Off Limits - Wenn ich von dir träume - Penelope Ward - E-Book

Off Limits - Wenn ich von dir träume E-Book

Penelope Ward

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Beschreibung

Reich, arrogant und verboten!

Heather tut alles, um sich und ihre kranke Mutter über Wasser zu halten. Sie geht kellnern und vermietet zusätzlich das Bootshaus ihrer Familie an Sommergäste, um ihr Einkommen aufzubessern. Als im Sommer Noah Cavallari einzieht, ändert sich ihr Leben schlagartig, Noah ist sexy, arrogant und absolut verboten - und doch kann Heather sich nicht von ihm fernhalten ...

"OFF LIMITS ist so emotional wie humorvoll, so romantisch wie sexy!" TOTALLYBOOKED

Eine prickelnde und gleichzeitig gefühlvolle Liebesgeschichte von Bestseller-Autorin Penelope Ward

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Seitenzahl: 402

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Die Romane von Penelope Ward bei LYX

Leseprobe

Impressum

PENELOPE WARD

Off Limits

WENN ICH VON DIR TRÄUME

Roman

Ins Deutsche übertragen von Richard Betzenbichler

Zu diesem Buch

Heather tut alles, um sich und ihre kranke Mutter über Wasser zu halten. Sie geht kellnern und vermietet zusätzlich das Bootshaus ihrer Familie an Sommergäste, um ihr Einkommen aufzubessern. Als im Sommer Noah Cavallari einzieht, ändert sich ihr Leben schlagartig, Noah ist sexy, verschlossen und absolut verboten – und doch kann Heather sich nicht von ihm fernhalten …

Für Kandace Milostan

Danke, dass du die Welt der Bücher ins Rampenlicht rückst und uns lehrst, was wirklich wichtig ist

1

Heather

»Hast du schon den Typ gesehen, der ins Bootshaus eingezogen ist?«

Ich war gerade erst in unser Haus am See zurückgekommen, nachdem ich am Morgen meine Mutter zu einem Arzttermin begleitet hatte. Meine Freundin Chrissy hatte mir den Gefallen getan, unseren neuen Mieter in Empfang zu nehmen und ihm die Schlüssel auszuhändigen, während ich unterwegs war.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

Chrissy grinste über beide Ohren.

»Was schaust du denn so?«, fragte ich.

»Er ist … interessant.«

Ich runzelte die Stirn. »Inwiefern?«

Sie kicherte. »Ich glaube, das solltest du lieber selbst herausfinden.«

Das konnte nur eins von zwei Dingen bedeuten: Entweder sah er sehr gut aus, oder er hatte auf sie wie ein Psychopath gewirkt.

Seit einigen Jahren vermietete meine Familie das ausgebaute Bootshaus am Lake Winnipesaukee, dem größten See von New Hampshire. In den Ausläufern der White Mountains gelegen, war der See ein beliebtes Ziel bei Touristen, die der Stadt entfliehen wollten. Wie die Einheimischen so schön sagten: »Wenn man hier ist, lebt man nach ›Seezeit‹«.

In unserem Haus wohnten derzeit nur meine Mutter und ich, und weil Mom nicht arbeitete, brauchte sie die Mieteinnahmen vom Bootshaus, um über die Runden zu kommen. Während es im Winter öfter mal leer stand, war es in den wärmeren Monaten bis in den frühen Herbst regelmäßig ausgebucht. Manchmal blieben die Leute eine Woche, manchmal länger. Das Bootshaus war nicht sonderlich geräumig, deshalb mieteten es eher Einzelpersonen als ganze Familien. Der jetzige Gast hatte es für fast drei Monate gebucht, bis Ende August – den ganzen Sommer. Das hatte es bislang noch nie gegeben.

»Dann ist mit ihm so weit alles klar?«, fragte ich.

»Ja. Scheint ein ganz anständiger Kerl zu sein. Er hat nicht viel geredet, war aber höflich. Er trug eine Sonnenbrille, deshalb konnte ich seine Augen nicht sehen. Die sagen ja normalerweise viel über einen Menschen aus.«

Ich wusste, dass er Noah hieß, weil ich seine Kreditkartendaten aufgenommen und ein paar Hintergrundinformationen eingeholt hatte. Ansonsten wusste ich nicht viel über ihn – Noah Cavallari aus Pennsylvania mit einer Visa Card und einer weißen Weste.

Ich suchte im Grunde nie den Kontakt zu unseren Gästen. Als ich noch klein war, hatte mir meine Mutter immer strikt verboten, auf die Gäste zuzugehen – nur für den Fall, dass es keine guten Menschen waren. Daher halte ich aus Gewohnheit nun auch als Erwachsene im Großen und Ganzen stets Abstand.

Teil unseres Angebots war ein gewisser Zimmerservice – gewährleistet durch meine Wenigkeit. Ich ging hinüber, meistens am Nachmittag, machte das Bett und wechselte die Handtücher. Alles fast wie im Hotel. Die Gäste hatten zudem Zugang zur Waschmaschine und zum Trockner im Keller des Haupthauses. Der Waschraum hatte eine eigene Tür ins Freie, wofür sie einen Schlüssel bekamen. Deshalb brauchten sie auch nicht unser Haus zu betreten.

Im Bootshaus gab es eine kleine Kochnische, in der sich die Mieter ihre Mahlzeiten zubereiten konnten. Das Bootshaus bestand aus einem einzigen Raum, dazu ein Badezimmer. Allerdings hatten alle vier Wände mehrere Fenster, es kam also genug Licht herein, und man hatte einen schönen Ausblick auf den See.

»Wie geht es Alice heute?«, fragte Chrissy.

»Der Arzt stellt gerade ihre Medikamente um. Alles in allem nicht ihr bester, aber auch nicht ihr schlechtester Tag.«

Mehr konnte man auch nicht erwarten, wenn es um meine Mutter ging, die seit Jahren immer wieder in die Psychiatrie musste, je nach Schwere ihrer Anfälle.

Mom litt unter klinischer Depression. Damit hatte sie schon ihr ganzes Leben lang zu kämpfen, aber seit dem Tod meiner älteren Schwester vor über fünf Jahren hatte sich ihr Zustand deutlich verschlechtert. Opal war zehn Jahre älter als ich gewesen. Sie war psychisch labil und von zu Hause abgehauen. Während der Jahre, in denen wir keinen Kontakt zu ihr hatten, hatte sie sich immer mehr in ihre eigene Welt zurückgezogen und sich schließlich das Leben genommen.

Der Verlust meiner Schwester war bisher die bei Weitem schlimmste Erfahrung meines Lebens. Danach war Mom nie mehr sie selbst geworden. Bis zu Opals Tod hatte meine Mutter ihre Krankheit einigermaßen im Griff gehabt, sodass sie im Alltag ganz gut funktionierte. Danach war es damit vorbei.

Chrissy, die von Beruf Krankenschwester war, musste zu ihrer Schicht. Ich blieb allein im Schlafzimmer zurück und schaute aus dem Fenster zum Bootshaus hinüber. Das Gebäude lag auf unserem Grundstück, aber etwas nach hinten versetzt und somit näher am See. Man erreichte es über einen gekiesten Pfad.

Abgesehen von dem schwarz glänzenden Pick-up, der davor parkte, hatte ich von unserem neuen Gast noch nichts mitbekommen. Aber mir war das nur recht. Ich würde mit dem Zimmerservice bis morgen warten. Am Nachmittag waren die Mieter in der Regel unterwegs.

Tagsüber kümmerte ich mich um unser Haus, und fünfmal die Woche bediente ich im hiesigen Pub, dem Jack Foley’s. Daraus bestand im Wesentlichen mein gesellschaftliches Leben, seit die Depression meiner Mutter richtig schlimm geworden war. Jemand musste die Dinge am Laufen halten, und diese Ehre gebührte zwangsläufig mir.

Das Haus am See – unser Hauptwohnsitz – und das kleine Bootshaus gehörten seit Jahren der Familie meiner Mutter. Als mein Großvater starb, hinterließ er alles Mom, seinem einzigen Kind. Die Kredite waren abbezahlt, wir brauchten keine Hypothek mehr abzustottern. Zum Glück, denn ich war die Einzige, die arbeitete. Mit meinem Verdienst kamen wir allerdings gerade so über die Runden, und es standen allerhand Reparaturen an.

Ich will mein Leben jetzt nicht schlechtreden. Es gibt vieles, wofür ich dankbar sein kann. Hier am See zu leben gehört definitiv dazu. Auch wenn ich mir an manchen Tagen wie Aschenputtel vorkomme – ohne die bösen Stiefschwestern –, wiegt die ruhige und klare Schönheit dieses Orts vieles auf.

Am Tag darauf schien die Luft rein zu sein. Der Pick-up des Mieters war fort, die Gelegenheit war günstig, mit ein paar frischen Handtüchern zum Bootshaus zu gehen und sauber zu machen.

Mein Bernhardiner Teddy glaubte, ich wolle mit ihm Gassi gehen, und so lief er hinter mir her. Ich hatte nichts dagegen.

Es war schwül an diesem Nachmittag. Diesiges Sonnenlicht blendete mich, während ich mit drei Handtüchern unterschiedlicher Größe und einem Eimer voll Putzmitteln hinüberging.

Als ich das Bootshaus betrat, stieg mir sofort sein Rasierwasser in die Nase. Ein männlicher Duft lag in der Luft.

Über dem Stuhl beim Schreibtisch hing eine schwarze Herrenjacke, und auf dem Boden stand offen ein großer, noch unausgepackter Koffer. Auf einem Laptop lag eine teuer aussehende Armbanduhr.

Das Bett war bereits gemacht. Vielleicht hatte er in meiner Buchungsbestätigung überlesen, welchen Zusatzservice wir bieten, vielleicht war er auch nur ordentlich und konnte nicht warten.

Der Hund sprang aufs Bett.

»Runter da, Teddy!«

In dem Moment wurde die Badezimmertür aufgerissen. Alles danach geschah wahnsinnig schnell. Mein Eimer fiel auf den Boden, als ich einen Mann erblickte – Herkules gleich –, nur bekleidet mit einem winzigen weißen Handtuch. Mit offenem Mund stand ich da, als hätte mich der Schlag getroffen.

Teddy begann zu bellen.

Noahs tiefe Stimme war schneidend. »Was zum Teufel ist hier los?«

Sein Haar war nass. Ich musste schlucken, als mein Blick seinen Körper hinunter und wieder hinauf wanderte. Ich hatte keine Ahnung, warum ich in diesem Moment mein Denkvermögen einbüßte. Sein Anblick – fast nackt, Wasser tropfte auf seine muskulöse Brust – versetzte mich in völlige Schockstarre.

Er sollte doch gar nicht hier sein.

Er riss mich aus meiner Trance. »Gibt es irgendeinen Grund, warum Sie mich so anstarren, anstatt zu gehen?«

Äh … weil du ein verdammt heißer Typ bist?

Ich drehte mich ruckartig um zur Tür. »Ich wollte nur sauber machen. Es tut mir wirklich leid. Ich komme später noch mal.«

Stolpernd rannte ich los und vergaß die Reinigungsmittel, die auf dem Boden verstreut lagen. Erst dachte ich, ich hätte auch Teddy zurückgelassen, aber Gott sei Dank war er mir hinaus ins Freie gefolgt.

Ich hatte den Mann nur für wenige Sekunden gesehen, wusste aber jetzt, weswegen Chrissy gestern so albern gekichert hatte. Der Typ sah einfach umwerfend aus mit klassischen, kantigen Zügen und perfekt gepflegtem Bart. Er war zudem sehr groß und vermutlich der männlichste Mann, der mir seit Langem über den Weg gelaufen war.

Außerdem ist er unhöflich. So viel war schon mal klar. Aber heiß. Dunkles Haar, Waschbrettbauch … er sah aus wie Anfang dreißig.

Meine Mutter machte sich in der Küche ein Sandwich, als ich wieder ins Haus kam.

»Was ist los?«, fragte sie. »Du wirkst so aufgeregt.«

Ich keuchte ein wenig. »Ich habe mich gerade vor unserem neuen Mieter zum Trottel gemacht. Sein Pick-up stand nicht da, deshalb dachte ich, ich könnte schnell rüber und aufräumen.« Ich schloss die Augen und holte tief Luft. »Er kam halb nackt aus dem Badezimmer. Ich habe ihn zu Tode erschreckt, und anstatt zu verschwinden, bin ich wie angewurzelt stehen geblieben und hab ihn angeglotzt. Er war nicht besonders erfreut.«

Teddy hing die Zunge aus dem Maul, als müsste auch er das Erlebnis noch verdauen.

Meine Mutter hörte auf, Butter auf ihr Brot zu schmieren und fing an zu lachen. Es war das erste Mal seit Langem, dass ich sie lachen hörte. Auch wenn es auf meine Kosten ging, musste ich doch lächeln. Das machte das, was passiert war, fast wett. Fast.

Als ich später am Abend die Haustür öffnete, um Teddy Gassi zu führen, fand ich den Eimer, den ich im Bootshaus zurückgelassen hatte, auf den Stufen davor – inklusive aller Putzmittel. Noah mochte ja ein bisschen ein Arschloch sein, aber zuvorkommend war er.

Die nächsten paar Tage begegnete ich Noah nicht mehr. Ich klopfte jeden Nachmittag laut an die Tür, um sicherzugehen, dass er nicht da war, ehe ich zum Saubermachen hineinging.

An meinen freien Abenden war es eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, bei Sonnenuntergang im See zu baden. Das war vermutlich das Schönste daran, ein Grundstück direkt am Seeufer zu haben. Es gab keinen besseren Ort, um den Kopf freizubekommen, als im Wasser.

Der See war außerdem der Ort, an dem ich trainierte. Laufen oder Fitnesskurse waren nichts für mich. Im Wasser hingegen fühlte ich mich schwerelos, als wäre ich zu allem fähig. Deshalb hatte ich mein eigenes kleines Wassergymnastikprogramm entwickelt. Bei den Übungen sprang ich im Wasser hoch, ging unter Wasser in die Hocke oder tanzte wie eine Wilde und schleuderte dabei die Arme herum. Ich tat einfach, wonach mir war. Hauptsache, die Endorphine sprudelten.

An diesem Abend musste ich nicht arbeiten, deshalb war ich im See. Ich hatte meinen Kopfhörer auf, hörte Old School Hip-Hop und hüpfte herum, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel sah, dass etwas sehr schnell auf mich zukam. Bevor ich wusste, wie mir geschah, spürte ich Hände auf meinen Schultern.

Mein Herz raste.

Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, dass es Noah war.

2

Heather

»Was machen Sie da?«, schrie ich. Das Herz schlug mir bis zum Hals.

Sofort ließ er mich los. Er atmete schwer. »Ich dachte, Sie ertrinken …«

Ich nahm die Ohrstöpsel heraus. »Nein. Wie kommen Sie denn auf die Idee?«

»Sie schlagen mit den Armen um sich wie eine Irre. Von meiner Veranda aus sah es so aus, als bräuchten Sie Hilfe.«

Mein Puls raste. »Ich war nicht am Ertrinken. Ich habe getanzt.«

Er verzog das Gesicht. »Getanzt?«

»Ja.«

»Grundgütiger«, knurrte er.

Damit drehte er sich um und watete zurück ans Ufer.

Ich stand da wie unter Schock und sah der riesigen Gestalt hinterher, die sich durchs Wasser kämpfte. Zweimal hatte ich den Mann jetzt getroffen und es jedes Mal geschafft, ihn innerhalb von Sekunden zu verärgern.

Dann dämmerte es mir: Er hatte gedacht, ich würde ertrinken, und hatte mich retten wollen. Er war mitsamt seiner Kleidung in den See gesprungen.

Oh mein Gott! Ich war nicht in Gefahr gewesen, aber danken musste ich ihm trotzdem.

»Warten Sie!«, rief ich ihm nach.

Noah blieb nicht stehen, sondern marschierte weiter in Richtung Bootshaus.

Er ist echt sauer.

Die Dinge standen vorher schon nicht zum Besten zwischen uns, aber jetzt hatte ich es vollends vermasselt. Aber wie hätte ich das ahnen sollen? Meine Wassergymnastik machte ich schon seit Monaten, und nie war jemand auf die Idee gekommen, ich bräuchte Hilfe. Genau genommen ist überhaupt nie jemand gekommen.

Als ich Noah endlich erreichte, saß er bereits auf der Holzveranda. Kurz vor den Stufen blieb ich stehen.

Er lehnte mit dem Rücken am Bootshaus und sah mich verärgert und mit düsterer Miene an. Seine breiten Schultern hoben und senkten sich. Das schwarze T-Shirt klebte an seiner Brust. Die Jeans war auch klatschnass, und er war barfuß. Er war dermaßen heiß, dass es schon wehtat, heißer als jeder andere, der hier in letzter Zeit vorbeigeschneit war. Eigentlich hatte sich noch nie ein Mann wie er in dieser Gegend blicken lassen. Er mochte ein bisschen alt für mich sein, aber das hinderte meinen Körper nicht an einer eindeutigen Reaktion, während ich seinen Anblick auf mich wirken ließ. Sein Alter – seine Reife – machte mich ziemlich an. Meine Reaktion auf diesen Mann war zugleich aufregend und erschreckend.

Er tat, als gäbe es mich gar nicht. Ich sah zu, wie er durch das offene Fenster nach innen griff und etwas herausholte – eine Zigarre. Er rollte sie zwischen den Fingern, dann zündete er sie an. Zigarrenrauch hatte ich nie gemocht, aber so wie er die Zigarre in der Hand hielt, wirkte das ziemlich sexy. Apropos Hände: Seine waren sehr groß und geädert, kraftvoll – Hände, die ebenso gut verletzen wie beschützen konnten.

Er steckte sich die Zigarre zwischen die Lippen, und als er daran zog, glühte die Spitze auf.

Ich starrte immer noch auf seine Hände. Sie waren schwielig und rau, hatten also bereits viel und hart gearbeitet. Ich seufzte. Noah Cavallari war in jeder nur erdenklichen Hinsicht ein Mann.

Er ignorierte mich weiter, was mich noch entschlossener machte, mit ihm zu reden – wahrscheinlich war das genau das Gegenteil von dem, was er erreichen wollte.

Netter Versuch, aber knapp daneben ist auch vorbei, Noah.

Ich räusperte mich. »Es tut mir wirklich leid, dieses Missverständnis.«

Er zog lange an seiner Zigarre und blies den Rauch aus. Dann drehte er den Kopf so rasch in meine Richtung, dass ich zusammenzuckte. »Wer zum Henker tanzt denn allein im See?«

»Das war Wassergymnastik.«

Er schloss die Augen, dann überraschte er mich mit einem herzhaften Lachen, das meinen Körper zum Vibrieren brachte.

Na ja, wenigstens steckt irgendwo in ihm drin ein gewisser Sinn für Humor.

»Was haben Sie sich angehört, als ich Ihre kleine Übung unterbrochen habe?«

»Weiß ich nicht mehr«, log ich.

»Ich glaube, das wissen Sie durchaus.«

»Na gut, stimmt. Aber ich will es Ihnen nicht verraten.«

»Wieso nicht? Ich bin neugierig, zu welcher Musik man derart um sich schlägt. Kann ich mal reinhören?«

Noch schlimmer konnte dieser Tag nicht werden. Aber das war ich ihm wohl schuldig. Ich hielt ihm den Kopfhörer hin und wappnete mich für seine Reaktion.

Er legte den Kopf in den Nacken und lachte sogar noch lauter als zuvor.

Ich hatte mir »Jump« von Kris Kross angehört.

Ich zog ihm die Ohrstöpsel weg. »Na, zufrieden?«

»Das habe ich gebraucht. Danke. Das Lied habe ich nicht mehr gehört, seit ich … sieben war. Das war lange vor Ihrer Zeit.« Er schmunzelte.

»Ja, es ist einfach ein guter Song. Mir ist dabei immer so nach …«

»Springen?« Er schmunzelte.

Ich biss mir auf die Unterlippe, konnte mich aber nicht beherrschen und lachte ebenfalls los.

Er hob beschwichtigend die Hände und grinste spöttisch. »Keine Wertung meinerseits. Ich schwör’s.«

»Schön, dass ich ein wenig Spaß in Ihr Leben bringen konnte«, erwiderte ich. »Den können Sie eindeutig brauchen, nach der unangemessenen Reaktion zu urteilen, als ich neulich bei Ihnen im Bootshaus war.«

Seine fröhliche Miene verschwand, und er sah mich böse an. »Ich komme halb nackt aus der Dusche und sehe einen Teenager vor mir. Welche Reaktion würden Sie in solch einer Situation für angemessen halten?«

Teenager?

Um Himmels willen, nein!

»Ich bin kein Teenager. Da liegen Sie schon mal falsch. Und die Antwort lautet: Jede andere Reaktion außer Ihrer. Es war ein Missverständnis, und dass Sie mich so angeschnauzt haben, war völlig übertrieben.« Immer noch eingeschnappt atmete ich tief durch, blickte zum See, dann wieder zu ihm. »Ich heiße übrigens Heather. Wir haben uns ja noch nicht offiziell vorgestellt.«

Nach einer Pause antwortete er: »Noah.«

Sogar wie er seinen Namen aussprach, klang sexy.

»Ihren Namen kenne ich schon … von Ihrer Reservierung. Außerdem habe ich umfassend Hintergrundinformationen über Sie eingeholt. Leider werden dabei keine Charakterschwächen aufgedeckt. Schön, Sie kennenzulernen.«

»Genau. Kein Mörder, nur ein Arsch, der überreagiert. Dafür gibt’s noch keinen Filter.«

Ich trat einen Schritt vor. »Es tut mir wirklich leid, was vorhin passiert ist. Danke, dass Sie mich retten wollten. Wäre ich tatsächlich in Not gewesen, wäre das sehr heldenhaft von Ihnen gewesen.«

»Was hätte ich denn tun sollen? Von hier sah es so aus, als würden Sie mit Ihren Armen herumfuchteln, weil sie Hilfe brauchten. Ich müsste ja ein echtes Arschloch sein, wenn ich da untätig bliebe.« Er wandte den Kopf ab.

»Apropos Arschloch …«

Schon hatte ich seine Aufmerksamkeit wieder. »Gestern Nachmittag habe ich gedacht, Sie seien weg. Sonst wäre ich nicht zu Ihnen gekommen, um sauber zu machen. Ihr Pick-up war nicht da.«

Noah stieß eine Rauchwolke aus. »Mein Pick-up brauchte einen neuen Reifen. Ich hatte keine Lust, eine Stunde in der Werkstatt zu warten, deshalb bin ich die Meile hierher zu Fuß zurückmarschiert. Dann habe ich mir gedacht, zur Entspannung stelle ich mich unter die Dusche. Wie das geendet hat, wissen wir ja.«

Einen Moment lang blickten wir uns in die Augen, dann hoben sich seine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln. Erleichtert seufzte ich auf.

»Entschuldigung, dass ich Sie so angefahren habe«, sagte er schließlich. »Im Nachhinein hat es mir auch leidgetan, aber ich war vollkommen verblüfft.«

»Schon gut.« Ich konnte nicht ruhig stehen und wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Seine Nähe machte mich ganz kribbelig. »Ich bin übrigens zwanzig, also kein Teenager mehr. Wie alt sind Sie?«

»Zu alt, um mit einer Zwanzigjährigen herumzuhängen, der der Busen rausschaut.«

Ich schaute an mir herab. Scheiße. Er hatte recht. Mein Busen quoll tatsächlich aus meinem Bikini. Ich war so auf ihn fixiert gewesen, dass mir das gar nicht aufgefallen war. Rasch verbarg ich meine Brüste mit den Armen. Ich hatte das ja nicht geplant, trotzdem war es unanständig. Aber anstatt verlegen zu sein, erregte mich seine Bemerkung. In gewisser Hinsicht nahm er mich auf sexuelle Weise wahr, und das gefiel mir – zu sehr vielleicht. Mich durchströmte ein Gefühl der Erregung, wie ich es noch nie verspürt hatte.

»Wieso machen Sie eigentlich die ganze Arbeit? Es sieht aus, als wären Sie für alles allein zuständig. Weshalb?«

Das hatte mich noch nie jemand gefragt.

»Ich habe die Verantwortung dafür. Was ist so seltsam daran?«

»Sollten Sie in Ihrem Alter nicht auf dem College sein oder so? Warum machen Sie hier sauber und den sonstigen Quatsch?«

Ich empfand seine Frage als ein wenig beleidigend, war aber froh, dass es jemandem aufgefallen war.

»Das habe ich mir so nicht ausgesucht. Meiner Mutter geht es nicht gut … psychisch. Deshalb habe ich den Großteil der Pflichten im Haus und bei der Vermietung übernommen. Ich arbeite drüben im Jack Foley’s, wenn ich nicht gerade hier gebraucht werde.«

»Mein Zimmer brauchen Sie nicht mehr sauber zu machen.«

»Aber ich muss. Es ist Teil unseres …«

»Solange ich hier bin, putzen Sie das Bootshaus nicht mehr«, fuhr er mich an. »Ich mag es ohnehin nicht, wenn Leute in meine Privatsphäre eindringen. Und ich bin sicher, Sie haben Besseres zu tun, als den Dreck eines erwachsenen Mannes wegzuräumen.«

»Na ja, wenn Sie das nicht wollen, lasse ich es eben bleiben.«

»Ich bitte darum.«

Gott, ist der Typ grumpy.

Und so sexy.

»In Ordnung.« Ich zitterte.

Es wurde allmählich kühl, aber ich hatte noch keine Lust zu gehen. Diese Veranda war vermutlich der letzte Ort, wo ich hingehörte, aber genau hier wollte ich sein. So lebendig hatte ich mich schon ewig nicht mehr gefühlt.

Ich klapperte mit den Zähnen. »Wie sind Sie denn auf den Lake Winnipesaukee als Sommerdomizil gekommen?«

Statt mir zu antworten, stand Noah auf und ging ins Haus. Die Tür knallte er hinter sich zu.

Nein, das glaube ich jetzt nicht.

Hat er das echt getan?

Persönliche Fragen darf ich ihm also nicht stellen.

Gerade als ich gehen wollte, knarzte die Tür. Er kam wieder auf die Veranda heraus, ein kariertes Flanellhemd in der Hand.

Nicht übermäßig freundlich warf er es mir zu. »Ziehen Sie das an. Bedecken Sie sich.«

»Danke« Ich schlüpfte in das Hemd und knöpfte es zu. Es roch wie er, sehr männlich und holzig, als hätte jemand den Duft von Testosteron in Flaschen gefüllt und verkauft. Ich nahm mir vor, in dem Hemd zu schlafen.

Zu meiner Überraschung kam er auf meine vorherige Frage zurück. »Ich brauchte dringend einen Tapetenwechsel. Dass ich hier gelandet bin, war reiner Zufall. Ich hatte mich nicht darüber informiert, ob eine neugierige, kleine Vermieterin zu dem Haus gehört, die sich wie ein Fly Girl aufführt.«

»Was ist ein Fly Girl?«

»Scheiße.« Er senkte den Kopf. »Das war noch vor Ihrer Geburt.«

»Und? Was ist das? Ein Fly Girl? So eine Art Superhelden-Comic?«

Er lachte dieses herzliche Lachen, das mir direkt zwischen die Beine fuhr. »In den 90ern gab es eine Comedy Show … In Living Color. Jamie Foxx und Jim Carrey spielten da regelmäßig mit. Zwischen den Sketchen und vor der Werbung traten Tänzerinnen auf. Die hießen Fly Girls. Aber egal. Ich habe mich nur ein bisschen über Ihr Hip-Hop-Gehopse lustig gemacht.«

»Das muss ich im Internet nachschauen. Komisch, dass ich das nicht kenne … Normalerweise kenne ich mich in der Popkultur der 90er-Jahre ziemlich gut aus.«

Ich spürte, wie ich rot anlief, ohne zu wissen, warum.

Ich räusperte mich und fragte: »Was arbeiten Sie?«

Er zog an der Zigarre und ließ bei seiner Antwort den Rauch aus seinem Mund schweben. »Im Moment lege ich eine Pause ein.«

»Und was machen Sie?«

Er antwortete nicht sofort, sondern schien unsicher, ob er auf meine Frage eingehen wollte.

»Ich bin Fotograf«, sagte er schließlich.

»Echt? Wie cool. Ich wollte schon immer fotografieren lernen. Welche Art Fotos machen Sie denn so?«

»Alles Mögliche, von Naturaufnahmen bis Porträts. Ich habe praktisch schon alles mal fotografiert. Vor einigen Jahren habe ich freiberuflich für verschiedene Zeitungen gearbeitet. Ein breites Spektrum.«

»Und jetzt arbeiten Sie für sich selbst? Können Sie deshalb so einfach eine Auszeit nehmen?«

»Ja, so ungefähr.«

Ich ließ nicht locker. »Vom See könnten Sie einige tolle Aufnahmen machen, vor allem bei Sonnenuntergang. Sind Sie deshalb hierhergekommen? Künstlerische Inspiration?«

»Nein, deswegen bin ich nicht hier. Ich mache eine Pause vom Fotografieren. Wie gesagt, ich bin ganz zufällig hier gelandet. Es war weit genug, aber nicht zu weit weg von zu Hause. Mein Hauptkriterium war, dass es ruhig und friedlich sein sollte, ein Ort, an dem ich nachdenken kann.«

»Aha, und jetzt störe ich offenbar Ihren Frieden.«

»Ach was … Gescheiterte Rettungseinsätze sind extrem entspannend.«

Er lächelte, und ich lächelte ebenfalls.

Oh Gott! Mir fielen seine Wimpern auf. Dass ein Mann so lange Wimpern hatte, fand ich ungerecht.

Nach kurzem Schweigen fragte ich: »Sie halten mich für bescheuert, oder?«

»Stimmt.«

Ich musste lachen, weil er so prompt antwortete. Er hatte nicht lange überlegen müssen.

Er lächelte erneut. Jedes Mal, wenn er mich anlächelte, berührte mich das innerlich. Ich kam mir vor wie die letzte Närrin. Ich sollte mich ohrfeigen, um dieses alberne Gefühl zu vertreiben.

Ich schaute auf den See hinaus, um meinen Kopf freizubekommen. »Von hier aus habe ich den See noch nie abends gesehen.«

»Und wieso nicht? Sie leben doch hier, oder?«

»Ich verbringe nicht viel Zeit beim Bootshaus. Seit meiner Kindheit bin ich es gewohnt, unseren Feriengästen aus dem Weg zu gehen. Meine Mutter wollte das so. Jetzt haben sich die Umstände natürlich geändert, da die Verantwortung für alles in meine Hände übergegangen ist. Aber ich komme nur hierher, wenn es etwas zu tun gibt. Meine Freizeit verbringe ich nicht auf diesem Teil unseres Grundstücks.«

»Das finde ich sehr vernünftig«, sagte er.

»Weil ich Sie dann nicht mehr störe?«

»Ja, das auch. Aber in erster Linie habe ich gemeint, dass Ihre Mutter Sie von den Gästen fernhielt. Es gibt eine Menge schlechter Menschen auf der Welt. Wenn man ein kleines Kind hat, ist es sicher nicht einfach, wenn aus geschäftlichen Gründen ständig Fremde bei einem aus- und eingehen.«

Das erinnerte mich an eine Zeit, als es nicht nur mich gab. Immer wenn ich an Opal dachte, wurde ich unglaublich traurig. Aber das Thema wollte ich ihm nicht zumuten, deshalb behielt ich meine Gedanken für mich.

Er unterbrach meine Grübeleien. »Es wird bald dunkel. Gehen Sie lieber nach Hause, nicht dass Ihre Mutter noch denkt, Ihnen wäre etwas zugestoßen.«

»Sie hat mich gar nicht weggehen sehen. Wahrscheinlich weiß sie gar nicht, dass ich fort bin. Die meiste Zeit verbringt meine Mutter in ihrem Zimmer … wegen der Depression.«

Er schien die Information, die ich gerade preisgegeben hatte, erst verdauen zu müssen. »Das tut mir leid.«

»Ist schon gut.«

Dann schwiegen wir beide eine Weile.

Er schaute sich um. »Wollen Sie das hier noch lange behalten? Der Unterhalt muss doch ziemlich teuer sein. Ganz abgesehen von der vielen Arbeit.«

»Da kommt tatsächlich einiges zusammen, und ich würde gern das ganze Grundstück verkaufen.«

»Was hält Sie davon ab?«

»Zum einen macht mich allein der Gedanke daran traurig. Das Haupthaus und das Bootshaus sind seit Jahren in Familienbesitz, und ich wohne gern hier. Aber ich denke, ein Verkauf ist unvermeidbar. Das Haupthaus ist für nur meine Mutter und mich zu groß, und auch das Grundstück ist zu groß, um es angemessen pflegen zu können. Meine Mutter steht einem Verkauf offen gegenüber, aber bevor wir es auf den Markt bringen können, ist noch viel zu reparieren. Das ist der eigentliche Grund, warum es sich noch hinzieht.«

Er hielt die Zigarre zwischen den Zähnen und schaute mich an, ehe er inhalierte. »Na, da haben Sie ja jede Menge am Hals. Kein Wunder, dass Sie beim Wassertanzen um sich schlagen wie eine Irre. Hauptsache, es entspannt, oder?«

»Genau. Tanzen baut Stress ab.«

Noah stand auf und trat von der Veranda, um die Zigarre auf dem Betonboden auszudrücken. Als er zurückkam, blieb er mir gegenüber stehen. Mir fiel wieder auf, wie groß er war. Eine leichte Brise wehte seinen Duft – ein Gemisch aus Zigarre und Rasierwasser – in meine Richtung. Das Hemd, das ich trug, roch genauso. Ich hätte ihn die ganze Nacht einatmen mögen. Seine Nähe hatte Auswirkungen auf meinen Körper, wie ich sie nie zuvor verspürt hatte.

Noah blickte sich um. »Sie haben erwähnt, dass einiges repariert werden müsste. Was denn genau?«

Ich seufzte. Der bloße Gedanke daran machte mich müde. »Da wäre so vieles. Ich müsste eine Liste machen.«

»Warum machen Sie die nicht? Die Liste. Ich bin recht geschickt mit den Händen. Vielleicht kann ich Ihnen bei der einen oder anderen Sache behilflich sein, solange ich hier bin.«

Bei recht geschickt mit den Händen hatte ich den Faden verloren. Meine Fantasie spielte verrückt. Scheiße. Ich stellte mir vor, wie diese Hände sehr viel taten – vor allem mit mir.

»Das geht doch nicht.«

»Sie wären dumm, wenn Sie mein Angebot ablehnen würden. Ich bin zur Erholung hergekommen. Zu viel Ruhe ist allerdings auch nicht gut. Ich bin gerne beschäftigt.«

Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, dann schüttelte ich den Kopf. »Ich weiß nicht recht …«

»Machen Sie die Liste«, sagte er hartnäckig.

Noah hatte recht. Ich wäre dumm, wenn ich seine Hilfe ausschlagen würde. Potenzielle Helfer standen ja nicht gerade Schlange vor meiner Tür.

Ich legte den Kopf auf die Seite. »Was ist denn für Sie dabei drin?«

Seine Miene verfinsterte sich. »Menschen haben nicht immer unlautere Motive.«

Keck erwiderte ich: »Ich dachte, vielleicht wollen Sie, dass ich im Gegenzug mit Ihnen ausgehe.«

Ich gebe zu, das war schon dreist. Aber seine Nähe versetzte mich in Flirtlaune. Vielleicht stiegen mir auch sein Rasierwasser und der Zigarrenrauch zu Kopf.

»Das war ein Scherz, oder?«

Okay, ich hätte nicht fragen sollen.

»Also, eigentlich …«

»Vom Alter her könnte ich Ihr Vater sein.«

Tatsächlich? So sah er mich? Dass er älter war als ich, war mir klar, aber so alt sah er nun auch wieder nicht aus. Unmöglich. Ich hätte ihn auf Anfang dreißig geschätzt, aber wie alt er tatsächlich war … keine Ahnung.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht wahr. Ein älterer Bruder vielleicht. Wie alt sind Sie?«

Statt zu antworten trat er zwei Schritte auf mich zu. »Eins möchte ich gleich mal klarstellen.«

»Okay.«

»Mit meinem Angebot wollte ich überhaupt nichts andeuten. Und ich werde nicht mit Ihnen ausgehen, Ihnen irgendwelche unsittlichen Angebote machen oder sonst wie zu nahe kommen. Sind wir uns da einig?«

Na dann.

Ich musste schlucken. Enttäuscht räusperte ich mich. »Ja.«

»Gut.« Er ging zur Tür, drehte sich aber noch ein letztes Mal um. »Gehen Sie jetzt lieber. War nett, mit Ihnen zu plaudern. Und bringen Sie mir morgen die Liste.«

Er verschwand im Haus, und ich blieb zurück, sein Duft immer noch in meiner Nase, und fühlte mich wie die letzte Idiotin.

Nachts in meinem Zimmer ließ ich mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Ich werde nicht mit Ihnen ausgehen, Ihnen irgendwelche unsittlichen Angebote machen oder Ihnen sonst wie zu nahe kommen. Sind wir uns da einig?

Herr im Himmel.

Seine Entschlossenheit machte ihn für mich nur noch attraktiver. Komisch, wieso das so war.

Er behandelte mich wie eine Zwölfjährige. Mit zwanzig war ich alt genug, mit jedem auszugehen, mit dem ich wollte. Ob der Auserwählte vierzig oder achtzig war, war mir schnuppe. Vor hundert Jahren betrug die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau etwa fünfzig Jahre. Dann hätte ich mein halbes Leben fast schon hinter mir gehabt. Wenn man erst einmal achtzehn war, war das Alter nur noch eine Zahl.

Doch das sah Noah offenbar anders. Vielleicht benutzte er den Altersunterschied aber auch nur als Ausrede. Die Sache war doch die: Ich hatte nur rumgeblödelt (gewissermaßen)! Aber er musste mir sofort todernst unter die Nase reiben, dass zwischen uns nie und nimmer etwas laufen würde. Wieso heizte diese Zurückweisung meine Lust nur noch an?

Ich musste mehr über ihn erfahren. Ich klappte den Laptop auf und googelte: Noah Cavallari Fotograf Pennsylvania.

Seine Website tauchte gleich als erstes Suchergebnis auf.

Noah Cavallari Fotografie. Ja, das musste er sein.

Ich klickte die Seite an. Vor einem einfachen schwarzen Hintergrund bot die Startseite eine Slideshow atemberaubender Bilder. Von Fotos auf Safaris in Afrika bis zur Vereidigung eines Präsidenten war so ziemlich alles dabei. Seiner Biografie zufolge war er nicht weit von Philadelphia geboren worden. Schon in jungen Jahren hatte er zu fotografieren begonnen. Nach seinem Collegeabschluss in Fotojournalismus hatte er lange für seinen Vater auf dem Bau gearbeitet und die Fotografie nebenher betrieben. Irgendwann war es ihm aber gelungen, sich hauptberuflich darauf zu konzentrieren, und das mit großem Erfolg.

Sein Job hatte ihn in die ganze Welt geführt, vor einigen Jahren hatte er dann ein Studio eröffnet und sich auf private Events und Porträtaufnahmen spezialisiert. Von ihm selbst war keine Aufnahme zu finden, abgesehen von dem Foto bei seiner Kurzbiografie, auf dem sein Gesicht von einer riesigen Kameralinse verdeckt war. Es ließ aber zumindest erkennen, dass es sich um den Noah Cavallari handelte, der jetzt in meinem Bootshaus wohnte.

Nun war ich erst recht neugierig geworden. Offenbar hatte er eine Riesenkarriere gemacht und alles erreicht.

Das führte mich zu der Frage: Warum war er hier?

Ich begann, Theorien aufzustellen.

Oh mein Gott, war er sterbenskrank?

Nein, dazu sah er zu gesund aus, zu kraftstrotzend.

Versteckte er sich vor der Polizei?

Nein. Ich hatte ihn überprüft. Weiße Weste.

Was wollte er hier, geschlagene drei Monate lang? Ich kapierte das nicht.

Eine Woche oder zwei, gut und schön. Aber so lange?

Wovor läufst du weg, Noah Cavallari?

Ich war entschlossen, das herauszufinden.

3

Heather

Zwei Tage später erhielt ich eine Nachricht von einer unbekannten Nummer.

Bin im Baumarkt. Welche Farbe für die Außenwände des Bootshaus?

Aufgrund der Frage war klar, wer das war. Ich hatte ganz vergessen, dass Noah meine Nummer hatte. Alle Mieter bekamen mit der Begrüßungsmail meine Handynummer für den Fall, dass sie etwas brauchten. Am Tag nach unserem Gespräch hatte er mich daran erinnert, die Liste der nötigen Arbeiten zu machen und sie nach Priorität zu sortieren. Da die Farbe an den Außenwänden des Bootshauses in beklagenswertem Zustand war und schon großflächig abblätterte, hatte ich dies auf Platz eins gesetzt. Ich konnte noch immer nicht glauben, dass er tatsächlich helfen wollte. Aber er fackelte wirklich nicht lange.

Heather: Wie wär’s mit Grau?

Die kleinen Punkte tanzten, während er tippte.

Noah: Es gibt verschiedene Grauschattierungen.

Ich konnte mir den Scherz nicht verkneifen.

Heather: Fünfzig?

Noah: Sehr witzig.

Heather: Danke.

Noah schickte mir eine Farbkarte mit fünf verschiedenen Grauabstufungen.

Noah: Gefällt Ihnen eine davon?

Heather: Dann kennen Sie das Buch?

Noah: Hören Sie auf mit dem Scheiß, Heather.

Heather: LOL. Das zweite Grau wäre ideal.

Danach kamen keine weiteren Nachrichten mehr.

Eine Stunde später sah ich, wie Noah sich am Bootshaus zu schaffen machte. Ich kniff die Augen zusammen und musterte seinen nackten Oberkörper, während er die Grundierung auf der Außenwand anbrachte. Sollte er den ganzen Sommer im Freien herumwerkeln, würde ich ein neues Fernglas brauchen.

Meine Mutter hatte sich von hinten angeschlichen. »Was gibt es da zu sehen?«

»Mh?!« Ich erschrak und zog rasch die Vorhänge vor. »Nichts.«

»Du hast dir doch alle Mühe gegeben, irgendwas zu sehen. Was ist denn so interessant?«

Ich seufzte. »Ich habe Noah beim Streichen des Bootshauses zugeschaut.«

Ich erzählte Mutter von seinem Angebot. Um es vorsichtig auszudrücken, reagierte sie extrem skeptisch.

»Ich verstehe nicht, warum er das tut. Was hat er davon?«

»Er will einfach nur helfen. Er sagt, die Beschäftigung tue ihm gut.«

Meine Mutter kniff die Augen zusammen. »Sei lieber vorsichtig. Vielleicht erwartet er eine Gegenleistung.«

Ich lachte. »Ich wünschte, es wäre so. Das kannst du mir glauben. Aber er hat sehr deutlich gemacht, dass dem nicht so ist. Leider halte ich ihn in dem Punkt für ehrlich.«

Sie schien besorgt zu sein. In letzter Zeit war es schwierig, ihr überhaupt echte Gefühle zu entlocken. Aber die Vorstellung, zwischen dem neuen Mieter und mir könnte sich etwas anbahnen, drückte bei ihr wohl sämtliche Knöpfe.

»Soll das heißen, du hast ihm was angeboten?«

»Ich habe angedeutet, hinter seiner Hilfsbereitschaft könnte was anderes stecken, aber das ist bei ihm nicht gut angekommen. Ihm ist nicht nach Spaßen zumute. Er ist durch und durch seriös. Mich hält er für eine Minderjährige, mit der er nichts zu schaffen haben will. Bei der ersten Begegnung glaubte er sogar, ich wäre noch ein Teenager, und so behandelt er mich auch.«

»Darüber bist du wohl enttäuscht?«

Ich lachte leise. »Irgendwie schon.«

»Das ist verrückt, Heather. Lass dich bloß mit niemandem ein, der nur auf der Durchreise ist. Du kennst den Mann doch gar nicht. Außerdem ist er zu alt für dich.«

»Keine Ahnung. Er verrät mir sein Alter nicht.« Ich musste kichern.

»Na ja, egal, was er behauptet … Kein Mann tut so etwas ohne Hintergedanken. Du kannst mir nicht einreden, dass meine hübsche blonde Tochter nichts damit zu tun hat.«

Allmählich ging sie mir auf die Nerven. Ich verstand natürlich, wie sie auf diese Gedanken kam, aber sie hatte Noah noch nicht so erlebt wie ich. Ich war ehrlich davon überzeugt, dass er nichts von mir wollte, und unterstellte ihm auch keine anderen als gute Absichten.

»Ich weiß, dass in deinen Augen alle Männer schlecht sind. Nach deiner Erfahrung mit Dad, der uns sitzen gelassen hat, ist das nur zu verständlich. Aber nicht alle Männer sind gleich.«

Ihre Miene verdüsterte sich. »Eine Tochter habe ich schon verloren. Ich könnte es nicht ertragen, noch eine zu verlieren.«

Das konnte nicht ihr Ernst sein.

»Und wieso bringt Noah, indem er das Bootshaus streicht, mich in Lebensgefahr? Denk doch ein bisschen nach, ehe du so was sagst.«

»Das habe ich nicht gemeint. Aber ich kann es mir nicht leisten, dass du mit irgendeinem Mann fortgehst.«

»Mach dich nicht lächerlich. Du interpretierst da viel zu viel hinein. Er ist hierhergekommen, um eine Weile Abstand von seiner Arbeit zu gewinnen. Er hat gern was zu tun und mitbekommen, dass wir Hilfe brauchen. Mehr steckt da nicht hinter.«

Sie ließ nicht locker. »Ich fürchte, da liegst du falsch. Kann ja sein, dass ich die Hälfte der Zeit nicht klar denken kann, aber ich bin nicht blind. Du bist meine Tochter. Ich sehe dir an, dass du dich in ihn verguckt hast. Und Frauen, die sich in jemanden vergucken, tun die verrücktesten Sachen. Und Männer? Die erzählen einem alles Mögliche, aber sie sind schwach. Wenn du dich ihm an den Hals wirfst, knickt er ein.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Das kann ich nur hoffen.«

Sie verdrehte die Augen, nicht allzu begeistert von meinem Humor. »Sei einfach vorsichtig.«

Am Abend war ich gerade fertig angezogen und wollte zu meiner Schicht ins Restaurant aufbrechen, als ich bemerkte, dass jemand drüben am Bootshaus mit Noah sprach, der immer noch arbeitete.

Mir rutschte das Herz in die Hose.

Es war Kira Shaw, unsere unmittelbare Nachbarin. Kira war Anfang dreißig und geschieden. Mit ihrem langen roten Haar und ihren sagenhaften Kurven sah sie sehr gut aus. Außerdem hatte sie ganz offensichtlich ständig wechselnde Liebhaber. Früher hatte ich auf ihre Jungs aufgepasst, wenn sie zu einer ihrer Eskapaden unterwegs war. Sie war permanent auf Männerjagd und hatte keinerlei Hemmungen, unterschiedliche Liebhaber in ihr Schlafzimmer mitzunehmen, auch wenn ihre Kinder zu Hause waren.

Mir war sofort klar, dass sie es auf Noah abgesehen hatte, und das gefiel mir ganz und gar nicht.

Mein Puls begann zu rasen. Sicher, meine Eifersucht entbehrte jeglicher Grundlage. Es ging mich überhaupt nichts an, aber ich konnte nicht anders. Ich wusste nicht viel über Noah, aber dass er intelligent, respektvoll und offenbar ein anständiger Mensch war, das wusste ich. Somit wusste ich auch, dass er etwas Besseres verdient hatte als Kira in ihrer lächerlich kurzen Hose. Sie konnte sehr charmant sein und ihn leicht hereinlegen. Dass er sie sich vom Leib halten sollte, konnte er nicht ahnen. Also musste ich ihn warnen. Wie meine Mutter so schön sagte: Alle Männer waren schwach. Ich wusste, dass Kira keine Zeit verschwenden würde, deshalb musste ich schnell handeln.

Unter dem Vorwand, ihm ein Erfrischungsgetränk zu bringen – etwas, das ich eigentlich schon Stunden früher hätte machen sollen –, marschierte ich mit einem Glas Eiswasser in der Hand Richtung Bootshaus.

Ich schwitzte, als ich die beiden unterbrach. »Ich dachte mir, Sie haben vielleicht Durst.«

Noah schaute von der Leiter auf mich herab, wischte sich den Schweiß von der Stirn und stieg dann hinunter.

Er nahm mir das Glas ab. »Ich bin durchaus in der Lage, ins Haus zu gehen und mir selbst was zu trinken zu holen. Das wäre also nicht nötig gewesen, aber trotzdem danke.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Bitte. Das ist doch das Mindeste.«

Ich drehte mich zu Kira um, starrte sie an und versuchte, ihr dezent zu verstehen zu geben, dass ihre Anwesenheit hier nicht erwünscht war.

Sie ignorierte mich eiskalt und hielt den Blick starr auf Noahs Hintern gerichtet, als der die Leiter wieder hochstieg.

»Mit Noah hast du den Mieter-Jackpot gezogen, Heather.«

Ich schleuderte ihr wütende Blicke entgegen. »Ja, ja, ich weiß.«

»Bist du auf dem Weg zur Arbeit?«

»Ja, aber ich habe es nicht eilig. Ich muss erst in einer Stunde anfangen.« Ich verschränkte die Arme.

Ich kam jetzt schon deutlich zu spät, aber ich würde erst gehen, wenn dieses Biest fort war. Keine Sekunde früher. Plötzlich schien sie meine Entschlossenheit zu spüren.

»Denken Sie über die Essenseinladung nach, Noah«, sagte sie zu ihm gewandt. »Ich würde mich sehr freuen, und meine Jungs würden Sie ebenfalls gern kennenlernen. Mir ist jeder Abend recht, der Ihnen passt. Sie wissen, wo Sie mich finden, wenn Sie Lust haben auf ein gutes Essen und ein kühles Bier.«

Ja klar, das war alles, was sie ihm anbot.

Noah malte einfach weiter und würdigte sie kaum eines Blicks. »Danke.«

Ich war froh, dass er sich so zurückhaltend und uninteressiert zeigte, aber der Sommer war lang, und wie meine Mutter so schön sagte … Wenn sich eine Frau einem Mann entschlossen genug an den Hals warf, knickte er irgendwann ein. So viel Auswahlmöglichkeit gab es in dieser Gegend schließlich nicht.

Allein bei dem Gedanken, die beiden könnten etwas miteinander haben, wurde mir schlecht.

Sie nickte. »Hat mich gefreut. Heather.«

»Gleichfalls.«

Kaum war sie außer Hörweite, sagte ich: »Die Einladung zum Essen ist nur ein Vorwand, um sich an Sie ranzumachen.«

Noah pinselte weiter, ohne mich anzuschauen. »Was Sie nicht sagen.«

»Sie macht nichts als Ärger. Mit der sollten Sie sich lieber nicht einlassen.«

»Und inwiefern geht Sie das was an?«

»Gar nicht. Es ist nur eine freundschaftliche Warnung. Sie hat jede Woche einen anderen Typen an der Angel. Die ist nur auf eines aus.«

Er hielt kurz inne, schaute zu mir herunter und grinste. »Na, dann passt es doch.«

Ich bekam einen Adrenalinschub. »Das meinen Sie nicht so.«

Er wedelte mit der Farbwalze in meine Richtung. »Sind Sie deshalb rübergekommen und haben so getan, als würden Sie sich um meinen Durst sorgen? Weil Sie gesehen haben, dass ich mit ihr geredet habe?«

»Nein«, log ich.

»Ich bitte Sie, Heather. Ich war den ganzen Tag hier draußen. Hätten Sie sich Sorgen um meinen Flüssigkeitshaushalt gemacht, wären Sie viel früher hier aufgetaucht. Sie sind hergekommen, um Ihre Nase in Dinge zu stecken, die Sie nichts angehen.«

»Ich passe nur ein bisschen auf Sie auf.«

»Aber warum? Sie kennen mich doch gar nicht.«

Ich suchte nach einer Antwort. »Weil …«

Ich konnte ihm keinen guten Grund nennen. Die Wahrheit konnte ich auf keinen Fall zugeben – dass ich eifersüchtig war, weil sie die besseren Karten bei ihm hatte, weil sie älter und emotional längst nicht so pflegebedürftig war wie ich.

»Ich mache mich lieber auf den Weg zur Arbeit. Ich bin schon spät dran.«

Ich marschierte los, als er mir hinterherrief. »Ich dachte, Sie müssten erst in einer Stunde anfangen.«

Ich drehte mich um und schaute ihn an.

Er schüttelte den Kopf und lachte.

Er lacht über mich.

Schon wieder.

Na toll. Offenbar war Noah entweder sauer auf mich, oder er lachte mich aus. Dazwischen gab es nichts.

Die einzige Möglichkeit, mir meinen Stolz zu bewahren, lag darin, einfach weiterzugehen. Und das tat ich denn auch.

Jack Foley’s Pub ist bekannt für seine Burger, die Auswahl an regionalen Biersorten und die Billardtische. Es war längst nicht das vornehmste Lokal in der Gegend, aber rund um den See recht beliebt. Vor allem im Sommer war hier jeden Abend allerhand los.

Obwohl ich gut beschäftigt war, verlief der Abend bis etwa neun Uhr weitgehend ereignislos. Dann entdeckte ich ihn in einer Ecke des Pubs.

Was will Noah hier?

Mit mürrischer Miene starrte er zu mir herüber. Ich war immer noch verärgert, weil er mich vorhin hatte auflaufen lassen, daher weigerte ich mich, ihn zur Kenntnis zu nehmen.

Bedienen würde ich ihn schon gar nicht.

»Kannst du Tisch neun in meinem Abschnitt übernehmen?«, fragte ich meine Freundin und Kollegin Marlene.

»Wieso denn?«

»Der Typ ist mein neuer Feriengast, und im Moment will ich nicht mit ihm reden.«

Sie drehte sich um und betrachtete ihn. »Großer Gott.«

»Genau.«

»Wieso zum Teufel gehst du so jemandem aus dem Weg?«

»Ich habe mich vorhin zum Volltrottel gemacht. Lange Geschichte.«

»Der ist so was von heiß, Heather.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Dem bin ich gern zu Diensten.«

»Ich habe dich gebeten, ihn zu bedienen, sonst nichts.«

Sie spazierte zu Noah hinüber, wechselte ein paar Worte mit ihm und war nach nur einer Minute wieder zurück.

»Er will, dass du seine Bestellung aufnimmst.«

Mist.

Als ich hinüberschaute, sah er mich direkt an.

Seufzend ging ich an seinen Tisch, verhielt mich aber ebenso abweisend wie er. »Was kann ich Ihnen bringen?«

»Müssten Sie nicht ein wenig freundlicher zu Ihren Gästen sein?«

»Nicht, wenn ich weiß, dass der Kunde nur hier ist, um mich zu bestrafen.«

Seine Miene wurde sanfter. »Ich bin nicht hier, um Sie zu bestrafen.«

»Nicht? Warum sind Sie dann ausgerechnet hierhergekommen? Sie wissen doch, dass ich hier arbeite.«

»Ich bin wirklich absichtlich hergekommen … aber nicht, um Ärger zu machen. Ich möchte mich entschuldigen.«

Unwillkürlich atmete ich tief durch und entspannte mich. »Wirklich?«

»Ja, ich war heute nicht nett zu Ihnen. Sie wollten nur mein Bestes, und ich habe Sie grundlos angeschnauzt. Es tut mir leid. Manchmal bin ich ein unsensibles Arschloch. Aber so bin ich nun mal. Meistens kann ich das nur schlecht verbergen.«

»Nun, es freut mich, dass Sie mich doch noch richtig verstanden haben, und damit meine ich nicht, dass Sie ein Arschloch sind – was Sie in der Tat manchmal sein können –, sondern dass ich Sie nur vor Unannehmlichkeiten bewahren wollte.«

Schweigend schauten wir uns eine Weile an, dann sagte er: »Schauen Sie, ich bin Ihnen zwar keine Erklärung schuldig, aber ich bin nicht zum Lake Winnipesaukee gekommen, um alle möglichen Frauen aufzureißen oder mein Leben zu verkomplizieren. Genau vor diesen Dingen bin ich geflohen. Sie brauchen sich also keinerlei Sorgen zu machen wegen mir und dieser … Wie heißt sie noch? Ich weiß nicht mal mehr ihren Namen. Ich will nur, dass man mich in Ruhe lässt – ein bisschen Frieden. Das ist die Wahrheit.«

»Sie halten mich offensichtlich für jemanden, der sich ständig ungefragt in fremde Angelegenheiten einmischt.«

»Ja, das stimmt.«

Als er lächelte, bekam ich am ganzen Körper eine Gänsehaut. Der Mann löste bei mir die merkwürdigsten Reaktionen aus. In der einen Minute hatte ich Angst, mit ihm zu reden, in der nächsten wollte ich mich am liebsten in seinen großen braunen Augen verlieren.

Ich räusperte mich und holte meinen Notizblock aus der Schürze. »Was darf ich Ihnen bringen?«

»Ich nehme, was Sie empfehlen können. Ich habe die Speisekarte noch gar nicht angeschaut. Eigentlich bin ich nur gekommen, um mich zu entschuldigen, aber da ich nun schon mal hier bin, kann ich genauso gut etwas essen.«

»Ich lasse mir was einfallen.«

Er runzelte die Stirn. »Muss ich mir Sorgen machen?«

»Keine Bange, ich mische Ihnen nichts ins Essen. Obwohl Sie es verdient hätten, so wie Sie heute mit mir umgesprungen sind.« Ich zwinkerte ihm zu, damit er nicht glaubte, ich wäre nachtragend.

Letztlich bat ich unseren Koch, für Noah einen seiner Spezialburger mit Pilzen, Emmentaler und Zwiebeln zuzubereiten.

Ich brachte Noah seinen Burger mitsamt einem Berg Pommes frites mit Parmesan und Knoblauch und sah ihm zu, wie er die Portion verdrückte. Es verschaffte mir ein eigenartiges Vergnügen, ihn mit Essen zu versorgen, was ich, ehrlich gesagt, noch nie zuvor empfunden hatte. Schau nur, wie er den Burger verschlingt. Der arme Kerl musste am Verhungern sein, nachdem er den ganzen Tag wie ein Sklave geschuftet hatte.

Ich malte mir kurz aus, was er sonst noch alles mit solchem Einsatz tun würde. Kopfschüttelnd machte ich mich wieder an die Arbeit.

Als er mir später seine Kreditkarte geben wollte, hob ich abwehrend die Hand. »Das geht auf mich.«

»Das möchte ich nicht.«

»Ernsthaft … das geht aufs Haus. Ich habe dem Koch erzählt, Sie seien ein Freund. Er besteht darauf.«

Ich hatte sein Essen aus eigener Tasche bezahlt. Das war das Mindeste, was ich im Ausgleich für seine Hilfe tun konnte.

»Dann bedanke ich mich. Es war wirklich lecker.« Er steckte die Kreditkarte wieder in den Geldbeutel und legte einen Zwanziger auf den Tisch, was meine Absicht, seine Rechnung zu übernehmen, konterkarierte.