Oben ohne - Wenyue Ding - E-Book

Oben ohne E-Book

Wenyue Ding

0,0

Beschreibung

Elf Menschen präsentieren hier ihre wahren Geschichten die berühren, inspirieren und Mut machen wollen einen Weg in eine kleine und persönliche glückliche Arbeitswelt zu finden. Obwohl sich diese unterhaltsamen Geschichten in unterschiedlichen Berufen abspielen und verschiedene Aspekte der Arbeitswelt widerspiegeln, kann man dennoch Gemeinsamkeiten erkennen: Die Autoren erkannten ihre wahren Talente, blieben sich treu und suchten unermüdlich, bis sie ihre individuelle Arbeitswelt gefunden hatten. Sie übernahmen die Verantwortung, statt diese an Eltern, Chefs, der Regierung oder ganz allgemein "die da oben" zu übertragen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 90

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



OBEN OHNE

 

 

Impressum:

Cover: Karsten Sturm, Chichili Agency

Foto: fotolia.de

© 110th / Chichili Agency 2014

EPUB ISBN 978-3-95865-506-5

MOBI ISBN 978-3-95865-507-2

 

 

Urheberrechtshinweis:

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors oder der beteiligten Agentur „Chichili Agency“ reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

„Dr. Jekyll & Mrs. Hyde“

Katja Wörl

Die beiden Sätze „Frau Wörl bitte zum Diktat“ und „Mama, du musst meine Jeans waschen“ unterscheidet eigentlich nur der Wortlaut, beides aber sind Aufgaben, die mir gestellt werden. Unterschiedliche Tatorte und unterschiedliche Personenkonstellationen. Aber von Anfang an:

1996 war ich außer Mutter von vier Kindern - eines davon zu 100% behindert - NICHTS. Zumindest kam ich mir so vor; ich hatte nur hauswirtschaftliche Aufgaben, mutierte zwar zum Multitalent zwischen Fläschchen, Windeln, Frühförderung und Hausaufgaben, aber fragte mich am Abend zwischen meiner Bügelwäsche immer: „War es das?“

Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich, ich musste handeln und zwar sofort. Am Wochenende war die Tageszeitung zu studieren wichtiger, als Gemüse zu schälen; wird eben Eingefrorenes gekocht. Bewerbungen zu schreiben war für mich effektiver als die milchglasähnlichen Fenster zu putzen, ich war nahezu besessen, erst einmal einen „Teilzeitjob“ im kaufmännischen Bereich zu finden, ich entwickelte einen ungeahnten Eifer zu erreichen, was ich wollte. Ausgebildet war ich allerdings als Zahnarzthelferin.

Bewerbungen schreiben, nach mehr als 14 Jahren Aschenputteldasein, war auch für mich nicht einfach, die Zeiten hatten sich geändert, das konnte ich an den Stellenangeboten erkennen. Bücher wälzen, Bewerbungsvorschläge durchforsten und dann für das nach stundenlanger Recherche entdeckte Teilzeitjobangebot als „Bürohilfe auf 630-DM-Basis“ eine Bewerbung in den richtigen Worten zu verfassen, erschien mir so schwer wie ein Semester als Jurastudent an der Uni. Aber eine halbe Nacht und zwei Kannen Kaffee später hatte ich es geschafft, ich war darauf so stolz wie auf eine Olympiaurkunde. Fertig. Kuvertiert, Briefmarke und den Hund geschnappt, der seit Stunden auf seinen Gassigang wartete, der Brief musste sofort zum Postkasten, auch jetzt um 4.50 Uhr in der Früh.

Jetzt hieß es warten! Dieses Warten dauerte mehr als drei Wochen. Dann kam endlich Post, zitternd legte ich den verschlossenen Brief auf den Küchentisch und starrte ihn an, als ob er mir seinen Inhalt verraten könnte. OK, aufmachen und aushalten.

„... freuen wir uns Ihnen mitteilen zu können, dass wir Sie zu einem Bewerbungsgespräch einladen möchten.“ Ich las diesen Satz sicher mehr als 100 Mal und konnte es doch nicht fassen. Der Termin war in der kommenden Woche genau an dem Tag, an dem meine kleine behinderte Tochter Frühförderung hatte, was nun? Zwischen „Ich muss mit meiner Tochter zur Frühförderung“ und „Ich muss zu diesem Bewerbungsgespräch“ hin- und hergerissen, wusste ich aber auch, ich musste eine Lösung finden. Es sei noch angemerkt, dass ich nach 14 Jahren gewollt alleinerziehend war und nicht den Vorteil hatte, den Partner als meine Vertretung zu verpflichten.

Es erschien mir allerdings egoistisch, den Frühförderungstermin abzusagen, meine Berufstätigkeit sollte niemals auf Kosten der Kinder gehen. Und so konnte ich den Termin für meine Tochter vorverlegen.

Nächstes Problem: Frauensache! Was zieht man zum Vorstellungstermin an? Leger, sportlich, elegant, was nur? Schließlich war die Entscheidung gefallen: von jedem etwas, fertig.

Der Bewerbungstag kam, meine Nachbarin nahm sich der Kinder an, ich hatte ihre ja auch des Öfteren, Kinder gesichert, das Abenteuer „Vorstellungsgespräch“ konnte beginnen. Schon zwei Stunden vor dem Termin fuhr ich los, für einen Fahrtweg von ca. 30 Minuten ziemlich früh, aber: Es konnte ja auch ein Unfall einen Stau verursachen und ich wäre mittendrin, oder mein Auto machte gerade jetzt den schon längst erwarteten letzten Schnaufer, sicher war sicher. Gestylt, zitternd, aufgeregt und mit einer scheinbar plötzlichen Blasenschwäche kam ich bei der Adresse an, die ich mir inklusive Routenplan ausgedruckt hatte. Eine Stunde zu früh!

So, nun Kopf in den Nacken und durch.

Die Dame am Empfang begrüßte mich freundlich und fragte mich nach meinem Anliegen, ich erklärte ihr, dass ich ein Vorstellungsgespräch bei Herrn Schröder (Name geändert) hatte.

„Das ist schön, nehmen Sie noch einen Augenblick Platz, Herr Schröder ist gleich für Sie da.“ Mit diesen Worten bot sie mir einen Platz in einer hocheleganten Sitzecke an.

Da saß ich nun, eine Mama von vier Kindern, die sich verwirklichen wollte, oder? Zweifel kamen hoch, mache ich hier nicht einen Fehler, steht es mir denn zu, Teilzeit zu arbeiten, obwohl ich Kinder habe? Habe ich nicht genug Arbeit? Schnell verwarf ich die Zweifel, Quatsch, die Kinder sind sicher aufgehoben, die Arbeit ist vormittags, da sind die Kinder in der Schule. Deinen Haushalt und deine Aufgaben müssen nur organisiert werden, dann klappt das auch, der Nebeneffekt, mehr Geld in der Haushaltskasse, kommt auch den Kindern zugute!

Der Satz „Guten Tag, Frau Wörl, schön, dass Sie hier sind.“ löste meine Zweifel in Luft auf. Ein Mann mittleren Alters stand im blauen Anzug mit hellblauem Polohemd vor mir und hielt mir seine Hand zum Gruß entgegen. Aus der Nappaledercouch hochschnellend hielt ich ihm auch meine Hand hin, allerdings die linke; mit der rechten Hand hielt ich noch immer meine Autoschlüssel umklammert. Peinlich!

Der Mann stellte sich als Herr Schröder vor und bat mich, ihm zu folgen, ich folgte. Sein Zimmer lag am Ende eines Flures mit ca. 500 Türen - so kam es mir jedenfalls vor - er hielt mir die Tür galant auf und schloss sie hinter mir. Vor einem rustikalen, sehr großen Schreibtisch bot er mir einen Platz an.

„Also, Frau Wörl, Sie haben sich für die Stelle als Bürokraft hier in meinem Unternehmen beworben - warum?“

Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich: „Weil diese Stelle etwas ist, das ich ganz alleine mache, ohne Kinder und Putzlappen.“ Oh Gott, was faselte ich denn da bloß?

Der Mann lachte. „Das ist aber sehr ehrlich, Frau Wörl.“ Das schien ihm zu gefallen, aber ich hätte mir am liebsten die Zunge abgebissen.

„Dass Sie trotz ihrer Kinder arbeiten wollen, imponiert mir sehr, darum habe ich Sie auch eingeladen. Die Qualifikationen, die ich erwarte, erfüllen Sie, und für mich spricht nichts dagegen, wenn wir eine Probewoche lang versuchen uns kennenzulernen. Das soll Ihnen auch die Möglichkeit geben zu sehen, ob Ihre Aufgaben als Mutter und Ihre Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren sind, was halten Sie davon?“

Mir stockte der Atem.

„Ja natürlich, ich habe alles schon organisiert“, log ich. „Ich würde mich freuen, wenn ich die Chance bekommen würde.“ Natürlich hatte ich gar nichts organisiert, ich kannte ja noch nicht einmal die Arbeitszeiten!

„Gut, wie können Sie denn arbeiten? Da es eine Teilzeitstelle ist, müssen Sie 20 Stunden in der Woche arbeiten; wie Sie es sich einteilen, überlasse ich Ihnen.“

„Mir sind die Vormittage sehr recht, denn da sind die Kinder in der Schule.“ Ich konnte es nicht fassen, hatte ich den Job nun?

„Na also, dann werden wir es versuchen, am Montag um 8.30 Uhr hier, ich freue mich.“ Damit hatte er mir zugesagt, und ich hatte eine Arbeitsstelle, wow!

Fast gleichzeitig standen wir auf, er reichte mir freundlich lächelnd die Hand und verabschiedete sich von mir.

Der lange Flur war plötzlich kurz, und von den 500 Türen waren auf jeder Seite nur noch drei übriggeblieben. Am Empfang verabschiedete ich mich noch von der netten Dame und verließ das Gebäude. Auf der Straße angekommen atmete ich tief ein, ich hatte das Gefühl, die letzten 30 Minuten nicht geatmet zu haben.

Schmetterlinge im Bauch, ich hatte einen Arbeitsplatz gefunden, nach 14 Jahren Haushalt und Kindererziehung. Nun kam das Meisterstück, die Organisation. Stundenplan ab sofort:

5.30 Uhr: aufstehen, duschen, Frühstück vorbereiten, Pausenbrote schmieren, den Hund Gassi führen, die Waschmaschine füttern.

6.30 Uhr: Kinder wecken, Stefanie 2x, Stefan 3x, Sebastian 2x, Susanne 1x (meine behinderte Tochter), waschen, anziehen, frühstücken, Stefanie aus dem Bad jagen, den Hund füttern, Schultaschenkontrolle, Handys abnehmen, Federmappen hinterhertragen, fertig.

7.30 Uhr: Susanne selbst zum Bus bringen, den Rest der Bande zum Schulbus schicken.

7.45 Uhr: Betten machen, Geschirr einräumen, lüften.

7.55 Uhr: Bad, fertig machen, anziehen, Autoschlüssel schnappen, raus.

8.25 Uhr: Büro.

Haut hin!!

Viele Monate vergingen, und die Organisation wurde immer weiter verfeinert, die Kinder hatten einige Aufgaben übernommen: Geschirrspüler, Wäschetrockner, den Hund Gassi führen, Abfall entsorgen.

Nach einem Jahr bat mich mein Chef zu sich, ich wunderte mich nicht, denn oft hatte er mir Aufgaben zur Erledigung aufgetragen, deshalb ging ich auch gleich zu ihm. Er bat mich Platz zu nehmen und sagte:

„Also, Frau Wörl, Sie haben sich sehr gut in unsere Firma eingearbeitet, die Mitarbeiter und auch ich sind sehr zufrieden mit Ihnen, daher habe ich ein Angebot für Sie!“ Knapp richtete er sich auf und sah mich direkt an. „Wir eröffnen in zwei Monaten eine neue Direktion in Regensburg, und ich möchte Sie dort als Sekretärin haben, allerdings in Vollzeit, wäre das für Sie möglich?“

War es für mich möglich? Wie würde ich das organisieren? Die Kinder, der Haushalt, der Beruf, auch ich hatte täglich nur 24 Stunden zur Verfügung!

„Kann ich das mit meinen Kindern durchsprechen, ehe ich Ihnen zu- oder absage?“, reagierte ich auf den Vorschlag.

„Aber natürlich, klären oder besprechen Sie das mit Ihren Kindern und entscheiden Sie erst dann“, gab er mir freundlich die Möglichkeit.

Zu Hause habe ich einen Krisenstab einberufen, Limo, Kekse und für mich einen großen Humpen Kaffee standen auf dem runden Krisen-Esstisch. Die Sitzungsmitglieder: meine vier Kinder und mich.

Die Kinder sahen mich gespannt an. In kurzen Sätzen erklärte ich ihnen, was für eine Möglichkeit ich bekommen hatte. Dazu kam, dass ich ein Firmenfahrzeug zur privaten Nutzung gestellt bekam (mein Auto schleppte sich nur noch über die Straßen). Ich würde ein sehr viel höheres Einkommen haben, wir könnten uns auch mal Extras leisten. Die Kinder nahmen es eigentlich sehr locker auf, das traf mich irgendwie, hatten sie mich doch dann einige Stunden weniger zur Verfügung, aber die Extras zogen mehr.

Fortan fuhr ich um 7.30 Uhr nach Erledigung meiner allmorgendlichen Aufgaben in Richtung Regensburg, etwa 125 km entfernt von meiner Familie. Auf halber Strecke von daheim schaltete ich innerlich um und war nur noch Sekretärin und Mitarbeiterin, und auf dem Rückweg war ich ab der Hälfte der Strecke wieder Mutter.

In der Firma habe ich mehr als zehn Jahre gearbeitet, zwei Leben gelebt, einmal in der Rolle der Mama und einmal in der Rolle meiner zuletzt bekleideten Position der Innendienst- und stellvertretenden Direktionsleiterin. Aus meinen Kindern sind mittlerweile sehr selbstständige Erwachsene geworden, auf die ich heute mehr als stolz und dankbar dafür bin, dass sie mich bei meiner Entfaltung unterstützt haben und mir die Möglichkeit gaben, rechtzeitig einen Platz in der Berufswelt zu sichern.

[email protected]

Glück auf Umwegen

Aimée Bastian