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Wahre Führung spricht durch Taten In diesem wegweisenden Werk enthüllt der große Staatsmann Tony Blair die Lektionen und Einsichten, die er sich während seiner Zeit als Premierminister des Vereinigten Königreichs von 1997 bis 2007 erarbeitet hat – das Buch, von dem er sagt, er hätte es zu Beginn seiner Amtszeit selbst dringend gebraucht. Konfrontiert mit den enormen Herausforderungen an der Spitze einer der mächtigsten Nationen der Welt, musste Blair ohne Leitfaden navigieren und lernte die Kunst des Regierens durch praktische Erfahrung. Jetzt teilt der Elder Statesman sein profundes Verständnis über Führung, basierend auf den Erfahrungen aus seiner Regierungszeit und zahllosen Gesprächen mit den wichtigsten Entscheidern dieser Welt. In 40 kompakten Kapiteln behandelt Blair essenzielle Fragen zu Führungskompetenzen, Krisenmanagement, der Bedeutung von KI, Umgang mit Kritik und der Bedeutung von Bescheidenheit. Er vermittelt dabei eine zentrale Botschaft: Effektive Führung misst sich nicht an Worten, sondern an Taten und Ergebnissen.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
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Aus dem Englischen von Karlheinz Dürr
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Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel On Leadership bei HUTCHINSONHEINEMANN, an imprint of CORNERSTONE. CORNERSTONE is part of the Penguin Random House group of companies.
Copyright © Tony Blair 2024
Für die deutsche Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2025
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München
Covermotiv: Stuart McClymont / The Sunday Times Magazine / News Licensing
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Cover & Impressum
Widmung
Einleitung: Leadership und die Wissenschaft vom Regieren
Teil I
Machtübernahme
1 Als Leader brauchen Sie einen Plan
2 Stärken Sie Ihre Machtzentrale
3 Priorisierung: Wer alles auf einmal will, bringt nichts zustande
4 Gute Inhalte sind (fast) immer gute Politik
5 Es geht immer um Menschen
6 Die Bürokratie zähmen – und gleichzeitig pflegen
Teil II
Umsetzung
7 Demokratie oder nicht, es geht immer um die Umsetzung
8 Die herausragende Bedeutung der Strategie
9 Werden Sie Changemaker, nicht Platzhalter
10 Le Suivi: Das konkrete Umsetzen
11 »Quick Wins« versüßen den Wandel
12 Sieg oder Niederlage: In der Politik ist nichts sicher
Teil III
Politische Lektionen
13 Ihre wichtigste Aufgabe: den Menschen Sicherheit geben
14 Lektionen für die Wirtschaft
15 Rechtsstaatlichkeit
16 Die Plage der Ideologie
Teil IV
Eine Welt im Wandel: Die technologische Revolution des 21. Jahrhunderts
17 Die technologische Revolution und die Neuerfindung des Staates
18 Extrablatt! Etwas Wichtiges ist passiert!
19 Technologie anwenden: Der neu gedachte Staat in Aktion
20 Die Infrastruktur aufbauen
21 Umgestaltung, nicht Umordnung: Was der Staat von Tech lernen kann
Teil V
Außenpolitik
22 Internationale Angelegenheiten: Warum es wichtig ist, konsistent zu sein
23 In der Außenpolitik beruhen persönliche Beziehungen auf Vertrauen
24 Wie Sie zwischen den USA und China navigieren (und Indien dabei nicht vergessen)
25 Aus Außenpolitik wird Innenpolitik
26 Verhandeln – aber wie?
Teil VI
Kommunikation in einer neuen Medienlandschaft
27 Strategische Kommunikation: Der Unterschied zwischen Narrativ und Pressemitteilung
28 Wie heute mit Kritik umzugehen ist
29 Skandale
30 Politik in der Ära der sozialen Medien
Teil VII
Sie, der Leader
31 Lassen Sie sich nicht von Paranoia überwältigen
32 Ihr Hinterland
33 Hybris und Nemesis
34 Sie sind keineswegs so clever, wie Sie glauben
35 Respekt zu genießen ist besser als Liebe, Furcht oder »Vertrauen«
36 Ehrgeiz: Wer zu viel erwartet, verrechnet sich
37 Machen Sie sich nicht absichtlich Feinde, denn das lässt sich eh nicht vermeiden
38 Sie brauchen eine Basis, keinen Klüngel
39 Bewahren Sie Ihr Erbe
40 Ein Abgang in Würde
Nachwort
Dank
Stichwortverzeichnis
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Register
Den wunderbaren Mitarbeitern meines Instituts gewidmet. Ihr seid es, die den Wandel möglich machen.
Ich kenne keine politischen Führungskräfte, die nur deshalb Erfolg hatten, weil sie »LEADER« waren. Ihren Erfolg hatten sie harter Arbeit zu verdanken, aber auch ihrer Einsatzbereitschaft, der intensiven Beschäftigung mit den Details, ihren gründlich abgewogenen Entscheidungen, einem gesunden Maß an Selbstzweifeln sowie einem stabilen Selbstvertrauen.
Und ihrer Neugierde. Ihrer Bereitschaft zu lernen. Der unermüdlichen Suche nach der richtigen Antwort, wobei sie notfalls bis zum innersten Kern der Angelegenheit vordringen, um diese Antwort zu finden.
Zehn Jahre stand ich an der Spitze der britischen Regierung, und seit fast zwanzig Jahren berate ich durch mein Institut (Tony Blair Institute) Regierungen und Führungspersönlichkeiten in rund vierzig Ländern überall auf der Welt. Dabei habe ich viel gelernt und lerne noch immer viel dazu, wenn ich andere beim Führen beobachte.
Politische Führung – »Leadership« – gleicht immer einer Reise. Im Laufe der Jahre habe ich auf dieser Reise ein Muster entschlüsselt, das sich in drei Phasen untergliedern lässt.
Im ersten Überschwang der Machtübernahme sind Leader gute Zuhörer. Sie wissen, dass sie nichts oder nur wenig darüber wissen, was Regieren wirklich bedeutet. Deshalb hören sie eifrig zu.
Im zweiten Stadium haben sie sich dem Rhythmus des Regierens angepasst. Jetzt wissen sie genug, um zu glauben, dass sie alles wissen. Sie hören nur noch ungeduldig zu. Denn nun sind sie der Boss. Wer könnte mehr wissen als sie selbst?
Das dritte Stadium ist das der Reife: Die Leader gelangen zu der Einsicht, dass das, was sie wissen, nicht die Gesamtsumme des politischen Wissens sein kann, und dass es Dinge gibt – viele Dinge –, die sie nicht wissen. Jetzt hören sie wieder mit mehr Bescheidenheit zu und lernen.
Leider wird ihnen diese wunderbare Erkenntnis gewöhnlich erst durch bittere Erfahrung vermittelt.
Die Wegstrecken zwischen diesen drei Phasen können lang oder kurz sein.
Viele Führungskräfte schaffen es nie über die zweite Etappe hinaus. Das ist genau die Phase, in der die meisten Fehler gemacht werden.
In diesem Buch geht es darum, Führungskräften wichtige Lektionen der »Wissenschaft vom Regieren« zu vermitteln, die ihnen helfen, den Lernprozess abzukürzen, sodass sie schneller und besser vorbereitet die dritte Phase erreichen.
Regierungen hat es natürlich schon immer gegeben. Aber das 20. Jahrhundert brachte eine beispiellose Ausweitung dessen mit sich, was eine Regierung zu tun hat und was die Öffentlichkeit von ihr erwartet.
Im Großbritannien des frühen 19. Jahrhunderts war die Rolle des Staates noch sehr begrenzt. Die Regierung erhob Steuern, um eine Reihe von Aufgaben finanzieren zu können, die vor allem militärischer Art waren. Es gab so gut wie kein öffentliches Bildungssystem, kein staatlich organisiertes Gesundheitswesen, keine Altersrente und kein nennenswertes öffentliches Wohlfahrtssystem. Recht und Ordnung wurden nur ansatzweise durchgesetzt. Das Konzept der Sozialfürsorge war unbekannt. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich dann allmählich eine staatliche Vorsorge, aber noch um 1900 machte der Anteil der staatlichen Ausgaben nur rund 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus.
Heute liegt dieser Anteil bei über 40 Prozent, weil der Staat immer mehr Aufgaben, Pflichten und Verantwortlichkeiten übernommen hat. In den meisten entwickelten Ländern wurde der öffentliche Bereich in ähnlicher Weise ausgebaut. Und die Schwellen- und Entwicklungsländer folgen ihrem Beispiel.
Die Menschen verlassen sich heute darauf, dass ihr Staat eine ganze Reihe von Lebensbereichen organisiert – und oft auch finanziert, so etwa die Bildung ihrer Kinder, die Krankenpflege und -versorgung oder die finanzielle Unterstützung, wenn sie alt sind oder arbeitslos werden. Sie erwarten, dass ihre Regierung für Sicherheit auf den Straßen sorgt und die Nation nach außen schützt. Sie wollen, dass die Regierung Gesetze für die immer komplexer werdende Wirtschaftswelt erlässt und alles reguliert, von der Lebensmittelsicherheit über die Abfallwirtschaft und die Vermarktung von Produkten bis hin zu Umwelt- und Klimaschutzfragen.
Als Folge dieser Aufgabenfülle ist der moderne Staat in unserem Leben zu einem riesigen und sich ständig weiter ausbreitenden, sich in alles einmischenden, alles umfassenden Ungeheuer geworden. Wir mögen noch so erbittert über seine monströse Größe und seinen Zweck debattieren, aber die Realität ist nun mal so, dass er nicht mehr verschwinden wird – und dass sich die Art und Weise, wie er funktioniert, entscheidend auf unsere Lebensweise auswirkt.
Angesichts dieser unvermeidlichen Wahrheit erscheint es doch seltsam, wie eng begrenzt und wie selten ernsthaft darüber debattiert wird, was wir als Wissenschaft vom Regieren bezeichnen können: die Frage nämlich, wie diese gewaltige Maschinerie funktioniert und wie dafür gesorgt werden kann, dass sie besser funktioniert.
Ich meine damit nicht, dass wir nicht über die Kompetenz bestimmter Regierungen oder ihre Politiken debattieren. Das tun wir. Aber wir fokussieren uns nicht sehr stark auf die Prinzipien dessen, was gutes Regieren ausmacht, was funktioniert und was nicht, oder ob es allgemeine Regeln oder Lektionen gibt, die wir lernen könnten. Anders ausgedrückt: Die Frage, wie wir aus diesem Ungeheuer das Beste herausholen können, scheint uns nicht besonders wichtig zu sein.
Natürlich herrschen in jedem Land andere Bedingungen. Und wie ich immer wieder feststellen konnte, sind politische Führungskräfte zumindest am Beginn ihrer Amtszeit größtenteils davon überzeugt, dass die eigene Nation einzigartig und dass das, was sie von anderen lernen könnten, daher begrenzt sei.
Aber über alle Nationen hinweg weisen die Prozesse des Regierens große Ähnlichkeiten auf. Die Herausforderungen sind oft die gleichen. In der Art des Regierens – effektiv oder ineffektiv – zeigen sich die gleichen Grundzüge. Auch können sich Regierungen oft auf jahrzehntelange Erfahrungen stützen. Es ist daher möglich, und mit Blick auf den Erfolg sogar von entscheidender Bedeutung, sich die verschiedenen Elemente des Regierens bewusst zu machen und sie zu verstehen, bevor man sich die Bürde der Verantwortung für die Nation auf die Schultern lädt.
Tatsächlich ist es eine Wissenschaft für sich, wie eine Regierung funktioniert, wie sie die richtigen Strukturen der Entscheidungsfindung schafft, wie sie sich selbst organisiert, wie ihre Führung ihre Zeit und die Spanne ihrer Handlungsfreiheit nutzt, um zu regieren, statt nur politischen Aktionismus zu betreiben.
Die Beherrschung dieser Wissenschaft macht buchstäblich den Unterschied zwischen den Regierungen – und daher oftmals auch zwischen den Ländern – aus, die erfolgreich sind, und den Regierungen – und Ländern –, die scheitern.
Im Gespräch mit neuen politischen Führungskräften führe ich oftmals eine kleine Übung durch. Ich bitte sie, Länder miteinander zu vergleichen, die Nachbarn sind und sich in puncto Bevölkerungsgröße, natürliche Ressourcen und Chancen ähneln: Polen und Ukraine (vor dem Krieg); Ruanda und Burundi; Myanmar und Malaysia. Oder vergleichen wir Kolumbien trotz all seiner Probleme mit Venezuela und Kuwait mit den erfolgreichsten Golfstaaten. Und dann natürlich auch das größte Laborexperiment in der Ausübung von Herrschaft, das der Menschheit derzeit zur Verfügung steht: die koreanische Halbinsel mit Nord- und Südkorea.
Für jedes erfolgreiche Land wird es einen Wendepunkt gegeben haben, den Augenblick, in dem es voranschritt, sich entwickelte, sein Potenzial entfesselte und expandierte.
Wie wurden die Entscheidungen getroffen, die diese Wende auslösten? Wie wurden sie von der Vision in die Realität übersetzt? Schließlich bestand jeder einzelne Schritt nicht nur aus einem Gedanken, sondern umfasste auch eine Vorgehensweise: Es musste eine Politik geben, einen Rahmenplan für die Umsetzung, ein Verfahren für die Durchführung. Und natürlich war dafür auch Leadership erforderlich.
Für Sie als politische Führungskraft wäre es daher unklug, eine große Reform einleiten zu wollen, ohne genau studiert zu haben, wie andere Leader mit ähnlichen Problemen und Herausforderungen umgegangen sind. Aus der Regierungsarbeit ergeben sich Lehren; sie enthält Attribute, die allgemeingültig und somit auch anderswo anwendbar sind. Selbst in ihren Besonderheiten finden sich gemeingültige Elemente. Es lohnt sich, sie zu studieren.
In Demokratien wird der Regierungschef gewählt. Für das Regieren selbst werden jedoch keine weiteren Qualifikationen vorausgesetzt: Ich wurde ohne vorherige Regierungserfahrung Premierminister. Politische Führungskräfte arbeiten sich nicht nach oben und lernen bei ihrem Aufstieg, ihre Fähigkeiten dabei ständig evaluierend. Sie kommen einfach dort an und versuchen klarzukommen. Das gilt auch für viele, wenn nicht sogar für die meisten Minister, obwohl sie große Ministerien mit enormen Budgets leiten müssen. Und das trifft auch für nicht demokratische Länder zu: Auch deren neue Führungskräfte kommen mit derselben Diskrepanz zwischen Macht und Erfahrung ins Amt, und ihre Minister sitzen im selben Boot.
In keinem anderen Lebensbereich wäre so etwas auch nur im Entferntesten denkbar, obwohl die meisten für das Leben von Normalbürgern weit weniger wichtig sind als die Regierung. Das würden wir für gedankenlos, verantwortungslos und sogar für hochgradig gefährlich halten.
Fairerweise kann man von den Wählern nicht erwarten, dass sie eine präzise Vorstellung von der Regierungsfähigkeit der Personen haben, die sie wählen. Aber sie bilden sich natürlich eine generelle Meinung, und darauf basiert ihre Wahlentscheidung.
Doch selbst wenn eine neue Führungskraft ihr Amt antritt, der es – wie auch ihrem Team – an Erfahrung mangelt, kann man darin einen gewissen Ausgleich für die im System angelegte Irrationalität sehen, durch die sie trotz ihres Erfahrungsmangels an die Macht gelangen konnte. Denn immerhin gibt es ein Drehbuch, das der neue Führer und sein Team studieren, und klare Lektionen, die sie lernen können. Selbst wenn sie diese Reise noch nie unternommen haben, haben dies doch andere vor ihnen getan. Es gibt Roadmaps, denen sie folgen, und Warnschilder, die sie lesen können. Und es gibt Erfahrungsschätze, die ein Licht darauf werfen, was die Regierungsarbeit wirklich mit sich bringt.
All dieses Lernen und Studieren kann zwar den Mangel an Leadership nicht ausgleichen. Aber es ist auf jeden Fall besser, wenn sich Führungskräfte anhand des verfügbaren Wissens anderer bilden lassen und lernen, wie es diesen erging, als sie die Bürde der Führung zu tragen hatten.
Jeder Leader wird vor der Herausforderung stehen, Strategien, Politiken und deren Umsetzung zu konzipieren, das richtige Team aufzubauen und tief verwurzelte Interessen zu überwinden, die sich einer Reform in den Weg stellen. Außerdem gilt es, die schwerfällige Bürokratie in einen wirkmächtigen Apparat zu verwandeln und das Staatsschiff durch die von äußeren Ereignissen ausgelösten Stürme zu steuern.
Wie stark die natürlichen Führungsqualitäten auch sein mögen, sollte doch immer noch Raum für erlernte Führungsqualitäten sein, für die handfesten Fähigkeiten zum Planen und Umsetzen, wie auch für die eher ätherischen charakterlichen Elemente.
Politik ist teilweise Philosophie; sie besteht aber zu großen Teilen auch aus ihrer Darbietung und ihrer Praxistauglichkeit. Der letztgenannte Aspekt mag eher banal erscheinen, doch macht er letztlich den entscheidenden Unterschied aus.
Für die Person an der Spitze besteht ein Unterschied zwischen Führungspersönlichkeit und Leadership. Oder auf jeden Fall ist es etwas anderes, ein »Leader« zu sein und nicht nur eine Person, die eine Führungsposition innehat.
Führungskräfte können auf sehr unterschiedliche Weise in ihre Positionen gelangen: durch Planung, Zufall oder irgendwelche Umstände, infolge einer Krise und manchmal auch durch ihren Mut. Oft jedoch ist es eine Mischung mehrerer oder aller eben genannten Faktoren.
Aber nur wenige verdienen den Titel »Leader« wirklich, denn er bedeutet, dass sie, wenn sie ihn erlangt haben, das ausüben, was wir – anerkennend – »Leadership« nennen.
Ich bin zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Attribute von Leadership immer dieselben sind, welche Führungsposition auch immer man einnimmt – ob es um die Führung eines Landes geht, um ein Fußballteam, ein Unternehmen oder irgendeine Organisation, vom Laden an der Ecke bis hin zum Gemeindezentrum.
Eine Führungsperson tritt vor, wenn andere lieber in den Hintergrund treten. Wird der Mantel der Verantwortung weitergereicht, ist eine Führungskraft bereit, ihn um die eigenen Schultern zu legen. Okay, manche legen sich den Mantel aufopferungsvoll um die Schultern, und manche reißen ihn schnell an sich, bevor jemand anders auch nur auf die Idee kommt. Wie auch immer, sie stimmen jedenfalls darin überein, dass sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen.
Aber damit gelangt man nur in die Führungsposition. Ein »Leader« zu werden ist etwas ganz anderes.
Führungskräfte haben den Mut, nicht immer dem Mainstream zu folgen. Sie melden sich zu Wort, wenn andere schweigen. Sie handeln, wenn andere zaudern. Sie gehen Risiken ein, nicht weil sie eine Gefahr nicht erkennen, sondern weil sie überzeugt sind, dass ein höheres Ziel es rechtfertigt, das Risiko einzugehen.
Sie sind bereit zu sagen, was gesagt werden muss, auch zu den eigenen Unterstützern.
Das ist ein wesentlicher Aspekt von politischer Führung, ohne den man nicht viel erreichen wird. Jeder halbwegs intelligente Politiker weiß, was die eigene Gefolgschaft hören will. Deshalb ist es leicht, genau das zu sagen: den Vorlieben der Menge zu folgen, ihre Zuneigung zu spüren und ihre Wertschätzung zu genießen, sie zu motivieren, zu beobachten, wie sie jedem Satz, jedem Tonfall folgen und jede Geste beobachten, während man Rhythmus und Inhalt einer Rede systematisch steigert, um schließlich den aufbrausenden Beifall und die Zustimmung entgegenzunehmen. Seit undenklichen Zeiten haben Politiker solche Reden gehalten, solche Sätze vorgetragen. Heutzutage scharen sie mit knappen 280-Zeichen-Tweets ihre Gefolgschaft immer wieder aufs Neue hinter sich.
Diese sogenannte »performative Politik« hat sicherlich ihre Berechtigung. Nur wenige politische Führer könnten ohne solche Momente politisch überleben. Sie zu schaffen erfordert Talent. Aber das ist nicht dasselbe wie Leadership.
Vor Ihren versammelten Zuhörern zu stehen, die Erfreuliches von Ihnen hören wollen, und doch bereit zu sein, ihnen Unerfreuliches mitzuteilen. Die Wahrheit auszusprechen, statt nur Plattitüden von sich zu geben. Eine Zuhörerschaft zu überzeugen, die normalerweise nicht auf Ihrer Seite steht, statt sie nur einzulullen. Und den Verstand statt nur die Gefühle derer anzusprechen, die hinter Ihnen stehen.
Auch die Bereitschaft gehört dazu, nicht nur den Mantel der Verantwortung anzunehmen, sondern auch all das, was er enthält, wenn er mit dem gebührenden Ernst getragen werden soll: die Kritik und nicht nur die Verehrung; die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen und nicht nur darüber zu debattieren; die Substanz und nicht nur Ruhm und Glanz; voranzugehen und nicht einfach nur dabei sein zu wollen; das Handeln und nicht nur die Analyse; das Lösen und nicht nur das Formulieren des Problems.
Und auch dann weiterzumachen, wenn alle Zeichen darauf hindeuten, dass eine Niederlage ebenso wahrscheinlich sein könnte wie ein Sieg, und sich nur taktisch zurückzuziehen, aber niemals strategisch.
Das ist Leadership.
Und sich immer darüber im Klaren zu sein, dass das Ziel von Leadership nicht darin besteht, den Leuten das zu geben, was sie haben wollen.
Sind das überraschende Gedanken? Vor allem für eine politische Führungskraft?
Sicherlich dreht sich in der Politik doch alles darum, das zu tun, was »das Volk« will? Oder etwa nicht?
Nein. Aber ein derart verwunderlicher Gedanke bedarf einer sorgfältigen Erläuterung. Natürlich muss das Ziel immer sein, das Leben der Menschen zu verbessern, damit sie glücklicher leben können und besser in der Lage sind, sich ihre Träume und Erwartungen zu erfüllen.
Aber das ist nicht dasselbe, wie ihnen zu jeder Zeit das zu geben, was sie wollen, hinter jedem Meinungsumschwung herzujagen oder ihm entsprechen zu wollen, ständig auf die neuesten Umfragewerte zu starren und sich nur danach zu richten, jeder Forderung zuzustimmen, statt ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen, oder die Gültigkeit eines Standpunkts an der Leidenschaft zu messen, mit der er artikuliert wird.
Ein Leader richtet sein Handeln darauf aus, was die Menschen brauchen, und nicht einfach nur auf das, was sie wollen. Denn dann wäre der Leader nur ein Follower.
Ich liebe ein altes Zitat von Henry Ford, als man ihn fragte, ob man den Menschen geben solle, was sie wollen: »Hätte ich die Menschen gefragt, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.« So ähnlich drückte es auch Steve Jobs aus: »Man kann die Kunden nicht fragen, was sie wollen, und versuchen, es ihnen zu geben. Wenn du es dann fertiggestellt hast, wollen sie schon wieder etwas Neues.«
Was für die Wirtschaft zutrifft, lässt sich auch in der Politik anwenden.
Wer das für eine elitäre Denkweise hält, unterliegt einem fundamentalen Irrtum in Bezug auf das Verständnis der Beziehung zwischen Führer und Geführten. Ein Leader sollte das tun, was seiner Meinung nach im besten Interesse der Menschen ist. Wenn diese mit dem Ergebnis unzufrieden sind, sollten sie den Leader feuern.
Aber Führung ist nun mal der Job der Führungskraft.
Vieles von dem, was auf den folgenden Seiten beschrieben wird, handelt vom Geschäft des Führens – wie man die Prioritäten bestimmt, wie man die richtige Politik konstruiert, wie man ein gutes Team zusammenstellt, wie man mit dem Stress und dem Druck des Regierens fertigwird.
All das gehört dazu, um als Leader erfolgreicher zu sein. Doch kein noch so großer Mut kann das größte Hemmnis überwinden: unzureichende Kompetenz.
Aber Mut bedeutet, das zu tun, was richtig ist, und nicht nur das, was leicht ist; nicht nur populär sein zu wollen, sondern auch Unpopularität zu ertragen. Mut ist eine fast unabdingbare Eigenschaft erfolgreicher Leader.
Das ist unbestreitbar der Grund, warum wahre Führungspersönlichkeiten »Changemaker« sind, das heißt, Menschen, die innovativ denken, mutige Entscheidungen treffen und Veränderungen anstoßen. Denn »Change« – Veränderung oder Wandel – ist die anspruchsvollste Aufgabe des Regierens.
Veränderungen stoßen auf Widerstand. Viele haben sich daran versucht und sind gescheitert.
Es erfordert Mut, sich dieser Herausforderung zu stellen.
Denken Sie nur an große Führungspersönlichkeiten, von politischen Ikonen wie Nelson Mandela bis hin zum früheren Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew. Sie alle nahmen eine klare Haltung ein und wurden mit Schmach überschüttet. Doch sie setzten sich gegen alle Widrigkeiten durch, nicht blind, aber entschlossen.
Jede Führungsperson, die eine große Reform voranzubringen versucht, kennt den Preis: Das politische Kapital schwindet und ist irgendwann erschöpft; den Gegnern eröffnen sich neue Möglichkeiten des Widerstands; der Druck auf Sie als Leader und auf Ihre Umgebung wächst, sogar auf Ihre Familie und Ihre Freunde, und Sie selbst verspüren ein nagendes Unbehagen, ob es das alles wert ist.
Obwohl Sie schon vorab wissen, wie schmerzlich das alles werden würde, ist der Schmerz, wenn er dann einsetzt, unerwartet und zutiefst bedrückend.
Doch das alles gehört eindeutig zur Definition von politischem Mut.
Vieles von dem, worüber ich auf den folgenden Seiten spreche und was vielleicht eher als Kompetenz definiert werden könnte, erfordert auch Mut. Zum Beispiel, das richtige Team um sich zu scharen und dafür zu sorgen, dass es loyal bleibt.
Jeder Leader hat ein Ego. Aber die eigenen Schwächen zu erkennen und sie auszugleichen, das Ego zu bändigen und es einer effektiven Führungsarbeit unterzuordnen – auch das ist eine Art von Tapferkeit.
Die eigene Komfortzone zu verlassen, offen zu sein für neue Ideen, für andere Menschen, für einen neuen Blick auf die Welt – all das trägt zum besseren Regieren bei, enthüllt uns aber auch etwas über den Charakter und den Mut des Leaders.
Ehrlich zu sich selbst zu sein, wenn man andere enttäuschen muss, sich entschuldigen zu können und es aufrichtig zu meinen, niemandem etwas nachzutragen und auch dann verzeihen zu können, wenn vergessen zu schwer fällt oder gar unmöglich ist, all das kann Ihnen helfen, als Führungskraft zu überleben, aber es erfordert auch persönlichen Mut, nicht nur selbstbewusst, sondern auch selbstkritisch zu sein.
Eine letzte Überlegung: In diesem Buch geht es nicht um meine Qualitäten als Leader oder deren Mangel. Es geht vielmehr um das, was ich gelernt habe.
Was ich als Leader erreicht habe, mag strittig sein und ist noch immer umstritten! Aber das ist hier nicht das Thema. Ich biete hier kein Beispiel, sondern eine Lektion. Natürlich gehören auch meine Fehler oder meine Errungenschaften zu dem Kontext, der im Folgenden dargelegt wird. Aber sie sind weder der Anfang noch der Endpunkt.
Gegenstand dieses Buches sind Lehrstücke der Staatsführung; es geht um Leadership und um die Frage, wie Führungskräfte wahre »Leader« werden können.
Jede Regierung benötigt einen Plan, um erfolgreich regieren zu können. Um sich in der tückischen politischen Landschaft zurechtzufinden, die ihr Lebensraum sein wird, braucht sie eine Art Roadmap. Ein Programm. Ein Ziel.
Und einen Leader am Steuer.
George F. Kennan war ein angesehener amerikanischer Diplomat, der in den 1940er- und 1950er-Jahren die amerikanische Containment-Politik (Eindämmungspolitik) gegenüber der Sowjetunion maßgeblich mitbestimmte. In Anlehnung an ein Zitat aus Lewis Carrolls Alice im Wunderland erklärte er einmal: »Wenn Sie nicht wissen, wohin Sie wollen, ist es egal, welchen Weg Sie nehmen.«
Es ist entscheidend, dass der Leader weiß, wohin es gehen soll. Er sitzt am Steuer. Lenkt er den Bus schnell und entschlossen, bleiben die Fahrgäste auf ihren Plätzen sitzen. Es mag sein, dass sie sich beschweren und dem Fahrer in mehr oder weniger höflichem Ton unerbetene oder unangebrachte Ratschläge erteilen, aber sie bleiben dennoch auf ihren Plätzen. Wenn aber der Bus auch nur einen Moment lang anhält, damit sich der Fahrer nach dem richtigen Weg erkundigen kann, werden die Passagiere aussteigen und über alles zu diskutieren anfangen – und dann, das dürfen Sie mir glauben, werden sie nicht mehr in den Bus einsteigen.
Das englische Wort »Government« leitet sich letztlich vom griechischen Verb kubernáō [κῠβερνᾰω] ab und bedeutet, ein Schiff zu steuern, wie etwa in Platos klassischem Ausdruck »Staatsschiff« deutlich wird. Regierungen benötigen einen Plan, um auf Kurs zu bleiben.
Dieser »Plan« ist nicht dasselbe wie eine Auflistung wünschenswerter Ziele oder hochtrabender Visionen. Helmut Schmidt, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland von 1974 bis 1982, prägte die berühmte Warnung, dass Politiker mit »Visionen« zum Arzt gehen sollten.
Der Plan ist eine Art Straßenkarte für das Regieren. Darin sind das Ziel, die Meilensteine und vor allem auch die Prioritäten festgelegt. Der Plan bestimmt das »Warum« und nicht einfach nur das »Was« oder »Wie«.
Er fokussiert den Geist der Regierung; in einem gewissen Sinne erschafft er sogar den Geist der Regierung.
Um den Plan auszuarbeiten, ist eine äußerst gründliche Vorbereitung erforderlich. Schlechter Plan, schlechte Regierung.
Es ist nicht nötig und wahrscheinlich auch gar nicht möglich, jedes Detail genau festzulegen. Aber als Programm der Regierung sollte der Plan doch recht präzise die wesentlichen Elemente dessen beschreiben, was der Leader erreichen will. Er sollte die Regierung mobilisieren, den Ministern eine Richtung vorgeben und als klares Narrativ abgefasst sein.
Er sollte den Beobachter darüber informieren, wie der Leader den Zustand des Landes einschätzt, was falsch läuft und in Ordnung gebracht werden muss, und er sollte auch die Grundprinzipien festlegen, nach denen die »Berichtigungen« durchgeführt werden sollen.
So ein solide ausgearbeiteter Plan dient verschiedenen Zwecken. Natürlich zeichnet er einen klaren Weg vor – zumindest erfahren wir nun, wo wir hinwollen. Aber noch wichtiger ist, dass er in politischer Hinsicht die Agenda definiert. Man kann dafür oder dagegen sein, aber alle sind verpflichtet, die eigene Position im Rahmen dieses Plans zu bestimmen.
Ich sagte mir immer, dass es nur eines gab, das mich vor einer Parlamentswahl besonders hart getroffen hätte: Wenn mich der politische Gegner mit einem Wahl- beziehungsweise Regierungsprogramm konfrontiert hätte, das besser gewesen wäre als mein eigenes.
Ist jedoch der eigene Plan gut ausgearbeitet und nicht nur eine Wunschliste von Erwartungen, wird er zum Dreh- und Angelpunkt einer politischen Debatte. Sie beruhigt die Regierungspartei und verunsichert die Opposition.
Aber den Plan auszuarbeiten ist komplexer, als es scheinen mag. Entscheidend ist, dass er die PRIORITÄTEN festlegt: Wer versucht, alles tun zu wollen, wird wahrscheinlich letzten Endes nichts zustande bringen.
Der Plan sollte die Dinge benennen, die der Leader für entscheidend hält. Sie sind es, die den Erfolg oder Misserfolg des Regierungsprojekts bestimmen; sie zeigen, worauf sich die Energien prinzipiell richten werden, und legen offen, was die Regierung bewahren will und was sie zu ändern entschlossen ist.
Oft erfordern solche Veränderungen strukturelle Reformen in großem Maßstab. Nach meiner Regierungserfahrung lassen sich diese Veränderungen gewöhnlich in zwei Kategorien unterscheiden. Zum einen gibt es Veränderungen, die durch einen Federstrich in der Gesetzgebung oder Verwaltung veranlasst werden können, etwa die Abschaffung einer bestimmten Steuer oder die Festlegung des Mindestlohnes. Sie sind wichtig. Aber im Hinblick auf das Regierungshandeln sind sie relativ leicht durchzuführen.
Zum anderen gibt es jedoch auch Veränderungen einer systemischen Natur, beispielsweise die Reform des Gesundheitswesens oder des sozialen Fürsorgesystems oder die Privatisierung eines großen staatlichen Versorgungsbetriebs. Veränderungen dieser Art erfordern eine äußerst genaue Analyse des jeweiligen Systems, der präzisen Eingriffe, die vorgenommen werden sollen, und ihrer Bedeutung für die derzeitige Funktionsfähigkeit des Systems. Außerdem erfordern sie den Umgang mit einer ganzen Bandbreite unterschiedlicher Interessen, die sich den geplanten Reformen entweder direkt widersetzen oder Wege finden werden, sie zu verwässern oder unwirksam zu machen.
Veränderungen dieser zweiten Kategorie sind besonders schwierig; sie brauchen Zeit, kosten politisches Kapital, und man kann nicht zu viele davon bewältigen. Deshalb ist es notwendig, Prioritäten zu setzen, worauf ich noch eingehen werde.
Der Plan sollte zumindest Klarheit schaffen, in welche Richtung diese Reformen gehen sollen, denn zweifellos sind sie nicht nur in der politischen Praxis am schwierigsten durchzuführen, es ist auch am schwierigsten, die Öffentlichkeit von ihrer Notwendigkeit zu überzeugen.
Sie sollten jedoch so früh wie möglich in der Amtszeit in Angriff genommen werden, da sie viel Zeit erfordern.
Für eine Demokratie stellt dies eine besondere Herausforderung dar.
Ich schätze, dass es zehn Jahre dauert, ein Land zu verändern. Das heißt, zehn Jahre, in denen es gezielt Veränderungsmaßnahmen durchzuführen gilt. Mindestens. Fünfzehn Jahre wären besser, und zwanzig wären optimal.
Ein Präsident, mit dem ich zusammenarbeite, kam in seinem Land nach einer Zeit der Diktatur als erster demokratisch gewählter Politiker an die Macht. Um zu beweisen, dass er nicht in die schlechten Gewohnheiten seines Vorgängers verfallen wolle, verpflichtete er sich, nur die ersten zwei Jahre seiner Amtszeit zu leisten und dann die Macht an jemand anders zu übergeben.
Sehr nobel, aber leider auch sehr naiv.
Bei unserer ersten Begegnung erklärte ich ihm unverblümt, was geschehen würde, wenn er auf dieser Grundlage regierte: Der Regierungsapparat – das »System« – würde seine Anweisungen nicht ernst nehmen, die Mitglieder seines Kabinetts würden die meiste Zeit damit verbringen, sich für seine Nachfolge in Stellung zu bringen, statt für das Land zu arbeiten, und er selbst würde nicht nur eine »lahme Ente« werden, sondern könnte effektiv gar nichts mehr bewegen.
Damit würde der Ruf der Demokratie keineswegs gestärkt, sondern im Gegenteil weiter beschädigt, weil die Regierung nichts erreichen würde.
Glücklicherweise beherzigte dieser Politiker meinen Rat, wurde wiedergewählt und steht nun bereits am Beginn seiner zweiten vollen Amtszeit.
Aber auch nach zwei Amtszeiten wird er vor einem Problem stehen. Wenn sein Nachfolger einer anderen Partei angehört oder seine Agenda nicht billigt, wird der strukturelle Wandel, den unser Mann zu Recht einzuleiten versuchte, an Schwung verlieren und ins Stocken geraten.
Dann wird der Strukturwandel unvollendet bleiben.
Derart große Veränderungen brauchen Zeit und setzen Konsistenz in der Politik voraus, und in einer Demokratie heißt das zumindest ein gewisses Maß an Beständigkeit auch über wechselnde Regierungen hinweg.
Ein gut ausgearbeiteter Plan, untermauert von einem kohärenten politischen Entscheidungsprozess, gibt dem Regierungschef nicht nur die Mittel an die Hand, die Agenda zu bestimmen und effektiv zu regieren, sondern bietet auch die beste Chance, den Plan durchzusetzen. Zwar wird er im Laufe der Zeit sicherlich ergänzt oder verbessert werden müssen – bestimmte Teile werden überflüssig oder irrelevant, andere werden nicht genau wie vorgesehen funktionieren –, aber seine grundlegende Richtung muss mit so kraftvoller Entschlossenheit vorgegeben werden, dass er nur durch einen noch besseren Plan aus den Gleisen gehoben werden kann.
Bei der Ausarbeitung des Plans sollte strengstens auf das geachtet werden, was bereits vorhanden ist. Bei aller Kritik, die Sie an Ihrer Vorgängerregierung geübt haben mochten – und es ist anzunehmen, dass es sehr viele Kritikpunkte waren, denn das gehört zum Wesen der Politik –, sollten Sie dennoch unvoreingenommen beurteilen, was funktioniert und was nicht. Sie müssen nicht alles neu erfinden. Nur weil »die« es so und nicht anders gemacht haben, heißt das noch lange nicht, dass es völlig falsch ist.
Als ich 1997 Premierminister wurde, gab es vieles aus der Regierungszeit meiner konservativen Amtsvorgänger Margaret Thatcher und John Major, das ich ändern wollte – aber eben auch so manches, das sich nach meiner Einschätzung in einer für das Land günstigen Richtung auswirkte und daher beibehalten werden sollte.
Deshalb behielten wir die Förderung des privaten Unternehmertums bei, erhöhten die Spitzensteuersätze nicht, griffen nicht in die Privatisierung von Bereichen wie der Telekommunikation ein, die im Rahmen eines Marktes effektiver arbeiten, und veränderten auch den rechtlichen Rahmen der Arbeitsbeziehungen nicht.
Wir behielten zudem die Grundausrichtung der Außenpolitik bei, zumindest was die EU-Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs und die starke transatlantische Allianz mit den Vereinigten Staaten anging.
Aber für den Wiederaufbau des öffentlichen Bereichs leiteten wir umfassende Reformen ein: Gesundheit, Bildung, Recht und Ordnung, Soziales, Kinderbetreuung. Wir machten die Situation der ärmsten Bevölkerungsschichten durch Steuerentlastungen und den Mindestlohn zu einem Schwerpunkt und änderten radikal die grundlegende Einstellung und die Politik zu gesellschaftlichen und liberalen Fragen, etwa im Hinblick auf die Rechte sexueller Minderheiten.
So erreichten wir nicht nur eine konsistente Politik, sondern konnten auch einen tiefgreifenden Wandel in Gang setzen. Das verschaffte insbesondere der Wirtschaft Stabilität und Vorhersehbarkeit im Blick auf die politischen Entscheidungsprozesse, die zumindest bis zur Finanzkrise und dem Brexit beibehalten werden konnten.
Aber das alles war das Ergebnis der Tatsache, dass zuerst die konservative Regierung und dann auch die nachfolgende »New Labour«-Regierung einen klaren Plan hatten, was getan werden musste und warum.
Natürlich ist jede neue Regierung in gewisser Weise eine Reaktion auf die vorherige. Aber die Konsequenzen dieser Reaktion müssen sorgfältig abgewogen werden.
Deshalb muss der Plan mit Bedacht konstruiert werden und nachhaltig sein.
Und es muss eine Machtzentrale geschaffen werden, die stark genug ist, den Plan umzusetzen.
Politische Führungskräfte gelangen oft ohne Regierungserfahrung an die Macht. Die Fähigkeiten, die für einen guten Wahlkampf benötigt werden, sind nicht dieselben wie die Fähigkeiten, die ein guter Regierungschef braucht; sie können sich sogar als völlig unzureichend erweisen. Als Leader müssen Sie eine wesentliche Veränderung vornehmen: Sie müssen sich auf einen Schlag vom Großen Kommunikator in einen Großartigen CEO verwandeln.
Ein Wahlkampf ist eine aufregende Sache. Der Kandidat surft auf einer Welle der Hoffnung und Begeisterung. Doch darin liegt auch eine Gefahr: Nach einem Wahlsieg kann er von seiner magischen Wirkung so überzeugt sein, dass er in der Regierungsarbeit nichts weiter als eine Verlängerung des Wahlkampfs sieht. Das jedoch wäre ein schwerer Fehler.
Natürlich werden auch nach dem Amtsantritt gute Kommunikation, klare Aussagen und Engagement für die Menschen nicht weniger notwendig. Doch nach der Wahl besteht die alles überlagernde Herausforderung in der Regierungsarbeit, und das bedeutet: Man muss liefern.
In der Opposition kommt es darauf an, was man sagt. Im Regierungsamt kommt es darauf an, was man tut. Und reden ist viel leichter als handeln.
Wie schon erwähnt, ist Regieren der einzige wichtige Beruf, in dem ein Mensch ohne jede Qualifikation, ohne Leistungsnachweis und mit einer völlig nichtssagenden Berufsbiografie in eine Position von außergewöhnlicher Machtfülle aufsteigen kann.
In jedem anderen Lebensbereich würden wir das für undenkbar, ja sogar für völlig absurd halten. Ein Geschäftsführer, der noch nie eine Managementfunktion ausgeübt hat, ein Orchesterdirigent, der noch nie den Taktstock geschwungen hat, ein Pilot, der mit nur minimaler Kenntnis der Aerodynamik ein Flugzeug steuern will – schon der bloße Gedanke erscheint uns lächerlich.
Stellen Sie sich einen Fußballklub der Premier League oder der Bundesliga vor, der einen neuen Trainer sucht und sagt: »Hey, wir versammeln die größten Fans und lassen sie abstimmen, wer den Job bekommen soll.« Sogar die Fans würden das für eine völlig verrückte Idee halten. Und das Team würde nicht mehr lange in der obersten Liga spielen.
Aber in der Politik kann genau das passieren.
Eine politische Führungskraft kennt sich normalerweise in der Politik recht gut aus und mag sogar in einem früheren Leben außerhalb des Politischen eine Organisation oder ein Unternehmen geleitet haben. Aber das ist etwas anderes, als ein Land zu regieren. Denn das ist eine ganz andere Größenordnung.
Als ich im Mai 1997 in 10 Downing Street einzog, hatte ich noch nie ein Ministeramt bekleidet. Ich fing also gleich ganz oben an, an der Spitze, was in gewisser Weise wunderbar ist. Aber ich brauchte Zeit, um mich daran zu gewöhnen, und auch Zeit, um zu lernen, dass das Regieren eine völlig andere Grundeinstellung erfordert als die Oppositionsarbeit und auch gänzlich andere Anforderungen stellt.
Sie haben vielleicht einen Plan. Auch die Richtung sollte klar sein. Aber nun müssen Sie auch dafür sorgen, dass Ihre unmittelbare Umgebung gut organisiert ist, um Ihren Plan – Ihr Regierungsprogramm – umsetzen zu können.
Und das fängt direkt am Anfang an, um Julie Andrews in dem Musical The Sound of Music nicht ganz korrekt zu zitieren: in Ihrem Amtssitz.
Hören Sie nicht auf Leute, die Ihnen empfehlen, mit leichter Hand zu führen, Ihre Minister nur »ihren Job machen zu lassen« und einfach anzunehmen, dass auch andere auf den nachgeordneten Hierarchieebenen genau wüssten, was sie zu tun hätten. Leute, die Ihnen solche Ratschläge geben, sind entweder Akademiker mit viel Theorie und wenig Praxis oder Beamte, die genau wissen, dass sie es locker angehen lassen können, solange die übergeordnete Machtzentrale schwach ist.
Das ist nicht dasselbe wie die Übertragung von Befugnissen innerhalb des Staates, wenn beispielsweise eine Entscheidung auf der lokalen Ebene besser getroffen werden kann und wo es geregelte Verfahren gibt, welche Führungsebene Entscheidungen treffen darf, etwa ein Bürgermeister oder Kommunalbeamter in einem föderalen System. Oder, wie im Falle des Vereinigten Königreichs mit seinen verschiedenen Nationen, durch dezentralisierte Institutionen. Ich meine vielmehr die Kontrolle über all diese Bereiche, für die Sie als Regierungschef verantwortlich sind.
Alle Bürokratien sind gleich. Sie sind keine Verschwörungen mit der einen oder anderen Seite, sondern Verschwörungen zur Aufrechterhaltung des Systems; dementsprechend haben sie ein geradezu geniales Beharrungsvermögen entwickelt. Man kann sie benutzen und antreiben, doch sollte ihnen weder das erste noch das letzte Wort überlassen bleiben, worauf ich noch eingehen werde.
Gelegentlich kommt eine politische Führungskraft zu einem Zeitpunkt an die Macht, an dem sich das Land in einer guten Verfassung befindet (trotz aller Kritik, die sie zuvor, in der Opposition, geäußert haben mochte). In diesem Fall besteht die Aufgabe nicht im Verändern, sondern in gutem Management.
Schön. Das ist dann ein bisschen anders. Aber ich befasse mich hier mit einer Führungskraft, die ein Changemaker sein will. Außerdem ist der Status quo kaum jemals völlig zufriedenstellend, denn wenn es so wäre, warum hätte man den Vorgänger dann abwählen sollen?
Ein Leader braucht ein starkes Zentrum, eine Zentrale, die in der Lage ist, Veränderungen effizient und zeitnah zu initiieren und durchzuführen.
Der Leader hat Macht, eben weil er der Leader ist. Das ist die Position, aus der sich seine Autorität ableitet. Wird sie klug eingespannt, kann etwas geschehen.
Die starke Machtzentrale ist nötig, weil sich diese Autorität ohne sie nicht nutzen lässt. Sie bliebe schwach oder untätig. Sobald aber dem System klar wird, dass die Machtzentrale die Agenda vorantreibt, wird es reagieren: Minister werden ermahnt, die Verursacher der Trägheit werden nervös und geraten in die Defensive.
Aber eine starke Machtzentrale entsteht nicht von allein. Sie zu organisieren ist die erste Aufgabe des Leaders.
Das beginnt mit etwas, das völlig offensichtlich ist und vielleicht gerade deshalb von vielen Führungspersonen, die ich kennengelernt habe, übersehen wird: DEMTERMINPLAN!
Als Oppositionsführer besuchte ich Präsident Clinton im Weißen Haus. Das war einige Zeit vor der britischen Parlamentswahl, die wir allen Erwartungen zufolge gewinnen würden. Gleich zu Beginn unseres Gesprächs sagte Clinton: »Bitte erinnern Sie mich daran, Ihnen noch etwas Wichtiges zu sagen, bevor Sie gehen.«
Ich war angenehm überrascht und glaubte, er wollte mir noch irgendein großes Staatsgeheimnis anvertrauen. Bevor ich mich von ihm verabschiedete, erinnerte ich ihn daran. Er schaute mich ernst an und sagte: »Wer Ihren Terminplan kontrolliert, ist die wichtigste Person in Ihrer Welt als Leader. Sie brauchen Zeit zum Nachdenken, zum Studieren und Zeit, um das zu tun, wofür Sie die Führung übernommen haben. Wenn Sie die Kontrolle über Ihren Terminplan verlieren, werden Sie scheitern.«
Ich gebe zu, dass mich sein Rat damals nicht gerade überwältigte. Aber Clinton hatte recht.
Zeit ist das kostbarste Gut. Sie können absolut sicher sein, dass all diese scheinbar einfachen Dinge, die Sie der vorhergehenden Regierung ständig vorwarfen, unendlich komplizierter werden, sobald Sie ihnen in einer Wirklichkeit gegenüberstehen, die nicht durch Parolen, sondern in entsprechend komplizierter Prosa definiert wird. Und ohne die Zeit, sich auf die Ausführung zu konzentrieren, die richtigen Politiken zu entwerfen, die geplanten Maßnahmen und Veränderungen einzuleiten, werden sich die großartigen Visionen, die Sie sich in der Opposition so zuversichtlich zum Ziel gesetzt hatten, niemals in die Realität umsetzen lassen.
Kein anderer als Dschingis Khan – der schließlich eines der ungewöhnlichsten Weltreiche der Geschichte schuf –, sagte einmal: »Ein Weltreich zu Pferd zu erobern ist einfach; viel schwieriger ist es, vom Pferd zu steigen und es zu regieren.«
Genau das ist die Herausforderung, vor der ein Leader steht. Millionenfache Ansprüche an Ihre Zeit. Ausländische Würdenträger wollen empfangen werden. Alles mag notwendig sein, ist aber letztendlich nur eine Ablenkung – sofern Sie nicht gerade in irgendetwas enorm Wichtiges verwickelt sind, das internationale Verpflichtungen mit sich bringt.
Alle wollen etwas von Ihnen oder wollen mit Ihnen zusammen sein. Kollegen aus der Politik, Wirtschaftsführer, alte und neue Freunde. Feierlichkeiten sind zu besuchen, Beerdigungen und Hochzeiten dürfen nicht versäumt werden, angeblich staatstragende Veranstaltungen voller leerer Schmeicheleien, die im umgekehrten Verhältnis zur Wirkung auf das Leben der Bürgerinnen und Bürger stehen.
Viele Führungskräfte befinden sich vom frühen Morgen bis spät in der Nacht in Sitzungen. Die meisten sind unproduktiv. Jede so verbrachte Stunde ist unwiederbringlich verloren und lenkt Sie von Ihrer eigentlichen Herausforderung ab: dem Regieren.
Deshalb müssen sowohl die Person, die Ihren Terminkalender verwaltet, als auch die Leute, die mitbestimmen, was in ihn eingetragen wird, absolut hochkarätig sein und die engste Verbindung zu Ihnen haben. Und sie müssen absolut verlässlich arbeiten.
Sie müssen sich bei einem Ereignis blicken lassen? Gut, gehen Sie hin, aber bleiben Sie höchstens eine Stunde dort. Oder noch weniger. Der Organisator wird sich beklagen, wird Ihre Leute anschreien, ihnen erklären, wenn Sie nicht den ganzen Abend blieben, würde das als Beleidigung empfunden werden und Ihrem Ansehen schaden. Aber Ihre Leute dürfen nicht nachgeben.
Ihre Mitarbeiter sollten jedoch klug genug sein, um richtig entscheiden zu können. Manchmal werden Sie tatsächlich den ganzen Abend bleiben müssen. Der eigentliche Punkt ist: Wer auch immer Ihren Terminplan verwaltet, muss wirklich dazu befähigt sein, muss politische Sensibilität (mit der Betonung auf Sensibilität) besitzen, muss auch ein Nein charmant übermitteln können.
Ihnen als Leader wird das Neinsagen schwerfallen; Sie werden immer dazu neigen, Ja zu sagen. Genau deshalb brauchen Sie Wachhunde hinter sich, die selbst dem höchsten Druck standhalten können.
Auch Ihre Minister wollen Zeit mit Ihnen. Natürlich müssen Sie mit ihnen reden. Aber nicht immer dann, wenn sie es wünschen.
Das Parlament beansprucht Zeit. Als ich die Prime Minister’s Questions (die etwa mit der Befragung des Bundeskanzlers durch den Bundestag vergleichbar ist; Anm. d. Ü.) von den zweimal wöchentlichen fünfzehn Minuten am Nachmittag zu einmal dreißig Minuten pro Woche zur Mittagszeit änderte, sparte ich buchstäblich bis zu eineinhalb Tage Zeit.
Ein Regierungschef muss mit seinem Volk in Verbindung bleiben. Gehen Sie ins Land hinaus, schauen Sie sich die Dinge persönlich an, reden Sie mit den Einheimischen, und pflegen Sie einen kontinuierlichen Meinungsaustausch. All das ist wichtig. Aber denken Sie immer daran: Ein Halbtagestrip kann genauso effizient sein wie ein voller Tag. Sie fahren hin, treffen Leute, reden mit ihnen und fahren wieder ab.
Sie werden sich auch mit ausländischen Würdenträgern treffen müssen. Auch diese Beziehungen sind wichtig. Aber strukturieren Sie die Begegnungen. Reduzieren Sie Ihre Besuche im Ausland auf ein Minimum. Zwar müssen Sie auch diese Reisen unternehmen, aber sorgen Sie dafür, dass die Zeit möglichst effektiv genutzt wird, mit möglichst wenig protokollarischen Elementen und möglichst viel echter Substanz. Ihre für das Protokoll zuständigen Mitarbeiter sind sicherlich gute Leute. Sie mögen ihren Job. Sie mögen das ganze Brimborium und Katzbuckeln, die aufwendigen Zeremonien, das ganze Theater. Aber Sie selbst sollten das alles nicht mögen, weil es Sie einfach zu viel Zeit kosten würde.
Alles, was Zeit kostet und nicht darauf fokussiert ist, das zu tun, wofür Sie an die Macht gekommen sind, verringert Ihre Fähigkeit, diese Dinge zu erreichen.
Ich kenne Regierungschefs, die gern ein offenes Haus führen – und das kommt bei den Leuten zuerst sehr gut an. Sie sonnen sich im Abglanz des Leaders, weil es zeigt, dass auch sie wichtig sind. Aber recht schnell – und in der Regierung ereignet sich das viel schneller als in der Opposition – wird klar, dass das »offene Haus« seinen Reiz verliert, die Leute mehr Handeln fordern und ihre Erwartungen in Enttäuschung umschlagen. Denn wenn es an Zeit und Raum für die Fokussierung auf die eigentlichen Aufgaben fehlt, verliert die Regierung ihr Ansehen und die Führungsperson ihren Glanz.
Und noch etwas gibt es, das allzu leicht vernachlässigt wird: Sie brauchen Zeit für sich selbst, für Ihre Familie, zum Entspannen, um den Stress abzuschütteln, selbst wenn es nur für einen Moment ist.
Ihre Terminplanung muss diese persönlichen Freiräume schaffen. Den ganzen Tag lang saugen die Menschen Energie aus Ihnen. Sie geben Befehle, treffen Entscheidungen, und alles ist kräftezehrend und ermüdend. Die persönliche Zeit belebt Verstand, Geist und Seele.
Ich weiß, es klingt merkwürdig, die Terminplanung mit dieser fast religiösen Hingabe zu priorisieren, die ich hier vortrage. Und ich gebe auch zu, dass manche Führungskräfte anscheinend niemals ruhen oder die Konzentration verlieren. Aber wenn Sie ein normaler Sterblicher sind, werden sich diese einfachen Regeln für Ihre Effizienz als äußerst nützlich erweisen.
Und dann muss natürlich auch noch der ganze Rest der Machtzentrale neu organisiert werden.
Das Ziel sollte sein, eine kompetente Maschinerie zu schaffen, die Ihre Agenda vorantreiben kann. Mit den Einzelheiten dieser Aufgabe will ich mich später noch befassen, aber im Wesentlichen werden Sie eine starke Zentrale benötigen, und das bedeutet, dass sie für das Ausüben von Macht ausgerichtet sein muss.
Ich habe das Regierungszentrum völlig neu organisiert, nachdem ich zum zweiten Mal die Unterhauswahlen gewonnen hatte. Denn mein erstes Mandat hatte mir eine wichtige Lektion im Regieren erteilt.
In meiner ersten Amtszeit prügelte ich sozusagen auf den Regierungsapparat ein, damit er sich schneller bewegte. Bis zu einem gewissen Grad tat er das dann auch. Aber nicht genug, und als ich aufhörte, auf das System einzuschlagen, fiel es sofort wieder in den alten Trott zurück.
Die Umorganisation hatte den Zweck, den gesamten Apparat neu zu fokussieren, ihm die Kapazität und die Fähigkeit zu geben, die Regierung anzutreiben und sie mir gegenüber verantwortlich zu machen – aber auch dafür zu sorgen, dass auch ich meine Absichten nicht aus dem Blick verlor. Deshalb musste sich der Apparat in ständiger Bereitschaft befinden. Selbst dann, wenn ich anderweitig abgelenkt war.
Meine Restrukturierung betraf unterschiedliche Aufgabenbereiche: Politik, Strategie, Kommunikation und Umsetzung.
Das Konzept der »Delivery Unit« ist der bekannteste Aspekt der Umorganisation und findet inzwischen weltweit Nachahmung. Sein Geburtshelfer war Michael Barber, der einen hervorragenden Job machte und schließlich auch ein Buch – Deliverology 101 – darüber schrieb, das – Sie können es mir ruhig glauben – auf den Buchregalen vieler politischer Führungspersonen steht, die ich kenne.
Aber auch andere Veränderungen waren gleichermaßen wichtig.
Etwa eine Policy Unit, in der Experten die Entwicklung der Politik der Regierung verfolgen und Verbesserungen oder Anpassungen vorschlagen. Diese Spezialisten sollten jedoch nicht aus den Ministerien kommen, sondern vom eigenen Team des Regierungschefs, und sie sollten gute Analyse- und Politik-Kompetenzen besitzen.
Die Strategy Unit konzentriert sich auf das langfristige Denken, soll wichtige neue Ideen generieren und neue Sichtweisen auf die Welt ermöglichen.
Die Strategic Communications Unit ist ebenfalls unerlässlich, denn sonst würde die Regierung technokratisch erscheinen, statt von Werten und einer Mission geleitet zu werden. Es muss sich jedoch um eine strategische Art von Kommunikation handeln, das heißt, sie darf nicht einfach nur auf die aktuellen Tagesnachrichten achten, sondern muss eine konsistente Erklärung für die gesamte Regierung bieten.
Das Zentrum der Regierung muss daher stark genug sein, um die Politik zu entwerfen, ihre strategische Kohärenz sicherzustellen, den Terminplan einzuhalten, die politischen Maßnahmen zu kommunizieren und, was besonders wichtig ist, sie umzusetzen, also zu liefern (deliver).
Es wird auch Krisen geben, Dinge, die einfach nicht vorhersehbar waren, Ereignisse aufgrund höherer Gewalt, Skandale, Erschütterungen, Kriegsgeschrei und sonstiges Getümmel, aber egal, was geschieht, dem Leader muss immer eine Maschinerie zur Verfügung stehen, die unerschütterlich auf die gesetzten Ziele fokussiert bleibt.
Schaffen Sie sich eine STARKE Machtzentrale!
Neuen politischen Führungskräften erkläre ich oft, was für mich ein guter Ansatz für das Regieren ist – das, was ich die »Vier P’s« nenne: Priorisierung, Politik, Personal, Performance-Management.
Das erste P – Priorisierung – ist viel schwerer, als es scheinen mag.
Sie kommen mit einem Wahlprogramm an die Regierung. Normalerweise ist es recht detailliert, denn schließlich soll es die gesamte Breite der Wählerschaft ansprechen. Es soll aber auch als Plan für Ihre Regierung dienen. Doch in Wirklichkeit handelt es sich – selbst wenn es mit großer Sorgfalt und Disziplin entworfen wurde – um eine Liste des Wünschbaren, nicht unbedingt des Machbaren. Und gewöhnlich ist es auch nicht in eher nüchterner, aber ehrlicher Sprache, sondern in erbaulich-hoffnungsvoller Rhetorik abgefasst.
Ein katholischer Priester erzählte mir einmal einen Witz über die Religion, der sich auch ganz gut auf die Politik anwenden lässt. Ein paar Verstorbene kommen vor den strahlend hellen Himmelstoren an, wo sie aber nicht vom Heiligen Petrus, sondern vom Teufel erwartet werden. Der Teufel sagt ihnen: »Hört zu, bevor ihr Petrus begegnet, möchte ich euch eure Wahlmöglichkeiten zeigen, denn ich habe einen unverdient schlechten Ruf, und es ist wichtig, dass ihr sie kennt.« Die Verstorbenen sind einverstanden. Der Teufel zeigt ihnen den Himmel mit friedlich entspannten Menschen, die leise und respektvoll miteinander reden, irgendwelche erbaulichen Bücher lesen und sich allgemein sehr brav benehmen. Dann zeigt er ihnen die Hölle: Hier finden wilde Partys statt, überall Saufgelage und Ausschweifungen, und alle machen das Treiben begeistert und hemmungslos mit.
»Wow«, sagen die Verstorbenen, »wir hätten nie gedacht, dass es in der Hölle so zugeht.« Sie gehen zum Himmelstor zurück, wo der Heilige Petrus auf sie wartet, und sagen: »Sehr freundlich von dir, uns den Himmel anzubieten, aber, hm, sei uns nicht böse, wir würden doch lieber in die Hölle gehen.« Also gehen sie in die Hölle. Aber als sie dort eintreten, herrscht nichts als Jammern und Zähneknirschen, und es ist kalt, elend und grauenhaft. Mittendrin steht der Teufel und überwacht alles. Wütend werfen sie ihm vor: »He, was ist da los? Wo sind die Partys, die Sauferei, die Ausschweifungen und der ganze Trubel, den du uns versprochen hast?«
»Ach so, ja«, sagt der Teufel, »aber da war ich noch im Wahlkampf.«
Der Wahlkampf und das Wahlprogramm sind Wegweiser zum Sieg, aber als Leitfaden für die Regierungsarbeit sind sie unbrauchbar. Sie beschreiben nur das, was Sie sich erhoffen, aber selten mit der Rigorosität, die absolut unverzichtbar wird, sobald Sie die Zügel der Macht in Händen halten.
Im Grunde gilt: Wenn Sie versuchen, alles zu tun, werden Sie letzten Endes wahrscheinlich nichts zustande bringen.
Als ich als neuer Premierminister zum ersten Mal die Downing Street betrat, wurde ich vom Cabinet Secretary begrüßt, der damals im britischen Politiksystem sicherlich eine große und wichtige Funktion innehatte. Stolz erzählte er mir, dass der gesamte Staatsdienst das Wahlprogramm gelesen und bereits Pläne für seine Umsetzung entworfen habe. Das war natürlich nur gut gemeint. Nach achtzehn Jahren unter der Regierung der Konservativen wollte er zeigen, dass der Regierungsapparat die neuen Herren als legitim anerkannte.
Ich muss gestehen, dass mich der Gedanke doch recht stark beunruhigte, dass es jetzt darum gehe, das möglichst rasch umzusetzen, was die Beamten als Prioritäten ansahen, und dass diese nicht mit den Zielen übereinstimmten, die ich als prioritär ansah. Ich musste ihnen erklären, dass das Wahlprogramm nur ein Dokument dessen war, was wir anstrebten, und kein ausgefeilter Arbeitsplan meiner Regierung.
Regierungen arbeiten nach Bandbreiten. Eine der Herausforderungen, die sich aus dem Brexit ergaben – hier sollten wir taktvollerweise das Pro und Contra der Entscheidung außer Acht lassen –, war die Tatsache, dass er einen riesigen Teil der operativen Regierungskapazität beanspruchte. Der Brexit entzog dem Regierungsapparat enorm viel politische Energie und verringerte seine Aufmerksamkeit für andere Dinge.
Es ist keine Schande, ganz offen darüber zu reden. Kein Minister – einschließlich und vielleicht vor allem kein Premierminister und damit auch keine Regierung – kann sich auf alle Probleme in gleichem Maße konzentrieren. Dafür stehen weder genug Zeit noch genug mentale Kapazität zur Verfügung.
Deshalb wird eine Regierung in ihren Ministerien eine ganze Bandbreite von verschiedenen Aufgaben in Angriff nehmen, und so sollte es ja auch sein. Aber manche Dinge sind wichtiger als andere, entweder weil sie objektiv wichtiger sind oder weil sie subjektiv zu den Prioritäten der Regierung oder der Minister gehören. Sie benötigen daher ein Verfahren, um festzulegen, welche Aufgaben wirklich wichtig sind, wobei Sie klarmachen müssen, dass es nicht zu viele sein können.
In gewissem Sinne hat natürlich alles Priorität. In meiner ersten Rede als Parteivorsitzender beim Labour-Parteitag zählte ich die ersten drei Prioritäten einer zukünftigen Labour-Regierung auf: »Bildung, Bildung und Bildung.« Toller Slogan. Machte auch den nötigen Eindruck. Aber ich weiß noch, dass mich jemand am nächsten Tag fragte: »Das Gesundheitssystem ist also nicht mehr wichtig?«
Als Leader dürfen Sie niemals laut aussprechen, etwas habe keine Priorität. Wenn Sie eine Rede vor einer Kunstgemeinschaft halten, werden Sie vielleicht gefragt: »Hat Kultur Priorität?« Oder Sie halten eine Rede vor Organisationen für Entwicklungshilfe und werden gefragt, ob für Sie die Entwicklungshilfe Priorität hat. Was antworten Sie darauf? »Nö, eigentlich nicht«?
Das soll keinesfalls heißen, dass beides nicht wichtig wäre. Beides ist sehr wichtig. Aber sie entscheiden nicht darüber, ob Sie an die Regierung kommen oder nicht.
Dagegen gibt es Dinge, die Ihre Regierung und Sie als Leader klar kennzeichnen.
Eine gute Gelegenheit, diese Dinge zu identifizieren, besteht darin, sich vorzustellen, Sie müssten eine Rede für Ihre Wiederwahl halten. Wie würden Sie das, was Sie erreicht haben, idealerweise beschreiben? Sie werden die Menschen niemals überzeugen können, Sie hätten wirklich alles getan. Aber was kennzeichnet Sie als einen Menschen, der wenigstens etwas getan hat?
Arbeiten Sie sich von dieser Aussage zurück, dann werden Sie die Antwort im Blick auf Ihre Prioritäten finden. Möglicherweise haben Sie diese selbst noch gar nicht in vollem Umfang verstanden, bis Sie auszuarbeiten versuchen, was Sie wirklich über das sagen wollen, was Sie geschafft haben.