsteht dadurch, dass es sich nicht um einen beliebigen Raum handelt, sondern um ein Gefängnis in feindlicher Hand. Jeden Moment kann der Feind auftauchen und die Flucht vereiteln.

Anderes Beispiel: Zwei Liebende küssen sich auf der Straße und jemand sieht das. Diese Situation ist an sich völlig unspektakulär und unspannend. So etwas geschieht täglich auf den Straßen nahezu jeder Stadt in Deutschland und anderswo auf der Welt unzählige Male. Ist aber derjenige, der den Kuss sieht, der Mann, der die Frau des küssenden Paares liebt und hat sie ihm womöglich vorgelogen, dass sie sich mit einer Freundin zum Essen trifft, wird dieselbe Situation dadurch spannend, weil der Geliebte jetzt weiß, dass die Frau ihn betrügt. Wie wird er reagieren?

Unabhängig vom Thema und der Situationsspannung gibt es etliche Methoden zu garantieren, dass das gesamte „Gewebe“ der Geschichte – egal ob lang (Roman) oder kurz (Kurzgeschichte) – ein Grundmaß an Spannung enthält, das die Lesenden sie bis zum Ende lesen und sie hinterher mit dem Gelesenen zufrieden zurücklässt. In dieser Lektion lernen Sie diese Methoden kennen.

6.1 Spannung. Eine Definition

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen den folgenden Spannungsarten.

Konfliktspannung

. Jeder Konflikt ist bis zu seiner Lösung spannend, weil bis dahin der Ausgang ungewiss ist, also in der Schwebe hängt.

Handlungsspannung

. Die Handlung ist als solche spannend beziehungsweise die Spannung erwächst aus der Handlung, zum Beispiel das Entschärfen einer Bombe, die jeden Moment explodieren kann, eine Actionszene oder eine Verfolgungsjagd. Abenteuerromane leben fast ausschließlich von Handlungsspannung.

Situationsspannung

. Manche Situationen sind aufgrund ihrer Natur spannend, egal was tatsächlich in ihnen passiert. Stehen sich der Held und sein Todfeind gegenüber, beide fest entschlossen, dass nur einer von ihnen die Begegnung überleben soll, so ist allein diese Konstellation spannungsgeladen, selbst wenn sie einander erst einmal nur anstarren oder miteinander reden. Das gilt auch für jede andere Situation, in der die Hauptfigur und ihr Gegenpart aufeinander treffen, auch wenn sie keine Todfeinde sind.

Entscheidungsspannung

. Eine Person in der Geschichte steht vor einer schwerwiegenden Entscheidung. Die Lesenden fiebern mit, wofür sie sich entscheiden wird und was die Konsequenzen sein werden. Besonders spannend wird es, wenn jede Lösungsmöglichkeit einen erheblichen Nachteil beinhaltet und die Entscheidung die sprichwörtliche Wahl zwischen Teufel und Beelzebub ist. Nur: Welche Wahl ist der Teufel (das Schlimmste) und welche Beelzebub (das marginal weniger Schlimme)?

Erwartungsspannung

. Die Lesenden wollen wissen, wie die Handlung, die Geschichte weitergeht, oder die Hauptfigur (und mit ihr die Lesenden) erwartet etwas Bestimmtes und will wissen, ob ihre Erwartung oder Befürchtung (Erwartung von etwas Negativem) zutrifft.

Erklärungsspannung/Aufklärungsspannung

. Hierbei steht die Erklärung einer Handlung oder eines Verhaltens oder die Auflösung eines Rätsels (im weitesten Sinn) im Mittelpunkt. Diese Erklärung/Aufklärung wirkt jedoch – zusätzlich zur Art der Beschreibung – nur dann spannend, wenn sie erstens etwas offenbart, womit die Lesenden nicht gerechnet haben. War sich der Verliebte sicher, seine Freundin habe ihn wegen eines anderen Mannes verlassen, wäre eine Erklärung, die das bestätigt, wenig spannend. Anders verhält es sich, wenn sie einen ganz anderen Grund hatte, vielleicht erpresst wurde. Zweitens: Zur Erzeugung von Spannung darf die Erklärung nicht „linear“ gegeben, also einfach der Reihe nach berichtet („heruntergeleiert“) werden, sondern sollte die Lesenden nach Möglichkeit bis zur Auflösung „zappeln“ lassen.

Diese verschiedenen Arten der Spannung kann man alle oder nur einige in einem Roman oder einer Story verarbeiten.

6.2 Erzeugung der Grundspannung

Der Aufbau einer spannenden Geschichte, eines spannenden Romans ist in drei grundlegende Stufen gegliedert:

Anspannung. Der Hauptkonflikt der Handlung wird aufgebaut, angedeutet, als „geballte Ladung“ serviert oder anderweitig thematisiert.

Verwicklung(en). Mögliche Lösungen oder Möglichkeiten zur Konfliktvermeidung und/oder Konfliktbewältigung werden durch unvorhergesehene Ereignisse oder widrige Umstände oder „gegnerische Intervention“ verzögert (idealerweise mehrfach) und/oder zunichte gemacht. Zusätzlich oder alternativ tauchen neue Konflikte auf, die sich (wenn das passt) aus den Versuchen zur ursprünglichen Konfliktlösung ergeben.

Auflösung des Konflikts/der Konflikte. Beim Spannungsroman muss diese Auflösung nicht zwangsläufig ein Happy End für die Hauptperson sein, sofern das Genre keins vorschreibt.

Dieser drei Stufen bilden die Grundspannung, den sogenannten Spannungsbogen. Zwar beziehen sie sich in erster Linie auf den Hauptkonflikt der Gesamthandlung, aber sie können innerhalb eines Romans mehrfach angewendet werden.

Es gibt Romane, die tatsächlich nur einen einzigen Konflikt beinhalten, um dessen Lösung sich die gesamte Handlung dreht. Oft sind Romane aber zugunsten der Spannung so aufgebaut, dass der erste (Haupt-) Konflikt durch seine Auswirkungen eine Reihe weiterer Konflikte nach sich zieht. Die Lösungsversuche des einen Konflikts haben direkte Auswirkungen auf das Umfeld, das Leben, die Zukunft der Heldinnen/Helden. Entscheiden sie sich für die falsche Lösung oder bleibt ihnen nur die berühmte Wahl zwischen zwei Übeln oder funktioniert die geplante Lösung nicht, ergeben sich daraus neue Konflikte und/oder andere „Unannehmlichkeiten“. Oder völlig unabhängig vom Hauptkonflikt kommen anderen Konflikte hinzu.

Idealerweise beinhaltet jede Komplikation für die Heldinnen/ Helden das Potenzial, sie komplett scheitern zu lassen, sodass bis zum Schluss offen bleibt, ob sie Erfolg haben oder versagen (wobei gewiefte Lesende sowieso immer vom Erfolg am Ende ausgehen, Stichwort „Happy End“).

6.3 Die „Eintrittskarten“

Die Abbildung auf dem Cover sollte unbedingt zum Inhalt passen und den „Appetit“ anregen. Das kann durch eine außergewöhnliche Perspektive geschehen, bei der etwas Alltägliches aus einem ungewohnten Blickwinkel dargestellt wird oder durch die Bildkomposition mit außergewöhnlichen Elementen. Tag und Nacht auf demselben Bild und eine menschenähnliche Figur, die den „Angelpunkt“ bildet und zu je einem Teil aus beidem besteht, macht ebenso neugierig wie ein Fußabdruck im Sand, in dessen Konturen ein Gesicht zu sehen ist. Es gibt viele Möglichkeiten. Auch wenn Sie kein Mitspracherecht am Cover bekommen, sollten Sie sich nicht scheuen, den Verlag darauf aufmerksam zu machen, wenn er ein unpassendes Bild gewählt hat. Manchmal (leider nicht immer) lassen sich die Verlage überzeugen. Einen Versuch ist das im Interesse des Kauferfolgs allemal wert.

Gerade bei Covern für historische Romane beschweren sich viele Lesende in negativen Rezensionen, wenn die Abbildung nicht zur Handlungszeit der Geschichte passt. Oft erkennt man das daran, dass eine Person Kleidung oder eine Frisur trägt, die es zur Zeit der Handlung noch gar nicht gab. Oder im Hintergrund sind Gebäude sichtbar, die damals noch gar nicht existierten, zum Beispiel das Kolosseum in Rom zu Neros Zeiten; das wurde erst nach seinem Tod erbaut.

Wichtig ist, dass das Cover positiv auffällt, ins Auge springt und Kaufinteressierte zu diesem Buch greifen lässt und (zunächst) keinem anderen. Deshalb sollte das Titelbild immer „Alleinstellungsmerkmal“ haben und ausschließlich für dieses Buch und kein anderes designed worden sein und verwendet werden. Allerdings greifen aus Kostengründen immer mehr Verlage auf Bilder von Fotoanbietern wie „Pixabay“ oder „Shutterstock“ zurück – mit dem Ergebnis, dass es oft mehrere Bücher mit demselben Cover gibt, weil das ausgewählte Foto auch anderen Verlagen gefallen hat. Und passé ist das Außergewöhnliche!

Deshalb an dieser Stelle ein Tipp, falls Sie eines Tages Ihre Werke selbst publizieren wollen: Investieren Sie unbedingt in Grafikerinnen/Grafiker, die ein Titelbild nur für Sie nach Ihren Wünschen anfertigen. Gute Grafikfachleute erstellen solche Bilder oft schon ab hundert Euro.

Noch mehr als das Cover zieht der Titel die Lesenden an. Deshalb sollte er bereits Spannung erzeugen. Auch hier gilt: Ungewöhnliches erregt mehr Aufmerksamkeit als Allerweltstitel, deren Bestandteile (zum Beispiel Begriffe wie Liebe, Mord, Tod, Rätsel, Geheimnis und andere) schon Hunderte von Büchern schmücken. Varianten dieser Begriffe können schon etwas bewirken, um ungewöhnlich zu klingen.

Auch der Titel muss selbstverständlich zum Inhalt passen, sonst haben wir „das Thema verfehlt“, wie das früher bei Schulaufsätzen so (un)schön hieß. Zwar bekommen wir für solche „Verfehlungen“ keine Fünf oder Sechs als Note, aber wir enttäuschen die Lesenden, weil wir falsche Erwartungen in ihnen geweckt haben. Ihr Titel sollte einprägsam sein und keine unaussprechlichen Begriffe oder Namen enthalten. Auch sollte der Titel sich rhythmisch wie eine Gedichtzeile sprechen lassen, sofern er nicht nur aus einem einzigen Wort besteht, denn auch das beeinflusst die Wahrnehmung und weckt Interesse, erzeugt Erwartungsspannung: „Was mag sich hinter diesem interessanten Buchdeckel verbergen?“

Je origineller und spannender Sie den Titel wählen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Verlag ihn beibehält.

6.4 Die sieben Säulen der Spannung

Was jede Geschichte grundsätzlich braucht, sind die „sieben Säulen“, auf denen sie aufbaut, wie Ihnen die Grafik auf der folgenden Seite zeigt. Auf diesen basiert der sich durch die gesamte Geschichte ziehende Spannungsbogen der Grundspannung (dicke Bogenlinie). Auf diesem wiederum bauen sich weitere „Spannungsspitzen“ auf (gezackte Linie), die die Spannung zusätzlich steigern.

Säule 1: Der Klappentext

Der Klappentext auf der Rückseite des Buches trägt in einem erheblichen Maß zur Erzeugung von Spannung bei (Erwartungsspannung). Nach dem den potenziellen Lesenden (und Buchkaufenden) als Erstes ins Auge fallenden Titel und dem Coverbild, die das Interesse wecken und den Appetit anregen, entscheidet der Klappentext darüber, ob ein Buch gekauft wird oder nicht. Deshalb muss bereits der Klappentext spannend geschrieben sein, um die Neugier auf den Inhalt des Buches zu wecken.

Säule 2. Plot, Plotthema und Plotpoints

Der „Handlungsplan“ einer Geschichte oder eines Romans muss sorgfältig ausgearbeitet sein und idealerweise einige unerwartete Wendungen (Plotpoints) enthalten. Ein Handlungsablauf, den die Lesenden bereits vorhersehen können oder der nur wenige, vielleicht sogar überhaupt keine Überraschungen bietet, ist langweilig. Und hat das Buch ein Thema, das die Lesenden grundsätzlich

Abb. 1: Die sieben Säulen der Spannung

nicht oder nur wenig interessiert, werden sie die Handlung als langweilig empfinden, egal wie spannend sie verpackt ist. Letzteres liegt jedoch in der persönlichen Vorliebe der Lesenden; ein Kardinalrezept, das alle gleichermaßen „beglückt“, gibt es nicht, denn Geschmäcker sind nun mal verschieden.

Säule 3: Originalität

Handlungsabläufe, Persönlichkeiten, Schauplätze, Konfliktstrukturen und Themen, die die Lesenden bereits aus vielen anderen Büchern, Geschichten oder Filmen kennen, sind wegen dieser Vertrautheit nicht mehr oder nur noch wenig spannend, weil man sie eben deshalb vorhersehen kann. Kleine Veränderungen zum „Alltäglichen“ genügen oft schon, um aus Altbekanntem etwas Originelles und Interessantes zu machen. Das gilt auch für den Titel.

Säule 4: Konflikte

Konflikte sind das wichtigste Element der Spannung, denn ohne sie gibt es keine. Ob es sich um einen „großen“ Konflikt (zum Beispiel Feindschaft zwischen zwei Personen oder gar Völkern) oder einen „kleinen“ (zum Beispiel das Ringen um eine Entscheidung) handelt, Konflikte sind die Grundlage jeder guten (belletristischen) Geschichte (rein humorvolle Geschichten ausgenommen, obwohl auch in ihnen Konflikte vorkommen).

Säule 5: Charaktere mit Profil

Sie bilden ein wichtiges Element der Spannung, denn gute Storys sind um die Hauptperson herum aufgebaut, die im Mittelpunkt der jeweiligen Handlungen steht. Sie erzählen Ihrem Lesepublikum die Geschichte oder eine wichtige Episode aus dem Leben Ihrer Heldinnen/Helden, durch die diese eine Weiterentwicklung erleben. Sind die Hauptfiguren „nur“ durchschnittliche Allerweltsmenschen ohne erkennbares „Profil“, können sich die Lesenden nicht oder nur schwer, mit ihnen identifizieren. Die Identifikation des Publikums mit der Hauptperson trägt aber maßgeblich zur Spannung bei (siehe Lektion 7).

Säule 6: Stringenz

Stringenz heißt „Bündigkeit“ und meint in Bezug auf das Erzählen/Schreiben von Geschichten nichts anderes, als dass die Geschichte ohne unnötige (!) Umschweife, ohne Nennung von für die Handlung unwichtigen (!) Details/Ereignissen „kurz und bündig“ entwickelt wird. Dies kommt besonders, wenn auch keineswegs nur bei Actionszenen und Kurzgeschichten zum Tragen.

Säule 7: Lebendige Beschreibungen

„Zeigen, nicht erzählen!“ ist das wichtigste Grundwerkzeug des Schreibhandwerks. Wenn die Autorinnen/Autoren den Lesenden (nach)erzählen, was sich in einer Szene ereignet, statt sie das durch die Augen, das Empfinden, die Gedanken einer Person erleben zu lassen und mit Worten Bilder in deren Köpfe zu „malen“, fließt die Handlung an den Lesenden gefühlt vorbei. Sie können nicht in sie eintauchen, können sich auch nicht mit den Heldinnen/Helden oder einer anderen Person in der Szene identifizieren und empfinden diese gesamte Szene (noch schlimmer: den ganzen Roman) deswegen als langweilig. Eine einzige oder ein paar wenige solche „erzählten“ Szenen verkraftet ein (längerer) Text durchaus, aber wenn der gesamte Roman, die gesamte Geschichte in dieser unpersönlichen Form erzählt wird, entsteht kaum Spannung.

Diese sieben Komponenten wirken „Hand in Hand“. Ist der Plot uninteressant oder zu durchschaubar aufgebaut oder fehlt ihm die Originalität als „Salz in der Suppe“, werden viele Lesende das Buch als mäßig oder gar nicht spannend empfinden. Fehlen Konflikte in ausreichender Menge und vor allem Gewichtung (sie sollten für die Heldinnen/Helden immer gravierend oder sogar existenziell sein), kann der Rest der Handlung noch so gut aufgebaut und ausgearbeitet sein – ohne Konflikte gibt es keine Spannung; in keinem Genre.

Bleiben die Charaktere der Geschichte blass oder handelt es sich um „Allerweltsfiguren“, die schon zig Romane bevölkern, flacht durch ihr mangelndes oder uninteressantes Profil ein Teil der Handlung, manchmal sogar (abhängig vom Aufbau des Plots) die gesamte Handlung, ab (mit Ausnahme von Abenteuerromanen). Man kann niemanden hinter dem Ofen hervorlocken mit Figuren, die ein ganz gewöhnliches Durchschnittsleben führen, einen durchschnittlichen Charakter, unspektakuläre Berufe und/ oder Hobbys und auch keine besonderen Fähigkeiten oder Charaktereigenschaften besitzen oder gravierende, sie prägende Lebensbrüche erlitten haben, wodurch sie sich aus der Masse herausheben. Solche Figuren besitzen keinerlei Spannungspotenzial; zumindest nicht, wenn sie die Hauptfiguren sein sollen. (Ausnahme: Man lässt so eine „Durchschnittstype“ im Verlauf der Handlung durch diese über sich hinauswachsen und Fähigkeiten/Ei-genschaften entwickeln, die weder die Lesenden noch die Figur selbst in ihr vermutet hätten.) Als Nebenfiguren kann man sie bedenkenlos einsetzen.

Halten sich die Autorinnen/Autoren im Text immer wieder mit langatmigen und irrelevanten Ausschweifungen auf, die mit der Handlung der jeweiligen Szene oder sogar der gesamten Geschichte nichts zu tun haben (zum Beispiel Infodump; siehe Lektion 3), töten sie dadurch die Spannung zu einem großen Teil oder sogar fast vollständig. Selbst wenn der Plot mit den interessantesten Charakteren und explosivsten Konflikten aufwartet, wird die dadurch erzeugte Spannung durch mangelnde Stringenz immer wieder ausgebremst. Ohne stringente Erzählweise, die besonders wichtig für Kurzgeschichten ist, bleibt die Spannung auf der Strecke.

Dasselbe geschieht, wenn Autorinnen/Autoren den Lesenden „aus dem Off“ erzählen, was in der Handlung, der Szene passiert, statt ihnen das durch die Augen der Heldinnen/Helden oder einer anderen Figur lebendig zu beschreiben. Und ist der Klappentext uninteressant oder nichtssagend, hat der gesamte Rest des Buches keine Chance, weil die potenziellen Lesenden ein Buch mit unspannendem Klappentext gar nicht erst kaufen.

Selbstverständlich ist es möglich, wenn man die gesamte Klaviatur der Spannungserzeugung beherrscht, einen ganzen Roman mit nur einigen wenigen dieser Zutaten sowie den virtuos eingesetzten Methoden der Spannungssteigerung zu schreiben. Dafür gibt es viele Beispiele, von denen einige sogar Bestseller geworden sind. Wenn Sie die restlichen „Säulen“ gut ausarbeiten, können Sie prinzipiell auf die Originalität verzichten, mit nur einem einzigen Hauptkonflikt arbeiten, die Stringenz etwas (aber bitte nicht allzu sehr) schleifen lassen, „profillose“ Figuren verwenden und Ihre Beschreibungen vergleichsweise nüchtern gestalten und haben am Ende dennoch eine spannende Geschichte, einen spannungsgeladenen Roman.

Unverzichtbar sind jedoch Konflikte und ein interessantes Thema des Plots, das mindestens zwei bis drei unvorherseh-bare Wendungen beinhalten sollte. Und auch die Hauptfigur sollte mindestens eine Eigenschaft haben, die sie aus der Masse hervorhebt und die es ihr überhaupt ermöglicht, den Hauptkonflikt des Plots zu lösen.

Die meisten Lesenden empfinden jedoch solche Romane am Spannendsten, bei denen alle Komponenten miteinander verwoben sind und gleichermaßen zum Tragen kommen.

6.4.1 Die Spannung im Klappentext

Der Klappentext ist für die Lesenden nach dem Titel und eventuell dem Titelbild DAS Kaufkriterium. Ein guter Klappentext sollte nicht mehr als maximal 800 Anschläge haben. Das sind, je nach Format des Buches und verwendeter Schriftgröße, 12 bis 15 Zeilen. Um das zu erreichen, lassen Sie ALLES weg, was nicht zum Kernpunkt der Geschichte gehört.

Dieser Kernpunkt der Geschichte ist für den Klappentext der zentrale Konflikt, der den Heldinnen/Helden zu schaffen macht. Eventuell können ein oder zwei Sätze den Lesenden sagen, wie es zu diesem Konflikt gekommen ist. Beschreiben Sie den Konflikt kurz und prägnant und schließen Sie den Klappentext mit einem Cliffhanger oder einem Geheimnis ab oder deuten Sie eine (Lebens-) Gefahr für die Hauptperson an.

Eine Möglichkeit, das Interesse der Lesenden zu wecken, ist, eine Art Überschrift dem eigentlichen Klappentext voranzustellen, die das Wichtigste in Schlagworten zusammenfasst:

Ein entführter Waffeningenieur, ein Profikiller und ein mörderischer Plan

Traue niemals einer Anwältin, einer Scharfschützin oder einer Frau – erst recht nicht, wenn sie alles in einem ist

Nach solchen Andeutungen lesen fast alle Interessierten erst recht auch den Rest des Klappentextes, von dem sie sich nähere Erklärungen zu diesem Spannung versprechenden Auftakt erhoffen. Verstärkt der nachfolgende Text den Eindruck von Spannung und einem interessanten Plot, wird das Buch gekauft. (Mehr über das Schreiben spannender Klappentexte erfahren Sie in Lektion 17.)

6.4.2 Der Plot

Der Plot (siehe Lektion 5) ist der Handlungsplan jeder Geschichte, jenes aus einer Idee entwickelte Grundgerüst, das der „Reise“ Ihrer Geschichte die Richtung weist. Und ähnlich wie bei einer Fahrt mit dem Auto, gibt es immer verschiedene Möglichkeiten (Wege), um ans Ziel zu gelangen. Außerdem ist eine Fahrt durch eine abwechslungsreiche Landschaft interessanter und spannender, als wenn die Straße schnurgerade durch eine eintönige, ewig gleich aussehende Gegend ohne optische Highlights führt.

Dasselbe Prinzip gilt auch für den Plot. Ist er linear aufgebaut mit nur wenigen oder unspektakulären „Plotpoints“ – den unerlässlichen Wendepunkten, die der Story eine neue Richtung geben und die Lesenden auch schon mal in die Irre führen –, bleibt die Spannung auf der Strecke.

Jeder Plot braucht als Grundzutaten:

Konflikte

überraschende Wendungen (Plotpoints)

Zusätzlich braucht er:

interessante Charaktere

Originalität (idealerweise aber nicht zwingend erforderlich)

logische Konsequenz

Glaubwürdigkeit

einen guten Anfang und

ein möglichst unerwartetes (aber folgerichtiges) Ende

Um aus einer Idee und den erforderlichen „Zutaten“ ein vor Spannung prickelndes Süppchen zu kochen, sollten Sie die Handlung nicht linear schildern, sondern überraschende Wendungen einbauen, mit denen die Lesenden idealerweise nicht rechnen, sodass sie das Ende nicht vorhersehen können.

Dass ein appetitanregender Anfang für jede Geschichte unerlässlich ist, haben Sie in Lektion 5 erfahren. Wenn Sie eine wirklich spannende Story oder einen Roman schreiben wollen, sollten Sie die Spannung bereits im ersten Satz/Absatz aufbauen. Vielleicht protestieren Sie jetzt, weil Sie unzählige Romane kennen, die mit einem Text beginnen, der ganze Absätze lang oder sogar über Seiten hinweg keine oder kaum Spannung enthält. Vielleicht hat Ihnen deren Spannungsarmut gar nichts ausgemacht. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Ob ein Buch beim Publikum ankommt oder durchfällt, hängt vom gesamten Text und Plotaufbau ab, nicht nur von einem spannungsgeladenen Anfang.

Doch der Anfang ist die „vierte Eintrittskarte“ zu den Lesenden (nach dem Titel, Titelbild und Klappentext) und die zweite beim Verlag (nach dem Exposé). Und gerade beim Verlag sollte der Anfang auf Anhieb überzeugen, weil erfahrene Lektorierende sonst nicht weiterlesen. Denn aufgrund ihrer Erfahrung wissen sie, dass, wenn der Anfang langatmig oder langweilig gestaltet ist, sich diese Zähflüssigkeit auch auf den gesamten Rest des Textes erstreckt. Immer. Deshalb sollte der Anfang immer so gestaltet sein, dass er die Leute zum Weiterlesen „zwingt“.

Ähnlich verhält es sich mit dem Ende. Ob Sie das Ende Ihrer Geschichte schon von Anfang an beim Plotten festgelegt haben oder erst im Laufe des Schreibens entwickeln, welchen Schlusspunkt der letzte Akkord haben soll – wichtig sind für das Ende zwei Dinge:

Es muss sich logisch nachvollziehbar und konsequent aus der gesamten vorangegangenen Handlung entwickelt haben, auch wenn sich für die Lesenden bis dahin mehrere denkbare Möglichkeiten für den Abschluss der Handlung ergeben haben. (Fast) nichts verstimmt das Lesepublikum so sehr wie eine unlogische oder an den Haaren herbeigezogene Auflösung. Im Gegenteil muss die gesamte Handlung so aufgebaut sein, dass gar kein anderes Ende als eben dieses möglich ist (auch wenn es in sich noch ein paar mögliche Varianten trägt).

Es muss alle bis dahin noch nicht abgeschlossenen Handlungsstränge auflösen und darf keine ungeklärten Fragen zurücklassen. Die einzige Ausnahme hiervon sind Fortsetzungsromane/-geschichten. Doch auch bei diesen muss jede Handlung spätestens in der letzten Folge aufgeklärt werden; zumindest in einer Form, dass die Lesenden sich die Lösung zweifelsfrei denken können.

Darüber hinaus sollte das Ende nach Möglichkeit immer überraschen.

Für den Entwurf und die Einleitung des Endes haben Sie hinsichtlich der Spannung zwei Möglichkeiten, um sie zu gestalten:

Sie können die Einleitung so spät wie möglich in der Geschichte platzieren. Wenn das Ermittlungsteam das Motiv für das Verbrechen gefunden hat, ist es (auch in der Realität) meistens nur noch eine Frage von Stunden oder wenigen Tagen, bis es aufgrund dessen unter den schon ermittelten Verdächtigen den Täter/die Täterin herausfindet und ausrückt, um ihn/sie festzunehmen. Das Ende sollte nur nicht so plötzlich kommen, dass es wie aus dem Hut gezaubert wirkt.

Sie können die Möglichkeit der Lösung schon relativ früh platzieren, etwa im letzten Drittel oder sogar schon in der Romanmitte, wenn die Lösung längere Zeit für die Umsetzung braucht.

Wenn Sie das Ende ausarbeiten, denken Sie bitte an die Erklärungs- beziehungsweise Aufklärungsspannung. Hier haben Sie, je nach Aufbau Ihres Romans/Ihrer Geschichte, eine letzte Möglichkeit, Spannung zu erzeugen. Nutzen Sie sie!

Checkliste Plotaufbau

Um einen spannenden Plot zu entwerfen, brauchen Sie:

Konflikte, Konflikte, Konflikte und noch mehr Konflikte – nicht nur zwischen der Hauptfigur und deren Gegenpart, sondern auch zwischen oder mit den Nebenfiguren, Tieren, der Natur, dem eigenen Gewissen ...

unerwartete Wendepunkte, die der Handlung immer wieder eine neue Richtung geben und die Lesenden überraschen.

einen Kernpunkt Ihrer Geschichte, das Thema, von dem sie handeln soll und einen Sinn (eine „Botschaft“).

sympathische Heldinnen/Helden, deren Geschichte Sie erzählen wollen.

einen interessanten, aber keinesfalls klischeehaften Gegenpart Ihrer Hauptperson.

wichtige Nebenfiguren, zum Beispiel Freundinnen/Freunde und/oder Mitarbeitende der Heldinnen/Helden oder deren „Feindinnen/Feinde“ oder professionelle Helfende und andere.

einen logischen und konsequenten Aufbau der Handlung.

Glaubhaftigkeit für Handlung, Figuren und Sachverhalte.

Originalität innerhalb des Themas, bei den Figuren und beim Handlungsverlauf.

ein zur Handlung und dem Genre passendes Setting.

einen mitreißenden Anfang.

ein zwar konsequentes, aber dennoch möglichst überraschendes und unerwartetes Ende.

In welcher Reihenfolge Sie diese Dinge entwerfen, ist egal. Am Ende sollte ein in sich „runder“ und natürlich spannender Handlungsplan entstanden sein.

6.4.3 Originalität

Für eine Geschichte, einen Roman, bei denen der Hauptaspekt auf der Spannung liegt oder die spannender als der Durchschnitt ihres jeweiligen Genres sein sollen, ist Originalität besonders wichtig. Der Duden definiert sie als „Echtheit, Besonderheit, wesenhafte Eigentümlichkeit“ und das Adjektiv „originell“ als „in seiner Art neu, schöpferisch“. Auf die Spannung bezogen gilt zusätzlich zu diesen Definitionen: Originalität ist Unvorhersehbarkeit.

Diese Unvorhersehbarkeit erreicht man zwar in erster Linie mit einem Plot oder Teilen der Handlung, deren Verlauf und ihr Ergebnis die Lesenden nicht aufgrund dessen, was sie aus anderen Büchern (oder Filmen) kennen, vorhersehen können. Aber man kann auch Herkömmliches und Bekanntes unvorhersehbar gestalten, indem man es variiert und/oder ungewöhnliche Wendungen einbringt.

Ihr schlimmster Feind, gegen den Sie als Autorin/Autor immer wieder werden ankämpfen müssen, ist das Klischee. Dieser Feind lauert nicht nur im Plot, sondern besonders gerne auch in den Figuren, die Sie erfinden. Zwar haben viele klischeehafte Charaktere einen „wahren Kern“ und sind zum Klischee geworden, weil sie real tatsächlich häufig vorkommen. Aber nachdem sie alle so oft in Büchern, Geschichten und Filmen verwendet wurden, dass sie zum Klischee verkommen sind, fehlt ihnen eben deswegen jegliche Originalität, denn Klischees sind per se langweilig. Wenn möglich – und das ist es fast immer –, sollten Sie auf Klischees und häufig gebrauchten Stilmittel verzichten.

Vielleicht müssen Sie dann einen Teil Ihres geplanten Plots ändern, ihn möglicherweise sogar völlig neu entwerfen. Aber eine originelle Handlung, die erfahrene Lesende nicht schon auf „Seite 3“ voraussehen oder bereits aus dem Klappentext das Ende erkennen können, sollte Ihnen die Mühe wert sein. Originelle Plots und Charaktere haben größere Chancen, zunächst in einem Verlag und später bei den Lesenden Beachtung zu finden.

Meistens genügen schon kleine Veränderungen, um eine ansonsten herkömmliche Geschichte oder einen „gewöhnlichen“ Charakter originell zu machen.

Um einen Plot originell zu gestalten, brauchen Sie:

Verzicht auf Klischees in allen Bereichen

kleine oder umfangreiche(re) Variationen herkömmlicher Themen, Handlungen und manchmal auch selten oder noch nie verwendete Orte

unverbrauchte, interessante Charaktere mit „Ecken und Kanten“ und Tiefe

die Unvorhersehbarkeit der Handlung(en), zumindest in Teilen des Plots

ungewöhnliche, aber immer folgerichtige Wendungen in der Handlung oder in einzelnen Szenen.

6.4.4 KONFLIKTE

In Lektion 5 haben Sie bereits erfahren, welche Arten von Konflikten es gibt und wie Sie sie für Ihre Texte benutzen können, um sie ordentlich damit zu „salzen“. Für die Spannung in allen Genres ist der Konflikt die Hauptzutat. Ohne Konflikt – groß oder klein – gibt es keine Spannung.

Die Schilderung eines Familientreffens, bei dem alle sich lieb haben, freudig das Wiedersehen feiern, das voller Harmonie abläuft und in Friede, Freude, Gugelhupf endet, ist stinklangweilig (und deshalb vollkommen überflüssig zu beschreiben), weil nichts passiert. Beginnt das Treffen aber schon damit, dass jemand zu spät kommt und deswegen getadelt wird, worauf er verärgert reagiert und verbal „zurückschießt“ mit Bemerkungen, die unter die Gürtellinie zielen und die gesamte Gesellschaft veranlasst, für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen, wodurch bei verschiedenen Leuten oder auch nur bei zweien alte Ressentiments hochkochen oder neue Konflikte entstehen – dann haben Sie ein lebhaftes und vor allem spannendes Ereignis. Man wird weiterlesen, weil man wissen will, wie der Streit ausgeht, der selbstverständlich für die folgende(n) Handlung(en) eine entscheidende Bedeutung hat (sonst wäre diese Szene zwar spannend, aber überflüssig).

Wir müssen uns nur in unserem eigenen Alltag umsehen. An jeder Ecke lauern Konflikte: in der Familie, am Arbeitsplatz, manchmal mit Freundinnen/Freunden, im Kontakt mit Behörden oder in Form von sorgfältig ausgearbeiteten Plänen, die durch andere Menschen, dumme Zufälle oder höhere Gewalt torpediert werden. Ihren Heldinnen/Helden sollte es keineswegs besser ergehen. Machen Sie ihnen das Leben so richtig schwer, dann ist das Happy End, falls Sie eins planen, umso süßer – für die Heldinnen/Helden und die Lesenden.

Ob Sie für Ihren Roman einen einzigen großen Konflikt wählen, der mehrere Nebenschauplätze hat (ohne zusätzliche Nebenkonflikte) oder neben dem Hauptkonflikt noch mehrere kleinere einbauen, hängt von Ihrem Plot ab und von dem Grad der Spannung, den Sie über den gesamten Text hinweg erzeugen wollen.

Für jeden Konflikt brauchen Sie:

Glaubhaftigkeit, sowohl für die Entstehung der Konflikte wie auch für die Art, in der sie ausgetragen werden.

sich aus den Konflikten ergebende, schwerwiegende, eventuell sogar (lebens)bedrohliche Konsequenzen für die Heldinnen/ Helden; für sie muss durch den Konflikt viel oder sogar alles auf dem Spiel stehen.

bei Romanen je nach Thema und Plot zusätzlich zum Hauptkonflikt noch weitere Nebenkonflikte, die idealerweise, aber nicht zwangsläufig aus dem Hauptkonflikt resultieren.

eine glaubhafte, nachvollziehbare Auflösung aller (!) Konflikte spätestens am Ende der Geschichte, des Romans (Ausnahme: Fortsetzungsgeschichten; hier erfolgt die Lösung erst im letzten Band).

6.4.5 PERSÖnlichkeiten mit Profil

Jeder Mensch hat eine individuelle Lebensgeschichte, die ihn prägt und die seinen Handlungen, seinem Verhältnis zu den Mitmenschen, der Umwelt, seinem religiösen und politischen Bekenntnis, seinen Moralbegriffen zugrunde liegt. Diese Lebensgeschichte müssen wir beim Entwerfen unserer Figuren berücksichtigen und ihr besondere Aufmerksamkeit widmen (mehr dazu in Lektion 7).

Wichtig für die Spannungserzeugung ist die Vermeidung von Klischees und besonders der Schwarz-Weiß-Malerei. Die Heldinnen/Helden dürfen nicht nur gut und perfekt sein und die „Bösen“ nicht nur die Schlechtigkeit in Person. Je differenzierter wir unsere Figuren entwerfen, desto spannender werden sie, denn Klischees und „Eindimensionalität“ sind vorhersehbar und daher nicht spannend.

Natürlich gibt es auch vor Spannung strotzende (Abenteuer-) Romane und Serien, in denen die Handlung im Mittelpunkt steht und die Hauptfigur nur ein Minimum an Profil oder sogar überhaupt keins besitzt. Aber wenn sie Profil hat und eine besondere Persönlichkeit ist – wodurch auch immer –, erhöhen Sie über die dadurch ermöglichte Identifikation der Lesenden mit dieser Person die Spannung.

Dies vorweg. Mit interessanten Charakteren und wie man sie erschafft, beschäftigen wir uns ausführlich in Lektion 7.

Für Ihre Figuren brauchen Sie:

einen sympathischen Grundcharakter für die Heldinnen/Hel-den und ihren Freundeskreis.

einen interessanten Grundcharakter für die Antagonistinnen/ Antagonisten, die selbstverständlich auch positive Eigenschaften haben.

Fehler und Schwächen, Ecken und Kanten für beide, ebenso Stärken.

glaubhafte Handlungsmotive für beide.

glaubhaftes, für die Lesenden nachvollziehbares Handeln aller Figuren.

Verzicht auf Klischees (das blonde Dummchen ist ebenso tabu wie der perfekte Sonnyboy ohne Fehl und Tadel).

mindestens eine Fähigkeit (Charaktereigenschaft, Beruf, Hobby, soziales/politisches Engagement), die den Heldinnen/ Helden ermöglicht, den Hauptkonflikt der Geschichte zu lösen (mit oder ohne Hilfe), auch wenn sie diese Fähigkeit erst im Verlauf der Geschichte entwickeln/erlernen (müssen).

Und ganz wichtig: Der Charakter und Beruf oder eine oder mehrere sonstige Eigenschaft/en Ihrer Hauptfigur(en) sollten für die gesamte Handlung unerlässlich sein, diese bedingen und prägen. Anders ausgedrückt:

Diese

Geschichte wäre ohne genau

diese

(Charakter-) Eigenschaft gar nicht möglich. (Mehr dazu in Lektion 7.)

6.4.6 Stringenz

Stringenz ist für jede Geschichte ein wichtiges Stilmittel; für Kurzgeschichten ist sie noch mehr als für Romane absolut unverzichtbar (siehe Lektion 13). Für die Erzeugung beziehungsweise das Erhalten von Spannung ist sie unerlässlich. Zur Stringenz gehört, dass Sie den Lesenden nur an den Stellen Informationen geben, an denen diese für das Verständnis der Handlung oder deren Entwicklung oder für das Verständnis einer Figur wichtig sind.

Ganz besonders bei Regionalliteratur und hier insbesondere bei Regionalkrimis wissen viele Autorinnen/Autoren nicht, wie sie die für dieses Genre übliche und erforderliche Beschreibung der Region und ihrer Besonderheiten in einen Roman einbinden sollen (siehe Lektion 11). Um die Umgebung, die Stadt, die Landschaft zu beschreiben, konstruieren sie meistens eine vom Rest der Handlung völlig unabhängige Situation, in der eine Figur „sinnlos“ durch die Gegend geht oder fährt und sie beschreibend betrachtet.

Betten Sie auch Ortsbeschreibungen immer in eine Handlung ein. Idealerweise bedingt die betreffende Handlung diese Ortsbeschreibung. Alternativ können Sie sie in einen Dialog packen. Doch auch dabei sollte sich die Notwendigkeit der Ortsbeschreibung aus eben diesem Dialog ergeben, sonst bleibt unter Umständen die Stringenz auf der Strecke. Und fehlt die Stringenz, geht das ausnahmslos zu Lasten der Spannung. Immer.

Und nein, das Beschreiben, was der Held auf seinem Heimweg oder der Stadtrundfahrt sieht, wie er sich sein Essen zubereitet oder was er alles tut, bevor er ins Bett geht, ist keine Handlung, sondern das Aufzählen von Beobachtungen beziehungsweise Gedanken oder Tätigkeiten. Handlungen haben immer einen Bezug zu der Geschichte, eine Funktion für sie und sind idealerweise für sie unabdingbar.

Um Ihre Handlung stringent zu gestalten, sollten Sie:

auf alles verzichten, was weder mit der Handlung zu tun hat, noch dem Verständnis ihres Ablaufs dient oder

wichtige

Informationen liefert oder eine Figur charakterisiert.

erforderliche Informationen – auch die Beschreibung von Personen oder Orten – ausschließlich an solchen Stellen platzieren, wo die Lesenden sie zum Verständnis der aktuellen oder unmittelbar folgenden Handlung zwingend brauchen.

notwendige Erklärungen und Beschreibungen immer in eine Handlung oder einen Dialog einbetten.

Sätze und Absätze nicht zu lang schreiben.

begonnene Handlungen nicht unterbrechen (außer beim Cliffhanger; siehe Kapitel 6.5.3), sondern sie „schnörkellos“ fortführen, ohne abzuschweifen.

6.4.7 Mit Worten Bilder malen

Eine ebenso wichtige Zutat zur Spannung wie die vorangegangenen sind lebendige Beschreibungen. Ein Text, der in den Lesenden keine Gefühle erweckt und dementsprechend auch die Gefühle der Heldinnen/Helden und ihres Gegenparts nicht beschreibt, ist langweilig.

„Rob schlich zur Haustür und war froh, dass niemand ihn bemerkte.“ Wie langweilig!

„Zentimeter um Zentimeter öffnete Rob die Zimmertür und hielt den Atem an. Jeden Moment rechnete er damit, dass sie in den Angeln quietschte und ihn verriet. Er vergewisserte sich, dass der Flur leer war und atmete erst aus, als er sie weit genug aufgeschoben hatte, um sich durch den Spalt zu zwängen. Ebenso leise schloss er die Tür. Das kostete ihn zwar wertvolle Zeit, aber falls jemand durch den Flur ging, musste derjenige nicht schon durch die offene Tür auf Robs Flucht aufmerksam werden.

Er lauschte. Im Wohnzimmer lief der Fernseher. Hoffentlich saßen alle seine Bewacher dort und hoffentlich musste nicht ausgerechnet in dem Moment einer von ihnen zur Toilette, wenn Rob vorbei schlich. Auf Zehenspitzen ging er so schnell er es halbwegs geräuschlos schaffte, zur Vordertür und dankte Gott, dass niemand ihn bemerkt hatte. Er drückte die Klinke herunter. Abgeschlossen. Mist! Er sah sich um. Die Fensterbänke waren dicht an dicht mit Blumentöpfen vollgestellt, die er erst hätte abräumen müssen, um durch ein Fenster entkommen zu können. Er bezweifelte, dass das geräuschlos ginge. Außerdem hielte ihn das zu lange auf. – Das Fenster im Bad! Das war unverstellt und groß genug, dass er sich hindurchzwängen konnte. Er schlich zum Badezimmer.“

Klingt viel spannender, nicht wahr? Wie Sie aus Lektion 4 wissen, ist die Technik des guten Beschreibens ein grundlegendes und ich wage zu behaupten das wichtigste Handwerkszeug aller Autorinnen/Autoren. Ohne lebendige Beschreibungen bleibt jeder Text blutleer und langweilig. Wenn sich die Lesenden – unabhängig von Spannungserzeugung wie im obigen Beispiel – kein Bild von der Handlung, dem Ort, dem Gemütszustand der Figuren und allem anderen machen können, werden sie mit dem Text nicht warm und lesen ihn möglicherweise nicht einmal zu Ende.

Ebenso wichtig wie die Techniken des Beschreibens selbst ist der Platz, an dem die Beschreibungen stehen. Eine Beschreibung sollte immer ein wichtiger Bestandteil der jeweiligen Szene oder Handlung sein und darf diese niemals unschön unterbrechen. Im Gegenteil sollte sie sich immer aus der Handlung ergeben oder für sie beziehungsweise die unmittelbar folgende Textpassage unerlässlich sein. So wie bei obigem Beispiel. Die Suche nach einem Fluchtweg macht die Beschreibung der Blumen in der Fensterbank („dicht an dicht“) erforderlich. Ob auf dem Fußboden ein Teppich liegt und wie er aussieht, ist dagegen nicht relevant.

Die Grundlagen des guten Beschreiben sind:

Verwendung des Aktivs statt Passivs, sofern es sich nicht um etwas handelt, das jemand passiv erleidet/erduldet/erlebt.

Sparsamer Gebrauch von Adjektiven sowie Verzicht auf Adjektiv- und Adverbketten.

Einbetten der Beschreibungen in eine Handlung oder einen Dialog.

Beschreiben von Gegenständen, Landschaften, Personen

immer

aus der Perspektive (durch die Augen) einer in der Szene anwesenden Person, niemals auktorial (siehe Lektion 8).

Platzierung von Beschreibungen an passenden Stellen.

Gebrauch von Bildern statt Aufzählung von Eigenschaften.

Ausnahmen gibt es nur in Actionszenen, Liebesszenen oder wenn eine zügige Handlung erforderlich ist; hier würde die „Show“ die Handlung aufhalten.

***

Wenn Ihnen gelingt, diese sieben „Säulen“ optimal zu nutzen, erreichen Sie einen durchgängigen Spannungsbogen, der selbst Geschichten in einem „unspannenden“ Genre „aufpeppt“.

6.5 Methoden der Spannungssteigerung

Um die Spannung zu forcieren oder in unspektakulären Situationen zu erzeugen, können folgende Methoden angewendet werden.

6.5.1 Die Bedrohung

Dies ist die einfachste Methode der Spannungserzeugung und gehört meistens zur Handlungsspannung. Setzen Sie Ihre Hauptfigur oder eine andere Figur einer Bedrohung aus, sei sie real oder eingebildet. Lassen Sie sie zum Beispiel von einem Unbekannten verfolgen (oder sie glaubt sich verfolgt) oder in die Hände ihrer Feinde fallen. Lassen Sie sie und von allem die Lesenden wissen, dass ein Killer, ein Dämon, die Polizei hinter ihr her ist. Der Intrigant in der Firma stellt ihr eine Falle, die sie ihren Job und vielleicht auch das Leben kosten soll. Eine Denunziation bedroht ihre Freiheit, die Mitgliedschaft in einer Religionsgemeinschaft bringt sie auf die Abschussliste eines totalitären Regimes oder einer Gruppe Neonazis. Kletterei im steilen Felshang – und rapide nähert sich ein Sturm oder Gewitter, was den Trip lebensgefährlich macht. Und der im Wandschrank versteckte Einbrecher zückt das Messer, als sie sich dem Schrank nähert. Die Möglichkeiten sind fast unerschöpflich.

Unsichtbare oder scheinbare Bedrohungen sind zum Beispiel Albträume, von denen weder die Person noch die Lesenden wissen, ob sie wirklich nur üble Träume oder prophetische Voraussagen oder vielleicht doch Realität sind. Oder paranoide Anwandlungen – begründete oder eingebildete Angst – lassen eine Figur hinter jedem Baum einen Attentäter, in allen Menschen, die ihr Hilfe anbieten, Räuber oder Entführer oder sonstige Bösewichte vermuten. Anrufe, bei denen sich niemand meldet, anonyme Drohbriefe/-mails oder die beliebte tote Ratte vor der Haustür gehören auch in diese Kategorie.

Die Bedrohung ist eines der wenigen Spannungsmittel, das Sie unbegrenzt oft verwenden können. Die meisten anderen nutzen sich durch mehrmaligen Gebrauch ab, das heißt, werden vorhersehbar und dadurch unspannend, aber Bedrohungen können immer wieder verwendet werden. Einzige Voraussetzung: Sie sollten jedes Mal eine andere Art der Bedrohung wählen. Wenn Sie zum Beispiel bei jedem längeren Aufenthalt im Freien einen Gewittersturm oder andere naturgegebene „Katastrophen“ auffahren, wird das schnell langweilig.

6.5.2 Haken schlagen

Diese Technik wird auch als „Plotpoints“ (Wendepunkte) bezeichnet. Sie ist einfach, aber wirkungsvoll. Zusätzlich zu den „traditionellen Pflicht-Plotpoints“ – Nummer 1, wenn die Handlung Fahrt aufnimmt und richtig in Gang kommt und Nummer 2, wenn durch den Plotpoint die Lösung der Geschichte vorbereitet wird – können Sie je nach Länge Ihrer Story beliebig viele Plotpoints verwenden. Lassen Sie die Handlung Haken schlagen wie ein Hase! Bringen Sie immer wieder unerwartete Wendungen hinein. Geben Sie ihr eine Richtung, die die Lesenden nicht vermuten und demnach auch nicht vorausgeahnt haben.

Hierbei müssen Sie nur beachten, dass die Haken immer glaubhaft sind und gut (das heißt logisch nachvollziehbar) begründet werden. Nur wenige „Sünden“ wirken tödlicher auf die Spannung als an den Haaren herbeigezogene Wendungen oder wenn sie durch Zufälle passend gemacht werden. Ein Zufall darf zwar gern der Ausgangspunkt einer Geschichte sein (zum Beispiel ein verpasster Zug oder ein im Büro vergessenes Handy), aber sobald Sie die Handlung einmal in Gang gesetzt haben, muss sie sich ab diesem Punkt logisch nachvollziehbar und konsequent entwickeln.

BEISPIEL KRIMI:

Die Polizei hat einen Verdächtigen ermittelt und will ihn verhaften. Der flieht, was seine Schuld scheinbar bestätigt. Kurz bevor die Polizei ihn erwischt, erhält sie aber einen Hinweis, der stark auf jemand anderen als Täter hindeutet, sodass Polizei und Lesende überzeugt sind, dass diese Person der wahre Täter sein muss. Soweit wäre das noch nichts Besonderes, denn in jedem guten Krimi gibt es mindestens eine zu Unrecht verdächtigte Person („falsche Verdächtige“). Aber jetzt: Die Ermittlungen ergeben zunächst, dass der neue mutmaßliche Täter unschuldig ist. Zusätzlich gibt es Hinweise auf eine weitere verdächtige Person. Wieder sieht es so aus, dass diese nun endlich der/die Schuldige ist. Und dann das absolut Unerwartete: Am Ende entpuppt sich der geflohene erste Verdächtige, den längst alle für unschuldig halten, doch als der echte Täter. – Spannung pur!

BEISPIEL LIEBESROMAN:

Liebesromane leben von Konflikten, Missverständnissen und Intrigen. Derjenige/diejenige, der/die das Glück der Verliebten zu hintertreiben droht, ist – genretypisch – immer die Anti-Person, die am Ende verliert. Bauen Sie zum Beispiel die Intrigen dieser Figur so auf, dass er (hier ein Mann) die Geliebte seines Bruders ständig davon abzubringen versucht, den Bruder zu heiraten. Alles wirkt wie Neid und Eifersucht, weil der Intrigant die Frau für sich haben möchte. Schließlich scheitert er endgültig und muss aufgeben. So weit, so „normal“ für einen spannenden Liebesroman. Heirat der Liebenden, Hochzeitsreise, Happy End. – Wirklich?

Aber jetzt: Gerade als dem Glück der Liebenden nichts mehr im Weg steht, geschieht etwas, das der Frau bestätigt, dass der vermeintliche Intrigant Recht hatte mit seinen Warnungen vor ihrem Geliebten. Der (bisher der positive Protagonist) ist der wahre Schurke und nur hinter dem Geld der Frau her. Damit rechnet (fast) niemand. Nachdem er nun mit ihr verheiratet und erbberechtigt ist, versucht er sie zu töten. Zum Glück hat sein Bruder (der scheinbare Intrigant) die beiden nicht aus den Augen gelassen und kann das Schlimmste verhindern.

Hier erwarten die Lesenden nun, dass aus den beiden ein Paar wird, nachdem die Frau den Schock über den Verrat des Geliebten verdaut hat. Wieder könnte man die Spannung steigern, indem man diese Erwartung enttäuscht und die beiden nur Freunde werden lässt (ein Happy End darf/sollte aber angedeutet werden; das gehört zum Genre). – Spannung pur!

BEISPIEL (urban) FANTASYROMAN:

Ein Vampir- oder Werwolf- oder Dämonenjäger, der in dem Ruf steht, unerbittlich und gnadenlos zu sein, jagt eine Person aus seinem Beuteschema und setzt alles daran, sie oder ihn zur Strecke zu bringen. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden ist allein schon pure Spannung. Natürlich gehen alle Lesenden davon aus, dass der Jäger die böse Kreatur irgendwann erwischt und tötet.

Aber jetzt: Als die beiden sich schließlich gegenüberstehen und die Lesenden den Showdown erwarten, an dessen Ende die Kreatur auf der Strecke bleibt – da fallen sich beide in die Arme und zeigen sich glücklich, einander endlich gefunden zu haben. Hier sind mehrere Gründe dafür denkbar, zum Beispiel dass sie Geschwister sind oder Liebende und nur einer von ihnen verwandelt wurde und abtauchte. Worauf der andere nur deshalb zum Jäger wurde, um ihn/sie zu finden und vor den wahren Jägern in Sicherheit zu bringen. Da der/die Gejagte das nicht wusste, glaubte er/sie ernsthaft, dass der Jäger ihn/sie tatsächlich töten wollte und ist nur deshalb vor ihm geflohen.

Nun geht aber die Jagd erst richtig los, denn jetzt werden beide von den anderen Jägern verfolgt. Schaffen sie es zu entkommen? Schaffen sie es nicht? Schafft es nur einer? Und am Ende kommt wieder alles anders, denn es gelingt den Kreaturen, einen Waffenstillstand mit ihren Verfolgern zu schließen. Damit rechnen die Lesenden eher nicht. – Spannung pur!

Lassen Sie die Handlung Ihres Plots ruhig eine Reihe solcher Wendungen nehmen und Haken schlagen, mit denen die Lesenden nicht rechnen. Wichtig ist nur, dass Sie dabei immer glaubhaft bleiben, keine Zufälle zu Hilfe nehmen und die Zahl dieser Wendungen nicht so sehr übertreiben, dass die Lesenden durch die Handlung nicht mehr durchsteigen. Dann haben Sie einen vor Spannung knisternden Roman, eine spannende Geschichte.

6.5.3 der „Cliffhanger“

Tara presste sich mit dem Rücken gegen die Wand und lauschte. Sie hörte nichts außer ihrem Herzschlag, ihrem heftigen Atmen und das Rauschen des Blutes in ihren Ohren. Die Schritte des Flüchtenden waren verstummt. Sie warf einen schnellen Blick um die Ecke und riss den Kopf sofort zurück. Nichts geschah. Der kurze Moment hatte aber ausgereicht, um zu sehen, dass der Gang leer war. Und er bot keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Tara warf einen weiteren Blick um die Ecke – und blickte direkt in die Mündung von Bakers Revolver. Bevor sie sich von der Überraschung erholt hatte, dass er sich völlig lautlos hatte anschleichen können, drückte er ab, ein triumphierendes Grinsen im Gesicht.

*

Juri zuckte zusammen, als Elena schon wieder lachte, laut und schrill in einer Tonlage, die ihm verdächtig nach dem Schmerzensschrei einer Katze klang, der man auf den Schwanz trat. Warum nur hatte er sich breitschlagen lassen, zu dieser Party zu gehen? (…)

Und wir Lesenden hängen wie die soeben abgefeuerte Kugel in der Luft und müssen uns mehrere Szenen oder sogar ein ganzes Kapitel lang mit der Frage quälen, was denn nun mit Tara passiert. Wird sie getroffen, vielleicht sogar erschossen? Schwer verletzt? Ist sie schon tot? Oder kann sie sich retten?

Das Wichtigste beim Cliffhanger ist, dass das Umblenden auf dem Höhepunkt einer bereits erzeugten Spannung geschieht. Wie beim obigen Beispiel in dem Moment, als die Kugel abgefeuert wird. Existiert zum Zeitpunkt des Umblendens keine Spannung, wirkt der Cliffhanger nicht.

6.5.4 Der Gruseleffekt

Auch wenn sich gleich darauf herausstellt, dass die eifersüchtige Intrigantin ihrer Konkurrentin nur einen Schrecken einjagen wollte, entsteht erst einmal Spannung, weil die Lesenden nicht abschätzen können, was als Nächstes kommt oder welchen Hintergrund der Stromausfall hat. Ist er harmlos oder hat jemand hinterhältig das Licht ausgeschaltet, um in der Dunkelheit Böses zu tun?

Unabhängig von solchen äußeren Dingen wird der Gruseleffekt durch das Spiel mit menschlichen Ängsten erzeugt: die Begegnung mit etwas Unbegreiflichem, von etwas/jemand Bedrohlichem verfolgt zu werden, eine Bedrohung, die man spürt, aber nicht sieht, Kontrollverlust (Ohnmachtgefühl), einem Feind ausgeliefert zu sein oder das Gefühl, den eigenen Wahrnehmungen nicht mehr trauen zu können. Eben hat die Hauptperson ihren Schlüssel auf den Garderobentisch gelegt – Sekunden später ist er weg! Wer hat ihn weggenommen, obwohl niemand außer ihr im Haus ist? Oder hat sie ihn ganz in Gedanken doch anderswo hingelegt? Windstille – aber im Gebüsch neben der Terrasse raschelt es. Nur ein Kaninchen oder der Stalker, der dem Helden gedroht hat, ihn zu töten?

Offenes Fenster beziehungsweise Übergardinen offen, alles friedlich, aber plötzlich hat der Mensch in der Wohnung das Gefühl, beobachtet zu werden; geht ans Fenster, schaut nach draußen in die Dunkelheit – Spannung: Was passiert als Nächstes? Schießt jemand aus dem Hinterhalt? Oder hat er sich die Beobachtung nur eingebildet? Er sieht nichts, aber bestimmt ist da was! Oder doch nicht? So oder so, der Abend ist für ihn gelaufen, weil die Anspannung und die Angst ihn nicht mehr loslassen.

Unerklärliche Geräusche, seltsame Lichtreflexe, deren Ursache nicht zu erkennen sind, erzeugen zunächst einmal Unsicherheit in den Leuten, die sie wahrnehmen, und danach Angst, wenn sich das Rätsel um die Ursache nicht lösen lässt. Und die Lesenden rätseln mit den Figuren: Was liegt diesen gruseligen Dingen zugrunde?

Alles, was als unheimlich empfunden wird, ist in der Literatur auch immer spannend.

6.5.5 Unverhofft kommt oft

Jenny hatte bereits Seitenstiche und wusste, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Sie konnte Hugh unmöglich entkommen, indem sie weiterhin vor ihm davonlief. Immerhin hatte sie einen kleinen Vorsprung, den sie nutzen musste. Links öffnete sich eine Schneise, an dessen Rand ein Stapel Baumstämme lagerte. Kein sehr originelles Versteck, aber besser als nichts. Jenny brachte sich hinter dem Stapel außer Sicht und quetschte sich in eine Lücke zwischen den Stämmen, die breit genug für sie war, wenn sie sich ganz klein machte. Hastige Schritte näherten sich ihr. Blieben stehen. Gingen um den Holzstapel herum und kamen genau auf ihr Versteck zu. Jenny unterdrückte ein Wimmern, als zwischen den Lücken der Stämme, die Beine ihres Verfolgers in Sicht kamen, der genau auf sie zuhielt. Im nächsten Moment hatte er sie entdeckt und griff nach ihr.

„Jenny, was machst du denn hier?“, fragte BILL verblüfft und zog sie unter den Stämmen hervor. „Und wieso rennst du wie von Furien gehetzt durch den Wald?“

Ätsch, reingefallen! Nicht wahr, Sie haben gedacht, dass derjenige, der Jenny gefunden hat und ans Licht zerrt, der böse Hugh ist, vor dem sie flieht und der ihr gleich den Garaus machen will. Und nun ist es der nette Bill. Doch wo steckt Hugh?

Bei diesem Stilmittel wird die Spannung dadurch erzeugt, dass die Lesenden durch die Situation etwas ganz Bestimmtes erwarten und diese Erwartung enttäuscht wird. Die Enttäuschung wird allerdings nur dann als angenehm empfunden und den Autorinnen/Autoren nicht übel genommen, wenn sie sich als spannender erweist, als es die enttäuschte Erwartung gewesen wäre. In dieser Story entpuppt sich Bill als Komplize von Hugh, der ihm Jenny ausliefert, als sie sich in Sicherheit wähnt.

Eine Variante dieses Spannungsmittels ist die Aneinanderreihung von maximal drei solcher Enttäuschungen. Beim dritten Mal denken die Lesenden, es könnte wieder nur falscher Alarm sein, doch gerade dann schlägt das Unheil zu.

Leona spürte einen kalten Luftzug und blickte zur Terrassentür. Sie stand offen, und die Chiffongardine bewegte sich im Herbstwind. Der Schreck durchfuhr sie wie eine kalte Messerklinge. Sie hatte die Terrassentür zugemacht und abgeschlossen, bevor sie gegangen war. Dessen war sie sich sicher, denn sie hatte alle Türen und Fenster kontrolliert, ehe sie das Haus verlassen hatte. Dass sie jetzt offenstand, konnte nur bedeuten, dass der Stalker nicht nur sie, sondern auch einen Weg gefunden hatte, in ihr Haus einzudringen.

Sie widerstand dem Impuls zu fliehen und auch dem, die Terrassentür zu schließen. Der Mann war offenbar schon im Haus; da machte es wenig Sinn, die Tür zuzumachen. Außerdem würde das Geräusch der Schiebetür ihm verraten, wo Leona sich befand. Möglicherweise brauchte sie die offene Tür auch als Fluchtweg. Flucht kam für sie jedoch als letzte Möglichkeit in Betracht. Sie war ausgebildete Personenschützerin und rannte nicht vor einem Stalker davon. Aber es konnte nicht schaden, die Polizei zu rufen.

Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche. Und hörte ein Geräusch, noch ehe sie die erste Taste gedrückt hatte. Ein heiseres Kichern, das eindeutig aus der Küche kam, gefolgt von einem Flüstern. „Leona“, wisperte die Stimme in einschmeichelndem Tonfall. „Ich schnappe dich gleich.“

Der Kerl hatte Nerven! Aber die hatte Leona auch. Sie schlich zum Durchgang zur Küche. Der dicke Teppich unter ihren Füßen dämpfte ihre Schritte, und das Mondlicht, das durch die Glasfront der Terrasse hereinfiel, reichte nicht bis zu dem Bereich des Zimmers, in dem sie sich befand. Sie erreichte die Wand neben dem Durchgang, drückte sich mit dem Rücken dagegen und hob die Hand zum tödlichen Handkantenschlag. Sie hörte den Atem des Mannes, als er näherkam und wieder dieses unheimliche Kichern ausstieß. Leona würde dafür sorgen, dass ihm das verging.

Er sprang vorwärts, wobei er einen lauten Schrei ausstieß. Leona schlug zu – und erkannte im letzten Moment Jimmys Silhouette. Statt des tödlichen Schlages versetzte sie ihm einen Stoß vor die Brust, der ihn zurücktaumeln ließ, und schaltete das Licht ein.

„Idiot!“, beschied sie ihm, als er sich stöhnend die Stelle auf der Brust rieb, wo sie ihn getroffen hatte. „Ich hätte dich beinahe umgebracht. Und wie bist du überhaupt reingekommen?“

„War doch nur ein Scherz.“ Das klang vorwurfsvoll. „Außerdem hattest du mir deinen Zweitschlüssel gegeben. Schon vergessen? Ich wollte dich überraschen und was Gutes kochen. Ich dachte nicht, dass du so früh zurück bist.“

Sie atmete tief durch, ging zur Terrassentür und schloss sie. „Ich hätte beinahe die Polizei gerufen. Danach hätte ich dich fertiggemacht. Tu so was nie wieder, ja?“

Er hob abwehrend die Hände und blickte sie befremdet an. „Okay, das mit dem Erschrecken war wirklich eine dumme Idee“, gab er zu. „Ich mach’s wieder gut. Soll ich uns nun was kochen?“