Nützliche Idioten - Andreas Zwengel - E-Book

Nützliche Idioten E-Book

Andreas Zwengel

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Beschreibung

Der mächtige Spielzeugkonzern LupoTek macht mit Konkurrenten kurzen Prozess. Nur an der kleinen Firma olek-BroSis beißt er sich die Zähne aus. Eine Geschichte wie David gegen Goliath, wenn David ein psychopathisches Geschwisterpärchen wäre.Das Projekt ist phänomenal. LupoTek hat angeblich das attraktivste Spielzeug aller Zeiten entwickelt und will es bei der Eröffnung seiner größten Filiale präsentieren. Dies ruft den Problemlöser Hüskers auf den Plan, der für den Konzern stets alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Doch diesmal muss er die Grenzen von Legalität und Moral noch weiter als je zuvor dehnen und einen alten Freund, den abgehalfterten Fernsehclown Arlo Panofsky, ins Gefecht schicken.Wenn Helden zu schade sind, schickt man Nützliche Idioten.

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Seitenzahl: 461

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Andreas ZwengelNÜTZLICHE IDIOTEN

In dieser Reihe bisher erschienen

7001 Stefan Melneczuk Marterpfahl

7002 Frank W. Haubold Die Kinder der Schattenstadt

7003 Jens Lossau Dunkle Nordsee

7004 Alfred Wallon Endstation7005 Angelika Schröder Böses Karma

7006 Guido Billig Der Plan Gottes7007 Olaf Kemmler Die Stimme einer Toten

7008 Martin Barkawitz Kehrwieder7009 Stefan Melneczuk Rabenstadt

7010 Wayne Allen Sallee Der Erlöser von Chicago

7011 Uwe Schwartzer Das Konzept7012 Stefan Melneczuk Wallenstein

7013 Alex Mann Sicilia Nuova

7014 Julia A. Jorges Glutsommer

7015 Nils Noir Dead Dolls

7016 Ralph G. Kretschmann Tod aus der Vergangenheit

7017 Ralph G. Kretschmann Aus der Zeit gerissen

7018 Ralph G. Kretschmann Vergiftetes Blut

7019 Markus Müller-Hahnefeld Lovetube

7020 Nils Noir Dark Dudes

7021 Andreas Zwengel Nützliche Idioten

7022 Astrid Pfister Bücherleben

Andreas Zwengel

NÜTZLICHE IDIOTEN

ROMAN

Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt.Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.© 2023 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannLektorat: Anke BrandtTitelbild: Tithi LuadthongUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-787-0

ERSTER AKT

Frankfurt am Main

Samstagnachmittag. Entkräftete Eltern hingen willenlos an den Händen ihrer Kinder, die sie zu dem zwei­stöckigen, schockbunten Gebäude zogen. Zwei Etagen voll mit allem, was der Fantasie von Spielzeug­entwicklern so entsprang. Diese Filiale der Firma olek-BroSis stellte die neueste Attraktion auf der Frankfurter Zeil dar. Schließlich durfte man sich in der Stadt, in der sich die Zentrale des übermächtigen Konkurrenten LupoTek befand, nicht lumpen lassen.

Zwei Eingänge führten ins Paradies. Einer so niedrig, dass sich Sechsjährige privilegiert vorkommen konnten, sofern sie es aufgrund ihrer Helikopter-Eltern und Soccer-Moms nicht ohnehin schon taten, der andere für gewöhnliche Erwachsene. Im Inneren ein kunterbuntes, kreischendes Inferno. Man musste den Mut oder die Kaltschnäuzigkeit derjenigen bewundern, die sich mit einem Kinderwagen hineinwagten. Wenn an gegenüberliegenden Enden eines Ganges Zwillingskinderwagen einbogen, verengten sich die Augen der Mütter zu schmalen Schlitzen und das Schicksal nahm seinen Lauf. Väter probierten unterdessen die Spielzeuge aus, die es in ihrer Jugend nicht gegeben hatte oder die damals unerschwinglich gewesen waren. Ihren Nachwuchs verloren sie dabei oftmals aus den Augen. Die schwächeren Exemplare unter den Vätern waren gegen Mittag längst gebrochen, schaukelten im Stupor auf den wenigen ­Sitzflächen und murmelten Kindernamen.

Die Mitarbeiter von FUN by olek-BroSis hatten ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen müssen, das mehrere kombinierte Belastungstests beinhaltete. Darunter eine akustische Testbeschallung, die nur wenige Bewerber länger als eine Stunde ertrugen, bevor sie sich die Kopfhörer herunterrissen. Aber auch die körperlichen Prüfungen führten viele von ihnen rasch an die Grenzen der physischen Belastbarkeit. Unter anderem mussten sie in gebückter Haltung durch einen Regale-Parcour hetzen und Granulatsäcke in Größe und Gewicht von Kleinkindern aufheben oder umsetzen. Die rhetorische Schulung sah in erster Linie vor, jeden an sie gerichteten Vorwurf zu akzeptieren und auf möglichst unterwürfige Art die eigene Unfähigkeit zu bestätigen. Der psychologische Dienst von olek-BroSis schulte das Personal in den quietschbunten Uniformen gezielt darauf, für die Arbeitszeit eine separate Persönlichkeit zu erschaffen, die praktisch ohne Selbstwertgefühl auskam und persönliche Beleidigungen leichter erträglich machte. Besser geschultes Personal war höchstens noch in BlackOP-­Einheiten an internationalen Krisenherden zu finden.

Doch kein Aspekt der Ausbildung hatte die jungen Frauen und Männer auf die Krise vorbereiten können, als ein mehrstimmiger Schrei in der oberen Etage die Ohren der erschöpften und unterzuckerten Kundschaft erreichte. „Mäuse! Hier sind Mäuse!“

Die Mitarbeiter, denen man die Schrecksekunde abtrainiert hatte, versicherten der ersten Welle von empörten Kunden glaubhaft, dass es sich um eine einzige, elektronische Spielzeugmaus handelte.

Die zweite Welle, bestehend aus denjenigen, die Zeit gehabt hatten, über diese Erklärung nachzudenken, fragten berechtigterweise nach Sinn und Zweck einer original­getreuen Nachbildung von ordinären Stadt­mäusen.

Als Nächstes funktionierten die Kassen nicht mehr. Eine mittelschwere Katastrophe, an die sich sofort eine weitere anschloss, als Kunden beim Verlassen des Gebäudes gegen die Ausgangstüren stießen. Beide Automatiktüren verweigerten ihre wichtigste und einzige Funktion: sich zu öffnen. Angesichts der Aussicht, auf unbestimmte Zeit eingesperrt zu sein, bröckelte auch erstmals die Fassade der stoischsten Mitarbeiter.

Die ersten brüllenden Kinder gaben dann das Start­signal zur Stampede auf die Ausgänge. Die Leute wollten raus aus dem Laden ohne Rücksicht auf Verluste. Dass es keine schwerwiegenderen Folgen als ein paar blaue Rempel­flecken und angekratzte Egos gab, war dem raschen Eingreifen der Mitarbeiter des Outdoor-Ladens auf der gegenüberliegenden Straßenseite zu verdanken, einem Tochterunternehmen des LupoTek-Konzerns. Sie kamen herbeigeeilt und öffneten die Türen mit geeigneten Werkzeugen. Erleichtert über die Befreiung hinterfragte keiner der Kunden den sonderbaren Zufall, dass ihre Retter über genau das richtige Werkzeug verfügten, obwohl dieses in keinem Outdoor-Laden zum Standardangebot gehören dürfte. Freundlich und zuvorkommend wurde die traumatisierte Kundschaft über die Straße in die schutzspendenden Räumlichkeiten geführt, zu überzuckertem Kakao für die Kleinen, Prosecco für die Mütter und einem preiswerten, aber wirkungsvollen Cognac für die Väter, denen man unaufgefordert bis zu dreimal nachschenkte.

Natürlich waren die Retter nur selbstlose Helfer. Niemand sprach auch nur die Andeutung eines Vorwurfs gegen FUN by olek-BroSis aus. Aber was die Mit­arbeiter des Outdoor-Ladens dezent vermittelten, war das Gefühl von Sicherheit und Behaglichkeit, und dieser Keim wurde bei den aufgeregten Müttern und den halb­betrunkenen Vätern wohlplatziert gesät.

Allmählich kehrte Ruhe ein. Die ehemaligen Kunden des Spielzeugladens beobachteten aus ihrer behaglichen Sicherheit heraus, wie Polizei und Feuerwehr eintrafen. Blaulicht und Rettungskräfte unter dem überdimensionalen Firmennamen setzen sich im Bewusstsein der Betrachter fest und schufen unerfreuliche Assoziationen. Mit genau diesem Bild würden die Frankfurter Zeitungen am nächsten Morgen titeln.

Rein zufällig, wie die Leitung von LupoTek im Anschluss nicht müde wurde zu betonen, enthüllten mehrere Arbeiter zu genau diesem Zeitpunkt an der Fassade des Nachbargebäudes ein Werbebanner, das die Ausmaße von drei Stockwerken besaß.

Wir haben ein neues Zuhause verkündete die Balkenüberschrift. Darunter waren die berühmtesten Schöpfungen des LupoTek-Universums einträchtig ­nebeneinander abgebildet. Im Vordergrund die Hauptfigur von My ­Buddyguard, ein grinsender Teddybär, der lässig über den oberen Rand seiner Sonnenbrille linste. Dahinter fächerten sich Drachen, Ritter, Roboter, Prinzessinnen, Cowboys, Einhörner, Reiterinnen und Sternenkrieger auseinander. Die Größe der Figuren bemaß sich am Grad ihrer Popularität.

Ganz hinten rechts, ziemlich klein, eigentlich kaum noch wahrnehmbar, ragte Onkel Manny, der böse Clown im Rockeroutfit, hinter einem Zeichentrickdrachen hervor. Ausnahmsweise in einer familientauglichen Pose, die aus keinem seiner Filme stammen konnte.

Der zweite Schriftzug auf dem Banner, ebenso groß wie der obere, versprach: Große Eröffnung am 1. Dezember.

Malta

Von einem unbekannten Ort schwebte die kleine zwei­motorige Maschine im Morgengrauen über die Insel herein. Lange bevor die Propeller den Stillstand erreichten, marschierte der Mann in dem karierten Anzug schon über das Rollfeld. Mit einem schiefen Lächeln unter seiner spitzen Nase passierte er die Kontrollen und schwang dabei seine flache Reisetasche wie ein übermütiges Schul­mädchen. Die Zöllner erwiderten seinen freundlichen Gruß und erst, als er schon lange vorüber war, kamen sie auf die Idee, ihn und sein Gepäck zu kontrollieren.

Hüskers verließ das Gebäude des Malta International Airport. Die Auswahl an Taxis war um diese Tageszeit recht übersichtlich. Er klopfte sachte gegen das Beifahrer­fenster des ersten Wagens in der kurzen Reihe, um den Fahrer zu wecken. Der Mann rieb sich mit der einen Hand die Augen und winkte seinen Fahrgast mit der anderen auf die Rückbank. Kaum hatte der Mann den Motor angelassen, schien seine Müdigkeit wie weggeblasen. Jenseits aller Geschwindigkeitsbegrenzungen raste er über die erwachende Insel. Dabei plauderte er munter auf Hüskers ein, der den Akzent rasch identifizierte und ihm in seiner Muttersprache antwortete. Der Exil-Franzose reagierte begeistert. Hüskers hatte Schulen in Zürich, London und Paris besucht, sprach vier Sprachen fließend, drei weitere leidlich gut und konnte sich in einem Dutzend anderer verständlich machen. Seine Mutter hatte sein Sprachtalent immer gefördert und ihn als Kind angewiesen, alle Dinge in jeder Sprache zu benennen, die er kannte. Das hatte selbst die einfachsten Gespräche mit ihr recht langwierig gemacht.

Das Hotel, vor dem das Taxi zum Stehen kam, gehörte zur gehobenen Klasse auf Malta. Hohe Steinmauern schirmten das Gebäude nach außen ab, um dem Schutz­bedürfnis seiner Gäste zu entsprechen. Hüskers verabschiedete sich per Handschlag von dem Fahrer namens Gerard und betrat den mit Bruchstein gepflasterten Innenhof. Er blickte fünf Stockwerke hinauf, wo ein Quadrat blauen Himmels zu sehen war. Die Lobby bot ein Kabinett aus Glas und Spiegeln, welche das gebleichte und tief eingegrabene Grinsen der Rezeptionistin um ein Vielfaches zurückwarfen. Die Arme muss es sich ­wahrscheinlich jeden Abend mühsam aus ihrem Gesicht ­massieren, dachte Hüskers im Lift nach oben.

Patrick lag rauchend auf dem Bett und aschte auf eine Untertasse, die auf seiner Brust ruhte. Als Hüskers hereinkam, drückte Patrick die Zigarette aus und schwang seine kurzen Beine vom Bett. Hüskers sah sich im Hotelzimmer um, in dem man mühelos mit einem Mähdrescher rangieren könnte, wirkte zufrieden wegen der Größe und verlor kein Wort über den Zustand. Obwohl Patrick nur zwölf Stunden vor ihm eingetroffen war, machte das Zimmer den Eindruck, als hause er bereits seit einer Woche darin.

Hüskers arbeitete in der Regel allein, aber wenn er technische Unterstützung brauchte, griff er auf bewährte Fachkräfte zurück. Er besaß eine Kartei mit Spezialisten für jedes erdenkliche Berufsfeld und war ausgesprochen loyal gegenüber seinen freien Mitarbeitern. Wer sich als verlässlich erwies, wurde von ihm immer wieder angefordert, natürlich gegen eine erstklassige Bezahlung. Seinen Arbeitgeber LupoTek interessierte nicht, wen Hüskers als Helfer heranzog. Auch darin hatte er völlig freie Hand. Man erwartete nur, dass er jedes Problem diskret und effizient löste, ohne den Konzern in eine kompromittierende Lage zu bringen. Hüskers wusste mehr über Spielzeug als ein Inuit über Schnee, doch in seinem Arbeitsalltag kam dieses Wissen so gut wie nie zum Einsatz. Da waren andere Qualitäten gefragt.

Patrick informierte Hüskers über den aktuellen Stand. Er redete schnell und ausdauernd, unterbrochen nur von regelmäßigen Lungenzügen an der nächsten Zigarette. Kaum hatte Patrick geendet, bestellte er telefonisch Frühstück für sie aufs Zimmer.

Hüskers duschte sich rasch den Mief der Reise ab und trat anschließend zum Trocknen auf den Balkon. Es war noch früh am Morgen. Vereinzelt entdeckte er auf den umliegenden Balkonen Touristen in ihren unschönsten Erscheinungsformen. Nur mit Shorts oder höchstens noch einem T-Shirt bekleidet, letzteres in der Regel mit einem launigen Spruch versehen, lehnten sie am Geländer. Die meisten mit schlafzerzaustem Haar, eine Morgenzigarette schmauchend, bevor man sich notdürftig für das Frühstücksbuffet herrichtete. Alle gaben sich viel Mühe, ihre Balkonnachbarn zu ignorieren. Besonders in Hüskers’ Fall. Der Problemlöser stellte fest, dass ein nackter und fröhlich winkender Mensch wie er Ärger und Irritation auslöste. Er stützte sich auf das Geländer und genoss die frische Brise, die durch die Gitterstäbe und zwischen seinen Beinen hindurchwehte. Erst als auf der gegenüberliegenden Seite eine ältere Frau ihrer Enkelin die Augen zuhielt, ging er wieder nach drinnen und zog sich etwas über.

Für Patrick mochte es anfangs etwas befremdlich gewesen sein, dass Hüskers bevorzugt nackt herumlief, aber inzwischen hatte er sich daran gewöhnt. So barg Hüskers’ Physiognomie für ihn, trotz der Kürze ihrer Bekanntschaft, keine Geheimnisse: Sein Körper war nicht so dürr, wie die locker sitzenden Anzüge suggerierten, sondern von einer unaufdringlichen Muskulosität. Drahtig und natürlich durchgehend gebräunt. Außerdem besaß Hüskers den größten Penis, den Patrick jemals außerhalb eines Hardcorestreifens gesehen hatte.

Beim Frühstück lauschten sie über Kopfhörer ­Lehmanns Aufwachprozess und Morgentoilette. Patrick verging bei den Geräuschen schon bald der Appetit. Ihre Ziel­person hatte die vergangene Nacht in Gesellschaft von zwei Prostituierten verbracht, und zwar auf Firmenkosten. Hüskers verurteilte nicht das Gewerbe, aber er fand es schäbig, wenn ein Mann sich derart intime Vergnügungen von anderen bezahlen ließ. Das war – neben einigem anderen auch – einfach unanständig. Lehmanns wahres Verbrechen bestand natürlich nicht darin, Spesengelder zu verschwenden, sondern im Verschachern von geheimem Firmeneigentum. Er war nur ein vergleichsweise kleines Licht in der Entwicklungsabteilung von LupoTek, doch als er die Gelegenheit bekam, Informationen über ein neues Projekt an sich zu bringen, hatte er keine Sekunde gezögert. Bevor jemand Abrakadabraverschwindibus sagen konnte, hatte Lehmann bereits das Land verlassen. Allerdings nicht geschickt genug, um keine leicht verfolgbare Spur zu hinterlassen.

Patrick hatte Lehmanns kurze Abwesenheit am ­Vorabend genutzt, um dessen Hotelzimmer komplett zu verwanzen. Die Unterkunft war seitdem derart mit technischen Überwachungsgeräten vollgestopft, dass der abtrünnige LupoTek-Mann vor lauter Elektrosmog ­inzwischen an ­Kopfschmerzen leiden musste. Leider hatte Patrick bei dieser Gelegenheit auch festgestellt, dass Lehmann die geraubten Daten nicht in seinem Hotel­zimmer aufbewahrte. Aber das wäre auch zu schön gewesen.

„Dann machen wir uns mal ans Werk“, sagte Hüskers, wischte sich mit einer Serviette über den Mund und nahm die Kopfhörer ab. Als Erstes rekrutierte er eines der Zimmermädchen, und zwar das hübscheste, das er finden konnte. Emilia konnte ihm nicht nur Zugang zu den Zimmern gewähren, sondern verfügte auch über einen Einfluss auf das übrige Hotelpersonal, den man gar nicht hoch genug bewerten konnte. Der Hotelmanager hatte sie schon länger im Verdacht, die Belegschaft mit modernen Mythen wie Arbeitsrecht und Gewerkschaften aufzustacheln.

Als Lehmann schließlich sein Zimmer verließ und zum Hotelpool auf der anderen Seite der Hauptstraße ging, befand sich der Problemlöser dicht hinter ihm. Man konnte die Poolanlage von der Lobby aus durch eine Unterführung erreichen. Für viele angetrunkene All-inclusive-Gäste der empfehlenswertere Weg, da sie beim Überqueren der Straße, den Linksverkehr auf Malta ignorierend, meist in die falsche Richtung schauten.

Hüskers setzte sich neben einen Tisch mit sehr jungen Bikinischönheiten und wurde dadurch für alle männ­lichen Hotelgäste unsichtbar. Unauffällig steckte er sich den hautfarbenen Empfänger ins Ohr und kontrollierte die Verbindung. Er sah hinauf zu seinem Balkon, fünfter Stock, dritter von links, von wo aus ihn Patrick zwischen schreiend bunten Blümchenvorhängen hindurch mit einem Fernrohr im Auge behielt. Das Spiel hatte begonnen.

Lehmann fing an, hektisch in seinen Shorts zu kramen, und zog ein klingelndes Handy hervor, von dessen Existenz er selbst am meisten überrascht war. Zögernd meldete er sich.

„Können wir hören, mit wem er spricht?“, fragte ­Hüskers.

„Leider nein“, antwortete Patrick in seinem Ohr.

„Ich dachte, du hättest sein Handy angezapft?“

„Das habe ich auch, aber das ist nicht sein Handy.“

„Immerhin befand es sich in seiner Hose.“

„Das muss ihm jemand zugesteckt haben.“

Lehmann eilte, noch immer telefonierend, zur Rezeption zurück. Hüskers folgte ihm und sah zu, wie er die junge Frau mit dem kalkweißen Lächeln ansprach. Sie verschwand kurz und tauchte mit einer Aktentasche wieder auf.

„Er hat sich eine Aktentasche geben lassen, ich fürchte, er will das Hotel verlassen. Wir folgen ihm!“

„Ich bin nicht angezogen für einen Außeneinsatz“, protestierte Patrick, der sich ungern im Freien aufhielt. Hüskers beobachtete, wie Lehmann den Empfang des Koffers quittierte und Richtung Ausgang spazierte. Kurz darauf kam Patrick in Shorts und Flip-Flops an den Füßen durch die Lobby gehetzt, während er ein geschmackloses Hawaiihemd zuknöpfte.

Damit begann eine Art Schnitzeljagd, die der unbekannte Anrufer mit Lehmann und indirekt auch mit Hüskers und Patrick veranstaltete. Sie setzen mit der Fähre zur Nachbarinsel Gozo über. Lehmann in einem Taxi und seine beiden Verfolger in dem Fiat, den ­Patrick bei seiner Ankunft gemietet hatte. Bei jedem Anruf bekam Lehmann einen neuen Treffpunkt mitgeteilt und vor Ort eingetroffen, erhielt er eine weitere Anweisung. ­Hüskers zweifelte nicht daran, dass die Tasche nur als Köder diente, aber er durfte kein Risiko eingehen. Immer wieder rein nach Victoria und raus aus Victoria, bis sie alle touristischen Sehenswürdigkeiten besucht hatten und die Reise endete. Natürlich mitten in Victoria. Es mochte sein, dass alle Wege nach Rom führten, aber auf Gozo wirkte das Verkehrsnetz tatsächlich wie von einer Spinne entworfen. Oftmals gab es zwischen zwei Punkten an der Küste keine direkte Verbindung und man gelangte von einem zum anderen nur, indem man zuerst zur Hauptstadt in der Inselmitte zurückkehrte.

Der Marktplatz von Victoria war dicht mit den Tischen und Stühlen mehrerer Cafés und Bistros bedeckt. Die Grenzen zwischen den einzelnen Läden ließen sich nur schwer ausmachen. Manche Touristen, die sich auf einem der Klappaufsteller ihr Essen ausgesucht hatten und Platz nahmen, mussten feststellen, dass ihr Tisch bereits zum nächsten Lokal gehörte und die Bedienungen begannen, um sie zu streiten. Rund um den Platz herrschte reger Verkehr mit viel Gehupe, knatternden Motoren und knallenden Auspuffrohren. Eine Gruppe alter Männer spielte mit ihren Instrumenten beherzt gegen den Straßenlärm an. Lehmann saß am äußersten Rand eines Cafés. Wenn er die Hand ausstreckte, könnte er die Seitenspiegel vorbeifahrender Autos berühren. Er nippte an einem Espresso und gab sich große Mühe, locker zu wirken, doch das übergeschlagene Bein wippte so unruhig, dass ihm seine Anspannung deutlich anzumerken war. Seine Verabredung verspätete sich offenbar. Auch Hüskers konnte der mediterranen Zeitmessung wenig abgewinnen. Nie in seinem Leben hatte er so viele Stunden mit sinnlosem Warten verschwendet wie rund um das Mittelmeer. Er schätzte die Pünktlichkeit seiner Landsleute, denn es machte sie berechenbar. Wenn man mit einem Deutschen verabredet war, wusste man genau, wo der sich zum verabredeten Zeitpunkt aufhielt, nämlich am vereinbarten Treffpunkt.

Zusammen mit Patrick stand Hüskers in einem Laden für Wanderausrüstung, der auf den Platz hinausging. Sie beobachteten ihre Zielperson mit Ferngläsern der höheren Preisklasse und nahmen dabei eine kleine Mahlzeit aus Kaninchenspießchen und gefüllten Teigtaschen ein, die ihnen der Besitzer des Ladens freundlicherweise besorgt hatte. Hüskers spülte das Essen mit zwei Flaschen Kinnie hinunter. Obwohl er Limonade in der Regel nicht viel abgewinnen konnte, mochte er den Geschmack aus Bitterorangen und Wermutkraut vom ersten Schluck an.

„Wir sollten etwas unternehmen, der Kontakt kann jeden Moment auftauchen“, sagte Patrick.

Hüskers drehte wortlos an den Einstellungen seines Fernglases.

„Wer weiß, mit wem wir es zu tun haben“, versuchte Patrick es noch einmal. „Hier gibt es eine Menge Zivilisten, die verletzt werden könnten.“

Ein schwarzer BMW mit verdunkelten Scheiben hielt neben Lehmanns Sitzplatz. Niemand stieg aus, der Kofferraum­deckel öffnete sich.

„Das ist die Übergabe“, keuchte Patrick aufgeregt. „Wir müssen da raus. Sofort!“

Hüskers nahm eine Hand vom Fernglas, um seinen Mitarbeiter am Arm festzuhalten. „Wir warten.“

Lehmann trat an den Bürgersteig, legte die Akten­tasche in den Kofferraum und schloss den Deckel. Der Wagen fuhr im selben Moment los und Lehmann ging in entgegengesetzter Richtung über den Platz davon.

„Pass mal auf, was jetzt passiert“, sagte Hüskers.

„Was meinst du? Nichts passiert. Die Sache ist gelaufen, die Tasche ist weg.“

Hüskers machte eine Kopfbewegung, dass er weiter beobachten sollte. Und schon kam Bewegung in die Szenerie: Ein Briefträger ließ sein Fahrrad stehen und sprang auf den Beifahrersitz eines Taxis. Ein Motorradfahrer startete seine Maschine und nahm die Verfolgung auf. Eine Frau mit Kinderwagen hob diesen in den Laderaum eines wartenden Geländewagens und setzte sich zu dem Fahrer. Innerhalb von Sekunden hatte sich ein Teil der Straßenszene in Luft aufgelöst.

Patrick runzelte die Stirn. „Das war nur ein Täuschungsmanöver, um die Konkurrenz abzuschütteln?“

„Oder um sie kennenzulernen. Es gibt nicht nur ­Lehmanns Käufer und uns, sondern auch noch eine Reihe anderer Interessenten. Und nicht alle beabsichtigten wohl, für die Ware zu bezahlen.“

„Was machen wir jetzt?“

„Ich würde wetten, während alle der Tasche nachjagen, findet die echte Übergabe im Hotel statt.“

„Aber wo sind die Daten?“

„Die trägt er am Körper. Wahrscheinlich schleppt er sie die ganze Zeit auf einem USB-Stick mit sich herum. Es wird Zeit, Bekanntschaft mit Herrn Lehmann zu schließen.“

*

Aus den Boxen am Hotelpool erklang ein Gute-Laune-Stimmungsmix, dessen stampfender Bass niemanden unberührt ließ, und sei es nur durch ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Applaus und Mitgröl-Chor waren bereits beigemischt, ohne den lästigen Umweg über eine Liveaufnahme zu gehen. Hüskers trug einen hellbeigen Anzug mit Rotweinfleck an der Schulter, als er auf die Terrasse des Hotels trat. An seinem Arm begleitete ihn Emilia. Sie hatte ihre Zimmermädchenkluft gegen ein gewagt geschnittenes Kleid ausgetauscht, das er ihr zuvor in der hoteleigenen Boutique gekauft hatte. Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und sie lachte amüsiert. Bei einem ­gemütlichen Gang um den Pool grüßten sie jeden, mit dem sie Augenkontakt bekamen, damit sich möglichst viele Gäste ihre Gesichter einprägten. Hüskers stellte seine attraktive Begleitung als die französische Tourismus­expertin Caprie Sonnèh vor. Der unübersehbare Weinfleck an seiner Schulter, offenbar von panischen Händen zu einem hellen Rosa geschrubbt, würde ein Übriges tun, damit Hüskers im Gedächtnis blieb. Wenn er Lehmann erst einmal aufgefallen war, würde er bei der späteren Kontaktaufnahme weniger misstrauisch sein.

„Zielperson ist am Pool eingetroffen. Sichtkontakt gewährleistet“, meldete Patrick über den Ohrstecker. „Cocktail präpariert, Kontaktaufnahme steht unmittelbar bevor.“

Hüskers beobachtete Lehmanns großspuriges Verhalten. Der Mann benahm sich wie King Kong in Liliput und hielt es für weltmännisches Auftreten. Er gab übertriebene Trinkgelder, redete auffällig laut und gab sich vertraulich mit dem Personal. Den Kaschmirpullover trug er über die Schultern seines senffarbenen Polo-Shirts drapiert. Die teure Sonnenbrille saß unverrückbar im gegelten Resthaar verankert. Selbst wenn man mildernde Umstände wie eine schwere Kindheit und soziale Dysfunktion geltend machte, fiel es schwer, Lehmann für einen angenehmen Menschen zu halten. Sein feis­tes Grinsen in einem Bart, der aussah, als würde er aus Schamhaaren bestehen, ließ auch das herzlichste Lächeln der Angestellten bemüht wirken. Über seine körperlichen Defizite hätte man hinwegsehen können, aber Lehmanns Unzulänglichkeiten im Umgang mit seinen Mitmenschen ließen Hüskers ein ums andere Mal rätseln, wie es der Mann geschafft hatte, im LupoTek-Konzern aufzusteigen.

Hüskers beobachtete den Kellner mit dem präparierten Cocktail, der direkt auf Lehmann zusteuerte. Das Getränk würde ihn für mindestens eine Stunde an die nächste Toilette fesseln, die sich in der Lobby befand. Ein Klassiker im Spionagegeschäft. Hüskers schätzte den gesundheitsfördernden Aspekt einer Darmentleerung und zog sie Mitteln wie Rohypnol vor. Emilia hielt ein Schild bereit, das die Benutzung der Toilette untersagte, sobald Lehmann eingetreten war, damit er allein in dem Raum blieb. Nach ein paar Minuten würde Hüskers als guter Samariter auftauchen, den Lehmann bereits vom Pool her kannte. Der tollpatschige Hotelgast mit dem Weinfleck und der heißen Freundin. Völlig ungefährlich. Hüskers konnte den Austausch vornehmen, indem er die brisanten Daten durch seine eigenen, entsprechend präparierten, in der heruntergelassenen Hose ersetzte. Eine relativ einfache Aktion.

Der Kellner, der Emilia einen Gefallen tat, stand inzwischen vor Lehmann und hielt ihm das Tablett mit dem präparierten Cocktail direkt vor das Gesicht. Lehmann streckte die Hand nach dem schlanken Glas aus, als er von einem jungen Schnösel mit Kinnbart zur Seite gerempelt wurde, der dreist das angebotene Glas ergriff. Er schaute Lehmann herausfordernd an, ob dieser ­protestieren wollte, dann zog der Cocktailräuber lachend mit seiner Beute davon. Hüskers schnalzte verärgert mit der Zunge und musste umdisponieren. Doch bevor er sich eine neue Strategie zurechtlegen konnte, klingelte Lehmanns Handy erneut. Er meldete sich und mit einem Mal schien die Poolparty für ihn keinerlei Bedeutung mehr zu haben. Telefonierend eilte er ins Innere des Hotels.

Hüskers und Emilia folgten ihm zur Rezeption. Als Lehmann wieder gegangen war, erkundigte sich ­Emilia bei ihrer Kollegin nach seinen Wünschen. Lehmann hatte gerade einen kleinen Konferenzraum gebucht. Das sprach dafür, dass die Übergabe dort stattfinden würde, und zwar ziemlich bald.

Hüskers brauchte keine Beweise für Lehmanns Tat vorlegen, denn es ging nicht um eine Verurteilung. Der Problem­löser hätte sich damit begnügen können, das Material zurückzustehlen oder es einfach zu vernichten, aber Hüskers war angewiesen, Lehmann einen Denk­zettel zu verpassen. Zusammen mit Emilia eilte er zu dem Konferenzraum.

„Das ist ziemlich aufregend“, sagte sie mehr amüsiert als beunruhigt. „Aber hast du nicht gesagt, dass ihr für einen Spielzeugkonzern arbeitet?“

„LupoTek ist die Mutter aller Spielzeugkonzerne.“

„Nie gehört.“

„Der Name ist nur deshalb nicht so bekannt, weil die populärsten Produkte unter den Namen von Tochter­firmen herausgebracht werden.“

„Und er hat euch die Idee für ein Spielzeug gestohlen?“

Hüskers nickte bloß und verzichtete darauf, ihr zu erklären, dass es sich bei den entwendeten Projekt­plänen um technische Hilfsmittel handelte, die einzig für den internen Gebrauch bestimmt waren. Hüskers war ein begeisterter Nutzer jener Gadgets, die die Entwicklungsabteilung in Darmstadt ihm und seinen Kollegen zur Verfügung stellten. Deshalb unterteilte er die Mitarbeiter seiner Abteilung auch in die Craigs und die Moores, womit die beiden am weitesten entgegengesetzten Bond-­Interpretationen gemeint waren. Sein Kollege Linksrheiner beispielsweise war ein hundertprozentiger Craig. Brutal und direkt, nutzte jede Waffe, die er in die Finger bekam, und kannte keine Skrupel. Aber das war eben nicht Hüskers Stil.

Er kniete sich vor das Schlüsselloch des Konferenzraums und zog die Kappe von einer Spritze ab.

„Was ist das?“, flüsterte Emilia interessiert.

„Ein Pheromon. Ein Duftstoff, der bei jedem Raucher, der ihn riecht, das unstillbare Verlangen nach einer Zigarette weckt.“

„Warum erfindet man sowas?“

„Es ist ganz praktisch in Zeiten schwindender Absatzzahlen. Das Zeug wirkt nicht nur bei aktiven Rauchern, sondern auch bei ehemaligen.“

„Die Tabakindustrie würde doch sicher Millionen für so einen Stoff bezahlen.“

„Milliarden“, erklärte Hüskers. „Wir haben nachgefragt. Und jetzt halte dir bitte Mund und Nase zu.“

Er spritze den Inhalt in den Raum und trat dann schnell zurück. Es dauerte weniger als eine Minute, bis sie ­Lehmann durch die Tür in den gläsernen Innenhof stürzen sahen, während seine Finger mit der Zellophanhülle einer Zigarettenschachtel kämpften.

Hüskers schlüpfte in den Raum und entdeckte sofort das MacBook Pro auf dem Tisch. Er meldete den Stick ab und zog ihn aus dem Laptop. „Pass gut auf unseren Freund auf“, sagte er zu Emilia und eilte dann zur Lobby, wo Patrick ihn erwartete.

Emilia beobachtete Lehmann, der mit gierigen Zügen an seiner Zigarette sog. Wenn er in dem Tempo weitermachte, würde er schnell fertig sein. Zufrieden sah sie, wie er sich eine zweite Zigarette an der ersten ansteckte und sich diesmal etwas mehr Zeit dafür ließ. Sie wartete, bis er den Innenhof verlassen wollte, dann ging sie zu ihm nach draußen. Überzeugend spielte sie den leicht beschwipsten Urlaubsgast, der die Kippen für seine Zigaretten­pause vergessen hatte. Während Hüskers in der Lobby darauf wartete, dass Patrick an seinem Laptop den Stick präparierte, behielt er die beiden durch die Panorama­scheiben im Auge. Emilia machte ihre Sache sehr gut und flirtete genau im richtigen Maß. Nicht zu aufdringlich, aber auch nicht völlig uninteressiert. Gerade genug, um Lehmann bei der Stange und in dem Innenhof zu halten. Der Mann blickte zwar mehrmals verstohlen auf seine Uhr, aber er blieb. Hüskers drängte Patrick, dessen Finger über die Tastatur flogen. Und dann sah er sie.

Es gab zahlreiche potenzielle Abnehmer für die Informationen und die kleine Scharade auf dem Marktplatz hatte dafür gesorgt, dass alle voneinander wussten. Aber das waren nur Handlanger gewesen. Für einen Coup dieser Größenordnung begab sich die Chefetage persönlich auf die Reise. Umgeben von einer Horde Leibwächter kam ein Paar mit auffallend blasser Haut aus der Unterführung.

Sie waren gutaussehend, Mitte dreißig und unverheiratet. Beide trugen weiße Polo-Shirts und beige Leinenhosen. Nur die dunklen Sonnenbrillen im weißblonden Haar stachen hervor. Die beiden sahen sich trotz des unterschiedlichen Geschlechts unglaublich ähnlich, was kein Wunder war, denn es handelte sich um Zwillinge. Goran und Valerija Olek, besser bekannt als die Gründer und Inhaber von olek-BroSis. Sie zeigten sich gern in der Öffentlichkeit. Meist mit bekannten Werbeträgern: Promis, Kinderstars und Kindern von Promis.

In der Spielzeugbranche waren sie berüchtigt wegen ihres Ehrgeizes und ihrer rauen Methoden. Gerüchten zufolge wurden sie ohne soziale Kontakte in einem Keller voller Spielwaren großgezogen, bis sie dreizehn waren, und offensichtlich war ihnen das nicht allzu gut bekommen. Die Spielzeugindustrie war ein hartes Geschäft und die Geschwister der lebende Beweis dafür, dass um Entwürfe für knuffige Teddybären genauso unbarmherzig gekämpft werden konnte wie um Schnittmuster, Rezepte oder Baupläne. Die Industriespionage blühte in dieser Branche ebenso prächtig wie in jeder anderen. Das Business hatte absolut nichts Spielerisches an sich und nicht nur im Umfeld von Drogen, Waffen oder Prostitution konnte man mit einem Motorblock an den Füßen im Hafenbecken enden. Wie alle in dieser Branche jagten auch die Zwillinge nach dem Heiligen Gral: Ein Spielzeug, das jedes Kind zwischen drei und siebzehn begeistern konnte. Es war so begehrt wie das Zwei-Liter-Auto oder ein wirksames Krebsmedikament. Wer es zuerst fand, hatte für immer ausgesorgt.

Bevor sich die Geschwister der Spielzeugbranche zuwendeten, hatten sie Sexpuppen berühmter Musikerinnen und Schauspielerinnen in anatomisch korrekter Ausführung hergestellt und im Darknet vertrieben. Für die Dauer eines englischen Sommers florierte das Geschäft prächtig und machte die Geschwister zu Millionären. Bis der bis dahin größte Zivilprozess über Persönlichkeitsrechte, der sehr einem Monty-Python-Sketch ähnelte, wie ein Tsunami über das blutjunge Unternehmen hinwegspülte. Die meisten hätten sich davon nie wieder erholt. Aber Valerija und Goran eröffneten stattdessen ihre erste Spielzeugfirma, kauften billige Lizenzen auf und begannen schnell zu wachsen. Sie spannten schon sehr früh Blogger für ihre Geschäfte ein, als diese noch nicht wussten, dass man auch geschenkte Produkte schlecht bewerten durfte.

Olek-BroSis war zwar zu klein, um von LupoTek als Bedrohung eingestuft zu werden, doch der Konzern behielt andere Firmen im Auge. So handhabten das die Profis. Und als Hüskers zum ersten Mal auf den Namen Olek stieß, forderte er das Dossier über die Zwillinge an und stellte überrascht fest, welchen Umfang dieses bereits angenommen hatte.

Patrick riss den USB-Stick aus seinem Laptop und hielt ihn in die Höhe. Hüskers steckte den Datenträger in die Tasche und machte sich auf den Rückweg zum Konferenz­raum. Von seiner Position aus konnte Patrick beobachten, wie Hüskers den Raum betrat, gleichzeitig den Innenhof überblicken, wo Lehmann gerade seine Zigarette ausdrückte und sich von Emilia verabschiedete, und den Westflur einsehen, auf dem sich die Oleks mit ihren Leibwächtern näherten. „Mach, dass du da rauskommst, Mann!“

Hüskers verließ den Konferenzraum im selben Moment, als Lehmann durch die gegenüberliegende Tür hereintrat. Leise schloss er die Tür hinter sich und spazierte davon.

Lehmann ging um den Schreibtisch herum und schüttete sich mehrere Tic Tac in den Mund, die er sofort zerkaute. Es klopfte und die Oleks traten ein, ohne seine Aufforderung abzuwarten. Sofort knipste Lehmann sein Verkäuferlächeln an. Er plapperte vor Aufregung viel überflüssiges Zeugs, was die Oleks schnell genervt wirken ließ. Goran zog den Stick aus Lehmanns Laptop, während seine Schwester eine Tasche auf den Tisch stellte und einen eigenen Laptop herausholte.

„Sie werden sehen, ich habe nicht zu viel versprochen“, versicherte Lehmann nervöser, als er angesichts dieser Worte sein sollte. Keiner der Zwillinge ging darauf ein.

Das Logo von LupoTek prangte auf der ersten Seite der Präsentation, dann die üblichen Warnhinweise, die empfindliche Strafen bei unberechtigter Weitergabe androhten. Die Produktlinie SpyPet™ sollte Eltern mit einem Sinn für Ironie ansprechen. Kinder wären davon wohl nicht sehr begeistert gewesen. Doch Lehmanns zuversichtliches Grinsen schwand, sobald die ersten Bilder auftauchten, die statt der Informationen über ein brandneues Projekt in der Entwicklungsphase das älteste und erfolgreichste Produkt von LupoTek zeigten. Das unter anderem auch der meistkopierte westliche Artikel auf dem chinesischen Markt war, eine zugegebenermaßen höchst zweifelhafte Auszeichnung.

„Soll das ein Scherz sein?“, fragte Valerija Olek kein bisschen amüsiert. Lehmann versuchte, eine einleuchtende Erklärung zu finden, auf die er selbst gespannt war.

Valerija schloss ihren Laptop wieder und warf Lehmann den nutzlosen USB-Stick zu. Der machte sich nicht mehr die Mühe, den Datenträger zu fangen, für den er seine Karriere geopfert hatte, sondern stürmte aus dem Raum, bevor die Leibwächter ihn ergreifen konnten. Zu seinem Glück warteten sie den Einsatzbefehl der Zwillinge ab, was ihm einen geringen Vorsprung verschaffte, bevor die Männer ausschwärmten. Ihr Tätigkeitsfeld beschränkte sich offenbar nicht auf den Schutz ihrer Arbeitgeber.

„Du kannst zusammenpacken“, sagte Hüskers über Funk und Patrick bestätigte. Ab jetzt würden sie nur nach geglückter Flucht wieder zusammentreffen. Emilia führte Hüskers auf einem Umweg zurück in die Lobby und an der Herrentoilette vorbei, aus der die gequälten Laute des kinnbärtigen Cocktaildiebes drangen. Dort endete ihr Weg abrupt.

Mit erhitztem Gesicht und zerzausten Haaren versperrte Lehmann ihnen inmitten der Lobby den Weg. Seine Brust hob und senkte sich schnell nach der ungewohnten Anstrengung einer Flucht. Doch die zitternden Fäuste rührten nicht von der körperlichen Betätigung, sondern von der kaum noch zu bändigen Wut. Selbst ein Mann von beschränkter Intelligenz hätte die zweimalige Begegnung mit Emilia für keinen Zufall gehalten. Zumal ihr erschrockenes Gesicht bei seinem Anblick als Geständnis gelten konnte.

Hüskers vermied in der Regel solche Konfrontationen und saß meist schon im Flugzeug, wenn seine Opfer bemerkten, was geschehen war. Er schob Emilia hinter sich. Sie presste sich fest an ihn und er spürte deutlich ihre Brüste in seinem Rücken. Trotz der Situation, in der sie sich befanden, konzentrierte sich Hüskers für einen Moment ganz auf diese Empfindung. Seine Gelassenheit rührte von etwas, das weder Lehmann noch Emilia sehen konnten. Er zwinkerte Lehmann zu. Der blinzelte überrascht und wurde im nächsten Moment aus zwei Richtungen von den Leibwächtern der Oleks getaggelt. Hart landete die Männergruppe auf dem Boden der Lobby. Die Schmerzen, verursacht von drei geprellten Rippen und einem verschobenen Rücken­wirbel, nahmen Lehmann den Atem zum Schreien, als die Leibwächter ihn unter den Armen packten und davonschleiften. Selbst wenn er noch in der Lage gewesen wäre, auf den Mann zu zeigen, der sie alle hereingelegt hatte, war dieser bereits verschwunden, bevor Lehmann den ­Hotelboden berührte.

Hüskers empfand beinahe Mitleid mit dem abtrünnigen Mitarbeiter. Lehmann war in ausnahmslos jedes Fettnäpfchen getappt, und zwar mit solcher Konsequenz, dass man ihm Vorsatz unterstellen wollte. Die Oleks würden ihren Frust über den geplatzten Coup an ihm auslassen. Umso mehr, sobald sie entdeckten, dass Lehmann ihnen mit dem USB-Stick nicht nur nutzloses Material gezeigt hatte, sondern auch noch einen besonders lästigen und schwer zu entdeckenden Virus auf ihren Laptop übertragen hatte.

Hüskers und Emilia waren inzwischen auf der Strandpromenade vor dem Hotel angelangt. Zum Abschied zog er den Umschlag mit ihrer Bezahlung aus seinem Jackett. Hüskers sorgte stets dafür, dass seine Mitarbeiter aus der Schusslinie blieben, und in seiner ursprünglichen Planung hatte Emilia keine so exponierte Rolle gespielt. Deshalb zahlte er ihr eine Abfindung, mit der sie für mehrere Monate Urlaub machen konnte. Sie schüttelten sich die Hand und dann trennten sich ihre Wege.

Schon bald dürfte den Zwillingen klar werden, dass es nicht Lehmann gewesen war, der sie aufs Kreuz gelegt hatte. Hüskers ging davon aus, dass sie die Botschaft verstehen würden: Niemand legt sich ungestraft mit LupoTek an.

Istanbul

Drei Wochen später lauschte Hüskers den Geräuschen im Hotelzimmer nebenan. Sein Einsatz auf der ­Toyzeria, der wichtigsten Spielwarenmesse Eurasiens, war von langer Hand geplant. Er und sein Team überwachten das Vorstandsmitglied einer Tochterfirma von LupoTek seit zwei Tagen. Keiner der Schritte des Mannes blieb undokumentiert. Hüskers schaute auf den Monitor, der den Nachbarraum im Split-Screen-Verfahren aus vier verschiedenen Perspektiven zeigte. Seibold, ihr Lock­vogel, saß in einem Sessel und zappte durch die Kanäle, während er auf den entscheidenden Anruf wartete. Es war ein Routineauftrag. Eine weitere Episode im nie endenden Spiel zwischen den Sicherheitsabteilungen der Konzerne. Wenn die Konkurrenz irgendwo ein neues Gebäude errichtete, hatte LupoTek sofort Leute auf der Baustelle, um Wanzen mit einbetonieren zu lassen. Die Konkurrenz versuchte, sie daran zu hindern und gleichzeitig ihre eigenen Wanzen in den Neubauten von LupoTek anzubringen. Daraus ergaben sich langweilige und aufregende Missionen, wichtige und völlig belanglose Aufträge, bei denen es nicht selten um Millionen ging.

Hüskers drehte sich zu seinen beiden Mitarbeitern um. „Wir sollten die Sache etwas beschleunigen.“

In diesem Moment erhielt er auf seinem Handy eine Benachrichtigung, dass es neue Aktivitäten auf seinem Rollenspiel-Account gab. Hüskers nutzte diesen Kommunikations­weg, damit seine Mitarbeiter Kontakt zu ihm aufnehmen konnten. Sie besaßen seine Zugangsdaten und konnten so Nachrichten für ihn im Entwürfe-Ordner hinterlassen. Solange diese nicht abgeschickt wurden, war auch niemand in der Lage, sie abzufangen.

Patrick hatte ihm eine codierte Nachricht hinterlassen, die eine Telefonnummer enthielt. Hüskers rief sofort an. „Was ist passiert?“, fragte er, als Patrick sich meldete.

„Lehmann ist tot. Man hat seine Leiche auf Malta gefunden, sie sah wohl nicht gut aus.“

Der Einsatz auf Malta lag nur drei Wochen zurück, aber für Hüskers fühlte sich das bereits wie ferne Vergangenheit an. Die Oleks dürften inzwischen herausbekommen haben, wem sie die verpatzte Übergabe zu verdanken hatten. Er überlegte, ob er sich Vorwürfe machen sollte, weil er Lehmann seinem Schicksal überlassen hatte, entschied sich aber dagegen. Bei seinen Missionen bestand immer die Gefahr, mit jedem gelösten Problem sofort ein neues zu erschaffen, denn immer blieben am Ende zwei Parteien. Eine, deren Problem er gelöst hatte, und die andere, die das Problem verursacht hatte, infolgedessen eine Schlappe einstecken musste und fortan, bis ans Ende aller Zeit auf Rache sann.

„Nur eine Leiche?“

„Keine Spur von Emilia, falls du das meinst“, sagte ­Patrick und Hüskers verspürte Erleichterung. Offenbar hatte sie seinen Rat befolgt, mit ihrer Entlohnung unterzutauchen.

„Mir ist außerdem eine ganze Reihe von Suchanfragen aufgefallen, die LupoTek betreffen“, fuhr Patrick fort.

„Weißt du, von wem und über was?“

„Keine Ahnung wer, aber das was kenne ich.“

„Worum geht es?“

„Weißt du, wo sich der Vorstand von LupoTek aufhält?“

„Natürlich nicht“, sagte Hüskers. „Niemand weiß das. Sie leben sehr zurückgezogen an unbekannten Orten.“

„Tja, jemand gibt sich momentan große Mühe, ihren Aufenthaltsort herauszufinden. Da meint es jemand ernst.“

„Du glaubst, olek-BroSis steckt dahinter?“

„Es sei denn, du bist in letzter Zeit noch jemandem so kräftig auf die Zehen getreten.“

Hüskers schwieg einen Moment, dann sagte er: „Ich habe schon damit gerechnet, dass uns diese Geschichte noch einmal beschäftigen wird. Als ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt wurde, hat mir das zu denken gegeben.“

„Ein Kopfgeld? Wie hast du davon erfahren?“

„In meinem Hotel sind Leute aufgetaucht, die es sich verdienen wollten.“

Patrick schwieg einen Moment. Als er weitersprach, klang seine Stimme leise und ernst. „Muss ich beun­ruhigt sein?“

Jeder kannte den Ruf der olek-BroSis, bei geschäftlichen Niederlagen besonders nachtragend zu sein. Hüskers hatte den Zwillingen nicht nur geschäftlich geschadet, sondern sie durch den Virus auf ihrem Laptop auch gedemütigt. Dass er im Grunde eine kriminelle Handlung vereitelt hatte, spielte für sie sicher keine so große Rolle.

„Sie sind nur hinter mir her. Lehmann kannte nur mein Gesicht.“ Und das von Emilia, ergänzte er in Gedanken. „Von deiner Beteiligung wissen sie wahrscheinlich nicht einmal.“

„Netter Versuch, mich zu beruhigen, aber wenn die Zwillinge ihrem Ruf auch nur ansatzweise gerecht werden, dann besitzen sie längst die gesamten Überwachungs­aufnahmen des Hotels von diesem Tag.“

„Halt dich einfach bedeckt“, riet Hüskers, aber er wusste, dass Patrick mit seiner Vermutung richtig lag.

Goran und Valerija Olek waren beileibe keine Unschuldsengel, aber im Konkurrenzkampf mit ihnen hatte sich auch LupoTek bisher nicht mit Ruhm bekleckert. Bevor olek-BroSis eigene Fachgeschäfte betreiben konnte, war die Firma darauf angewiesen gewesen, in das Sortiment bestehender Läden aufgenommen zu werden. LupoTek hatte sanften Druck auf einige Vertriebspartner ausgeübt, damit die Produkte der Tschechen nicht in ihren Läden anboten wurden. Viele Firmen blieben durch solche Methoden auf der Strecke, aber olek-BroSis konnte sich halten. Goran und Valerija Olek hatten sich auf ihrem Weg viele Feinde in der Branche geschaffen, aber ihr Selbstbewusstsein war über die Jahre so ungebremst gewachsen, dass sie auch nicht davor zurückschreckten, sich mit einem Giganten wie LupoTek anzulegen. Und der Konkurrenzkampf drohte inzwischen die Züge einer familiären Blutfehde anzunehmen. Es war eindeutig persönlich geworden, obwohl aufseiten von LupoTek keine konkreten Personen standen. Der Weltkonzern wahrte nach außen hin seine Anonymität. Erst auf Malta hatte LupoTek für die Oleks endlich ein Gesicht bekommen. Und zwar das von Hüskers.

Plötzlich schrie Patrick am anderen Ende der Leitung auf und riss Hüskers aus seinen Gedanken. Er hörte ein Poltern und ein heftiges Klatschen auf nackter Haut.

„Hüskers …“

„Was …?“

„Sie sind hier bei mir“, unterbrach Patrick ihn mit erstickter Stimme.

„Was?“

„Sie sind bei mir im Apartment. Keine Ahnung, wie sie mich gefunden haben.“

„Wer ist bei dir?“, fragte Hüskers aufgeregt.

„Zwei Männer. Ich … Sie geben mir Zeichen, dass ich auflegen soll.“

„Gib sie mir, ich will mit ihnen reden … Hallo?“

Hüskers sah auf das Display. Die Verbindung war unterbrochen. Als er aufblickte, waren alle Augen im Hotel­zimmer auf ihn gerichtet. Hüskers ließ sich nie zu emotionalen Kurzschlussreaktionen hinreißen. Egal, was geschah. Sein Gehirn schien einen Puffer zu besitzen, der es ihm erlaubte, alle Ereignisse zunächst einmal rational zu betrachten und zu bewerten, bevor seine Gefühle dazugeschaltet wurden. Deshalb hatte er auch den Ruf, ein eiskalter Hund zu sein. Also, je nach Interpretation, entweder lässig und kontrolliert oder abgestumpft und gefühlskalt.

Sein Handy vibrierte.

„Guten Abend, Hüskers“, sagte eine Frauenstimme. „Wir wollen die Pläne.“

Das war Valerija Olek, er erkannte ihre Stimme aus diversen Interviews. „Wann und wo?“

„Du fragst gar nicht, wie es deinem Freund geht?“

„Ich gehe davon aus, dass Sie sich professionell verhalten und Ihr Druckmittel gut behandeln.“

Er konnte förmlich hören, wie sie darüber lächeln musste. „Dann höre ich wohl auch keine Drohungen für den Fall, dass ihm etwas zustoßen sollte?“ Valerija klang ein wenig enttäuscht. „Das überlasse ich Ihrer Fantasie. Denken Sie sich selbst ein paar Drohungen aus, die fallen sicher wesentlich ­bedrohlicher aus als meine. Wie soll die Übergabe ­ablaufen?“

„Wir melden uns.“

„Schon klar, ich soll mich nicht auf den Ort vorbereiten können. Verraten Sie mir wenigstens, wann sie stattfinden soll.“ „Wieso, hast du denn noch etwas Wichtigeres vor?“, fragte Valerija Olek. Sie unterbrach die Verbindung, ohne die Antwort abzuwarten.

Hüskers nahm über Skype Kontakt zu seinem Vorgesetzten in Frankfurt auf, dem Abteilungsleiter der Problem­löser. Während seines Berichtes blickte er in das Gesicht des unscheinbaren Mannes, der sein dünnes Haar mit Gel zurückkämmte und dessen faltiges Gesicht erschlafft wirkte. Wie immer zeigte es einen Ausdruck von erschöpfter Geduld.

Hüskers wusste im Voraus, wie sinnlos seine Bitte war. Auf keinen Fall gab man Firmeninterna heraus. Noch dazu für jemanden, der nicht einmal ein offizieller ­Mitarbeiter von LupoTek war.

„Haben Sie sich die Daten angesehen, die Lehmann gestohlen hatte?“, fragte ihn sein Vorgesetzter.

Hüskers schüttelte den Kopf. „Dazu bestand keine Notwendigkeit.“ Das war natürlich eine Lüge, aber es war nicht immer von Vorteil, zu viel Wissen zu besitzen und dies auch noch zuzugeben.

„Ausgezeichnet“, sagte sein Vorgesetzter, obwohl er davon ausging, dass Hüskers log. „Tun wir mal so, als seien Sie ein braver Junge und hätten sich die Daten tatsächlich nicht angesehen. Es handelt sich um ein Projekt, an dem man in Darmstadt schon seit Jahren arbeitet. Sie nennen es SpyPet™. Gedacht zur unauffälligen Überwachung des Nachwuchses.“

„Petzende Kuscheltiere“, fasste Hüskers das Konzept zusammen.

„Ja, aber nicht nur für Kleinkinder nutzbar. Die Technologie lässt sich in jedem Spielzeug verwenden. Entscheidend ist in diesem Fall allerdings ein Nebenprodukt, das für unsere Abteilung abgefallen ist.“

Sein Vorgesetzter rief das dreidimensionale Modell einer Maus auf den geteilten Bildschirm. „Zur Infil­tration von Büros und Privathäusern. Je nach Anforderungen kann SpyPet™ auch Beine ausfahren und sich in eine Spinne verwandeln, um Wände und Schreibtische zu erklimmen. Als Erweiterung ist eine fliegende Version geplant, doch momentan ist es noch nicht möglich, Flügel zu integrieren, ohne die Größe zu verdoppeln. Das Hinter­teil der ersten Version enthielt einen USB-Anschluss, durch den man es an PCs und Laptops anschließen konnte, um Daten herunterzuladen oder Viren zu installieren. Inzwischen arbeitet die Maus mit Bluetooth.“

„Was ist, wenn sie der Hauskatze begegnet?“

„Unser kleiner Freund ist in der Lage, einen leichten Stromstoß aussenden, damit jede Katze das Interesse verliert.“

„Ein nettes Gadget, aber warum sind die Oleks so versessen darauf? Wollen sie vielleicht ein Spionagenetz aus Nagern aufbauen?“

„Für das Folgende habe ich keine Bestätigung“, sagte der Vorgesetzte. „Angeblich haben unsere Bastler zuletzt an einer Version von SpyPet™ gearbeitet, die in der Lage ist, einen minimalen, lokal begrenzten Elektromagnetischen Impuls auszusenden. Der EMP soll gerade ausreichend sein, um einzelne Festplatten oder ganze Geräte außer Gefecht zu setzen.“

Hüskers stieß eine blasphemische Verwünschung aus.

Sein Vorgesetzter nickte zustimmend. „Ich befürchte, die Oleks könnten nur an dieser einen Funktion des Produktes interessiert sein. Eine vernichtende Waffe im Miniaturformat. Deshalb dürfen sie die Pläne auf keinen Fall bekommen.“

Der Vorstand würde entscheiden, nichts in dieser Angelegenheit zu unternehmen, und den Abteilungsleiter anweisen, seinen Schützling unter Kontrolle zu halten. Doch zwischen Hüskers und ihm herrschte nicht unbedingt ein klassisches ­Angestelltenverhältnis. Unter den zahlreichen Worst-Case-Szenarien, mit denen der ­Abteilungsleiter täglich rechnen musste, stand ­Hüskers’ Kündigung ziemlich weit oben. Wenn sein Star-­Problemlöser den Job hinschmiss, würde er ein Dutzend ­hochattraktiver Jobangebote bekommen, bevor er den Fahrstuhl erreichte.

Hüskers sah, wie sein Vorgesetzter sich dichter zu seinem Monitor beugte.

„Ich gebe Ihnen folgende Anweisung: Sie tun überhaupt nichts. Haben wir uns verstanden?“ Sein Chef hatte ausreichend Schärfe in die Stimme gelegt. Skype-­Gespräche wurden zwar nicht aufgezeichnet, aber alles Gesagte automatisch transkribiert und als Protokoll gespeichert. Anschließend bewegte er lautlos den Mund weiter, damit Hüskers von seinen Lippen lesen konnte: Klopfen Sie diesem Pack gehörig auf die Finger. Die sollen in Zukunft zusammenzucken, wenn sie nur unseren Namen hören!

Lissabon

Das Schlauchboot sauste über das östliche Mittelmeer, die aufgehende Sonne im Rücken. Darin ausgestreckt lag Hüskers und hatte die Hände bequem hinter seinem Kopf verschränkt. Er erholte sich durch Power-Napping, bis der Außenbordmotor zu stottern begann. Immer öfter, bis er völlig erstarb. Die Treibstoffmenge war exakt bis zum Treffpunkt berechnet. Hüskers richtete sich im Boot auf. Der Wecker seiner Armbanduhr piepte. Zügig packte er seine Sachen zusammen, hängte die Tasche um und stellte sich auf.

Ein mattschwarzer Zylinder stieß durch die Wasseroberfläche, gefolgt vom Rest des U-Bootes, mit dem er hier verabredet war. Hüskers fing die zugeworfene Leine auf und ließ sich zu dem Metallkoloss ziehen. Er kletterte über die Stufen an der Seite hinauf. Dort zündete er eine Leuchtkapsel, ließ sie in das Schlauchboot fallen und beseitigte damit alle Spuren.

„Herr Hüskers, willkommen an Bord“, begrüßte ihn der Kommandant.

„Es ist mir eine Freude, Kapitän Hansen. Es ist lange her.“

Der Kommandant führte ihn auf die Brücke und zeigte ihm auf der Karte die Strecke, die sie zurücklegen mussten. „In drei Stunden werden Sie am Ziel sein.“

Es gab sicher einfachere Arten des Reisens, aber ­Hüskers wollte nicht schon auf dem Weg nach ­Lissabon überwacht werden. Der Luftweg war zu stark kontrolliert, deshalb unternahm er die Reise unter Wasser an Bord eines norwegischen U-Bootes. Harald V. hatte ihm noch einen persönlichen Gefallen geschuldet und war hocherfreut gewesen, sich endlich revanchieren zu können.

Dreieinhalb Stunden später befanden sie sich vor der Westküste Portugals und Hüskers hatte unter Deck eine Taucherausrüstung angelegt. Der Kommandant verabschiedete sich von ihm, nachdem sie die letzten Stunden mit einigen Schachpartien zugebracht hatten.

„Es hat mich wie immer gefreut“, sagte der Offizier und reichte ihm die Hand.

„Ganz meinerseits und vielen Dank für die Mitfahr­gelegenheit“, erwiderte Hüskers.

Fünfzehn Minuten später verließ er das U-Boot durch eines der Torpedorohre und startete einen kleinen Unterwassergleiter, der ihn zur Küste zog.

Hüskers trat zwischen den beiden Säulen hindurch an Land und stieg die flachen Stufen nach oben. Er ließ die Taucherausrüstung direkt vor Ort zurück, schälte sich aus dem Neoprenanzug und streifte die Zivilkleidung über, die er in einem wasserdichten Beutel mitgeführt hatte. Über der beigen Cargo-Hose trug er ein flammendrotes Hemd, als wolle er sichergehen, dass ihn niemand übersah. Dazu einen gelben Hut, der ebenfalls nicht gerade unauffällig war. Er überquerte die Straße und trat auf den Praça do Comércio, der um diese Tageszeit noch recht leer war. Hüskers überquerte den großen Platz, spazierte an der Reiterstatue von König José I. vorbei und durch den Triumphbogen am Nordende. Die langgezogene Fußgängerzone füllte sich langsam. Überall alte Männer, wie es sie im ganzen Mittelmeerraum gab: Sonnen­gegerbte Burschen, die beinahe unbeweglich auf Mauern und Bänken saßen und missbilligend die fotografierenden Touristen betrachteten.

Hüskers kaufte eine Sonnenbrille, die den größten Teil seines Gesichtes verbarg. Er fiel zwischen den Touristen nicht auf. Ein harmloser Mann, der eine der schönsten Hauptstädte Europas besichtigte. Sein Handy meldete eine eingegangene SMS und er las die Nachricht, in der ihm der Treffpunkt mitgeteilt wurde.

Ein unabhängiger Koordinator namens Orwell war engagiert worden, um das Treffen zu organisieren und dafür zu sorgen, dass sich keine Partei einen Vorteil verschaffte. Orwell legte den endgültigen Treffpunkt fest und trug die Verantwortung dafür, dass nirgendwo Heckenschützen lauerten. Nur in einer Stadt mit einer solchen Agentenvergangenheit konnte es einen solchen Berufszweig geben.

Lissabon war eine gute Wahl gewesen, auch wenn Hüskers keine Zeit bleiben würde, sich die zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Stadt anzusehen. Wie die riesige Christusstatue, die am gegenüberliegenden Ufer imposant über die Stadt wachte. Er beschränkte sich auf einen kleinen Rundgang und setzte sich anschließend in ein Straßencafé am Rand der Fußgängerzone, von wo aus er den Treffpunkt beobachten konnte. Mit einem kleinen Fernglas suchte er die Fenster der umliegenden Häuser ab. Er erwartete nicht, etwas zu entdecken, und von seinem Sitzplatz aus konnte er ohnehin nur eine Seite kontrollieren. Eine Touristengruppe setzte sich an den Nebentisch und nahm ihm die Sicht. Also bestellte er einen weiteren Espresso und sah auf seine Uhr. Noch einundzwanzig Minuten.

Die drei Frauen am Nebentisch brachen urplötzlich in gackerndes Gelächter aus, das nicht nur ihre beiden männlichen Begleiter, sondern auch Hüskers und den Kellner mit dem Espresso heftig zusammenzucken ließ. Sie entschuldigten sich überschwänglich und beschränkten sich auf unterdrücktes Kichern. Das eine Paar waren Deutsche, das andere Holländer und die dritte Frau hatte einen schweizerischen Akzent. Alle sprachen Englisch miteinander.

Noch dreizehn Minuten. Hüskers spürte eine steigende Anspannung, denn er konnte den Ausgang dieser Begegnung nicht vorhersagen. Er wusste nicht sehr viel über Patrick und entwickelte nur insoweit biografisches Interesse an seinen Mitarbeitern, wie es für seinen aktuellen Auftrag relevant war. Damit verhinderte er eine zu enge Bindung, speziell für Fälle wie diesen. Ein Muster­beispiel dafür, wie sehr sein Konzept versagte. Denn nichtsdestotrotz hatte er die Absicht, Patrick zu retten. Vielleicht nicht unbedingt um jeden Preis, aber er war durchaus bereit, eine Menge zu investieren.

Ein Mann mit Sonnenbrille und Sonnenbräune trat an den Nachbartisch und komplettierte das dritte Ehepaar. Langwierige Begrüßungsrituale reihum. Küsschen für die Damen, links-rechts-links; klatschender Handschlag mit angewinkeltem Arm und zupackendem Rütteln bei den Männern. Es dauerte etwas, bis alle wieder saßen.

Noch sechs Minuten. Hüskers bezahlte seine Getränke, verabschiedete sich mit einem Nicken von den Paaren und schlenderte die Straße weiter. Der kleine Platz auf der Kreuzung war von Touristen überfüllt, nur in der Mitte gab es einen einzelnen Tisch mit zwei freien Plätzen.

Hüskers und Goran Olek näherten sich gleichzeitig aus entgegengesetzten Richtungen. Sie erreichten den Tisch zur selben Zeit, nahmen Platz und sahen sich dann erst an. Goran hatte seine dürren Storchenbeine ­übereinander­geschlagen und lüpfte den dünnen Stoff der weißen Hose. Er war auf die Temperaturen bestens eingestellt und auf seiner Stirn war kein einziger Schweißtropfen zu sehen. Er strich sich sein helles Haar zurück und betrachtete Hüskers aus einer entspannten, zurückgelehnten Position.

„Wie viele Scharfschützen haben mich im Visier?“, fragte Goran.

„Ich bin gemäß unserer Vereinbarung völlig allein gekommen. Ich vermute, das können Sie nicht von sich behaupten.“

„Nur zu meinem Schutz.“

Er wusste, dass Goran überall in der Innenstadt seine Leute verteilt hatte, auch wenn dies gegen die Regeln von Orwell verstieß. Wenn man die Dienste eines Koordinators in Anspruch nahm, akzeptierte man damit auch dessen Geschäftsbedingungen. Und die sahen an oberster Stelle vor, dass niemand versuchte, die andere Partei zu ermorden. Gorans Missachtung dieser Regel würde Orwell gegen ihn einnehmen, was Hüskers nur zum Vorteil gereichen konnte.

Hüskers winkte dem Kellner und rief ihm eine Bestellung zu. Kurz darauf trug dieser zwei Gläser zu ihnen herüber. Hüskers ließ Goran das Glas auswählen, dann nahm er das andere und leerte es zur Hälfte. Goran betrachtete die bernsteinfarbene Flüssigkeit durch das geriffelte Glas und nahm einen großen Schluck. Er verzog das Gesicht.

„Du meine Güte, was ist das?“

„Eistee“, sagte Hüskers.

Goran winkte den Kellner hektisch zu sich, als handele es sich um einen medizinischen Notfall, und bestellte einen Martini. Gerührt, nicht geschüttelt.

„Hattest du eine gute Anreise?“, erkundigte sich Goran, während er auf sein Getränk wartete. „Ich wüsste gern, wie du in die Stadt gekommen bist, denn laut meinen Quellen macht es den Eindruck, als seist du einfach vom Himmel gefallen.“

„So ähnlich.“

„Du lässt dir nicht in die Karten schauen, was?“

Hüskers zuckte mit den Schultern. Damit hatte der Kerl nicht unrecht. Hüskers war nicht besonders geduldig gegenüber oberflächlichem Geschwätz. Er hatte kein Problem damit, zu betteln oder jemandem in den Hintern zu kriechen, wenn es ihm half, sein Ziel zu erreichen. Was er allerdings hasste, war Zeitverschwendung. Und mit einer solchen, in ihrer reinsten Form, hatte er es gerade zu tun.

„Du wirkst angespannt “, sagte Goran, nachdem der Kellner den Martini serviert hatte und wieder gegangen war.

„Kommen wir zum Geschäft. Ich möchte meinen Mitarbeiter zurück. Wie regeln wir das? Wollen Sie Geld?“

„Pah, das kann ich von jedem bekommen. Du weißt, was wir wünschen.“

„Nichts zu machen. LupoTek hat mit dieser Angelegenheit nichts zu tun, es ist eine private Transaktion zwischen uns beiden.“

„Ich dachte, wir wären uns einig?“, sagte Goran enttäuscht. „Warum bist du sonst zu diesem Treffen ­erschienen?“

„Sie scheinen mir einen persönlichen Groll gegen LupoTek zu hegen.“

Goran schnaubte. „Seit wir in diesem Geschäft sind, hat dein Konzern versucht, uns in den Ruin zu treiben, und mehr als einmal ist es ihm fast gelungen. Es erscheint mir schlecht möglich, unter diesen Umständen keinen Groll zu hegen.“

„Also, was verlangen Sie? Die Baupläne stehen allerdings nicht zur Verhandlung.“

„Kannst du denn im Namen von LupoTek verhandeln?“, fragte Goran und nippte an dem Martini.

„Darfst du denn ohne deine Schwester verhandeln?“, erwiderte Hüskers und wechselte ebenfalls zu einer vertraulichen Anrede.

Goran verzog kurz das Gesicht wegen der Retour­kutsche, dann beugte er sich vor und sah Hüskers bedrohlich an. „Heutzutage ist niemand mehr sicher, auch nicht ein internationaler Großkonzern. Too big to fail gilt in unserer Branche nicht. Eine unvorhergesehene Marktentwicklung, eine Fehlkalkulation und schon kann eine Firma in den Ruin getrieben werden. Und davon sind nicht nur kleine und mittlere Firmen betroffen, sondern auch Global Player. Marktriesen wie Lego oder Nintendo haben es überlebt, aber viele andere sind in ähnlichen Fällen auf der Strecke geblieben. Ein Konflikt wie unserer könnte selbst einem Konzern wie LupoTek schaden. Und wenn nicht der Marke selbst, dann doch zumindest dem Image, was letztlich auf dasselbe hinausläuft.“

Goran bewegte sich unruhig auf seinem Sitz herum. Seinen Gesichtsausdruck mochte er unter Kontrolle haben, aber wie viele andere vergaß er darüber den Rest seines Körpers. Wie ein Pokerspieler mit versteinerter Miene, der sich durch freudig wippende Füße verriet. Aber er hatte recht. Viele Menschen in der Branche hatten den Fehler begangen, die Oleks zu unterschätzen. Die wenigsten von ihnen waren heute noch im Geschäft.

„Unsere Firmen führen einen asymmetrischen Krieg“, fuhr Goran fort. „Also einen Konflikt zwischen zwei sehr unterschiedlichen Parteien.“

„Unterschiedlich in Bezug auf was?“, fragte Hüskers.

„Stärke, Ressourcen, Erfahrung … was du willst. Die Überlegenheit der einen Partei ist so groß, dass die andere in einem offenen Kampf niemals gewinnen kann. Die unterlegene Partei agiert deshalb aus dem Untergrund und verlegt sich auf gezielte Nadelstiche und eine Zermürbungstaktik.“

Hüskers hob eine Augenbraue. „Du bist also ein Guerilla­krieger?“

Goran strahlte ihn an. Mit seinem breitmäuligen Grinsen und dem leicht irren Blick wirkte er fast sympathisch. Er war berauscht von seiner eigenen Grandiosität und ließ sich darin auch nicht von Nebensächlichkeiten wie der Realität beirren. Psychopathen waren oft Meister der Manipulation, besaßen aber einen Hang zur Selbstüberschätzung. Goran schien nur mit einem von beidem gesegnet zu sein. Außerdem fehlte es ihm leider am nötigen Charisma, um andere von seiner Selbsteinschätzung zu überzeugen. Aber die verwendete Kriegsterminologie offenbarte viel Wahres über ihre tatsächliche Situation.

„Was erwartet ihr von uns?“, fragte Hüskers.

„Als Erstes hört LupoTek auf, unsere Geschäfte zu behindern.“

„Um dem zuzustimmen, müsste ich bestätigen, dass dies tatsächlich der Fall ist. Aber wenn es so wäre, hielte ich diese Forderung für erfüllbar.“

„Ich frage nochmal, kannst du solche Zusagen überhaupt machen?“

„Wenn ich weiß, was deine Schwester und du verlangen, kann ich zumindest nachfragen.“

„Gut. Keine Filialen in Städten, in denen wir Geschäfte haben. Angefangen mit Frankfurt. Euer Neubau dort muss wieder verschwinden.“

Hüskers seufzte. „Du weißt genau, dass diese Forderung nicht zu erfüllen ist.“

„Tja“, sagte Goran bedauernd.

„Ich habe den Eindruck, du bist an einer Einigung überhaupt nicht interessiert. Ist das auch die Haltung deiner Schwester?“

„Ich würde sagen, meine Schwester und ich hassen LupoTek abgrundtief und mit jeder Faser unserer Herzen. Wenn LupoTek eine einzelne Person wäre, würde ich meine Hände um ihre Kehle legen und solange zudrücken, bis sie aufhört zu strampeln.“