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Eine Geschichte vom Niedergang der Liebe in den 6000 Jahren unserer Kultur und von den Möglichkeiten, ihr wieder den Platz einzuräumen, der ihr gebührt.
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Seitenzahl: 239
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Jan Moewes Ohne Liebe herrscht nur Trauer
Das Buch
Für den Autor ist dieses Buch die logische Ergänzung seines Erfolgstitels von 1996 über das Universum, den er gerade erneut veröffentlicht hat. Und es ist sein Vermächtnis, sagt er. Leichte Lektüre ist es nicht und einfachen Gemütern oder Angsthasen sei von der Lektüre abgeraten. Wissbegierige und Mutige dagegen werden nach dem Lesen dankbar und erfreut sein, weil sie den Zustand der Welt besser verstehen und somit ihr Planen und Handeln entsprechend klarer sehen werden.
In fast jedem Leser werden sich Widerstände gegen einzelne Aussagen regen, weil man manche Dinge einfach nicht hören möchte. Aber gerade die sind es, die unser Selbstverständnis behindern. Wer nicht weiß, woher er kommt, weil er nicht zurückschauen mag, kann auch nicht wissen, wohin er sich wenden soll. Und da Erziehung und ihre Folgen immer wieder in den Blickpunkt geraten, möchte der Autor das Buch gerade jungen Eltern empfehlen, auch denen, die es werden möchten, und besonders denen, die es werden, ohne es gewollt zu haben.
Der Autor
Ein Vielschreiber ist Jan Moewes nicht, zumindest, was seine eigenen veröffentlichten Bücher betrifft, zum Einen, weil er neben dem Schreiben noch viele andere Interessen hat und ein geselliges Wesen, zum Anderen, weil er sich nur dann in dieser Form äußert, wenn er denkt, dass er wirklich etwas zu sagen hat. Er erfindet ja keine Geschichten, sondern beschreibt komplexe Zusammenhänge, zum Glück immer locker und leicht zu verstehen.
Sprache ist eine seiner Leidenschaften, deshalb hat er doppelt so viele Übersetzungen veröffentlicht (4) wie größere Texte aus eigener Hand, wobei die Kritik immer wieder die kraftvolle Sprache des Autors lobte – das größte Lob für einen Übersetzer, vor allem, wenn genau diese für ihn der erste Anlass seiner Übersetzung war. Schon vor der neuen deutschen Welle hatte er seine 50 Rock’n Roll und Punk Favoriten singbar ins Deutsche übertragen – aus Spaß an der Sache, zum Üben und aus Liebe zur Sprache, denn ohne Liebe herrscht ja nur Trauer.
Diese Aussage stammt aus „Eine kleine Geschichte des Raums“, S.84, dem ersten Buch des Autors, auch bei tredition.de erschienen.
Jan Moewes
Ohne Liebe herrscht nur Trauer
Vom Zustand der Welt
Copyright: © 2015 Jan Moewes
Titelbild: © Izik Lambez (n. e. Motiv von Anne Geddes)/ J.Moewes Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN Paperback: 978-3-7323-5637-9
ISBN Hardcover: 978-3-7323-5638-6
ISBN e-Book: 978-3-7323-6400-8
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhalt
Vorwort
A Rückblick
1 Bei den Müttern
2 Der Anfang vom Ende
3 Die Erfindung der großen Liebe
4 Masochismus – eine seltene Verirrung?
5 Die feige Bestie Mensch oder die innere Kernspaltung
6 B Rundblick
C Ausblick
7 Die universelle Kraft
8 Schwingung und Resonanz
9 Liebe und Wahrheit
10 Wo die Liebe anfängt
11 Die körperliche Liebe
12 Lieben und Teilen
13 Schwingung und Resonanz im Alltag
14 Wachsen und Erblühen
15 In Liebe Erziehen
16 Die Kinder der Zukunft
Bibliographie
Anmerkungen
Da nun das Weib als letzte
aller Kreaturen geschaffen wurde
und Abschluss und Vollendung
aller Geschöpfe Gottes bildet,
ja, die Vollkommenheit der Welt,
wer will da leugnen, dass sie
die Allervortrefflichste unter den Kreaturen ist.
(Agrippa)
Vorwort
Die Welt befindet sich im konstanten Wandel. Niemand sagt, dass dieser Wandel gleichmäßig ablaufen muss. So wissen wir zum Beispiel, dass die Kontinente „driften“, sich also aufeinander zu bewegen oder voneinander fort. Dieser Prozess ist so langsam, dass ihn normalerweise kein Mensch wahrnimmt, außer in einzelnen Momenten, dann aber sehr deutlich, oft genug erschreckend deutlich. Erdbeben oder gar Tsunami wird sie dann genannt. Erdbeben entstehen, wenn der Druck und die Spannung zwischen zwei kontinentalen Platten so groß geworden sind, dass es zu einer plötzlichen und heftigen Korrektur kommt. Wenn Sie ein Brett zu biegen versuchen, passiert auch nicht viel – bis Sie den Punkt erreichen, wo das Brett plötzlich bricht. Wenn Sie damit nicht rechnen, werden Sie sich möglicherweise sehr weh tun, weil sich viel angestaute Spannung in einem kurzen Moment entlädt und dabei gewaltige Kräfte frei werden.
Auch Gesellschaften befinden sich in konstantem Wandel. Wir alle wissen, dass auch dieser Wandel nicht ruhig und gleichmäßig abläuft. Auch dabei können sich Spannungen aufbauen, die desto gewaltiger sein müssen, je stärker die gesellschaftlichen Kräfte sind, die sich gegen diesen Wandel stemmen. Revolutionen sind sozusagen gesellschaftliche Erdbeben. Genau wie diese sind sie Korrekturen unerträglicher Zustände, schlichte Notwendigkeiten. Je gewaltiger die Spannung war, die sich aufgebaut hat, desto gewalttätiger werden die korrigierenden Kräfte sein, die für den überfälligen Quantensprung im Wandel sorgen müssen. Denn ohne Wandel kann das Leben nicht weitergehen. Stillstand ist Tod. Daher der begeisterte Schrei: „Es lebe die Revolution!“, obwohl alle wissen, dass Revolutionen auch mit persönlichem Schmerz und Tod verbunden sind.
Es ist offensichtlich, dass die gesellschaftlichen Spannungen heute weltweit ein Ausmaß erreicht haben, das für sehr viele Menschen unerträglich geworden ist. Viele sagen sogar, dass alles Leben auf dem Erdball bedroht ist und unerträglich leidet. Andere behaupten, das wäre gar nicht so schlimm, das sei schon immer so gewesen und zu ändern wäre es auch nicht. Die Spannung zwischen beiden Gruppen wächst derweil weiter. Die ewigen Opportunisten versuchen, sich mit kleinen Veränderungen durchzulügen; sie versuchen, das dicke Brett, das zu brechen droht, notdürftig zu flicken, indem sie hier und da kleine Leisten zur Verstärkung annageln. Jedem intelligenten Menschen ist klar, dass es dadurch allenfalls etwas später kracht, und dafür umso heftiger. Ich kann nur jedem raten, auf alles gefasst zu sein und höllisch aufzupassen. Ich denke, es wird bald krachen, und zwar gewaltig. Ich höre es schon überall knirschen und knacken, und bin keineswegs der Einzige, der das hört und sieht. Hoffentlich sind Sie nicht der Letzte, der es merkt.
Gehen wir also besser davon aus, dass sich Einiges verändern wird in der nächsten Zeit. Wahrscheinlich wünscht sich das sogar fast jeder in irgendeiner Form. Doch genau so haben die meisten auch Angst davor, denn niemand weiß, was danach sein wird. Den Ängstlichen möchte ich hier Mut machen: lesen Sie das schöne Märchen von den Bremer Stadtmusikanten! „Etwas Besseres als den Tod werden Sie allemal finden!“
Immer sind Wandel, Aufstand, jeder Umsturz und jede Revolution von immensen Hoffnungen begleitet. So groß die Ungewissheit auch ist, die Möglichkeiten sind noch größer. Doch nicht alle Hoffnungen erfüllen sich, und nicht alle Ängste waren begründet. Häufig, wenn nicht sogar meistens, kann man beobachten, dass sich die Verhältnisse nur wenig geändert haben, sobald der Regen erstmal das Blut von den Straßen gewaschen hat. Die Fahnen haben die Farbe gewechselt und die Uniformierten die Uniform, aber für die Meisten sind die Lebensbedingungen fast wie vorher, manchmal sogar schlimmer. Selten dauert es länger als eine Generation, bis sich die alten Verhältnisse wie von selbst wieder hergestellt haben, die mühsam erkämpften Rechte und Freiheiten kaum noch wahrgenommen werden. Das liegt daran, dass sich zwar die politischen Vorgaben verändert haben, aber nicht das Wesen der Akteure. Schnell sind oben wieder Unterdrücker und unten Unterdrückte – wo anders sollten sie auch sein? Das hat Wilhelm Reich sehr klar erkannt und ausgesprochen. Jede Revolution muss scheitern, hat er gesagt, solange der Charakter der Beteiligten der gleiche bleibt. Und jede Erfindung muss nach hinten losgehen, wenn sie in die Hände von Böswilligen fällt, möchte ich hinzufügen.
Die französische Revolution hat den Menschen gleiche Freiheit und gleiche Rechte versprochen, aber der Abgrund zwischen arm und reich ist heute steiler und tiefer geworden als zu Zeiten des Feudalismus. Die Demokratie ist wirklich ein nobles System, aber im Zweifel das Volk zu befragen, ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Die großartigen Menschenrechte gelten vor allem für Körperschaften, die sie als „juristische Person“ für sich beanspruchen, und daher wirklich überall auf der Welt Mauern bauen können, die dann reale Menschen voneinander trennen. Die Sklaverei ist schon lange abgeschafft, und die Kindersklaverei sowieso, aber fragen Sie mal einen Leiharbeiter, wie er sich fühlt, oder fragen Sie nach, wie alt die Jungen und Mädchen sind, die in den sogenannten Schwellenländern unsere Markenkleidung, unsere Sportschuhe oder unsere Fußbälle herstellen. Die Medizin macht täglich größere Fortschritte, und immer mehr Menschen sind krank. Alle reden vom Frieden und leben vom Waffenhandel.
Das bedeutet, dass politische Programme allein nicht ausreichen, um einen wirklichen Wandel zu bewirken, so nötig der auch wäre. Es bedeutet, dass wir nicht nur die Umstände verändern müssen, sondern den Menschen – angefangen bei uns selbst, wenn wir wirklich etwas verändern wollen. Wie es aussieht, werden wir uns selbst sogar dann verändern müssen, wenn wir es gar nicht wollen. Insofern könnte man genauso gut sofort damit beginnen. Bei sich selbst anfangen ist keineswegs leicht, liegt jedoch auf jeden Fall näher als das Rathaus unserer Stadt, als Berlin, Brüssel und Washington - oder gar Peking, wenn wir schon vom Wandel reden.
Und wir werden zurückschauen müssen, um zu begreifen, wie wir so weit kommen konnten, dass der Mensch des Menschen Bestie geworden ist – und auch alles anderen Lebens auf der Erde. Nur ein Narr sägt den Ast ab, auf dem er sitzt, heißt es. Doch auch ein Selbstmörder könnte auf die Idee kommen, und vor allem ein Psychopath, dessen Hass und Zerstörungswut so weit gehen, dass er wie ein tollwütiger Fuchs vor nichts zurückschreckt. Die Nachrichten sind voll von diesen Leuten, und sie begegnen uns ständig auf der Straße, fallen uns aber selten auf, bevor sie in den Nachrichten sind.
Fest steht, dass es eine Zeit gab, in der die Menschheit ohne Militär und Festungen auskam, ohne Polizei und Gefängnisse, ohne Strafen und Gerichte, ohne Herrscher und Untertanen, ohne die große Kluft zwischen arm und reich, ohne Proletariat, ohne Psychiatrien, ohne Prügel, ohne Pornographie und ohne Prostitution. Weiterhin steht fest, dass diese Menschen Barbaren genannt wurden, als unsere Kultur über die Welt hereinbrach und sich selbst als Zivilisation bezeichnete.
Deshalb werden wir unsere Rückschau bei diesen Barbaren beginnen, die auch gern Wilde genannt werden. Aber wenn wir uns das Aufeinandertreffen der Europäer und der Indianer vor Augen halten, das noch nicht so lange her ist, erkennen wir schnell, dass die Wilden gar nicht so wild waren und die Zivilisierten ganz schön barbarisch. Wie so oft dienen die Worte der Verschleierung der Tatsachen und der Beschönigung der Untaten. Auf diese Art der Geschichtsfälschung werden wir bei unserem Blick zurück öfter stoßen.
Denn die Wahrheit über unsere Geschichte ist so entsetzlich, dass sie eigentlich nur als Schande bezeichnet werden kann, und wer gibt so etwas schon gerne zu. Zu unserem Entsetzen werden wir erkennen müssen, dass die Geschichte unserer „Zivilisation“ mit Kindesmisshandlung, Frauenhass und einem authentischen Krieg gegen die Liebe beginnt, der noch heute anhält. Sklaverei, Imperialismus, Militarismus und Faschismus sind nur logische Folgen dieses Krieges, vor denen wir unsere Augen nicht verschließen dürfen, wenn wir verstehen wollen, warum wir geworden sind, wie wir sind.
Zum Glück wird der unangenehme Blick in die Vergangenheit uns zu der Erkenntnis führen, dass die Liebe diesen Krieg niemals verlieren kann, weil sie eine der elementaren Urkräfte des Lebens ist, die das ganze Universum bewegen und zusammenhalten. Insofern richtet sich der Krieg nicht gegen die Liebe, die ist unendlich, sondern dagegen, dass wir für sie offen sind. Der Krieg, den wir führen, ohne uns dessen bewusst zu sein, richtet sich gegen uns selbst. WIR sind des Menschen und der Erde Bestie geworden, und jeder Einzelne von uns ist sein erstes Opfer. Das ist der Grund, weswegen jeder Wandel, jede Revolution, ihren Anfang nur in jedem Menschen selbst finden können, in seiner Mitte, um ganz genau zu sein.
Dort anzufangen, ist gar nicht so einfach, wie es eigentlich sein müsste. Dort liegt all unsere Schande, unsere Scham und unser existenzielles Leid versteckt, all das, was wir selbst zuallerletzt sehen wollen. Aber wenn wir da nicht anfangen, kommen wir nie ans Ziel.
Dieses Buch muss mit einem Rückblick beginnen, bei einem besinnlichen Rundblick innehalten, um dann zum Ausblick zu finden. Uns wird dieses Buch in seinem zweiten Teil, um den es eigentlich zuerst geht, so viele Möglichkeiten und Chancen aufzeigen, dass wir am Ende voller Hoffnung in die Zukunft schauen können. Dann wird dieses Buch zu dem werden, was es sein soll: ein Loblied auf die Liebe. Beginnen wird es jedoch dort, wo unser aller Leben begann – bei den Müttern.
A 1 Bei den Müttern
One Love, one Heart
Let’s get together
and feel allright!
(Bob Marley)
Die Altertumsforscher gehen heute davon aus, dass in allen ursprünglichen Gesellschaften die Frau im Mittelpunkt stand, oder besser gesagt, die Mutter. Einige unserer nicht immer vor Arroganz gefeiten Wissenschaftler nennen diese Phase in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit die kindliche, weil sie die Evolution der Menschheit mit der Entwicklung des Menschen vergleichen, und die frühen Phasen beider als unreife, dumme Vorstufe abqualifizieren. Darin offenbart sich die gleiche Verleumdung wie in der Bezeichnung Barbaren oder Wilde für die ursprünglich lebenden Menschen, die man besser „Im Einklang Lebende“ genannt hätte. Auch unsere anfangs noch sehr lebendigen Kinder rügen wir ja gern als viel zu wild. Heute wird allerdings nicht mehr lange gerügt, heute wird beruhigt, mit Ritalin.
Da die Verwandtschaft in jenen fernen Zeiten selbstverständlich über die mütterlichen Vorfahren abgeleitet wurde, spricht man von matrilinearer Organisation. Gebräuchlicher ist das Wort Matriarchat, auf gut deutsch Mutterrecht. Es ist allerdings auch schon wieder auf geradezu absurde Weise irreführend, zeichnet sich doch jene Zeit gerade durch das Fehlen eines ausdrücklichen Rechts aus. Den Müttern war sozusagen alles Recht. Das war wesentlich leichter für sie, als wir uns das heute vorstellen können.
Ein ganz und gar nicht kleiner, sondern fundamentaler Unterschied zwischen den Geschlechtern ist das sichere Wissen der Mutter, dass ein Kind von ihr ist. Der Mann dagegen kann so sicher nur selten sein. Oft genug erfährt er nicht einmal, dass er Vater geworden ist, oder er glaubt es nicht oder er will es gar nicht wissen. Oder, was wohl das Schlimmste ist, es plagen ihn lebenslange Zweifel. Ein großer Teil des Rechts, das nötig wurde, als die Väter die Mütter ablösten, dient vor allem dazu, genau diese „VerZWEIFELung“ möglichst auszuschließen. Deshalb ist der Ausdruck Vaterrecht sehr zutreffend. All unser Recht ist Vaterrecht.
Damals, bei den Müttern, war die Vaterschaft noch nicht so wichtig. Die Abstammung von der Mutter war unbestreitbar, und deshalb waren die Mütter Dreh- und Angelpunkt der Sippe. Die erste Gottheit, die verehrt wurde, war überall die Urmutter und nicht Gottvater. Da die Wiege der Menschheit wohl in Afrika stand, und zur Entspannung, möchte ich an dieser Stelle etwas erzählen, das alles andere ist als ein Witz, und das ist:
Mein Lieblingswitz
Ein eng mit dem Papst befreundeter Kardinal liegt im Sterben, und er besucht ihn, denn er hat eine Bitte. „Guiseppe“, sagt er, „du wirst Ihm ja nun bald gegenüberstehen. Und weißt du, ich habe so gar keine handfeste Vorstellung von Ihm. Nicht, dass ich nicht an Ihn glaubte, ist ja klar, aber ich wüsste wirklich gern ein bisschen mehr von Ihm. Also wenn du es irgendwie einrichten kannst, dann lass mich bitte wissen, wie Er ist! Ich flehe dich an.“
Der Kardinal verspricht es und scheidet bald dahin. Ein paar Wochen später erwacht der Papst plötzlich und vor seinem Bett steht mit sehr ernstem Gesicht der grünlich leuchtende Geist des Kardinals.
„Und? Hast du Ihn getroffen? Wie ist Er? Bitte, sag es mir!“, bettelt der Papst.
„Es wird dir nicht gefallen.“, warnt streng der Kardinal, doch der Papst kann und will das nicht glauben Er ringt die Hände und gibt keine Ruhe.
„Komm, sag schon! Was soll mir an Ihm nicht gefallen?“ „Naja“, sagt der Kardinal,
„Sie ist schwarz!“
Mein Lieblingswitz ist das vor allem, weil es die kürzeste Form ist, in der mir die wahre Geschichte begegnet ist. Was uns über Adam und Eva erzählt wird, passierte erst etliche Jahrtausende oder einige Göttergenerationen später. Unser Gott ist sozusagen ein Enkel oder Urenkel jener dicken schwarzen Mutti, die damals auf dem Himmelsthron saß, obwohl es den noch gar nicht gab, weil SIE so etwas nicht brauchte.
Spaß beiseite, alle, die sich um eine Mutter scharen konnten, gehörten zusammen, und meist konnten sich mehrere Mütter wieder um eine gemeinsame scharen, die Groß(e)mutter, und spätestens das war dann wirklich eine Sippe. Die Sippe war sozusagen die kleinste menschliche Einheit – die Familie war noch nicht erfunden, und auch das Individuum in unserem Sinne kannte man noch nicht. Das ist kein Wunder, hatte man doch als Einzelmensch nicht die geringste Überlebenschance. Die hätte ein einzelner Mensch auch heute nicht. Außerdem ist es überhaupt nicht lustig.
Innerhalb der Sippe gehörte alles allen, und alle waren für alle da. Da sie zusammengehörten, liebten sie sich, ohne je darüber nachzudenken, ohne davon reden zu müssen. Zu wissen, dass man zusammengehört, ist die Urform der Liebe. Vermutlich gab es nichtmal ein Wort dafür. Da also in diesem Kreis niemals jemand einem anderen bewusst Leid zufügen wollte, brauchte man im Prinzip gar nichts zu verbieten. Und genau so war es: Grundsätzlich war erst einmal alles erlaubt. Das kann sich heute kein Mensch mehr vorstellen. Das war das Paradies! Ernsthaft: man hält es heute für wahrscheinlich, dass das biblische Paradies nicht so sehr eine bestimmte Gegend beschreibt, sondern vor allem eine andere, glücklichere Form des Zusammenlebens.
Einfacher war sie auf jeden Fall. Nichts hat unser Leben mehr kompliziert als die Abschaffung des wenigen, ungeschriebenen „Rechts“ der Mütter: Alle sind für alle da, alles ist für alle da. Es ist unglaublich, welchen Aufwand der Mann betreiben muss, um wenigstens die Illusion zu haben, dass ganz bestimmt kein Kuckuckskind an sein Erbe kommen kann. Dass es damals noch gar kein zu vererbendes Vermögen gab, kam erleichternd hinzu. Da kein Mensch etwas stehlen kann, was ihm schon gehört, brauchten die Mütter weder Polizisten noch Richter noch Rechtsanwälte noch Gefängnisse noch Gesetze. Deshalb lenkt der Begriff Mutterrecht fatal von der Wahrheit ab. Wenn es überhaupt so etwas wir Regeln gab, dann hatten diese religiösen Charakter, das Leben und die Liebe heiligend.
Viele der Begriffe, mit denen wir heute das Verhalten der ursprünglich lebenden Menschen beschreiben, sind völlig daneben gegriffen, weil wir uns die Gefühle und Beweggründe dieser Menschen nicht einmal annähernd vorstellen können. Die üblen Worte „Tempelprostitution“ und „Gastprostitution“ beschreiben das Geschehen in keiner Weise, wohl aber die Vorstellungswelt der Forscher, die solche Bräuche in den letzten Jahrhunderten erstaunt zur Kenntnis nahmen. Wahrscheinlich hätten sie dem Gast auf jeden Fall etwas abkassiert. Das freilich tat man bei den Naturvölkern nicht, im Gegenteil, man wurde dort allenfalls ermahnt, wenn man sich über Gebühr von den anderen fernhielt. Schließlich waren ja alle für alle da.
Falls es trotz allem mal ein Problem in der Gemeinschaft gab, beratschlagte man gemeinsam, wie es zu lösen war, und dabei dachten diese Menschen eher über Wiedergutmachung als über Strafe nach. Die einzige wirkliche Strafe, die es gab, war der Verstoß aus der Sippe. Das war ein ähnlich schrecklicher Gedanke wie der, ganz alleine in den Weltraum geschossen zu werden. Und ein ebenso sicheres Todesurteil. Deshalb kam es selten zur Anwendung.
Probleme anderer Art gab es natürlich, aber mehr als heute waren es gewiss nicht. Vor allem kamen all diese Probleme von außen, nicht von innen, und deswegen schleppte man sie nicht überallhin mit sich herum. Daher gab es auch keine Neurosen, keine Psychosen, keine Perversionen, keine Irrenärzte und keine Psychiatrie. Verrückte gab es, aber die wurden als gottgegebenes Geschenk geachtet und meist gut behandelt. So unterhaltsam wie unser Fernsehen werden sie bestimmt gewesen sein.
Besonders wichtig - und wir werden später noch sehen, wie wichtig – war, dass es kein Jugendverbot gab. Da alles gut war, gab es nicht einmal so etwas wie Scham. Das Privatleben war noch nicht erfunden. Sexualkunde war nicht Teil einer Ausbildung, sondern normales Leben ringsum. Weil es so natürlich war wie Atmen oder Essen, war es auch nichts Sensationelles. Für die zivilisierten Eroberer, Entdecker, Missionare und Forschungsreisenden dagegen gab es nichts Aufregenderes. Deshalb sind die sexuellen Freiheiten meist das Erste, was uns von den vielen Naturvölkern berichtet wurde, die es alle nicht mehr gibt – weder die Völker noch die Freiheiten.
Die ersten ernsthaften Berichte, die über Anekdoten und Gerüchte hinausgingen, verdanken wir wohl Malinowski, einem Anthropologen, der 1914 zu den Trobriand-Inseln aufbrach und dann wegen des Ersten Weltkriegs mehr als drei Jahre dort hängen blieb.
Durch ihn wurden die Trobriander und ihre Bräuche bekannt, und damit sehr bald das „Sexualleben der Wilden“. In seinem ersten Buch über dieses Volk hatte er über das ähnlich erstaunliche Schenken-statt-Kaufen-System der Eingeborenen geschrieben, aber dieses Buch erregte weder das Aufsehen des folgenden noch erreichte es dessen Verbreitung. Im Großen und Ganzen hat er damals schon das Wesentliche von allem erzählt, was später immer und immer wieder mit Detailunterschieden von allen anderen ursprünglich lebenden Völkern der Welt berichtet wurde, bevor man sie ausrottete.
Malinowski und alle seine Nachfolger schildern ein Leben, das sie gerne unbeschwert nennen. Wahrscheinlich war es das. Doch das für Europäer Unbegreiflichste ist immer der unbefangene sexuelle Umgang miteinander. Den natürlich lebenden Menschen war die Liebe so selbstverständlich wie das Atmen. Wahrscheinlich redeten sie nie darüber, brauchten nicht einmal ein Wort dafür. Sich dabei zu verstecken, wäre ihnen so absurd vorgekommen wie verstohlenes Atmen. Nie wären sie auf die Idee gekommen, irgendeine Liebesäußerung vor ihren Kindern zu verbergen, auch die körperliche Liebe nicht, gerade die nicht. Sie liebten ihre Kinder, und deshalb durften diese immer so viel lernen, wie sie wollten, damit sie ordentliche Exemplare ihrer Gattung werden konnten. Dass die Liebe Grundlage ihres Lebens war, wussten alle genau, deshalb brauchten sie ja keine Worte. Sollten ihre Kinder ausgerechnet das Grundlegende nicht lernen?
Ganz selbstverständlich haben sie das Richtige getan, das Natürliche. Von den Schimpansen, die uns ja näher stehen, als selbst Darwin geglaubt hätte – nur etwa zwei Hundertstel unseres genetischen Materials unterscheiden sich von ihrem – von den Schimpansen also wissen wir heute, dass diejenigen, die in ihrer Kindheit den Verkehr zwischen erwachsenen Exemplaren nicht beobachten können, es als Erwachsene nicht einmal versuchen, dafür aber krank und bösartig werden. Ähnliches können wir leicht auch beim Menschen beobachten. Bei den Affen kann allerdings nur ein seltener Unglücksfall den gelebten Anschauungs-Unterricht verhindern, denn nicht einmal die angeblich dummen Affen sind so blöd wie wir, die wir die brennende, lebenswichtige Neugier unserer Heranwachsenden eher bestrafen als befriedigen. Dabei gehört diese Neugier zu ihrer Natur, die ein ordentliches Exemplar will, einen guten Liebhaber. Doch meist ist die einzige Quelle, die sich unserem Nachwuchs bietet, um seinen berechtigten Wissensdurst zu löschen, die widerwärtige Pornographie, die uns mehr und mehr überschwemmt.
Da wir nun schon mal bei den Affen sind, soll noch eine andere erstaunliche Ähnlichkeit zwischen deren und unserem Verhalten erwähnt sein. Bei den Bonobos, die den Schimpansen – und damit auch uns – so ähnlich sind, dass man sie erst vor kurzem zu einer eigenen Art ernannt hat, ist der aufrechte Gang fast so selbstverständlich wie beim Menschen. Dadurch wirken sie wesentlich eleganter als Schimpansen. Rotere Lippen sollen sie auch haben. Aber vor allem ihr Verhalten unterscheidet sie gewaltig von den Schimpansen. Während jene leicht reizbar und aggressiv sind, sind die Bonobos umgänglich und im Allgemeinen friedlich. Während jene ihr Territorium gegen Eindringlinge mit aller Gewalt verteidigen, neigen diese dazu, Neulinge zu integrieren und sich mit den Nachbarvölkern zu vermischen. Während Schimpansen ihre Probleme meist kriegerisch zu lösen versuchen, lösen die Bonobos die ihren meist durch Sex. Normalerweise paaren sie sich so oft und gern in allen Formen und mit wem auch immer, dass gar keine Zeit für Streitereien bleibt, weil alle gerade was Besseres zu tun haben. Bei den Schimpansen ist ein männliches Tier dominant, bei den Bonobos sind es die weiblichen. Eine verblüffende Übereinstimmung mit dem Menschen: die Muttervölker haben sich mehr wie die Bonobos verhalten, und wie wir noch sehen werden, der vaterrechtlich organisierte Mensch wie die Schimpansen. Ein überwältigender Fortschritt ist das nicht.
Bei Malinowskis Trobriandern also liebten sich die Erwachsenen ohne jede Scheu vor aller Augen. Deshalb schaute kaum jemand hin, außer den Anthropologen natürlich, und wahrscheinlich den Kindern. Erstens lassen die Mama sowieso nicht gerne aus den Augen, solange sie noch klein sind, und zweitens sind sie von Natur aus neugierig, auch wenn sie größer werden. Und alles, was sie sehen, spielen sie nach. Deshalb spielen unsere Kinder die Morde aus dem Fernsehen nach, während die Südsee-Kinder „Mami schläft mit Onkel Nico oder Onkel Klaus“ spielten. Das ist nur logisch. Logisch ist allerdings auch, dass wir danach die Hände entsetzt über dem Kopf zusammen schlagen, während die Südsee-Eltern sich bestens über ihre Sprösslinge amüsierten.
Wenn deren Spiel dann langsam interessanter und aufregender wurde, durften sie immer noch, und wenn es endlich klappte, hatte auch keiner was dagegen. Dass diese Kinder glücklicher waren als unsere, ist leicht einzusehen. Dass aus glücklichen Kindern auch glückliche Erwachsene werden können, noch leichter. Tatsächlich haben unsere Forscher nicht nur erstaunt von der Freizügigkeit dieser Menschen erzählt, sondern fast ausnahmslos auch von ihrer - für die Forscher ebenso erstaunlichen – Lebensfreude. Gerade, dass die normalerweise alles andere als wilden Wilden nichts hatten und kaum etwas brauchten, dass allein ihr bloßes Dasein sie so offensichtlich glücklich machte, hat die Eroberer überall völlig aus der Fassung gebracht.
Geheiratet wurde viel später, und nur, wenn beide Lust dazu hatten. Falls man jedoch irgendwann keine Lust mehr hatte, war das auch nicht so ein Drama wie heute. Im schlimmsten Fall musste der junge oder auch nicht mehr so junge Mann, der seine Frau nicht glücklich gemacht hatte oder mit ihr nicht glücklich geworden war, zu seiner eigenen Sippe zurückkehren.
So ist es kein Wunder, dass diese Leute unbeschwert wirkten, Sie waren es. Das war nicht nur in der Südsee so, sondern auch in Nord-, Süd- oder Mittelamerika, in Afrika, in Australien und vor langer Zeit wohl auch bei uns, von der Etsch bis an den Belt.
Dass wir bis jetzt das Liebhaben bei den Naturvölkern hauptsächlich unter dem körperlichen Aspekt betrachtet haben, hat, wie schon gesagt, mehr mit unserer gespannten Erwartung „in diesen Dingen“ zu tun als mit den sogenannten Wilden. Deshalb verlassen wir nun das Feld der aufregenden erotischen Gewohnheiten und kommen endlich zu anderen, nicht weniger unvorstellbaren Bräuchen, ungeheuerlichen Sitten und Werten auch auf Gebieten, die mit dem Geschlechtsleben nicht das Geringste zu tun haben – zumindest scheint es so. Doch gerade da wird der Freiraum geschaffen, in dem das unbeschwerte Liebhaben erst möglich wird. Nicht die wilde Sexualität sprengte die Schranken, sondern das Fehlen der Schranken ließ dem „Wilden“ seine ganze Sexualität.
Er war nicht gezähmt. Uneingeschränkt stand ihm das Leben offen. Sein auffälliges Glück stammte aus dem Einverständnis, dem Wissen, dazu zu gehören und geborgen zu sein. Die Idee des Individuums war so unvorstellbar wie die der Spaltung von Atomen. Ein einzelner Mensch hatte keine Chance, die Sippe oder der Stamm waren unauflösliche Gemeinschaften. die das Überleben sicherten
Ein einzelner Mensch hat auch heute keine Chance, aber damals war es allen klar. Zu wissen, dass man zusammen gehört, ist eine sehr stabile Form von Liebe. Was zusammen gehört, liebt sich ganz von selbst, muss sich lieben. Was zusammen gehört, teilt auch selbstverständlich.
Schranken sind immer willkürliche Unterscheidungen, erzwungene Trennungen von Zusammengehörigem. Gehörte es nicht zusammen, bräuchte man keine Schranke. Schranken sind immer Unterbrechungen des lebendigen Flusses. Dass Gesetze und Verbote Schranken sind, die die Mütter nicht brauchten, hatten wir schon erwähnt, genausowenig wie sie Richter und Polizisten brauchten, Justizpaläste und Gefängnisse, Besserungsanstalten und Erziehungsheime, Obrigkeiten und Untergebene, Verwaltung und Verwaltete. Es ist völlig klar, dass Recht und Ordnung überflüssig sind, wenn die Liebe regiert. All diese Schranken wurden erst nötig, als die neuen Herren gewaltsam eine Grenze zogen, die sie fortan mit einer Unzahl von Schlagbäumen, Stacheldraht, Wachtürmen, Minengürteln und Selbstschussanlagen sichern mussten, einen authentischen Todesstreifen: die Grenze zwischen Dein und Mein, die nichts anderes ist als eine Grenze zwischen Dir und Mir.
Am schlimmsten dürfte es die Kinder getroffen haben. Plötzlich gab es meine Kinder und deine Kinder. Früher waren die Kinder der Wohlstand und die Zukunft der Sippe gewesen, keine Mutter hatte jemals die alleinige Verantwortung, keine trug die Last allein und niemals war ein Kind für die Mutter eine Katastrophe, die ihre Zukunft beeinträchtigte. Kein Kind war von einer einzigen Person abhängig, kein Kind war einer einzigen Person ausgeliefert, kein Kind musste jemals allein sein. Und keines musste den Hass von Leuten ertragen, die es für ihr verunglücktes Leben verantwortlich machten. Nicht einmal der Tod der Mutter war eine existenzielle Bedrohung für ein Kind, das viele Mütter in Reserve hatte.
Wir zahlen einen hohen Preis für eine Fiktion. Nichts gehört uns wirklich. Unsere Kinder gehen ihre eigenen Wege, die Vögel im Sachsenwald pfeifen auf die Familie Bismarck und Herr Rockefeller hat das meiste von dem, was ihm angeblich gehört, noch nie gesehen. Besitz ist eine Illusion, fast so flüchtig wie die Luft zum Atmen. Erst wenn wir teilen, können wir teilhaben, erst wenn Alles wieder Allen gehört, gehört uns wirklich etwas, nur Loslassen ist Reichtum, Festhalten ist Armut.