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Gegenstand der Dissertation ist die neue gesetzliche Grundlage zu Observationen in der Sozialversicherung. Nach einer Übersicht über die Grundlagen und die Entwicklung der Überwachungstätigkeit in der Schweiz folgt eine systematische Analyse der Observationsbestimmungen im ATSG und in der ATSV. Da es sich bei den Observationsregelungen um gänzlich neue Gesetzesbestimmungen handelt, wird im Rahmen der Inhaltsermittlung vorwiegend auf die Materialien zum Gesetzgebungsverfahren zurückgegriffen. Parallel dazu wird auch auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts eingegangen. Dabei werden insbesondere die Schwierigkeiten, welche mit der neuen Gesetzesgrundlage einhergehen, aufgezeigt. Gestützt auf die gewonnenen Erkenntnisse erarbeitet der Autor sodann einen Gesetzesvorschlag de lege ferenda, welcher allen Anforderungen des EGMR an eine Observationsnorm für die Überwachungstätigkeit im Sozialversicherungsrecht genügt.
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Seitenzahl: 281
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Dissertation der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich zur Erlangung der Würde eines Doktors der Rechtswissenschaft
vorgelegt von
Lucien Mouttet von Mervelier JU
genehmigt auf Antrag von Prof. Dr. Thomas Gächter und Prof. Dr. Roland A. Müller
Observationen in der Sozialversicherung von Lucien Mouttet wird unter Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell-Keine Bearbeitung 4.0 International lizenziert, sofern nichts anderes angegeben ist.
© 2022 – CC BY-NC-ND (Werk), CC BY-SA (Text)
Autor: Lucien MouttetVerlag: EIZ Publishing (eizpublishing.ch)Produktion, Satz & Vertrieb: buch & netz (buchundnetz.com)ISBN:978-3-03805-512-9 (Print – Softcover)978-3-03805-513-6 (Print – Hardcover)978-3-03805-514-3 (PDF)978-3-03805-515-0 (ePub)DOI: https://doi.org/10.36862/eiz-513Version: 1.00 – 20220901
Die Dissertation wurde publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.
Die vorliegende Dissertation wurde von Lucien Mouttet eingereicht und von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich, vertreten durch den Dekan Prof. Dr. Thomas Gächter, am 1. Juni 2022 abgenommen.Sie wurde betreut von Prof. Dr. Thomas Gächter und Prof. Dr. Roland A. Müller.
Das Werk ist als gedrucktes Buch und als Open-Access-Publikation in verschiedenen digitalen Formaten verfügbar: https://eizpublishing.ch/publikationen/observationen-in-der-sozialversicherung/.
Die Publikation ist auch auf der Webseite der Zentralbibliothek Zürich abrufbar:https://www.zb.uzh.ch/de/
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Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahrssemester 2022 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich als Dissertation eingereicht. Sie entstand in den Jahren 2019 bis 2022 neben meiner beruflichen Tätigkeit als Jurist/Fachspezialist in einer führenden, national tätigen Versicherungsgesellschaft. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand vom Februar 2022.
Die Arbeit wäre nicht entstanden ohne die Mithilfe, den Beistand und die Unterstützung vieler Menschen, denen mein grösster Dank gebührt.
Allen voran möchte ich mich herzlich bei meinem Doktorvater Prof. Dr. Thomas Gächter bedanken, welcher mir nicht nur ermöglichte, diese Arbeit zu erstellen, sondern bereits während des Studiums mein Interesse an sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen weckte. Sein Rat und Zuspruch sowie die von ihm gewährten Freiräume und das entgegengebrachte Vertrauen haben entscheidend zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ebenfalls danke ich Herrn Prof. Dr. Roland A. Müller für die Erstellung des Zweitgutachtens.
Daneben gilt mein Dank auch meinen Vorgesetzten, namentlich Thierry Joye, der meinem Wunsch, das Arbeitspensum für mein Vorhaben zu reduzieren, mit grossem Verständnis mehrmals nachgekommen ist. Ebenso danke ich Benjamin Weibel für die wertvollen praxisorientierten Inputs.
Zu grossem Dank verpflichtet bin ich schliesslich meiner Familie, auf deren Verständnis und Rückhalt ich mich stets verlassen konnte. Insbesondere danke ich meiner Lebenspartnerin Vildane Bilali für das kritische und sorgfältige Lektorat, für die vielen wertvollen Gespräche und Denkanstösse sowie auch für ihre mentale Unterstützung, wenn sie am dringendsten war. Von ganzem Herzen danke ich meinen Eltern Farouhar Mouttet und Jacques Mouttet für ihre bedingungslose Liebe und unermüdliche Unterstützung. Zuletzt möchte ich mich ebenfalls bei meinen lieben Brüdern Alain Mouttet und Brice Mouttet für ihren moralischen Beistand bedanken.
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Danksagung
Literaturverzeichnis
Materialienverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung
Ausgangslage und ZielsetzungGliederung der ArbeitTeil 1: Grundlagen und Rückblick
Kapitel 1: Begrifflichkeiten und Abgrenzung
ObservationVersicherungsmissbrauchDefinitionUnrechtmässige InanspruchnahmeNicht zustehende LeistungsausrichtungBekämpfung von Versicherungsmissbrauch (BVM)Erkennen von VerdachtsfällenVertiefte Abklärungen und ErmittlungenObservation als ultima ratioVersicherungs- und strafrechtliche MassnahmenAuswirkungen des BVM-Konzepts in der PraxisAbgrenzungenAugenscheinVerdeckte ErmittlungVorabklärungenBeginn der Observationen und deren BilanzAnstieg der BerentungenFallzahlenKapitel 2: Abklärungsverfahren
UntersuchungsmaximeFeststellung des Sachverhalts von Amtes wegenRechtsanwendung von Amtes wegenBeweismittelObservation im BesonderenZufälliger ZeitpunktZufälliger InhaltFehlendes MitwirkungsrechtFehlende ObjektivitätFehlende VerifizierungsmöglichkeitUnsichtbare Eigenanstrengung der versicherten PersonZwischenfazitKapitel 3: Bisherige Leitentscheide
AllgemeinesVerwertbarkeit von ObservationsmaterialÜberwachungstätigkeit durch Sozialversicherer selbstBemühungen für eine GesetzesgrundlageKapitel 4: Verfassungsrechtliche Grundlagen
VorbemerkungenRückschlüsse aus ObservationenInvolvierte SozialversichererRechtsquellen der GrundrechteBetroffene GrundrechteEinschränkung von GrundrechtenVoraussetzungenGesetzliche GrundlageÖffentliches InteresseVerhältnismässigkeitAllgemeinesEignungErforderlichkeitZumutbarkeitKerngehaltVerfassungsgrundsätze des VerwaltungsrechtsObservationstätigkeit als staatliche HandlungVerfassungsgrundsätze in KürzeZwischenfazitKapitel 5: Der Fall Vukota-Bojić
VorbemerkungenSachverhalt in KürzeBindung an die GrundrechteEingriff in das PrivatlebenRechtfertigung eines Eingriffs in das PrivatlebenVorgaben des EGMR an die ObservationsnormNennung der ObservationsmittelUmfang der ObservationZeitlicher Rahmen der ÜberwachungstätigkeitGründe für die Anordnung einer ObservationAnordnende, durchführende und beaufsichtigende BehördeAnordnungs- bzw. GenehmigungsverfahrenHandhabung des ObservationsmaterialsRechtsmittel gegen unzulässige ObservationenZwischenfazitGesetzgebungsverfahrenInkrafttretenZwischenfazitTeil 2: Gesetzliche Grundlage für Observationen
Kapitel 1: Observationen nach neuem Recht
VorbemerkungenAuswirkungen auf die PraxisBilanz 2019Bilanz 2020Unerwartete ZurückhaltungVager GesetzeswortlautÜbrige GründeGesetzesgrundlage nach MassKapitel 2: Zulässigkeit der Observation
AllgemeinesErfordernis der konkreten AnhaltspunkteEinige PraxisbeispieleMedizinische UntersuchungenMeldungen aus der BevölkerungAnonyme HinweiseHaushaltsabklärungenDiskrepanzen in sozialen NetzwerkenErfordernis der SubsidiaritätZwischenfazitKapitel 3: Zulässige Observationsmittel
AllgemeinesBildaufzeichnungenTonaufzeichnungenZwischenfazitKapitel 4: Anordnung der Observation
Interne EntscheidungsgewaltBestimmung der Person mit DirektionsfunktionZwischenfazitKapitel 5: Einsatz technischer Ortungsgeräte
Richterliche GenehmigungspflichtGenehmigung zur StandortermittlungZiel der ObservationBetroffene PersonVorgesehene ObservationsmodalitätenBegründungspflichtEinsatzdauerWesentliche AktenGerichtlicher Entscheid innerhalb von fünf ArbeitstagenBefristung, Auflagen und Ergänzung der AktenBefristungAuflagenAktenergänzungZuständigkeitZwischenfazitKapitel 6: Ort der Observation
AusgangslageAllgemein zugänglicher OrtVon einem allgemein zugänglichen Ort aus frei einsehbarZwischenfazitKapitel 7: Dauer der Observation
Im AllgemeinenObservationstageRahmenfristenVerlängerung der ObservationstätigkeitHinreichende GründeZwischenfazitKapitel 8: Beauftragung externer Spezialisten
Im AllgemeinenSchweigepflicht und DatenschutzZwischenfazitKapitel 9: Verwendung von fremdem Observationsmaterial
Keine Mindestanforderung des EGMRObservationsmaterial von SozialversicherernObservationsmaterial von PrivatversicherernZwischenfazitKapitel 10: Informationspflicht des Versicherungsträgers
Im AllgemeinenBestätigter AnfangsverdachtInhaltliche VorgabenZeitliche VorgabeAnfechtungsmöglichkeitUnbestätigter AnfangsverdachtAktenführungspflicht und AkteneinsichtsrechtZwischenfazitKapitel 11: Vollzugsregelungen
AllgemeinesAkteneinsichtsrechtMündliche oder schriftliche InformationZwischenfazitAufbewahrung und Vernichtung des ObservationsmaterialsAufbewahrungAktenvernichtungZwischenfazitAnforderungen an die SpezialistenBewilligungspflichtBewilligungsvoraussetzungenPersönliche VoraussetzungenFachliche VoraussetzungenGültigkeitsdauer und Wirkung der BewilligungMeldung wesentlicher ÄnderungenEntzug der BewilligungKosten des BewilligungsverfahrensVerzeichnis der BewilligungsinhaberFehlende staatliche ReglementierungZwischenfazitKapitel 12: Observationen im Ausland
Kapitel 13: Verwertbarkeit von Observationsergebnissen
Rechtmässig erlangte ObservationsergebnisseRechtswidrig erlangte ObservationsergebnisseZwischenfazitTeil 3: Gesetzesvorschlag de lege ferenda
Kapitel 1: Gedanken zum geltenden Recht
Notwendigkeit eines formellen GesetzesUnattraktive AbklärungsmassnahmeGeforderte AufgabenteilungKapitel 2: Revisionsbedarf
Kapitel 3: Lösungsvorschlag de lege ferenda
Kapitel 4: Erläuterungen zum Gesetzesvorschlag
Änderungen des Regelungsinhalts in KürzeZulässigkeit der ObservationZulässige Mittel der ObservationAnordnungskompetenzOrt der ObservationDauer der ObservationEinsatz interner und Beauftragung externer SpezialistenVerwendung des Observationsmaterials von DrittenVerfahrensrechtliche RegelungenBeweisverwertungsverbotVollzugsregelungWürdigungAbschliessende Betrachtung
Curriculum Vitae
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Bundesamt für Gesundheit, Kreisschreiben Nr. 35 über die Observation in den Sozialversicherungen an die UVG-Versicherer und an die Ersatzkasse UVG vom Dezember 2019, abrufbar unter: <https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/versicherungen/unfallversicherung/uv-versicherer-aufsicht/kreis-in formationsschreiben.html>, [28.2.2022] (zit.: BAG, KS 35)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Änderung der Verordnung vom 11 September 2002 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV). Ausführungsbestimmungen zur Überwachung von Versicherten (Art. 43a ATSG). Erläuternder Bericht für das Vernehmlassungsverfahren vom 21. September 2018, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/publikationen-und-service/gesetzgebung/vernehmlassungen/vernehmlassung-observationen-sozialversicherungen.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Ausführungsbestimmungen 2018)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Änderung der Verordnung vom 11 September 2002 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV). Ausführungsbestimmungen zur Überwachung von Versicherten (Art. 43a und 43b ATSG). Erläuternder Bericht (nach der Vernehmlassung) vom 7. Juni 2019, abrufbar unter: <https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/57249.pdf>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Ausführungsbestimmungen 2019)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs in der Invalidenversicherung: Bilanz 2019, Hintergrunddokument vom 28. Mai 2020, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/dam/bsv/de/dokumente/themenuebergreifend/faktenblaetter/iv-zahlen-fakten-bekaempfung-missbrauch-2018.pdf.download.pdf/iv-zahlen-fakten-bekaempfung-missbrauch-2018-de.pdf>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Bekämpfung)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Betrugsbekämpfung in der Invalidenversicherung, Faktenblatt vom 22. Mai 2012, abrufbar unter: <https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-44619.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Betrugsbekämpfung)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Der Einsatz von technischen Instrumenten im Rahmen von Observationen, Hintergrunddokument vom 9. Oktober 2018, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/observationen.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Einsatz von technischen Instrumenten)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Der Schutz der Privatsphäre im Rahmen von Observationen, Hintergrunddokument vom 9. Oktober 2018, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/observationen.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Privatsphäre)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Die Observationsartikel im Detail, Hintergrunddokument vom 7. November 2018, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/observationen.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Observationsartikel)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Die Sparmassnahmen der 5. IV-Revision, Faktenblatt vom 19. März 2007, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/publikationen-und-service/gesetzgebung/abstimmungen/5-iv-revision.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Sparmassnahmen)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Erfahrungen der Invalidenversicherung mit Observationen, Hintergrunddokument vom 7. November 2018, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/observationen.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Erfahrungen)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Erläuternder Bericht zur Revision des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 22. Februar 2017 (zit.: BSV, Erläuternder Bericht)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Fakten und Hintergründe zu den Observationsartikeln im ATSG vom 7. November 2018, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/observationen.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Fakten)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Fragen und Antworten zur 5. IV-Revision, Ergänzte Fassung vom 5. Juni 2007, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/publikationen-und-service/gesetzgebung/abstimmungen/5-iv-revision.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, IV-Revision)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Observationen für Sozialversicherungen, Leitfaden zum Bewilligungsverfahren, Stand Februar 2021, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/observationen/observationsspezialisten.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Leitfaden zum Bewilligungsverfahren)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Observationen für Sozialversicherungen. Merkblatt für Anbieter von Kursen: Anforderungen an Kurse zu den erforderlichen Rechtskenntnissen, Anforderungen an Kurse von Observationsaus- und weiterbildungen. Verfahren für die Kursanerkennung, Stand August 2020, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick/observationen/anbieter-kurse.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, Merkblatt)
Bundesamt für Sozialversicherungen, Sozialversicherungen 2020, Jahresbericht gemäss Artikel 76 ATSG, abrufbar unter: <https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/ueberblick.html>, [28.2.2022] (zit.: BSV, ATSG-Bericht)
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Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Ständerates (SGK-SR), Bericht vom 7. September 2017, BBl 2017 7403 ff.
Um sicherzustellen, dass ein Versicherter[1] Anspruch auf die Versicherungsleistungen eines Sozialversicherers hat, muss Letzterer seine Leistungspflicht in jedem einzelnen Fall prüfen. Hierfür zuständig ist der Sozialversicherer selbst. Dies ergibt sich aus der im Sozialversicherungsrecht geltenden Abklärungspflicht des Versicherungsträgers[2], welche in Art. 43 ATSG[3] verankert ist.
In den allermeisten Fällen kann der Versicherungsträger im Rahmen des Abklärungsverfahrens anhand von Gesprächen und von medizinischen Unterlagen, wie etwa den Berichten der behandelnden Ärzte, abklären, ob die betroffene Person Anspruch auf Versicherungsleistungen hat. In der Vergangenheit gab es jedoch immer wieder Fälle, in denen die Sozialversicherer trotz umfangreicher Abklärungen ihre Leistungspflicht nicht abschliessend prüfen konnten. In der Folge entwickelte sich in der Invaliden- und Unfallversicherung allmählich eine neue Praxis, in welcher als zusätzliche Abklärungsmassnahme auf verdeckte Beobachtungen – sog. Observationen – zurückgegriffen wurde.[4] Ziel dieser Observationen war nicht nur die Anspruchsprüfung von Versicherungsleistungen, sie wurden insbesondere auch zur Bekämpfung von Versicherungsmissbrauch eingesetzt.
Zur Observation als Abklärungsmassnahme greifen aber nicht nur Sozialversicherer, sondern auch private Versicherungsgesellschaften sowie die Strafverfolgungsbehörden. Dabei muss stets beachtet werden, wer die Observation anordnet. In privatrechtlicher Hinsicht kann die Observation eine Persönlichkeitsverletzung i.S.v. Art. 28 ZGB[5] nach sich ziehen, weswegen die Observation eines Privatversicherers nach Privatrecht zu beurteilen ist.[6] Wird die Observation von einer Strafverfolgungsbehörde angeordnet, so richtet sich ihre Zulässigkeit nach dem Strafprozessrecht.[7] Zudem muss beachtet werden, dass es sich bei jeder Observation auch immer um die Bearbeitung von Personendaten im Sinne des DSG[8] handelt, sodass sämtliche Institutionen und Behörden, welche Observationen anordnen, sich jeweils zusätzlich an datenschutzrechtliche Aspekte zu halten haben.[9]
Obwohl eine Observation einen starken Eingriff in die Privatsphäre darstellt,[10] griffen immer mehr Sozialversicherer auf dieses Abklärungsinstrument zurück, dies trotz immer wiederkehrender Kritik aus der Lehre, wonach es hierfür an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Denn Sozialversicherer nehmen staatliche Aufgaben wahr und sind gemäss Art. 35 BV[11] an die Grundrechte gebunden. Erfolgt eine Observation in Erfüllung einer staatlichen Aufgabe, müssen die Anforderungen von Art. 36 BV erfüllt sein, zu denen u.a. eine genügende gesetzliche Grundlage gehört.[12]
Dieser Praxis wurde erst im Oktober 2016 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Einhalt geboten, als dieser entschied, dass es den Sozialversicherern[13] in der Schweiz an einer (ausreichenden) gesetzlichen Grundlage fehle, um Observationen durchzuführen. Dieser Argumentation folgte sodann das Bundesgericht im Juli 2017 bei einer durch die Invalidenversicherung angeordneten Observation,[14] sodass in der Folge beide Versicherungen die Durchführung von verdeckten Beobachtungen einstellten.[15]
Gestützt auf diese Urteile ist das ATSG revidiert und mit den Art. 43a und 43b ergänzt worden. Mit diesen neuen Observationsbestimmungen wurde eine gesetzliche Grundlage für die Durchführung von Observationen geschaffen, gegen welche in der Folge das Referendum ergriffen wurde. Am 25. November 2018 haben die Schweizer Stimmberechtigten die gesetzliche Grundlage für die Überwachung von Versicherten schliesslich angenommen. Daraufhin hat der Bundesrat in der ATSV[16] diverse neue Ausführungsbestimmungen zur Observation erlassen (Art. 7a ff. ATSV). Die neuen Observationsnormen im ATSG und in der ATSV sind am 1. Oktober 2019 in Kraft getreten und bilden die Grundlage der vorliegenden Arbeit.
Aufgrund der fehlenden gesetzlichen Grundlage führten Observationen im Sozialversicherungsrecht vor dem gerichtlichen Verbot und der darauffolgenden Einführung der neuen Observationsbestimmungen zu erheblicher Rechtsunsicherheit, und zwar nicht nur bei den Versicherten, sondern auch bei Sozialversicherern. Denn ohne Niederschrift der notwendigen Regeln und Schranken in Form einer gesetzlichen Grundlage kann weder Transparenz geschaffen noch der Schutz vor Willkür garantiert werden. Mit der neuen gesetzlichen Grundlage sollen die betroffenen Personen daher primär vor unnötigen, willkürlichen und unverhältnismässigen Beobachtungen geschützt werden.[17] Wie nachfolgend darzulegen sein wird, sind jedoch die neuen Bestimmungen nicht gänzlich unproblematisch.
In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwiefern die Anforderungen an eine gesetzliche Grundlage, welche vom EGMR für die Durchführung von Observationen im Sozialversicherungsrecht aufgestellt wurden, mit den neuen Observationsbestimmungen im ATSG und in der ATSV erfüllt wurden. Zu diesem Zweck werden die Grundlagen zur Problematik der Observationen im sozialversicherungsrechtlichen Kontext aufgezeigt und die erwähnten neuen Observationsnormen de lege lata systematisch analysiert. Schliesslich wird ein Gesetzesvorschlag de lege ferenda unterbreitet.
Der erste Teil dieser Arbeit handelt von den Grundlagen der Observation und deren Entwicklung. Sodann wird das Abklärungsverfahren im Sozialversicherungsrecht thematisiert und dabei gesondert das Abklärungsinstrument der Observation beleuchtet, bevor auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen und schliesslich eingehend auf das Urteil des EGMR in Sachen Vukota-Bojić gegen die Schweiz vom 18. Oktober 2016 (Nr. 61838/10) eingegangen wird.
Der zweite Teil der Arbeit behandelt die neuen Observationsbestimmungen. Da es sich sowohl bei Art. 43a ATSG wie auch bei Art. 43b ATSG um gänzlich neue Gesetzesbestimmungen handelt, wird im Rahmen der Inhaltsermittlung vorwiegend auf die historische Auslegung zurückgegriffen und somit auf das vorhandene Material zum Gesetzgebungsverfahren gesondert eingegangen. Die neuen Verordnungsbestimmungen in der ATSV werden dabei gezielt zur entsprechenden Gesetzesnorm hinzugezogen. Zudem wird in diesem Teil der Arbeit auch speziell die bislang geltende Rechtsprechung behandelt. Damit soll auf Schwierigkeiten, welche mit der neuen Gesetzesgrundlage einhergehen, hingewiesen und, wo nötig, eine Präzisierung vorgenommen werden.
Der dritte Teil der Arbeit beinhaltet einen Gesetzesvorschlag de lege ferenda. Aufgrund der im zweiten Teil der Arbeit gewonnenen Erkenntnisse soll ein Gesetzesentwurf präsentiert werden, welcher allen Anforderungen des EGMR an eine Observationsnorm für die Überwachungstätigkeit im Sozialversicherungsrecht entspricht und damit einer erneuten gerichtlichen Überprüfung in Strassburg in sämtlichen Belangen standhalten würde.
I
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Observation bedeutet Beobachtung oder Überwachung und meint eine länger andauernde und heimliche Beobachtung eines Zielobjekts.[1] Im juristischen Kontext versteht man darunter eine Ermittlungstätigkeit, bei welcher Personen und Vorgänge in der Öffentlichkeit systematisch und während einer gewissen Dauer beobachtet werden, um deren Ergebnisse im weiteren Verfahren auszuwerten.[2] Kurze und zufällige Beobachtungen von Vorgängen in der Öffentlichkeit fallen (noch) nicht unter den Begriff der Observation.[3]
Im Sozialversicherungsrecht handelt es sich bei der Observation um das heimliche Beobachten bzw. Überwachen der Versicherten. Die dabei erhobenen Aufzeichnungen wie etwa Foto- und Videoaufnahmen[4] werden sodann im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren verwendet[5] und sollen dem Versicherungsträger neue bzw. bisher unbekannte sachverhaltsrelevante Erkenntnisse betreffend die körperliche Leistungsfähigkeit und daraus folgend die Arbeitsfähigkeit der observierten Person geben, welche sie dem Versicherungsträger auf freiwilliger Basis nicht preisgegeben hätte. Die Observation dient im Rahmen der Sachverhaltsabklärung demnach der Beweismittelbeschaffung.[6]
Mit dieser Abklärungsmassnahme beabsichtigt der Versicherungsträger primär die Änderung, Ablehnung oder Kürzung von Versicherungsleistungen.[7] Im Sozial- und im Privatversicherungsrecht werden Observationen vorwiegend zur Anspruchsprüfung von Versicherungsleistungen und zur Missbrauchsbekämpfung herangezogen.[8]
Gemäss der Definition des Bundesgerichts liegt Versicherungsmissbrauch vor, wenn eine versicherte Person unrechtmässig eine Versicherungsleistung bezieht.[9] Neben dem Begriff des Versicherungsmissbrauchs spricht man im juristischen Kontext auch vom ungerechtfertigten Leistungsbezug[10] oder – wenn auch weniger gebräuchlich – vom nicht zielkonformen Leistungsbezug.[11] Der ungerechtfertigte bzw. nicht zielkonforme Leistungsbezug lässt sich in zwei Hauptkategorien unterteilen, nämlich die der unrechtmässigen Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen sowie die der nicht zustehenden Leistungsausrichtung.
In die erste Kategorie fallen vorsätzlich missbräuchliches Verhalten, sprich der strafrechtlich relevante Tatbestand des Versicherungsbetrugs[12] nach Art. 146 StGB[13], und fahrlässige Verstösse bzw. fahrlässiges Verhalten der Versicherten oder von Dritten gegen einen Sozialversicherer.[14]
Bezieht eine versicherte Person mit Absicht und unter Aufwendung von krimineller Energie Leistungen einer Sozialversicherung, ohne dass sie darauf Anspruch hätte, so ist von Versicherungsbetrug die Rede, der auch strafrechtliche Konsequenzen für die fehlbare Person nach sich ziehen kann. Als Sachverhalte, welche einen möglichen Versicherungsbetrug aufzeigen, gelten etwa:[15]
Vortäuschen gesundheitlicher Beschwerden (Krankheit oder Unfallfolgen)Absichtliches Übertreiben von bestehenden KrankheitssymptomenFalschangaben oder Unterschlagung von Angaben zur ErwerbstätigkeitMeldepflichtverletzungen, insbesondere unterlassene Meldungen zu einer veränderten ArbeitssituationGrobe Verletzung der Schadenminderungspflicht und der MitwirkungspflichtInszenierung von UnfällenBedrohung, Erpressung oder Bestechung eines Dritten, um an Versicherungsleistungen zu gelangenUrkundenfälschungIm Gegensatz zum Versicherungsbetrug fallen in die Unterkategorie der fahrlässigen Verstösse geringfügige Verletzungen der Schadenminderungs- oder der Mitwirkungspflicht, welche keine strafrechtliche Relevanz haben, aber mit Leistungskürzungen, -einstellungen oder Rückforderungen einhergehen können. Durch beide Arten der unrechtmässigen Inanspruchnahme können beim Sozialversicherer nicht zustehende Leistungen oder höhere bzw. länger andauernde Leistungen erwirkt werden.[16]
Von einer nicht zustehenden Leistungsausrichtung spricht man, wenn Versicherungsleistungen vom Versicherer unabsichtlich oder in zu grossem Ausmass erbracht werden, ohne dass die versicherte Person gezielt darauf hingewirkt hat oder wenn sie nur einen geringfügigen Beitrag dazu geleistet hat.[17] Aus diesem Grund spricht man in diesem Zusammenhang unmissverständlich von Ausrichtung und nicht von Bezug. Zur nicht zustehenden Leistungsausrichtung gehören insbesondere Fehleinschätzungen des Sozialversicherers, wie etwa die mangelhafte Durchführung des Abklärungsverfahrens aufgrund misslungener Abgrenzung der Krankheits- oder Unfallfolgen von anderen Faktoren. In Betracht kommen jedoch auch medizinische Fehleinschätzungen der Arbeitsunfähigkeit von im konkreten Fall involvierten Gutachtern.[18]
Noch vor der Jahrtausendwende beschäftigten sich weder die Privat- noch die Sozialversicherer mit der Betrugs- und Missbrauchsproblematik. Auch war sie in der Öffentlichkeit noch kein viel diskutiertes Thema, obwohl sich bereits ab den 1990er-Jahren eine überdurchschnittliche Zunahme an Rentenleistungen manifestierte.[19] Den Anfang dabei, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen, machte die Privatassekuranz. So führten die ersten Unfallversicherer erstmals im Jahr 2006 ein aktives Missbrauchsmanagement ein.[20] Nach Inkrafttreten der 5. IV-Revision am 1. Januar 2008 entwickelte sich – basierend auf den Erfahrungen der Privatassekuranz – auch in der Invalidenversicherung ein professionelles Betrugs- und Missbrauchsmanagement.[21]
Mit dem in der 5. IVG-Revision neu eingeführten Art. 59 Abs. 5 IVG[22]