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Moderate bis schwere Parodontalerkrankungen betreffen die Hälfte der jüngeren Erwachsenen und zwei Drittel der jüngeren Senioren (DMS V). Trotz abnehmender Prävalenz ist durch die demografische Entwicklung und die Altersabhängigkeit der Erkrankung mit einem steigenden Behandlungsbedarf zu rechnen. Früherkennung, Prävention und effektive Therapie sind daher unverzichtbarer Bestandteil des Spektrums jeder Zahnarztpraxis. Das Buch "PARODONTOLOGIE von A bis Z: Grundlagen für die Praxis" gibt einen kompakten Überblick über den klinischen Teil der Parodontologie. Von der Anatomie des Zahnhalteapparats über Ätiologie und Diagnostik der parodontalen Erkrankungen bis hin zu den verschiedenen Stufen (1. Biofilmkontrolle, Verhaltensänderung; 2. subgingivale Instrumentierung; 3. Chirurgische Therapie; UPT: unterstützende Parodontitistherapie) der Parodontitistherapie sowie zur plastischen Parodontalchirurgie werden alle wichtigen Fakten zusammengefasst und das jeweilige Vorgehen anhand von klinischen Beispielen und schematischen Abbildungen anschaulich dargestellt. Diese 2. Auflage vereint zahlreiche neue und komplett überarbeitete bzw. aktualisierte Beiträge; die Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände von 2018, die europäische (2020) sowie die auf Deutschland adaptierte klinische Leitlinie zur Therapie von Parodontitis der Stadien I, II und III (2021) wurden berücksichtigt.
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Peter Eickholz
PARODONTOLOGIE von A bis Z
Grundlagen für die Praxis
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
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© 2021 Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin
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Lektorat, Herstellung und Reproduktionen:
Quintessenz Verlags-GmbH, Berlin
ISBN: 978-3-86867-555-9
Für Anna, mit der ich seit 30 Jahren verheiratet bin
2013 erschien die erste Auflage von „PARODONTOLOGIE von A bis Z. Grundlagen für die Praxis“. Warum brauchen wir eine 2., überarbeitete Auflage? Nun, zum einen ist die 1. Auflage mittlerweile komplett abverkauft. Das allein wäre aber noch kein Grund für eine umfassende Überarbeitung. Wir hätten es uns einfach machen und das Buch von vor 8 Jahren nachdrucken können. Aber es hat sich in der Parodontologie in den letzten Jahren so viel getan, dass eine Überarbeitung nun sinnvoll und notwendig erschien, und sich eine Anschaffung dieser 2. Auflage auch für jeden lohnt, der die 1. schon hat!
Die European Federation of Periodontology (EFP) und die American Academy of Periodontology (AAP) haben gemeinsam nach 19 Jahren eine neue Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände erarbeitet und 2018 publiziert. Die Klassifikation löst die von 1999 ab und wurde von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DG PARO) übernommen. Die neue Behandlungsrichtlinie für die systematische Therapie von Parodontitis und anderen Parodontalerkrankungen, die Ende 2020 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) verabschiedet wurde und im Laufe des Jahres 2021 Gültigkeit bekommen wird, berücksichtigt diese Klassifikation bereits. Die gesamte 2. Auflage wurde hinsichtlich dieser Klassifikation von 2018 überarbeitet.
Im Jahr 2018 hat die DG PARO in der Systematik und unter Mitwirkung der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) 4 S3-Leitlinien, unter anderem zur adjuvanten Gabe systemischer Antibiotika bei subgingivaler Instrumentierung, veröffentlicht. Inspiriert durch diesen Leitlinienprozess hat die EFP in konsequenter Weiterentwicklung der Klassifikation von 2018 eine klinische Leitlinie zur Therapie von Parodontitis der Stadien I, II und III erarbeitet und 2020 publiziert. Die DG PARO hat diese europäische Leitlinie 2020 in einem von der AWMF begleiteten Adaptationsprozess unter Einbeziehung nationaler Fachgesellschaften und Interessengruppen (z. B. KZBV) auf die deutsche Situation übertragen. Die entsprechende Leitlinie wurde 2021 veröffentlicht. Die 2. Auflage wurde auch hinsichtlich dieser neuen Leitlinien komplett überarbeitet. Das Buch ist also hochaktuell!
Seit 2013 haben sich aber nicht nur Inhalte verändert. Es wurden nicht nur viele Glossare der Zeitschrift PARODONTOLOGIE, die in diesem Buch zusammengefasst sind, in diesen 8 Jahren aktualisiert, sondern es sind auch Themen hinzugekommen, sodass sich seit meinem Eintritt in die Redaktion der Zeitschrift PARODONTOLOGIE inzwischen 47 solcher thematisch zusammengestellten Glossare angesammelt haben. Die goldene Regel, mit nur 10 wesentlichen Literaturstellen für jedes Glossar auszukommen, die schon vor 8 Jahren schwer einzuhalten war, wurde verlassen und auf möglichst nicht mehr als 20 Referenzen erhöht. Aber auch das war nicht immer einzuhalten: Es gibt Themen, die sind nicht mit 20 Referenzen abzudecken. Ansonsten bleibt die 2. Auflage den Maximen des 1. Wurfs treu, Grundlagen darzustellen und sich nicht in ausschweifendem Für und Wider zu verlieren. Einzelne Leser werden vermutlich Themen vermissen, während sich andere möglicherweise an aus ihrer Sicht überflüssigem Detailwissen stören. Dennoch hoffe ich, dass auch die 2. Auflage von „PARODONTOLOGIE von A bis Z. Grundlagen für die Praxis“ dem parodontologisch interessierten Leser einen kompakten Überblick über den klinischen Teil der Parodontologie verschafft und gleichzeitig zur Unmissverständlichkeit für eine sichere Kommunikation mit Kollegen, aber auch Patienten beiträgt.
Prof. Dr. Peter Eickholz,
Frankfurt am Main, Februar 2021
Herrn Wolters, dem damaligen Leiter des Quintessenz Verlages, gebührt immer noch Dank für seine Idee, aus den einzelnen Glossaren ein Buch zusammenzustellen, und für seine Hartnäckigkeit, mit der er mich immer wieder an die Realisierung der 1. Auflage erinnert hat. Jetzt ist sogar eine 2. Auflage fertig und gedruckt und ich bin umso mehr sehr froh, dass er vor 10 Jahren nicht lockergelassen hat.
Großer Dank gebührt meiner erklärten Lieblingslektorin Frau Anita Hattenbach. Sie hat die Zeitschrift PARODONTOLOGIE und damit das „Glossar der Grundbegriffe für die Praxis“ in den vergangenen 8 Jahren immer wieder vertretungsweise betreut und ist deshalb sehr gut im Thema drin. Viel bedeutsamer für die 2. Auflage aber war ihr sorgfältiger und überaus kritischer Blick als Lektorin auf die einzelnen Beiträge, von denen manche wie Ping-Pong-Bälle zwischen unseren Computern hin und her gesprungen sind, bis sie ins Buch durften.
Auch Frau Dr. Marina Rothenbücher möchte ich danken, die, seitdem Herr Wolters als Verlagsleiter in den Ruhestand gegangen ist, im Hause Quintessenz die Zeitschriften und damit auch die PARODONTOLOGIE betreut. Schließlich darf im Hause Quintessenz Frau Ina Steinbrück nicht vergessen werden, die mit großer Routine und Geduld für das perfekte Layout und die Umsetzung von Änderungswünschen sorgt.
Großer Dank gilt natürlich all meinen Mitautoren, ohne deren Ideen für Themen und deren konsequente Umsetzung in Manuskripte es mir nicht gelungen wäre, alle 3 Monate ein Glossar für die PARODONTOLOGIE parat zu haben. Viele Mitautoren waren oder sind als Mitarbeiter in der Poliklinik für Parodontologie der ZZMK der Goethe-Universität Frankfurt am Main tätig. Ohne die enge und gut geölte Zusammenarbeit von Zahnärzten und ZFAs/DHs hätten die Unterlagen, die in die Beiträge des Buches Eingang gefunden haben, schwerlich erstellt werden können.
So ist denn dieses Buch das Ergebnis einer sehr erfreulichen und ausgezeichneten Zusammenarbeit auf vielen Ebenen.
Was ist eigentlich ein Glossar? Der Hobbyethymologe erkennt den griechischen Wortstamm „glossa“ für Zunge, Sprache, fremdartiges Wort. Im ursprünglichen Sinne ist ein Glossar eine Art Wörterbuch, das die entsprechenden Begriffe zweier Sprachen gegenüberstellt. Ein fachsprachliches Glossar listet die Terminologie einer Fachsprache mit den entsprechenden Definitionen auf. Ein solches Glossar soll den richtigen Gebrauch von Fachausdrücken ermöglichen und so Unmissverständlichkeit herstellen. Das „Glossar der Grundbegriffe für die Praxis“ in der Zeitschrift PARODONTOLOGIE hatte sich zum Ziel gesetzt, genau dies zu leisten: Die Grundbegriffe der Parodontologie sollten erläutert werden. Dabei wurde keine alphabetische Reihenfolge, sondern eine thematische Zuordnung gewählt: Die einzelnen Beiträge arbeiteten bestimmte Themen (z. B. Diagnostik, periimplantäre Erkrankungen) auf und erläuterten im jeweiligen Kontext die Grundbegriffe. Es sollten möglichst etablierte, unstrittige Fakten kurz und bündig dargestellt werden; Grundbegriffe eben. Jeder Beitrag sollte mit nicht mehr als 10 wesentlichen Literaturstellen auskommen.
So haben sich seit meinem Eintritt in die Redaktion der Zeitschrift PARODONTOLOGIE mehr als 30 solcher thematisch zusammengestellten Glossare angesammelt, die schließlich einen wesentlichen Teil der klinischen Parodontologie knapp und übersichtlich abbilden. So ist der Gedanke entstanden, die einzelnen Artikel als Kapitel eines Buches zusammenzustellen. Es ist nicht immer gelungen, die Obergrenze von 10 wesentlichen Literaturstellen einzuhalten, und es gibt Themen, die einerseits wichtig sind, aber zu denen es andererseits keine etablierten, unstrittigen Fakten gibt (z. B. unterstützende Antibiotikatherapie). Außerdem stellt sich die Frage, wo die Grundbegriffe aufhören und das erweiterte Wissen beginnt. Das bedeutet, dass einzelne Leser vermutlich Themen/Grundbegriffe vermissen werden, während sich andere möglicherweise an aus ihrer Sicht überflüssigem Detailwissen stören werden. Ich hoffe dennoch, dass „PARODONTOLOGIE von A bis Z. Grundlagen für die Praxis“ dem parodontologisch interessierten Leser einen kompakten Überblick über den klinischen Teil der Parodontologie verschafft und so zur Unmissverständlichkeit für eine sichere Kommunikation mit Kollegen, aber auch Patienten beiträgt.
Prof. Dr. Peter Eickholz,
Frankfurt a. M., September 2012
Dr. med. dent. Talal Aldiri
Poliklinik für Parodontologie
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum)
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main
und
A1 Zahnarztpraxis
Opernplatz 4, 60313 Frankfurt am Main
Dr. med. dent. Frédéric Baron
13 en Chaplerue, 57000 Metz, Frankreich
Prof. Dr. med. dent. Bettina Dannewitz
Poliklinik für Parodontologie
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
(Carolinum)
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main
und
Zahnärztliche Gemeinschaftspraxis
Dres. Dannewitz & Glass
Langgasse 36−38, 35781 Weilburg
Dr. med. dent. Thomas Eger
Abteilung XXIII Zahnmedizin-Parodontologie
Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz
Rübenacherstraße 170, 56072 Koblenz
Prof. Dr. med. dent. Peter Eickholz
Poliklinik für Parodontologie
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum)
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main
Dr. med. Christa Flechtenmacher
Pathologisches Institut der Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 220, 69120 Heidelberg
Dr. med. dent. Yuri Glass
Zahnärztliche Gemeinschaftspraxis
Dres. Dannewitz & Glass
Langgasse 36–38, 35781 Weilburg
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Ti-Sun Kim
Klinik für Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten
Poliklinik für Zahnerhaltungskunde
Sektion Parodontologie
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg
Dr. med. dent. Filip Klein
Zahnarztpraxis G3
Goethestraße 3, 60313 Frankfurt am Main
Dr. med. dent. Diana Krigar
Dr. Krigar & Partner
Schlosskirschenweg 24, 69124 HeidelbergKirchheim
Dr. med. dent. Matthias Mayer, MSD
Arndtstraße 14, 60325 Frankfurt am Main
Prof. Dr. med. dent. Jörg Meyle
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Poliklinik für Parodontologie
Justus-Liebig-Universität Gießen
Schlangenzahl 14, 35392 Gießen
PD Dr. med. dent. Katrin Nickles, M.Sc.
Poliklinik für Parodontologie
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum)
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main
Dr. med. dent. Hari Petsos, M.Sc.
Poliklinik für Parodontologie
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
(Carolinum)
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main
Prof. Dr. med. dent. Bernadette Pretzl
Klinik für Mund-, Zahn- und Kieferkrankheiten
Poliklinik für Zahnerhaltungskunde
Sektion Parodontologie
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg
Dr. med. dent. Christoph A. Ramseier
Klinik für Parodontologie
Universität Bern
Freiburgstrasse 7, 3010 Bern, Schweiz
Dr. med. dent. Matthias Roßberg
Rheinstr. 20, 64283 Darmstadt
Dr. med. dent. Beate Schacher
Poliklinik für Parodontologie
Zentrum der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (Carolinum)
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7, 60596 Frankfurt am Main
Dr. med. dent. Susanne Scharf, M.Sc.
Zahnarztpraxis Dr. Scharf & Dr. Lagan
Burkhardtstraße 13, 64342 Seeheim-Jugenheim
Dr. med. dent. Isabel Simon
Dr. Krigar & Partner
Schlosskirschenweg 24, 69124 HeidelbergKirchheim
Dr. med. Dr. med. dent. Oliver Thiele
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie
Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 400, 69120 Heidelberg
Prof. Dr. med. dent. Clemens Walter
Klinik für Parodontologie, Endodontologie und Kariologie
Universitäres Zentrum für Zahnmedizin Basel (UZB)
Mattenstrasse 40, 4058 Basel, Schweiz
Dr. med. dent. Kay-Arne Walther
Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
Poliklinik für Parodontologie
Justus-Liebig-Universität Gießen
Schlangenzahl 14, 35392 Gießen
Dr. med. dent. Martin Wohlfeil
Lågenvegen 15 E, 2615 Lillehammer
Norwegen
Vorwort zur 2. Auflage
Danksagungen
Vorwort zur 1. Auflage
Autorenverzeichnis
Anatomie
1 Anatomie des Parodonts
2 Die Zunge: Morphologie und Funktion
Ätiologie
3 Gingivitis
4 Parodontitis
5 Gingivawucherungen
6 Parodontitis als Symptom von Syndromerkrankungen
7 Endodontal-parodontale Läsionen
8 Gingivale Rezessionen
Diagnostik
9 Klassifikation der parodontalen und periimplantären Erkrankungen und Zustände
10 Diagnostische Tests und ihre Eigenschaften
11 Klinische Plaque- und Entzündungsparameter
12 PSI und Sondierungsparameter
13 Furkationsdiagnostik
14 Zahnbeweglichkeit
15 Röntgendiagnostik und -techniken in der Parodontologie
16 Mikrobiologie
17 Gingivale Rezessionen: Befunderhebung und Dokumentation
18 Halitosis
19 Gewebebiopsien der Mundschleimhaut
20 Die Zunge: Normvarianten und pathologische Veränderungen
Therapie
Parodontitistherapie Stufe 1: individuelle Plaquekontrolle, Verhaltensänderung
21 Motivierende Gesprächsführung in der Parodontologie
22 Tabakprävention und -entwöhnung in der Zahnarztpraxis
23 Hilfsmittel zur individuellen Mundhygiene und deren Anwendung
Parodontitistherapie Stufe 2: subgingivale Instrumentierung
24 Instrumentierung der Zahnoberfläche
25 Systemische Antibiotika in der parodontalen Therapie
26 Medikamententräger für die topische subgingivale Applikation von Antiseptika und Antibiotika
Parodontitistherapie Stufe 3: chirurgische Parodontitistherapie
27 Offene Kürettage und Kirkland-Lappen
28 Modifizierter Widman-Lappen und distale Keilexzision
29 Resektive Furkationstherapie: Wurzelamputation, Trisektion, Hemisektion
30 Resektive Furkationstherapie: Tunnelierung, Prämolarisierung, Extraktion, palliative Furkationstherapie
31 Regenerative Parodontaltherapie: Das biologische Prinzip der gesteuerten Geweberegeneration
32 Regenerative Parodontaltherapie: Indikationen
33 Regenerative Parodontaltherapie: Membrantypen – nichtresorbierbar und biologisch abbaubar
34 Regenerative Parodontaltherapie: Bioaktive Wirkstoffe – Differenzierungs- und Wachstumsfaktoren, Schmelzmatrixprotein
35 Papillenerhaltungslappen: klassisch, modifiziert und vereinfacht
36 Minimalinvasive chirurgische Technik (MIST) und modifizierte MIST
37 Knochentransplantate und Knochenersatzmaterialien in der regenerativen Parodontalchirurgie
Plastische Parodontalchirurgie
38 Korrektur von Lippen- und Wangenbändchen
39 Freies Schleimhauttransplantat
40 Bindegewebstransplantat (Envelope-Technik)
41 Koronaler Verschiebelappen
42 Gingivawucherungen
43 Die chirurgische Kronenverlängerung
44 Die flexible Gingivaepithese: Indikationen und Herstellung
Unterstützende Parodontitistherapie (UPT)
45 Ziele und Inhalte der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT)
46 Individuelles Parodontitisrisiko und Bestimmung der UPT-Intervalle
Periimplantäre Erkrankungen
47 Periimplantäre Erkrankungen: Diagnostik und Therapie
Stichwortverzeichnis
Die Zähne als solche bestehen zum einen aus Schmelz und Dentin und zum anderen aus dem das Pulpakavum ausfüllenden Pulpagewebe. Obwohl das Wurzelzement innig mit dem Dentin und z. T. der Schmelzoberfläche verbunden ist, stellt es definitionsgemäß einen Teil des Parodonts dar. Der Zahnhalteapparat, das Parodont, besteht aus vier Geweben: der Gingiva, dem Desmodont, dem Wurzelzement und dem Alveolarknochen. Der letztere besteht aus dem eigentlichen Alveolarknochen, der mit der Lamina cribriformis der Alveole gleichzusetzen ist, und dem Alveolarfortsatz (Abb. 1). Desmodont, Wurzelzement und eigentlicher Alveolarknochen entstammen als ektomesenchymale Gewebe dem Zahnsäckchen. Herkunftsmäßig ist Epithelgewebe uneinheitlich, da alle embryonalen Keimblätter in der Lage sind, Epithelgewebe zu bilden. Das Epithel der Mundschleimhaut ist zum Teil ektodermaler (Lippen, Vestibulum, Gingiva, Wangen, Gaumen, Mundboden) und zum Teil entodermaler (Zunge) Herkunft. Das Parodont verfügt über Rezeptoren, die Schmerz, taktile Reize und Druck übertragen. Die Funktion des Parodonts besteht zum einen darin, den Zahn im Kiefer zu verankern und zum anderen das aseptische Ökosystem der inneren Gewebe von der bakteriell kontaminierten Mundhöhle abzuschirmen1,2.
Abb. 1 Das Parodont als funktionelle Einheit besteht aus vier Geweben: der Gingiva propria, dem Desmodont, dem Wurzelzement und dem eigentlichen Alveolarknochen, der mit der Lamina cribriformis der Alveole gleichzusetzen ist.
Die Gingiva ist ein Bestandteil der Mundschleimhaut. Sie umschließt als epitheliale Manschette (Saumepithel, „junctional epithelium“) den Zahnhals und heftet sich der Zahnoberfläche an (Epithelansatz). Auf diese Weise wahrt die Gingiva die Kontinuität der epithelialen Auskleidung der Mundhöhle. Darüber hinaus bedeckt die Gingiva die koronalen Abschnitte des Alveolarfortsatzes (Abb. 2).
Abb. 2 Gesunde Gingiva. Die Gingiva wird koronal durch den Gingivasaum (Limbus gingivae, blaue Linie) begrenzt und geht vestibulär an der mukogingivalen Grenze (Linea girlandiformis, weiße Linie) in die Alveolarmukosa über. Die mukogingivale Grenze kann mithilfe Schiller‘scher Jodlösung dargestellt werden.
Die Gingiva wird koronal durch den Gingivasaum (Limbus gingivae) und apikal durch verschiedene Abschnitte der Mundschleimhaut begrenzt. Vestibulär geht die Gingiva an der mukogingivalen Grenze (Linea girlandiformis) in die Alveolarmukosa über. Lingual besteht eine ähnliche Begrenzung zwischen Gingiva und Mundbodenschleimhaut. Palatinal geht die Gingiva ohne Begrenzung in die Schleimhaut des harten Gaumens über. Die Gingiva besteht aus epithelialen und bindegewebigen Anteilen (Lamina propria), sowie Nerven und Gefäßen. Die Lamina propria ist ein faserreiches Gewebe, dabei dominieren kollagene Fibrillen, die sich zu Faserbündeln gruppieren. Dabei kann man histologisch zwei Schichten im gingivalen Bindegewebe unterscheiden, das zwischen den Retezapfen des Epithels befindliche Stratum papillare sowie dem Stratum reticulare, das zwischen Stratum papillare und dem Periost des Alveolarknochens liegt. Die Gingiva besteht ferner aus zwei sich in Struktur und Funktion unterscheidenden Epitheltypen: dem Saumepithel und dem oralen Sulkus- sowie Gingivaepithel. Bei dem oralen Sulkus- bzw. Gingivaepithel handelt es sich um ein 0,2 bis 0,3 mm dickes mehrschichtiges zumeist para- bzw. keratinisiertes Plattenepithel, das über Retezapfen mit dem Stratum papillare der Lamina propria verzahnt ist (Abb. 3). Dieses Epithel ist widerstandsfähig gegen mechanische Belastungen und relativ undurchlässig für Bakterien und deren Produkte1. Das orale Sulkusepithel bildet die gingivale Begrenzung des Sulcus gingivae, dem koronalen Abschnitt der dentogingivalen Berührungsfläche, in dem kein epitheliales Attachment besteht. Der Sulcus gingivae hat einen V-förmigen Querschnitt und gestattet das ungehinderte Eindringen einer Parodontalsonde. Unter idealen Bedingungen, die nur experimentell bei keimfreien Versuchstieren oder nach einer Phase intensivster Plaquekontrolle dargestellt werden können, ist die koronoapikale Ausdehnung des Sulcus gingivae 0 oder nahe 0 mm. Unter klinisch normalen Verhältnissen beim Menschen findet man mittlere Sulkustiefen von etwa 2 mm.
Abb. 3 Das orale Gingivaepithel bedeckt die vestibulären und oralen Oberflächen der marginalen Gingiva und besteht aus vier Schichten: Stratum basale (Basalzellschicht), Stratum spinosum (Stachelzellschicht), Stratum granulosum (Körnerzellschicht) und Stratum corneum (Hornschicht).
Das Saumepithel bildet den von außen nicht sichtbaren epithelialen Teil der freien Gingiva und umschließt den Zahnhals wie eine ringförmige Manschette und bildet den Epithelansatz, bzw. das epitheliale Attachment am Zahn aus. Der Epithelansatz stellt den koronalen Anteil der dentogingivalen Verbindung dar, also der Zone, in der sich extraalveoläre Zahnoberfläche und Gingiva berühren3. Der apikal gelegene Anteil der dentogingivalen Verbindung wird von gingivalen Bindegewebsfasern ausgeformt, die in supraalveoläre Anteile des azellulären Fremdfaserzements einstrahlen und somit ein bindegewebiges Attachment bilden (Abb. 4)3. Der supraalveoläre Faserapparat sorgt dafür, dass die Gingiva wie eine straffe Manschette um den Zahn herum anliegt und sichert sie gegen Abscherkräfte. Beim Sondieren der Sulkustiefe mit einer definierten Kraft verhindern diese Fasern das tiefere Vordringen der Sonde nach apikal. Infolge der entzündlichen Abwehrreaktionen des Körpers auf die bakterielle Plaque werden Kollagenfasern des Faserapparats abgebaut und die Sonde kann beim Sondieren, trotz gleicher Kraft, tiefer in das Bindegewebe eindringen.
Abb. 4 Die Verbindung der Gingiva besteht aus zwei Anteilen: dem Saumepithel, als epithelialen Anteil, und dem supraalveolären Faserapparat, als bindegewebigen Teil. Zusammen mit dem Sulkus bilden diese Teile den sogenannten dentogingivalen Komplex. Das epitheliale und bindegewebige Attachment der Gingiva ohne den Sulkus bezeichnet man als suprakrestales Attachment (früher „biologische Breite“).
Im Idealfall liegt die Grenze zwischen epithelialem und bindegewebigem Attachment auf Höhe der Schmelz-Zement-Grenze (SZG). Es werden jedoch bei intaktem, klinisch gesundem Parodont Lokalisationen dieser Epithel-Bindegewebe-Grenze von etwa 1 mm koronal bzw. apikal der SZG gefunden3. Das Saumepithel entwickelt sich während des Zahndurchbruchs aus dem reduzierten Schmelzepithel, kann sich aber de novo nach vollständiger Entfernung, z. B. im Zuge einer Gingivektomie, aus jedem Typ oralen Plattenepithels differenzieren. Es erreicht eine koronoapikale Ausdehnung von bis zu 2 mm, ist etwa 100 µm dick und verjüngt sich in koronoapikaler Richtung: 15 bis 30 Zellen an der koronalen, etwa 3 an der apikalen Begrenzung3.
Im Unterschied zu anderen mehrschichtigen Plattenepithelien in der Mundhöhle besteht es nur aus zwei Schichten, dem mitotisch aktiven (teilungsfähigen) Stratum basale und dem mitotisch inaktiven Stratum suprabasale (Tochterzellen) (Abb. 5). Das Saumepithel ist über Hemidesmosomen und eine Basallamina (externe Basallamina) mit dem subepithelialen Bindegewebe verbunden. Die Epithel-Bindegewebsgrenzfläche weist normalerweise einen geraden Verlauf auf. Eine Verzahnung über Retezapfen findet sich nicht. Zum Zahn sind die Zellen über die interne Basallamina abgegrenzt. Das epitheliale Attachment an der Zahnoberfläche beruht auf dem biologischen Prinzip, dass Epithelzellen, die mit einem nichtepithelialen Substrat in Kontakt geraten, eine Basallamina bilden und sich dieser über Hemidesmosomen anheften. Bei Krafteinwirkung auf den Gingivarand oder Einführung einer Parodontalsonde kommt es eher zu Zerreißungen und Spalten im Saumepithel als zu einer Ablösung von der Zahnoberfläche3.
Abb. 5 Das Saumepithel besteht aus zwei Schichten, dem teilungsfähigen Stratum basale und dem Stratum suprabasale. Zum Zahn sind die Zellen über die interne und zum Bindegewebe über die externe Basallamina abgegrenzt. Das gesunde Saumepithel ist mit dem angrenzenden Bindegewebe nicht verzahnt und die Epithel-Bindegewebsgrenzfläche weist normalerweise einen geraden Verlauf auf.
Die interzellularen Spalten des Saumepithels ermöglichen eine auswärts wie einwärts gerichtete Diffusion. Die Erneuerungsrate (turn-over) des Saumepithels beträgt mit 4 bis 6 Tagen nur die Hälfte des oralen Gingivaepithels (ca. 6 bis 12 Tage). Die freie Oberfläche des Saumepithels findet sich am Boden des gingivalen Sulkus bzw. des interdentalen Cols. Nur dort findet die Abschilferung der Zellen statt (Exfoliationsfläche). Die Regenerationsfläche des Stratum basale ist aber wesentlich größer als diese Abschilferungsfläche. Dadurch findet am Sulkusboden eine intensive Exfoliation von Epithelzellen statt, was als unspezifischer Abwehrmechanismus das Eindringen von Bakterien und Schadstoffprodukten aus dem Sulkus erschwert und deren Abtransport aus dem Sulkus begünstigt. Darüber hinaus finden sich in den interzellulären Räumen neutrophile Granulozyten, Monozyten/Makrophagen und Lymphozyten. Auch bei klinisch normalen Verhältnissen findet eine ständige Migration neutrophiler Granulozyten von apikal nach koronal statt, deren Ausmaß bei Entzündung und mit deren Grad zunimmt. Damit kommt dem Saumepithel die Funktion der peripheren Abwehr parodontaler Infektionen zu. Passiv in das Saumepithel diffundierende Bakterien können so erkannt, opsoniert und phagozytiert werden.
Das Desmodont oder parodontale Ligament ist ein zellhaltiges, nichtmineralisiertes, überwiegend aus Kollagenfasern bestehendes Gewebe, das die Stabilisierung des Zahns im Kieferknochen vermittelt, indem es Wurzelzement auf der einen Seite und den eigentlichen Alveolarknochen auf der anderen Seite verbindet (Abb. 6). Das Desmodont stellt ein Reservoir von Zellen (Zementoblasten, Osteoblasten) dar, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung des Alveolarknochens und des Wurzelzements erforderlich sind. Zellen die diese mineralisierten Gewebe abbauen (Zementoklasten, Osteoklasten) finden sich ebenfalls im Desmodont. Sie spielen eine Rolle im stetigen Umbau dieser Gewebe oder bei der Remodellierung im Rahmen der Wundheilung. Das Desmodont ist ein Reservoir für Progenitorzellen für Wurzelzement und Alveolarknochen. Der Ursprung dieser Progenitorzellen wird in mesenchymalen Zellen vermutet, die Blutgefäße im Zentrum des Desmodonts umgeben. Wenn diese Progenitorzellen in Richtung Zement oder Knochen wandern, differenzieren sie sich zu Wurzelzement- oder Knochenzellen1. Das Desmodont, nicht aber Gingiva, Zement oder Alveolarknochen, beherbergt auch Propriozeptoren, die Tiefensensibilität (Informationen über Bewegungen und Positionen) vermitteln. Die Zellkörper der sensorischen Nerven befinden sich im Ganglion semilunare und gehören dem sensorischen Anteil des N. trigeminus an. Die propriozeptiven Nerven haben ihr trophisches Zentrum im mehr zentral gelegenen Nucleus mesencephalicus. Der hohe Zellgehalt und die relativ hohe Umsatzrate seiner Bestandteile ermöglichen dem Desmodont einen schnellen Umbau. Dies ist die Grundlage für normale prä- und posteruptive wie auch orthodontische Zahnbewegungen2.
Abb. 6 Das Desmodont ist ein zellhaltiges, nichtmineralisiertes, überwiegend aus Kollagenfasern bestehendes Gewebe, welches das Wurzelzement auf der einen Seite und den eigentlichen Alveolarknochen auf der anderen Seite verbindet. Es stellt ein Reservoir von Zellen (Fibroblasten, Zementoblasten, Osteoblasten) dar.
Das Wurzelzement, das nahezu die gesamte nicht von Schmelz bedeckte Dentinoberfläche überzieht, verbindet das parodontale Ligament mit dem Zahn. Es lassen sich fünf Typen von Wurzelzement beim Menschen unterscheiden4 (Abb. 7):
Abb. 7 Das Wurzelzement verbindet das parodontale Ligament mit dem Zahn. Es lassen sich fünf Typen von Wurzelzement beim Menschen unterscheiden.
Das
azelluläre afibrilläre Zement
stellt eine homogene Matrix dar, die weder Fasern noch Zellen enthält. Es findet sich auf dem zervikalen Schmelz. Seine Funktion ist unbekannt
5
.
Das
azelluläre Fremdfaserzement
in reiner Form findet sich auf dem zervikalen und mittleren Wurzeldrittel
4
. Es enthält keine Zellen und sein Faseranteil (überwiegend Typ-I-Kollagen) entspringt annähernd vollständig dem Desmodont, sogenannte Fremd- oder Scharpey‘sche Fasern. Diese Fasern sind in eine mineralisierte Glykosamin-Glykan-Matrix eingebettet und verlaufen in etwa senkrecht zur Wurzeloberfläche. Die Hauptfunktion des azellulären Fremdfaserzements besteht in der Verankerung der Zähne. Während der Zahnentwicklung bedeckt die Hertwig‘sche Epithelscheide das neugebildete Wurzeldentin nicht, sodass Bindegewebszellen Zugang zur äußeren Dentinoberfläche haben. Die Bildung des azellulären Fremdfaserzements erfolgt in mehreren Phasen: Entlang der ersten 100 µm koronal der Wurzelwachstumsfront lagern sich fibroblastenähnliche Zellen der äußeren Oberfläche der nichtmineralisierten Dentinmatrix an. Entlang der nächsten koronalen 100 µm findet sich eine dünne Lage kollagener Fasern, die vertikal zur Dentinoberfläche orientiert sind und mit den Kollagenfasern der Dentinmatrix vernetzen. Erst nach Ausbildung dieser Durchwirkungs- und Vernetzungszone (Zone der Verzahnung) wird die spätere ZementDentin-Grenze mineralisiert
6
. Die Initiation der Bildung des azellulären Fremdfaserzements vollzieht sich während des Wurzelwachstums, also vor der Ausbildung des desmodontalen Faserapparats und vor der Bildung des zellulären Gemischtfaserzements
7
.
Das
zelluläre Eigenfaserzement
beinhaltet in etwa parallel zur Wurzeloberfläche orientierte überwiegend kollagene Fasern, welche die Zementmatrix nicht verlassen (Eigenfasern) und Zementozyten
8
. Die Zementmatrixbildung erfolgt beim zellulären Eigenfaserzement entlang der gesamten Oberfläche der Zementoblasten, also multipolar
9
. Es findet sich auf dem apikalen Wurzeldrittel und in Wurzelteilungsstellen sowie in Resorptionslakunen und an Frakturlinien
5
. Es trägt nicht zur Verankerung des Zahns im Knochen bei und hat vermutlich reparative Funktionen. Auch bei der initialen Bildung von zellulärem oder azellulärem Eigenfaserzement auf der äußeren Oberfläche der noch nicht mineralisierten Dentinmatrix kommt es zu einer innigen Vernetzung und Verflechtung von Kollagenfaserbündeln der Zement- und Dentinmatrix. Diese Verzahnungszone wird erst sekundär mineralisiert
8
.
Das
azelluläre Eigenfaserzement
enthält in etwa parallel zur Wurzeloberfläche orientierte überwiegend kollagene Fasern, welche die Zementmatrix nicht verlassen (Eigenfasern), und keine Zellen. Die Zementmatrixbildung erfolgt beim azellulären Eigenfaserzement nur entlang der zahnzugewandten Seite der Zementoblasten, also unipolar. Es konnte gezeigt werden, dass das appositionelle Wachstum dieser Zementvariante eine geringere Proliferationsrate als das zelluläre Eigenfaserzement hat. Es darf demnach angenommen werden, dass es sich hierbei um einen langsameren Zementbildungsmodus handelt. Weil das azelluläre Eigenfaserzement keine Fasern verlassen, trägt es nicht zur Verankerung des Zahns in der Alveole bei
9
. Es findet sich auf dem apikalen Wurzeldrittel sowie in Furkationen und trägt zur Adaptation der Wurzel bei
5
.
Das
zelluläre Gemischtfaserzement
besteht aus alternierenden Lagen von azellulärem Fremdfaserzement und azellulärem sowie zellulärem Eigenfaserzement
9
. Dabei ist davon auszugehen, dass diese Schichten in aufeinanderfolgenden, sich abwechselnden Phasen gebildet werden
10
. Es findet sich auf dem apikalen Wurzeldrittel und in den Furkationen mehrwurzeliger Zähne. Das zelluläre Gemischtfaserzement trägt zur Verankerung des Zahns im Knochen und zur Adaptation der Wurzeloberfläche bei.
Der eigentliche Alveolarknochen (Lamina cribriformis, „alveolar bone proper“) bildet die Wand der knöchernen Alveole und dient der Verankerung des Zahnes am Alveolarfortsatz. Die Lamina cribriformis besteht hauptsächlich aus Lamellenknochen mit Osteonen und interstitiellen Lamellen, aber es kann auch Bündelknochen gefunden werden. In ihn strahlen vertikal zur Oberfläche funktionell orientierte Desmodontalfasern ein (Scharpey‘sche Fasern). Zahnbewegungen vom Alveolarknochen weg führen zu einer Verbreiterung der Bündelknochenschicht, während Zellen endostalen Ursprungs zu einem Umbau des Bündelknochens in Lamellenknochen führen. Zahnbewegungen zum Knochen hin führen zu sich abwechselnden Phasen der Resorption und Bündelknochenneubildung. Der Alveolarfortsatz ist der Teil des Kieferknochens, der die Alveolen umgibt. Die Bildung des eigentlichen Alveolarknochens und möglicherweise auch von Teilen des Alveolarfortsatzes werden während der Zahnentstehung vom eigentlichen Zahnsäckchen induziert2.
Die Oberfläche der Lamina cribriformis ist von Desmodont bedeckt, das die Funktion des Periosts erfüllt. Progenitorzellen, die ihren Ursprung in undifferenzierten Mesenchymzellen in der unmittelbaren Umgebung von Blutgefäßen haben, wandern zum Knochen und differenzieren sich zu Osteoblasten. Osteoklasten haben ihren Ursprung in Monozyten aus dem Blutkreislauf1,2.
1. Listgarten MA, Lang NP, Schroeder HE, Schroeder A. Periodontal tissues and their counterparts around endosseous implants. Clin Oral Impl Res 1991;2:1–19.
2. Eickholz P. Konventionelle Parodontalchirurgie und gesteuerte Geweberegeneration (GTR) mit nicht-resorbierbaren und biologisch abbaubaren Barrieren – Eine vergleichende klinische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Reproduzierbarkeit und Validität der erhobenen Parameter bzw. verwendeten Meßverfahren. Berlin: Quintessenz, 1999.
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Die Zunge ist mit ihrer mikrorauen Oberfläche das größte Organ der Mundhöhle. Zu ihren Funktionen zählen das Schmecken, Tasten und Sprechen, die Selbstreinigung der Mundhöhle sowie die Nahrungsverteilung. Sofern eine dieser Funktionen aufgrund einer Veränderung der Zunge beeinträchtigt ist, empfinden dies viele Patienten als unangenehm und störend. Gründe für eine Funktionsstörung der Zunge können primäre pathologische Veränderungen und Normvarianten, aber auch sekundär auftretende Oberflächenveränderungen (z. B. nach Radiatio im Kopf-Hals-Bereich) sein. Aufgrund ihrer variablen Oberflächenbeschaffenheit bildet die Zunge einen optimalen Lebensraum für Mikroorganismen, welche einen Biofilm organisieren, um sich vor äußeren Einflüssen zu schützen. Wie modernere Therapieformen in der Parodontologie belegen (Full-Mouth-Disinfection1 oder die Therapie der Halitosis2,3), wurde die Zunge als Keimreservoir längst identifiziert und findet dementsprechend in vereinzelten Behandlungsstrategien Berücksichtigung. Unabhängig davon bietet sie genügend Oberfläche für pathologische Mundschleimhautbefunde, weshalb ihre konsequente Begutachtung, wie auch die der restlichen Mundschleimhaut, zum Rahmen der regelmäßigen zahnärztlichen Kontrolluntersuchungen gehört.
Physiologisch liegt die Zunge bei geschlossenem Mund palatinal bzw. lingual der Zahnreihen, von wo aus sie bei normal ausgeprägtem Zungenbändchen aufgrund ihrer Binnenmuskulatur so beweglich ist, dass sie jeden Punkt der Mundhöhle erreichen kann. Dies wird durch verschiedene Muskelgruppen erreicht, die die Zunge in sagittaler (M. longitudinalis superior, M. longitudinalis inferior, M. genioglossus, M. geniohyoideus), transversaler (M. transversus linguae) und vertikaler Richtung (M. verticalis linguae) durchziehen. Des Weiteren strahlen Muskeln in sie ein (M. genioglossus, M. hyoglossus, M. palatoglossus, M. styloglossus), die ebenfalls eigenständig oder in Kombination mit dem Zungenbein als mögliches Widerlager, die Beweglichkeit der Zunge beeinflussen4.
Die Zunge gliedert sich in zwei Hälften, deren sagittale Trennung durch den Sulcus medianus erfolgt. Transversal trennt der Sulcus terminalis das hintere Zungendrittel – die Zungenwurzel (Radix linguae), von den beiden vorderen Anteilen – dem Zungenkörper (Corpus linguae) und der Zungenspitze (Apex linguae). Während die sogenannten Papillae vallatae direkt vor dem Sulcus terminalis sitzen, liegt das Foramen caecum, als Endpunkt des Ductus thyreoglossus und Residuum der Entwicklung der Glandula thyroidea, mittig hinter diesem. Dorsal des Sulcus terminalis ist die Schleimhaut der Zunge stark zerklüftet, da in diesem Bereich die Zungentonsillen (Tonsillae linguales) als lymphatische Gewebe dominieren (Abb. 1)4.
Abb. 1 Schematische Darstellung der Zunge mit ihren Papillen- und Geschmacksregionen (modifizierte Abbildung nach Filippi et al.5).
Die spezialisierte Mundschleimhaut des Zungenrückens unterscheidet sich von den beiden übrigen Mundschleimhauttypen, der auskleidenden und der mastikatorischen Mundschleimhaut. Die etwa 0,1 bis 0,5 mm dicke auskleidende Schicht der Mundschleimhaut besteht aus unverhorntem Plattenepithel, enthält dementsprechend keine keratinhaltigen Epithelzellen, und ist anteilig die größte Mundschleimhautschicht. Sie kleidet den weichen Gaumen, die Unterseite der Zunge, die Alveolarfortsätze (bis zum Übergang in die Gingiva) sowie den Mundboden und -vorhof aus.
Die mastikatorische Schicht der Mundschleimhaut ist etwa 0,2 bis 0,3 mm dick, setzt sich aus verhorntem Plattenepithel zusammen und kann zusätzlich in ein Stratum basale, Stratum spinosum, Stratum granulosum sowie ein Stratum corneum unterteilt werden. Sie bekleidet den harten Gaumen und die Gingiva.
Die spezialisierte Mundschleimhaut kleidet den Zungenrücken aus. Dieser wird überzogen von einem keratinisierten Epithel, welches innerhalb seiner derben Lamina propria eine Vielzahl von Papillen beherbergt. Hierbei werden fadenförmige Papillen (Papillae filiformes), die sich über den gesamten Zungenrücken erstrecken, von pilzförmigen Papillen (Papillae fungiformes), die sich mehr an der Zungenspitze und am Zungenrand befinden, unterschieden. Kurz vor dem Sulcus terminalis findet man am hinteren Zungenrand die sogenannten Papillae foliatae, die nach median hin etwas v-förmig in die Papillae vallatae übergehen. Während die Papillae filiformes in erster Linie das Tastempfinden vermitteln, können die anderen Papillen darüber hinaus noch Temperatur- und Geschmackswahrnehmungen übermitteln. Hierzu lässt sich die Zunge in verschiedene Areale aufteilen, in denen sich die Wahrnehmung einzelner Geschmacksrichtungen konzentriert und teilweise auch überlappen kann (s. Abb. 1)5,6.
Die Unterseite der Zunge ist von einem dreischichtigen unverhornten Epithel überzogen. Dieses spielt aufgrund der guten Vaskularisation neben dem Mundboden bei der schnellen Aufnahme von Medikamenten eine wichtige Rolle7.
Die Blutversorgung der Zunge erfolgt über die A. lingualis als zweiter Abkömmling der A. carotis externa. Die motorische Innervation erfolgt über den N. hypoglossus (N. XII). Sensibel wird sie in den vorderen zwei Dritteln über den N. lingualis, der im Bereich der dorsalen Innenfläche des Corpus mandibulae aus dem N. alveolaris inferior entspringt, und dem N. mandibularis innerviert. Die sensible Innervation des hinteren Zungendrittels erfolgt durch den N. glossopharyngeus (N. IX). Sensorisch erfolgt die Innervation in den vorderen zwei Dritteln wiederum über den N. lingualis, wobei die Geschmackswahrnehmung über die Chorda tympani zum N. facialis (N. VII) weitergeleitet wird. Für den posterioren Zungenanteil ist ebenfalls der N. glossopharyngeus (N. IX) zuständig5.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Schleimhaut des Zungenrückens sind die verschiedenen Zungenpapillen. Diese kommen in unterschiedlicher Anzahl in verschiedenen Arealen des Zungenrückens vor und vermitteln neben den unterschiedlichen Geschmacksrichtungen auch Tast- und Temperaturempfindungen. Sie prägen optisch das charakteristische Bild des Zungenrückens (Abb. 2a bis c), weshalb Veränderungen der Papillen oftmals als erstes Symptom einen diagnostischen Hinweis liefern können.
Abb. 2a bis c Ansicht des Zungenrückens und der lateralen Zungenränder einer normalen Zunge mit leichtem Belag.
Diese Art der haarförmigen Papillen verteilt sich über den gesamten Zungenrücken, wo sich auf 1 cm2 in etwa 20 Primärpapillen befinden. Diese teilen sich in 400–500 Sekundärpapillen auf, zur Zungenspitze hin wird die Aufteilung noch dichter. Während die Primärpapillen innerhalb der Lamina propria liegen, sitzen die Sekundärpapillen dem Rand der Primärpapillen auf. Das Epithel läuft an den Spitzen der Papillen in Form kleiner Hornnadeln dünn aus. Mit ihm steigen arterielle Kapillarschlingen und freie Nervenendigungen aus dem Bindegewebe bis in die Sekundärpapillen auf. Auf diese Weise wird zum einen die Blutversorgung garantiert und zum anderen ein hochkomplex aufgebauter Mechanosensor gebildet, der seinen Reiz über kleinste Auslenkungen der Hornnadeln in das Bindegewebe und die dortigen Nervenbahnen überträgt. Dies führt letztendlich zu einer vergrößerten Wahrnehmung bereits kleinster Partikel.
Klinisch erscheinen die Papillae fungiformes als runde, rote Punkte. Anders als die Papillae filiformes kommen sie zahlenmäßig weniger häufig vor. An der Zungenspitze sind bis zu 90 Stück auf 1 cm2 zu finden, diese Zahl halbiert sich bis zur Zungenmitte. Der Aufbau mit Primär- und Sekundärpapille ähnelt dem der Papillae filiformes. Sie enthalten Geschmacksknospen in variabler Anzahl, die die Qualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami (fleischig) wahrnehmen (s. Abb. 1)8. Es ist durchaus möglich, dass eine Papille unterschiedliche Knospen enthält und somit auch verschiedene Geschmacksqualitäten aufnehmen kann. Über den Geschmack hinaus können die Papillae fungiformes über zahlreiche Mechano- und Temperaturrezeptoren sowie freie Nervenendigungen Druck und Temperatur wahrnehmen.
Am dorsolateralen Zungenrand liegen vor dem Sulcus terminalis 10–15 vertikal angeordnete Schleimhautfalten, die als Papillae foliatae bezeichnet werden. In der Tiefe der Falten liegen Ausführungsgänge der sogenannten serösen Ebner’schen Spüldrüsen.
Ventral des Sulcus terminalis liegen die 8 bis 10 in einer Linie angeordneten Papillae vallatae. Sie sind rund, mit einer zentralen Einbuchtung und mit einem Durchmesser von 2 bis 3 mm die größten aller Zungenpapillen. Die Papillae vallatae vermitteln primär über mehrere Geschmacksknospen den bitteren Geschmack. Sie beherbergen, wie die Papillae foliatae, in ihrer zentralen Einsenkung Ausführungsgänge der Ebner’schen Spüldrüsen.
Der Aufbau der Zunge ist weitaus komplexer als er im Rahmen dieses Glossars beschrieben werden kann. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass es zu Abweichungen von der normalen Anatomie kommen kann. Diese Variationen müssen keinen Krankheitswert besitzen, können aber neben einer pathologischen Veränderung auch Ausdruck allgemeinmedizinischer Erkrankungen sein9. Therapeutische Ansätze, wie beispielsweise der Einsatz eines Zungenschabers (Abb. 3a und b), sind oftmals symptombezogen oder bei exogen verursachenden Faktoren streng ursachenbezogen2. Für detailliertere Ausführungen wird auf die Bücher von Filippi5 und Bork10 verwiesen.
Abb. 3a und b Anwendung eines Zungenschabers auf dem Zungenrücken und exemplarische Einzeldarstellung.
1. Quirynen M, Teughels W, van Steenberghe D. Impact of antiseptics on one-stage, full-mouth disinfection. J Clin Periodontol 2006;33:49–52.
2. Scharf S, Eickholz P. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis: Halitosis. Parodontologie 2014;25:461–467 (s. Beitrag 18 in diesem Buch).
3. Filippi A. Halitosis – Professionelle Behandlung von Mundgeruch in der zahnärztlichen Praxis. Berlin: Quintessenz, 2011.
4. Schünke M, Schulte E, Schumacher U. Prometheus Kopf, Hals und Neuroanatomie. Stuttgart: Thieme, 2012.
5. Filippi A, Hitz Lindenmüller I (Hrsg.). Die Zunge. Berlin: Quintessenz, 2016.
6. Chandrashekar J, Hoon MA, Ryba NJ, Zuker CS. The receptors and cells for mammalian taste. Nature 2006;444:288–294.
7. Naumova EA, Dierkes T, Sprang J, Arnold WH. The oral mucosal surface and blood vessels. Head Face Med 2013;9:8.
8. Shadan S. Molecular biology: A taste of umami. Nature 2009;457:160.
9. Petsos H, Aldiri T, Eickholz P. Glossar der Grundbegriffe für die Praxis: Die Zunge 2: Normvarianten und pathologische Veränderungen. Parodontologie 2018;29:71–77 (s. Beitrag 20 in diesem Buch).
10. Bork K., Burgdorf W., Hoede N. Mundschleimhaut- und Lippenkrankheiten: Klinik, Diagnostik und Therapie. Stuttgart: Schattauer, 2008.
Klinisch entzündungsfreie gesunde Gingiva hat eine feste Konsistenz, der Gingivarand verläuft girlandenförmig, die Papillen füllen die Interdentalräume aus und bluten bei Sondierung nicht. Bei hellhäutigen Menschen ist entzündungsfreie Gingiva rosa, bei dunkelhäutigen Menschen finden sich häufig melaninpigmentierte Areale (Abb. 1). Histologisch stellt sich die Situation differenzierter dar. Bei völliger Entzündungsfreiheit finden sich keine bzw. nur vereinzelte Entzündungszeichen; man spricht von normaler Gingiva. Das Saumepithel haftet der Zahnoberfläche über Hemidesmosomen an. Auch bei normaler Gingiva finden sich im Saumepithel vereinzelte Leukozyten (neutrophile Granulozyten und Makrophagen) (Abb. 2)1. Histomorphometrisch setzt sich die völlig entzündungsfreie Gingiva zu etwa 30 % aus oralem Epithel, zu etwa 10 % aus Saumepithel und zu 60 % aus Bindegewebe zusammen. Ein solcher völlig entzündungsfreier Zustand erfordert allerdings eine perfekte Plaquekontrolle, die fast nur unter experimentellen Bedingungen, wenn die individuelle Mundhygiene über mehrere Wochen durch häufige professionelle Zahnreinigungen unterstützt wird, erreicht werden kann. Deshalb ist er selbst bei Personen mit effektiver individueller Mundhygiene, die vereinzelt immer noch geringe Mengen von bakterieller Plaque auf den Zähnen aufweisen, nicht zu finden. Bei effektiver individueller Mundhygiene zeigt die Gingiva ebenfalls keine klinischen, aber bereits histologische Entzündungszeichen; man spricht von klinisch gesunder Gingiva. Das histologische Erscheinungsbild der klinisch gesunden Gingiva entspricht in etwa dem Bild der initialen Läsion2.
Abb. 1a und b Klinisch entzündungsfreie Gingiva: a) Frau im Alter von 24 Jahren, b) Frau im Alter von 41 Jahren.
Abb. 2 Klinisch normale Gingiva: Bakterielle Plaque setzt Stoffwechselprodukte wie Fettsäuren, N-Formyl-MethionylLeucyl-Phenylalanin (FMLP) und Lipopolysaccharide (LPS) gramnegativer Bakterien frei. Diese antigenen Substanzen induzieren in den Saumepithelzellen die Produktion verschiedener Entzündungsmediatoren wie Interleukin-8 (IL-8), IL-1α, Prostaglandin E2 (PGE2), Matrix-Metalloproteinasen (MMP) und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α). Neurale Komponenten des Epithels setzen Neuropeptide frei, die die Gefäße beeinflussen. Die bakteriellen Antigene und die epithelialen Produkte aktivieren perivaskuläre Mastzellen, die Histamin freisetzen, und Endothelzellen zur Freisetzung von IL-8, das ein Chemotaxin für neutrophile segmentkernige Granulozyten (PMN) ist (modifiziert nach Kornman et al.4).
Die Umsatzrate des Saumepithels ist generell hoch und seine Zellen sind durch weniger Desmosomen verbunden als andere orale Epithelien. Eine verstärkte bakterielle Exposition erhöht diese Umsatzrate, die Interzellularräume weiten sich und ermöglichen somit einen verstärkten Ausstrom von Sulkusflüssigkeit sowie Leukozytenmigration. Die initiale Läsion zeigt bereits 24 Stunden nach Beginn der Plaqueakkumulation eine Dilatation der Gefäße des dentogingivalen Plexus. Es wird direkt benachbart zum Saumepithel vermehrt Blut in den mikrovaskulären Plexus gebracht. Der hydrostatische Druck wird erhöht und es öffnen sich Spalten zwischen den Endothelzellen der Kapillaren. Die Gefäßpermeabilität erhöht sich, sodass es zur Exsudation von Flüssigkeit und Proteinen in das Gewebe kommt (Abb. 3). Die Folge ist eine vermehrte Exsudation von Sulkusflüssigkeit. Durch die Exsudation ins Gewebe und den Sulkus können schädigende Substanzen mikrobiellen Ursprungs verdünnt werden. Bakterien und deren Produkte werden aus dem Sulkus hinausgespült. Die Menge der exsudierten Sulkusflüssigkeit (Sulkusflüssigkeitsflussrate) ist proportional zum Schweregrad der Entzündungsreaktion. Parallel mit den Gefäßveränderungen kommt es nach 2 bis 4 Tagen zu einer vermehrten Migration von neutrophilen Granulozyten und Monozyten/Makrophagen aus dem subepithelialen Gefäßplexus durch das subepitheliale Bindegewebe (s. Abb. 3). Adhäsionsmoleküle wie das „Intercellular Adhesion Molecule-1“ (ICAM-1) und das „Endothelial Leukocyte Adhesion Molecule-1“ (ELAM-1), die durch proinflammatorische Zytokine (Interleukin-1β [IL-1β], Tumornekrosefaktor-α [TNF-α]) aktiviert wurden, ermöglichen den Leukozyten, sich an der Gefäßwand der postkapillären Venolen anzuheften, um dann hindurchzutreten (Diapedese). Die vermehrte Extravasation der Leukozyten erfordert eine erhöhte Anheftungsrate dieser Zellen an die Gefäßwände. Proinflammatorische Stimuli (Lipopolysaccharide [LPS], IL-1β, TNF-α) führen nicht nur zu erhöhter Gefäßpermeabilität und Expression von Leukozytenadhäsionsmolekülen, sondern auch zur Ausschüttung anderer proinflammatorischer Zytokine, wie IL-8, in die Blutbahn, durch die ein Rollen der Leukozyten induziert wird. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Kontaktes zwischen Leukozyten-Integrinen und Endothelzelladhäsionsmolekülen (z. B. ICAM-1) (Abb. 4).
Abb. 3 Initiale Läsion: Bei Persistieren der in Abb. 2 dargestellten Mechanismen verstärken die Serumtranssudation aus den Gefäßen ins Gewebe und die Aktivierung von Serumproteinen wie Komplementfaktoren die Entzündungsreaktion und die Aktivierung der Endothelzellen. Es werden vermehrt neutrophile segmentkernige Granulozyten (PMN) und Monozyten angelockt. Aktivierte Makrophagen produzieren eine Vielzahl von Entzündungsmediatoren (Interleukin-1β [IL-1β], IL-1 Rezeptorantagonist [IL-1ra], IL-6, IL-10, IL-12, Tumornekrosefaktor-α [TNF-α], Prostaglandin E2 [PGE2], Matrix-Metalloproteinasen [MMP], Interferon-γ [IFN-γ]) und Chemotaxine (Monozyten-Chemotaxis-Protein [MCP], Makrophagen-inflammatorisches Protein [MIP], „regulated on activation, normal T-cell expressed and secreted“ [RANTES]). N-Formyl-Methionyl-Leucyl-Phenylalanin (FMLP), Lipopolysaccharide (LPS) (modifiziert nach Kornman et al.4).
Abb. 4 Diapedese der Leukozyten: Die Endothelzellen der Venolen werden durch Lipopolysaccharide (LPS), Interleukin-1β (IL-1β) und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α) aktiviert und exprimieren „Endothelial Leukocyte Adhesion Molecule-1“ (ELAM-1). Leukozyten exprimieren Sialy-Lewis-X, das eine lose Bindung mit ELAM-1 eingeht und so zu einer Verlangsamung der Leukozytenbewegung führt. Die resultiert in einer rollenden Bewegung entlang der Epitheloberfläche. Leukozytäre Anheftungsrezeptoren (CD11/18) bilden dann eine feste Bindung zum „Intercellular Adhesion Molecul-1“ (ICAM-1) aus (Adhäsion). Dies veranlasst den Durchtritt der Leukozyten zwischen den Endothelzellen nach extravaskulär (Extravasation) (modifiziert nach Kornman et al.4).
Die Leukozyten wandern dann entlang von Konzentrationsgradienten, vermittelt durch chemotaktische Reize der Plaquebakterien (z. B. N-Formyl-Methionyl-Leucyl-Phenylalanin [FMLP], LPS) bzw. der Wirtszellen (z. B. IL-8, Komplementfaktor C5a, Leukotrien B4), zum Sulkus, wobei sie durch die im Saumepithel ubiquitär vorhandenen Adhäsionsmoleküle unterstützt werden3. Diese Granulozyten sind noch zur Phagozytose und zur Zerstörung von Bakterien in der Lage und formen eine Barriere gegen das apikale und laterale Vordringen der Bakterien (erste Verteidigungslinie) (s. Abb. 3). Erkrankungen, bei denen die Adhäsion und Diapedese der Leukozyten gestört ist (z. B. Leukocyte-Adhesion-Deficiency-Syndrom) oder die Zahl der neutrophilen Granulozyten nicht nur im extravasalen Gewebe, sondern generell stark reduziert ist, wie bei familiärer Neutropenie, führen bei bakterieller Exposition zu raschen und schweren Zerstörungen der parodontalen Gewebe, was die große Bedeutung dieser Zellgruppe für die Abwehr der bakteriellen Exposition veranschaulicht.
Während die Leukozyten das Gewebe verlassen und in den Sulkus wandern, werden die Lymphozyten im Gewebe zurückgehalten (s. Abb. 3). Die meisten Lymphozyten können auf ihrer Oberfläche CD44-Rezeptoren exprimieren, die es ihnen erlauben, sich an Strukturen des Bindegewebes zu binden. Um lokale zellvermittelte oder humorale Immunreaktionen ausführen zu können, müssen T- und B-Lymphozyten im Gewebe verbleiben. Es entsteht ein subepitheliales Infiltrat (Monozyten, Makrophagen, Lymphozyten, neutrophile Granulozyten), das etwa 5 % des gingivalen Bindegewebes einnimmt. Im Verlauf der frühen Läsion halten die entzündlichen und immunologischen Reaktionen des Wirts die mikrobiologische Exposition in Schach, ohne dass es zur Gewebezerstörung kommt. Das histologische Bild der initialen Läsion entspricht der Situation klinisch gesunder Gingiva und ist als physiologischer Zustand anzusehen.
Etwa 4 bis 7 Tage nach Beginn der Plaqueakkumulation geht die initiale in die frühe Läsion über. Eine genaue Zeitangabe ist für die Situation beim Menschen nicht möglich, weil hier starke interindividuelle Variationen bestehen. Die Dilatation der Gefäße persistiert, während sich die Zahl der durchbluteten Gefäße im subepithelialen Endstromgebiet durch Aktivierung bisher nicht durchbluteter Kapillaren erhöht.
Die Zahl der neutrophilen Granulozyten, die die Gefäße verlassen und durch Bindegewebe sowie Saumepithel in den Sulkus wandern, nimmt zu. Auch die Zahl subepithelialer Leukozyten erhöht sich. Allerdings steigt jetzt die Zahl der Makrophagen (Abb. 5). Neben ELAM-1, das selektiv die Extravasation der neutrophilen Granulozyten und einiger Lymphozytensubpopulationen unterstützt, wird das Gefäßzelladhäsionsmolekül-1 exprimiert, das selektiv an Monozyten bindet. Makrophagen, die Lipopolysacchariden ausgesetzt wurden, produzieren verschiedene Zytokine (Interferon-γ, TNF-α, „transforming growth factor“[TGF]-γ, IL-1α/β, IL-6, IL-10, IL-12, IL-13) und zahlreiche Chemokine, z. B. Matrix-Metalloproteinasen (MMPs), Prostaglandin E2 (PGE2)4. Einige dieser Faktoren, insbesondere IL-1β, TNF-α und PGE2 spielen eine große Rolle in der parodontalen Läsion (Abb. 6). Die Makrophagen verändern das lokale Milieu wesentlich. Durch die Produktion von Chemokinen werden weitere Makrophagen und Lymphozyten angelockt. Durch die Produktion von IL-1β, MMPs, PGE2 und anderen Zytokinen wird der Abbau von Kollagen begünstigt. IL-1β steigert die Produktion von Kollagenase in gingivalen sowie desmodontalen Fibroblasten und reduziert die Kollagensynthese. PGE2 verringert die Kollagensynthese in Gingivafibroblasten. Schließlich werden CD4+-T-Lymphozyten durch die Makrophagen aktiviert und zu T-Zellen differenziert, die Zytokine produzieren, um die B-Zelldifferenzierung und Antikörperproduktion zu unterstützen.
Abb. 5 Frühe Läsion: Zusätzlich zur in Abb. 3 dargestellten Aktivierung von Serumproteinen und Makrophagen erscheinen B- und T-Lymphozyten sowie Plasmazellen. Aktivierte T-Lymphozyten produzieren Zytokine wie Interleukin-2 (IL-2), IL-3, -4, -5, -6, -10 und -13 sowie Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Transformierender Wachstumsfaktor β (TGF-β), Interferon-γ (IFN-γ) und Chemotaxine wie Monozyten-Chemotaxis-Protein (MCP), Makrophagen-inflammatorisches Protein (MIP), „regulated on activation, normal T-cell expressed and secreted“ (RANTES). Plasmazellen treten vermehrt im Gewebe auf und produzieren Immunglobuline (z. B. IgG) und Zytokine (z. B. IL-6, TNF-α). Einige der neutrophilen segmentkernigen Granulozyten (PMN) im Gewebe werden aktiviert und setzen IL-1α, -1β, -6, -8, TNF-α, Leukotriene (LT) und Matrix-Metalloproteinasen (MMP) frei. Fibroblasten produzieren Kollagen, MMP und Gewebeinhibitoren der MMPs (TIMP). N-Formyl-Methionyl-Leucyl-Phenylalanin (FMLP), Lipopolysaccharide (LPS), Prostaglandin E2 (PGE2) (modifiziert nach Kornman et al.4).
Abb. 6 Interleukin-1β (IL-1β) als Mediator parodontaler Destruktion: IL-1 wird von, durch entzündliche Reize aktivierten Makrophagen und Fibroblasten freigesetzt. Es induziert die Produktion von Matrix-Metalloproteinasen (z. B. Kollagenase) durch Fibroblasten, stimuliert die Osteoklasten und hemmt Osteoblasten, was schließlich zur Gewebezerstörung führt.
Langerhanszellen im Saumepithel nehmen antigenes Material mikrobiellen Ursprungs auf und transportieren es in lymphatische Gewebe, wo die Antigene den Lymphozyten präsentiert werden. Diese Lymphozyten wandern zum Ort der mikrobiellen Exposition. Dort wandeln sich B-Lymphozyten in Plasmazellen um, die spezifische Antikörper bilden bzw. die T-Lymphozyten werden aktiviert, um die B-Zelldifferenzierung zu unterstützen. Antikörper können lokal und systemisch gebildet werden. Sie wirken protektiv durch die Verklumpung von Mikroorganismen. Im Zusammenwirken mit dem Komplementsystem durch Lyse der Bakterien und durch Markierung von Keimen (Opsonierung) ermöglichen sie eine effektive Phagozytose durch neutrophile Granulozyten.
Durch Zytokine erhöht sich die Zahl der Lymphozyten, die in der frühen Läsion zusammen mit neutrophilen Granulozyten die vorherrschende Gruppe von Leukozyten darstellen, während nur wenige Plasmazellen vorhanden sind. Das Infiltrat nimmt in der frühen Läsion etwa 15 % des Volumens des gingivalen Bindegewebes ein.
Durch die ebenfalls zytokinvermittelte Verschiebung des Bindegewebestoffwechsels zu kollagenabbauenden Prozessen kommt es zur Degeneration von Fibroblasten und zur Auflockerung der Kollagenstruktur durch das Infiltrat in lateraler und apikaler Richtung. Die Basalzellen des Sulkus- und Saumepithels proliferieren in einer Art Versuch, die Barriere gegen die Mikroorganismen zu verstärken. Es kommt zur Ausbildung von Retezapfen, die im koronalen Bereich in das subepitheliale Infiltrat ausstrahlen. Etwa 2 Wochen nach Beginn der Karenz oralhygienischer Maßnahmen findet sich subgingival bakterielle Plaque.
Die etablierte Läsion entspricht dem Zustand der chronischen Gingivitis (Abb. 7). Die gingivale Exsudation sowie die Größe des subepithelialen Infiltrates erhöhen sich und erreichen etwa 1 Monat nach Beginn der Plaqueakkumulation ein Maximum, das über lange Zeiträume stabil bleiben kann. Es finden sich nun zahlreiche Plasmazellen im koronalen Anteil und gefäßnah innerhalb des Infiltrates (Abb. 8). Im Unterschied zum Hundemodell, bei dem 3 bis 4 Wochen nach Beginn der Plaqueakkumulation ein von Plasmazellen dominiertes Infiltrat beobachtet wird, konnten beim Menschen noch nach 6 Monaten ungehinderter Plaqueakkumulation ein Plasmazellanteil von nur 10 % beobachtet werden5. Ein Dominieren der Plasmazellen scheint beim Menschen den Übergang von der etablierten (Gingivitis) zur fortgeschrittenen Läsion (Parodontitis) zu markieren6.
Abb. 7 Klinisch manifeste plaqueinduzierte Gingivitis: interdental oraler Biofilm. Der Gingivarand ist ödematös und gerötet, ein Stippling ist nicht zu erkennen, die Interdentalpapillen sind geschwollen, approximal der Zähne 41 und 42 tritt eine Spontanblutung auf1.
Abb. 8 Etablierte Läsion: Die Menge der Entzündungsmediatoren im Gewebe nimmt zu. Fibroblasten setzen Interleukin-1β (IL-1β), IL-6, -8 sowie Prostaglandin E2 (PGE2), Tumornekrosefaktor-α [TNF-α], Kollagen, Matrix-Metalloproteinasen (MMP) und Gewebeinhibitoren der MMPs (TIMP) frei. Monozyten-Chemotaxis-Protein (MCP), Makrophageninflammatorisches Protein (MIP), „regulated on activation, normal T-cell expressed and secreted“ (RANTES), transformierender Wachstumsfaktor β (TGF-β), Interferon-γ (IFN-γ), neutrophile segmentkernige Granulozyten (PMN), Leukotriene (LT), Immunglobulin G (IgG), Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL-1ra) (modifiziert nach Kornman et al.4).
Die Proliferation des Saumepithels mit Ausbildung von Retezapfen nimmt zu und es geht Kollagen verloren. Der das Infiltrat begrenzende Anteil des Epithels ist nun dünner und fragiler als das Saumepithel und bildet kein epitheliales Attachment zur Zahnoberfläche aus7. Dieses Taschenepithel weist einen hohen Anteil in die Tasche wandernder Leukozyten auf. Es weist eine höhere Permeabilität als das Saumepithel auf und kann an einzelnen Stellen vorübergehend ulzerieren.
Im Unterschied zur Parodontitis, die alle Anteile des Parodonts betrifft und dabei den Zahnhalteapparat zerstört, bleibt die Gingivitis auf die Gingiva beschränkt und kann nach Beseitigung der ätiologischen Faktoren vollständig ausheilen, d. h. es ist eine Restitutio ad Integrum möglich. Der Übergang von chronischer Gingivitis in eine Parodontitis wurde beim Menschen nicht experimentell provoziert. Epidemiologisch konnte aber gezeigt werden, dass eine chronische Gingivitis, die lange genug persistiert, in eine Parodontitis übergehen kann8. Die chronische Gingivitis kann über Zeiträume von unterschiedlicher, in manchen Fällen unbegrenzter Dauer stationär bleiben, geht aber in vielen Fällen in eine Parodontitis mit Zerstörung von Anteilen des Zahnhalteapparates über. Der Parodontitis geht immer eine Gingivitis voraus, wogegen eine Gingivitis nicht zwangsläufig in eine Parodontitis übergehen muss1.
Die segmentkernigen neutrophilen Granulozyten stellen die erste Verteidigungslinie gegen die bakterielle Exposition dar. Sie finden sich in parodontal gesundem Gewebe, bei Gingivitis und Parodontitis. Ihre Zahl nimmt mit zunehmendem Fortschreiten der Erkrankung zu und erreicht bei Parodontitis ihr Maximum. Die neutrophilen Granulozyten werden durch chemotaktische Konzentrationsgradienten von Produkten der bakteriellen Plaque (z. B. FMLP, LPS) oder durch Botenstoffe von Wirtszellen (z. B. Interleukin-8, Komplementfaktor C5a, Leukotrien B4) angelockt und wandern entlang dieser Konzentrationsgradienten von den sulkusnahen Blutgefäßen durch Bindegewebe und Saumepithel in den gingivalen Sulkus oder in die gingivale bzw. parodontale Tasche. Auf dem Weg durch das Gewebe leiten Adhäsionsmoleküle (ICAM-1, ELAM-1) die Wanderung der neutrophilen Granulozyten. Nach Verlassen des Gewebes und Wanderung in den Sulkus bzw. in die Tasche nähern sie sich den Mikroorganismen und heften sich ihnen an. Viele Bakterien müssen durch spezifische Antikörper markiert (opsoniert) werden, um von den neutrophilen Granulozyten erkannt und aufgenommen (Phagozytose) werden zu können. Die Plasmamembran der neutrophilen Granulozyten fließt um die Mikroorganismen, um sie schließlich in sogenannten Phagosomen einzuschließen. Ein neutrophiler Granulozyt kann mehrere Mikroorganismen gleichzeitig einschließen. Synchron mit der Phagozytose der Mikroorganismen wandern Granula (Lysosomen) des neutrophilen Granulozyten zum Phagosom und verschmelzen mit ihm. Diese Lysosomen enthalten antimikrobielle Substanzen, z. B. Myeloperoxidase, Lysozym, Laktoferrin, Elastase. Diese Substanzen töten die Bakterien und lösen sie auf. Vor der völligen Umschließung des Bakteriums können Inhaltsstoffe der Lysosomen in die Umgebung des neutrophilen Granulozyten gelangen. Dies hilft bei der Zerstörung nicht phagozytierter Mikroorganismen, kann aber auch zu Gewebezerstörungen führen. Neutrophile Granulozyten haben eine primär protektive Funktion. Sie sind zur Phagozytose und zur Zerstörung von Bakterien in der Lage (Abb. 9). Die Granula der neutrophilen Granulozyten enthalten aber auch Enzyme, die Gewebe zerstören können, wie Elastase. Gelingt es den Granulozyten, die bakterielle Exposition zu einem frühen Zeitpunkt zu beherrschen, kommt es nur zu oberflächlichen Gewebedestruktionen und es kann sich eine Homöostase einstellen (granulozytäre Clearence). Bestimmte Parodontalpathogene verfügen aber über Mechanismen, die Funktion der neutrophilen Granulozyten zu stören bzw. außer Kraft zu setzen, wie das Leukotoxin von Aggregatibacter actinomycetemcomitans.
Abb. 9 Antikörper in der Abwehr von Mikroorganismen: 1) Verhinderung der Adhäsion von Mikroorganismen an Schleimhäuten durch Abschilferung von Epithelzellen und sekretorisches Immunglobulin A (IgA) im Speichel, 2) Komplementaktivierung durch spezifische Antikörper, 3) Opsonierung von Mikroorganismen als Voraussetzung für deren Phagozytose durch Leukozyten10.
Der Speichel enthält hohe Konzentrationen von sekretorischem Immunglobulin A (IgA), einem aus zwei IgA-Monomeren, einem Verbindungsmolekül (J-Kette) und der Sekretkomponente zusammengesetztem Dimer. Das sekretorische IgA kann Schleimhäute passieren und die Anheftung bzw. das Eindringen von Mikroorganismen abwehren (s. Abb. 9). Es existieren zwei Unterklassen von IgA: IgA1, das im Serum vorherrscht, und IgA2, das zumeist als sekretorisches IgA auftritt.
IgG ist das häufigste intra- und extravaskuläre Immunglobulin (75 % aller Serumimmunglobuline). Es können 4 Unterklassen unterschieden werden, die unterschiedlich auf verschiedene Antigenklassen reagieren. Bakterielle Proteine induzieren primär die Bildung von IgG1, während IgG2 hauptsächlich per Induktion durch Polysaccharide und Lipopolysaccharide gebildet wird. Antikörper gegen bakterielle Zelloberflächenbestandteile wirken sich positiv auf die Infektionsabwehr aus.
Bei Parodontitis mit Molaren-Inzisiven-Muster (früher lokalisierte aggressive Parodontitis) überwiegt IgG2 gegen das Lipopolysaccharid von A. actinomycetemcomitans Serotyp b. Bei Patienten mit Parodontitis Stadium III und IV mit Grad B bzw. C sind häufig erhöhte Antikörpertiter gegen Parodontalpathogene (z. B. P. gingivalis, A. actinomycetemcomitans) nachzuweisen. Nach Therapie und Verbesserung der klinischen Parameter sinken die Antikörperspiegel. Erhöhte Antikörpertiter sind also auf der einen Seite ein Hinweis auf das Vorhandensein großer Mengen von Parodontalpathogenen. Auf der anderen Seite konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit Parodontitis mit Molaren-Inzisiven-Muster ausgeprägte Serumantikörpertiter gegen A. actinomycetemcomitans vorlagen, während dies bei generalisierter Parodontitis Stadium III und IV mit Grad C nicht der Fall war9.
Die ausgeprägte Immunantwort mit hohen Serumantikörpertitern könnte bei den Patienten mit Parodontitis mit Molaren-Inzisiven-Muster dazu beigetragen haben, dass eine Ausbreitung (Generalisierung) der Infektion und somit der parodontalen Zerstörung verhindert wurde. Die Bildung spezifischer Antikörper ist also Teil der Resistenz eines Wirts gegen eine spezifische mikrobielle Exposition.
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Die bakteriellen Zahnbeläge induzieren eine entzündliche Reaktion der Gingiva (Gingivitis). Nach Beseitigung der mikrobiellen Exposition bildet sich diese Gingivitis komplett zurück, ohne dass es zu Zerstörungen des Parodonts kommt1. Bei wenigen Menschen (etwa 10 %) bleibt die Gingivitis (etablierte Läsion) über Jahre und ggf. ein Leben lang weitgehend stabil. Ebenfalls bei etwa 10 % geht die Gingivitis frühzeitig in eine Parodontitis über, bei der der Zahnhalteapparat (bindegewebiges Attachment und Knochen) ohne adäquate Therapie rasch zerstört wird und frühzeitig Zahnverlust droht (Parodontitis, Stadium III und IV, Grad C). Bei der Mehrheit der Menschen geht die Gingivitis im mittleren Alter in eine Parodontitis über, die durch eine langsame Progression gekennzeichnet ist2.
Die fortgeschrittene Läsion (Parodontitis) entwickelt sich aus der etablierten Läsion (Gingivitis)1. Hinsichtlich der meisten histologischen Merkmale gleichen sich beide Läsionen. Der entscheidende Unterschied zur Gingivitis ist, dass es bei Parodontitis zu Attachmentverlusten kommt und erstmals Knochenabbau (Abb. 1) beobachtet werden kann3. Während sich die subgingivale Plaque nach apikal zwischen Taschenepithel und Zahnoberfläche schiebt, das subepitheliale Infiltrat sich nach apikal ausdehnt und der Epithelansatz, also die koronalste Ausdehnung des epithelialen Attachments, sich nach apikal verschiebt, ziehen sich der Knochen und das bindegewebige Attachment in apikaler Richtung zurück (Abb. 2). Der Knochenabbau wird durch Stimulation der Osteoklasten angeregt. Zwischen der apikalsten Ausdehnung der subgingivalen Plaque und dem koronalsten Anteil des Alveolarknochens persistiert eine Zone intakten Attachments von 1,5 bis 2,5 mm Breite5. Über eine Distanz von mehr als 2,5 mm kann bakterielle Plaque keinen Knochenabbau induzieren. Eine approximale infraalveoläre Knochentasche kann demnach nur in einem Zahnzwischenraum entstehen, der breiter als 2,5 mm ist, anderenfalls würde das gesamte Interdentalseptum zerstört6.
Abb. 1a bis d Parodontitis: a) Mann im Alter von 52 Jahren, Parodontitis, generalisiertes Stadium III, Grad C10: klinische Ansicht (Zahnfehlstellungen im Ober- und Unterkieferfrontzahnbereich, 31 Zahnstein); b) Röntgenstatus zu Abb. 1a: generalisierter überwiegend horizontaler Knochenabbau unterschiedlichen Ausmaßes (bis ins koronale Wurzeldrittel: 15–13, 23, 37–33, 43–47 [bis 33 % der Wurzellänge]; mittlere Wurzeldrittel: 17, 16, 12–22, 24–27, 32–42 [> 33 % der Wurzellänge]; auch am gleichen Zahn (z. B. 36); c) Frau im Alter von 24 Jahren: Parodontitis, generalisiert Stadium III, Grad C10; d) Panoramaschichtaufnahme zu Abb. 1c: Während sich an den Seitenzähnen des 2. Quadranten praktisch kein Knochenabbau findet, weisen andere Zähne Knochenabbau bis ins apikale Wurzeldrittel auf (z. B. 13, 33).
Abb. 2 Fortgeschrittene Läsion (Parodontitis): Die Bilder der etablierten und fortgeschrittenen Läsion gleichen sich mit dem Unterschied, dass es bei der fortgeschrittenen Läsion bereits zu Attachmentverlusten bzw. Knochenabbau gekommen ist, während dies bei der etablierten Läsion noch nicht der Fall ist. Die Menge der Entzündungsmediatoren im Gewebe nimmt zu. Es finden sich vermehrt Plasmazellen. MonozytenChemotaxis-Protein (MCP), Makrophagen-inflammatorisches Protein (MIP), RANTES („regulated on activation, normal T-cell expressed and secreted“), transformierender Wachstumsfaktor β (TGF-β), Interferon γ (IFN-γ), neutrophile segmentkernige Granulozyten (PMN), Leukotriene (LT), Immunglobulin G (IgG), Interleukin-1-Rezeptorantagonist (IL-1ra) (modifiziert nach Kornman4).
Ein hoher Anteil von Plasmazellen im entzündlichen Infiltrat scheint ein Hinweis auf eine aktive Läsion bzw. eine Verschiebung des Gleichgewichts in der Läsion von protektiven (Resolution der Entzündung) zu destruktiven Prozessen (chronische Entzündung ohne Resolution) zu sein7. Plasmazellen produzieren Antikörper. Es müssen also bakterielle Antigene von Makrophagen im körpereigenen Gewebe phagozytiert und entsprechend präsentiert worden sein. Bakterien konnten also in großer Zahl ins Gewebe eindringen: „Die Dämme sind gebrochen.“
Parodontitis ist die entzündliche, durch bakterielle Beläge verursachte Erkrankung aller Anteile des Parodonts, d. h. der Gingiva, des Desmodonts, des Wurzelzementes und des Alveolarknochens, mit fortschreitendem Verlust von Stützgewebe. Die Erkrankung kann sich an einzelnen, mehreren oder an allen Zähnen manifestieren. Dabei können unterschiedliche Stadien der Erkrankung beim gleichen Patienten oder am gleichen Zahn (s. Abb. 1b und d) gleichzeitig vorliegen. Parodontitis verläuft schubweise. Schweregrad und Verlauf können durch weitere Faktoren (z. B. anatomisch, funktionell, systemisch) beeinflusst werden8. Die Zerstörung des Zahnhalteapparates durch Parodontitis ist kein kontinuierlicher Prozess, sondern geprägt von Phasen der Aktivität mit Exazerbation der Entzündung und Schüben knöcherner Resorption und solchen der Inaktivität oder Ruhe, während derer ein Gleichgewicht zwischen Noxen und Wirtsabwehr zu bestehen scheint und sich resorptive und regenerative Prozesse die Waage halten (Abb. 3)9. Auch in einer parodontalen Läsion existieren Knochenformation und -resorption nebeneinander, nur dass die resorptiven Prozesse überwiegen und es in der Gesamtheit zu einem Abbau des alveolären Knochens kommt. Ein grundlegendes Ziel parodontaler Therapie ist es daher, den dysbiotischen Biofilm als Auslöser der chronischen Entzündung zu beseitigen oder zumindest deutlich zu reduzieren, um ein Dominieren kollagen- und knochenbildender Prozesse zu ermöglichen (Resolution)6.
Abb. 3 Kritischer-Verlauf-Pathogenesemodell der Parodontitis: Ineffektive Plaquekontrolle oder eine exogene Infektion transformieren die normale (Symbiose: 1) zu einer pathogenen Flora (Dysbiose: 2). Gelingt es den neutrophilen Granulozyten, diese Flora in Schach zu halten (neutrophile Clearance; 3), bleibt es bei Gingivitis. Können die Granulozyten die pathogene Flora nicht abwehren (z. B. Granulozytendysfunktion oder virulente Mikroorganismen überwinden diese Barriere), penetrieren Bakterien ins Gewebe (4). Damit ist die Grenze von der Gingivitis zur Parodontitis überschritten. Im lymphozytären Infiltrat, in dem bisher T-Zellen dominierten, reichern sich nun B-Zellen und Antikörper bildende Plasmazellen an (5). Gelingt es dem Organismus, genug protektive Antikörper zu produzieren, um die Mikroorganismen abzuwehren, bleibt die Zerstörung begrenzt. Die monozytäre/lymphozytäre Reaktion bestimmt, ob die über Zytokine vermittelten immunologischen und entzündlichen Prozesse primär protektiv oder destruktiv ablaufen (6) (nach Salvi9).
Warum geht eine durch bakterielle Plaque induzierte Gingivitis bei manchen Menschen früher, z. T. schon in jugendlichem Alter, bei anderen später oder aber bei manchen Individuen nie in eine Parodontitis über3,10? Die entzündliche Reaktion der Gingiva ist ein Schutzmechanismus: Sie soll verhindern, dass Mikroorganismen an der Schwachstelle der Körperhülle, die die Durchtrittsstelle der Zähne durch die Mundschleimhaut darstellt, ins Körperinnere (Blut, Bindegewebe, Knochen) eindringen. Diese Entzündungsreaktion ist hochkomplex1,4