"Papa, der Himmel brennt!" - Margret Siebel - E-Book

"Papa, der Himmel brennt!" E-Book

Margret Siebel

4,9

Beschreibung

Noch bevor die Autorin sechs Jahre alt wurde, brach der Zweite Weltkrieg aus. Sie wohnte mit ihren Eltern, der älteren Schwester und dem Dackel in Nürnberg. Die Stadt wurde durch Bombenangriffe nahezu völlig zerstört. In vielen kleinen Begebenheiten erzählt Margret Siebel aus dem Alltag des kleinen Mädchens, das sie damals war. Erinnerungen an eine Kindheit ohne Fernsehen, Handy und Spielekonsole. Sie erinnert an Zeiten, in denen sie zitternd im Luftschutzkeller saß und um ihr Leben bangte, an Zeiten, in denen die Lebensmittel knapp wurden und an Zeiten, in denen sie einfach ein fröhliches Kind sein durfte. Alltäglichkeiten, Humorvolles und Schreckliches. Viele Erinnerungen, die die Autorin einst zum Lachen oder Weinen gebracht haben, will sie Euch erzählen.

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Seitenzahl: 148

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Weit entfernt, irgendwo auf der Welt, tobte, für uns Kinder nicht spürbar, der Krieg. Noch hatten wir genug zu essen, noch konnten wir den Herd in der Küche heizen, noch immer war uns das Geheul von Sirenen unbekannt. Wir lernten den Hitlergruß und wussten, dass man über unseren Führer nichts Böses sagen durfte. An den Litfaßsäulen hingen riesige Plakate mit einem schwarzen Mann. ‚Vorsicht, Feind hört mit‘, stand darauf. Es war gefährlich, eine andere Meinung zu äußern. Doch weder das Dritte Reich, noch der Krieg, konnten unsere Kinderträume stören. Wir lachten und sangen, wir stritten uns und versöhnten uns wieder. Meine Mutter brachte uns jeden Abend mit einem Kuss zu Bett. Wir schliefen ein in dem Gefühl, geborgen zu sein. Wir waren glückliche Kinder.

Doch dann fielen die Bomben.

Inhaltsverzeichnis

Freitag, 1. September 1939

Vater und Mutter

Hamsterkäufe

Veränderungen

Unsere Wohnung

Hochstraße

Luftschutzkeller

Weihnachten 1939/40

Erstkommunion

Mein erster Schultag

Freundinnen

Joachim und Fritzegrün

Fliegeralarm

Klavierunterricht

Gasmasken

Blutschande

Der Pfarrer

Oma Lenchen

Läuse

Ich weiß einen Witz

Judenstern

Kindergeburtstag

Bombenangriff auf Nürnberg

Winter 1941/42

Mutter wird krank

1942 Sommerferien in der Pfalz

Luftangriff

Irgendetwas stimmte nicht

Katzenpfötchen

Kriegswinterhilfswerk

„Es weihnachtet“

Erika

Rodeln im Pegnitzgrund

Von einem Fisch in der Badewanne

Kinderlandverschickung

Mutter, der Dackel und meine Schwester

Die neue Schule

Rollschuhlaufen

Bei den Jungmädels

Der Krieg rückt näher

Heimreise

In Angst und Schrecken

Heimweg durch ein Flammenmeer

Der Feind

Kriegsende

Ich habe ein Gedächtnis für lustige Dinge, Erinnerungsfetzen aus meiner Kindheit. Da gibt es zum Beispiel dieses Einmachglas, in dem eine Kröte sitzt, die ich erst gefangen und mich dann vor ihr gefürchtet hatte. Ich sehe noch die großen Augen, mit denen sie mich anglotze. Schnell hatte ich sie zum Tümpel zurückgetragen. Ich erinnere mich an einen Witz, den ich auf der Kirmes aufgeschnappt hatte und an das Gesicht meines Vaters, als ich diesen Witz am Esstisch zum Besten gab. Verstanden hatte ich den Witz nicht. Oder Omas Nachttopf, den mit den blauen Blumenranken. Meine Schwester und ich hatten uns darum gestritten, jede wollte ihn haben. Wir fanden eine Lösung, doch die funktionierte leider nicht.

Es gibt auch weniger lustige Erinnerungen, wie der Bombenangriff, von dem ich überrascht wurde, als ich ganz alleine in die Stadt gelaufen war. Oder das offene Fenster, an dem ich mit meinem Vater stand, als der Himmel brannte.

Und ich erinnere mich an den Tag, als der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war.

Freitag, 1. September 1939

Nur wenige Wochen vor meinem sechsten Geburtstag brach der Zweite Weltkrieg aus. Es war Freitag, der 1. September 1939. Auf flinken Beinen kutschierte ich meinen Puppenwagen, mit dem Dackel darin, durch den langen Flur unserer Wohnung. Hin und zurück, hin und zurück. Die hohen, weiß lackierten Flügeltüren waren alle geschlossen, nur die Tür zum Wohnzimmer stand einen Spalt weit offen. Meine Mutter saß in dem Zimmer am Fenster und stopfte unsere Strümpfe.

„Nicht so wild, Margret, nicht so wild!“, rief sie mir zu, hob den Kopf für Sekunden und senkte ihn wieder hinunter zu dem Loch in der Socke, über das sie emsig mit einer langen Stopfnadel fuhr. Aus dem Zimmer drang leise Radiomusik in den Flur, Schlagermusik, wie Mutti es nannte und immer wieder gab es kurze Unterbrechungen, in denen gesprochen wurde. Ich lachte und raste weiter. Kurz bevor der Puppenwagen, am Ende meiner Rennstrecke, an die Badezimmertür knallte, brachte sich der Hund mit einem Sprung in Sicherheit. Ich flüchtete zu Toni, unserem Dienstmädchen, in die Küche, die das silberne Besteck putzte.

„Gibst du mir was zu trinken, Toni?“, fragte ich atemlos.

Toni streckte ihre schwarz verfärbten Hände weit von sich und schüttelte den Kopf.

„Erstens heißt das bitte und zweitens sind meine Hände schmutzig. Nimm dir selbst ein Glas.“

Das junge Mädchen machte sich mit Eifer über die vielen Löffel und Gabeln her, fasziniert schaute ich zu, wie sie rieb und polierte, bis das Metall glänzte.

„Machst du das gerne, Toni?“ Toni lachte.

„Das fragst du immer. Gerne? Nein. Aber es muss gemacht werden.“

Plötzlich stand meine Mutter in der Küche. Sie war blass und ihre Stimme zitterte.

„Krieg, wir haben Krieg! Im Radio kam gerade die Nachricht.“

„Um Gottes willen, wie schrecklich!“, entfuhr es dem Mädchen.

Sie ließ den Löffel fallen, den sie gerade bearbeitet hatte und schaute meine Mutter entgeistert an. Ich verstand nicht, was so Schreckliches passiert war.

„Krieg, was bedeutet das, Mutti?“

„Ein Krieg ist furchtbar. Die Männer müssen Soldaten werden. Man schickt sie an die Front, sie werden getötet oder verwundet und sie erschießen andere Menschen. Grauenvoll, so ein Krieg. Ich habe selbst den Ersten Weltkrieg erlebt“, berichtete sie weiter, „wir haben gehungert, weil es nichts zu essen gab.“

Schließlich meinte meine Mutter, Toni solle jetzt die Schnitzel braten, weil es gleich Mittag sei.

Im Augenblick schien also keine Gefahr von dem Krieg für uns auszugehen. Die Zeit, bis meine Schwester Carola aus der Schule kam, verbrachte ich in meinem Kinderzimmer und malte ein buntes Bild.

Beim Mittagessen sprach meine Mutter mit meiner Schwester und mir über den Krieg.

„Hitler hat Polen überfallen“, erklärte sie uns. Der Krieg würde sicher nicht lange dauern, die deutsche Wehrmacht wäre gut ausgebildet. Warum Hitler einen Krieg angezettelt hatte, wusste sie nicht zu beantworten. „Es geht um Danzig“, meinte sie schließlich. „Oder Warschau? Papa weiß das sicher besser.“

„Komm Margret, der Dackel muss raus, wir gehen ein Stück spazieren!“, rief Mutter nach dem Mittagessen und setzte einen ihrer zahlreichen Hüte auf. Mutter liebte Hüte und ging nie ohne Kopfbedeckung aus dem Haus.

Mit Hexe an der Leine liefen wir bis zum Ende unserer Straße und nur wenige Meter weiter hinunter, zum Pegnitzgrund. Der Hund wedelte freudig mit dem Schwanz, er wurde jetzt bald ein Jahr alt.

Einer schmalen Fußspur im dichten Gras folgend, wanderten wir am Ufer des Flusses durch den Wiesengrund, in dem im Herbst Heidekraut in dichten Büscheln blühte. Mutter ging schnell, sie warf dem Dackel Stöckchen zu, denen er mit fliegenden Ohren nachrannte und sie schwanzwedelnd zurücktrug. Über den Krieg sprachen wir nicht, doch war meine Mutter etwas nachdenklicher als sonst. Jungens ließen auf der Wiese Drachen steigen. Die langen bunten Schwänze der Windvögel tanzten am Himmel. Es war ein schöner, friedlicher Nachmittag.

Auf dem Heimweg fiel meiner Mutter ein, dass sie noch etwas besorgen wollte. Im Krämerladen unserer Straße kaufte sie zehn Tafeln Schokolade.

„Mutti, warum kaufst du so viel Schokolade?“, fragte ich erstaunt.

„Man weiß nicht, was noch kommt“, antwortete Mutter und als wir wieder zu Hause waren, versteckte sie die Tafeln zwischen ihren Nachthemden im Kleiderschrank.

Beim Abendbrot redeten meine Eltern über den Krieg. Sie sprachen von den jungen Männern, die nach Polen an die Front geschickt werden, von Tod und Verwundung.

Ich lauschte aufmerksam und spürte die Angst in ihren Stimmen. Die Lebensmittel würden knapp werden, damit mussten wir schon bald rechnen. Und das betraf uns alle. Ich dachte an die zehn Tafeln Schokolade in Mutters Kleiderschrank und fühlte mich gleich besser.

„Musst du auch an die Front, Papa?“, fragte ich, auch wenn ich nicht wusste, wo das sein sollte.

„Ich weiß es nicht“, antwortete mein Vater. Meine Mutter fiel ihm ins Wort. „Papa doch nicht.“

Und sie sollte recht behalten.

Vater und Mutter

Meine Mutter war eine gütige Frau, der niemals ein lautes Wort über die Lippen kam. Zudem war sie hübsch und elegant. Ich liebte alles an ihr. Ihre blauen Augen, ihre lockigen dunklen Haare, ihre zarten Hände und den Duft, den sie verströmte, und der nach dem Gute Nacht Kuss am Abend, noch lange über meinem Bett schwebte. Mutti konnte wunderschön singen und Klavier spielen. Sie musste niemals harte Arbeiten verrichten, wir hatten immer ein Mädchen, das putzte und unsere Wäsche wusch.

Mutter stammte aus einer Weinhändlerfamilie in der Pfalz. Sie hatte noch vier Geschwister und alle meine Tanten und Onkel lebten nahe beisammen. Als Mutter meinen Vater geheiratet hatte, zog sie mit ihm weit weg von ihrer Heimat nach Nürnberg.

Mein Vater war streng. Ich fürchtete ihn mehr, als ich ihn liebte.

Wenn ich etwas angestellt hatte, gab es Ohrfeigen und wenn es etwas ganz Schlimmes war, Hiebe mit der flachen Hand auf den Po.

Ganz schlimm war es, mit den Schuhen auf einen Sessel zu steigen, oder auf das Sofa. Da durfte ich mich nicht erwischen lassen. Vater war ein ernster Mann, der nur selten lachte.

Er war nicht allzu groß gewachsen, doch er hatte breite Schultern und kräftige Beine. Die wasserblauen Augen, mit denen er stets wachsam umher blickte, hatte ich von ihm geerbt, genau wie die helle, empfindliche Haut, die nur wenig Sonne verträgt. Mein Vater war Richter. Er trug immer ein weißes Hemd, auch am Abend, wenn er gemütlich in einem Sessel saß, die Beine weit ausgestreckt hatte und eine dicke Zigarre rauchte.

Das erste Kind, das meine Eltern bekamen, war meine Schwester, Carola. Zwei Jahre später wurde ich geboren.

Mein Vater liebte Dackel und als einer gestorben war, kam der nächste ins Haus. Sie hießen alle Hexe.

Einige Male durfte ich meinen Vater im Gericht besuchen. Es war ein großes Gebäude mit vielen Säulen, einer mächtigen Marmortreppe und hohen Fenstern. In Papas Büro stand ein riesiger Schreibtisch, viel größer, als der zu Hause, in unserem Herrenzimmer.

Einmal zeigte mir mein Vater das Gefängnis von innen. Wir liefen durch lange Gänge mit vielen Türen. Vater öffnete eine Zelle, die nicht bewohnt war. Ein seltsames Gefühl in meinem Bauch beschlich mich, als ich sah, wie schmal der Raum war und die Pritsche zum Schlafen. Hoch oben an der Wand, dicht unter der Decke, drang schwaches Licht durch ein vergittertes Fenster. Ich entdeckte auch eine Kloschüssel in der Ecke und war entsetzt.

„Wie furchtbar, Papa!“

Mein Vater schüttelte den Kopf. “Es sind böse Menschen, die man bestrafen muss.“

Ich fühlte mich schlecht.

Hamsterkäufe

Ein paar Tage später kam mein Vater mit einem kleinen Paket nach Hause, das er rasch und unauffällig in das Herrenzimmer trug. Auf Zehenspitzen schlich ich ihm nach und spähte durchs Schlüsselloch. Aus dem Paket zog mein Vater etliche Zigarrenkisten, die er in dem großen Bücherschrank verschwinden ließ. Ob es bald keine Zigarren mehr gab?

Als ich kurze Zeit später in unser Kinderzimmer kam, überraschte ich meine Schwester beim Zählen ihres Taschengeldes.

„Carola, was machst du da?“

„Das siehst du doch“, antwortete sie gereizt und schob die blanken Münzen über die Tischplatte hin und her.

„Wie viel ist das?“, wollte ich wissen.

„Fünfzehn Mark“, war die knappe Antwort.

„So viel Geld! Was willst du dir kaufen?“, fragte ich neugierig.

Erst schickte sie mich weg. „Geht dich nichts an.“

Doch vor dem Schlafengehen verriet sie mir ein Geheimnis. „Schuhe werde ich kaufen, solche mit hohen Absätzen.“

Ich lachte sie aus. „Gibt es doch gar nicht für Kinder.“

„Du bist eben dumm. Ich kaufe sie mir für später. Wenn Krieg ist, gibt es keine Schuhe mehr.“

Das klang ernst. Ich war besorgt.

Erst Mutters Schokolade, dann Vater mit Zigarren und jetzt Carola, die sich Schuhe mit Absätzen kaufen wollte. Und ich? Meine Geldbörse fühlte sich leicht an. Da ich noch nicht zur Schule ging, fiel mir das Zählen schwer. Ich schüttete den Inhalt des Beutels auf die Bettdecke. Dann lief ich zu meiner Mutter.

„Mutti, komm mal schnell. Bitte!“

Meine Mutter fragte nicht lange, mein Anliegen schien dringend.

„Mutti, wie viel Geld ist das?“

Mutter hatte die Geldstücke schnell gezählt.

„Das sind vier Mark achtzig.“

„Wie viel kann man dafür kaufen?“

„Oh, ganz viel“, antwortete Mutter, „davon kann eine Familie einen ganzen Tag lang leben.“

Was könnte ich mir kaufen? Es sollte etwas sein, was mir wichtig war und was es bald nicht mehr geben würde. Ich hatte eine Idee.

Jetzt musste ich nur noch auf eine Gelegenheit warten, um mich heimlich davonstehlen zu können. Es dauerte auch gar nicht lange und Mutter ging, wie jede Woche, zum Friseur.

Ich war mit Toni alleine. Es klapperte, Toni stieg mit der Kohlenkanne in der Hand in den Keller. Ich wusste, sie musste drei Mal mit den schweren Kannen laufen. Geschwind huschte ich davon.

Am Ende der Straße, vor dem Schaufenster des Milchgeschäftes, blieb ich stehen. Käse! Da lagen sie, die schönen runden Span-Schachteln mit den bunten Bildern darauf. Camembert Käse, wie gern ich den aß, viel lieber als Süßigkeiten.

Entschlossen betrat ich das Geschäft, die Tür setzte eine Glocke in Bewegung.

„Was möchtest du?“, fragte die rotbackige Geschäftsfrau und lächelte.

„Zehn Schachteln Käse, bitte.“

„Zehn? Bist du sicher, dass deine Mutter zehn Schachteln gesagt hat?“, hakte sie nach.

„Ja, zehn. Was kosten die?“, antwortete ich beharrlich.

„So was. Habt ihr Besuch?“, die dicke Frau schaute mich ungläubig an, schüttelte den Kopf, drehte sich um und füllte eine braune Tüte mit den Schachteln.

„Zwei Mark fünfzig.“

Ich legte mein ganzes Geld auf die Theke, die Frau schob mir den Rest zurück.

„Auf Wiedersehen!“

Auf dem Heimweg hüpfte ich vor Freude. Der Käse rumpelte in der Tüte. Ein sicherer Ort für meine Schätze fiel mir schnell ein.

Wenn ich auf einen Stuhl steigen würde, könnte ich den Käse ganz hinten, in unserem Kleiderschrank, zwischen den Badetüchern verstecken. Das gelang mir auch ohne Mühe. Beim Mittagessen grinste ich still in mich hinein.

„Was gibt es, Margret, du bist ja so fröhlich?“

„Nichts, Mama, nichts Besonderes.“ Doch ich wusste es besser.

„Hier riecht es so komisch“, bemerkte Mutter, als sie wenige Tage später in unser Kinderzimmer kam, um aufzuräumen. Mit einem Ruck riss sie das Fenster auf, dann schaute sie Carola und mich fragend an.

„Ich rieche nichts“, versicherte ich.

Meine Schwester malte Zahlenkolonnen in ein Heft und ließ sich nicht aufhalten. Mutter kniete sich auf den Teppich und kontrollierte den Boden unter den Betten, sie schnüffelte.

„Seltsam!“

Mutter stand wieder auf den Beinen, sie schloss das Fenster und schüttelte den Kopf. Sie näherte sich dem Kleiderschrank und öffnete die Tür.

„Himmel!“

Mein Herz drohte still zu stehen. Eine schwere Duftwolke schlug uns entgegen.

„Gütiger Gott!“

Mit einem einzigen Griff beförderte Mutti meinen geheimen Schatz ans Licht.

Ein Schreckensschrei entlarvte mich als Täterin. Mutter war entsetzt, als sie den laufenden Käse betrachtete. Ich fing zu heulen an.

„Warst du das, Margret?“

„Aber Mutti, wenn es doch bald keinen Käse mehr gibt“, schluchzte ich.

„Dummerchen“, Mutter drückte mich ein wenig.

„Doch nicht zwischen die Wäsche!“

Schnell eilte sie mit dem Käse davon. Als sie zurückkam, riss sie erneut das Fenster auf, öffnete die Schranktür weit und vertrieb uns für lange Zeit aus unserem Kinderzimmer.

Veränderungen

Wie jeden Morgen begleitete ich meine Mutter zu den Briefkästen in die Eingangshalle unseres Hauses. Aufgeregte Stimmen schlugen uns entgegen:

„Lebensmittelkarten, wir bekommen die Lebensmittel rationiert“, wandte sich Frau Eder aus der Parterre-Wohnung an meine überraschte Mutter. Zwei Frauen in großen bunten Schürzen stimmten in das Wehklagen mit ein.

„Jetzt geht’s los, mit dem Krieg.“

„Guten Morgen!“, grüßte Mutter in die Runde, bevor sie die Post aus dem Kasten zog.

„Tatsächlich“, sagte Mutter.

Für jeden in unserer Familie hielt sie eine Karte in der Hand, auf der sich viele kleine bedruckte Abschnitte befanden.

Mutter wünschte den Damen einen schönen Tag und stieg mit mir die Treppe wieder hoch. Auf dem Esstisch breitete sie die Karten aus.

„Mutti, bekommen wir nichts mehr zu essen?“

„Doch, Margret, wir müssen nicht verhungern. Nur weniger Fleisch, Butter, Milch und Käse. Zucker ist jetzt auch rationiert.“

„Rationiert?“

„Das bedeutet, auf jedem Abschnitt steht,

wie viel Gramm man von einem Lebensmittel kaufen kann.“

„Käse auch?“

Mutter lachte.

„Ja, leider, Käse auch.“

Nur kurze Zeit später lagen bereits neue Karten im Briefkasten. Jetzt benötigten wir die Marken auch für Brot und Eier.

Mutti und Toni hatten gemeinsam die Wohnung verlassen.

„Wir müssen nur schnell etwas besorgen. Gleich sind wir wieder da“, hatte mir Mutter zugerufen. Als sie zurückkamen, trugen sie einen Berg schwarzbrauner Rollos auf den Armen vor sich her.

„Was bringt ihr da mit?“, fragte ich neugierig.

„Alle Fenster müssen von jetzt an jeden Abend verdunkelt werden. Kein einziger Lichtstrahl darf nach draußen dringen“, erklärte Mutter. „Wenn die Flieger mit den Bomben kommen, dürfen sie uns nicht finden.“

Als Vater am Abend nach Hause kam, stieg er auf die große Leiter und befestigte die Rollos hoch oben an den Fenstern. Mutter hielt die Leiter fest und flehte:

„Fall bloß nicht runter, Schatz!“

Auch auf den Straßen wurde es finster. Die Straßenlaternen durften bei eintretender Dunkelheit nicht mehr eingeschaltet werden, die Beleuchtung der Schaufenster wurde ausgeschaltet und von den Scheinwerfern der Autos sah man nur noch schmale Lichtstreifen.

Unsere Wohnung

Das Mietshaus, in dem wir wohnten, befand sich in einem ruhigen Stadtteil von Nürnberg. Unsere geräumige sechs Zimmer Wohnung lag im ersten Stock. Flügeltüren verbanden die Wohnräume, in denen große Kachelöfen standen, die im Winter wohlige Wärme verströmten.

Das Zentrum unseres Familienlebens war das Wohnzimmer mit dem großen Tisch in der Mitte, an dem wir regelmäßig unsere Mahlzeiten einnahmen. Da gab es auch ein Sofa und Sessel, die so weich waren, dass man darin versank und ein Klavier, auf dem meine Mutter gerne spielte. In diesem Raum verbrachten wir die Abendstunden gemeinsam mit Lesen, Spielen und Radio hören.

Im Esszimmer, gleich daneben, stand ein Tisch, den man ausziehen konnte und an dem zwölf Personen Platz fanden. Das Prunkstück war ein Buffet mit Schnitzereien und mehreren Aufsätzen. Hier bewahrte Mutter, neben kostbaren Gläsern, das Silberbesteck auf, sowie Teller mit Goldrand, die nur zu feierlichen Gelegenheiten benutzt wurden. Und immer dann, wenn Gäste kamen.