Part of Your World - Abby Jimenez - E-Book + Hörbuch

Part of Your World Hörbuch

Abby Jimenez

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Beschreibung

Small Town Guy meets City Girl – Wenn du die große Liebe triffst und euch Welten trennen ... Als Alexis Montgomery, die Tochter einer legendären Arztfamilie, bei einer Reifenpanne auf Daniel Grant trifft und mit ihm eine Nacht verbringt, sind zwei Dinge klar: Zwischen Alexis und Daniel besteht eine unerklärliche Anziehung – und niemals kann aus ihnen ein echtes Paar werden, weil sie beide Welten trennen. Daniel kommt vom Land, ist 28 und damit zehn Jahre jünger als Alexis, und alles, was ihr Leben ausmacht, ist ihm völlig fremd. Denn Alexis muss in die Fußstapfen ihrer Eltern treten, die das renommierte Royame Hospital in Minneapolis leiten.  Sie beschließen, sich exklusiv zu daten – aber ohne Gefühle, ohne feste Beziehung.  Doch allein schon beim Gedanken, Daniel eines Tages aufzugeben, droht Alexis' Herz zu brechen ...   »›Part of Your World‹ sollten alle lesen, die nach einem aufbauenden, romantischen Feel-Good-Erlebnis suchen.« Ali Hazelwood, Spiegel-Bestsellerautorin »Ein emotionales Erlebnis, das bei leidenschaftlichen Romance-Fans alle Saiten zum Klingen bringt.« Kirkus Review

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Zeit:11 Std. 31 min

Sprecher:Richard LingscheidtKaroline Mask von Oppen
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Über das Buch

Als Alexis Montgomery bei einer Reifenpanne auf Daniel Grant trifft und mit ihm eine Nacht verbringt, sind zwei Dinge klar: Zwischen Alexis und Daniel besteht eine unerklärliche Anziehung – und niemals kann aus ihnen ein echtes Paar werden, weil sie aus völlig unterschiedlichen Welten stammen. Daniel kommt vom Land, ist 28 und damit zehn Jahre jünger als Alexis, und alles, was ihr Leben ausmacht, ist ihm völlig fremd. Denn Alexis muss in die Fußstapfen ihrer Ärztefamilie treten, die seit Generationen das renommierte Royaume Hospital in Minneapolis leitet. Doch allein schon beim Gedanken, Daniel aufzugeben, droht Alexis’ Herz zu brechen.

Abby Jimenez

Part of Your World

Roman

Aus dem amerikanischen Englisch von Urban Hofstetter

 

 

 

Für Jeannette, Terri, Dawn und Lindsay. Ohne eure unermüdliche Unterstützung würde ich nicht mal halb so viel schaffen. Dieser Roman ist für euch.

 

 

 

Liebe*r Leser*in,

 

während es sich bei all meinen Büchern um Rom-Coms handelt, kommen in dieser Geschichte einige Themen vor, die für manche Leser*innen triggernd sein könnten. Wenn du das Gefühl hast, dass Triggerwarnungen zu viel über die Handlung verraten und du sie nicht brauchst, überspringe bitte den nächsten Absatz und beginne direkt mit dem Buch.

In dem folgenden Roman geht es u.a. um emotionalen Missbrauch durch eine Nebenfigur, es finden sich Darstellungen von Gaslighting und Erwähnungen von physischer Gewalt an einer Nebenfigur.

Die Hauptfigur ist Ärztin in der Notaufnahme und es gibt kurze Erwähnungen von tödlichen Unfällen mit Beteiligung Minderjähriger, jedoch keinerlei Darstellung dieser Ereignisse.

Vielen Dank fürs Lesen und ich wünsche gute Unterhaltung mit meinem Buch.

 

Liebe Grüße

Abby

1

Alexis

Im Scheinwerferlicht sah ich Motten über dem hohen Gras der Böschung flattern. Noch immer hielt ich mit pochendem Herzen das Lenkrad umklammert.

Ich war im Nebel einem Waschbären ausgewichen und am Straßenrand in einen flachen Graben geschlittert. Körperlich war ich unversehrt. Zittrig, aber ansonsten okay.

Ich legte den Rückwärtsgang ein und trat aufs Gaspedal. Die Reifen drehten durch. Wahrscheinlich im Matsch. Mist. Hätte ich doch nur den SUV statt der Limousine genommen.

Ich stellte den Motor ab, aktivierte die Warnblinker und rief die Pannenhilfe an. Dort sagte man mir, dass ich eine Stunde würde warten müssen.

Perfekt. Wirklich perfekt.

Hier saß ich also, gestrandet auf irgendeiner einsamen Landstraße auf der Rückfahrt vom Friedhof in Cedar Springs in Iowa, und hatte noch zwei Stunden Fahrt bis Minneapolis vor mir. Ich war am Verhungern, musste auf die Toilette und trug Shapewear. Alles in allem war es der krönende Abschluss der schlimmsten Woche meines Lebens.

Ich rief meine beste Freundin Bri an. Gleich beim ersten Läuten meldete sie sich. »Und, wie war die Höllenwoche?«

»Sie hat ein würdiges Ende gefunden«, sagte ich und stellte die Rückenlehne flacher. »Ich habe gerade den Wagen in einen Graben gefahren.«

»Autsch. Ist alles okay mit dir?«

»Ja.«

»Hast du einen Abschleppwagen gerufen?«

»Habe ich. Die Wartezeit beträgt eine Stunde, und ich trage Spanx.«

Bri atmete zischend ein. »Die Unterwäsche des Teufels? Hast du dich nicht mehr umgezogen? Du musst ja regelrecht geflohen sein. Wo bist du?«

Ich spähte durch die Windschutzscheibe. »Keine Ahnung. Buchstäblich mitten in der Pampa. Nirgends sind Lichter zu sehen.«

»Hast du dein Auto geschrottet?«

»Ich weiß nicht. Ich kann nicht aussteigen und nachsehen, aber ich glaube nicht.« Unbehaglich rutschte ich auf dem Sitz herum. »Warte mal kurz. Ich ziehe das Teil aus.«

Ich schnallte mich ab, stellte die Lehne möglichst weit zurück und schlüpfte aus den Pumps. Nachdem ich sie auf die Beifahrerseite geworfen hatte, langte ich hinter mich, um den Reißverschluss meines schwarzen Cocktailkleids aufzuziehen, und wand mich aus den BH-Trägern. Anschließend legte ich mich auf den Sitz, schob das Kleid bis zu den Hüften hoch und hakte den Daumen in den Bund des Spanx.

Ich war allein. Seit einer halben Stunde hatte ich kein anderes Auto mehr gesehen. Während ich das Kleidungsstück mühsam abzustreifen begann, fiel jedoch Scheinwerferlicht durch die Heckscheibe. Wie hätte es auch anders sein können?

»Mist«, hauchte ich und bewegte mich schneller.

Es war, als würde ich versuchen, mich in Rekordgeschwindigkeit aus einem Ganzkörper-Stützstrumpf zu winden. Eine Autotür knallte zu. Hektisch rollte ich meine Spandex-Fesseln bis zu den Knien hinunter. Während ich sie mir von den Füßen trat, nahm ich eine Bewegung neben dem Seitenfenster wahr.

Ein großer struppiger Hund sprang an meiner Tür hoch und sah zu mir herein. Einen Moment später tauchte ein bärtiger Mann in einem Jeanshemd mit Wollkragen hinter ihm auf. »Aus, Hunter.« Er zog den Hund von meinem Auto weg und klopfte mit einem Fingerknöchel an die Scheibe. »He, da drinnen. Ist alles in Ordnung?«

Mein Reißverschluss war noch immer halb geöffnet und mein Kleid fast bis zum Slip hochgerutscht. »Mir geht es gut«, sagte ich, während ich das Kleid über die Oberschenkel hinunterzog und mich so drehte, dass mein nackter Rücken zur Beifahrerseite zeigte. »Waschbär.«

Er hielt sich eine Hand hinter das Ohr. »Tut mir leid, ich kann dich nur ganz schlecht hören.«

Ich öffnete das Fenster einen winzigen Spalt. »Ich musste einem Waschbären ausweichen, aber mir geht’s gut«, wiederholte ich noch mal lauter.

Er sah mich amüsiert an. »Ja, von denen haben wir hier eine ganze Menge. Soll ich dich da rausziehen?«

»Nein danke, ich habe einen Abschleppwagen gerufen.«

»Das heißt, du wartest auf Carl«, erwiderte er. »Bis der kommt, kann es eine Weile dauern.« Er nickte in Richtung Straße. »Er sitzt in unserer Veteranenbar und trinkt gerade sein sechstes Bier.«

Erschöpft schloss ich die Augen und seufzte. Als ich sie wieder aufschlug, lächelte der Mann. »Warte einen Moment, ich zieh dich raus«, sagte er und ging zu seinem Auto zurück, ohne meine Antwort abzuwarten.

Rasch zog ich den Reißverschluss meines Kleids zu und nahm das Handy vom Beifahrersitz. »Irgend so ein Typ schleppt mich ab«, flüsterte ich Bri zu.

Ich verstellte den Innenspiegel, um einen Blick auf sein Nummernschild zu werfen, doch seine Scheinwerfer blendeten mich. Im nächsten Moment hörte ich etwas klirren. Der Hund sprang erneut hoch und sah durch das Fenster herein. Er wedelte mit seinem kurzen Schwanz und bellte.

»Ist das ein Hund?«, fragte Bri.

»Ja, er gehört dem Mann«, erwiderte ich, während ich dem Hund fest in die Augen schaute und den Kopf schüttelte. Er leckte an der Scheibe.

»Wieso bist du so kurzatmig?«

»Weil ich gerade dabei war, meine Spanx auszuziehen, als der Typ aufgetaucht ist.« Ich hob das fragliche Kleidungsstück vom Boden auf, knüllte es zusammen und stopfte es in meine Handtasche. »Ich war halb nackt.«

Bri lachte so laut, dass ich das Handy vom Ohr weghalten musste.

»Das ist nicht lustig«, zischte ich.

»Für dich vielleicht nicht«, sagte sie, noch immer lachend. »Und wie sieht der Typ aus? Ist er ein gruseliger alter Sack?«

»Nein, eigentlich ist er ganz süß«, erwiderte ich und versuchte, im Seitenspiegel zu erkennen, was hinter mir vor sich ging.

»Aaaah. Und wie siehst du aus?«

Ich blickte an mir herab. »Frisur und Make-up sitzen, und ich trage ein schwarzes Trauerkleid …«

»Das von Dolce?«

»Ja.«

»Du siehst also heiß aus. Dann bleibe ich besser dran, für den Fall, dass du ermordet wirst.«

»Ha, tausend Dank.« Ich lehnte mich auf meinem Sitz zurück.

»Und, war das Begräbnis schlimm?«

»Total ätzend«, seufzte ich. »Alle haben gefragt, wo Neil ist.«

»Und was hast du geantwortet?«

»Dass wir uns getrennt haben und ich nicht darüber sprechen will, sonst nichts. Ich habe mich bedeckt gehalten. Und Derek ist natürlich nicht aufgekreuzt.«

»Ausgerechnet jetzt muss er in Kambodscha sein«, sagte Bri. »Er verpasst den gaaaaanzen Spaß.«

Mein Zwillingsbruder neigte dazu, sich aus allen Familiendramen rauszuhalten. Natürlich hatte er nicht wissen können, dass Großtante Lil ganz plötzlich in ihrem Pflegeheim sterben würde, trotzdem war es typisch für ihn, dass er mich bei der anschließenden dreitägigen Trauerfeier allein im Regen stehen ließ.

Ich ließ das Fenster ein bisschen weiter herunterfahren, um den Hund zu streicheln. Er hatte buschige Augenbrauen wie ein alter Mann und große goldene Augen, mit denen er mich erstaunt ansah.

»Meine Mom hat eine tolle Trauerrede gehalten«, sagte ich und kraulte den Hund hinter den Ohren.

»Das überrascht mich nicht.«

»Und Neil hat mir die ganze Zeit Nachrichten geschrieben.«

»Auch das überrascht mich nicht. Dieser Mann ist wirklich dreist. Hast du darauf reagiert?«

»Äh, nein.«

»Gut.«

Erneut klirrte draußen etwas.

»Sag mal«, fuhr Bri fort, »was hältst du davon, wenn wir nach deiner Rückkehr ein Doppeldate organisieren?«

Ich stöhnte.

»Hör mir doch erst mal zu. Das wird ganz einfach.«

Es würde überhaupt nicht einfach werden.

»Wir suchen uns auf Tinder zwei hotte Typen aus. Wahrscheinlich werden sie auf ihren Bildern mit Fischen posieren, aber das ist egal. Wir gehen mit ihnen in das Café, wo Nick jeden Tag um halb zwölf sein Mittagessen holt. Und wenn er auftaucht, machen wir einen auf voll überrascht, ihn dort zu sehen. Du tust so, als würdest du stolpern, und schüttest ihm Rotwein aufs Hemd, und ich mache währenddessen mit meinem Date rum.«

»So gerne ich dir helfen würde, die Garderobe deines zukünftigen Ex-Mannes zu ruinieren«, erwiderte ich kichernd, »muss ich dich leider enttäuschen. In nächster Zeit werde ich mich auf gar keinen Fall verabreden. Einen Mann kann ich in meinem Leben gerade absolut nicht gebrauchen. Oder überhaupt je wieder.«

Bri schnaubte. »Jaja, du bist eine total unabhängige Frau. Aber warte erst mal ab, bis um drei Uhr morgens ein Rauchmelder Alarm schlägt und außer dir niemand da ist, um ihn mit einem Besenstiel von der Decke runterzuschlagen.«

Ich schnaubte.

»Aber jetzt mal ganz im Ernst«, sagte sie. »Wir waren noch nie gleichzeitig Single. Das sollten wir ausnutzen und uns einen coolen Party-Sommer gönnen.«

»Ich glaube, mir wäre eher nach einem Altweibersommer …«

Sie schien darüber nachzudenken. »Das ginge auch.«

Wieder klirrte etwas, und das Auto ruckelte, als würde der Mann etwas an der Stoßstange befestigen.

»Wollen wir morgen was trinken gehen?«, fragte Bri.

»Um welche Uhrzeit? Ich habe Pilates.«

»Danach.«

»Okay, geht klar.«

Ich bemerkte eine Bewegung im Seitenspiegel und sah den Mann wieder nach vorne kommen. Sofort hörte ich auf, seinen Hund zu kraulen, und fuhr die Seitenscheibe wieder fast komplett hoch. »Warte mal«, flüsterte ich ins Handy. »Der Typ kommt zurück.«

Er zog seinen Hund erneut von meinem Auto weg und beugte sich vor, um durch den schmalen Spalt mit mir zu sprechen. »Lege jetzt bitte den Leerlauf ein.«

Ich nickte.

»Und wenn ich dich rausgezogen habe, schalte den Motor aus, bis ich die Ketten wieder entfernt habe.«

Ich nickte ein weiteres Mal und sah zu, wie er in seinen Pick-up einstieg und den Motor anließ. Es gab einen Ruck, und mein Auto rollte langsam die Böschung hinauf. Als es wieder vollständig auf der Straße stand, kehrte der Mann mit einer Taschenlampe zurück und sah sich die vordere Stoßstange an.

Eine Libelle landete auf der Motorhaube und verharrte dort reglos, während mein Retter in die Hocke ging und meine Reifen inspizierte. Schließlich schaltete er die Lampe aus und ging ein weiteres Mal zum Heck, wo erneut ein metallisches Klirren erklang. Eine knappe Minute später kam er wieder an mein Fenster. »Ich habe mir dein Auto angesehen. Es scheint unbeschädigt zu sein. Ich denke, du kannst beruhigt weiterfahren.«

»Vielen Dank«, erwiderte ich und schob zwei Zwanziger durch den Schlitz.

Der Mann lächelte. »Das war gratis. Gute Fahrt.« Damit stieg er in seinen Pick-up, hupte und winkte freundlich, während er an mir vorbei in den Nebel fuhr.

2

Daniel

»Hundert Dollar, wenn du sie dazu bringst, mit dir hier rauszugehen«, sagte Doug und nickte zu der Rothaarigen an der Theke hinüber.

Sie war die Frau, die ich vor einer halben Stunde aus dem Straßengraben gezogen hatte. Fünfzehn Minuten später war sie in die Bar spaziert. Es war neun Uhr an einem Dienstagabend im April, und wie immer um diese Zeit schien unser ganzes Städtchen hier drinnen versammelt zu sein. Der Schnee war geschmolzen und die Saison damit offiziell vorbei. Abgesehen von Jane’s Diner und dieser Bar würde bis zum Sommer alles geschlossen bleiben, und Jane hatte ihren Laden um acht Uhr dichtgemacht. Es war kein einziger Tourist mehr da, was bedeutete, dass diese arme nichtsahnende Durchreisende unerbittlich angebaggert werden würde, schließlich war sie eine der wenigen Frauen in diesem Kaff, die weder mit uns verwandt noch mit uns aufgewachsen war.

Schnaubend kreidete ich die Spitze meines Queues ein. »Seit wann hast du denn hundert Dollar?«

Brian, der auf einem Barhocker saß, lachte. »Wenn du wirklich so viel Geld locker hast, Doug, gehören fünf Mäuse davon mir. Die schuldest du mir noch für die Getränke neulich Abend.«

»Glaubst du wirklich, dass du das Geld je wiedersiehst?«, murmelte ich.

Doug zeigte uns beiden den Mittelfinger. »Ich habe das Geld.« Er sah Brian an. »Und deine fünf auch, du Sack. Außerdem zahle ich nicht die ganzen hundert. Die beiden Verlierer zahlen je fünfzig, und wer sie abschleppt, streicht alles ein.«

»Lasst sie in Ruhe«, sagte ich und machte meinen Stoß. Die Kugeln schossen über den Billardtisch, und die Sechs verschwand in einer Ecktasche. »Sie wird sicher mit niemandem aus dieser Bar nach Hause gehen.«

Frauen wie sie wollten mit Männern wie uns nichts zu tun haben.

Ihr Mercedes, den ich aus dem Graben gezogen hatte, war mehr wert, als wir drei zusammen im Jahr verdienten. Außerdem sah sie mit ihrem edlen Kleid, den großen Diamant-Ohrsteckern und dem ebenfalls mit Diamanten besetzten Tennisarmband aus, als wollte sie zu einer Cocktailparty auf einer Jacht. Sie machte bestimmt nur einen kurzen Zwischenstopp und hatte nicht vor, die Nacht bei uns zu verbringen. Um ehrlich zu sein, überraschte es mich, dass sie überhaupt zum Essen angehalten hatte, anstatt die fünfundvierzig Minuten bis Rochester weiterzufahren. Unsere Veteranenbar war alles andere als ein Feinschmeckerrestaurant.

Doug fischte das Geld aus seiner Brieftasche.

»Ich bin raus«, sagte ich und versenkte die Acht in der Mitteltasche. »Ich wette nicht gerne auf Menschen. Sie ist kein Rennpferd.«

Doug schüttelte den Kopf. »Versuch doch wenigstens mal, Spaß zu haben.«

»Ich habe Spaß.«

»Ach ja? Wann hast du das letzte Mal was mit einer Frau gehabt? Wie lange ist das mit Megan jetzt her? Vier Monate?«

»Lieb, dass du dir um mich Sorgen machst, aber ich bin nicht auf der Suche nach schnellem Sex.«

Doug schien einzusehen, dass er sich an mir die Zähne ausbeißen würde, und wandte sich Brian zu. »Und was ist mit dir? Hundert Dollar?«

Brian sah unwillkürlich zu Liz hinüber, die hinter der Theke stand und Getränke zapfte.

Doug verdrehte die Augen. »Allmählich wird’s echt deprimierend. Sie ist verheiratet. Verheiratet. Du musst endlich über sie hinwegkommen. Am besten lädst du dir eine Dating-App auf dein Handy.« Doug trank einen Schluck von seiner Sprite und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. »Letzte Woche habe ich über Tinder Zwillinge kennengelernt. Zwillinge.«

Ich machte den nächsten Stoß. »Ach ja? Du hast es also geschafft, zwei Frauen gleichzeitig zu enttäuschen?«

Brian lachte.

Doug ignorierte mich. »Ernsthaft, Mann. Liz wird ihren Typen nicht verlassen. Du musst dich anderweitig umschauen.«

Brian sah erneut zu Liz. Wie aufs Stichwort ging in diesem Moment die Eingangstür auf, und Jake schlenderte in seiner Polizeiuniform in die Bar.

Wir hielten inne und sahen zu, wie er den Raum durchquerte. Unterwegs klopfte er mehreren Leuten auf den Rücken und begrüßte sie übertrieben laut, damit auch ja jeder mitbekam, dass er uns mit seiner Anwesenheit beehrte.

Schließlich trat er hinter die Theke, als würde die Bar ihm gehören, und gab Liz einen filmreifen Kuss. Ein paar Gäste johlten. Doug und ich wechselten einen Blick. Was für ein Arschloch.

Ein gekränkter Ausdruck huschte über Brians Gesicht.

Verdammt, vielleicht hatte Doug ja recht. Seine komische Wette war zwar sicher nicht die Lösung, aber Brian musste wirklich über Liz hinwegkommen. Sie würde Jake nicht verlassen – obwohl es definitiv das Beste für sie wäre.

Doug winkte Mike zu uns, der auf dem Weg zur Toilette war. »Hey, Mike! Hundert Dollar, wenn du sie dazu bringen kannst, mit dir die Bar zu verlassen.« Er deutete zu der Frau an der Theke.

Mike blieb stehen und spähte durch seine Brillengläser zu ihr hinüber. Offenbar gefiel ihm, was er sah, denn er fischte seinen Geldbeutel heraus. »Das kommt mir fast unfair vor. Ich streiche hundert Dollar ein und bekomme dazu auch noch eine schöne Frau.«

Ich sah auf die Uhr und räumte meinen Queue weg. »Ich muss los, die Kleine braucht was zu essen.«

»Immer das Gleiche mit dir«, stöhnte Doug resigniert. »Na schön, dann hau schon ab.« Er sah über meine Schulter zu der Frau an der Theke. »Sei so nett und leg auf dem Weg nach draußen noch ein gutes Wort für mich ein, okay?«

»Du willst also, dass ich sie anlüge«, entgegnete ich und schlüpfte in meine Jacke.

Brian und Mike feixten.

Doug ignorierte mich und legte seinen Queue auf den Billardtisch. »Ich gehe mal meine Geheimwaffe holen.«

Lachend machte ich mich auf den Weg zur Theke.

3

Alexis

»Hast du dich schon für was entschieden?«, fragte Liz, die hübsche Barkeeperin, und wischte die Theke sauber.

Sie war blond, hatte ein Rosen-Tattoo auf dem Handgelenk und trug pinken Lippenstift.

Ich ließ den Blick erneut über die Speisekarte wandern, die sie mir gereicht hatte. »Was würdest du denn empfehlen?«, fragte ich zögerlich. Fast alle Gerichte waren frittiert.

»Das Chili ist selbst gemacht«, sagte sie.

Ich verzog den Mund. »Ich stehe nicht so auf Chili.«

Der Nebel war mittlerweile so dicht geworden, dass ich es auf keinen Fall mehr nach Hause geschafft hätte, bevor ich unbedingt hätte etwas essen und die Toilette aufsuchen müssen. Die einzige Tankstelle im Ort war geschlossen, sodass ich dort weder hatte aufs Klo gehen noch einen Snack hatte kaufen können. Google hatte mir freundlicherweise den Weg zum einzigen offenen Lokal im Umkreis von fünfzig Meilen gewiesen – der Veteranenbar, die der Typ mit dem Pick-up erwähnt hatte.

Diese Bar war … ziemlich schäbig eingerichtet. Die billigen Stühle passten nicht zu den Tischen, an den Wänden hingen abgeplatzte Brauereischilder, daneben gerahmte Orden und Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Veteranen. Aus einer alten Jukebox an der Wand dröhnte »Bennie and the Jets«. Über der Theke war ein großer Hirschkopf angebracht, auf dessen Geweih eine regenbogenfarbene Weihnachtslichterkette hing. Alles in allem machte das Lokal einen reichlich heruntergekommenen Eindruck. Unter normalen Umständen wäre ich nicht in einer Million Jahren hier eingekehrt.

Eine hochschwangere junge Frau trat neben Liz und zog, eine Hand auf den unteren Rücken gestützt, eine Magnetkarte durch die Kasse.

»Gehst du, Hannah?«, fragte Liz, die gerade ein Bier zapfte.

»Ja.« Hannah schnitt eine Grimasse. »Das Baby stemmt den Fuß in meine Blase.«

»Ich bringe dein Trinkgeld ins Büro«, sagte Liz und wandte sich wieder mir zu. »Schade, dass du nicht schon hier warst, als Jane’s Diner noch offen hatte. Bis im Sommer die Touristen zurückkommen, ist bei uns nicht viel geboten.«

»Touristen?«, fragte ich.

»Ja, Wakan liegt am Root River«, erwiderte sie. »Und bis Minneapolis sind es nur zwei Stunden. Wir haben also viele Weekend Warriors hier. Im Moment sind wir Dörfler aber unter uns, und heute Abend sind alle hier – alle dreihundertfünfzig von uns.« Sie lachte und deutete mit dem Kopf in den vollbesetzten Raum.

Ich drehte mich auf dem Hocker um. Es stimmte. In der ganzen Bar war kein einziger Platz mehr frei.

Während ich den Blick über die Menge gleiten ließ, erspähte ich am Billardtisch den Mann, der mich aus dem Graben gezogen hatte.

Er war tatsächlich süß und ziemlich groß.

Da er hier drinnen keine Jacke anhatte, erkannte ich, dass er außerdem recht gut gebaut war. Mit dem Bart und seinem hochgekrempelten Flanellhemd wirkte er wie ein Holzfäller. Er hatte dunkelbraune Haare, haselnussbraune Augen, und wenn er lächelte, bildeten sich Grübchen in seinen Wangen. Seine Unterarme waren mit farbigen Tattoos bedeckt.

Ich sah rasch zur Seite, damit er meinen Blick nicht bemerkte.

Eine Glocke bimmelte, und Liz schaute an mir vorbei. Über ihr Gesicht huschte ein nervöser Ausdruck, doch sie lächelte. Ich folgte ihrem Blick. Ein gut aussehender Polizist trat durch die Tür. Er war über eins neunzig groß, hatte braune Augen und dichte braune Haare. Unter der beigen Sheriff-Uniform zeichnete sich ein fitter Körper ab. An seiner Hüfte hing ein Pistolenholster, und an der Brust prangte ein goldenes Dienstabzeichen. Er trug einen Ehering.

Liz lächelte ihn an, während er sich zu ihr hinter die Theke gesellte. »Hey, Baby.«

Er beugte sich vor und küsste sie. Ein paar Gäste pfiffen. Dann hob er ihr Kinn an, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. »Ich habe dir deinen Pullover mitgebracht«, sagte er und drückte ihn ihr in die Hände. »Du hast ihn im Streifenwagen liegen lassen.«

»Das ist so süß von dir.« Liz blickte kurz auf das weiße Stoffbündel hinunter, dann sah sie zu mir. »Schau mal, Jake, das ist …« Sie verstummte und realisierte, dass ich ihr meinen Namen noch gar nicht genannt hatte.

Jake wandte sich ebenfalls zu mir um und schien mich jetzt erst zu bemerken.

»Alexis«, sagte ich. »Freut mich.«

»Willkommen in Wakan«, erwiderte er und drehte sich zu seiner Frau um. »Ich muss los. Um zwölf hole ich dich ab.« Er küsste sie noch einmal und nickte mir kurz zu, bevor er wieder ging.

Seufzend begann ich erneut, die Karte zu überfliegen, und überlegte, ob ich nicht vielleicht doch einfach weiterfahren sollte. Keines der Gerichte sprach mich an. »Was könnte ich abgesehen vom Chili denn sonst noch versuchen?«, fragte ich.

»Hey, Liz«, sagte ein Mann hinter mir. »Ich würde gern zahlen.«

Ich hob den Blick. Es war der Fahrer des Pick-ups.

Liz lächelte ihn an. »Machst du dich heute früher auf den Heimweg?«

»Ich muss der Kleinen was zum Essen geben«, sagte er und lächelte mich an. »Hi.«

»Hallo«, sagte ich und wandte mich ihm zu. »So sieht man sich wieder.«

»Und diesmal unter viel erfreulicheren Umständen«, erwiderte er.

Ich lächelte. »Danke noch mal für vorhin. Das wäre wirklich nicht nötig gewesen.«

»Ich widerspreche dir nur ungern, aber« – er nickte zu einem Mann am Ende der Theke, der ziemlich derangiert und mit blutunterlaufenen Augen vor sieben leeren Biergläsern saß – »der da wäre dein Ritter im glänzenden Abschleppwagen gewesen.«

Ich saugte zischend Luft durch die Zähne. »Dann hätte ich ja die ganze Nacht dort gesessen.«

»Nein, in fünf oder sechs Stunden wäre sicher irgendwer von uns vorbeigekommen und hätte angehalten.«

Ich lachte.

»Ich heiße Daniel«, sagte er und reichte mir lächelnd die Hand.

»Alexis«, erwiderte ich. Seine Handfläche war rau und warm.

»Ich muss dich warnen«, sagte er und lehnte sich an die Theke. »Siehst du die Typen da drüben?« Er nickte zu den drei Männern, die um den Billardtisch herumstanden. »Die haben eine Wette laufen, wer von ihnen es schafft, die Bar mit dir zu verlassen.«

Liz stöhnte. »Das sind solche Saftsäcke«, murmelte sie und zog seine Karte durch das Lesegerät. »Macht Brian auch mit?«

»Nein, nur Mike und Doug«, erwiderte er. »Siehst du den Kerl mit der Brille?«, fragte er an mich gewandt.

Ich verlagerte das Gewicht auf dem Hocker, um die Männer besser erkennen zu können. »Ja …«

»Er hat ziemlich bedenklichen Hautausschlag.«

Ich schnaubte, und Liz lachte.

»Der große, blasse Typ mit der Carhartt-Jacke wohnt im Keller seiner Mutter«, fuhr er fort. Der besagte sandblonde Mann winkte grinsend in unsere Richtung. »In rund fünf Minuten wird er von irgendwo eine Gitarre hervorholen«, sagte Daniel und sah mich an. »Er wird dir ›More Than Words‹ von Extreme vorsingen, und zwar besonders furchtbar.«

Liz schob ihm grinsend seinen Kartenbeleg zu. »Das stimmt. Richtig grauenhaft.«

Ich sah zu, wie er den Beleg unterschrieb. Obwohl die Rechnung nur zehn Dollar betrug, fügte er zehn Dollar Trinkgeld hinzu. Er drehte den Beleg um und stieß sich von der Theke ab. »Also dann, viel Glück«, sagte er und machte sich auf den Weg zum Ausgang.

»Warte!«, rief ich ihm nach.

Er blieb stehen und sah zu mir zurück.

»Wie hoch ist der Einsatz?«

Er zuckte mit den Schultern und zog den Autoschlüssel aus der Jackentasche. »Hundert Dollar.«

»Und was ist mit dir? Wettest du nicht mit?«

»Das ist nicht mein Ding«, sagte er kopfschüttelnd.

»Nein? Und was wäre, wenn ich mit dir die Bar verließe? Würdest dann du das Geld einsacken?«

Er runzelte die Stirn. »Ich kann dir nicht ganz folgen.«

»Ich will sowieso gehen. Du könntest mich nach draußen begleiten und diese Wette gewinnen.«

Jetzt lächelte er. »Das würdest du tun?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Klar.«

Er sah zu den Männern auf der anderen Seite des Raums hinüber.

Der mit der Carhartt-Jacke hielt mittlerweile tatsächlich eine Gitarre in der Hand.

Daniel wandte sich wieder mir zu. Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Wenn wir es so machen, teilen wir uns den Gewinn.«

Ich drehte mich zu Liz um und deutete auf Daniel. »Wo würdest du ihn auf einer Skala von eins bis Serienmörder verorten? Kann ich mit ihm gefahrlos auf einen dunklen Parkplatz gehen?«

Sie lächelte. »Daniel ist der einzige Kerl, mit dem ich diese Bar verlassen würde.«

»Ich weiß nicht, was ich davon halten soll«, sagte er. »Vergiss nicht, dass du meine Cousine bist.«

Sie lachte. »Er ist harmlos.«

»Und wird er sich auch an unsere Vereinbarung halten und mir die Hälfte vom Gewinn abgeben?«, fragte ich.

Sie nahm ein Geschirrtuch in die Hand und trocknete ein Whiskyglas ab. »Das wird er sogar tun, wenn diese Idioten da drüben ihm nicht wie abgemacht das Geld geben. Auf ihn kann man sich verlassen.«

Ich sah Daniel wieder an, der erneut mit den Schultern zuckte. »Ich bin kein Arschloch. Das mag ich an mir selbst am allerliebsten.«

Ich lächelte. Er war witzig.

»Okay«, sagte ich. »Dann haben wir einen Deal.« Ich deutete auf den Barhocker neben mir. »Aber setz dich erst noch mal hin und rede ein bisschen mit mir, damit sie auch glauben, dass du mich rumgekriegt hast.«

Er sah auf die Uhr, nickte und nahm Platz.

»Also gut, erzähl mir etwas von dir«, sagte ich. »Was machst du so?«

»Ich bin so eine Art Liegenschaftsverwalter«, erwiderte er.

Liz, die gerade wieder ein Bier zapfte, lachte. »Er ist der Bürgermeister.«

Ich hob eine Augenbraue. »Der Bürgermeister? Wow.«

»Das ist nur ein Ehrenamt. Wakan ist winzig. Ich habe in dieser Funktion kaum etwas zu tun.«

Liz schüttelte den Kopf. »Nur keine falsche Bescheidenheit, Daniel. Du hältst den ganzen Ort am Laufen.« Sie drehte sich zu mir um. »Daniel leitet die samstägliche Bingo-Runde, ist Mitglied bei der freiwilligen Feuerwehr und gibt sogar den Weihnachtsmann.« Liz nickte zu einem der gerahmten Artikel über der Kasse.

Santa kommt nach Wakan.

Zu dem Artikel gehörte ein Farbfoto von einem ordentlich gepolsterten Santa Claus mit einem kleinen Jungen auf dem Knie.

Lächelnd sah ich wieder zu Daniel.

»Und was machst du so?«, wechselte er das Thema.

Ich zuckte mit den Schultern. »Nichts weiter Erwähnenswertes.«

Ich verriet Fremden ungern, wer ich war.

Er hakte nicht nach. »Okay, und was führt dich nach Wakan?«

»Ich komme gerade von einer Beerdigung.«

Sein Blick wurde ernst. »Oh, das tut mir leid.«

»Tante Lil war achtundneunzig und hatte ein sehr gutes Leben. Mit vielen Liebhabern, wie sie immer sagte.«

Er lächelte.

»Wakan liegt auf meinem Heimweg. Ich wohne in Minneapolis. Sag mal, ist es hier immer so neblig?«

»Es ist neblig?«, fragte Liz überrascht.

Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, nie. Das ist tatsächlich ziemlich ungewöhnlich.«

Ich nickte. »Und du hast ein Kind, oder?«, fragte ich.

Er sah erneut auf die Uhr. »Ja, stimmt. Sie heißt Chloe.«

»Wie alt ist sie?«

»Eine Woche.«

»Oh«, sagte ich. »Dann ist sie ja wirklich noch sehr klein.«

Er trug keinen Ehering, aber das hatte nichts zu bedeuten.

»Hast du eine Freundin?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Wenn es so wäre, hätte ich mich nicht auf diese Wette eingelassen.«

»Du nimmst mich ja nicht wirklich mit nach Hause«, merkte ich an.

»Aber ich tue so. Und das fände ich meiner theoretischen Freundin gegenüber respektlos.« Er grinste.

»Dann bist du also nicht mit der Mutter des Babys zusammen?«

Er wirkte amüsiert. »Nein, ganz gewiss nicht. Ich habe es nur zur Pflege.«

Liz lächelte. »Chloe ist soooo süß, und er ist ihr ein richtig guter Vater.« Sie nickte Daniel zu. »Zeig ihr ein Foto.«

Er zog sein Handy heraus, wischte über das Display und hielt es mir hin.

Ich stieß ein Lachen aus. »Dein Kind ist ein Ziegenbaby? Und es trägt einen Pyjama?«

»Ja. In ein paar Wochen gebe ich sie wieder zurück. Sie gehört Doug, dem Mann mit der Gitarre. Chloes Mutter hat eine Brustentzündung, und Doug kann sie nachts nicht füttern, also übernehme ich das für ihn.«

»Damit ich das richtig verstehe«, sagte ich und schlug ein Bein über das andere. »Obwohl Doug ein Zicklein hat, versucht er, mich mit einer schlechten Cover-Version von ›More Than Words‹ zu verführen? Wenn man ein Ziegenbaby hat, muss man das definitiv als Allererstes erwähnen.«

Daniel lachte. »Genau genommen habe ich das Ziegenbaby.«

Liz tat Eiswürfel in ein Whiskyglas. »Ich sage ihm immer wieder, dass er für sein Tinder-Profil nicht mehr als ein Bild von Chloe und seine Adresse bräuchte.«

Ich lachte.

Daniel deutete über die Schulter nach hinten. »Sehen sie uns zu?«

Ich sah kurz zum Billardtisch. »O ja. Carhartt-Jacken-Doug stimmt seine Gitarre. Wie lange wird es schätzungsweise noch dauern, bevor er mir ein Ständchen bringt?«

»Ich würde sagen, ein oder zwei Minuten.«

»Okay.« Ich beugte mich zu ihm vor. »Ich werde gleich so tun, als hättest du etwas extrem Witziges zu mir gesagt, und lachen. Dann sind wir hier fertig.«

Er rieb sich das Kinn. »Wie wirst du lachen?«

»Was meinst du mit wie?«

»Was immer ich angeblich zu dir sage, muss so gut sein, dass du mit mir das Lokal verlässt, obwohl du mich erst seit fünf Minuten kennst. Du musst also ziemlich überzeugend lachen. À la Julia Roberts, würde ich sagen.«

Darüber musste ich tatsächlich lachen, was wiederum ihn erheiterte – und sein Lachen war tatsächlich atemberaubend. Um seine warmen braunen Augen bildeten sich Lachfältchen, und sein ganzes Gesicht schien sich zu erhellen.

Während wir uns gemeinsam totlachten, merkte ich, dass ich mir auf die Unterlippe biss und mich zu ihm vorbeugte. O Gott, ich tat nicht nur so, ich flirtete wirklich mit ihm.

Meine Beziehung mit Neil hatte sieben Jahre gehalten, und ich war davon ausgegangen, dass ich bis ans Ende meines Lebens mit ihm zusammenbleiben würde. Doch dann hatte ich mit ihm Schluss gemacht und seither allen Männern entsagt. Sie waren den Ärger einfach nicht wert. Ich hatte mir einen schönen Vibrator gekauft und mich mit siebenunddreißig aus dem Dating-Pool zurückgezogen.

Und nun flirtete ich.

Es war, als würde man herausfinden, dass eine vermeintlich tote Pflanze noch lebte und nur ein bisschen Wasser benötigt hatte.

»Oh, oh … Doug nähert sich«, flüsterte Liz.

Ich riss den Blick von Daniel los. Doug schlängelte sich mit der Gitarre in der Hand durch die Hochtische in Richtung Theke.

»Es wird Zeit zu gehen«, sagte Daniel. Er nahm meine Hand, half mir vom Barhocker und führte mich nach draußen.

4

Daniel

Ich ergriff ihre Hand. Wir wollten den Anschein erwecken, dass wir uns miteinander wohlfühlten, daher erschien es mir angebracht. Kühn, aber angebracht.

Sie zog die Hand nicht zurück.

Die Jungs sahen mit offenen Mündern zu, wie wir die Bar verließen. Ich hielt die freie Hand hinter den Rücken und zeigte ihnen den Mittelfinger.

Als wir auf dem Parkplatz standen, ließ ich Alexis’ Hand los, zog die Scheine aus der Brieftasche und reichte sie ihr.

Sie nahm das Geld, zählte es und steckte es in meine Hemdtasche.

»Äh, wir haben doch halbe-halbe ausgemacht«, sagte ich und steckte die Finger in die Tasche, um es ihr wiederzugeben.

»Ich bezahle dich für den Abschleppdienst.«

»Nein, das nehme ich nicht an«, sagte ich und hielt ihr die Scheine hin.

Sie verschränkte die Arme.

»Du hast hier eben bei dem kleinen Schauspiel fast die ganze Arbeit geleistet«, insistierte ich. »Du hast es verdient.«

»Erstens wäre ich gar nicht hier, wenn du mich nicht aus dem Graben gezogen hättest, und zweitens hätte ich dem besoffenen Carl viel mehr als fünfzig Dollar bezahlt. Außerdem darf ich doch wohl selbst entscheiden, was ich mit meinem unrechtmäßig erworbenen Gewinn anstelle.« Sie grinste mich verschmitzt an.

Lächelnd schüttelte ich den Kopf und gab auf. Dass sie sich nicht erweichen ließ, hatte den Vorteil, dass ich mir das Geld nicht von Doug und Mike würde zurückholen müssen. Außerhalb der Saison waren wir alle knapp bei Kasse. Und außerdem war ich ohnehin nicht wegen der Wette auf ihren Vorschlag eingegangen.

»Machst du so etwas öfter?«, fragte ich, während ich das Geld in meine Brieftasche zurücksteckte. »Für mich war das auf jeden Fall der absolute Höhepunkt der Woche.«

Sie lächelte. »Das muss eine ziemlich langweilige Woche gewesen sein.«

Ich lachte.

Ein Windstoß wehte ihr eine Strähne vor die Augen, und sie zog sie mit einem Finger beiseite. O Mann, war sie schön. Die roten Haare gingen ihr bis über die Schultern, sie hatte dunkelbraune Augen und Sommersprossen auf der Nase. Und sie schien ziemlich sportlich zu sein. Als ich sie vorhin beim Umziehen überrascht hatte, hatte ich vermutlich mehr von ihr zu sehen bekommen, als ihr lieb war. Ihr duftendes Parfüm stieg mir in die Nase. Ich wusste nicht, welches es war, aber wahrscheinlich ein teures.

Diese Frau spielte in einer ganz anderen Liga als ich. Es war kaum zu fassen, dass sie mit ihrem schicken Kleid und den Pumps auf diesem rissigen Parkplatz irgendwo im Nirgendwo stand. Wie ein Model, das sich von einem Fotoshooting für ein Modemagazin entfernt und verlaufen hatte.

Und sie hatte mit dem Nebel recht gehabt. Er hüllte den Parkplatz ein, als wäre die Bar von einem unsichtbaren Kraftfeld umgeben. Nicht gerade die besten Bedingungen für eine längere Fahrt.

Einen Moment lang sahen wir uns schweigend an, dann nickte sie zu ihrem Auto hinüber. »Ich sollte mich besser auf den Weg machen, und du musst dein Kind füttern. Kann man hier irgendwo in der Nähe etwas zu essen bekommen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, die nächste größere Stadt ist Rochester, und die liegt fünfundvierzig Minuten nördlich von hier.«

Sie verzog den Mund. »So was habe ich mir schon gedacht. Also gut. Es war schön, mit dir deine Freunde übers Ohr zu hauen.«

»Ja, fand ich auch.«

Sie lächelte mich noch einen Moment an, dann machte sie kehrt und ging zu ihrem Auto.

Ich sah ihr hinterher. »Warte mal.«

Sie drehte sich um. »Ja?«

»Ich könnte dir etwas zu essen machen. Bei mir zu Hause.«

»Was würdest du mir denn machen?«, fragte sie, ohne zu zögern. »Ich bin nämlich sehr wählerisch.«

Ich lächelte. »Tja, ich habe keine Dino-Nuggets, falls du auf so etwas hoffst.«

Damit brachte ich sie wieder zum Lachen.

Ich grinste sie an und ging in Gedanken den Inhalt meines Kühlschranks durch. »Was hältst du von gegrilltem Käse? Mit frischen Tomaten und Basilikum?«

Sie hob eine Braue. »Mit frischen Tomaten und Basilikum?«

»Ich habe einen Garten.«

»One-Night-Stands gibt’s bei mir nicht.«

Ich lachte. »Wow, wo kam das denn her?«

»Ich meine es ernst. Ich habe noch nie einen gehabt, und dabei bleibt es auch. Wenn du es darauf abgesehen hast, wirst du eine herbe Enttäuschung erleben.«

»Darauf habe ich es nicht abgesehen«, entgegnete ich aufrichtig.

Sie nickte und kam zu mir zurück. »Gut, aber mach dich darauf gefasst, dass ich meinen Elektroschocker mitnehme.«

»Okay.«

»Und ihn notfalls auch verwende.« Sie sah mich ernst an.

Ich machte ebenfalls ein ernstes Gesicht. »Das wird nicht nötig sein, aber ich glaube dir. Du siehst gewaltbereit aus.«

Sie versuchte, nicht zu lachen. »Und ich fahre mit meinem eigenen Auto.«

»Natürlich.«

»Eins noch.« Sie neigte den Kopf zur Seite. »Gibt es irgendjemanden, der glaubt, er hätte eine Beziehung mit dir?«

Ich lachte. »Hör mal, es geht nur um gegrillten Käse. Das ist keine große Sache.«

»Das weiß ich. Aber wenn ich glauben würde, ich hätte eine Beziehung mit jemandem, und würde nach Hause kommen und sehen, dass derjenige gegrillten Käse für eine andere Frau zubereitet, fände ich das nicht witzig.«

»Ich habe dir doch gesagt, dass ich keine Freundin habe.«

»Danach habe ich nicht gefragt.«

»Nein«, erwiderte ich lächelnd. »Niemand glaubt, er hätte eine Beziehung mit mir. Gibt es denn jemanden, der glaubt, er hätte eine Beziehung mit dir?«

Sie lachte. »Nein.«

»Okay.«

»Also gut.«

*

Am nächsten Morgen wachte ich um sechs Uhr auf, nackt und glücklich über das allerbeste Date meines Lebens.

Und dann merkte ich, dass sie verschwunden war.

5

Alexis

Ich schlich mich auf Zehenspitzen in mein Haus, wie ein Teenager, der länger als erlaubt unterwegs gewesen war.

Es war halb sieben Uhr morgens, ich hatte nur einen Schuh an und völlig zerzauste Haare, war mit getrocknetem Schlamm und Tierhaaren bedeckt und trug einen Hoodie, den ich Daniel auf dem Weg nach draußen geklaut hatte.

Ich war in Panik geraten und davongelaufen, während er schlief.

Immerhin war ich im Bett eines Fremden aufgewacht, in einer staubigen Garage in einem kleinen Ort mitten im Nirgendwo, nachdem ich den zugegebenermaßen besten Sex meines Lebens gehabt hatte – und zwar mit einem Achtundzwanzigjährigen.

Er war achtundzwanzig.

Mitten in der Nacht war ich aufgestanden, um auf die Toilette zu gehen, und hatte seinen Hoodie angezogen. Während ich mir die Hände wusch, fiel sein Geldbeutel aus der Bauchtasche, und sein Führerschein rutschte heraus.

Mir war bewusst gewesen, dass wir nicht gleich alt waren, aber nicht, dass der Altersunterschied zwischen uns fast zehn Jahre betrug.

Ich hatte einen One-Night-Stand mit einem völlig Fremden gehabt, der ein Jahrzehnt jünger war als ich.

Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? So etwas sah mir gar nicht ähnlich. Ich hatte nicht einfach so Sex. Neil hatte ich rund zwei Monate lang hingehalten, und unser erstes Mal hatte während eines akribisch geplanten romantischen Kurztrips in Mexiko stattgefunden. Ich hatte eine komplette Woche gebraucht, um die richtige Unterwäsche dafür auszusuchen, hatte mich epilieren und peelen lassen, und auf unserem Hotelbett waren Blütenblätter verstreut gewesen. Ich hatte mein ganzes Leben lang noch nie Sex mit jemandem gehabt, mit dem ich mich nicht in einer festen Beziehung befunden hatte. Und nun hatte ich mich mit einem Typen vergnügt, der kaum älter war als Neils Sohn.

Als mir das bewusst geworden war, flippte ich total aus.

Ich hatte mich rasch angezogen und davongemacht. Auf dem Weg zum Auto war ich in Hundekacke getreten. Oder war es Kacke von einem Schwein oder einer Ziege gewesen? Wie auch immer. Jedenfalls war es so viel gewesen, dass mir beim Weitergehen der Schuh vom Fuß gesaugt worden war. Ich war mir wie eine Eidechse vorgekommen, die auf der Flucht ihren Schwanz abwarf.

Nun humpelte ich in mein dunkles Wohnzimmer und warf die Schlüssel auf die Anrichte.

»Wo bist du gewesen?«

Ich schnappte nach Luft und sah zu Neils Lieblingssessel, aus dessen Richtung die Worte gekommen waren. Ein Licht ging an, und mein Herz begann wieder zu schlagen.

»Derek! O mein Gott, du hast mich halb zu Tode erschreckt.«

»Hallo, Schwesterherz«, erwiderte mein Zwillingsbruder strahlend, nur um mich gleich darauf besorgt anzusehen. »Geht es dir gut?«

Schnaubend sah ich auf mein zerstörtes Kleid und den nackten Fuß hinunter. »Ja«, seufzte ich. »Wie bist du hereingekommen?«

»Dein Alarm-Code ist identisch mit deiner Handy-PIN.«

»Du kennst meine Handy-PIN?« Ich bückte mich und streifte meinen verbliebenen Pumps ab.

»Ich kenne all deine Zugangscodes. Auch wenn du sie änderst.«

Ich lachte. Mein Bruder und ich waren schon immer davon überzeugt gewesen, als Zwillinge telepathisch miteinander verbunden zu sein.

»Was machst du hier?«, fragte ich, ging barfuß zum Sofa und setzte mich. »Ich dachte, du hättest noch sechs Wochen Kambodscha vor dir.«

»Jetzt bin ich eben früher zurück.«

»Aber nicht früh genug, um mir eine Woche allein mit unseren Eltern in Cedar Rapids zu ersparen«, gab ich trocken zurück.

»Dorthin hätten mich keine zehn Pferde gebracht.«

Ich lachte erneut und legte mit geschlossenen Augen den Kopf auf die Rückenlehne.

»Ist das da etwa ein Knutschfleck?«, fragte er.

»Was?!« Ich sprang vom Sofa, rannte zum Spiegel über der Anrichte und entdeckte unter meinem Ohr tatsächlich einen münzgroßen violetten Fleck. »Verdammt.«

»Du bist doch keine Zehntklässlerin mehr, Schwesterchen. Und warum hast du mir nicht gesagt, dass du wieder mit Neil zusammen bist?«

Stöhnend betastete ich den Fleck. »Weil es nicht so ist?«

Derek sah mich forschend an. »Wer hat dir den dann verpasst …?« Sein Blick fiel auf meinen Hoodie. »Und seit wann trägst du Tarnlook?«

»Tue ich nicht«, sagte ich, den Blick noch immer fest auf den Knutschfleck gerichtet. Er war so groß, dass ich ein Pflaster würde draufkleben müssen, um ihn zu verdecken. Ich zog den Reißverschluss des Hoodies auf und verdrehte die Augen. Auf meiner Brust war ein weiterer Knutschfleck. Ich sah noch mal genauer hin. Auf beiden Brüsten.

Derek wartete schweigend auf weitere Erklärungen.

Ich beendete meine Untersuchung, ließ mich wieder auf das Sofa fallen und rieb mir mit beiden Händen übers Gesicht. »Ich habe jemanden kennengelernt. Aber es ist nichts Ernstes.«

»Du hast jemanden kennengelernt? Wann?«

Ich neigte den Kopf zur Seite und sah ihn an. »Vor ungefähr zehn Stunden …«

Überrascht erwiderte er meinen Blick. »Okay, du steckst offenbar in einer Midlife-Crisis. So was kommt in den besten Familien vor. Wir können dir Hilfe besorgen.«

Ich lachte auf. Oje, wahrscheinlich hatte er tatsächlich recht damit. Wie ließe sich mein Verhalten sonst erklären?

»Auf der Rückfahrt vom Begräbnis bin ich mit dem Auto von der Straße abgekommen. Der Typ hat mich aus dem Graben gezogen. Er war nett und sehr süß, und ich bin mit zu ihm gefahren, um gegrillten Käse zu essen – der übrigens sehr gut geschmeckt hat. Er hat ihn mit Zutaten aus seinem eigenen Gewächshaus zubereitet. Auf dem Weg zu ihm sind wir einem frei herumlaufenden Schwein begegnet, das mich komplett dreckig gemacht hat …«

»Einem Schwein?«, fragte er verblüfft.

»Ja. Es kam aus dem Wald gelaufen, war gut drei Zentner schwer und hat mich total erschreckt. Wahrscheinlich ist es von einer nahe gelegenen Farm ausgebüxt. Es war nett. Ich habe es gestreichelt. Außerdem ist noch ein Hund an mir hochgesprungen. Und der Typ hat eine Babyziege, die einen Schlafanzug trägt, und …«

Er hob eine Hand. »Mehr musst du nicht sagen, das erklärt alles.«

Ich lachte müde. »Egal, es wird sowieso nichts draus«, murmelte ich. »Ich kenne noch nicht mal seinen Nachnamen.«

»Habt ihr verhütet?«

»Ja, natürlich. Ich habe noch immer meine Spirale, und er hat ein Kondom verwendet.«

Genau genommen mehrere, dachte ich und errötete.

»Gut. Ich bin froh, dass du dich amüsierst – und dass es nicht Neil war.«

Ich schnaubte. »Geht mir genauso.«

»Ich habe gesehen, dass seine Sachen noch immer hier sind.« Er nickte zur Garage.

Ich rieb mir die Stirn. »Ich habe all sein Zeug zusammengepackt, aber er weigert sich, es abzuholen.«

Derek beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Es tut mir leid, dass ich nicht bei dir war, als du mich gebraucht hättest«, sagte er ernst.

»Schon gut, du hast die Welt gerettet«, erwiderte ich.

Derek war sechs Monate lang weg gewesen, um für Ärzte ohne Grenzen zu arbeiten. Er war plastischer Chirurg und sehr gut in seinem Fach. In Kambodscha hatte er Brandwunden und Hasenscharten behandelt. Daher konnte ich ihm kaum böse sein, weil er nicht da gewesen war, um Neil persönlich zu sagen, dass er sich zur Hölle scheren solle. Allerdings hatte er es ihm meines Wissens klipp und klar am Telefon mitgeteilt.

Ich musterte ihn. »Warum bist du wieder da? Haben sie dich früher gehen lassen?«

Er lächelte. »Ich kann es dir sagen, aber vorher musst du eine Vertraulichkeitserklärung unterschreiben.«

Ich lachte über seinen vermeintlichen Witz, doch er griff tatsächlich in seine Umhängetasche, die seitlich am Sessel lehnte, und zog ein Blatt Papier und einen Stift heraus.

Ich stutzte. »Du nimmst mich doch auf den Arm, oder?«

»Du musst das nicht meinetwegen machen, aber ich habe es jemandem versprochen.« Er legte das Formular auf den Couchtisch und schob es mir zu.

Ich sah ihn an. »Du willst also wirklich, dass ich eine Vertraulichkeitserklärung unterschreibe, bevor du, mein Bruder und engster Vertrauter, mir verrätst, weshalb du in meinem Wohnzimmer bist?«

Er schob das Blatt noch näher an mich heran und tippte mit dem Zeigefinger auf die gestrichelte Linie.

Ich schüttelte den Kopf und überflog den Text. »Was heißt das alles?«

Er hob eine Hand. »Unterschreib es einfach, und dann kann ich es dir erzählen.«

»Okay, okay.« Seufzend unterzeichnete ich das Formular und legte den Stift darauf. »Damit ist der Papierkram erledigt. Jetzt will ich aber auch was hören.«

»Ich habe geheiratet.«

Ruckartig richtete ich mich auf. »Was?!«

Er strahlte. »Letztes Wochenende. Ich kenne sie seit sechs Monaten.«

Ich starrte ihn mit offenem Mund an. »Und du hast mir nichts davon erzählt?«

»Das konnte ich nicht. Ich habe es ihr versprochen.«

»Aber … aber du erzählst mir doch sonst immer alles«, erwiderte ich fassungslos.

Er nickte. »Ich weiß. Daran kannst du ermessen, wie wichtig es mir ist, dass sie mir vertraut.«

Ich ließ mich zurücksinken und sah auf meine Knie. »Verheiratet …«, hauchte ich und schaute ihm wieder in die Augen. »Mit wem?«

»Sie heißt Nikki und ist Musikerin. Eine berühmte. Sie war in Kambodscha, um dort ein Frauenhaus für Opfer von Zwangsprostitution zu gründen.«

Im Geiste ging ich die Namen aller mir bekannten Musikerinnen durch. »Nikki … und wie weiter?«

»Ihr Pseudonym lautet Lola Simone.«

»Nein!«

Er grinste.

»Du bist nicht wirklich mit Lola Simone verheiratet …«

»Doch.« Er zog sein Handy raus und reichte es mir.

Ich starrte ein Foto von den beiden an, das offenbar bei ihrer Hochzeit entstanden war.

Lola Simone war ein Topstar auf Lady-Gaga-Niveau. Allerdings sah sie auf dem Foto überhaupt nicht aus, wie ich sie aus der Klatschpresse kannte, sondern ganz normal. Sie hatte schulterlange braune Haare, trug ein weißes Kleid und um den Hals eine Blumenkette. Derek steckte in einem weißen Leinenanzug und strahlte bis über beide Ohren.

»Sie ist unglaublich, Ali. Die tollste Frau, der ich je begegnet bin.«

Mit erhobenen Augenbrauen blickte ich zu ihm auf. »Und du hast sie geheiratet. Ohne mich an deiner Seite?«

Sein Lächeln verblasste ein wenig. »Außer ihrem Agenten Ernie war niemand dabei. Wir mussten es ganz klein halten.« Er nahm das Handy wieder an sich. »Ihre Privatsphäre ist ihr extrem wichtig. Sie wird überall erkannt, ständig sind ihr Paparazzi auf den Fersen. In Kambodscha war die Sache einfacher über die Bühne zu bringen.«

»Und wann werde ich sie kennenlernen? Hast du sie nicht mitgebracht?«

»Sie ist im Moment zu sehr mit ihrem Projekt beschäftigt, und sie hält sich nicht mehr gern in den USA auf.«

»Früher oder später wird sie es tun müssen. Du lebst hier, und in ein paar Wochen ist dein Job bei Ärzte ohne Grenzen vorbei.«

Nun verschwand sein Lächeln komplett. »Ich komme nicht zurück, Ali.«

Ich sah ihn mit großen Augen an. »Wie bitte? Was soll das heißen, du kommst nicht zurück?«

»Ich werde mit meiner Frau in Kambodscha leben.«

Einen Moment lang verschlug es mir die Sprache. »Du ziehst nach Kambodscha …«, sagte ich schließlich ungläubig.

»Um ihr bei ihrem Frauenhaus zu helfen und mehr Freiwilligenarbeit zu leisten. In Kambodscha brauchen sie Chirurgen. Wir können dort viel Gutes bewirken.«

Erneut ließ ich mich zurücksinken. Plötzlich wurde mir klar, was das für mich bedeutete. Ich sah ihm in die Augen. »Nein, du kannst mich nicht mit ihm allein lassen.«

Reumütig erwiderte Derek meinen Blick. »Du schaffst das.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, das schaffe ich ganz bestimmt nicht. Tu mir das nicht an, Derek. Ich kann nicht weiter mit Neil zusammenarbeiten. Ich kann es einfach nicht. Ich habe es versucht. Aber inzwischen habe ich mich schon bei anderen Krankenhäusern beworben, um ihn nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen.«

Er fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und wich meinem Blick aus.

Ich war eine Montgomery.

Seit dem Gründungsjahr 1897 war das Royaume Northwestern Hospital fest in der Hand der Montgomerys. Ich stammte aus einer Familie von legendären Ärzten, die im Laufe der Jahrzehnte für zahlreiche große Durchbrüche in der Medizin gesorgt hatten. Als einflussreiche Philanthropen ermöglichten wir den Großteil der Programme und klinischen Versuchsreihen, für die das Royaume berühmt war. Das war das Vermächtnis unserer Familie. Wir waren so etwas wie die Vanderbilts oder Carnegies der Medizin. Letztes Jahr hatte der History Channel im Rahmen seiner Reihe Titanen der Industrie eine Dokumentation über uns gedreht. Das halbe Krankenhaus war nach uns benannt: Es gab darin unter anderem einen Montgomery-Garten und einen ganzen Montgomery-Pädiatrie-Flügel. Seit mittlerweile fast hundertfünfundzwanzig Jahren war kein einziger Tag vergangen, an dem kein Montgomery für das Krankenhaus tätig gewesen war. Man konnte es schon nicht mehr als Tradition bezeichnen. Die Montgomerys waren eine feste Größe im Royaume.

Mom und Dad waren im März in den Ruhestand gegangen. Seither arbeiteten nur noch Derek und ich dort. Und wenn Derek nun auch ging …

… würde das Vermächtnis ausschließlich an mir hängen bleiben, und ich würde für immer und ewig am Royaume bleiben müssen.

Ich konnte nicht die Montgomery sein, mit der alles endete, an der unser Familienunternehmen zerbrach. Damit wollte ich nicht in die Geschichte eingehen.

Ich fühlte mich, als wäre ich gerade zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt worden, und Derek wusste es.

»Vielleicht«, begann er, »ist es ja auch für dich an der Zeit, die Ketten abzuschütteln. Das Krankenhaus wird nicht gleich in sich zusammenstürzen, nur weil kein Montgomery auf der Gehaltsliste steht …«

»Toll. Großartige Idee. Wie wäre es, wenn ich zuerst kündige und erst danach du?« Ich neigte den Kopf zur Seite und sah zu, wie er die Lippen zu einem dünnen Strich zusammenpresste. »Das habe ich mir schon gedacht.«

Erneut wandte er den Blick ab. »Gibt es irgendeine Chance, dass Neil woanders hingeht?«

»Er ist der Leiter der Chirurgie und seit zwanzig Jahren am Royaume. Es ist wahrscheinlicher, dass er vom Blitz getroffen wird, als dass er geht.«

Derek schaute mich wieder an und schwieg einen Moment. »Es tut mir leid. Ich weiß, in was für eine Lage ich dich damit bringe.«

Ich erwiderte seinen Blick und wurde von einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit ergriffen. »Du weißt nicht, wie es ist, Derek – wie Neil mich zermürbt. Er wird mich in den Wahnsinn treiben und mir das Gefühl geben, ich hätte verdient, was er mir angetan hat. Und irgendwann werde ich so verwirrt und aufgerieben sein, dass ich ihn aus reiner Erschöpfung wieder in mein Leben lasse. Ich muss da weg. Anders kann ich mich nicht vor ihm schützen.«

Derek schwieg wieder eine Weile. »Ich muss mein Leben leben, Ali, zusammen mit Nikki, und tun, was für mich das Richtige ist«, sagte er dann.

Ich vergrub das Gesicht in den Händen. »Wieso habe ich es nicht gespürt?«, flüsterte ich schließlich. »Wieso habe ich nicht gemerkt, dass du dich verliebt und so einen folgenschweren Entschluss gefasst hast? Ich hätte es fühlen müssen – wie einen Fehler in der Matrix.«

»Und wieso habe ich nicht gemerkt, was Neil dir antut?«

Schniefend ließ ich die Hände vom Gesicht sinken, schaffte es aber nicht, Derek anzusehen. »Er hat jahrelang an meiner Substanz genagt«, erwiderte ich leise. »Seit unserer Trennung versuche ich, mich davon zu erholen. Und nun muss ich es ohne deinen Beistand hinkriegen? Während er die ganze Zeit in meiner Nähe ist?«

»Du bist stark genug, um es zu schaffen. Und all deine Freundinnen arbeiten am Royaume. Lass dich nicht von ihm ins Bockshorn jagen. Du verdienst es, dort zu sein, wenn es das ist, was du willst.«

Es stimmte: All meine Freundinnen arbeiteten am Royaume – Jessica, Bri und Gabby. Doch selbst die konnten nicht aufwiegen, dass ich für den Rest meines Lebens mit Neil zusammenarbeiten musste.

Im Moment spielte er den zerknirschten Ex. Doch sicher nicht mehr lange. Sobald er merkte, dass er mich so nicht zurückgewinnen konnte, würde er die Strategie ändern und fies werden.

Neil wurde immer fies.

Noch einmal vergrub ich das Gesicht in den Händen. »Wieso muss ausgerechnet ich die Letzte im Montgomery-Zuchtprogramm sein? Das Ganze kommt mir wie ein grausamer Witz vor.«

Mom und Dad hatten Derek und mich meines Erachtens nur bekommen, um unseren Stammbaum zu erhalten. Von klein auf hatten sie mir eingetrichtert, dass ich dazu bestimmt sei, im Royaume Northwestern zu arbeiten, und dass ich nicht den Namen meines Ehemanns annehmen dürfe, wenn ich je heiratete. Doch ich hätte gar nicht im Rampenlicht stehen sollen. Dafür war Derek vorgesehen gewesen.

Ich spürte seine Hand auf dem Arm. »Lass sie nicht über dein Leben bestimmen. Du hast nur dieses eine.«

Die Worte hingen zwischen uns, doch ich hatte keine Kraft, auf sie einzugehen.

Derek kannte die Wahrheit. Von nun an hatte ich keine Wahl mehr.

Ich würde niemals entkommen können.

6

Alexis

Sechs Tage später saß ich mit Bri im Schwesternzimmer der Notaufnahme des Royaume Northwestern. Während der vergangenen Woche hatte ich sie nicht gesehen. Einerseits, da wir keine gemeinsamen Schichten hatten, aber auch, weil ich zu sehr mit meinem Bruder beschäftigt gewesen war. Ich hatte es nicht mal geschafft, mit ihr zu telefonieren, geschweige denn, wie geplant einen trinken zu gehen. Nachdem Derek unseren Eltern verkündet hatte, dass er für immer gehen würde, war er am Samstag zu seiner neuen Frau zurückgekehrt.

Dad war wie erwartet komplett ausgetickt.

Er sagte es zwar nicht – vermutlich vor allem, weil er wegen Dereks Vertraulichkeitserklärung und der Neuigkeiten über die Heirat keinen klaren Gedanken fassen konnte –, aber ich hatte seine Enttäuschung gespürt, als ihm aufgegangen war, dass ich alles war, was vom Montgomery-Royaume-Vermächtnis übrig blieb – und dass es damit unweigerlich komplett vor die Hunde gehen würde.

Da Dad all seine Hoffnungen an Derek geknüpft hatte, war es bislang nie von Bedeutung gewesen, dass ich schon immer im Schatten meines Bruders gestanden hatte. Im Gegensatz zu ihm wollte ich keine Forschungsartikel in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlichen oder Reden halten. Ich hasste das Rampenlicht. Alles, was ich wollte, war, anderen Leuten zu helfen.

Doch nun war ich die einzige verbliebene Montgomery am Royaume und würde in jeder Hinsicht brillieren müssen, wenn ich mich und unser edles Geblüt nicht in Verruf bringen wollte. Dabei waren meine Voraussetzungen denkbar schlecht. Ich war keine Chirurgin und leistete auch keine medizinische Pionierarbeit. Mein Gesicht würde nicht die Titelblätter diverser Fachmagazine zieren. Dad musste sich damit abfinden, dass nicht der strahlende Prinz, sondern die nutzlose Prinzessin die Thronfolge antreten würde.

Bri tippte Patientendaten in den Computer. Sie hatte ihre braunen Haare zu einem lockeren Dutt hochgebunden und verkörperte mit ihrem Stethoskop um den Hals genau das, was man zu sehen hoffte, wenn man auf Google nach einer »schönen Ärztin« suchte.

Briana Ortiz war wie ich Notärztin. Wir hatten uns im Studium kennengelernt. Sie war vierunddreißig, Salvadorianerin und sehr gut in ihrem Job.

»Also«, sagte sie schließlich, »erzählst du mir jetzt endlich, was los ist? Ist an dem Gerücht, dass Derek kündigen will, was dran?« Sie tippte ein letztes Mal auf die Tastatur und drehte sich dann zu mir um.

Ich sah sie über den Rand meiner Lesebrille hinweg an. »Das Gerücht stimmt.«

»Es heißt außerdem, er hätte einen Ring am Finger.« Bri hob eine Augenbraue.

»Dazu kann ich nichts sagen«, erwiderte ich und schloss ebenfalls meine letzte Eingabe ab. »Ich habe eine Vertraulichkeitserklärung unterschrieben.«

»Dein eigener Bruder hat dich dazu gezwungen, eine Vertraulichkeitserklärung zu unterzeichnen?«, fragte sie tonlos.

»Ja, in dieser Woche herrscht generell kein Mangel an Überraschungen.«

Eine Schwester trat aus dem Raum Nummer vier. »Der Nunchaku-Mann ist hier. Wieder mal.«

Ich stöhnte.

»Schick ihn ins CT«, erwiderten Bri und ich wie aus einem Mund.

Bri sah mich an. »Und was hast du in den letzten Tagen getrieben?«

»Ich habe viel Zeit mit Derek und meinen Eltern verbracht«, seufzte ich. »Am Freitag sind wir in das neue Restaurant in Wayzata gegangen, und Mom hatte nichts Besseres zu tun, als für Neil Partei zu ergreifen und mir einen langen Vortrag darüber zu halten, dass ich mit ihm eine Paartherapie machen solle. Sie sagt, er würde eine zweite Chance verdienen. Ich habe das Gefühl, Neil bittet andere Leute darum, sich bei mir für ihn einzusetzen. Das war schon das zweite Mal diese Woche.«

»Er hat eine Anästhesistin gevögelt, mit der du weiter zusammenarbeiten musst. Finden deine Eltern das etwa in Ordnung?«

Erschöpft rieb ich mir die Schläfen. Es ging nicht nur darum, dass Neil mich betrogen hatte. Bri und Derek kannten als Einzige den wahren Grund, aus dem er bei mir komplett abgeschrieben war. Nach allem, was er mir in den letzten Jahren angetan hatte, würde Bri nicht mal auf ihn pinkeln, wenn er in Flammen stünde.

Doch die restliche Welt – meine Eltern, unsere Freunde – vergötterte Neil regelrecht. Er war der Mittelpunkt jeder Party. Alle wollten mit ihm befreundet sein.

»Anfangs bekam ich von allen Seiten Mitgefühl«, murmelte ich. »Wie konnte er dir das bloß antun? Ich hoffe, du hast ihn achtkantig rausgeworfen. Blablabla. Doch dann hat Jessica ihren Geburtstag in ihrem Haus am See gefeiert, und Neil und ich waren nicht dabei. Plötzlich war allen klar geworden, dass es nie mehr so sein würde wie während der letzten sieben Jahre. Und seither hieß es nur noch: Hast du denn schon mal über eine Paarberatung nachgedacht? Es war doch nur diese eine Frau. Er weiß, dass er einen Fehler gemacht hat.« Ich zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, er schläft bei Cam auf der Couch.«

Bri schnaubte angewidert. »Der Mann ist Chef der Chirurgie und muss auf der Couch seines zweiundzwanzigjährigen Sohnes schlafen? Kann er sich nicht ein Apartment mieten?«

»Ich glaube, er will sich nicht eingestehen, dass es wirklich vorbei ist.«

»Aha. Ich hoffe, sein Schwanz verschrumpelt und fällt ihm ab.« Bri nahm ihren Eiskaffee in die Hand. »Was sagt dein Dad zu alledem?«, fragte sie mit dem Strohhalm zwischen den Zähnen.

»Das willst du gar nicht wissen«, warnte ich sie.

»Schieß los.«

»Er hat gesagt, dass Neil brillant ist und brillante Menschen manchmal dämliche Fehler machen.«

Bri schnaubte. »Tja, du bist auch brillant, und dich sehe ich nicht irgendwelche Anästhesisten vögeln.«

»Außerdem hat er gesagt, er hoffe, dass ich bis zu unserem alljährlichen gemeinsamen Sommerurlaub wieder zur Besinnung gekommen bin.«

Bri schnappte nach Luft. »Nicht sein Ernst!«

»O doch. Und Derek hat mich drei Tage lang mit ihnen in Cedar Rapids allein gelassen.«

»Ich würde gerne gegen deine gesamte Familie in einem Cage Fight antreten.«

Ich schnaubte. »Ja, ich auch.«

»Warum hast du deinem Dad nicht einfach gesagt, dass er sich zum Teufel scheren soll?«

Ich lachte, obwohl es nicht lustig war. »Weil man so nicht mit Dr. Cecil Montgomery spricht.«

Niemand tat das.

Ich war dazu erzogen worden, meinen legendären Vater wie einen Halbgott zu verehren. Ich kannte niemanden, der es nicht tat. Man stritt sich nicht mit ihm, man widersprach ihm nicht, und man sagte ihm ganz sicher nicht, dass er sich zum Teufel scheren solle.

Ich hatte die Universität besucht, die mein Vater für mich ausgesucht hatte, und war seinem Wunsch nachgekommen und Ärztin geworden. Nur ein einziges Mal hatte ich mich nicht daran gehalten, was er wollte, indem ich mich für Notfallmedizin anstatt für Chirurgie entschied. Und er hatte nur deshalb darüber hinweggesehen, weil sich in unserer Familie ohnehin alles um Derek drehte. Was aus mir wurde, war ihm im Grunde immer egal gewesen. Doch das rächte sich nun.

Bri stocherte mit dem Strohhalm in ihren Eiswürfeln herum. »Ja, ich verstehe, was du meinst. Dein Vater macht auch mir Angst. Jedes Mal, wenn er vor seinem Ruhestand die Notaufnahme betrat, huschten alle wie Kakerlaken davon. Und kurz danach tauchte dann immer deine Mom auf, um die Tränen der Schwestern und Pfleger aufzuwischen. Warum muss es in Beziehungen bloß immer eine nette und eine fiese Person geben?«

»Weil es auf der Welt nun mal zwei Sorten Menschen gibt, schwierige und unkomplizierte, die sich jeweils gegenseitig heiraten.«

»Ha.« Bri sah mich einen Moment lang schweigend an. »Okay, dann erzähl mir mal, was es mit deinem Knutschfleck auf sich hat. Wieso erzählst du allen, du hättest dich an einem Bügeleisen verbrannt? Sind wir etwa wieder in der zehnten Klasse?«

Das brachte mich zum Lachen.

»Hattest du eine Runde Hass-Sex mit Neil?«

Entsetzt verzog ich das Gesicht. »Nein! Wie kommst du denn darauf?«

»Weil du mir nicht erzählst, wie es zu dem Knutschfleck kam, und Sex mit Neil das Einzige wäre, wofür ich dich kritisieren würde.«

Ich stieß den Atem aus. »Ich hatte nichts mit Neil.«

»Sondern?«

Ich warf Bri einen Blick zu, und sie bedeutete mir fortzufahren.

»Letzte Woche habe ich jemanden kennengelernt.«

»Ehrlich? Wann? Wo? Was für eine App verwendest du?«

»Keine App. Erinnerst du dich noch an den Mann, der mich aus dem Graben geholt hat?«