Paradies der Liebe - Barbara Cartland - E-Book

Paradies der Liebe E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Anona, die junge bildhübsche Tochter Captain Guy Ransons muss vorgeben, ihr Gedächtnis verloren zu haben und Unterschlupf bei dem sehr wohlhabenden Chinesen Lin Kuan Teng auf der Insel Penang vor Malaysia finden, um ihrem Vater, der in den letzten Jahren als Pirat tätig war, eine Chance zu geben, um vor der Justiz zu flüchten. Er hatte angefangen Lösegeldforderungen von Handelsschiffen im Nahen Osten zu verlangen, um für Anona und deren Mutter einen guten Lebensstil zu sichern. Lord Selwyn, ein eingefleischter Junggeselle, wird vom Außenminister häufig in delikaten Missionen ins Ausland geschickt, um Verhandlungen durchzuführen. Beim letzten Aufenthalt in Paris entschließt er sich, der jungen and schönen Witwe Lady Maisie Brambury nach seiner Rückkehr nach London einen Heiratsantrag zu machen. Es stellt sich jedoch heraus, daß diese eine Liebhaber hat. Um dem Gespött der High Society zu entgehen, reist er sich nach Penang, um ein Haus und eine Plantage zu besichtigen, die er geerbt hat. Kann Lord Selwyn seinen Zorn auf die Frauen vergessen und wird er Anonas Charme widerstehen? Und kann Anona ihre Liebe zu Lord Selwyn gestehen, trotzt ihres Geheimnisses, das wie ein Schatten über ihr hängt?

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1

Der Zug fuhr gemächlich in die Victoria Station ein, und Lord Selwyn stieg mit erleichtertem Aufatmen aus. Endlich wieder daheim!

Da ihn kein Wagen erwartete, konnte er von Glück reden, daß er in Gesellschaft eines französischen Diplomaten gereist war, den eine von seiner Gesandtschaft geschickte Kalesche erwartete.

»Darf ich Ihnen meinen Wagen anbieten, Mylord?« fragte der Franzose zuvorkommend.

»Ich wäre Ihnen zu größtem Dank verpflichtet«, erwiderte Lord Selwyn. »Wie ich Ihnen bereits sagten mußte ich früher als geplant abreisen und hatte keine Zeit mehr, meinen Sekretär von meinen geänderten Plänen in Kenntnis zu setzen.«

Der Diplomat lächelte. »Mylord, die Erfahrung lehrt, daß man meist nicht ungestraft seine Pläne schnell ändert.«

Lord Selwyn quittierte die Bemerkung mit einem Auflächen. »Das trifft bei mir nicht zu, aber im Prinzip haben Sie natürlich recht.«

Sie stiegen in den Wagen der französischen Gesandtschaft, Lord Selwyn registrierte, daß die Kutsche sehr elegant war und von einem edlen Gespann gezogen winde. Waren die Pferde mit den seinen auch nicht im entferntesten zu vergleichen, so konnte sich ihr Besitzer dennoch glücklich schätzen.

Als er sich in den gepolsterten Sitz zurücksinken ließ, war er in Gedanken schon bei Maisie Brambury, die er abends sehen würde. Seitdem er England verlassen hatte, war sie ihm nicht aus dem Sinn gegangen. Er wußte, daß er während seines Aufenthalts in Paris die wichtigste Entscheidung seines Lebens getroffen hatte. Er würde heiraten! Jahrelang hatte er sich standhaft gegen das Heiraten zur Wehr gesetzt und, die diskreten Andeutungen seiner Familie geflissentlich überhört. Er hätte auch nicht reagiert, als es, nicht nur bei Andeutungen geblieben war und man ihm dringend geraten hatte, sich zu verheiraten.

Beim besten Willen gab es für ihn keinen Grund, der für eine Ehe gesprochen hätte, wenn man davon absah, daß er vornehmer Abstammung, sehr reich und der Besitzer eines der schönsten georgianischen Häuser des Landes war.

Es war daher unumgänglich, daß er früher oder später einen Erben in die Welt setzen mußte, doch die Vorstellung, sich für immer zu binden, war ihm geradezu widerwärtig.

Er wollte frei sein, ungebunden und unbelastet von ehelichen Fesseln.

Als ihn Lord Clarendon, der Außenminister, mit einer heiklen diplomatischen Mission betraut und nach Paris geschickt hatte, war Lord Selwyn entschlossen gewesen, Lady Brambury zu vergessen, und zwar für immer. Er wußte, daß ihn in Paris unzählige schöne Frauen erwarteten, die ihn umschmeicheln würden, nur um in den Genuß seines Geldes zu kommen. Zugleich aber würden diese Schönen dafür sorgen, ihm das Gefühl zu vermitteln, daß jeder seiner Pennies gut angelegt sei.

Während ihn tagsüber seine Mission, der er gewissenhaft nachkam, wie es seinem Charakter entsprach, in Anspruch nahm, war er an den Abenden frei. Diese Zeit hatte er mit den attraktiven und verführerischen Kurtisanen verbracht, deren Bekanntschaft er bei seinem vorangegangenen Besuch in Paris gemacht hatte. Sie hatten ihn mit offenen Armen empfangen, so daß er von einer Abendgesellschaft zur anderen zog und, was nahezu unvermeidlich war, von Bett zu Bett.

Erst am Tag zuvor hatte er entschieden, daß es reichte, denn ehrlicherweise und er war sich selbst gegenüber meist aufrichtig mußte er sich eingestehen, daß das, was in der Vergangenheit spontaner Lebensfreude entsprungen war, ihm diesmal wie ein Zwang, eine lästige Verpflichtung erschien. Natürlich hatte er sich die Frage gestellt, woran dies liegen mochte, und schließlich hatte er sich eingestehen müssen, daß er anstatt der lockenden schwarzen Augen, die ihn leidenschaftlich ansahen, immer nur die blauen Augen Lady Bramburys vor sich sah. Und nur ihre sanfte, kindliche Stimme war es, die er zu hören vermeinte.

»Ich benehme mich wie ein Narr!« schalt er sich und sprach dem Champagner reichlicher zu.

Doch nichts, was Frankreich an Köstlichkeiten bot, hatte ihn diesmal befriedigen können. Die Leckerbissen, die auf den Partys serviert wurden, waren erlesen, und noch erlesener speiste er, wenn er die eine oder andere Schöne ins Maxim oder Le Grand Vefour ausführte. Und niemand war verführerischer als eine französische Kokotte. Diese Frauen waren witzig, geistvoll und übten eine ganz eigene Faszination aus, da sie jedem Mann das Gefühl gaben, er sei ein König.

Und doch hörte er immerfort eine leise Stimme sagen: »Ich bin so ... so allein . . . und die Gesellschaft . . . ängstigt mich.«

Lord Selwyn glaubte dabei stets Maisies blaue Unschuldsaugen vor sich zu sehen. Er hatte das Gefühl, sie beschützen zu müssen, und es gab nur einen Weg, der es ihm gestattete.

»Die Ehe ist nichts für mich!« Wie oft hatte er diese Worte gesagt, vor seiner Familie, vor seinen Freunden und vor vielen Frauen, vor so vielen, daß er es längst aufgegeben hatte, sie zu zählen.

Er besaß alles, was er sich wünschen konnte. Einsam fühlte er sich nie, weder in seinem großen Landhaus noch in dem eleganten Stadthaus an der Park Lane. Und da er ein Mann von Verstand und Intelligenz war, las er sehr viel. Hielten sich seine Freunde und Standesgenossen gern in den Klubs auf, so pflegte Lord Selwyn bis tief in die Nacht in seiner Bibliothek sitzend zu lesen.

»Liebster, du mußt darauf achten, dir deine Augen nicht zu verderben«, hatte seine Mutter ihn seinerzeit ständig ermahnt. »Mit Brille würdest du längst nicht mehr so gut aussehen.«

Lord Selwyn hatte darüber herzlich gelacht. »Vor mir liegen noch viele Jahre ungetrübter Freude an Lektüre, ehe meine Augen nachlassen«, hatte er damals geantwortet.

Die Bücher bereiteten ihm ebenso viel Vergnügen wie eine schöne Frau. Zudem hält diese Freude länger an, hatte er sich oft ein wenig zynisch gesagt.

Alle seine Liebesaffären gingen nach einiger Zeit zu Ende, da es sehr bald keinen Gesprächsstoff mehr gab außer der Liebe.

Die Frauen, die ihm ihre Gunst schenkten, waren unbestreitbar wunderschön und glichen, was ihre Figur, betraf, jungen Göttinnen. Zeigten sich seine Sinne auch empfänglich für ihre Schönheit, so blieb sein Verstand davon unberührt, ja er reagierte sehr kritisch. So sonderbar es klingen mochte, er hatte das Gefühl, daß er in dieser Hinsicht zu kurz kam. Er wußte, daß es ihm im Falle einer Ehe unerträglich sein würde, sich banales Geschwätz tagaus, tagein anhören zu müssen. Und genau dies drohte ihm, wenn er heiratete, von frühmorgens bis spätabends.

Auch seine witzigsten und geistreichsten Geliebten erwarteten, daß er über einen Witz lachte, auch wenn sie diesen schon einige Male erzählt hatten, ebenso wie sie immer wieder dieselben Komplimente und Schmeicheleien hören wollten.

Was suche ich eigentlich? Was möchte ich? fragte er sich immer öfter. Es gab keine Antwort darauf.

Doch wenn er Maisie Brambury ansah, hatte er den Eindruck, daß sie anders war, ganz anders.

Erstens sah sie blutjung aus, und da er eben eine »Affaire de coeur« mit einer Frau beendet hatte, die etwas älter gewesen war als er, erschien Maisie ihm als reizvoller Gegensatz.

Zunächst hatte er ihr nicht glauben wollen, als sie ihm gestand, daß sie vierundzwanzig war. Als er dann ihre Geschichte hörte, war ihm alles klar, Maisie war mit achtzehn mit Lord Brambury, einem der einflußreichsten Männer bei Hofe, vermählt worden. Daß er bereits ein Sechziger war, als er Maisie begegnete, fiel angesichts der Tatsache, daß er einen so hohen Rang bekleidete, nicht weiter ins Gewicht. Er hatte viele hohe Ämter inne, darunter die des Stellvertreters der Königin für Huntingdonshire, und er verfügte über ein großes Vermögen.

Lord Brambury war schon einmal verheiratet gewesen, doch zu seinem Leidwesen war die Ehe kinderlos geblieben.

Als der Witwer nun um die Hand Maisies, der Tochter eines Landedelmannes, anhielt, konnte er nach menschlichem Ermessen sicher sein, daß seine Zukünftige ihm einen Erben schenken würde.

Maisies Eltern zeigten sich überwältigt von den Aussichten, die sich ihrer Tochter durch diesen Antrag boten.

Da sie ein auffallend hübsches Mädchen war, hatten sie natürlich auf eine gute Partie gehofft und bereits geplant, sie für die Saison nach London zu bringen.

Dazu sollte es gar nicht mehr kommen, da sie Lord Brambury begegnete und dieser sich bis über beide Ohren in das blutjunge Ding verliebte. Wie so viele Männer in dieser Situation ließ er Vernunft und Vorsicht fahren. Er hörte nicht auf seine innere Stimme, die ihm sagte, daß er viel zu alt für eine Ehe mit einem so jungen Mädchen war.

In Maisie sah er die Verkörperung all seiner Träume: Sie war jung, gesund, entstammte bestem Landadel und würde ihm den ersehnten Sohn schenken.

Maisie wurde gar nicht erst lange nach ihrer Meinung gefragt. Statt dessen redete man ihr ein, sie sei das glücklichste Mädchen der Welt und würde von allen Gleichaltrigen glühend beneidet.

So kam es, daß sie in der St. George Church am Hanover-Square vor dem Traualtar stand, ehe sie wußte, wie ihr geschah, Wie hatte sie sich immer gewünscht, in der kleinen Kirche auf dem Gut ihres Vaters getraut zu werden!

Doch dazu war Lord Brambury eine viel zu bedeutende Persönlichkeit. »Meine Liebe, das mußt du verstehen«, sagte er, »Ihre Majestät die Königin wird bei der Trauung zugegen sein, dazu viele Staatsmänner, Höflinge und Diplomaten.«

Er setzte auch fest, daß der anschließende Empfang in seinem großen Haus am Grosvenor-Square, das er seit nahezu dreißig Jahren bewohnte, stattfinden würde.

Nicht ein einziges Mal wurde Maisie um ihre Meinung zu all den Plänen gefragt. Man stellte sie einfach vor vollendete Tatsachen, und dies bedeutete nichts anderes, als daß Lord Brambury Anordnungen traf, und ihre Eltern sich beeilten, diese zu befolgen.

Da es sich zweifellos um die bedeutendste Hochzeit der Saison handelte, riß sich alle Welt um Einladungen. Die St. George Church war gedrängt voll, ebenso wie die großen Gesellschaftsräume des Hauses am Grosvenor-Square im Anschluß an die kirchliche Zeremonie.

Als Lord Bramburys Freunde Maisie zu Gesicht bekamen, wurde ihnen klar, warum dieser ihr verfallen war.

Sie sah aus wie ein kostbares Meißner Porzellanfigürchen, zierlich und bildhübsch.

Gewiß, der eine oder andere lästerte: »Kein Narr kann es mit einem alten Narren aufnehmen!« Doch dies wurde nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Niemand wagte es, einen Mann zu beleidigen, der das geneigte Ohr der Königin besaß.

Lord Brambury hatte im Laufe seines langen und von viel Erfolg gekrönten Lebens nie einen wirklich falschen Schritt getan.

Doch Maisie kam dies alles völlig unwirklich vor. Sie hatte das Gefühl, aus dem Schulzimmer direkt in einen Wirbel geraten zu sein, der sie mit sich zu ziehen drohte.

Lord Brambury hatte darauf bestanden, daß die Hochzeit baldmöglichst stattfände. Maisie mußte daher von einer Schneiderin zur anderen hetzen und fand es bald ziemlich ermüdend, Stunde um Stunde mit Anproben vor dem Spiegel zu verbringen.

Fast jeden Abend galt es, eine Party zu besuchen, denn die Bramburys waren eine große Familie. Es regnete Einladungen zu kleinen und großen Diners und Soireen, zu Empfängen und Festlichkeiten, die Maisies Eltern in vollen Zügen genossen. Maisie bekam während dieser Zeit ihren zukünftigen Ehemann selten zu Gesicht. »Meine Liebe, du mußt verstehen«, erklärte er, »daß ich mich noch um tausenderlei Dinge selbst kümmern muß, ehe ich mit dir in die Flitterwochen fahre.«

Und mit einem Lächeln fügte er hinzu: »Ich habe nämlich die Erfahrung gemacht, daß man selbst machen muß, was gut gemacht werden soll.«

Natürlich hatte Maisie ihm beigepflichtet, denn irgendwie war es auch für sie eine Erleichterung. Sie empfand zudem so etwas wie Furcht vor diesem großen und eindrucksvollen Mann, dessen Haar sich schon grau färbte.

Dazu machte ihr die Frage zu schaffen, was er von ihr als Ehefrau erwartete. Es war niemand da, den sie hätte fragen können. Ihre Mutter hatte sie stets wie ein kleines Mädchen behandelt, und ihr Vater hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß sie für ihn eine Enttäuschung bedeutete, weil sie kein Junge war. Ihre Erziehung hatte in den Händen von ständig wechselnden Gouvernanten gelegen, die es auf dem Lande nie sehr lange aushielten. London oder eine andere größere Stadt war viel zu weit entfernt.

»Es tut mir leid«, hieß es dann stets am Ende des Jahres, wenn sie kündigten, »aber ich fühle mich hier wie lebendig begraben.«

Maisies Eltern war dies unbegreiflich.

»Schließlich hat die Person doch ein sehr hübsches Zimmer!« pflegte Maisies Mutter hinterher empört zu sagen. »Und das Schulzimmer hat immer Sonne.«

Die Gouvernanten kamen und gingen. Jede begann den Geschichtsunterricht in uralten Zeiten, so daß Maisie nie über Richard Löwenherz hinauskam. Aber sie fand Geschichte ohnehin grauenvoll langweilig, und Geographie war noch schlimmer. Mit der Zeit lernte sie immerhin, ihre Ablehnung zu verbergen. Sie machte lieber ein Gesicht, als lausche sie aufmerksam und mit großen Augen dem Vortrag der Lehrerin.

In neun von zehn Fällen hatte sie damit Erfolg.

Es war derselbe Gesichtsausdruck, den sie zur Schau trug, wenn Lord Brambury vor der Hochzeit mit ihr sprach.

Es war auch der Ausdruck, den sie hatte, als sie am Tag der Hochzeit auf dem Weg zum Bahnhof waren. Nachdem man Rosenblätter und Reis über sie hatte regnen lassen, wollten sie in Lord Bramburys Privatwaggon nach Huntingdonshire fahren. Die erste Woche ihrer Flitterwochen beabsichtigte er auf seinem Ahnensitz zu verbringen. Anschließend waren ein paar Tage in seinem Jagdhaus in Leicestershire vorgesehen, in dem er sich seit langem nicht mehr aufgehalten hatte.

Das Haus, das aus dem siebzehnten Jahrhundert stammte, stand inmitten von fünfhundert Morgen besten Leicestershire Bodens. Maisie erfuhr, daß er seit drei Generationen im Familienbesitz war.

»Ich würde mich niemals davon trennen«, hatte er zu Maisies Vater gesagt. »Es ist ruhig und behaglich, so daß wir dort mit Sicherheit ungestörte Flitterwochen verbringen werden.«

Die Zugfahrt genoß sie sehr, da sie noch nie in einem Privatwagen gereist war. Doch es hatte sie der Eindruck beunruhigt, daß ihr Mann ungewöhnlich erhitzt wirkte.

»Fühlst du dich nicht wohl?« fragte sie besorgt.

»Ich fühle mich tadellos«, gab er, der sich über ihre Fürsorglichkeit freute, zurück. »In der Kirche war es heiß und stickig und beim Empfang noch unerträglicher.«

Sie goß ihm ein Glas Champagner ein, das er begierig leerte. »Du hast mir Ehre gemacht«, stellte er befriedigt fest. »Und du hast genauso ausgesehen, wie ich es wollte nämlich wunderschön.«

»Ich hatte so gehofft, daß mein Kleid dir gefallen würde«, entgegnete Maisi. »Es war sehr teuer.«

»In Zukunft brauchst du dir deswegen keine Sorgen mehr zu machen«, antwortete Lord Brambury mit belegter Stimme.

Er sprach dem Champagner noch weiter zu, und seine Stimme schien immer rauher und belegter zu werden.

Aus Maisies Erzählungen hatte Lord Selwyn auch erfahren, was sich nach ihrer Ankunft auf Brambury Hall zugetragen hatte.

»Wir nahmen zum Dinner Platz«, sagte sie, »und ich hatte den Eindruck, Arthur sähe . . . nun, ein wenig sonderbar aus. Er aß sehr wenig, dafür trank er um so mehr.«

Lord Selwyn hörte aufmerksam zu, während er zugleich dachte, wie reizvoll Maisies rosigweißer Teint doch war. Ihm fiel auch auf, daß ihre Wimpern gebogen waren wie die eines Kindes, dunkel an den Wurzeln, golden an den Spitzen.

»Nach dem Dinner begaben wir uns hinauf ins Schlafzimmer«, fuhr Maisie zögernd fort. Dann schwieg sie.

Lord Selwyn sagte verhalten: »Ich möchte nicht, daß Sie sich aufregen.«

»Aber ... ich möchte ... daß Sie alles wissen«, sagte Maisie darauf. »Dies alles ... habe ich noch keiner Menschenseele erzählt.«

Sie wandte den Blick ab aus Schüchternheit, wie er glaubte. Ihre Zurückhaltung machte sie für ihn um so begehrenswerter.

»Ich ... ich ging dann zu Bett«, sagte sie fast unhörbar, »und dann kam Arthur in mein Zimmer.« Sie hielt den Atem an, so als sähe sie alles wieder genau vor sich. »Er kam näher… und als er vor dem Bett stand, drang aus seiner Kehle ein sonderbares Geräusch.«

Sie fing leise zu schluchzen an. »Als ich die Hände ausstreckte und nach ihm fassen wollte, brach er zusammen und sank vornüber.«

Die nun eintretende Stille wurde erst unterbrochen, als Lord Selwyn sagte: »Er muß einen Schlaganfall erlitten haben.«

Maisie nickte.

»Es war ... ganz schrecklich. Ich kann gar nicht sagen, wie entsetzt ich war! Und die Ärzte konnten ihm nicht helfen.«

Die besondere Tragik lag darin, daß Lord Brambury nicht sterben konnte, dachte Lord Selwyn bei sich. Fünf Jahre lang siechte er hilflos und ans Bett gefesselt dahin.

Fünf Jahre, in denen Maisie nichts anderes tat, als bei ihm zu sein und die Ratschläge der ständig kommenden und gehenden Ärzte anzuhören. Natürlich waren sie bestrebt, ihr Hoffnung zu machen, doch ihr Ton verriet Maisie, daß eine Genesung ihres Mannes höchst unwahrscheinlich war.

»Mir fehlen die Worte, um auszudrücken, wie sehr ich mit Ihnen fühle«, sagte Lord Selwyn, als sie geendet hatte.

»Ich wußte, daß ich bei Ihnen Verständnis finden würde«, lautete Maisies schlichte Antwort.

Und als sie es sagte, verspürte er den Wunsch, sie all die Jahre, in denen sie ihre Schönheit an einen hilflosen Greis verschwendet hatte, vergessen zu lassen. Maisie hatte lange Zeit nur Ärzte und Pflegerinnen zu Gesicht bekommen. Die große Verwandtschaft der Bramburys erkundigte sich natürlich ebenfalls bei einem gelegentlichen Besuch auf dem Familiensitz pflichtgemäß nach dem Befinden Lord Bramburys.

Als ihr Mann schließlich starb, war Maisie frei.

Zugleich aber stand sie vor dem Problem, was sie nun mit sich anfangen sollte, denn die vergangenen Jahre hatten ihr für Überlegungen dieser Art kaum Zeit gelassen.

»Mein Vater schlug vor, ich sollte nach London gehen«, fuhr Maisie fort. »Zunächst ängstigte ich mich davor, da ich hier niemanden kannte und nicht allein sein wollte.«

Lord Bramburys Schwester, selbst Witwe, hatte sich bereit erklärt, die Rolle der Anstandsdame zu übernehmen, sich um Maisie zu kümmern und sie in die Gesellschaft einzuführen. So kam es, daß Lady Elton, die fünf Jahre älter war als ihr verstorbener Bruder, gemeinsam mit Maisie das Haus am Grosvenor-Square bezog.

Das große, stattliche Haus, das fünf Jahre lang unbewohnt gewesen war, erwachte plötzlich wieder zum Leben und wurde Schauplatz zahlloser Partys und Empfänge, denn die große Sippe der Bramburys ließ sich mit größtem Vergnügen von der reichen jungen Witwe einladen. Jeder machte Maisie mit jenen seiner Freunde bekannt, die er für passend hielt.

Maisie selbst brauchte sich in ihrem neuen Leben um nichts zu kümmern. Ihre Verwandtschaft übernahm es sogar, daß Hauspersonal für sie auszuwählen und einzustellen, und der Sekretär Lord Bramburys hatte während dessen Krankheit die Häuser und Ländereien seines Herrn äußerst gewissenhaft verwaltet.

»Nun habe ich große Angst«, vertraute Maisie Lord Selwyn an, »daß ich einen zweiten Fehler begehen könnte.« Sie hielt nachdenklich inne, ehe sie sagte: »Jetzt weiß ich natürlich, daß es falsch war, einen um so vielen älteren Mann zu heiraten, aber hätte ich damals nein gesagt, man hätte gar nicht auf mich gehört.«

Lord Selwyn hatte vollstes Verständnis für sie.

Gleichzeitig war ihm klar, daß Maisie ihm Avancen machte, weil sie ihn als zweiten Ehemann wollte. Gewinnsucht oder Berechnung konnte er bei ihr getrost ausschließen. Lord

Brambury hatte ihr ein Vermögen hinterlassen, von einem Witwensitz in Huntingdonshire und dem Haus am Grosvenor-Square ganz abgesehen. Der Familiensitz war an den Titelerben, einen Neffen, gefallen, der Maisie unmißverständlich zu verstehen gab, daß er an der Witwe seines Onkels nicht das geringste Interesse hätte. Er legte ihr nahe, das Haus so rasch wie nur möglich zu verlassen.

Maisie, die es kaum erwarten konnte, einem Haus den Rücken zu kehren, das ihr seit ihrem Hochzeitstag wie eine Gruft erschienen war, kam diesem Wunsch bereitwillig nach.

Als sie Lord Selwyn begegnete, lebte sie bereits seit einem halben Jahr in London.

Er hatte von ihr schon gehört; doch was ihm zu Ohren gekommen war, hatte sein Interesse nicht zu wecken vermocht. Sie sei bildhübsch, hieß es, doch das traf auf viele andere Frauen ebenso zu, besonders auf diejenige, der zu jenem Zeitpunkt seine Sehnsucht und Zuneigung galt. Als er dann Maisies Bekanntschaft machte, mußte er zugeben, daß er die Geschichte ihrer Ehe ungewöhnlich und höchst interessant fand. Es war ein Thema, das in der Gesellschaft für viel Gerede und Tratsch sorgte.

Mittlerweile hatte Maisie sich einen Ruf als beliebte und sehr geschätzte Gastgeberin erworben. Doch bei der ersten Begegnung mit ihr war ihm diese Vorstellung geradezu lächerlich erschienen. Bei jenem Fest hatte sie zierlich und kindlich gewirkt, als sie an der Treppe stehend ihre Gäste empfing.

Einen Augenblick lang hatte er geglaubt, es sei ein Scherz.

Dann aber hatte sie ihn mit ihren himmelblauen Augen angesehen, und seine Aufmerksamkeit war geweckt. Bald schon war er hingerissen gewesen.

Eine höchst ungewöhnliche junge Frau! dachte er damals.

Besonders viel Anlaß zu Klatsch und Tratsch gab der Umstand, daß ihre Ehe nicht vollzogen worden war.

»Eine Witwe und Jungfrau!« wurde amüsiert getuschelt. »Wirklich höchst ungewöhnlich!«

Lord Selwyn wurde nun immer wieder in das Haus am Grosvenor-Square eingeladen, ja, sein Name war von der Gästeliste Lady Bramburys nicht mehr wegzudenken.

Doch erst als sie ihn zu einem kleinen Souper mit nur zwei weiteren Gästen bat, dämmerte ihm, welche Absichten sie hatte. Seine Ahnung bestätigte sich, als er sah, daß die zwei anderen Gäste schon sehr betagt waren und sich sehr bald verabschiedeten.

Maisie und Lord Selwyn hatten damals im erlesen eingerichteten und behaglichen Salon gesessen und bis Mitternacht angeregt geplaudert. Wäre er bei einer anderen Frau zu Gast gewesen, Lord Selwyn hatte genau gewußt, wie dies alles gemeint war und was von ihm erwartet wurde. Bei Maisie aber war er seiner Sache nicht so sicher.

Er wurde das Gefühl nicht los, daß sie sehr schockiert reagieren würde, wenn er Annäherungsversuche machte oder ihr gar offen eine Liebesbeziehung vorschlug. Womöglich würde sie ihm das Haus verbieten, und das wollte er keinesfalls.

Gleichzeitig war nicht zu übersehen, was sie von ihm wollte, und seine Befürchtung, in eine Falle zu tappen, regte sich.

»Ich habe nicht die Absicht zu heiraten!« sagte er sich mit Entschiedenheit auf der Heimfahrt an jenem Abend.

Er küßte Maisie zum Abschied die Hand, und sie hob ihm ihr Kindergesicht entgegen.

Eine zur Vorsicht mahnende innere Stimme sagte ihm, daß sie es als Heiratsantrag auffassen würde, wenn er sie jetzt küßte.

Fast war er erleichtert, als der Außenminister ihn am nächsten Tag bat, in diplomatischer Mission nach Paris zu fahren. Seiner überragenden Intelligenz und seinem Verhandlungsgeschick hatte er es zu verdanken, daß er sehr häufig dort in die Bresche springen mußte, wo Berufsdiplomaten versagten. Da seine Bemühungen stets von Erfolg gekrönt waren, wurde er immer häufiger für heikle Aufgaben herangezogen.

Für ihn bedeuteten diese Missionen nicht viel mehr als eine amüsante Unterbrechung des täglichen Lebens. Er genoß es, Verstand und Geist gegen Männer einzusetzen, die für ihre brillanten Köpfe berühmt waren. Zu seinen größten Pluspunkten zählte seine perfekte Beherrschung der meisten europäischen Sprachen. Erst in jüngster Zeit war er länger in Österreich, in Rom und zuletzt in Paris gewesen.