Parodontologie für Zahnmedizinische Fachassistent*innen - Peter Eickholz - E-Book

Parodontologie für Zahnmedizinische Fachassistent*innen E-Book

Peter Eickholz

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Beschreibung

Qualifizierte Prophylaxefachkräfte spielen eine zentrale Rolle bei der Förderung und Erhaltung der Mundgesundheit der Patientinnen und Patienten. Sowohl bei der PZR als auch bei der PAR-Behandlung sind unter Beachtung der berufsrechtlichen Bestimmungen Teile von Leistungsinhalten an dafür qualifiziertes Fachpersonal delegierbar. Dies erfordert von zahnmedizinischen Fachangestellten ein vertieftes Fachwissen über die ursächlichen Wechselbeziehungen zwischen dentalem Biofilm und den parodontalen bzw. periimplantären Geweben, die Risikofaktoren, die diese Prozesse beeinflussen können, deren Auswirkungen auf die allgemeine Gesundheit sowie eine gute Kenntnis der einzelnen Behandlungsschritte. Das renommierte Autor/-innenteam mit langjähriger Erfahrung in der Parodontologie hat in diesem Buch alle wichtigen Themen unter Berücksichtigung aktueller Klassifikationen, Leit- und Richtlinien zur Behandlung von Parodontitis, periimplantären Infektionen und anderen Parodontalerkrankungen zusammengestellt. Ergänzt um rechtliche Grundlagen und Details zur Abrechnung soll dieses neue und umfassend farbig illustrierte Buch die Qualifizierung des Fachpersonals unterstützen.

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Parodontologie

für Zahnmedizinische Fachassistent*innen

Peter Eickholz · Ivana Elez · Brigitte Strauß

Parodontologie

für Zahnmedizinische Fachassistent*innen

Ein Buch – ein Baum: Für jedes verkaufte Buch pflanzt Quintessenz gemeinsam mit der Organisation „One Tree Planted“ einen Baum, um damit die weltweite Wiederaufforstung zu unterstützen (https://onetreeplanted.org/).

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <https://dnb.de> abrufbar.

Postfach 42 04 52; D–12064 Berlin

Ifenpfad 2–4, D–12107 Berlin

© 2024 Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Lektorat, Herstellung und Reproduktionen:

Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin

ISBN: 978-3-86867-727-0

Vorwort

Die Qualifikation zur Zahnmedizinischen Fachassistentin/zum Zahnmedizinischen Fachassistenten (ZMF) ist eine Fortbildung, die auf die Ausbildung zur/zum Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA) aufsetzt. ZFA und ZMF sind sowohl in der Verwaltung als auch in der Assistenz tätig. Durch eine umfangreichere Qualifikation und ein vertieftes Fachwissen steht der/dem ZMF ein erweitertes Aufgabenfeld offen. Über die Aufgaben der/des ZFA hinaus führen sie auch eigenständige Behandlungen am Patienten, primär im Bereich der oralen Prophylaxe, durch (z. B. patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung, professionelle Zahnreinigung, unterstützende Parodontitistherapie).

In diesem erweiterten Aufgabenfeld spielen die Prävention und die eigenständige Durchführung sowie Unterstützung der Zahnärzt*innen bei der Behandlung von Parodontitis, aber auch periimplantären Infektionen eine überragende Rolle. Vor fast 40 Jahren – 1985 – erschien deshalb im Quintessenz Verlag erstmals ein Buch mit dem Titel „Parodontologie für die Zahnmedizinische Fachassistentin“ von Prof. Armin Herforth. Die letzte Auflage dieses Buches wurde im Jahr 2006 publiziert. Mit einer Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände von 2018, europäischen Leitlinien zur Therapie von Parodontitis Stadium I, II und III von 2020, Stadium IV von 2022 sowie zur Prävention und Therapie periimplantärer Erkrankungen von 2023 und einer Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen von 2021 ist es also höchste Zeit für ein komplett überarbeitetes Nachfolgewerk. Bei dieser Gelegenheit wurden Ätiologie und Pathogenese vollständig überarbeitet und die systemischen (modifizierenden) Faktoren ergänzt. Neu sind auch Prävention und Therapie periimplantärer Infektionen sowie das Thema Halitosis. Für die wichtige Kommunikation mit den Patient*innen ist zudem das Thema der Wechselbeziehung zwischen Parodontitis und Allgemeingesundheit wichtig. Dafür wurde ein eigenes Kapitel ergänzt. Bei den rechtlichen Grundlagen haben wir die Unterstützung von Herrn Dr. Sebastian Ziller (Bundeszahnärztekammer) bekommen, der ausführlich und detailreich darlegt, unter welchen Rahmenbedingungen welche parodontologischen Aufgaben an ZMFs delegiert werden können.

Neben diesen neuen Inhalten zeichnet dieses Buch aus, dass es in der Zusammenarbeit einer ZMF, einer DH und eines Zahnarztes entstanden ist und so in besonderer Weise auf die Zielgruppe der angehenden ZMFs ausgerichtet ist.

Prof. Dr. Peter Eickholz,

Ivana Elez, DH, BSc.,

Brigitte Strauß, ZMF

Frankfurt am Main im Januar 2024

Danksagungen

Unser Dank gebührt Frau Anita Hattenbach, Leiterin des Buchprogramms im Hause Quintessenz, die bei diesem Buch an unser Team in Frankfurt gedacht und darauf vertraut hat, dass wir die Thematik in absehbarer Zeit auf den aktuellen Stand bringen können. Darüber hinaus hatte sie frische Ideen für die neue Aufmachung und Farbführung des Buches. Sehr bedeutsam war auch der sorgfältige und kritische Blick unserer Lektorin Sandra Wittmann auf die einzelnen Beiträge. Sie achtete im Besonderen darauf, dass die drei Autor*innen ein konsistentes Ganzes ablieferten. Schließlich darf im Hause Quintessenz Frau Sabine Theuring nicht vergessen werden, die mit Routine und Geduld für das perfekte Layout und die Umsetzung von Änderungswünschen sorgte. Großer Dank gilt auch Herrn Dr. Ali Daouk, der sich viel Zeit für unser Team genommen hat, um die großartigen Illustrationen von Instrumenten und Arbeitspositionen zu erstellen. Frau Maren Großkopf (ZFA) und Frau Victoria Strauß (in der Rolle der Patientin und durchaus verwandt mit einer Autorin) sei dafür gedankt, dass sie für die Aufnahmen der Arbeitspositionen ihr Talent als Fotomodell entdeckt haben. Für diese Aufnahmen konnten wir den Showroom der Firma J. Morita Europe GmbH in Dietzenbach nutzen, der wir an dieser Stelle ebenfalls herzlich danken.

Autoren

Prof. Dr. med. dent. Peter Eickholz

Peter Eickholz ist Direktor der Poliklinik für Parodontologie des Zentrums der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er ist Mitglied im Editorial Board des Journal of Clinical Periodontology, im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Zahnärztlichen Zeitschrift und Chefredakteur der Zeitschrift PARODONTOLOGIE, engagiert sich in verschiedenen Fachgesellschaften und hat auf dem Gebiet der Parodontologie vielfach publiziert und referiert.

Ivana Elez, B.Sc.

Ivana Elez ist Dentalhygenikerin und Präventionsmangerin in der Poliklinik für Parodontologie des Zentrums der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Mit großer Erfahrung im Bereich der Parodontologie und Prävention ist sie in der Lehre und Fort- und Weiterbildung tätig. Sie engagiert sich in verschiedenen wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Berufsverbänden. Die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) hat sie 2022 zur ersten zertifizierten Dentalhygienikerin ernannt.

Brigitte Strauß

Brigitte Strauß ist Zahnmedizinische Fachangestellte mit Fortbildung zur Zahnmedizinischen Fachassistentin. Über viele Jahre war sie in der Poliklinik für Parodontologie des Zentrums der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main tätig. Sie ist Autorin zahlreicher Beiträge zum Themenkomplex orale und im Speziellen parodontale Prävention, Referentin der Landeszahnärztekammer Hessen und der Altenpflegeschule MaxQ in Frankfurt am Main sowie dritte Preisträgerin des RouletPreises zur Förderung der Individualprophylaxe und des Prophylaxepersonals für Prophylaxe bei älteren Patienten unter Berücksichtigung physischer und psychischer Erkrankungen (1998).

Inhaltsverzeichnis

  Vorwort

  Danksagungen

  Autoren

1 Anatomie und Physiologie des Parodonts und der periimplantären Gewebe

1.1 Die Gingiva (Zahnfleisch)

1.1.1 Das orale Sulkus- und das orale Gingivaepithel

1.1.2 Das Saumepithel

1.2 Das parodontale Ligament (Desmodont)

1.3 Das Wurzelzement

1.3.1 Das azelluläre afibrilläre Zement

1.3.2 Das azelluläre Fremdfaserzement

1.3.3 Das zelluläre Eigenfaserzement

1.3.4 Das azelluläre Eigenfaserzement

1.3.5 Das zelluläre Gemischtfaserzement

1.4 Der Alveolarknochen

1.5 Die Gefäßversorgung

1.6 Periimplantäre Gewebe

  Literatur

2 Ätiologie und Pathogenese der entzündlichen Parodontal- und periimplantären Erkrankungen

2.1 Prädisponierende Faktoren (lokal)

2.1.1 Der orale Biofilm (die mikrobielle Plaque)

2.1.2 Mikrobielle Besiedlung oder die Entstehung des Biofilms

2.1.3 Die gingivale Entzündung

2.1.4 Zahnstein

2.1.5 Zahnform, Füllungs- und Kronenränder

2.1.6 Okklusales Trauma

2.2 Modifizierende Faktoren (systemisch)

2.2.1 Rauchen

2.2.2 Diabetes mellitus

2.2.3 Vererbung (Genetische Faktoren/Indikatoren)

2.3 Periimplantäre Mukositis und Periimplantitis

2.3.1 Periimplantäre Mukositis

2.3.2 Periimplantitis

  Literatur

3 Epidemiologie der entzündlichen Parodontalerkrankungen

3.1 Epidemiologische Erfassung parodontaler Erkrankungen

3.2 Prävalenz von Parodontitis weltweit und in Deutschland

  Literatur

4 Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände

4.1 Parodontale Gesundheit, Gingivitis und gingivale Zustände

4.2 Parodontitis

4.2.1 Nekrotisierende Parodontalerkrankungen

4.2.2 Parodontitis

4.2.3 Parodontitis als Manifestation von Systemerkrankungen

4.3 Andere das Parodont betreffende Zustände

4.3.1 Systemische Erkrankungen und Zustände mit Auswirkungen auf den Zahnhalteapparat

4.3.2 Parodontale Abszesse und Endo-Paro-Läsionen

4.3.3 Mukogingivale Deformitäten und Zustände

4.3.4 Traumatische okklusale Kräfte

4.3.5 Zahn- und zahnersatzbezogene Faktoren

4.4 Periimplantäre Erkrankungen und Zustände

4.4.1 Periimplantäre Gesundheit

4.4.2 Periimplantäre Mukositis

4.4.3 Periimplantitis

4.4.4 Periimplantäre Weich- und Hartgewebsdefekte

  Literatur

5 Parodontale Diagnostik, Befunderhebung und Behandlungsplanung

5.1 Notfall- und Schmerzbehandlung

5.1.1 Nekrotisierende Gingivitis (NG) und nekrotisierende Parodontitis (NP)

5.1.2 Parodontalabszess

5.2 Standarddiagnostik

5.2.1 Parodontaler Screening-Index

5.2.2 Parodontalstatus

5.2.3 Röntgendiagnostik

5.2.4 Plaque- und Entzündungsindizes

5.3 Spezielle Diagnostik

5.3.1 Mikrobiologische Diagnostik

5.3.2 Interleukin-1-Polymorphismustest

5.3.3 Rezessionsstatus

5.3.4 Kiefermodelle

  Literatur

6 Systematische Behandlung von Parodontitis und anderen Parodontalerkrankungen

6.1 Parodontitistherapie Stufe 1 (Mundhygiene, Risikofaktoren

6.1.1 Verhaltensbeeinflussung 1 (häusliche Mundhygiene)

6.1.2 Verhaltensbeeinflussung 2 (Rauchentwöhnung)

6.1.3 Motivierende Gesprächsführung

6.1.4 Entfernung weicher und harter Zahnbeläge (PZR/PMPR)

6.1.5 Ergonomie, Arbeitssystematik und Abstützung

6.2 Parodontitistherapie Stufe 2 (subgingivale Instrumentierung, antiinfektiöse Therapie: AIT)

6.2.1 Subgingivale Instrumentierung

6.2.2 Handinstrumente

6.2.3 Maschinelle Instrumentierung

 Schlussfolgerung

6.2.4 Grundlagen der parodontalen Wundheilung

6.2.5 Quadrantenweise Instrumentierung, Full-Mouth-Scaling (FMS) und Full-Mouth-Disinfection (FMD)

6.2.6 Adjuvante systemische Antibiotikagabe bei subgingivaler Instrumentierung im Rahmen der systematischen Parodontitistherapie

6.3 Parodontitistherapie Stufe 3 (chirurgische Parodontitistherapie: CPT)

6.3.1 Zugangslappenoperationen

6.3.2 Externe und interne Gingivektomie

6.3.3 Resektive Furkationstherapie

6.3.4 Regenerative parodontale Therapie

6.4 Parodontitistherapie Stufe 4 (unterstützende Parodontitistherapie: UPT)

6.4.1 Entzündungs-, Mundhygienezustand, PMPR

6.4.2 Parodontalstatus

6.4.3 Subgingivale Instrumentierung

6.4.4 Organisation der UPT

6.4.5 Wie oft UPT ist oft genug?

6.5 Therapie periimplantärer Infektionen

6.5.1 Prävention periimplantärer Infektionen

6.5.2 Nichtchirurgische Therapie

6.5.3 Chirurgische Therapie

6.5.4 Unterstützende Periimplantitistherapie (UPIT)

6.6 Plastische Parodontalchirurgie

  Literatur

7 Aufbereitung des Instrumentariums für die Parodontalbehandlung

7.1 Schärfen der Instrumente

7.2 Instrumentenaufbereitung in der Parodontalchirurgie und nach Implantationen

7.2.1 Vorbereitung zur Reinigung und Desinfektion

7.2.2 Manuelle desinfizierende Reinigung

7.2.3 Maschinelle Reinigung und Desinfektion

7.2.4 Besonderheiten für einige Instrumentengruppen

7.2.5 Ultraschallreinigung und Desinfektion

7.2.6 Schlussdesinfektion

7.2.7 Kontrollen und Pflege

7.2.8 Funktionsprüfung

7.2.9 Verpackung

7.2.10 Sterilisation

7.2.11 Lagerung von unsterilen Instrumenten

7.2.12 Lagerung von sterilen Instrumenten

  Literatur

8 Parodontitis und systemische Erkrankungen

8.1 Die parodontale Wunde

8.2 Wie kann die Parodontitistherapie die allgemeine Gesundheit beeinflussen?

8.3 Diabetes mellitus

8.4 Herz-Kreislauf-Erkrankungen

8.5 Schwangerschaftskomplikationen

8.6 Endokarditisrisiko

  Literatur

9 Halitosis

9.1 Ätiologie

9.1.1 Orale Halitosis

9.1.2 Extraorale Halitosis

9.2 Diagnostik

9.2.1 Organoleptische Messung bei Halitosis

9.2.2 Apparative Messung bei Halitosis

9.3 Behandlung der Halitosis

9.4 Kommunikation mit den Patient*innen

  Literatur

10 Vertragswesen und Abrechnung

10.1 Gesetzliche und private Krankenversicherung

10.2 Systematische Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen im Rahmen der GKV

10.3 Gutachten/Obergutachten

10.4 Leistungspositionen für eine vertragliche Parodontitis-Behandlung (GKV)

10.5 Maßnahmen, die über die vertragszahnärztliche systematische Therapie von Parodontitis hinausgehen

10.6 Berechnung der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) nach Ablauf von 2(1/2) Jahren

10.7 Maßnahmen, die nicht zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehören

10.8 Privatabrechnung nach GOZ/GOÄ

10.8.1 Parodontitistherapie Stufe 1 (individuelle Biofilmkontrolle und Kontrolle von Risikofaktoren)

10.8.2 Parodontitistherapie Stufe 2 (subgingivale Instrumentierung, AIT)

10.8.3 Parodontitistherapie Stufe 3 (chirurgische Therapie, CPT)

10.8.4 Weitere chirurgische Therapieverfahren

  Literatur

11 Rechtliche Grundlagen und Einsatzbereich der/des ZMF bei der systematischen Parodontalbehandlung

11.1 Grundgesetz: Art. 2.2

11.2 Zahnheilkundegesetz (Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde): § 1

  Literatur

11.3 Delegationsrahmen

 Sebastian Ziller

11.3.1 Einleitung

11.3.2 Muster-Fortbildungsordnungen der BZÄK

11.3.3 Delegation zahnärztlicher Tätigkeiten gemäß Zahnheilkundegesetz (ZHG)

11.3.4 Aufstiegsfortbildung und akademische Qualifizierung: Wer darf was?

11.3.5 Ausblick

11.3.6 Fazit

  Interessenkonflikt

  Danksagung

  Copyright-Hinweis

  Literatur

Kapitel

1

Anatomie und Physiologie des Parodonts und der periimplantären Gewebe

Die Zähne und ihre Verankerung im Kieferknochen sind einzigartige Strukturen im menschlichen Körper. Zähne bestehen aus Zahnschmelz, dem härtesten Gewebe des menschlichen Körpers, aus Dentin sowie aus dem die Pulpakammer ausfüllenden Pulpagewebe. Der Zahnhalteapparat, das Parodont, setzt sich aus vier Anteilen zusammen: dem Zahnfleisch (Gingiva), dem parodontalen Ligament (Desmodont), dem Wurzelzement und dem Alveolarknochen. Der Alveolarknochen besteht aus dem eigentlichen Alveolarknochen, der Wand des Zahnfachs (Alveole) und dem Alveolarfortsatz, dem Teil des Kieferknochens, der die Alveolen umgibt (Abb. 1-1). Der Begriff Parodont leitet sich von den altgriechischen Wörtern „para“ (neben) und „odus“ (Zahn) ab. In zusammengesetzten Wörtern wie Parodont wird aus „odus“ „odont“. Obwohl das Wurzelzement innig mit dem Dentin und teilweise der Schmelzoberfläche verbunden ist, ist es definitionsgemäß Teil des Parodonts.

Die Mundschleimhaut (orale Mukosa) kleidet die Mundhöhle aus. Man unterscheidet die mastikatorische Mundschleimhaut, zu der auch die Gingiva gehört und die verhornt ist, von der unverhornten Alveolarmukosa (Abb. 1-2). Die oberste/äußere Schicht der Mundschleimhaut besteht aus Epithelgewebe, das die Funktion einer Art äußeren Schutzschicht hat. Epithelgewebe setzt sich weit überwiegend aus dicht gepackten Zellen mit engen Zellzwischenräumen (Interzellularraum) zusammen. Während das Saumepithel aus zwei Schichten in etwa würfel-, quader- bis zylinderförmiger Zellen besteht (siehe später), setzt sich das mehrschichtige Plattenepithel aus vielen Schichten zusammen, wobei die tiefste Schicht (Stratum basale) aus in etwa zylindrischen Zellen besteht, die zur mittleren Schicht (Stratum spinosum) hin würfelförmig/mehrflächig werden und sich nach außen hin abflachen (Stratum granulosum und Stratum corneum; Plattenepithel) (Abb. 1-3). „Stratum“ ist lateinisch und heißt Schicht. Das Stratum granulosum wird auch Körnerzellschicht genannt. Die „Körner“, die in dieser Schicht in den Zellen auftauchen, beinhalten vor allem eine Vorstufe des Keratins. Die Zellorganellen lösen sich auf und werden von den Keratinblasen verdrängt, die sich im Stratum corneum (Hornschicht) schließlich vereinigt haben. Die Zellen sterben ab und bilden eine Hornschicht. Im Stratum basale entstehen durch Zellteilung kontinuierlich neue Epithelzellen, die dann durch die unterschiedlichen Schichten wandern, sich dabei verändern und schließlich an der Oberfläche als Hornschicht abgestoßen werden. So erneuert sich die Schleimhaut ständig. Epithelgewebe ist von uneinheitlicher Herkunft, da alle embryonalen Keimblätter in der Lage sind, Epithelgewebe zu bilden. Das Epithel der Mundschleimhaut entstammt zum Teil dem Ektoderm (Lippen, Vestibulum, Gingiva, Wangen, Gaumen, Mundboden) und zum Teil dem Entoderm (Zunge).

Abb. 1-2 Gesunde Gingiva. Die Gingiva wird koronal durch den Gingivarand (Limbus gingivae) begrenzt und geht vestibulär an der mukogingivalen Grenze (Linea girlandiformis) in die Alveolarmukosa über. Die mukogingivale Grenze kann mit Schiller‘scher Jodlösung dargestellt werden3.

Abb. 1-3 Das orale Gingivaepithel bedeckt die vestibulären und oralen Oberflächen der marginalen Gingiva und besteht aus vier Schichten: Stratum basale (Basalzellschicht), Stratum spinosum (Stachelzellschicht), Stratum granulosum (Körnerzellschicht) und Stratum corneum (Hornschicht)3.

Die Funktion des Parodonts besteht zum einen darin, den Zahn im Kiefer zu verankern, und zum anderen, das aseptische (bakterienfreie) Ökosystem der inneren Gewebe (z. B. Knochen, Bindegewebe, Blut) von der bakteriell besiedelten Mundhöhle abzuschirmen (siehe Kap. 2). Zudem verfügt das Parodont über Rezeptoren, die Schmerz, Tastreize und Druck übertragen.

1.1 Die Gingiva (Zahnfleisch)

Die Gingiva ist ein Bestandteil der mastikatorischen Mukosa, die wiederum Teil der Mundschleimhaut ist. Sie umschließt als epitheliale Manschette (Saumepithel) den Zahnhals und haftet der Zahnoberfläche an (Epithelansatz). Die Zähne durchstoßen die epitheliale Auskleidung der Mundhöhle und unterbrechen auf diese Weise die Abschirmung des aseptischen Ökosystems der inneren Gewebe gegen die bakteriell besiedelte Mundhöhle. Indem sich das Saumepithel der Zahnoberfläche anheftet, hält die Gingiva diese Abschirmung – die Kontinuität der epithelialen Auskleidung der Mundhöhle – aufrecht. Darüber hinaus bedeckt die Gingiva die koronalen Abschnitte des Alveolarfortsatzes (Abb. 1-1 und 1-2).

Die Gingiva wird koronal durch den Zahnfleischrand (Gingivasaum, Limbus gingivae) und apikal durch verschiedene Abschnitte der Mundschleimhaut begrenzt: Vestibulär geht die Gingiva an der mukogingivalen Grenze (Linea girlandiformis) in die Alveolarmukosa über (Abb. 1-2). Lingual besteht eine ähnliche Begrenzung zwischen Gingiva und Mundbodenschleimhaut. Palatinal geht die Gingiva ohne Begrenzung in die Schleimhaut des harten Gaumens über. Die Schleimhaut des harten Gaumens ist Teil der mastikatorischen Mukosa.

Schleimhäute bestehen immer aus einer Epithelschicht und einer darunterliegenden Bindegewebsschicht, die Lamina propria genannt wird (Abb. 1-3). Auch die Gingiva besteht aus einer dichten, zellulären, vorwiegend aus Kollagen bestehenden Lamina propria. Diese Lamina propria besteht aus einem Stratum papillare (Papillenschicht), das sich zwischen den Retezapfen des Epithels erstreckt, sowie einem Stratum reticulare (Netzschicht), das zwischen Stratum papillare und Periost (Knochenhaut) des Alveolarknochens liegt. Die äußere Schicht der Gingiva besteht aus Epithelzellen. Je nach Lokalisation unterscheidet man zwei Epitheltypen: das Saumepithel, das der Zahnoberfläche anhaftet, und das mehrschichtige Plattenepithel, das, wenn es den Sulkus begrenzt, orales Sulkusepithel heißt, und wenn es auf der Außenfläche lokalisiert ist, orales Gingivaepithel genannt wird (Abb. 1-4).

Abb. 1-4 Gingivaepithelien: Die äußere Schicht der Gingiva besteht aus Epithelzellen. Je nach Lokalisation unterscheidet man zwei Epitheltypen: das Saumepithel, das der Zahnoberfläche anhaftet, und das mehrschichtige Plattenepithel, das, wenn es den Sulkus begrenzt, orales Sulkusepithel heißt, und wenn es auf der Außenfläche lokalisiert ist, orales Gingivaepithel genannt wird.

1.1.1 Das orale Sulkus- und das orale Gingivaepithel

Beim oralen Sulkus- bzw. Gingivaepithel handelt es sich um ein 0,2 bis 0,3 mm dickes, mehrschichtiges und keratinisiertes (verhorntes) Plattenepithel, das über sogenannte Retezapfen mit dem Stratum papillare der Lamina propria verzahnt ist (Abb. 1-3 und 1-4). Dieses Epithel ist widerstandsfähig gegen mechanische Belastungen und relativ undurchlässig für Bakterien und deren Produkte1. Das orale Sulkusepithel bildet das Epithel des Gingivasulkus (Sulcus gingivae). Es haftet der Zahnoberfläche nicht an und bildet kein epitheliales Attachment aus. Der Sulcus gingivae hat einen V-förmigen Querschnitt und gestattet das ungehinderte Eindringen einer Parodontalsonde. Unter idealen Bedingungen, die nur experimentell bei keimfreien Versuchstieren oder nach einer Phase intensivster Plaquekontrolle dargestellt werden können, ist die koronoapikale Ausdehnung des Gingivasulkus 0 oder nahe 0 mm. Unter klinisch normalen Verhältnissen beim Menschen findet man mittlere Sulkustiefen von etwa 2 mm.

1.1.2 Das Saumepithel

Das Saumepithel, das apikal auf das orale Sulkusepithel folgt, bildet den von außen nicht sichtbaren epithelialen Teil der freien Gingiva. Es umschließt den Zahnhals wie eine ringförmige Manschette und bildet den Epithelansatz, also die epitheliale Anheftung (das epitheliale Attachment) am Zahn aus. Das Saumepithel (Epithelansatz) stellt den koronalen Anteil der dentogingivalen Verbindung dar, also der Zone, in der sich extraalveoläre Zahnoberfläche und Gingiva berühren2. Der apikal gelegene Anteil der dentogingivalen Verbindung wird von gingivalen Bindegewebsfasern ausgeformt, die in supraalveoläre (koronal des Knochens) Anteile des Wurzelzements (azelluläres Fremdfaserzement; siehe unten) einstrahlen und somit ein bindegewebiges Attachment bilden (Abb. 1-4 und 1-5)2. Der supraalveoläre Faserapparat sorgt dafür, dass die Gingiva wie eine straffe Manschette um den Zahn herum anliegt und sichert sie gegen Abscherkräfte. Beim Sondieren der Sulkustiefe mit einer definierten Kraft verhindern diese Fasern das tiefere Vordringen der Sonde nach apikal. Infolge der entzündlichen Abwehrreaktionen des Körpers auf bakterielle Plaque (Gingivitis; siehe Kap. 2) werden Kollagenfasern des Faserapparates abgebaut und die Sonde kann beim Sondieren, trotz gleicher Kraft, tiefer bis in das Bindegewebe eindringen.

Abb. 1-5 Der dentogingivale Komplex besteht aus dem Sulkus, dem Saumepithel als epithelialem Anteil und dem supraalveolären Faserapparat als bindegewebigem Anteil. Unter dem suprakrestalen Attachment (früher „biologische Breite“) versteht man allgemein das epitheliale und bindegewebige Attachment der Gingiva ohne den Sulkus3.

Die Grenze zwischen epithelialem und bindegewebigem Attachment befindet sich auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze (SZG); diese Epithel-Bindegewebe-Grenze kann jedoch bei intaktem, klinisch gesundem Parodont auch etwa 1 mm koronal bzw. apikal der SZG gefunden werden2. Das Saumepithel entwickelt sich während des Zahndurchbruchs aus dem reduzierten Schmelzepithel, kann sich aber nach vollständiger Entfernung, z. B. im Zuge einer Gingivektomie (siehe Kap. 6), aus jedem Typ oralen Plattenepithels neu bilden. Es ist bis zu 2 mm hoch (koronoapikale Ausdehnung von der SZG bis zum Boden des gingivalen Sulkus), etwa 100 µm dick und verjüngt sich in koronoapikaler Richtung: 15 bis 30 Zellen an der koronalen und etwa 3 Zellen an der apikalen Begrenzung2. Im Unterschied zu den mehrschichtigen Plattenepithelien in der Mundhöhle besteht das Saumepithel nur aus zwei Schichten, dem teilungsfähigen Stratum basale (an die Lamina propria grenzend) und dem nicht mehr teilungsfähigen Stratum suprabasale (Tochterzellen), das an die Zahnoberfläche grenzt (Abb. 1-6). Das Saumepithel ist über Hemidesmosomen und eine Basallamina (externe Basallamina) mit dem subepithelialen Bindegewebe der Lamina propria verbunden. Die Epithel-Bindegewebsgrenzfläche des Saumepithels weist normalerweise einen geraden Verlauf auf. Eine Verzahnung über Retezapfen findet sich nicht. Zum Zahn sind die Zellen über die interne Basallamina abgegrenzt. Das epitheliale Attachment an der Zahnoberfläche beruht auf dem biologischen Prinzip, dass Epithelzellen, die mit einem nichtepithelialen Gewebe in Kontakt geraten, eine Basallamina bilden und sich dieser über Hemidesmosomen anheften. Das Gleiche passiert an der Berührungsfläche von Epithel und Bindegewebe. Bei Krafteinwirkung auf den Gingivarand oder Einführung einer Parodontalsonde kommt es eher zu Zerreißungen und Spalten im Saumepithel als zu einer Ablösung von der Zahnoberfläche2.

Abb. 1-6 Das Saumepithel besteht aus zwei Schichten, dem teilungsfähigen Stratum basale und dem nicht teilungsfähigen Stratum suprabasale. Zum Zahn sind die Zellen über die interne und zum Bindegewebe über die externe Basallamina abgegrenzt. Das gesunde Saumepithel ist mit dem angrenzenden Bindegewebe nicht verzahnt und die Grenzfläche zwischen Epithel und Bindegewebe weist normalerweise einen geraden Verlauf auf.

Die Zellzwischenräume (interzellulare Spalten) des Saumepithels ermöglichen eine auswärts wie einwärts gerichtete Bewegung von Flüssigkeiten (Diffusion). Die Erneuerungsrate (Turnover) des Saumepithels ist mit 4 bis 6 Tagen doppelt so hoch wie die des oralen Gingivaepithels (ca. 6 bis 12 Tage). Die freie Oberfläche des Saumepithels findet sich am Boden des gingivalen Sulkus bzw. des interdentalen Cols. Nur dort findet die Abstoßung (Abschilferung) der oberflächlichen, zur Zahnoberfläche gerichteten Zellen statt (Exfoliationsfläche). Während sich Zellen des Stratum basale teilen und so neue Saumepithelzellen enstehen, die dann in Richtung Zahnoberfläche und nach koronal wandern, werden am Boden des gingivalen Sulkus „alte“ Zellen abgeschilfert. Die Regenerationsfläche des Stratum basale ist aber wesentlich größer als diese Abschilferungsfläche. Dadurch findet am Sulkusboden eine intensive Exfoliation (Abschilferung) von Epithelzellen statt, was als unspezifischer Abwehrmechanismus das Eindringen von Bakterien und Schadstoffprodukten aus dem Sulkus erschwert und deren Abtransport aus dem Sulkus begünstigt. Darüber hinaus befinden sich in den interzellulären Räumen weiße Blutzellen (Leukozyten) wie neutrophile Granulozyten, Monozyten/Makrophagen und Lymphozyten. Auch bei klinisch normalen Verhältnissen findet eine ständige Wanderung neutrophiler Granulozyten von apikal nach koronal statt, deren Ausmaß bei Entzündung und mit deren Grad zunimmt. Damit kommt dem Saumepithel die Funktion der peripheren Abwehr parodontaler Infektionen zu. Passiv in das Saumepithel diffundierende Bakterien können so erkannt, mit Antikörpern markiert (opsoniert) und phagozytiert („gefressen“) werden (siehe Kap. 2).

1.2 Das parodontale Ligament (Desmodont)

Das Desmodont ist ein sehr zellreiches, nicht mineralisiertes und überwiegend aus Kollagenfasern bestehendes Bindegewebe, das sich zwischen der Wurzeloberfläche des Zahnes und dem Alveolarknochen befindet. Es vermittelt die Stabilisierung des Zahnes im Kieferknochen, indem es das Wurzelzement auf der einen und den eigentlichen Alveolarknochen auf der anderen Seite über die Desmodontalfasern verbindet. Es bildet auf diese Weise eine faserige Verbindung zwischen Zahn und Knochen (Abb. 1-7). Am Alveolarknochen geht das Desmodont nach koronal in das Bindegewebe der befestigten Gingiva über (supraalveolärer Faserapparat) (Abb. 1-5)2. Im Unterschied zum Epithel sind die Zellen im Bindegewebe nicht dicht gepackt und nicht eng miteinander verbunden, sondern der Großteil des Bindegewebes ist Zellzwischenraum, der wiederum vor allem aus Kollagenfasern besteht. Je höher der Kollagenanteil, desto derber und widerstandsfähiger ist das Gewebe. Die Kollagenfasern des Körpers können sich zu größeren Strukturen wie z. B. Sehnen, Faszien oder aber Desmodontalfasern gruppieren.

Abb. 1-7 Das Desmodont ist ein zellhaltiges, nicht mineralisiertes und überwiegend aus Kollagenfasern bestehendes Gewebe, das das Wurzelzement auf der einen und den eigentlichen Alveolarknochen auf der anderen Seite verbindet. Es stellt ein Reservoir von Zellen (Fibroblasten, Zementoblasten, Osteoblasten) dar3.

Das Desmodont stellt ein Reservoir von Zellen (Fibroblasten [Faserbildner], Zementoblasten [Zementbildner], Osteoblasten [Knochenbildner]) dar, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung des Wurzelzements und des Alveolarknochens erforderlich sind. Zellen, die diese mineralisierten Gewebe abbauen (Zementoklasten, Osteoklasten), finden sich ebenfalls im Desmodont. Sie spielen eine Rolle im stetigen Umbau dieser Gewebe oder bei der Remodellierung im Rahmen der Wundheilung. Das Desmodont ist auch ein Reservoir für Vorläuferzellen (Progenitorzellen) für Wurzelzement und Alveolarknochen. Der Ursprung dieser Progenitorzellen wird in mesenchymalen Zellen vermutet, die Blutgefäße in der Mitte des Parodontalspaltes umgeben. Wenn diese Progenitorzellen in Richtung Zement oder Knochen wandern, wandeln sie sich in Wurzelzement- oder Knochenzellen um1. Im Unterschied zu Gingiva, Zement oder Alveolarknochen beherbergt das Desmodont auch Rezeptoren, die Tiefensensibilität (Propriozeption: Informationen über Bewegungen und Positionen, die Wahrnehmung des eigenen Körpers ermöglichend, Empfinden von Spannung, Kraft und Geschwindigkeit) vermitteln. Der hohe Zellgehalt und die relativ hohe Umsatzrate seiner Bestandteile ermöglichen dem Desmodont einen schnellen Umbau. Dies ist die Grundlage für normale prä- und posteruptive wie auch orthodontische Zahnbewegungen.

1.3 Das Wurzelzement

Das Wurzelzement, das nahezu die gesamte nicht von Schmelz bedeckte Dentinoberfläche überzieht, verbindet das Desmodont und den supraalveolären Faserapparat mit dem Zahn. Es lassen sich fünf Typen von Wurzelzement beim Menschen unterscheiden (Abb. 1-8):

Abb. 1-8 Das Wurzelzement verbindet den parodontalen Faserapparat (Desmodont) mit dem Zahn. Beim Menschen lassen sich fünf Typen von Wurzelzement unterscheiden3.

1.3.1 Das azelluläre afibrilläre Zement

Es stellt eine homogene Matrix (Struktur) dar, die weder Fasern (afibrillär) noch Zellen (azellulär) enthält. Es findet sich in Form von kleinen Inseln auf dem zervikalen Schmelz unmittelbar koronal der Schmelz-Zement-Grenze. Seine Funktion ist unbekannt.

1.3.2 Das azelluläre Fremdfaserzement

In reiner Form findet es sich auf dem zervikalen und mittleren Wurzeldrittel. Es enthält keine Zellen. Sein Faseranteil (überwiegend Kollagen) entspringt annähernd vollständig dem Desmodont. Diese Fasern werden als Fremd- oder Scharpey‘sche Fasern bezeichnet. Sie sind in die mineralisierte Matrix des Zements eingebettet und verlaufen in etwa senkrecht zur Wurzeloberfläche. Die Hauptfunktion des azellulären Fremdfaserzements besteht in der Verankerung der Zähne.

Es gibt 28 unterschiedliche Arten von Kollagen, die sich z. B. in der Länge, Funktion und molekularen Zusammensetzung unterscheiden. Die im menschlichen Körper am häufigsten vorkommende Art ist Typ-I-Kollagen, das auch im Desmodont und im Wurzelzement vorherrscht. In der Basallamina (siehe oben) findet sich Typ-IV-Kollagen.

Die Bildung des azellulären Fremdfaserzements erfolgt in mehreren Phasen: Zuerst lagern sich von koronal nach apikal über einen Bereich von 100 µm fibroblastenähnliche Zellen der äußeren Oberfläche der nichtmineralisierten Dentinmatrix (Prädentin: unverkalkte Vorstufe des Dentins) an. Dann wird eine dünne Lage von Kollagenfasern gebildet, die senkrecht zur Prädentinoberfläche orientiert sind und sich mit dessen Kollagenfasern vernetzen. Es werden also zuerst die noch nicht mineralisierten Vorgängergewebe Präzement (Zementoid) und Prädentin gebildet, die in ihrer Kontaktzone hochgradig durchwirkt und vernetzt sind (Zone der Verzahnung). Anschließend entsteht durch Einlagerung von Mineralstoffen (Mineralisierung) die spätere Zement-Dentin-Grenze. Der Start der Bildung des azellulären Fremdfaserzements vollzieht sich während des Wurzelwachstums, also vor der Ausbildung des desmodontalen Faserapparates und vor der Bildung des zellulären Gemischtfaserzements.

1.3.3 Das zelluläre Eigenfaserzement

Dieses Zement beinhaltet in etwa parallel zur Wurzeloberfläche orientierte, überwiegend kollagene Fasern, die die Zementmatrix nicht verlassen (Eigenfasern), sowie Zementozyten (in das Zement eingelagerte Zementoblasten). Die Zementmatrixbildung erfolgt beim zellulären Eigenfaserzement an der gesamten Oberfläche der Zementoblasten (multipolare Zementbildung). Es findet sich auf dem apikalen Wurzeldrittel und in Wurzelteilungsstellen (Furkationen) als Teil des zellulären Gemischtfaserzements sowie an Stellen, an denen Strukturen repariert werden müssen (Auflösungszonen [Resorptionslakunen] und Frakturlinien). Resorptionen der Wurzeloberflächen können enstehen, wenn Zähne durch den Knochen „wandern“ (z. B. Mesialdrift oder kieferorthopädische Bewegung). Es trägt nicht zur Verankerung des Zahnes im Knochen bei und hat vermutlich reparative bzw. adaptive Funktionen. Auch bei der initialen Bildung von zellulärem oder azellulärem Eigenfaserzement auf der äußeren Oberfläche der noch nicht mineralisierten Dentinmatrix kommt es zu einer innigen Vernetzung und Verflechtung von Kollagenfaserbündeln der Zement- und Dentinmatrix. Diese Verzahnungszone wird ebenfalls erst in einem zweiten Schritt mineralisiert.

1.3.4 Das azelluläre Eigenfaserzement

Es enthält in etwa parallel zur Wurzeloberfläche orientierte, überwiegend kollagene Fasern, welche die Zementmatrix nicht verlassen (Eigenfasern), aber keine Zellen. Die Bildung der Zementmatrix erfolgt beim azellulären Eigenfaserzement nur entlang der zahnzugewandten Seite der Zementoblasten (unipolare Zementbildung). Es konnte gezeigt werden, dass das schichtweise Wachstum ohne „Einmauerung“ der Zementoblasten dieser Zementvariante eine geringere Wachstumsrate als das zelluläre Eigenfaserzement hat. Es darf demnach angenommen werden, dass es sich hierbei um einen langsameren Zementbildungsprozess handelt. Weil das azelluläre Eigenfaserzement keine Fasern verlassen, trägt es nicht zur Verankerung des Zahnes in der Alveole bei. Es findet sich auf dem apikalen Wurzeldrittel sowie in Furkationen als Teil des zellulären Gemischtfaserzements und dient der Reparation und Adaptation.

1.3.5 Das zelluläre Gemischtfaserzement

Zelluläres Gemischtfaserzement besteht aus alternierenden Lagen von zumindest azellulärem Fremdfaserzement und zellulärem Eigenfaserzement. Es ist nicht auszuschließen, dass auch azelluläres Eigenfaserzement an der Bildung des zellulären Gemischtfaserzementes beteiligt ist. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Schichten in aufeinanderfolgenden, sich abwechselnden Phasen gebildet werden. Es findet sich auf dem apikalen Wurzeldrittel und in den Furkationen mehrwurzliger Zähne. Das zelluläre Gemischtfaserzement trägt zur Verankerung des Zahnes im Knochen bei und dient der Reparation und Adaption, je nachdem, welche Schicht zum Desmodontalspalt weist.

1.4 Der Alveolarknochen

Der eigentliche Alveolarknochen (Lamina cribriformis) bildet die Wand der knöchernen Alveole und dient der Verankerung des Zahnes im Alveolarfortsatz. Die Lamina cribriformis besteht hauptsächlich aus Lamellenknochen, aber es kann auch Bündelknochen gefunden werden. In ihn strahlen senkrecht zur Oberfläche funktionell orientierte Desmodontalfasern ein (Scharpey‘sche Fasern). Zahnbewegungen vom Alveolarknochen weg führen zu einer Verbreiterung der Bündelknochenschicht, während Zellen aus dem Endost (Knochenhaut des Knochenmarks) zu einem Umbau des Bündelknochens in Lamellenknochen führen. Zahnbewegungen zum Knochen hin führen zu sich abwechselnden Phasen der Resorption und der Bündelknochenneubildung. Der Alveolarfortsatz ist der Teil des Kieferknochens, der die Alveolen umgibt. Die Bildung des eigentlichen Alveolarknochens und möglicherweise auch von Teilen des Alveolarfortsatzes wird während der Zahnentstehung vom Zahnsäckchen induziert.

Die Oberfläche der Lamina cribriformis ist vom Desmodont bedeckt, das die Funktion des Periosts erfüllt.

1.5 Die Gefäßversorgung

Die Gingiva ist sehr gut durchblutet. Die Blutversorgung der parodontalen Gewebe erfolgt im Oberkiefer durch Ausläufer der Arteria alveolaris superior posterior (hinterer Alveolarfortsatz des Oberkiefers), der A. infraorbitalis (unterhalb der Augenhöhle), der A. palatina major (große Gaumenarterie) und der A. nasopalatina (mündet palatinal des Approximalraums der oberen mittleren Schneidezähne). Im Unterkiefer erfolgt die Blutversorgung über Ausläufer der A. alveolaris inferior (verläuft mit dem gleichnamigen Nerven im Unterkieferkörper), der A. sublingualis (verläuft im Mundboden), der A. buccalis (verläuft in der Wange) und der A. mentalis (Endstück der A. alveolaris inferior, nachdem diese den Unterkiefer durch das Foramen mentale verlassen hat). Nebenäste der Alveolararterien verlaufen im Knochen in die Interdentalsepten und von dort in den Desmodontalspalt. Die zahlreichen Durchtrittsöffnungen dieser Nebenäste in den Desmodontalspalt „durchlöchern“ förmlich die knöcherne Wand des Zahnfachs, den eigentlichen Alveolarknochen, und verleihen ihm seinen lateinischen Namen (Lamina cribriformis: siebartige Schicht). Nebenäste der übrigen Arterien ziehen in der Alveolarmukosa von bukkal und lingual/palatinal zur Gingiva und verbinden sich hier mit den Blutgefäßen, die aus dem Desmodontalspalt und dem Alveolarknochen kommen.

Direkt zwischen Saumepithel und gingivalem Bindegewebe befindet sich ein Netzwerk aus Blutgefäßen (kleine Venen: Venolen), das sich beim intakten, gesunden Parodont ringförmig von der Schmelz-Zement-Grenze bis zur koronalen Begrenzung des Saumepithels erstreckt (siehe Kap. 2, Abb. 1-7). Diese Gefäße werden nach entzündlichen Veränderungen und geringer mechanischer Traumatisierung sehr durchlässig und bilden unter anderem die Grundlage für Blutungsindizes und Zahnfleischbluten.

1.6 Periimplantäre Gewebe

Der Ersatz fehlender Zähne durch enossale (im Knochen befestigte) Implantate ist heute eine wissenschaftlich gut untersuchte und klinisch bewährte Behandlungsmöglichkeit. Implantate sind aus dem zahnärztlichen Alltag nicht mehr wegzudenken. Insbesondere im parodontal kompromittierten Gebiss eröffnen gerade enossale Implantate in Fällen, in denen Zähne bereits fehlen oder nicht mehr sinnvoll erhalten werden können, häufig die Möglichkeit, Kaufunktion und Ästhetik mit festsitzendem Zahnersatz wiederherzustellen. Nach dem Verlust der Zähne kann es natürlich auch kein Zahnfleisch, keine Gingiva mehr geben. Die Begriffe, die periimplantäre Strukturen beschreiben, die den parodontalen Strukturen analog sind, beziehen sich daher auf die Mundschleimhaut (orale Mukosa). Der Weichgewebssaum an der Durchtrittsstelle von Zähnen und Implantaten weist Ähnlichkeiten und Unterschiede auf: Während bei Zähnen der supraalveoläre Faserapparat in das Wurzelzement einstrahlt und die Gingiva am Zahn befestigt ist (Abb. 1-5), verlaufen die Bindegewebsfasern um die Implantatschulter parallel zur Oberfläche (Abb. 1-9). Während sich zwischen Zahnwurzel und eigentlichem Alveolarknochen die Desmodontalfasern erstrecken, die jeweils im Alveolarknochen und im Wurzelzement verankert sind und den Zahn in der Alveole halten, findet die direkte Verankerung der Implantate im Knochen (Osseointegration) statt. Den parodontalen und periimplantären Geweben gemeinsam ist ihr Charakter als potenzielle Eintrittspforten für Bakterien in den Körper und somit ihre Anfälligkeit für Infektionen. Bei entsprechender Prädisposition können die marginalen Entzündungsreaktionen (Gingivitis, periimplantäre Mukositis), die das Eindringen von Mikroorganismen verhindern sollen, entgleisen und das parodontale (Parodontitis) bzw. periimplantäre (Periimplantitis) Gewebe zerstören. Während sich die dentogingivale Region mit ihren Infektabwehrmechanismen über Jahrmillionen evolutionär anpassen konnte, stellen enossale Implantate Fremdkörper dar, die erstaunlich gut toleriert werden. Generell sind die periimplantären Gewebe anfälliger für Infektionen und daraus entstehende entzündliche Destruktionen als das Parodont.

Abb. 1-9 Parodontale und periimplantäre Gewebe im Vergleich: Während bei Zähnen der supraalveoläre Faserapparat in das Wurzelzement einstrahlt und die Gingiva am Zahn befestigt ist, verlaufen die Bindegewebsfasern um die Implantatschulter parallel zur Implantatoberfläche. Während sich zwischen Zahnwurzel und eigentlichem Alveolarknochen die Desmodontalfasern erstrecken, die jeweils im Alveolarknochen und im Wurzelzement verankert sind, findet die Verankerung der Implantate direkt im Knochen statt (Osseointegration).

Die periimplantäre mikrobielle Flora an erfolgreichen Implantaten entspricht der an natürlichen Zähnen und entwickelt sich bereits kurz nach der Implantation. Eine verstärkte Biofilmbildung im Bereich von Implantaten führt zur einer periimplantären Mukositis. Die Zusammensetzung der marginalen Plaque an Implantaten mit einer periimplantären Infektion ähnelt der Mikroflora parodontal erkrankter Zähne. Es finden sich große Mengen gramnegativer anaerober Bakterien, Fusobakterien, Spirochäten und schwarz pigmentierter Bakterien wie Prevotella intermedia. Bei teilbezahnten Patienten geht von unbehandelten, an Parodontitis erkrankten Zähnen ein hohes Risiko für eine bakterielle Besiedelung von enossalen Implantaten und in deren Folge für die Entstehung einer Periimplantitis aus. Eine konsequente antiinfektiöse Therapie der an Pardontitis erkrankten Restbezahnung ist eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Insertion von Implantaten im teilbezahnten Gebiss.

Literatur

1. Listgarten MA, Lang NP, Schroeder HE, Schroeder A. Periodontal tissues and their counterparts around endosseous implants [corrected and republished with original paging, article orginally printed in Clin Oral Implants Res 1991 Jan-Mar;2(1):1–19]. Clin Oral Implants Res 1991;2:1–19.

2. Schroeder HE. The periodontium. Handbook of microscopic anatomy. Berlin: Springer, 1986.

3. Eickholz P, Dannewitz B. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis: Anatomie des Parodonts. Parodontologie 2023;34:441–448.

Kapitel

2

Ätiologie und Pathogenese der entzündlichen Parodontal- und periimplantären Erkrankungen

Der Mund ist die Eintrittspforte in den Körper und ist, wie andere Körperoberflächen, von Bakterien besiedelt. Auf unseren Körperoberflächen (Haut, Mund- und Darmschleimhaut) leben wir mit diesen Bakterien zumeist harmonisch zusammen. In unserem Darm tragen Bakterien wesentlich zur reibungslosen Funktion unserer Verdauung bei. Unser Organismus versucht aber, zumindest das dauerhafte Eindringen von Mikroorganismen ins Körperinnere (Blut, Knochen, Bindegewebe) mit verschiedenen Mechanismen zu verhindern.

Unsere Zähne durchdringen die epitheliale Auskleidung der Mundhöhle und damit unsere Körperhülle. Sie sind im Knochen verankert, durchstoßen die Schleimhaut und ragen in die Mundhöhle. Dies stellt eine einzigartige anatomische Situation im Organismus dar. Die Mundhöhle ist mikrobiell besiedelt. Einige Bakterien aus diesem Mikrobiom sind in der Lage, auf festen Oberflächen (z. B. Zähne, Zahnersatz) Zahnbeläge (Plaque, dentaler Biofilm) zu bilden. Als Mikrobiom bezeichnet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen (z. B. Bakterien, Viren, Einzeller), die einen vielzelligen Makroorganismus (z. B. Mensch) besiedeln. Man kann auch Mikrobiome für bestimmte Körperregionen (z. B. Mundhöhle oder Darm) beschreiben. Um ein Eindringen von Bakterien zwischen Zahn und Zahnfleisch in die Blutbahn, ins Bindegewebe und in den Knochen zu verhindern, bedarf es eines besonderen Abwehrmechanismus: Zahnfleischentzündung (Gingivitis). Personen, die eine effektive individuelle Mundhygiene betreiben und den dentalen Biofilm regelmäßig entfernen, haben deshalb ein sehr geringes Risiko, eine Gingivitis oder eine Parodontitis zu entwickeln. Werden die bakteriellen Beläge vom Zahn entfernt (z. B. durch Zähneputzen oder professionelle Zahnreinigung), klingt die Zahnfleischentzündung nach wenigen Tagen ohne irreparable Schäden ab (Abb. 2-1). Langzeitstudien zur Parodontitistherapie haben die Bedeutung regelmäßiger supra- und subgingivaler Plaqueentfernung für den Therapieerfolg belegt. Bei Belassen des Biofilms auf den Zahnoberflächen, wie z. B. bei unzureichender oder ineffektiver Plaquekontrolle, bleibt die Gingivitis bestehen – sie persistiert. Bleibt die Gingivitis über Wochen, Monate oder Jahre bestehen, kommt es bei manchen Menschen früher, bei den meisten später (im „mittleren“ Alter) zur Entgleisung dieser Entzündung. Nicht alle Menschen reagieren gleich schnell bzw. gleich stark auf die mikrobielle Exposition: Bei einigen Menschen kann die Gingivitis über lange Zeiträume unverändert bestehen bleiben, während es bei anderen zur fortschreitenden Zerstörung des Zahnhalteapparates kommen kann (Parodontitis). Die Gingivitis ist dann nicht mehr in der Lage, die Bakterien aufzuhalten. Die Bakterien dringen zwischen Zahnfleisch und Zahn vor. Sie würden so nach etwa 2 mm den Knochen erreichen. Der Körper zerstört deshalb auf der „Flucht“ vor den zwischen Zahn und Zahnfleisch eindringenden Bakterien den eigenen Zahnhalteapparat.

Abb. 2-1 Experimentelle Gingivitis: Zu Beginn des Experimentes wurden bei allen Teilnehmern effektive Plaquekontrolle und entzündungsfreie gingivale Verhältnisse erreicht. Verlauf der Werte für Plaque- und Gingivitis-Index sowie Veränderung der Plaquezusammensetzung bei einem beispielhaften Studienteilnehmer (modifiziert aus Theilade et al. 19661): Nach 7 Tagen ungehinderter Plaqueansammlung (Biofilmbildung) und mit dem Auftreten von Spirillen und Spirochäten ist klinisch eine Gingivitis nachweisbar. Nach 15 Tagen wird ein mittlerer Gingivitis-Index von 1,0 (milde Gingivitis) erreicht. Zu diesem Zeitpunkt wird die Biofilmbildung beendet und die Mundhygienemaßnahmen werden wieder aufgenommen. Auf der x-Achse sind von 0 bis 15 die Tage ungehinderter Biofilmbildung ohne Mundhygiene und von 1 bis 9 die Tage nach Wiederaufnahme der Mundhygienemaßnahmen aufgetragen. Auf der y-Achse finden sich links der Gingivitis-Index (Gingival-Index) und rechts der Plaque-Index. Die rote Kurve markiert den Verlauf des Gingivitis-Index, die gelbe Kurve den Plaque-Index.

Von 1970 bis 1985 wurde eine Gruppe von Teepflückern auf Sri Lanka regelmäßig von einem Forscherteam untersucht. Die Arbeiter auf der Teeplantage betrieben praktisch keine Mundhygienemaßnahmen, ihnen war kaum zahnmedizinische Versorgung zugänglich und sie hatten deshalb alle Gingivitis. 11 % der Teepflücker zeigten trotz jahrelang bestehender Gingivitis keine parodontalen Attachmentverluste, das heißt, sie entwickelten keine Parodontitis, während 81 % nur mäßige parodontale Zerstörungen entwickelten. Nur bei 8 % von ihnen kam es zu früh einsetzenden und rasch fortschreitenden Parodontitisverläufen mit erheblichen Gewebezerstörungen und Zahnverlust. Woran liegt es, dass bei mikrobieller Exposition zwar alle Menschen eine Gingivitis ausbilden, sich aber nur bei wenigen schwere Formen von Parodontitis entwickeln?

2.1 Prädisponierende Faktoren (lokal)

2.1.1 Der orale Biofilm (die mikrobielle Plaque)

Die Vielfältigkeit der mikrobiellen Besiedlung der Mundhöhle zu beschreiben, ist nicht ganz einfach. Mit modernen Verfahren (16S-rRNS-Sequenzierung) können sogenannte Taxa (Mehrzahl von Taxon: Gruppe von Lebewesen als Einheit innerhalb der biologischen Systematik, z. B. Bakterienart) unterschieden werden, innerhalb derer eine 98,5%ige genetische Übereinstimmung besteht. Um feststellen zu können, ob diese Taxa gemeinsame und sich von anderen Taxa unterscheidende Eigenschaften (Phänotyp) aufweisen, müsste man diese Mikroorganismen kultivieren können (im Labor in einer Petrischale oder Nährflüssigkeit züchten). Bisher sind aber nur etwa knapp 50 % aller in der Mundhöhle nachgewiesenen Mikroorganismen (Taxa) kultivierbar. Es ist daher nicht sicher, dass alle Taxa mit 98,5%iger 16S-rRNS-Übereinstimmung auch Arten wie beispielsweise Porphyromonas gingivalis sind. Auf der aktuell verfügbaren Datenbasis kann man sagen, dass das mikroökologische System der Mundhöhle, das orale Mikrobiom, aus etwa 700 verschiedenen Taxa/Arten besteht, von denen etwa 100 oder mehr aus der Mundhöhle einzelner Personen isoliert werden können. Einige davon sind dazu in der Lage, die Zahnoberflächen zu besiedeln, sich auf diesen zu vermehren und auf diese Weise den Boden für eine Besiedlung durch weitere Mikroorganismen zu bereiten. Der sich so bildende Belag wird als Biofilm (dentale Plaque oder bakterielle Plaque) bezeichnet.

Die Zahnoberfläche besteht aus Hartsubstanzen, die sich nicht erneuern können. Anders als die von Epithel bedeckten Oberflächen des Körpers können die Zähne ihre oberflächlichen Schichten deshalb nicht mit den daran anhaftenden Mikroorganismen abstoßen bzw. abschilfern. Gingivitis und Parodontitis sind daher geprägt durch entzündliche und immunologische Reaktionen auf die Bakterien der Mundhöhle und insbesondere den Teil, der die Zahnoberflächen besiedelt bzw. sich nach subgingival ausbreitet. Diese entzündlichen Reaktionen sind zum einen klinisch sichtbar (z. B. Rötung der Gingiva) und zum anderen histologisch (mikroskopische Untersuchung von Gewebeproben) nachweisbar. Grundsätzlich handelt es sich bei den entzündlichen und immunologischen Reaktionen der Gingiva um Abwehrmechanismen, die eine Ausbreitung und ein Eindringen der Mikroorganismen in den Körper verhindern sollen. Unter günstigen Bedingungen besteht ein Gleichgewicht (Homöostase) zwischen Mikroorganismen und Mensch: Die vorhandenen Bakterien verhindern die Ansiedlung oder das Überwuchern pathologischer Mikroorganismen (z. B. Candida albicans) und die Entzündungsreaktion bleibt niedrigschwellig (Eubiose). Externe (z. B. ineffektive Mundhygiene, Ernährung, Rauchen, exogene Infektion) und interne (z. B. genetische oder Stoffwechselstörungen) Einflüsse können zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Biofilms führen, die in einer chronischen oder nicht mehr auflösbaren Entzündung resultieren (Dysbiose). Kommen Fehlregulationen der Abwehrmechanismen hinzu, kann es aber auch zu Gewebezerstörungen kommen.

2.1.2 Mikrobielle Besiedlung oder die Entstehung des Biofilms

Die Besiedlungsabfolge von Zahnoberflächen und den Oberflächen anderer Festkörper (z. B. Implantate, Füllungsmaterialien) in der Mundhöhle ist gleichartig, unabhängig von deren Rauigkeit, Oberflächenenergie und Ladung. Wird ein fester Körper in die Mundhöhle eingebracht oder seine Oberfläche, z. B. die eines Zahnes, perfekt gereinigt, beginnt unmittelbar danach ein Niederschlag von nicht in Wasser löslichen (hydrophoben) Substanzen und großen Molekülen auf der Oberfläche. Es handelt sich dabei vor allem um aus dem Speichel stammende große Verbindungen (Makromoleküle) aus Zuckern und Eiweißen (Glykoproteine), sogenannte Mucine (Schleimstoffe), und um Antikörper, die gemeinsam einen Film bilden, der als erworbenes Pellikel bezeichnet wird. Das Pellikel verändert sowohl die Energie als auch die Ladung der Schmelzoberfläche und erleichtert die Anheftung von Bakterien. Einige Mikroorganismen verfügen über spezifische Anheftungsmechanismen. Sie können sich der Oberfläche schnell mittels extrazellulärer (außerhalb der Bakterienzellen) Makromoleküle oder über fühlerartige Fortsätze (Fimbrien) anheften. Zu den frühen (primären) Kolonisierern gehören überwiegend grampositive Kokken (kugelförmige Bakterien), die auch mit wenig (mikroaerophil) oder ohne Sauerstoff überleben können (fakultativ anaerob). In den ersten 24 Stunden nach Beginn der Biofilmbildung können überwiegend (70 bis 100 %) Streptokokken festgestellt werden (Abb. 2-1). Hinzu kommen grampositive Stäbchen und Filamente, insbesondere Actinomyceten. Die erste Veränderung ist die Zunahme gramnegativer Kokken und Stäbchen in den ersten beiden Tagen1. Die Anheftung von Bakterien an eine feste Oberfläche verändert deren Verhalten. Das Volumen des Biofilms nimmt durch Vermehrung, Anheftung neuer Bakterien und Produktion extrazellulärer Polysaccharide (große Zuckerverbindungen) zu.

Nach etwa 2 bis 4 Tagen erscheinen die sogenannten sekundären Kolonisierer: gramnegative Bakterien (z. B. Fusobacterium) (Abb. 2-1). Strukturen auf den Oberflächen der primären Kolonisierer (Rezeptoren) ermöglichen ihnen die Anheftung (interbakterielle Aggregation). Der Anteil gramnegativer Bakterien steigt und die Plaque nimmt an Komplexität/Diversität (Vielfalt) zu. Die ursprünglich vorherrschenden grampositiven Kokken und Stäbchen machen jetzt nur noch etwa 50 % der Mikroorganismen aus1. Durch die zunehmende Schichtdicke wird die Diffusion (Ausbreitung von Stoffen) in und aus dem Biofilm erschwert. Der rasche Sauerstoffverbrauch (Verstoffwechselung) durch die Mikroorganismen in den oberflächlichen Schichten erzeugt unterschiedliche Sauerstoffkonzentrationen. Die Konzentration des Sauerstoffs nimmt mit zunehmender Tiefe ab, was zu anaeroben Bedingungen in der Tiefe des Biofilms führt. Gleichzeitig nimmt die Menge der bakteriellen Stoffwechselprodukte in den tiefen Schichten zu.

Mit zunehmend anaeroben Verhältnissen in der Tiefe des Biofilms lassen sich nach 5 bis 9 Tagen Spirillen und nach bis zu 15 Tagen Spirochäten nachweisen (Abb. 2-1)1. Der Grad der Organisiertheit des Biofilms nimmt zu und es kommt zur Zusammenlagerung bestimmter Bakterien, wie den Maiskolben-Formationen aus fadenförmigen Bakterien, um die herum sich Kokken anlagern. Es kann zu Wechselwirkungen zwischen den Bakterien kommen. Einerseits können die Stoffwechselprodukte bestimmter Mikroorganismen Nahrung (Wachstumsfaktoren) für andere Bakterien sein, andererseits können sich Mikroorganismen durch Bakteriozine (antimikrobielle Substanzen, die von Mikroorganismen gebildet werden) gegenseitig verdrängen. Antibiotika stammen von diesen „chemischen Kampfstoffen“ ab, mit denen sich Mikroorganismen gegenseitig bekämpfen. So stammen beispielsweise die Penicilline vom Schimmelpilz Penicillium notatum ab.

Mit zunehmender Schichtdicke können auch andere Nährstoffe aus dem Speichel nur noch schwer bis in die tieferen Schichten eindringen/diffundieren, die für die Mikroorganismen der supragingivalen Plaque von großer Bedeutung sind. In tiefen parodontalen Taschen stammen die Wachstumsfaktoren für die Plaquebakterien aus der Sulkusflüssigkeit und dem Blut sowie aus dem parodontalen Gewebe. Viele der aus tiefen parodontalen Taschen isolierten Mikroorganismen sind in der Lage, Enzyme (z. B. bakterielle Kollagenase) zu bilden, die körpereigene Verbindungen (Makromoleküle) in einfache Bestandteile spalten. Dadurch sind diese Enzyme einer der Faktoren, die zur Zerstörung parodontaler Gewebe beitragen können. Der Aufbau des Biofilms erschwert nicht nur die Diffusion von Wachstumsfaktoren in die bakterielle Plaque, sondern bildet auch einen wirksamen Schutz gegen körpereigene Abwehrmechanismen (z. B. Antikörper) oder antibakterielle Medikamente (z. B. Mundspüllösungen, Antibiotika).

2.1.2.1 Extrazelluläre Polysaccharide

Der Biofilm besteht aber nicht nur aus Mikroorganismen. Diese machen etwa 70 bis 80 % der Biofilmmasse aus. Die Mikroorganismen sind eingebettet in eine Matrix von großen Molekülen. Aus kleinen Zuckermolekülen wie Traubenzucker (Glukose) können Bakterien extrazelluläre Makromoleküle (Polysaccharide) wie Glukan (z. B. Mutan) bilden, aus denen unter anderem diese Matrix gebildet wird, die einen wichtigen Anheftungsmechanismus des Biofilms an die Zahnoberfläche darstellt. So ist Mutan schwer wasserlöslich und sehr klebrig. Die großen Zuckermoleküle bilden somit einen wesentlichen Teil des Biofilms (Struktur-Polysaccharide) und dienen zugleich als Nahrung für andere Bakterien des Biofilms (Speicher-Polysaccharide).

Unter Biofilm versteht man eine organisierte Ansammlung von Mikroorganismen, extrazellulären bakteriellen Makromolekülen und Produkten des umgebenden Mediums (z. B. des Speichels oder der Sulkusflüssigkeit) auf festen Oberflächen (z. B. Zähnen, aber auch Schiffsrümpfen, künstlichen Herzklappen, Wasserleitungen usw.). Die bakterielle Plaque der Mundhöhle ist eine spezielle Form von Biofilm. Die Entstehung von Biofilmen ist ein Phänomen, das sich überall auf festen Oberflächen in bakteriell besiedelten wässrigen Lösungen beobachten lässt.

2.1.3 Die gingivale Entzündung

2.1.3.1 Gesunde Gingiva

Klinisch entzündungsfreie, gesunde Gingiva hat eine feste Konsistenz. Der Gingivarand verläuft girlandenförmig, die Papillen füllen die Interdentalräume aus und bluten bei Sondierung nicht. Bei hellhäutigen Menschen ist entzündungsfreie Gingiva rosa, bei dunkelhäutigen Menschen finden sich häufig melaninpigmentierte Areale (Abb. 2-2). Wenn man sich die Gewebe auf zellulärer Ebene anschaut, stellt sich die Situation vielschichtiger dar. Bei völliger Entzündungsfreiheit finden sich keine bzw. nur vereinzelte Entzündungszeichen; man spricht von gesunder Gingiva. Das Saumepithel haftet der Zahnoberfläche über Hemidesmosomen an. Auch bei normaler Gingiva finden sich im Saumepithel vereinzelte weiße Blutzellen (Leukozyten: neutrophile Granulozyten, Makrophagen u. a.) (Abb. 2-3, Tab. 2-1