Ocean Hearts – Admire the Lights - Isabel Clivia - E-Book

Ocean Hearts – Admire the Lights E-Book

Isabel Clivia

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Beschreibung

»Wenn alle Lichter der Welt verschwunden wären, würde ich dich immer noch bewundern. Weil du sogar in tiefster Dunkelheit strahlst.«

Seit Kurzem arbeitet Gemma im Fitnessstudio der Ocean Heart – einem modernen Luxus-Kreuzfahrtschiff für die High Society. Als sie mit Callan King trainieren soll, steht sie vor einer Herausforderung. Der attraktive Jungschauspieler ist so von sich überzeugt, dass Gemma keine Sekunde länger als nötig mit ihm verbringen möchte. Dann erhält sie jedoch ein lukratives Angebot: Sie soll Callan im Auge behalten und herausfinden, warum er zuletzt immer wieder in Skandale verwickelt war. Für Gemma ein moralisches No-Go. Aber nachdem ihre Familie in eine finanzielle Notlage gerät, sieht sie sich gezwungen, das Angebot anzunehmen.
Je mehr Zeit sie mit Callan verbringt, desto schlimmer werden ihre Gewissensbisse, denn der verschlossene Star ist ganz anders als gedacht. Schon bald kann sie das Herzklopfen in seiner Nähe nicht mehr ignorieren und muss sich zwischen ihren Gefühlen und ihrer Familie entscheiden.

Ein glamouröses Kreuzfahrtschiff, schicksalshafte Entscheidungen und knisternde Gefühle, die Polarnächte zum Leuchten bringen. Die Fortsetzung der prickelnden New-Adult-Trilogie auf dem Luxuskreuzer Ocean Heart.

Alle Bände der »Ocean Hearts«-Trilogie:
Ocean Hearts – Capture the Stars
Ocean Hearts – Admire the Lights
Ocean Hearts – Embrace the Storms
Alle Bände können unabhängig voneinander gelesen werden.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 476

Veröffentlichungsjahr: 2024

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ISABEL CLIVIA

ADMIRE

THE

LIGHTS

Ocean Hearts

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Erstmals als cbt Taschenbuch Oktober 2024

© 2024 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch die

Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski, www.kopainski.com

unter Verwendung mehrerer Motive von: Shutterstock.com (Blue Planet Studio, Klavdiya Krinichnaya, Lidiia, SWEviL)

FK · Herstellung: DiMo

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-30384-6V002

www.cbj-verlag.de

KAPITEL 1

Choreografie

Gemma

Sogar von Weitem sehe ich meiner Mutter die Erschöpfung an. Gemeinsam mit meinen beiden Schwestern steht sie am Hafen von Southampton und hat die Arme vor ihrer Brust verschränkt, um dem Wind zu trotzen. Sie ist blasser als noch vor ein paar Wochen. Während Rose und Lucy auf mich zustürmen, bleibt sie zurück, als wäre sie sogar für ein paar Schritte zu müde.

»Gemma!«, ruft Rose strahlend.

Ich schließe meine beiden Schwestern in die Arme. Obwohl wir uns nur knapp zwei Monate nicht gesehen haben, kommt es mir vor wie eine Ewigkeit. Es tut so gut, ihre Wärme und ihre Freude über unser Wiedersehen zu spüren.

Nachdem sie sich von mir gelöst haben, mustere ich sie grinsend. Wenn man uns zusammen sieht, würde man uns nicht sofort für Schwestern halten. Lucy ist sechzehn und reicht mir bis zum Kinn. Während ich schwarzes, schulterlanges Haar habe, ist ihres rotbraun und fällt in sanften Wellen bis zu ihrem unteren Rücken. Sie hat weiche, runde Gesichtszüge, ich dagegen harte, kantige. Wir haben beide weiße Haut, aber im Gegensatz zu ihrer sanften Sonnenbräune ist meine blass und hat einen kühlen Unterton.

Rose ist mit ihren dreizehn Jahren noch mal einen ganzen Kopf kleiner als Lucy. Auch sie hat einen eher warmen Hautton und lockiges Haar, ihres ist allerdings so braun wie das von Mum. Das Einzige, was uns alle äußerlich verbindet, sind die hellblauen Augen. Ansonsten kommen vor allem Lucy und ich eher nach unseren Vätern.

»Ist das etwa das Schiff, auf dem du arbeitest?«, fragt Rose kaugummikauend und deutet auf die Ocean Heart, die hinter uns im Hafen liegt.

»Ist es«, bestätige ich.

Sie schiebt ihre Brauen zusammen und beobachtet das Schiff mit schief gelegtem Kopf. »Hätte es mir irgendwie größer vorgestellt.«

Dasselbe habe ich auch gedacht, als ich es zum ersten Mal gesehen habe. Die Ocean Heart ist mit ihrer futuristischen Ausstattung ziemlich eindrucksvoll, aber sie ist deutlich kleiner als die meisten anderen Schiffe, die fast schwimmende Städte sind. Dank der Solarsegel und dem ansonsten schlichten Design wirkt es ziemlich elegant. Angeblich ist die Ocean Heart das modernste und luxuriöseste Kreuzfahrtschiff der Welt.

»Hast du schon ein paar Promis getroffen?«, fragt Rose aufgeregt.

Ich schüttele den Kopf. »Bisher nicht. Aber vielleicht machen die auch einfach keinen Sport, wenn sie Urlaub haben.«

Die eine oder andere berühmte Person war bestimmt schon zu Gast auf der Ocean Heart, seit ich dort arbeite, aber mir ist noch keine begegnet. Oder ich habe sie nicht erkannt. Meine Ex-Zimmerkollegin Carey hat mal eine angesagte Girl-Band im Café gesehen, in dem sie oft eingeteilt war. Im Gegensatz zu ihr sehe ich als Fitnesstrainerin aber nur einen kleinen Teil der Gäste. Viele von denen sind auch nicht zurechtgemacht, wenn sie im Studio auftauchen. Mit rotem Gesicht, zerzaustem Haar und schweißbedeckter Haut sehen die meisten aus wie Normalsterbliche.

»Bleibst du ein paar Tage und kommst mit uns nach London zurück?«, fragt Rose hoffnungsvoll.

Ich schlucke. »Leider nein. In ein paar Stunden legt das Schiff schon wieder ab und dann gehts weiter.«

Nachdem die Ocean Heart eine Weile an der Mittelmeerküste unterwegs war, steht jetzt eine Reise entlang der norwegischen Küste auf dem Plan. Mir kommt das ziemlich gelegen, weil es in den letzten Wochen draußen häufig zu heiß war. Zumindest oft genug, dass ich lieber im klimatisierten Fitnessstudio oder im Crew-Whirlpool geblieben bin, als durch die Gegend zu laufen.

Meine kleine Schwester wirkt enttäuscht. »Wieso arbeitest du nicht mehr in London?«

Ich lege meine Hand auf ihre Schulter. »Weil meine Arbeit auf dem Schiff viel besser bezahlt wird als in den Studios, in denen ich vorher angestellt war.«

Außerdem kann ich froh sein, einen Job bekommen zu haben, nachdem ich bei meinem letzten gefeuert wurde …

»Dafür hast du in London uns!«, ruft Rose.

Bei ihren Worten wird meine Brust eng. Ich vermisse meine Familie jeden Tag, ganz besonders meine Schwestern. Aber sie sind auch der Grund, warum ich mich überhaupt auf diese Stelle beworben habe.

»Das stimmt«, sage ich lächelnd und streiche Rose eine Locke hinters Ohr. »Wenn ich könnte, würde ich euch einfach in meinen Koffer packen und mitnehmen.«

Sie strahlt. »O ja, bitte!«

Ihr Enthusiasmus bringt mich zum Lachen. »Das wird leider nichts, weil ihr zur Schule müsst.«

Lucy zieht einen Schmollmund. »Auf einem Schiff zu arbeiten, wäre viel cooler.«

»Dafür bist du zu jung«, antworte ich. »Du weißt genau, was Mum sagen würde, wenn sie dich gerade gehört hätte.«

Meine Schwester rollt mit den Augen und dreht sich für einen Moment zu Mum um, bevor sie sich wieder mir zuwendet. »Schulbildung ist wichtig, damit aus dir mal was wird und du ein besseres Leben hast.«

»Ganz genau«, erwidere ich und muss bei ihrem Tonfall grinsen. »Das nimmst du dir doch zu Herzen, oder?«

Sie seufzt. »Jake gibt mir Nachhilfe in Mathe. So hab ich mir unsere Beziehung echt nicht vorgestellt.«

Ihre typische Alles-ist-voll-nervig-Miene lässt mein Grinsen noch breiter werden. Jake ist ihr erster fester Freund, und ich bin froh, dass sie einen besseren Männergeschmack zu haben scheint als ich in ihrem Alter. Er ist der verantwortungsbewussteste Junge, den ich kenne. Hat Bestnoten, eine nette Familie und trägt meine Schwester auf Händen. Es beruhigt mich, dass jemand auf Lucy aufpasst, wenn ich nicht da bin. Sie trifft nicht immer gute Entscheidungen, woran teilweise ihr Freundeskreis schuld ist. Leider scheint es bei uns in der Familie zu liegen, sich von den falschen Leuten beeinflussen zu lassen.

»Was ist aus ›Er ist der tollste Typ der Welt und ich werde ihn mal heiraten‹ geworden?«, necke ich meine Schwester.

Jetzt wird sie ein bisschen rot. »Er ist immer noch toll. Aber auch ein totaler Streber.«

»Das ist was Gutes«, versichere ich. »Das bedeutet, er weiß, worauf es ankommt.«

»Deshalb ist er ja auch mit mir zusammen«, antwortet sie stolz.

»Bloß nicht eingebildet werden, Schwesterchen.« Ich wuschle ihr durchs Haar, woraufhin sie sich lautstark beschwert und einen Schritt zurückweicht.

Ein bisschen mehr Bescheidenheit wäre sicher nicht verkehrt. Andererseits bin ich froh, dass Lucy selbstbewusst ist und ihren Wert kennt. In ihrem Alter habe ich mich ständig fertiggemacht, weil ich dachte, für nichts und niemanden gut genug zu sein.

Zusammen mit meinen Schwestern gehe ich zu Mum hinüber. Sie schließt mich sofort in ihre Arme und drückt mich fest an sich. Der Gestank von Zigaretten dringt mir in die Nase. Er haftet wie ein penetrantes Parfum an ihr und lässt mich das Gesicht verziehen.

Ich weiß, dass sie erwachsen ist und nicht in unmittelbarer Nähe meiner Schwestern rauchen würde, aber ich finde es trotzdem beschissen.

»Du bist gestresst«, raune ich ihr zu, als ich mich von ihr löse und mit der Hand eine Geste mache, als würde ich Rauch aus der Luft vertreiben wollen. »Was ist los?«

»Nicht jetzt«, murmelt sie, bevor sie sich den anderen beiden zuwendet. »Lasst uns ein nettes Café finden, in Ordnung? Dann kann Gemma uns alles über ihre Zeit auf dem Schiff erzählen.«

Es ist gleichzeitig bewundernswert und besorgniserregend, wie mühelos sie dieses strahlende Lächeln und die gute Laune anknipsen kann. Als wäre das Teil einer Choreografie, die sie so lange geübt hat, bis sie jeden Schritt im Schlaf beherrscht. Wahrscheinlich habe ich früher deshalb nie mitbekommen, wenn es mal wieder ein Problem gab. Mum hat das Talent, uns jede noch so miese Sache als etwas Gutes zu verkaufen. Wenn wir im Winter wegen nicht bezahlter Rechnungen in einer kalten Wohnung gehockt haben, hat sie uns weisgemacht, dass wir Winterprinzessinnen seien, die in einem verschneiten Königreich leben. Sie war eine großartige Geschichtenerzählerin, aber je älter ich wurde, desto weniger habe ich ihr diese Erzählungen abgekauft.

»Oh, kann ich eine heiße Schokolade haben?«, ruft Rose.

Mum lächelt. »Klar«

»Können wir uns auch Kuchen aussuchen?«, fragt Lucy hoffnungsvoll.

Jetzt wirkt unsere Mutter zögerlich, als müsste sie überlegen, ob wir uns das gerade leisten können. Oder sollten.

»Heute geht alles auf mich«, springe ich ein, woraufhin Mum dankbar lächelt. »Ihr dürft alles bestellen, was ihr möchtet.«

Lucy grinst. »Oh, ich hätte total Lust auf ein Stück Torte oder einen Cupcake mit Buttercreme-Frosting.«

»Du würdest meine Kollegin Isla lieben«, erwidere ich. »Die backt richtig professionelles Zuckerzeug.«

»Echt? Dann versau die Freundschaft bitte nicht. Es wäre so cool, wenn du eine Freundin hättest, die backen kann!«

Autsch. Das ist definitiv Kritik an meinem nicht vorhandenen Talent, Freundschaften aufrechtzuerhalten. Sie hat es immer noch nicht überwunden, dass Ivy und ich nicht mehr befreundet sind, obwohl dieser Bruch schon mehr als ein Jahr zurückliegt. Von ihr hat sie sämtliche Bilder, die in ihrem Zimmer hängen. Abstrakte Kunst. Noch etwas, wofür ich nie ein Händchen hatte. Leider ist eine Schwester, die einem was über Bewegung und gesunde Ernährung beibringen kann, nicht halb so cool wie eine rebellische Künstlerin.

»Ich kann auch backen«, verteidige ich mich. »Schon vergessen, dass ich zu jedem eurer letzten sieben Geburtstage einen Kuchen gemacht habe?«

»Einmal hast du meinen zu lange im Ofen gelassen und eine Tonne Schokoglasur darauf verteilt, weil du dachtest, so würde es keinem auffallen«, beschwert sich Rose.

Ich ziehe einen Schmollmund. »Das werdet ihr mich nie vergessen lassen, oder?«

»Niemals«, sagen beide zeitgleich und lachen.

Verdammt, ich habe meine Schwestern echt vermisst. Nur fünf Minuten mit ihnen reichen, damit ich meine Entscheidung, weiter an Bord zu arbeiten, anzweifle. Aber wenn ich Mum ansehe, bin ich sicher, dass mir nichts anderes übrig bleibt. Irgendwas ist los, und ich sollte herausfinden, was ihr auf der Seele brennt.

Meine Schwestern sind überglücklich mit ihrem dampfenden Kakao und den saftigen Schoko-Cupcakes. Ich gebe mir Mühe, keinen Spruch darüber abzulassen, wie ungesund Zucker ist, schließlich halte ich mich selbst nicht immer streng an meine eigenen Ratschläge. Als Fitnesstrainerin weiß ich, wie wichtig gute Ernährung ist, aber man sollte nicht zu hart zu sich sein. Meine frühere Trainerin hätte das definitiv anders gesehen, und ich bin froh, dass ich nicht mehr ständig ihre tadelnde Stimme im Ohr habe. Die Zeiten sind lange vorbei.

Während wir es uns in dem kleinen Café in der Nähe des Hafens gemütlich machen und so dem einsetzenden Septemberregen aus dem Weg gehen, erzähle ich meiner Familie, wo ich in den letzten beiden Monaten überall gewesen bin. Obwohl ich nicht in jeder Stadt einen Ausflug machen konnte, habe ich trotzdem eine Menge zu berichten. Manchmal begeistert es mich sogar selbst, wie viel ich erlebt habe.

Meine Familie hängt gebannt an meinen Lippen. Sie freuen sich ehrlich für mich, auch wenn sie bestimmt selbst gern was von der Welt sehen würden. Richtige Urlaube konnten wir uns leider nie leisten.

»Das ist alles so cool«, meint Lucy sehnsüchtig. »Aber nächsten Frühling komme ich auch endlich mal raus. Jakes Familie fährt nach Spanien und sie haben da ein Ferienhaus. Er hat gesagt, ich darf mitkommen.«

Ich grinse sie an. »Hört sich toll an!«

»Ja, voll«, meint Rose. »Ich würde so gern mit.«

Lucy trinkt einen Schluck aus ihrer Tasse. »Soll ich Jake fragen, ob du mitkommen kannst? Vielleicht sagt er Ja, wenn ich die nächste Matheklausur rocke.«

Rose seufzt theatralisch. »Dann hab ich keine Chance.«

Wir lachen über Lucys empörte Miene. Auch Mum versucht, gute Laune zu verbreiten und sich an unserem Gespräch zu beteiligen, aber sie wirkt dennoch die meiste Zeit abwesend. Als meine Schwestern zur Toilette gehen, nutze ich die Gelegenheit, sie darauf anzusprechen.

»Sag mir, was los ist«, fordere ich. »Du guckst trüber als das Wetter draußen.«

Sie fährt sich über ihr müdes Gesicht. »Ich bin einfach überarbeitet.«

Als ihre Hände wieder auf dem Tisch ruhen, lege ich meine auf ihre. »Du sollst dir doch nicht so viele Schichten aufhalsen. Dafür schicke ich euch ja den Großteil von meinem Lohn.«

An Bord brauche ich das Geld sowieso nicht, immerhin sind meine Kabine und die Verpflegung kostenlos. Ein paar Ausflüge würde ich zwar gern machen, aber meine Familie bedeutet mir mehr als schöne Erinnerungen.

»Ich weiß«, murmelt Mum. »Und ich wünschte, es würde reichen.«

»Tut es das denn nicht?«

Sie schüttelt den Kopf und senkt den Blick. »Wegen der Schulden. Außerdem haben die unsere Miete erhöht.«

»Was?«, frage ich fassungslos.

Mum starrt immer noch den Tisch an. »Schon seit April. Hundertfünfzig Pfund mehr pro Monat.«

»Das ist Wucher! Warum hast du nie was gesagt?«

»Ich wollte dich nicht beunruhigen«, meint sie schuldbewusst.

»Ich bin lieber beunruhigt als ahnungslos«, rüge ich sie, bevor ich einen Schluck Kaffee trinke. »Ist die Erhöhung überhaupt legal?«

Meine Mutter zuckt mit den Schultern. »Alles wird teurer. Was Günstigeres gibts gerade nicht. Unsere Wohnung war echt billig und deine Schwestern wollen nicht weg, also werde ich es irgendwie stemmen müssen.«

»Aber du arbeitest dich dabei kaputt!«, werfe ich ihr vor.

Sie ballt die Hände zu Fäusten. »Ich komme schon klar.«

Mir entfährt ein Seufzer. »Das sagst du immer. Aber ich bin alt genug, um zu wissen, dass das nicht stimmt. Sonst würdest du nicht wieder rauchen. Ernsthaft, man riecht den Scheiß fünf Meter gegen den Wind. Richtig uncool.«

»Alles ist gut, Prinzessin.«

»Nenn mich nicht so.«

Dieser Name liegt hinter mir, und die Erinnerungen an die damalige Zeit sind schmerzhaft. Ich sollte dem Ganzen nicht hinterhertrauern, vor allem nicht jetzt. Ein Teil von mir tut es leider trotzdem.

»Wie soll ich dich denn sonst nennen?«, fragt Mum und hebt die Augenbrauen.

»Gemma?«, erwidere ich trocken. »Den Namen hast du immerhin für mich ausgesucht. Aber wenn’s dir wichtig ist, darfst du gern Königliche Hoheit zu mir sagen.«

Mein Scherz entlockt ihr nur ein halbherziges Lächeln. »Das wäre ein bisschen übertrieben.«

»Ach, da ziehen wir die Grenze?«

»Irgendwo muss man ja anfangen.«

Als meine Schwestern zurückkommen, knipst Mum wieder ihre gute Laune an. Ich hasse es, wenn sie das tut, aber ein Teil von mir ist ihr dafür auch dankbar. Zum ersten Mal seit Monaten sind wir endlich wieder alle zusammen, und sie will den Tag nicht mit mieser Stimmung verderben.

Im Vergleich zu ihr fällt es mir schwerer, meine Sorgen nicht raushängen zu lassen. Es ist echt ätzend, dass meine Familie immer noch Geldprobleme hat, obwohl Mum ständig Überstunden schiebt und ich so viel wie möglich beisteuere. Noch schlimmer ist allerdings, dass ich das Gefühl habe, an allem schuld zu sein. Ohne mich hätten wir diese Probleme nicht, denn ich habe unser unbeschwertes Leben buchstäblich in Flammen aufgehen lassen.

Genau deshalb fühle ich mich dazu verpflichtet, es wiedergutzumachen. Wenn das bedeutet, monatelang auf einem Schiff zu arbeiten und reichen Leuten im Fitnessstudio Anweisungen zu geben, soll es wohl so sein. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nach allem, was passiert ist.

KAPITEL 2

Rolle

Callan

Während der Fahrt zum Hafen klingelt mein Handy ununterbrochen. Dieses verdammte Ding geht mir schon seit Stunden auf den Geist, sodass ich sehr hart gegen den Impuls ankämpfen muss, die Scheibe des Taxis herunterzulassen und es rauszuwerfen. Vielleicht ist der Fahrer bald so genervt davon, dass er mir die Entscheidung abnimmt. Ich würde ihm sogar dafür applaudieren.

»Willst du nicht endlich mal rangehen?«, fragt Simon hinter mir.

Ich werfe einen Blick in den Spiegel. Mein bester Freund sitzt zwischen Mia und Goran auf dem Rücksitz. Er hat die Arme vor der Brust verschränkt und macht ein Gesicht, als hätten wir ihn dazu gezwungen, einen Horrorfilm anzuschauen. Die drei sehen ziemlich lächerlich aus, wenn sie sich so dicht aneinanderdrängen und mich mit ihren finsteren Blicken verurteilen. Große, muskulöse Menschen wie sie wirken auf engstem Raum immer etwas fehl am Platz. Wie Bären, die man in ein Puppenhaus gesteckt hat.

»Ist nur das Management«, meine ich, während der Imperiale Marsch weiter durch das Taxi schallt.

Mehrere Blicke auf mein Smartphone haben mir allerdings längst verraten, dass nicht nur mein Management mich belästigt. Sowohl meine Mutter als auch mein Vater und Ryan haben es schon ein paar Male probiert. Keine Ahnung, mit wem davon ich gerade am wenigsten reden will, aber dieses Rennen halten sie seit einiger Zeit äußerst knapp.

»Wenn du nicht rangehen willst, könntest du es auch einfach ausschalten«, empfiehlt Mia und lehnt ihren Kopf zurück. »Ist ein Lifehack, den du echt mal testen solltest.«

»Wenn ich das Ding ausmache, drehen sie bloß noch mehr am Rad«, erwidere ich.

»Also willst du uns für den Rest der Fahrt weiter foltern?«, fragt Goran missmutig. »Für so was werde ich nicht bezahlt. Das ist dir klar, oder?«

»Du wirst dafür bezahlt, dass du rund um die Uhr in meiner Nähe bist und alles aus dem Weg räumst, was potenziell gefährlich für mich sein könnte«, erinnere ich ihn mit einem schiefen Grinsen. »In deinem Vertrag steht leider nichts von: Kann den Dienst verweigern, wenn Callans Handy zu oft klingelt.«

Er seufzt. »Dann tu’s nicht für deinen Bodyguard, der für deinen Schutz bezahlt wird, sondern für deinen Kumpel, der dich irgendwie in sein Herz geschlossen hat und den verdammten Klingelton nicht mehr hören kann. Im Ernst, geh endlich ran. Meine Ohren bluten schon.«

»Du kannst es nicht ewig rauszögern«, pflichtet Mia ihm bei. »Früher oder später wirst du sowieso abnehmen, warum also nicht gleich jetzt?«

Ich verdrehe die Augen. Manchmal vergesse ich, dass die beiden schon lange genug meine Personenschützer sind, um mich wirklich gut zu kennen. Genau wie Simon, der mein bester Freund ist, seit ich sechzehn war. Fast acht Jahre ist das inzwischen her. Wahrscheinlich wissen die drei da hinten mehr über mich als sonst jemand.

Obwohl ich mich gern weiter gegen das Unvermeidliche wehren würde, nehme ich den Anruf meiner Managerin an und wappne mich für ihren Anschiss.

»Victoria«, begrüße ich sie mit meiner samtweichen Pressetour-Stimme, die ich abgrundtief hasse, weil die Leute von der PR-Abteilung sie ständig von mir hören wollen. »Was kann ich an diesem wunderschönen Nachmittag für dich tun?«

Es ist überhaupt kein schöner Nachmittag. Vor einer Weile hat es heftig zu regnen begonnen und seitdem hört es nicht mehr auf. Die Scheibenwischer des Taxis bewegen sich rasend schnell von links nach rechts, sodass sie mich vermutlich in Trance versetzen könnten, wenn ich mich zu sehr darauf konzentriere.

»Callan«, sagt meine Managerin am anderen Ende der Leitung, und in diesem Wort steckt so viel Selbstbeherrschung, dass sie furchtbar stolz darauf sein muss, mich nicht direkt angeschrien zu haben. »Was zur Hölle tust du gerade? Ich habe tausendmal versucht, dich anzurufen!«

»Ist mir gar nicht aufgefallen«, erwidere ich trocken. »Was willst du?«

Sie holt tief Luft, als müsste sie sich an einen Trick aus dem Meditationskurs erinnern. »Sag mir, dass diese Reise nicht dein verdammter Ernst ist.«

»Ah, darum gehts«, antworte ich, obwohl ich mir das natürlich schon gedacht habe. »Doch, die ist mein voller Ernst.«

Ich bin ziemlich sicher, sie dachte bis heute, dass ich sie mit meinem Vorhaben nur provozieren wollte. Dass ich es sowieso nicht durchziehen würde.

Wieder nimmt Victoria einen tiefen Atemzug, doch dieses Mal klingt sie weniger selbstbeherrscht. »Der Dreh von Life Left Behind startet in sieben Wochen. Es war ausgemacht, dass du nächsten Montag nach Belfast reist und dich vor Ort weiter auf die Rolle vorbereitest. Dich in Form bringst. Das Letzte, was du jetzt machen solltest, ist eine Kreuzfahrt auf einem Party-Schiff. Hast du komplett den Verstand verloren?«

Ich kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken, weil sie mir bestimmt gern einen richtigen Anschiss verpassen würde. Aber da sie von mir bezahlt wird, muss sie sich zwangsläufig zusammenreißen. Ich wünschte, die Leute wären mir gegenüber nur ein einziges Mal wirklich ehrlich. Dann würde ich sie mehr respektieren.

»Ich bin so klar bei Verstand wie schon lange nicht mehr«, erwidere ich ruhig. »Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber die Tickets sind schon bezahlt. Ich habe für alle Fälle meine Bodyguards dabei. Du wirst allerdings davon absehen, sie zu belästigen und als deine kleinen Spione einzuspannen, damit sie dir verraten, ob Callan auch schön brav bleibt. Sie mögen mich mehr als das Bonus-Geld, das du ihnen zahlen könntest. Nur ein einziger Versuch und du bist gefeuert, ist das klar?«

Für einen Moment ist es am anderen Ende still. Bestimmt überlegt Victoria gerade, ob es jetzt Zeit zum Durchdrehen ist oder ob sie die letzten Reste ihrer Fassung noch ein wenig länger zusammenhalten kann.

»Callan«, setzt sie an, auf diese pseudo-verständnisvolle Art, die leicht zu durchschauen ist. »Ich habe keine Ahnung, was gerade bei dir los ist und wieso du diesen Scheiß machst, aber wenn du Hilfe brauchst, besorgen wir dir einen Therapeuten. Himmel, von mir aus kannst du mit zehn von denen reden, falls es dir was bringt.«

Die Therapeuten würden ein paar anderen Leuten in meinem Umfeld auch ganz guttun, aber natürlich wird das immer nur mir ans Herz gelegt. Weil ich es bin, der auf Teufel komm raus funktionieren muss. Manchmal glaube ich, es geht nur darum, für die Gesellschaft zu funktionieren. Nicht darum, sich besser zu fühlen.

»Ich brauche keinen Seelendoktor, sondern Urlaub«, antworte ich. »In den letzten Jahren habe ich bis zum Umfallen gearbeitet und jeden noch so unnötigen Mist mitgemacht, also wird man mir jetzt wohl mal eine Kreuzfahrt gönnen. Sieh es positiv: An Bord des Schiffs werden vermutlich keine Paparazzi sein, die jeden Fehltritt festhalten und ihn an die Presse verkaufen. Vor ein paar Wochen wolltest du doch noch unbedingt, dass ich erst mal unter dem Radar bleibe. Dafür ist dieser Urlaub die perfekte Lösung.«

Zumindest bin ich zu diesem Schluss gekommen, als ich nach der letzten Presse-Tour drei Tage lang an Bord der Ocean Heart war. Ein paar Gäste haben mich zwar erkannt und wollten Autogramme, aber es war weit und breit kein Paparazzo zu sehen und das Personal war wunderbar diskret. Das ist genau das, was ich brauche.

»Wenn du Urlaub machen willst, buchen wir dir eine Suite in irgendeinem abgelegenen Luxus-Resort am anderen Ende der Welt, dann hast du deine Ruhe«, schlägt Victoria vor, und ich muss mich beherrschen, um angesichts ihrer schlecht geheuchelten Verzweiflung nicht in Gelächter auszubrechen. »Das Letzte, was du nach deinen Fehltritten brauchst, sind mehrere Wochen Aufenthalt auf einem Party-Schiff. Reiß dich zusammen!«

»Es ist kein Party-Schiff«, widerspreche ich. »Und nur, weil da ständig Partys stattfinden, heißt das nicht, dass man auch hingehen muss.«

Gorans empörtes Schnauben dringt vom Rücksitz zu mir nach vorn. Er nimmt es mir wohl immer noch übel, dass ich ihn an einem der Abende auf der Ocean Heart tatsächlich zu einer Party geschleppt und dort die Nacht zum Tag gemacht habe. Im Gegensatz zu mir erinnert er sich bestimmt an jede ehrenlose Einzelheit.

»Callan, das ist mein Ernst!«, ruft Victoria aufgebracht, was wohl bedeutet, dass ihre Selbstbeherrschung jetzt endgültig Geschichte ist. »Du kannst nicht einfach für mehr als einen Monat verschwinden! Was ist mit deinen Terminen? Deinem Training? Du hast einen Vertrag für diesen Film unterschrieben. Wenn du nicht auftauchst –«

»Ich werde auftauchen«, falle ich ihr ins Wort. »Am Set. In sieben Wochen. Genauso, wie es im Vertrag steht. Und das Schiff hat ein Fitnessstudio, also musst du dir wegen meiner Form nicht in die Hosen machen. Organisier mir jemanden, der mein Training überwacht, dann komme ich klar. Die anderen Termine kannst du absagen. Talkshows. Die Convention. Fernsehauftritte. Interviews. Den Scheiß braucht sowieso niemand, bevor der Film abgedreht ist. Alles, was ich denen erzählen würde, habe ich schon oft genug in einem anderen Format abgespult. Wenn die Leute was über mich wissen wollen, können sie ja das Internet durchforsten, da finden sie heutzutage sowieso alles.«

»Und wie soll ich deine Absagen begründen?«, ruft Victoria empört. »Soll ich allen sagen, dass du lieber in Norwegen rumschipperst, als deinen Pflichten nachzukommen, obwohl dein Ruf gerade nicht der Beste ist?«

Ich umklammere das Handy fester. »Du kannst denen sagen, was auch immer du willst. Dass ich Zeit brauche, um mich auf meine Rolle vorzubereiten und den Text zu lernen. Dass ich Inspiration dafür suche. Ist mir ganz egal.«

Wieder herrscht eine lange Pause, bevor meiner Managerin ein theatralischer Seufzer entfährt, sodass ich mich langsam ernsthaft frage, wer von uns beiden eigentlich schauspielert. »Was ist los mit dir, Callan? Du bist seit ein paar Wochen wie ausgewechselt.«

»Bin ich nicht«, protestiere ich. »Ich war schon immer so. Du hast diese Seite von mir bisher nur nicht kennengelernt.«

Jahrelang war ich ihr braver Schauspiel-Klient, der alles getan hat, was sie von ihm wollte. Aber darauf habe ich keine Lust mehr, und daran wird sie sich gewöhnen müssen.

»Lass uns darüber reden. Wir finden eine Lösung für –«

»Wenn die Lösung darin besteht, dass wir weitermachen wie bisher, dann lautet die Antwort nein«, verdeutliche ich. »Und jetzt entschuldige mich, wir sind bald da.«

»Callan! Ich erwarte regelmäßige Updates, ganz egal von wem! Außerdem wirst du dich von ausschweifenden Partys und neuen Skandalen fernhalten. Ich meine es ernst, ich –«

Bevor mir das Ohr abfällt, drücke ich sie weg. Die Predigt hätte sie sonst bis morgen fortgesetzt. Achte auf deine Figur. Halte deine Trainingszeiten ein. Nimm Videos für deine Fans auf. Verhalte dich vorbildlich. Sieh zu, dass du genug Schlaf bekommst. Unterrichte mich über jeden einzelnen verdammten Schritt, den du auf und abseits von diesem Schiff tust. Langsam sollte sie kapiert haben, dass ich genau weiß, was sie von mir will. Und dass ich es leid bin, ihr das zu geben.

Ich straffe meine Schultern, setze ein falsches Lächeln auf und grinse in den Rückspiegel, während die anderen mich skeptisch beobachten.

»Das hätten wir geklärt«, sage ich zufrieden.

Simon wirkt, als würde der Imperiale Marsch immer noch durch das Taxi schallen. »Bist du sicher, dass das Ganze eine gute Idee ist? Wenn du wen zum Reden brauchst –«

Er wird von dem Klingelton meines Handys unterbrochen. Ein Blick auf das Display verrät mir, wer stört. Meine Mutter. Wer sonst. Genau wie meine Managerin wird sie mich so lange belästigen, bis ich endlich antworte, und wenn ich es nicht tue, wird sie Victoria belagern. Wahrscheinlich hat sie das sowieso schon getan, sonst würde sie mich nicht alle paar Minuten anrufen.

»Ich komme klar«, antworte ich, bevor ich den Anruf annehme. »Mum. Wie schön, dass du dich meldest. Tu mir einen Gefallen und lass das bleiben, sonst muss ich dich und die anderen blockieren.«

»Blockieren?«, ruft meine Mutter empört. »Victoria hat uns erzählt, was du –«

»Okay, machen wir es kurz: Ja, es stimmt. Ich werde in den nächsten Wochen nicht im Land sein. Und auch nicht in Nordirland. Es kümmert mich nicht, was ihr davon haltet, weil ihr mich nicht von dieser Reise abbringen werdet, ganz egal, wie oft ihr es noch versucht. Spar dir also den Atem und nutze ihn für was anderes. Dir fällt sicher was ein, das teuer und elitär ist.«

Ich lege auf, bevor sie etwas erwidern kann. Bevor sie sagt, dass sie meine Mutter ist. Als wüsste ich das nicht. Manchmal fällt es mir nur schwer, das zu glauben, weil sie sich eher wie meine Managerin verhält. Kein Wunder, dass sie sich blendend mit Victoria versteht.

Obwohl ich es ursprünglich anlassen wollte, falls noch ein Update zu unserer Reise kommt, fasse ich mir endlich ein Herz und schalte das Handy stumm. Der Impuls, es aus dem Fenster zu werfen, ist immer noch da. Statt dem nachzugeben, starre ich jedoch nach draußen und sehe dabei zu, wie die Straßenschilder an uns vorbeiziehen.

»Alles in Ordnung?«, fragt Mia vorsichtig.

Sie kennt mich eindeutig zu gut, genau wie die anderen beiden. Eine fremde Person würde nie bemerken, dass es mir mies geht. Der Taxifahrer hält mich wahrscheinlich für einen herzlosen, reichen Eisklotz, der seine Familie und die Leute, die für ihn arbeiten, wie den letzten Dreck behandelt. Vielleicht rennt er mit der Story ja zur Presse oder gibt sie heute Abend in der Kneipe zum Besten. Meinetwegen soll er das tun, ich werde ihm mein Verhalten jedenfalls nicht erklären. In den letzten Jahren haben die Leute da draußen schon zu viel von mir bekommen. Dabei haben sie kein Anrecht auf mein Seelenleben. Das gehört ganz allein mir, auch wenn man mich deshalb für einen rücksichtslosen Arsch hält. In meiner Welt ist man mit dieser Art von Image besser bedient, als wenn man Schwäche zeigt.

»Alles bestens«, sage ich zu meinen Freunden. »Je eher wir an Bord des Schiffs sind, desto besser.«

KAPITEL 3

Kostüm

Gemma

»Alles gut bei dir?«

Isla beobachtet mich von ihrem Bett aus, wo sie gerade ein Kreuzworträtsel löst. Meine roten Augen sind ihr sicher nicht entgangen, als ich vorhin zurückgekommen bin. Bisher habe ich es vermieden, meine Zimmerkolleginnen in meine Familiensituation einzuweihen. Aber seit Carey vor wenigen Wochen gefeuert wurde, sind Isla und ich allein in dieser kleinen, fensterlosen Kabine, und es kommt mir vor, als müsste ich gesprächiger sein. Eigentlich reden wir viel miteinander, aber bisher habe ich nie meine eigenen Probleme angesprochen, sondern so getan, als wäre alles in Ordnung.

Akzeptieren, runterschlucken, weitermachen.

Durch jammern hat noch nie jemand etwas Bedeutungsvolles erreicht, hat meine frühere Trainerin immer gesagt. Sie hat ständig so einen Mist geredet, und ich hasse es, wie oft sich ihre Lektionen als richtig herausgestellt haben. Unangenehme, herzlose Ratschläge sollten sich nicht bewahrheiten.

»Familienangelegenheiten«, erwidere ich nur und versuche gefasst zu wirken. »Es wird schon wieder.«

»Vermissen sie dich immer noch so sehr?«

Ich schlucke. »Ja, ziemlich. Aber sie müssen damit klarkommen. Genau wie ich.«

Meine Schwestern haben geweint, als wir uns vorhin verabschiedet haben. Ich musste mich echt zusammenreißen, damit ich meine eigenen Tränen erst danach zulasse. Vor anderen tue ich immer so, als wäre alles okay, um niemanden mit meinen Problemen zu belasten. Ganz egal, wie schlecht ich mich selbst in dem Moment fühle. Das habe ich wohl von Mum. Aber meine Schwestern sollen nicht sehen, wie schwer es mir fällt, von ihnen getrennt zu sein. Wenn sie es wüssten, würden sie noch mehr versuchen, mich zum Bleiben zu überreden. Dann hätten sie bestimmt sogar Erfolg damit, und das kann ich nicht zulassen. Sie müssen glauben, dass ich das hier will.

»Wolltest du deine Familie nicht sehen?«, frage ich Isla, um von mir abzulenken.

Sie lächelt zynisch. »Ich glaube, die wollen viel eher mich nicht sehen. Zumindest meine Eltern.«

»Warum?«

»Weil ich zuletzt nicht die Tochter war, die sie sich wünschen.«

»Und deshalb wollen sie dich nicht sehen?«, frage ich skeptisch. »Ich war schon oft eine echt miese Tochter, aber meine Mum hat trotzdem immer zu mir gehalten. Dafür ist Familie doch da.«

Sie seufzt. »Ich wünschte, sie könnten dich jetzt hören und würden dir glauben.«

»Soll ich sie mal anrufen und ihnen die Meinung geigen?«, schlage ich vor. »Das kann ich nämlich gut. Im Fitnessstudio nutze ich manchmal diesen Trainerinnen-Befehlston, um Leute an den Geräten davor zu retten, sich ernsthaft zu verletzen.«

»Funktioniert der auch, um sie davon abzuhalten, andere zu verletzen?«, erwidert Isla.

Ihre Frage ist wie ein Schlag in die Magengrube, weil sie unendlich resigniert klingt. Verdammt, sie tut mir gerade echt leid. Ihre Familie muss ihr übel mitgespielt haben. Wir hatten es zu Hause zwar nie leicht, aber wenigstens haben wir immer zusammengehalten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Isla irgendwas getan hat, was so schlimm ist, dass es das Verhalten ihrer Eltern rechtfertigen würde.

»Leute, die dich verletzen, verdienen dich nicht«, sage ich zu ihr. »Die sollten sich lieber nicht in meine Nähe trauen, sonst falte ich sie zusammen.«

Ich lasse ein wenig meinen Bizeps spielen, was Isla zum Lächeln bringt.

»Das würde ich gern sehen.«

»Jederzeit.«

Ich gehe zu meinem Bett, schnappe mir den braunen Stoffbären mit Hut, den Rose mir vor meiner ersten Abreise aus England als Erinnerung an zu Hause mitgegeben hat, und setze ihn neben Isla ab. Sie nimmt ihn und drückt ihn fest an sich.

»Danke«, murmelt sie. »Bear Chylls ist der Beste.«

Ich verziehe die Lippen zu einem schiefen Grinsen. »Wie sein Namensvetter Bear Grylls hat er schon einige Widrigkeiten überlebt. Und wenn ein Bär das kann, kriegen wir das auch hin.«

Jedenfalls rede ich mir das oft genug ein. Hoffentlich kann ich es dann irgendwann auch selbst glauben.

Auf meinem Weg zum Fitnessstudio begegnen mir heute mehr Leute als sonst. In Southampton haben viele Passagiere das Schiff verlassen, während einige neue Gäste zugestiegen sind, die jetzt größtenteils verloren durch die Gänge irren. Man sieht, dass sie neu hier sind, weil sie überall stehen bleiben und mit offenem Mund das Innendesign der Ocean Heart bestaunen. Sie bewundern die edlen Kristallkronleuchter, die schwarz-goldenen Tapeten im Art-Déco-Stil, die geschmackvollen Sitzmöbel, die Metallic-Akzente der Deko und all das, was für mich schon ein Stück weit Alltag geworden ist.

Bisher tragen kaum Passagiere die Mode der Goldenen Zwanziger, aber spätestens heute Abend wird sich das ändern. Ich trauere immer noch ein wenig, weil ich nicht so ein cooles Kostüm bekommen habe wie Carey. Ihre Arbeitskleidung war ein goldenes, glitzerndes Charlestonkleid, das ihr hervorragend gestanden und sie regelrecht zum Leuchten gebracht hat. Früher, als ich noch Wettbewerbe gelaufen bin, hatte ich auch solche schimmernden Kleider. Manches aus dieser Zeit werde ich wohl immer vermissen.

Als ich im Fitnessstudio ankomme, sind außer mir nur zwei Kollegen dort. Viktor, einer der anderen Trainer, der gerade die Funktion der Laufbänder testet, und Caleb, der uns heute die Pläne aushändigt.

»Wie immer eine der Ersten«, begrüßt er mich grinsend und blättert in seinen Unterlagen, auf der Suche nach denen mit meinem Namen.

»Pünktlich zu meiner Frühschicht im Studio«, erwidere ich. »Oder darf ich die ab jetzt nicht mehr übernehmen?«

»Doch, doch. Aber vielleicht auf eine etwas andere Weise, als du denkst.«

Calebs Worte sorgen dafür, dass ich ihm den Plan mit meinen Arbeitszeiten regelrecht aus der Hand reiße.

Ich werfe einen Blick darauf. Heute bin ich ganz normal im Studio eingeteilt, aber ab morgen befindet sich neben all meinen morgendlichen Schichten ein Vermerk.

»Wieso steht da überall Unter Vorbehalt?«, will ich wissen. »Und warum gebe ich keine Kurse mehr?«

In den letzten Wochen habe ich nicht nur die Gäste im Studio beaufsichtigt, sondern unter anderem auch Ballett-Trainingseinheiten geleitet und Yoga-Kurse gegeben. Darauf würde ich eigentlich ungern verzichten.

Caleb rückt seine Crew-Kappe zurecht. »Weil du sozusagen auf Abruf bist. Deine Schichten im Studio trittst du ganz normal an und manchmal übernimmst du auch noch einen Kurs, aber in den nächsten fünf Wochen wirst du vor allem für einen einzelnen Gast zuständig sein und dich nach ihm richten.«

Ich runzle die Stirn. »Was soll das heißen? Welcher Gast denn?«

»Wir haben einen Schauspieler an Bord«, meint er. »Der will sich hier auf seine nächste Rolle vorbereiten, deshalb braucht er eine Personal Trainerin an seiner Seite, die ihn bei seinen Einheiten unterstützt. Wir haben die Anweisung, sein Training unter allen Umständen zu priorisieren. Dafür zahlen die extra.«

»Die?«, hake ich nach.

»Die Produktionsfirma. Sein Management. Ich weiß es nicht genau. Du bekommst auf jeden Fall einen Bonus. Der Personal Trainer, mit dem er sonst arbeitet, hat einen genauen Plan zusammengestellt, der auf ihn abgestimmt ist. Du musst bloß dafür sorgen, dass der Typ sich daran hält.«

»Warum soll ausgerechnet ich das machen? Also nicht, dass ich mich über mehr Lohn beschweren würde. Aber es wundert mich.«

Caleb zuckt mit den Schultern. »Die haben so eine Art Background-Check gemacht, soweit ich weiß. Vielleicht aus Sicherheitsgründen, keine Ahnung. Jedenfalls haben sie rausbekommen, dass dein Vater mal Athleten trainiert hat und dass du selbst Sportlerin warst. Fanden sie wohl gut. Herzlichen Glückwunsch, Grant.«

Bei seinen Worten sticht etwas in meiner Brust. Also wird diese zweifelhafte Ehre mir nur deshalb zuteil, weil die herausgefunden haben, dass mein Dad mal Olympioniken trainiert hat. Durch ihn und seine ganzen Unterlagen, die er mir nach seinem Tod hinterlassen hat, habe ich viel gelernt. Trotzdem hasse ich es, wenn ich eine Chance allein wegen seiner Leistungen bekomme. Ich habe ihn nie irgendwo erwähnt, sondern mir alles selbst erarbeitet. Dachte ich zumindest.

»Ist das wirklich etwas, zu dem man mich beglückwünschen sollte?«, frage ich zögerlich. »Klingt ein bisschen merkwürdig, dass ich für einen einzigen Gast ständig auf Abruf bereitstehen soll.«

»Ach, das ist alles nur theoretisch«, behauptet Caleb. »Ihr habt morgens eine längere Trainingseinheit und manchmal nachmittags. Alles fest und geordnet. Wenn der Typ diszipliniert ist, wird er sich auch daran halten. Aber wenn er zum Beispiel das Konditionstraining nach draußen verlegen und irgendwelche Wanderwege in Norwegen entlanglaufen will, ist das quasi eine Dienstanweisung.«

Ich rolle mit den Augen. »Großartig.«

Caleb scheint die Vorstellung gar nicht so unangenehm zu finden. »Sieh es positiv: Du kommst vielleicht während der Arbeit mal vom Schiff runter.«

»Dafür bin ich die Dienerin von einem Star«, murre ich. »Hat der Kerl auch einen Namen? Kenne ich ihn?«

»Kann sein. Er heißt Callan King.«

Ich denke kurz nach, aber mir will kein Gesicht dazu einfallen. »Nie gehört. Sicher, dass er ein Promi ist?«

»Glaube schon, aber mir sagt der Name auch nichts. Liegt bestimmt daran, dass er in deinem Alter sein soll. Dagegen bin ich von vorgestern.«

»Du bist Ende dreißig«, erinnere ich ihn. »Ist jetzt nicht gerade alt.«

Caleb lacht. »Warte mal ab, bis dein Rücken beim Aufstehen wehtut, dann denkst du anders.«

Ich stemme eine Hand auf die Hüfte. »Du musst deine Rückenmuskulatur gezielter trainieren und auf deine Haltung achten, dann hört das auf.«

»Da sagst du mir nichts Neues«, seufzt er.

Bevor ich ihm noch mehr Tipps geben kann, die er nicht hören will, tauchen Paula und Sarah auf. Sie begrüßen uns gut gelaunt, bevor sie Caleb nach ihren Einteilungen fragen. Ich beschließe, erst mal nichts von meinem unverhofften Auftrag zu erzählen, und sehe mir in einer ruhigen Ecke den Trainingsplan von Callan King an.

Eigentlich ist diese Gelegenheit echt toll, weil sie mir zusätzliches Geld und vielleicht sogar etwas Prestige bringt. Genau das, was ich gerade brauche. Aber einen Prominenten auf diesem Schiff betreuen? Hoffentlich ist der nicht so ein abgehobener Typ, der denkt, man müsste ihm die Welt zu Füßen legen. Ich bin ziemlich schlecht darin, mit solchen Menschen umzugehen.

Laut Plan ist Callan King fast jeden Morgen mit mir im Studio. Nur sonntags hat er frei und schont sich. An genau diesem Tag bin ich auch nicht bei der Arbeit, was sicher kein Zufall ist.

Normalerweise haben Leute, die auf Kreuzfahrtschiffen arbeiten, so gut wie nie freie Tage, aber auf diesem ist das zum Glück anders. Ich bin sogar in einer noch glücklicheren Position als die meisten anderen hier auf der Ocean Heart, weil ich jede Woche einen freien Tag habe, statt nur hin und wieder einen. Den werde ich nutzen, um mir die norwegische Landschaft anzusehen. Die einzigen Male, bei denen ich in den letzten Jahren verreist bin, waren die Wochen, in denen ich zu internationalen Wettbewerben musste. Aber ich habe nur selten mehr als die Eishalle von diesen Orten gesehen. Jetzt wird das hoffentlich anders, und darauf freue ich mich.

KAPITEL 4

Kulisse

Callan

Schwer zu sagen, was in diesem Moment lauter ist: das Dröhnen in meinem Kopf oder das Klopfen an meiner Tür. Verdammt, habe ich gestern Nacht etwa vergessen, das Bitte-Nicht-Stören-Schild an der Kabinentür anzubringen? Ich dachte, das Zimmerpersonal auf diesem Schiff müsste man aus ökologischen Gründen extra anfordern, wenn man will, dass sauber gemacht wird.

Stöhnend wälze ich mich in dem übergroßen Bett umher und versuche die Störung zu ignorieren. Leider gleicht das Klopfen inzwischen einem Hämmern, was bedeutet, die Person da draußen meint es verflucht ernst.

»Mach endlich die Tür auf!«, ruft Goran von draußen. »Ich weiß genau, dass du mich hören kannst!«

Ah, es ist der personifizierte Ernst.

Am liebsten würde ich ihn ignorieren, aber Goran ist der geduldigste Mensch der Welt. Zusammen mit seiner Beharrlichkeit ergibt das eine denkbar schlechte Kombination für mich. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass er diese Kabinentür im Notfall nicht nur eintreten könnte, sondern es auch würde. Also gebe ich nach und steige aus dem Bett.

Halb benommen taumele ich zur Tür, wobei sich die exklusive, edle Kabine um mich dreht. Okay, das waren gestern vielleicht ein paar Gin zu viel. Sicherheitshalber werfe ich einen Blick über die Schulter, aber zum Glück finde ich keine nackte Frau in meinem Bett. Kein One-Night-Stand, den ich heute Morgen bereuen muss.

Sobald ich die Tür geöffnet habe und Goran abwartend mustere, verzieht er das Gesicht. Wenn ein fast zwei Meter großer, muskelbepackter Hüne einen so grimmig anschaut, fühlt man sich plötzlich merklich kleiner.

»Scheiße, du riechst wie eine Minibar.« Er wedelt mit der Hand vor seiner Nase. »Dabei hast du nicht mal den Mund aufgemacht.«

»Es ist auch schön, dich zu sehen«, begrüße ich ihn zynisch und versuche meine Kopfschmerzen halbwegs würdevoll zu ertragen. »Was willst du?«

»Dich aufwecken«, sagt er unverblümt und sieht mich dabei an. »In ein paar Minuten musst du beim Training sein, schon vergessen?«

Einige Sekunden lang starre ich ihn wortlos an, als hätte er eine fremde Sprache gesprochen. Theoretisch könnte er das, immerhin beherrscht er fließend Kroatisch, aber seine Muttersprache kommt in meiner Nähe nur zum Einsatz, wenn er wirklich sauer ist. Den Punkt scheinen wir noch nicht erreicht zu haben.

»Guck nicht wie ein Auto«, rügt er mich. »Wenn du nicht hingehst, dreht Victoria durch. Du kennst sie doch. Also spring unter die Dusche, zieh dir was an und dann los. Ausnüchtern kannst du danach.«

Normalerweise schätze ich Gorans Direktheit und seinen Pragmatismus, aber nicht, wenn ich den Kater meines Lebens habe und er mich zu Sport zwingen will. Ihm würde so was nie passieren. Er trinkt nur zu besonderen Anlässen, und selbst dann könnte er am nächsten Tag problemlos sein Trainingsprogramm durchziehen.

»Sag denen, dass ich krank bin«, fordere ich und blinzle ein paar Mal. Leider steht er beim dritten Mal immer noch vor meiner Tür.

»Keine Chance«, erwidert Goran. »Wer feiern kann, der kann auch trainieren. Wir haben dich gestern Abend oft genug gewarnt, aber du wolltest ja nicht auf uns hören.«

»Die Musik war sehr laut.«

»Und du sehr beratungsresistent. Komm jetzt, beeil dich. Bestimmt will dein Trainer dich heute sowieso nur kennenlernen, da wird die erste Einheit nicht ganz so hart.«

»Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, murre ich. »Die erste ist immer die schlimmste. Damit wollen sie einen brechen.«

»Also dich muss heute keiner mehr brechen«, kommentiert er trocken. »Ich wollte eigentlich ein bisschen Optimismus verbreiten, aber du machst es einem wie immer schwer.«

Ich lache. »Du weißt gar nicht, was Optimismus ist, mein Lieber. Bei dir gibts nur kalten, trostlosen Realismus.«

Auf seine Lippen schleicht sich ein Lächeln, das seine Miene weich werden lässt. »Manchmal ist die Realität auch ganz nett.«

Ich muss gar nicht fragen, warum er jetzt vor sich hin grinst. Sicher denkt er gerade an seine Frau und seine kleine Tochter. Goran ist so ziemlich der bodenständigste Typ, den ich je getroffen habe. Fünfundzwanzig Jahre alt, seit zwei Jahren Vater, noch immer mit seiner ersten Freundin zusammen und schwer verliebt. Ich konnte gar nicht anders, als ihm im letzten Jahr die Traumhochzeit in seiner Heimat zu spendieren. Obwohl er wegen meines Lebensstils oft länger von seiner Familie getrennt ist, beschwert er sich trotz seiner Sehnsucht nach ihr nie. Es ist eine besondere Erfahrung, die drei zusammen zu erleben. Da weiß ich jedes Mal sofort, was mir immer gefehlt hat. Und wenn ich sehe, wie Goran das alles meistert, wird mir klar, dass ich ein verwöhnter Mistkerl bin, der dringend seinen Arsch hochkriegen sollte.

Mir entfährt ein gedehnter Seufzer. »Okay, ich mache mich fertig. Du bist ein viel zu gutes Vorbild, weißt du das?«

Er zuckt mit den Schultern. »Einer muss es ja sein.«

Ziemlich traurig, dass der erste positive Einfluss meines Lebens mein nur ein Jahr älterer Bodyguard ist. Ich schätze, man kann sich seine Vorbilder nicht immer aussuchen.

Während Goran vor der Tür wartet, marschiere ich ins dunkel geflieste Bad, wo ich mich unter die Dusche stelle und vom eiskalten Wasser wecken lasse. Danach sind die Kopfschmerzen zwar immer noch da, aber wenigstens fühle ich mich nicht mehr, als wäre ich durch die Schiffsschrauben gedreht worden.

Der Blick in den Spiegel verrät mir, dass die Nacht zu kurz war. Bei diesen Augenringen würden die Maskenbildner am Set Schnappatmung kriegen und mir sofort ihre goldenen Wunder-Pads unter die Augen kleben. Wahrscheinlich würden sie mir auch gleich noch den Haaransatz aufhellen, wo inzwischen wieder das natürliche Dunkelblond durchkommt, und dann die Spitzen schneiden, damit meine Frisur kinn- statt schulterlang ist. Sie lieben den Look des strahlenden Sunnyboys, und auch wenn ich mich damit ziemlich attraktiv finde, könnte ich manchmal auf die Blondierung verzichten. Da es aber leider zu meinem Markenzeichen geworden ist, habe ich mich mit dem Style abgefunden.

Sobald ich mich abgetrocknet habe, binde ich mein Haar zusammen, schlüpfe in eine schwarze Trainingshose und ziehe mir ein schlichtes, graues Shirt an. Es wird wohl keiner von mir erwarten, dass ich frühmorgens im Zwanzigerjahre-Outfit ins Fitnessstudio spaziere.

Zwei Minuten später verlasse ich halbwegs lebendig meine Kabine. Goran hat inzwischen Gesellschaft von Mia und Simon bekommen, die ebenfalls Sportkleidung tragen. Ihre Blicke gleiten an mir herab, als würden sie Gollum dabei beobachten, wie er gerade aus seiner Höhle kriecht.

»Hast schon mal besser ausgesehen«, meint Simon.

Ich werfe ihm ein zynisches Lächeln zu. »Du weißt ja, als mein Stuntdouble musst du dich an mich anpassen.«

»So dicht ist die Kamera auch nicht an mir dran. Mir reicht’s, wenn ich hin und wieder meine Haare blond färben muss. Deine Augenringe kannst du behalten.«

Im Moment ist sein Haar zwar genauso lang wie meins, aber auch er ist nicht von Natur aus so blond. Wahrscheinlich könnte Simon beim Dreh auch einfach eine Perücke tragen, aber er nimmt seine Arbeit als mein Stunt- und gelegentliches Alltagsdouble sehr ernst.

Mia betrachtet mich kopfschüttelnd. »Dein Trainer wird dich hassen, wenn du jeden Abend so Party machst wie gestern.«

»Davon muss er ja nichts erfahren«, erwidere ich mit einem schiefen Grinsen.

»Du denkst, er bekommt das nur mit, wenn wir ihm davon erzählen?«, fragt sie zweifelnd. »Hast du dich mal im Spiegel angeguckt?«

Ich seufze. »Ihr seid heute Morgen echt glänzend aufgelegt.«

Mia lacht. »Wir sind eben nicht hier, um dir Fake-Komplimente zu machen. Anhimmeln lassen kannst du dich woanders.«

Obwohl ich gern beleidigt wäre, muss ich auch lachen. Schon seltsam, dass diese drei sich mehr nach Familie anfühlen als meine echte. Dabei arbeiten zwei von ihnen für mich.

»Lasst uns gehen«, sage ich. »Bevor ihr mein Selbstbewusstsein auf den Meeresgrund befördert.«

»Wir halten dich auf dem Boden«, meint Goran. »Irgendwer muss dem Superstar schließlich zeigen, dass er sich den Arsch auch nur mit Klopapier abwischt.«

»Bist du sicher?«, frage ich. »Vielleicht benutze ich ja Geldscheine.«

Simon stöhnt auf. »Heb dir dieses Abgehobener-Promi-Ding für die Paparazzi auf. Uns kriegst du damit jedenfalls nicht. Du würdest dich nicht mal über einlagiges Recycling-Klopapier beschweren. Und das Zeug reißt, wenn es nur einen einzigen Tropfen Wasser abbekommt.«

»Du tust ja gerade so, als wäre das eine besondere Leistung, die ich mir irgendwo anrechnen lassen könnte«, murre ich.

Er schnaubt. »Siehst du, da macht man dir einmal ein Kompliment und dann passt es dir auch nicht.«

Ich starre ihn ungläubig an. »Das soll ein Kompliment gewesen sein? Du würdest dich nicht mal über recyceltes Klopapier beschweren? Gott, Simon, langsam verstehe ich, wieso du Single bist. Mit solchen Sprüchen beeindruckst du keine Frau, das garantiere ich dir.«

Er zuckt mit den Achseln. »Dann lasse ich mich eben aufreißen. Das nennt man Feminismus.«

Ich lache. »Feminismus ist auch, wenn Typen wie wir einsam sterben, weil Frauen nicht länger gezwungen sind, es mit uns auszuhalten.«

Dafür, dass das Fitnessstudio sich auf einem Kreuzfahrtschiff befindet, ist es erstaunlich gut ausgestattet. Die Geräte wirken richtig modern, fast wie in meinem Lieblingsstudio in London. Die Kulisse ist allerdings eine ganz andere. Der Boden ist komplett schwarz und es befinden sich feine Glitzerpartikel darin, sodass er ziemlich edel wirkt. Dieses Goldene-20er-Ding ziehen sie sogar bei der Deckenbeleuchtung, der Tapete und der Wand-Dekoration durch, weshalb das Studio vielmehr wie ein Club zum Entspannen wirkt.

Gemeinsam mit den anderen durchquere ich den Raum, der um diese Zeit noch fast leer ist. Nur ein paar wirklich verirrte Seelen kommen freiwillig her, um mit dem Sonnenaufgang zu trainieren. Wenn ich nicht müsste, würde ich es definitiv auch nicht tun.

»Mr King?«

Ich drehe mich zur Seite, von der die tiefe, klare Stimme gekommen ist. Sie gehört einer jungen Frau in grauer Sporthose und schwarzem Tanktop, die nur wenige Zentimeter kleiner ist als ich. Ihre beeindruckend muskulösen Arme sind tätowiert, sie trägt einen Nasenring und hat pechschwarzes, kinnlanges Haar. Die weiße Haut und die hellen, blauen Augen bilden einen Kontrast zu ihrer ansonsten eher düsteren, verwegenen Erscheinung.

Sie versucht sich an einem höflichen Lächeln, das ihren Ich-töte-dich-wenn-du-mir-krumm-kommst-Blick allerdings kaum abmildert. Irgendwie finde ich den sowohl einschüchternd als auch heiß. Sie ist auf widersprüchliche Art anziehend. Heute Morgen habe ich dank meines Katers jedoch weder Lust auf heiß noch auf gefährlich.

»Sorry, ich gebe gerade keine Autogramme«, sage ich. »Ich bin im Urlaub.«

Hinter mir seufzt Mia leise, als wäre sie eine Art Verhaltenstrainerin oder die Praktikantin meiner PR-Chefin. Normalerweise nehme ich mir Zeit für Fans, auch wenn sie mich in den unmöglichsten Situationen belagern. Aber nicht hier. Meine Grenzen werden sowieso schon viel zu oft ignoriert.

»Ach wirklich?«, fragt die junge Frau in herausforderndem Tonfall. »Freut mich zu hören, dass Sie unsere Trainingseinheiten als Urlaub sehen, Mr King. Trotzdem könnten Sie in etwas besserer Verfassung hier auftauchen, sonst halten Sie das Programm vielleicht nicht durch.«

Hätte ich gerade was getrunken, hätte ich es klischeemäßig ausgespuckt.

Mir entgeht nicht, dass Mia hinter mir erfolglos versucht, ein Lachen zu unterdrücken, und dass Simon sich räuspert, als müsste er dasselbe tun.

»Unsere Trainingseinheiten?«, wiederhole ich verwirrt.

Die junge Frau verschränkt die Arme vor der Brust, woraufhin ich schnell den Blick von ihrem Ausschnitt abwende. »Richtig. Ich bin Gemma Grant. Die Trainerin, die für Sie zuständig ist. Man hat mir gesagt, ich solle Sie für Ihre nächste Rolle fit machen, und mir dafür einen detaillierten Trainingsplan geschickt. Außerdem hoffe ich, dass Sie Ihren Ernährungsplan einhalten, ich werde Sie nämlich nicht bis zum Restaurant verfolgen und kontrollieren, welche Mahlzeiten Sie zu sich nehmen.«

»Darum kümmern wir uns«, meint Goran gut gelaunt.

Oh, dieser Verräter. Die Situation findet er gerade sicher zum Totlachen.

»Jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern, Alkohol auf dem Plan gesehen zu haben«, kommentiert Grant unbeeindruckt, und Goran grinst, als hätte er ein verlorenes Familienmitglied wiedergefunden.

»Nur, um das noch mal klarzustellen«, sage ich. »Sie sind meine Trainerin auf diesem Schiff?«

»Finden Sie das so schwer zu glauben?«, fragt sie mit gerunzelter Stirn.

»Naja, ehrlich gesagt hätte ich mir meinen Trainer älter vorgestellt. Und –«

»Männlicher?«, unterbricht sie mich. »Keine Angst, ich komme schon mit Ihnen klar. Wenn ich mir Ihren Zustand heute Morgen ansehe, lautet die Frage wohl eher, ob Sie mit mir mithalten können.«

Eigentlich will ich antworten, dass sie mir bloß Anweisungen geben und auf die richtige Ausführung der Übungen achten soll. Aber ich bin so vor den Kopf gestoßen, dass mir kein einziges Wort über die Lippen kommt.

»Was ist los?«, will sie wissen.

»Er ist sprachlos«, springt Mia für mich ein. »Was er nicht sein sollte, wenn man bedenkt, dass er eine Frau als Bodyguard hat.«

»Ich bin nicht sprachlos, weil sie eine Frau ist«, widerspreche ich vehement. »Ich hätte nur nicht erwartet, dass meine Trainerin so …«

»Weiblich ist?«, fragt Grant belustigt.

»… direkt ist.«

»Ah, daran liegt es«, meint sie. »Okay, hören Sie mir zu. Man hat mir erst gestern gesagt, dass ich Sie in den nächsten Wochen betreue. Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind, abgesehen davon, dass Sie schauspielen. Wenn Sie deshalb eine besondere Behandlung von mir erwarten, tut es mir leid, aber die gibts bei mir nicht. Ich bin nur hier, um meine Arbeit zu machen, sonst nichts.«

»Sie wissen nicht, wer ich bin?«, wiederhole ich irritiert.

Sie hebt eine Augenbraue. »Soll ich googeln oder wollen Sie mir Ihren großartigen Lebenslauf gern persönlich erzählen?«

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Irgendetwas an dieser Person reizt mich bis aufs Blut, weil außer meinen Freunden und vielleicht noch Victoria niemand so mit mir redet. Gleichzeitig finde ich das seltsam erfrischend.

»Ich soll Ihnen also glauben, dass Sie nicht die geringste Ahnung haben?«, frage ich provokant.

»Callan«, zischt Mia hinter mir.

»Ist genauso schlimm wie ich, tut aber immer so, als wäre er besser«, kommentiert Simon leise.

Meine Trainerin macht einen Schritt auf mich zu und ihre Miene verfinstert sich dabei. Wenn es nach dem selbstbewussten, einschüchternden Gesichtsausdruck ginge, könnte ich sie auch als Bodyguard einstellen. Allein bei diesem Blick würden alle aufdringlichen Leute sofort die Flucht ergreifen.

»Ist mir ganz egal, was Sie glauben«, sagt sie dann. »Im Ernst, ich werde nur dafür bezahlt, Sie zu trainieren, und nicht dafür, Small Talk mit Ihnen zu halten. Scheint mir sowieso nicht allzu spaßig zu sein, also konzentrieren wir uns lieber auf die ersten Übungen. Wissen Sie, wann Sie Ihre Proteinshakes und die jeweiligen Mahlzeiten zu sich nehmen müssen?«

Ich schlucke, wobei mein Hals auf einmal ziemlich trocken ist.

»Das heißt dann wohl Nein.« Sie seufzt. »Hören Sie, ich will, dass das Ganze ein Erfolg wird, also reißen Sie sich bitte zusammen. Wenigstens für die Dauer des Trainings.«

Wenn Victoria mitbekäme, wie sie mit mir redet, würde sie Grant sicher sofort ersetzen lassen. Oder sie würde denken, dass ich jemanden wie sie brauche, damit mir mal irgendwer in den Arsch tritt. Es wird wohl einen guten Grund dafür geben, warum sie ausgerechnet diese junge Frau ausgesucht haben, obwohl hier bestimmt andere mit mehr Berufserfahrung arbeiten.

»Tun Sie mir einen Gefallen und googeln Sie mich nicht, falls Sie wirklich keine Ahnung haben«, sage ich schließlich. »Und nennen Sie mich Callan. Wir müssen nicht förmlich sein.«

Zuerst starrt sie mich skeptisch an, als würde sie mir nicht abkaufen, dass ich keine Sonderbehandlung will. Dann wird ihre Haltung etwas lockerer.

»Okay. Dann nenn mich Gemma.«

»Freut mich sehr, Gemma.«

»Sollte ein Schauspieler nicht besser lügen können?«, fragt sie amüsiert.

Ich grinse ertappt. »Das liegt weniger an dir, sondern vielmehr an der Tatsache, dass du mich ab jetzt regelmäßig fertigmachen wirst.«

Sie lacht. »Tja, das tut mir gar nicht leid, immerhin ist das mein Job. Nach den nächsten beiden Stunden wirst du mich garantiert noch mehr hassen als jetzt.«

Sie sagt das in einem lockeren Tonfall, aber es klingt wie ein Versprechen.

Das Absurde an der ganzen Sache ist, dass sie mir irgendwie sympathisch ist. Sie wirkt direkt und zielstrebig, und die anderen scheinen sie offenbar auch schon zu mögen. Aber abgesehen von meinen Freunden will ich niemanden sehen lassen, was für ein Mensch sich hinter der Star-Fassade verbirgt. Deshalb werde ich mein Image aufrechterhalten und meiner Trainerin keinen Einblick in meine echte Persönlichkeit geben. Die Leute bekommen von mir nur noch genau das, was ich ihnen zeige. Das gilt auch für Gemma Grant.

KAPITEL 5

Training

Gemma

Dafür, dass Callan King eine so große Klappe hat, geht ihm ganz schön schnell die Puste aus. Während seine Leute sich ihrem eigenen Training widmen und ihn dabei im Auge behalten, achte ich darauf, dass er sein funktionelles Training richtig durchzieht.

Heute konzentrieren wir uns vor allem auf seinen Oberkörper und seine Arme. Ich muss zugeben, dass seine Katerstimmung nicht darüber hinwegtäuschen kann, wie toll er in Form ist. Seine Armmuskulatur ist beeindruckend, und sobald sein schweißgetränktes Shirt an seinem Oberkörper klebt, zeichnet sich dort ein Sixpack ab. Wenn er in den nächsten Wochen allerdings weiter Party macht, wird seine Form darunter leiden. Ein bisschen mehr Disziplin täte ihm gut, auch wenn er das hier scheinbar als Urlaub sieht. Und obwohl sein Surfer-Look ganz nett anzusehen ist, finde ich ihn schon jetzt unausstehlich.

Nachdem er die letzten Squats für heute geschafft hat, gönne ich ihm eine Pause, damit er Wasser trinken kann. Während ihm der Schweiß von der Stirn perlt, schnappt er ganz schön nach Luft.

»Schon müde?«, frage ich provokant.

King atmet angestrengt aus und verzieht die Lippen zu einem schiefen Lächeln. »Die Frage fällt einem sicher leicht, wenn man die Übungen nicht selbst machen muss.«

Ich hebe die Augenbrauen. »Denkst du, ich würde das Training nicht schaffen?«

»Ich denke, du bist eine Sadistin, die andere gern fertigmacht.«

Mit einem Schnauben gehe ich neben ihm in Position und schaue ihn an. »Dann sieh mal zu, wie das geht.«

In den nächsten Minuten ziehe ich dieselbe kurze Trainingsroutine durch, die ich für ihn vorgesehen habe, und gebe dabei keinen einzigen Ton von mir, so als wäre die Übung ein Spaziergang für mich. Danach stemme ich die Hände auf meine Hüften und baue mich vor King auf, während er immer noch auf dem Boden hockt.

»Siehst du? Kein Problem.«

»Du hast ja auch nicht all die Übungen davor gemacht«, beschwert er sich.