Pack dein Leben an! - Martin Lexa - E-Book

Pack dein Leben an! E-Book

Martin Lexa

0,0

Beschreibung

Was die Integration von Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft und in das Berufsleben betrifft, so wurde in Deutschland bereits einiges erreicht. Dennoch sind wir noch nicht am Ziel einer vollständigen Teilhabe angekommen, bei der Individuen so akzeptiert werden, wie sie sind. Martin Lexa wurde mit einer körperlichen Behinderung geboren und schildert in diesem Buch seine persönlichen Erlebnisse im privaten und beruflichen Bereich. Er erläutert, wie er ihm zugewiesene Rollen annahm, aber sich nicht durch sie definieren ließ, sondern seinen eigenen Weg ging, allen Widrigkeiten zum Trotz. Martin Lexa will Mut machen und zum Umdenken anregen – sowohl bei staatlichen Institutionen, Unternehmen und Familien als auch bei den Betroffenen selbst. Ihnen legt er ans Herz, das Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und sich von gesellschaftlichen Widerständen nicht aufhalten zu lassen

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 239

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Pack dein Leben an!

Martin Lexa, geb. 1965 mit einer Behinderung, ist Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Als internationale Führungskraft im Personalwesen lebt er mit seiner Familie seit fast zwei Jahrzehnten im Ausland, zuletzt in Göteborg, Schweden. Aufgrund seiner Erfahrung spricht er auf renommierten Konferenzen über Human Resources, Leadership und inkludierende Unternehmenskulturen.

Martin Lexa

Pack dein Leben an!

Mein persönliches Konzept zur Integration von Menschen mit Behinderung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autor:innen und zum Verlag finden Sie unter: www.mabuse-verlag.de.

Wenn Sie unseren Newsletter zu aktuellen Neuerscheinungen und anderen Neuigkeiten abonnieren möchten, schicken Sie einfach eine E-Mail mit dem Vermerk „Newsletter“ an: [email protected].

© 2024 Mabuse-Verlag GmbH

Kasseler Str. 1 a

60486 Frankfurt am Main

Tel.: 069-70 79 96-22

Fax: 069-70 41 52

[email protected]

www.mabuse-verlag.de

instagram.com/mabuseverlag

facebook.com/mabuseverlag

twitter.com/MabuseVerlag

Lektorat: Dr. Marion Stadie, Berlin

Projektkoordination und Endlektorat: Simone Holz, Pisa, www.lektorat-redazione-holz.eu

Satz und Gestaltung: Björn Bordon/Metalexis, Niedernhausen

Umschlaggestaltung: Marion Ullrich, Frankfurt am Main

Umschlagabbildung: © istockfoto.com/smartboy10

ISBN: 978-3-86321-737-2

eISBN: 978-3-86321-687-0

Alle Rechte vorbehalten

Widmung

Ich widme dieses Buch meinen Eltern, die mich nach bestem Wissen und Gewissen allen Widrigkeiten zum Trotz großgezogen haben. Ihr Engagement, ihre Liebe und ihre Fürsorge wiesen mir den richtigen Weg zum Erwachsenwerden. Anerkennung gebührt meinen beiden Schwestern Irmgard und Ingrid, die in meiner Kindheit immer für mich da waren und es auch heute noch sind. Ich danke meiner Frau Cornelia, die seit meinem Studium den Feinschliff für meine weitere Entwicklung übernahm und meinen beruflichen Werdegang im In- und Ausland unterstützte. Respekt zolle ich auch meinen drei wunderbaren Töchtern Melina, Janine und Celine, die mir stets mit Aufgeschlossenheit und Humor begegneten. Schließlich widme ich es auch meinen Freunden sowie meinen Kollegen, die mich stets so akzeptierten, wie ich bin, mich förderten und forderten. Ohne diese wundervollen Menschen wäre ich nicht zu dem Menschen (mit Behinderung) geworden, der ich heute bin.

Inhalt

Vorwort – Mit Mut unser Leben selbstbestimmt gestalten

I Wer sind Menschen mit Behinderung?

II Veränderungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung

III Meine Geschichte

Meine Eltern und meine Geburt

Meine Behinderung

Kindheit und Jugend

Meine Erziehung

Schulische Entwicklung

Die Schatten des Nationalsozialismus

Zurückweisungen in der Pubertät

Das Autofahren lernen

Studium und Beruf

Berufsausbildung und Studienbeginn

Studium versus »Banker« als sicherer Job

Lessons Learnt

Erfahrungen aus meiner Kindheit und Jugendzeit mit Anregungen zum Bessermachen

Die Schnürsenkel-Challenge

Fehlende Rückendeckung

Das Dilemma mit der Armprothese

Hänseleien auf dem Schulhof

Das Erlernen von Radfahren und Schwimmen

»Bonding Time«

Der Kurzstreckenlauf

Alpines Skifahren

Das Erlernen von Ballsportarten

Begeisterung für Modelleisenbahnen

Tischfußball war mein Ein und Alles

Persönliche Erfahrungen mit meiner Behinderung im Beruf und Empfehlungen

Behinderungsspezifische Erfahrungen bei den Bewerbungsgesprächen

Verschleiern des Offensichtlichen

Behinderung gleich Minderleistung?

Im Rampenlicht

Die verspätete Beförderung

Ist es eine Schwäche, sich helfen zu lassen?

Die Herausforderung bei der Dienstwagenbestellung

Sieg der Besonnenheit

Über den eigenen Schatten springen

Die Halbmarathon-Challenge

Der schüchterne Redner

IV Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Chancen für Menschen mit Behinderung in der Berufswelt

Statistische Daten zum Anteil von Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt

Wie ist es derzeit um die Integration von Menschen mit Behinderung in die Arbeitswelt bestellt?

Chancengleichheit?

Gesetzliche Rahmenbedingungen und spezifische Nachteile bei der Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt

Ruf nach Veränderungen

1. Staatliche Regelungen und gesellschaftlicher Wandel

2. Unternehmen

3. Eltern und andere Bezugspersonen

4. Der Mensch mit Behinderung selbst

Zusammenfassung

Meine Vision von der Zukunft

Nachwort – Der Weg zur vollständigen Teilhabe ist noch lang

Vorwort – Mit Mut unser Leben selbstbestimmt gestalten

Ich betrachte mich im Spiegel. Ich sehe mich so, wie ich bin, und das, was ich sehe, ist anders als bei »normalen« Menschen, die einer gesellschaftlich akzeptierten Norm entsprechen. Abweichungen von der Norm werfen Fragen auf, machen uns zu Außenstehenden und ziehen Blicke auf uns. Oh ja, ich habe versucht, mein Aussehen der Norm anzupassen, um nicht aufzufallen, um mich besser zu fühlen, um so zu sein wie die anderen. Es gelang mir nicht. Das zu akzeptieren fiel mir nicht leicht. Wer will nicht einer gesellschaftlichen Norm entsprechen? Es macht das Leben leichter! Warum? Wenn Menschen sich begegnen, nehmen sie zunächst die Äußerlichkeiten des anderen wahr. Entsprechen sie nicht der Norm, verändern sich die Blicke: Sie werden investigativ, fragend, abschätzend, zeigen Erschrecken oder Reaktionen des Abgestoßenseins. Ob ich will oder nicht, die Blicke sind auf mich gerichtet, mal diskret, mal direkt. Es gibt kein Entkommen oder Ausweichen.

Ich betrachte mich im Spiegel. Ich würde so gerne aussehen wie die anderen, aber es wird nie so sein. Diese Realisierung ist hart und trifft mich ins Mark, wieder und wieder. Ich betrachte mein Spiegelbild wie ein Fremdbild, weil ich nicht so aussehen will. Ich bin mit mir aufgrund meiner äußeren Erscheinung nicht im Reinen. Ich bin müde, ständig den Blicken der anderen ausgesetzt zu sein. In dunklen Momenten hasse ich, was ich sehe, doch die dunklen Kräfte gewinnen keine Oberhand. Ich bin stark, ich bin umgeben von Menschen, die mich lieben, und ich will meinen Weg selbstbestimmt gehen.

Mit den Jahren verstehe ich, dass ich mein Äußeres nicht verändern kann. Ich lerne, mich so zu akzeptieren, wie ich bin. Das bedeutet auch, dass ich die Rolle in der Gesellschaft einnehme, die diese mir zuweist. Es bringt nichts, gegen Windmühlen zu kämpfen. Ich muss lernen, mich mit ihnen zu drehen, aber meinen eigenen Weg zu gehen.

Im Laufe der Zeit realisiere ich, dass es nicht nur um mich geht. Ich bin nicht allein. Es gibt mehr Menschen, die mit einer Behinderung zu leben gelernt haben, als ich mir vorstellen kann. Doch wo sind sie alle? Ich sehe sie nicht. Warum ist das so? Gehe ich mit verschlossenen Augen durch die Welt oder sind sie einfach weniger präsent in unserem täglichen Leben? Wenn ich mich frage, mit wie vielen Menschen mit Behinderung ich regelmäßig im privaten und beruflichen Leben zu tun habe, dann fallen mir nicht viele ein. Es ist eine Minderheit, aber – wie wir sehen werden – doch so groß, dass man sie nicht übersehen kann.

Mein bisheriges Leben ist reich an Erlebnissen, die ich aufgrund meiner Behinderung gemacht habe. Es waren Erfahrungen, die mich auf der einen Seite verletzten, auf der anderen Seite aber motivierten und mich anspornten. Diese im privaten und beruflichen Bereich gemachten Erfahrungen haben mich dazu bewogen, über Möglichkeiten nachzudenken, was wir alle, die mit Menschen mit Behinderung umgehen, anders und besser machen können. Letztendlich geht es aber auch um uns Menschen mit Behinderung selbst, was wir verändern können, um nicht eine schicksalsergebene Opferrolle einzunehmen, sondern uns selbstbewusst und eigenverantwortlich unserem Leben zu stellen.

Wandel kann nur gelingen, wenn staatliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändert werden und in den Unternehmen ein Umdenken stattfindet, das Menschen mit Behinderung als vollwertige Mitbürger1 betrachtet und ihre vollständige Integration in die Gesellschaft und damit in die Berufswelt vorantreibt.

Meine Recherche ergab, dass es trotz globaler Bemühungen keine generell akzeptierte Definition von »Menschen mit Behinderung« gibt, geschweige denn eine allgemein verbindliche Beschreibung. Es wäre meiner Meinung nach verschwendete Zeit und verlorene Energie, krampfhaft über Ländergrenzen hinweg Definitionen und Kategorien von Menschen mit Behinderungen zu entwickeln und konsensfähig zu machen. Lasst uns lieber daran arbeiten, dass die festgefahrenen Vorstellungen von der »Norm« in den Köpfen unserer Mitmenschen aufgebrochen werden und die Entscheider in den Unternehmen positiv beeinflusst werden, um die Erwerbsquote von Menschen mit Behinderung zu erhöhen.

Lasst uns dafür kämpfen, den staatlichen Fürsorgegedanken uns gegenüber über Bord zu werfen und ihn durch eine zeitgemäße, aktive Förderung und Unterstützung für Menschen mit Behinderung zu ersetzen. Wir sind keine Opfer, die zu bemitleiden sind. Wir sind eigenständige Individuen, die es verdienen, mit Respekt und Anstand behandelt zu werden. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass wir uns nicht in eine Opferrolle zurückziehen dürfen, um exakt diese Reaktionen unserer Mitmenschen hervorzurufen.

Meine persönlichen Erfahrungen können hierzu hoffentlich einen positiven Beitrag leisten. Wir wollen als Menschen wahrgenommen werden, die sich ihrer eigenen Unzulänglichkeiten (der Behinderung) bewusst sind, die sich aber auch auf ihre Stärken konzentrieren und ihre Fähigkeiten weiterentwickeln, um sie aktiv zum Wohle der Gesellschaft einzusetzen. Das sollte uns stolz und selbstbewusst machen und uns erlauben, unser Leben so weit wie möglich unabhängig zu gestalten.

Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass Veränderung bei einem selbst beginnen sollte, ist es damit nicht getan. Daher wird mein Buch auch ein Wegweiser für die Gesellschaft und unsere Mitmenschen sein, nicht auf unsere Einschränkungen und »Unfähigkeiten« zu schauen, sondern uns als Individuen mit ihren Talenten und Fähigkeiten wahrzunehmen. Wenn es unseren Mitmenschen gelingt, »Andersartigkeit«, gemessen an den gesellschaftlichen Normen, zu respektieren und uns so zu akzeptieren, wie wir sind, dann sind wir einen entscheidenden Schritt weitergekommen.

Neben dem Staat, der Gesellschaft und den Unternehmen spielen Eltern und andere Bezugspersonen, insbesondere beim Heranwachsen eines Menschen mit Behinderung, eine entscheidende Rolle. Wie meine persönlichen Erfahrungsberichte zeigen werden, sind deren Einstellungen, Ansichten und Erziehungsformen für uns früh prägend und bestimmen unser Verhalten. In Kindheit und Jugend angeeignete Verhaltensweisen beeinflussen unser ganzes Leben. Sie zu verändern und zu überwinden ist harte Arbeit.

Dieses Buch ist keine wissenschaftliche Abhandlung zum Thema »Behinderung«, sondern basiert auf persönlichen Erfahrungen, die ich im Laufe meines Lebens und meiner Berufstätigkeit gesammelt habe. Mein Berufsleben erstreckt sich auf einen Zeitraum von über drei Jahrzehnten mit unterschiedlichen Arbeitgebern, in verschiedenen Branchen und Ländern. Es ist nicht meine Intention, einzelne Erfahrungsberichte bestimmten Arbeitgebern zuzuordnen. Das wäre meiner Meinung nach nicht fair, da die geschilderten Erlebnisse meist mit bestimmten Personen (oft Managern) verbunden waren, die in der Zwischenzeit nicht mehr bei diesem Unternehmen arbeiten. Zudem hat sich die Kultur mancher Unternehmen über die Jahre weiterentwickelt, oft zu mehr Inklusion und Toleranz »Andersartigen« gegenüber.

Wenn ich mich heute im Spiegel betrachte, bin ich mit mir und meinem Äußeren im Reinen. Mein Spiegelbild und ich sind eins, eine Einheit. Diese »Symbiose« führt dazu, dass ich weniger Energie verwende, um mich mit mir selbst auseinanderzusetzen, sondern mein Leben so versuche zu gestalten, wie es mir richtig erscheint – allen Hindernissen zum Trotz.

  1Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.

I Wer sind Menschen mit Behinderung?

Auch wenn es keine einheitliche Definition für Menschen mit Behinderung gibt, möchte ich diesen Bereich eingangs beleuchten, um für dieses Buch Klarheit zu schaffen.

Ein kurzer Abriss, wie mit Menschen mit Behinderung in der Vergangenheit umgegangen wurde, bildet einen wichtigen Kontext, um zu verstehen, wo wir heute stehen. Ein wesentliches Element zur vollständigen Integration von Menschen mit Behinderung besteht, neben anderen Aspekten, darin, in die Schule zu gehen sowie einen Beruf zu erlernen und auszuüben.

Es gibt verschiedene Arten von Behinderungen, die Menschen in ihrer körperlichen, geistigen oder emotionalen Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. In der Wissenschaft und der einschlägigen Literatur findet sich eine Vielzahl von Definitionen mit unterschiedlichen Differenzierungsgraden. »Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist.«2Als Behinderung bezeichnet man demnach eine dauerhafte und gravierende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Teilhabe einer Person. Verursacht wird diese durch die Wechselwirkung ungünstiger sozialer oder anderer Umweltfaktoren (Barrieren) und solcher Eigenschaften der Betroffenen, welche die Überwindung der Barrieren erschweren oder unmöglich machen. Behinderung wird also nicht als »Krankheit« betrachtet: Behindernd wirken in der Umwelt des Menschen sowohl Alltagsgegenstände und Einrichtungen – oder das Fehlen solcher Einrichtungen – (physikalische Faktoren) als auch die Einstellung anderer Menschen (soziale Faktoren).

Es gibt eine Vielzahl von Kategorisierungen, hier ist eine davon, die mir am instruktivsten erscheint.

Körperliche Behinderungen

Diese umfassen Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates, wie Lähmungen, Amputationen oder chronische Krankheiten, die die Mobilität einschränken. Hierbei handelt es sich um Behinderungen, die für einen dritten meist auf den ersten Blick ersichtlich sind. Das Gute daran ist, dass sich das Gegenüber gleich auf die Situation einstellen kann. Es lehrt auch den Menschen mit Behinderung, sich mit dem Offensichtlichen auseinanderzusetzen und sich auf mögliche Fragen, Einwände oder Bedenken vorzubereiten. Menschen mit körperlichen Einschränkungen können in der Regel alle ihre Sinne voll einsetzen, sind aber bei der Ausführung bestimmter praktischer Aktivitäten beeinträchtigt. Mit entsprechenden Hilfsmitteln, wie barrierefreien Zugängen zu Büros oder einer angemessenen Büroausstattung können Hindernisse, die eine vollständige Integration in die Berufswelt verhindern, ausgeräumt werden. Allerdings gibt es Berufsarten, wie zum Beispiel handwerkliche Tätigkeiten, die sich weniger oder gar nicht als Berufsfelder für diese Menschen eignen.

Sensorische Behinderungen

Hierzu gehören Seh- und Hörbehinderungen, die das Seh- oder Hörvermögen beeinträchtigen oder vollständig einschränken können. Menschen mit diesen Behinderungen sind denen mit körperlichen Behinderungen sehr ähnlich. Auch hier ist die Behinderung für den Mitmenschen meist offensichtlich. Diese Menschen haben eingeschränkt funktionierende Sinnesorgane, da ein oder mehrere Sinne nicht zur Verfügung stehen oder nur bedingt vorhanden sind. Diese Menschen sind jedoch oftmals in der Lage, dieses Defizit durch andere Sinne, wie zum Beispiel Tasten, Riechen oder Schmecken und durch eine Vielzahl von Hilfsmitteln, beispielsweise die Blindenschrift, auszugleichen. Auch für diese Menschen ist eine Integration in die Arbeitswelt mit Hilfsmitteln möglich. Denkbare Berufsfelder bieten sich im Kundenservice, IT-Bereich, aber auch in den Finanz- oder Personalabteilungen.

Geistige Behinderungen

Diese umfassen Beeinträchtigungen der kognitiven Fähigkeiten, wie Lernschwierigkeiten, Entwicklungsverzögerungen oder geistige Behinderungen, die das Denken, Verstehen und Lernen beeinflussen. Auch hier ist die Behinderung für den Mitmenschen meist offensichtlich. Aus meiner Erfahrung werden diese Menschen leider oft vorschnell und pauschal an einer Integration in die Arbeitswelt gehindert. Um dies zu verhindern, ist es notwendig, sich auf den Menschen mit Behinderung als Individuum einzulassen, um feststellen zu können, wo dessen Stärken liegen und wie stark die Lernfähigkeit ausgeprägt ist.

Ich habe während meiner Berufstätigkeit eine Vielzahl von Beispielen erlebt, die eine Integration ermöglichen. Hier seien einige angeführt:

Ein Unternehmen stellt Menschen mit geistiger Behinderung als Mitarbeiter in der Produktion ein. Sie übernehmen zunächst einfache Aufgaben wie das Sortieren von Waren oder das Verpacken von Produkten. Durch klare Anweisungen und regelmäßige Schulungen werden sie in die Arbeitsabläufe integriert und können so einen wertvollen Beitrag für das Unternehmen leisten.

Eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung kooperiert mit einem örtlichen Unternehmen, um Arbeitsplätze für Menschen mit geistiger Behinderung zu schaffen. Die Werkstatt übernimmt dabei die Einarbeitung und Begleitung der Mitarbeiter, während das Unternehmen ihnen konkrete Aufgaben und Projekte zuweist. Durch diese Zusammenarbeit können die Menschen mit geistiger Behinderung ihre Fähigkeiten weiterentwickeln und sich beruflich entfalten.

Eine Organisation bietet Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit, in einem eigenen Café zu arbeiten. Sie werden in verschiedenen Bereichen, wie der Zubereitung von Speisen oder dem Service eingesetzt. Durch gezielte Schulungen und individuelle Unterstützung können sie ihre Fähigkeiten ausbauen und sich beruflich weiterentwickeln.

Ein Unternehmen bietet Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit, in einem Büro als Assistenzkraft zu arbeiten. Sie übernehmen administrative Aufgaben, wie die Dateneingabe oder die Terminplanung. Durch eine gute Arbeitsorganisation und klare Anweisungen werden sie in die Arbeitsabläufe integriert und können ihre Fähigkeiten im Bürobereich einbringen.

Die aufgeführten Beispiele sind alles andere als Selbstläufer: Eine erfolgreiche Integration erfordert, dass man als Unternehmer die Stärken, aber auch die Limitationen der Menschen mit geistiger Behinderung kennenlernt und den Willen und die Flexibilität besitzt, Arbeitsabläufe entsprechend anzupassen und ihren Lernprozess fördert.

Psychische Behinderungen

Diese umfassen psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie, die das emotionale Wohlbefinden und die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. Hier ist die Behinderung für den Mitmenschen meist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Sie kann über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, zum Beispiel hinsichtlich des Verhaltens, der Kommunikation oder der sozialen Interaktionen. Hinzu kommt, dass die Symptome dieser Beeinträchtigungen in Phasen auftreten können, was bedeutet, dass in einem Zeitraum ohne Symptome die volle Leistungsfähigkeit vorhanden ist, in einer anderen Phase ist die Leistungsfähigkeit aber nur eingeschränkt oder gar nicht abrufbar.

Hier sind einige Beispiele aus meiner Erfahrung, die einen beruflichen Einsatz von Menschen mit einer psychischen Behinderung ermöglichen:

Ein Unternehmen bietet Menschen mit psychischer Behinderung flexible Arbeitszeiten an und die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten. Dadurch können diese Menschen ihre Arbeit besser an ihre individuellen Bedürfnisse anpassen und haben eine größere Chance, ihre Leistung nach ihren Fähigkeiten zu erbringen.

Eine Organisation bietet diesen Menschen die Möglichkeit, in einem eigenen Gartenbauprojekt mitzuarbeiten. Sie kümmern sich um die Pflege von Pflanzen und die Gestaltung von Gärten. Durch die Arbeit in der Natur und den Kontakt mit Pflanzen können sie ihre psychische Gesundheit verbessern und gleichzeitig ihre beruflichen Fähigkeiten entwickeln.

Eine Werkstatt bietet Menschen mit psychischer Behinderung die Möglichkeit, kreativ zu arbeiten. Sie können ihre künstlerischen Fähigkeiten nutzen und Kunstobjekte wie Gemälde, Skulpturen oder handgefertigte Gegenstände herstellen. Diese können dann verkauft werden, um die Arbeit der Werkstatt zu unterstützen und den Mitarbeitenden mit psychischer Behinderung eine Einkommensquelle zu bieten.

Ein Unternehmen bietet diesen Menschen die Möglichkeit, in einem Mentoring-Programm zu arbeiten. Sie werden als Mentoren für andere Mitarbeitende eingesetzt und unterstützen sie bei der Bewältigung von Stress, der Förderung der psychischen Gesundheit und der Entwicklung von Bewältigungsstrategien. Durch ihre Erfahrungen können sie einen wertvollen Beitrag zur Schaffung eines gesunden Arbeitsumfeldes leisten.

Diesen Beispielen ist gemeinsam, dass die Unternehmen den Menschen mit psychischer Behinderung größtmögliche Flexibilität und Autonomie ermöglichen. Zur selben Zeit ist aber auch ein enges Monitoring erforderlich, um sicherzustellen, dass sich die gesundheitlichen Bedingungen nicht verändert haben, die eine Verminderung der Leistungsfähigkeit hervorrufen könnten. Flexible Arbeitszeitmodelle, Remote Working oder Teilzeitarbeit können die erfolgreiche Integration unterstützen.

Entwicklungsbehinderungen

Diese umfassen Beeinträchtigungen, die während der Entwicklung im Kindesalter auftreten, wie Autismus, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) oder Entwicklungsverzögerungen. Hier ist die Behinderung für den Mitmenschen meist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Eine erste Diagnose kann durch Tests zum Feststellen des Entwicklungsstatus im Vergleich zu einer Peer-Gruppe oder durch die Beobachtung des Verhaltens erfolgen. Mit den richtigen Maßnahmen und dem Erlernen des Umgangs mit der Beeinträchtigung ist meiner Erfahrung nach oftmals eine vollständige Integration in die Arbeitswelt möglich. Es ist aber erforderlich, sich bei der Berufswahl professionelle Hilfe zu holen, um sicherzustellen, dass ein Beruf gewählt wird, der trotz der Entwicklungseinschränkungen bestmöglich ausgeführt werden kann.

Um den Rahmen dieses Buches nicht zu sprengen, fokussiere ich mich im Folgenden auf Menschen mit körperlichen Behinderungen. Hier sind einige Beispiele aufgeführt, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert werden:

1.Mobilitätseinschränkungen

Eine körperliche Behinderung kann die Mobilität einer Person beeinträchtigen. Sie kann Schwierigkeiten haben, sich fortzubewegen, Treppen zu steigen oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Auch wenn Remote Work und Homeoffice seit der COVID-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen haben und somit Mobilitätseinschränkungen beruflich weniger stark ins Gewicht fallen, bleibt deren Beseitigung weiterhin essenziell, um eine vollständige Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

2. Zugänglichkeit

Viele öffentliche und private Gebäude, Verkehrsmittel und Einrichtungen sind in einigen Fällen immer noch nicht barrierefrei gestaltet. Dies kann es Menschen mit körperlicher Behinderung erschweren, an bestimmten Aktivitäten oder Veranstaltungen teilzunehmen. Allerdings hat sich in diesem Bereich sehr viel zum Besseren gewandelt.

3. Alltagsaktivitäten

Alltägliche Aktivitäten wie Anziehen, Essen oder Körperpflege können für Menschen mit körperlicher Behinderung eine Herausforderung darstellen. Sie können auf Unterstützung oder spezielle Hilfsmittel angewiesen sein. Das Ausmaß der Hilfe hängt stark von der Schwere und der Art der Behinderung ab. Spezielle Hilfsmittel können bedingt Abhilfe schaffen, oft ist aber praktische und persönliche Hilfe vor Ort erforderlich, um eine Erleichterung herbeizuführen. Es gibt Beispiele, in denen Menschen mit unterschiedlichen Arten von Behinderung in einer Wohngemeinschaft zusammenleben, um sich gegenseitig in den Alltagsaktivitäten zu unterstützen.

4. Stigmatisierung und Vorurteile

Menschen mit Behinderung können mit Vorurteilen und Stigmatisierung konfrontiert werden. Dies kann zu sozialer Ausgrenzung, Diskriminierung oder mangelnder Akzeptanz führen und eine Vielzahl von Problemen zur Folge haben, wie zum Beispiel mangelndes Selbstbewusstsein, soziale Vereinsamung oder Ausgrenzung von der Teilnahme am Erwerbsleben. Diese Hindernisse können nur langfristig durch Aufklärung und Kommunikation behoben werden.

5. Arbeitsplatzbarrieren

Menschen mit körperlichen Behinderungen können Schwierigkeiten haben, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden oder angemessene Anpassungen am Arbeitsplatz zu erhalten. Dies schränkt ihre beruflichen Möglichkeiten ein. Mit zunehmendem technischem Fortschritt können diese Hindernisse immer besser beseitigt werden. Zum Beispiel gibt es mittlerweile sprachgesteuerte Schreibprogramme, die Tastaturen obsolet machen oder die weiter fortschreitende Automatisierung in der Produktion, die weniger manuelle Eingriffe erforderlich macht.

6. Gesundheitsprobleme

Körperliche Behinderungen können mit zusätzlichen gesundheitlichen Herausforderungen einhergehen, die die allgemeine Gesundheit und das Wohlbefinden beeinträchtigen und zusätzliche medizinische Versorgung erfordern. Dies kann am Arbeitsplatz zu höheren Fehlzeiten führen, was aus Arbeitgebersicht höhere Kosten und eine geringere Effizienz zur Folge hat. Hierdurch kann das Interesse daran, einen Arbeitnehmer mit Behinderung einzustellen, stark geschmälert werden.

7. Psychische Belastung

Die Bewältigung einer Behinderung kann zu psychischen Belastungen wie Depressionen, Angstzuständen oder geringem Selbstwertgefühl führen. Für den Betroffenen wird es eine Herausforderung, mit den emotionalen Auswirkungen der Behinderung umzugehen. Um diese Belastungen zu minimieren, ist es wichtig, offen mit ihnen umzugehen und geeignete Gesprächspartner (Menschen mit Behinderung und andere) zu finden, um einen Austausch zu fördern und Betreuungsangebote wahrzunehmen.

Die Ursachen für eine Behinderung in Deutschland sind höchst unterschiedlich. Während 3,5 Prozent eine angeborene Behinderung haben, sind 1,2 Prozent hervorgerufen durch einen Unfall. Bei der überwiegenden Mehrheit wurden Behinderungen durch eine Krankheit verursacht.3

Es ist wichtig zu beachten, dass Behinderungen individuell unterschiedlich sind und Menschen mit Behinderung verschiedene Fähigkeiten und Stärken besitzen. Allen Integrationsbemühungen ist jedoch gemein, dass sie nur in einer gesellschaftlichen und unternehmerischen Kultur der Inklusion stattfinden können. Ohne die Offenheit, sich der »Andersartigkeit« anzunehmen, sie zu akzeptieren und sich darauf einzulassen und sich anzupassen wird eine berufliche Integration von Menschen mit Behinderung nicht erfolgreich sein.

Wie bezeichnet man nun Menschen mit Behinderung, ohne sie zu verletzen? Behinderter Mensch, Mensch mit Behinderung, Behinderte oder Person mit Handicap, disabled Person, Mensch mit besonderen Bedürfnissen? Welche Bezeichnung kann man zum Beispiel für einen Rollstuhlfahrer verwenden, ohne ungewollt verletzend zu sein? Worte sind die »Kleidung unserer Gedanken«. Sie drücken unsere Werte, aber auch unsere Vorurteile aus.4

Wenn wir über Behinderung sprechen, ist es wichtig, nicht nur die medizinische Diagnose zu berücksichtigen, sondern auch, wie gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Inklusion zusammenhängen. Bin ich beispielsweise behindert, weil ich eine Etage nicht hochkomme, weil ich keine Treppen laufen kann – oder werde ich behindert, weil in dem Gebäude kein Aufzug existiert?

Eine Behinderung ist eine von vielen Merkmalen einer Person. Deswegen sollten wir auf Ausdrücke wie »der/die Behinderte« verzichten, die Personen auf ihre Behinderung reduzieren. Wir sprechen daher besser von Menschen mit Behinderung, Jobsuchenden mit Behinderung, Mitarbeitern mit Behinderung.

Wir sollten keine Angst vor dem Wort »Behinderung« haben. »Behinderung« ist eine neutrale Bezeichnung und wird vom Großteil der Menschen mit Behinderungen als Selbstbezeichnung verwendet. Es ist deswegen nicht notwendig, auf alternative Bezeichnungen wie »Handicap« oder »besondere Bedürfnisse« auszuweichen, weil sie besser klingen. Der Nachteil dieser Begriffe ist darüber hinaus, dass sie die Abweichung von einer Norm bezeichnen. Ob Menschen »behindert sind« oder »eine Behinderung haben«, wird von Menschen mit Behinderungen unterschiedlich gesehen. Manche entscheiden sich bewusst für die Selbstbezeichnung »behindert sein« – mit der Begründung, dass ihre Erlebnisse als Person mit Behinderung einen zentralen Teil ihrer Identität ausmachen. Für andere ist es wichtig zu betonen, dass ihre Behinderung nur einer von vielen Aspekten ihrer Persönlichkeit ist. Sie bevorzugen die Bezeichnung »eine Behinderung haben«. Ob und wie identitätsstiftend eine Behinderung für eine Person ist, entscheidet die betreffende Person für sich selbst.

Folgende Begrifflichkeit hat sich nach meiner Recherche im deutschsprachigen Raum durchgesetzt: Es ist allgemein akzeptiert von »Menschen mit Behinderung« zu sprechen, da eine Behinderung nicht den ganzen Menschen definiert. Der Begriff beschreibt darüber hinaus zwei Aspekte: zum einen eine empfundene persönliche Einschränkung körperlicher oder geistiger Ausprägung und zum anderen ein Hindernis, das eine Teilnahme an einem bestimmten Aspekt des gesellschaftlichen Lebens erschwert.

Abschließend sei hervorgehoben, dass Menschen mit Behinderung keine »besonderen« Bedürfnisse haben. Jeder Mensch möchte ohne Barrieren (Behinderungen) am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Menschen mit Behinderungen sind selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft. »Behinderung« ist nicht das Gegenteil von »normal«, was eine Abweichung von einer Norm bezeichnet. Normal sind wir alle.

Ich spreche in diesem Buch von »Menschen mit Behinderung«, da es meiner persönlichen Auffassung am nächsten liegt. Ich bezeichne mich als »Mensch mit einer Behinderung«, da ich aufgrund meiner Behinderung »Einschränkungen« erfahre, die ein Mensch ohne diese Behinderung vermutlich nicht hätte. Wenn wir ehrlich zu uns sind – haben wir nicht alle eine wie auch immer geartete Behinderung oder Einschränkung, sei es physischer oder psychischer Natur?

  2Buzer: § 2 Behinderung,(online) https://www.buzer.de/gesetz/5856/a80821.htm [07.09.2023].

  3Statista (2021): Statistiken zum Thema Schwerbehinderung: Ursachen der Behinderung, (online) https://de.statista.com/themen/261/behinderung/#topicOverview [15.09.2023].

  4MyAbility: Inklusives Wording, (online) https://www.myability.org/wissen/inklusion-unternehmen/erfolgsfaktoren/inklusives-wording [01.10.2023].

II Veränderungen im Umgang mit Menschen mit Behinderung

Ich werde oft gefragt, ob es bestimmte Branchen, Länder oder Industrien gibt, in denen Menschen mit Behinderung stärker akzeptiert werden als in anderen. Diese Frage lässt sich nicht leicht beantworten, und ich möchte auch von einer Generalisierung Abstand nehmen, da diese nicht zutreffend und unfair wäre. Es gibt allerdings einige Trends, die ich beobachtet und erfahren habe. Doch zunächst möchte ich einen kurzen Überblick über die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen geben, in dem natürlich nicht alle Aspekte thematisiert werden können. Diese hat im Laufe der Jahre eine Entwicklung durchlaufen, die von kulturellen, sozialen, politischen und gesetzlichen Veränderungen beeinflusst wurde. Diese Weiterentwicklung ist in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich verlaufen.

Im 19. Jahrhundert: In vielen Gesellschaften wurden Menschen mit Behinderungen oft ausgegrenzt, als »unheilbar« betrachtet oder sogar als Fluch angesehen. In ihren Familien verrichteten sie oft einfache Tätigkeiten und wurden als »Minderbemittelte« betrachtet, derer man sich schämte. Wenn nötig, wurden sie in Institutionen oder Heimen untergebracht, in denen sie meist dahinvegetierten und keine gezielte Förderung erhielten. Im besten Fall wurde für ihre Grundbedürfnisse gesorgt, aber dies mehr schlecht als recht. Generell hatten Menschen mit Behinderung in dieser Zeit nur begrenzten Zugang zu Bildung, Arbeitsmöglichkeiten und sozialer Teilhabe. Sie erfuhren Stigmatisierung und Ausgrenzung.

Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts: In einigen Ländern wurden Ansätze zur Integration und Bildung von Menschen mit Behinderung durchgeführt. Dies war aber oft auf die individuellen Anstrengungen von Aktivisten, Familien und Organisationen zurückzuführen. Insgesamt gab es jedoch weiterhin weit verbreitete Barrieren und Vorurteile.

In der Zeit des Nationalsozialismus (1933 bis 1945) wurde die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung in Deutschland stark von den rassistischen und eugenischen Ideologien der Herrschenden beeinflusst. Das Regime verfolgte eine Politik der Euthanasie, die darauf abzielte, Menschen mit Behinderungen zu sterilisieren oder zu töten, um die »Reinheit der Rasse« zu fördern, die sie von der Existenz dieser Menschen bedroht sahen. Dies war eins der dunkelsten und grausamsten Kapitel der Geschichte der Menschen mit Behinderungen in Deutschland.

Nachfolgend werden einige wichtige Punkte über das Leben von Menschen mit Behinderung in der Zeit des Nationalsozialismus aufgeführt:

Im Jahr 1939 wurde das »Aktion T4-Programm« im Rahmen des »Euthanasieprogramms« ins Leben gerufen, das als geheime Aktion begann und später zu einem systematischen Selektions- und Mordprogramm wurde. Menschen mit verschiedenen Arten von Behinderungen konnten als »lebensunwert« eingestuft werden. Die Ärzteschaft und das medizinische Personal wurden angewiesen, solche Menschen zu erfassen und den staatlichen Stellen zu melden, die dann das weitere Vorgehen festlegten. Oftmals wurde entschieden, diese Menschen zu sterilisieren, um ihre Fortpflanzung und damit eine Verbreitung ihrer »kranken Gene« zu verhindern oder im schlimmsten Fall zu töten, um das »unwerte Leben« aus der Gesellschaft zu entfernen. »Unwertes Leben« wurde definiert als solches, welches keinen Mehrwert für die Gesellschaft in Form von Arbeitsleistung lieferte. Das Euthanasieprogramm führte zur Diskriminierung und Ermordung von vielen Tausend Menschen mit Behinderung. Die nationalsozialistische Propaganda bezeichnete sie oft als »Ballastexistenzen«. Dies trug dazu bei, eine Atmosphäre der Ablehnung und Entmenschlichung in der Gesellschaft zu schaffen, die dann die Durchführung der Euthanasiepolitik erleichterte. Die Familien der Opfer waren häufig ahnungslos und unwissend, was mit ihren Angehörigen passierte. Ihnen wurde oft vorgegaukelt, dass das behinderte Familienmitglied in einer speziellen Einrichtung besser aufgehoben sei als zu Hause. Wenn die Ermordung veranlasst und durchgeführt wurde, erhielten die Familienangehörigen gefälschte Todesurkunden, die die wahren Umstände ihres Todes verschleierten.

Die Erfahrungen dieser Zeit hinterließen tiefe Traumata und hatten langfristige Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung in der deutschen Gesellschaft über das Ende des zweiten Weltkriegs 1945 hinaus.

Die schrecklichen Ereignisse im Zusammenhang mit der Euthanasiepolitik während des Nationalsozialismus sind ein trauriges Beispiel dafür, wie Ideologien von Diskriminierung und Entmenschlichung zu massiven Menschenrechtsverletzungen führen. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, um sicherzustellen, dass solche Ereignisse nie wieder geschehen und Menschen mit Behinderung die gleichen Rechte und die gleiche Würde wie alle anderen genießen.

1960er- bis 1980er-Jahre: Diese Dekaden waren geprägt von bedeutenden Fortschritten in der medizinischen Versorgung und in der Rehabilitation von Menschen mit Behinderung. Neue Behandlungsmethoden und Technologien ermöglichten eine bessere medizinische Betreuung und verbesserten die Lebensqualität für die Menschen mit Behinderung.