"Pass mir gut auf die Kleinen auf!" - Hans-Jürgen Glauner - E-Book

"Pass mir gut auf die Kleinen auf!" E-Book

Hans-Jürgen Glauner

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Beschreibung

Danzig 1931. In ihrem kleinen Ladengeschäft, heute würde man von einem 'Tante-Emma-Laden' sprechen, bieten Elisabeth und Emil Glauner Kolonialwaren an: Milch, Käse, Lebensmittel auch aus fernen Ländern, Sanitärartikel und Farben. Nachwuchs hat sich angekündigt, und im Juli erblickt Hans-Jürgen Glauner, der Autor dieses Buchs, im sogenannten 'Storchenhaus' das Licht der Welt in einer beginnenden sehr unruhigen Zeit. Die Kindheit verläuft harmonisch, die politischen Entwicklungen der 30er Jahre scheinen zunächst an dem Jungen vorbeizugehen. Kindergarten, Volksschule, und mit zehn Jahren 1941 Gymnasiast. Und Pimpf ab Führers Geburtstag am 20. April 1941. Zu diesem Zeitpunkt waren auch dem jungen Hans-Jürgen die politischen Veränderungen bewusster geworden, spätestens seit Hitlers berüchtigtem Satz in einer Rundfunkrede 1939: "Seit 05.45 Uhr wird zurückgeschossen." In seiner Erinnerung hat Hans-Jürgen Glauner den 'Führer' korrigieren müssen. Die Schüsse auf der Westerplatte waren bereits eine Stunde früher zu hören. In den kommenden Jahren bekommt der Autor drei Geschwister, und als der Krieg eine entscheidende Wende erfährt und die Truppen der Sowjetarmee vor Danzig stehen, muss die Familie fliehen. Ohne den Vater, der noch in Danzig bleibt. Er gibt dem Ältesten den Auftrag: "Hans, pass mir gut auf die Kleinen auf!" Die Mutter, der damals 14 Jahre alte Autor und die drei Brüder, zwei, vier und sechs Jahre alt, machen sich auf den lebensgefährlichen Weg: mit dem Schiff, mit der Eisenbahn, zu Fuß. Ihr Weg endet in Schleswig Holstein. Überaus eindrucksvoll und mit großer Liebe zum Detail beschreibt der Autor seine Kindheit, seine Jugend und das viel zu frühe Erwachsenwerden in einer Zeit, in der er eine große Verantwortung für drei kleine Geschwister übernehmen musste. Dem Vater konnte er über das 'erfolgreiche' Unternehmen nicht mehr persönlich berichten, er war in sowjetischer Kriegsgefangenschaft auf dem Weg nach Sibirien elendig umgekommen. So bleibt dem Sohn am Ende nur ein bescheiden klingendes Fazit: "Ich weiß nicht, ob ich immer das von mir auf dem Fluchtschiff meinem Vater gegebene Versprechen gehalten habe, aber versucht habe ich es schon." Ein wahrlich eindrucksvoller Bericht! Erweitert ist der Bericht von Hans-Jürgen Glauner um die Schilderung seiner Frau Edith von Ostpreußen nach Schleswig-Holstein im Jahr 1945 mit dem Titel "Verbrannt - Verloren".

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Eine Erinnerung an die gemeinsame Kindheit. Gewidmet meinen Brüdern und ihren Familien, also auch den Frauen und ihren Kindern.

„Ich weiß nicht, ob ich immer das von mir auf dem Fluchtschiff meinem Vater gegebene Versprechen gehalten habe, aber versucht habe ich es schon.“

Hans-Jürgen Glauner „Pass mir gut auf die Kleinen auf!“ Ein oller Pomuchelskopp erinnert sich

Ich weiß es noch, da war mal was.

Das Staatsgebilde “Freie Stadt Danzig“ wurde künstlich geschaffen und in dem Versailler Vertrag den Bürgern dieser Stadt aufoktroyiert. Es waren etwa 400.000 Einwohner, die in der Stadt und den beiden Landkreisen wohnten, und 95 % davon waren Deutsche seit Generationen.

In dem Vorort Danzig-Neufahrwasser, in der Wilhelmstraße 27, hatten meine Eltern, der gelernte Expedient und die gelernte Verkäuferin, ein kleines Geschäft, eine Kolonialwaren- und Drogenhandlung. Nein, nein - kein Rauschgift: Gewürze, Sanitärartikel, Farben und verschiedene andere Dinge. Auch handelsübliche Lebensmittel wie Milch und Käse wanderten über die Ladentheke. Neben dem Ladenverkauf besagter Kolonialwaren also Lebensmittel aus fernen Ländern, natürlich auch aus dem Danziger Umfeld, insbesondere aus dem „Großen Werder“.

Daneben betrieben meine Eltern noch eine Wäschemangel. Diese befand sich, wie auch die Lagerräume, im Hinterhaus. Hier war auch die Wirkungsstätte der einzigen Angestellten. Eine Teilzeitkraft. Heute würde man ein solches Geschäft als „Tante-Emma-Laden“ bezeichnen. Im Erdgeschoss, es war ein zweigeschossiges Haus, waren der Laden und auch die Wohnung. Im Obergeschoss gab es noch eine zweite Wohnung und die war an einen Danziger Zollbeamten vermietet.

Eines Tages war die Zeit gekommen. Der gewünschte Nachwuchs bei den stolzen Ladenbesitzern meldete sich an, und meine Mutter begab sich sofort mit einem Taxi in das Storchenhaus nach Danzig-Langfuhr.

Das Storchenhaus war nicht irgendeine zoologische Einrichtung für behinderte Störche, sondern es war die Danziger Frauenklinik. Hier durfte ich erstmals am Samstag, dem 11. Juli 1931, durch lautes Schreien der Welt meine Ankunft melden. Jetzt war ich einer der ca. 80 % aller Danziger, die hier in diesem Gebäude zum ersten Mal schreien durften. Als „Deutscher“, wie meine Eltern, oder nun seit Versailles im Jahre 1920 als „Danziger“, wie ich. Acht lange Jahre war ich also kein Deutscher??? Deutsch wurde aber meine Muttersprache - und ist sie heute immer noch. Warum Storchenhaus? Über der Eingangshalle wölbte sich eine Kuppel und auf der Spitze befand sich eine Weltkugel mit einem Storch darauf. Danach folgte die weitere Lebenserfahrung in der Wohnung meiner Eltern. Na ja, das Leben geht weiter, ich wurde älter und bin auch weitergewachsen.

Einmal habe ich mich natürlich kindlich verständlich gemeldet, also geschrien, als die Zeit meiner Verpflegung gekommen war. Ich konnte schon an der Flasche nuckeln. Wir hatten Besuch und meine Mutter stand noch im Laden. Besagter Besuch, ein Freund meiner Eltern, wollte sich hilfreich erweisen, wärmte meine Flasche und füllte nach seiner Vermutung reichlich Zucker hinzu, um es mit mir besonders gut zu meinen. Habe ich bisher nur meine Mahlzeit verlangt, begann ich jetzt zu brüllen? Bei der Suche nach der Ursache wurde festgestellt, dass die Flasche zwar nicht zu heiß war, aber wegen der reichlichen Salzgabe ungenießbar. Trotz dieses salzigen Missgeschicks bin ich weitergewachsen. Warum müssen diese beiden Küchenlebensmittel auch so ähnlich aussehen! Empfehlung: Sicherheitshalber den Finger nehmen und eine Geschmacksprobe durchführen.

Mit einem Jahr war ich so weit, dass ich mich schon an Stühlen und Tischen hochziehen konnte. Und dann kam der Tag, als ich diese Erkenntnis richtig umgesetzt habe. Meine Eltern hatten beschlossen, den Fußboden des Ladens aufzuhübschen, mit anderen Worten gesagt, den Fußboden zu streichen. Es gab auch zu dieser Zeit schon Ladenschlussgesetze. Sie galten vor allem für den Samstagnachmittag und den Sonntag. Also wurde ein Wochenende genutzt, an dem der Laden geschlossen war. Diese Ladenschlusszeiten waren sogar noch bis in die 50er Jahre üblich. Alle paar Jahre wurden die Möbel herausgeschafft und frische Farbe, meistens braun, auf den Fußboden aufgetragen. So auch hier. Die frische Farbe war aufgebracht, musste aber noch trocknen. Um nun jedoch eventuell notwendige Arbeiten in und an den Regalen zu verrichten, es gab schon mal den einen oder den anderen Kunden, der auch außerhalb der Verkaufszeiten noch dringend etwas benötigte, waren einige breite Bretter mit Abstandshölzchen über den Boden gelegt.

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ein Alter erreicht, in dem es üblich ist, den aufrechten Gang zu üben. Noch konnte ich es zwar nicht. Doch die Bretter und der Geruch der frischen Farbe erregten in mir den dringenden Wunsch, es einfach mal ohne Aufforderung und Hilfe zu versuchen. Während meine Eltern noch mit dem Laden beschäftigt waren, zog ich mich an der Ladentheke hoch und begann auf diesen Brettern einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es klappte! Ich lief ohne die Hilfe anderer. Eine wichtige Entscheidung meines Lebens war geschafft. Von nun an konnte ich eigene Wege gehen - fast.

Obwohl ich später gerne Theater gespielt habe, der „Gemischte Chor Gnissau“ gab mir sehr oft Gelegenheit dazu, als Schauspieler und Sänger aufzutreten. Das war sehr schön und hat auch viel Spaß gemacht. Schauspieler bin ich jedoch nicht geworden. Aber in der Öffentlichkeit habe ich in meinem späteren Beruf sehr wohl gestanden.

Wie schon erwähnt, betrieben meine Eltern in einem separaten Raum des Hinterhauses auch eine Wäschemangel. Die Wäschemangel bestand aus stabilem hell lackiertem Holz. Etwa 50 cm über dem Boden lag auf einem Holzgestell aus dicken Balken eine ca. 5 cm dicke Platte aus gefugtem und glatt gehobeltem Holz. Sie war etwa 3.0 Meter lang und 1,2 Meter breit. Über dieser Platte befand sich ein beweglicher Kasten. Auch dieser war aus festen Holzbohlen gefügt. Der Kasten selbst war mit Feldsteinen gefüllt. Ein beträchtliches Gewicht. Unter dem Kasten lagen mehrere etwa 10 cm dicke, sauber rundgedrehte Holzstangen, die sogenannten Rollhölzer, die an den Enden in einen Knauf ausliefen. Auf einem ebenfalls in dem Raum befindlichen großen Tisch wurden nun die angelieferten Wäschestücke ausgebreitet, mit Wasser bespritzt, also angefeuchtet, und dann um diese Rollhölzer gewickelt. Jedes Mal, wenn sich der Kasten, er wurde, durch ein großes Handrad hin und her bewegt, auf die eine Seite der Wäscherolle bewegt wurde, kippte er kurz ein wenig nach oben. Nun mussten die Rollhölzer ausgetauscht werden. Das Rollholz mit der fertigen Wäsche wurde herausgezogen und das mit der neuen Wäsche daruntergelegt. Kam dann der Kasten zurück, erfasste er die Rolle und quetschte die Wäsche glatt. Dieser Kasten hatte an beiden Stirnseiten eine Verlängerung der Bodenplatte, also so etwas wie eine Nase, breit genug, um einem Kinderfuß das Stehen zu ermöglichen. Also wurde ich von unserer Teilzeitkraft schon mal daraufgestellt und konnte diese Hin- und Herbewegung miterleben. Es war schon lustig auf dem Kasten. Zumal wenn man gerade ein Dreikäsehoch von knapp drei Jahren ist. Besagte Teilzeitkraft hat mich also öfter mal auf diesen Kasten gehoben und mich mitfahren lassen. Einmal dachte ich mir, warum musst du immer gehoben werden, klettere doch einmal selbst und probiere etwas Eigenes. Leider war mir die Technik dieser Maschine noch nicht geläufig und plötzlich befand sich meine linke Hand unter dem Rollholz. Platt! Jetzt schnell zum Arzt. Nun waren die Knochen damals noch weich und ein geschickter Arzt formte die platte Kinderhand so gut es ging zu-rück. So sind noch heute einige Finger der linken Hand ein bisschen verbogen. Ob es damals Kündigungsschutz gab, weiß ich nicht? Ich weiß nur, dass es für diese Teilzeitkraft der letzte Arbeitstag war.

Dem Vorort „Neufahrwasser“ gegenüber lag die „Westerplatte“. Eine Landzunge, die weit in die Danziger Bucht hineinragte. Es war die alte natürliche Mündung der Weichsel, die vor dem Durchbruch und dem Durchstich von der Weichsel gegraben wurde. Auf der Seeseite, in den Dünen alte Befestigungsanlagen und als Abschluss die Festung Weichselmünde. Bereits seit dem Mittelalter waren diese Landzungen rechts und links der Mündung der Weichsel mit Bunkern und Kasematten zur Sicherung der Hafeneinfahrt befestigt. So galt die Westerplatte bis zum Ende des ersten Weltkriegs aber auch mit seinen langen, breiten Sandstränden als ein beliebter Bade - und Ausflugsort der Danziger. Inzwischen war dies die Einmündung der „Toten Weichsel“ in die Ostsee, also auch zu meiner Zeit.

Politisch gesehen war die Westerplatte seit jeher ein Teil Danzigs. Doch dann kam das Ende des ersten Weltkrieges. Durch den Vertrag von Versailles wurde diese Westerplatte aus dem Stadtgebiet Danzig herausgebrochen und den Polen als Munitionshafen zugesprochen. An ihr begann daraufhin auch der zweite Weltkrieg mit dem Beschuss der von den Polen inzwischen zur Festung nach dem Vorbild der französischen „Maginot-Linie“ ausgebauten Halbinsel durch das deutsche Kriegsschiff „Schleswig-Holstein“ am 1. September 1939.

„Tote Weichsel“ war der Name dieses Flussabschnittes deshalb, weil im Jahre 1895 weit vor den Toren der Stadt ein neues Bett für die Weichsel gegraben wurde, der sogenannte „Weichseldurchstich“, um die ständigen Überschwemmungen der Stadt und des „Werders“ zu verhindern. Dieser Teil ist also von dem natürlichen Flusslauf abgetrennt worden. Doch so tot war dieser Teil nicht. Schleusen sorgten dafür, dass ein funktionierender Schiffsverkehr gewährleistet war. Dies galt auch für große Schiffe. Immer noch war Danzig ein Umschlagplatz für viele Produkte aus aller Welt und auch aus dem Gebiet Weißrusslands. Hier war es vor allem das Holz.

Letztmalig hatten sich die Eismassen auf der Weichsel im Jahre 1840 so vor dem nur schmalen Nehrungsstreifen gestaut, dass sich bei dem Ort „Neufähr“ die Wassermassen einen anderen, einen eigenen Zugang zur Ostsee gesucht haben. Das Dorf ist untergegangen und beim Wiederaufbau wurden zwei Dörfer daraus. Eins hieß „Östlich-Neufähr“ und das andere war dann „Westlich-Neufähr“. Um diese Katastrophen in Zukunft auszuschließen, wurde im Jahre 1889 der bis zur Ostsee gegrabene Kanal feierlich eingeweiht. Nach diesem Durchstich konnte sich das meiste Wasser der Weichsel bei „Schiewenhorst“ direkt in die Ostsee ergießen.

Nur noch ein Teil, jedoch immer noch genug, um die Stadt schiffbar zu lassen, floss durch sie durch. Die Fließgeschwindigkeit hatte aber in diesem Bereich nachgelassen, deshalb versandete die Weichsel hier. Selbst der Zufluss der Mottlau, der Radaune, durch den von den Ordensrittern gegrabenen Kanal und des Strießbachs konnte die Versandung nicht ganz verhindern. Gewässer, die das Wasser der Stadt und der Danzig umgebenden Berge ableitete. Aus diesem Grunde musste zu meiner Zeit ständig durch Eimerbagger und später auch durch modernere Saugbagger, gebaut von der Firma Schichau, das Flussbett ausgebaggert werden. „Neufahrwasser“ war ein Vorort der Stadt Danzig. Es war die Einfahrt in den Danziger Hafen und die Stadteinfahrt nach Danzig. Züge und Straßenbahnen, es war die Linie 8, aber auch Hafenbarkassen schafften die Verbindung zwischen dem Hafen und der Stadt. Im Hafen selbst natürlich auch viele Fähren.

Die Bevölkerung setzte sich vorwiegend aus Angestellten und Hafenarbeitern und den Betreibern kleiner Werkstätten und Bootswerften zusammen. Also kein Ort mit großen Umsätzen. Hier im Hafen wurde die meiste Arbeit durch ungelernte Arbeiter in Handarbeit geleistet, auch wenn Kräne und Hebebäume Vorarbeiten erledigten. Es gab natürlich auch noch Handwerker, kleine Gewerbebetriebe und andere Unternehmer. Sehr viele Bewohner dieses Teils von Danzig waren als ungelernte Arbeiter „Stauer“. Männer, die noch auf ihren Schultern über Leitern und Stege Säcke und Kisten in den Rumpf der großen Schiffe packten oder aus diesen in den großen Hallen zwischenlagerten. In ihrer Arbeit zwar Meister, doch die Bezahlung war mager. Diese Stauer waren in der Regel Tagelöhner. Nach anstrengender Arbeit in den Laderäumen und den Lagerhäusern galt es, so manchen Durst zu löschen oder für die Familie einzukaufen. Dazu gab es viele kleine Läden, „Tante Emma Läden“, und vor allem viele Kneipen, aber auch Gaststätten. Schlimme Zeiten. Jede Arbeit wurde angenommen, die Arbeitslosigkeit war groß, und die Arbeitslosen standen Schlange, um eine Beschäftigung zu finden. Hauptsache es floss Geld, und die Familien hatten etwas zum Essen - und die Männer etwas zur Bekämpfung des Durstes.

Immer noch höre ich die Geräusche des Hafens. Das Quietschen der Kräne und Ladebäume, die Hörner der Dampfschiffe in den unterschiedlichen Tonlagen. Je dicker der Pott, umso dumpfer und voller der Ton. Spannend anzusehen, wenn solch ein großer Frachter von den kleinen Schleppern an die richtige Ladestelle, unter den richtigen Kran, gezogen wurde. Es war die Zeit der Weltwirtschaftskrise, und diese Zeit reichte weit in die 30er Jahre hinein. Große Arbeitslosigkeit, Geldmangel und insbesondere schlechte Zahlungsmoral. Vor allem in diesem vorwiegend von Werft- und Hafenarbeitern bewohnten Stadtteil. Den Kunden fehlte das Geld - den Geschäftsleuten auch.

Einen solchen „Tante-Emma-Laden“ betrieben also auch meine Eltern. Der Umsatz war nie groß und wurde trotz aller Bemühungen immer geringer. Denn die Bevölkerung bestand vorwiegend aus Hafenarbeitern, die in der Regel nur Tagelöhner waren. Auch von meinen Eltern wurden viele Versuche unternommen, etwas Besonderes anzubieten. Mein Vater erzählte mir, wie er aus trockenem Käse und Kümmel einen Brotbelag herstellte, der sehr gut verkauft werden konnte, weil er preisgünstig war und trotzdem gut schmeckte. Es ist wohl eine Art „Harzer“ dabei herausgekommen. Auch der Umfang der angebotenen Waren, der ständig vergrößert wurde, brachte keinen besseren Erfolg.

Zum Leben reichte es nicht mehr, und das Geschäft musste aufgegeben werden. Die Aufwendungen für das Geschäft, Miete, Heizung, und die Unterhaltung der Familie konnten nicht mehr gedeckt werden. Auch die großzügige Unterstützung seiner Mutter und seiner Geschwister konnten das Ende nicht verhindern. Es waren damals von keinem Reichtümer zu erwerben. Weltwirtschaftskrise: In Deutschland waren über 7 Millionen Menschen arbeitslos. Diese Arbeitslosigkeit zeigte ihre Wirkung auch in dem neuen „Freistaat Danzig“.

Durch den Versailler Vertrag war Danzig von seinem Hinterland abgeschnitten, Westpreußen und Pommern gab es nicht mehr, und die Polen bauten in Gdingen mit starker ausländischer Finanzunterstützung einen eigenen Hafen und schnitten somit allen Zulieferern den Zugang zum Danziger Hafen ab. Sie bauten auch eine eigene Bahntrasse, um so aus Polen heraus ohne Danziger oder Deutsches Hoheitsgebiet zu berühren, ihre Waren nach Gdingen zu transportieren. Diese Behinderung der Danziger Wirtschaft war gewollt.

Besser ging es da meinem Onkel Bruno, dem Bruder meines Vaters, mit seinem Laden. Dieser befand sich in der Friedensstraße 11 in „Langfuhr“, gleich neben der „Technischen Hochschule“. Hier war eine andere Bevölkerungszusammensetzung. Es floss mehr Geld. In unmittelbarer Nachbarschaft wohnten viele Professoren und Lehrer der Hochschule. Auch Studenten gehörten zu seinen Kunden, denn er konnte sie in den Pausen durch seinen Laufburschen „Leo“ mit belegten Brötchen und Süßigkeiten versorgen. Onkel Bruno, seine Frau und ihr Sohn brauchten für das Geschäft keine Miete zu zahlen, denn das Haus gehörte seiner Mutter, also der Oma Glauner. Die Kunden in Langfuhr, Professoren, Lehrer, Studenten, also Kunden, die ihre Waren auch bezahlen konnten, die Kunden in Neufahrwasser, Handwerker, Arbeiter und viele Arbeitsuchende, teilweise berufslose Hilfsarbeiter. Anschreiben war sehr oft angesagt, doch das Zahlen blieb aus.

Zunächst zogen meine Eltern nun nach Danzig-Langfuhr. Mein Vater, ständig auf der Suche nach einer guten und zufriedenstellenden Beschäftigung, er war sich selbst nicht zu fein auch als Staubsaugervertreter zu arbeiten, fand schließlich beim Reichsluftsportverband auf dem Danziger Flugplatz eine Anstellung. Es handelte sich jedoch um eine deutsche staatliche Einrichtung. Die unmittelbare Dienststelle befand sich in Elbing. Was hinter dieser Einrichtung wirklich stand, wurde ihm erst klar, nachdem er lange dabei war. So war er erst einmal gezwungen, oft zwischen Danzig und Elbing zu pendeln.

„Langfuhr“, der größte, völkerreichste Wohnplatz Danzigs. Nach der immer trauriger werdenden Zeit in Neufahrwasser waren wir in diesen Vorort umgezogen. In dieser schweren Zeit die einzige Lösung, aus der Selbständigkeit in ein Angestelltenverhältnis zu wechseln. Mit dem Umzug wohnten wir jetzt im Brösener Weg 25. Hier wohnte die Oma „Selke“, die Mutter meiner Mutter. Mit ihr teilten wir uns damals die Wohnung. Wie der Umzug durchgeführt wurde, ist mir nicht in Erinnerung. Mit einmal stand unser grünes Plüschsofa jedenfalls in der sehr großen und gemütlichen Wohnküche in der neuen Wohnung in Langfuhr. Der Garten rundherum, der grasbewachsene Hof, die Teppichstange, der kantige blecherne Müllkasten.

Meistens war mein Vater am Flughafen in Danzig - Langfuhr, also vor der Haustüre. 15 Minuten zu Fuß. Spaß hat es ihm schon gemacht, aber nicht alle Dinge passten zusammen. Nach und nach musste er feststellen, dass diese Einrichtung die Vorbereitung der Flieger für die entstehende deutsche Luftwaffe war. Dies war aber nicht sein Geschmack. Natürlich war es aber für mich eine sehr interessante Zeit. Oft ist er auch mit einem Sportflugzeug zwischen Elbing und Danzig unterwegs gewesen. Flieger tragen eine Fliegerkombination, wenn sie, wie damals üblich, mit einem offenen Flugzeug unterwegs waren. Eine solche Kombination hatte viele Taschen und war immer etwas großzügig geschnitten.

Sie machte es möglich, auch mal etwas Besonderes aus Elbing mitzubringen, was in Danzig sehr teuer oder auch gar nicht zu beschaffen war. Strümpfe mit Köstlichkeiten gefüllt, diese dann an den Hosenträgern befestigt, sodass sie lose, dicht am Körper hängend durch die Kombination verdeckt wurden. Schmuggel! Denn auch die Flieger mussten durch den Zoll. Vor allem durch den polnischen Zoll. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, wie er uns Weihnachten einmal mit Para- und Walnüssen beglückte, die es in Danzig nur selten gab, und wenn, dann für teures Geld.

An manchen Tagen hat er mich auch zum Flughafen mitgenommen. Ich konnte mir die Flugzeuge von Nahem ansehen, und so mancher Pilot hat mich auch schon mal in den Sitz gehoben. Ich konnte die Reparaturwerkstätten kennenlernen. Einige Ereignisse waren besonders interessant. Konnte ich damals schon eins der größten und besten Reiseflugzeuge auf dem Danziger Flugplatz begutachten. Es war die Junkers Maschine „JU 52“. Später wurde dieses Flugzeug wegen seiner Vielseitigkeit auch „Tante JU“ genannt. Fast so alt wie ich. Sie machte ihren Jungfernflug im Jahre 1932. Immerhin, ich war ein Jahr älter.

Beeindruckend ihre Größe. Das Rad dieses Flugzeugs war fast so groß wie ich. Dann waren die drei großen Sternmotoren mit den riesigen Propellern. Sie machten, wenn sie gestartet wurden, ein unüberhörbares Geräusch, ein tiefes sattes Brummen. Auffallend war, dass dieses Flugzeug ganz aus silberfarbigem Wellblech hergestellt war, während kleinere Flugzeuge aus Holz und bemalter Leinwand bestanden.

Der Danziger Bürger war gegenüber dem polnischen Staat misstrauisch. Es war bekannt, dass aus dem eigentlichen Munitionshafen Westerplatte eine Festung geworden war, eine Festung nach dem Vorbild der französischen Maginot-Linie. Dicke Mauern und viel Beton. Die gesamte Westerplatte war ringsherum durch eine hohe Angst einflößende Ziegelmauer von seinem Umfeld abgetrennt. Kein Fischer konnte dort mehr seine Angel auswerfen. Kein Kind im Sommer in die Ostsee gehen, wenn das polnische Militär mit aufgepflanztem Seitengewehr Streife ging. Kein Blick auf das ehemalige Grün dieser Landzunge.

Die andere Oma, die Oma „Glauner“, wohnte im Simsonweg, zusammen mit der Schwester meines Vaters, „Tante Trudchen“, eine Oberpostsekretärin und Lehrerin beim Telegrafenamt. Der Simsonweg war eine ruhige Wohnstraße im Schatten der Frauenklinik. Die Häuser mit ihren Gärten hinter dem Haus und den kleinen Vorgärten an der Straße waren wunderhübsch anzusehen.

Im Labeswag, gleich neben der Brauerei, wohnte „Onkel Paul“, der ältere Bruder meiner Mutter, mit seiner Familie. Auch er war schon im Ersten Weltkrieg Soldat und kannte sich mit Pferden aus. Nach dem 1. Weltkrieg wurde er Feuerwehrmann bei der bespannten Feuerwehr. Ja, ja, ich habe diesen Umbruch noch kennengelernt. Die Löschfahrzeuge wurden bis zum Anfang der dreißiger Jahre von Pferden gezogen. Immer noch standen einige der roten Pferdelöschfahrzeuge auf dem Hof am Mirchauer Weg als Anschauungsstücke. Als die Feuerwehr motorisiert wurde, blieb Onkel Paul bei seinen Pferden und ging zusammen mit ihnen zur „Danziger Aktienbrauerei“. Seine Tätigkeit bestand in der Betreuung der Gespanne und der Kutscher. Damals hatte der Lkw noch nicht das Pferd vollends ersetzt. Mit einem Einspänner, einem grünen Kastenwagen mit der Aufschrift „Danziger-Aktien-Bierbrauerei“, belieferte er auch Einzelhandelsgeschäfte, Gaststätten und Trinkhallen, die sogenannten „Grünen Budchen“, mit Flaschenbier, im Nahbereich der Brauerei, um so für die Brauerei Reklame zu machen. Die damaligen Bierkästen waren aus Holz und hatten eiserne Griffe. In einen Bierkasten passten 25 Halbliterflaschen mit dem Bügelverschluss. Sie waren sehr schwer. Außerdem belieferte er mehrere Geschäfte in Langfuhr mit Natureis aus dem Kleinhammerteich, im Winter geschnitten und gelagert bis zum Sommer im Eiskeller der Brauerei.

Ebenfalls in Langfuhr waren da noch Onkel Franz, auch ein Bruder meiner Mutter, mit Tante Liesbeth und den Söhnen Gerhard und Alfred. Onkel Franz war im „Ersten Weltkrieg“ mit sehr jungen Jahren Soldat. Nach dem Kriege als Kriegsversehrter arbeitslos und später im Hafen als sogenannter „Stauer“ beschäftigt. Dadurch, dass er Soldat werden musste, war es ihm nicht möglich, einen Beruf zu erlernen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass er, wenn er damals von der Arbeit kam, immer erst zwei Haken mit einem Griff aus seiner Tasche zog. Arbeitsgerät, um Kisten und Pakete besser bewegen zu können. Solche Geräte kannte ich bis dahin nicht. Also fragen? So habe ich auch einiges aus der Arbeit der Stauer erfahren. Später bekam er als Kriegsversehrter eine Anstellung in einer chemischen Fabrik, die Medikamente herstellte. Diese Fabrik war in Langfuhr gleich neben dem Bahnhof Neuschottland. Nach 1939, nachdem also Danzig wieder zu Deutschland gehörte, wurde diese Fabrik verstaatlicht. Aus ihr entstand schließlich der Wehrkreis-Sanitätspark für das XX.-Armeecorps der deutschen Wehrmacht. Hier fand er Beschäftigung bis zur Flucht 1945.

Die Oma Selke war eine sehr verschlossene Frau, die, solange ich sie kannte, nur in dunkler Kleidung umherging, und die sehr fromm war. Morgens und abends war sie auf dem Wege zur katholischen Kirche, einem turnhallenähnlichen Gebäude. Da sie mich als Kind öfter mal mitgenommen hatte, kannte ich auch ein paar der Riten im katholischen Gottesdienst, vor allem das Knien. Das fand ich als Kind schon unterwürfig. Dies war nicht meine Welt. Außerdem habe ich von den gesprochenen Worten nichts verstanden, denn damals wurde in dem katholischen Gottesdienst lateinisch gepredigt. In diesen Jahren war ich gerade bemüht, richtiges Deutsch sprechen zu lernen. Die Oma Selke sprach mit ihren Söhnen auch ein Danziger „Platt“, also eine Mundart. Diese haben meine Eltern nicht gesprochen, verstehen konnten sie es schon. Sie mussten es verstehen, als sie noch den Laden hatten. Denn gerade die Bewohner Neufahrwassers sprachen diese Mundart.

Mein Vater hatte einen kaufmännischen Realschulabschluss. Er hatte auch Englisch und Französisch in der Schule gehabt und konnte sich in beiden Sprachen verständigen. Bevor er seinen Laden mit meiner Mutter eröffnete, war er gelernter Expedient und machte danach noch eine Ausbildung als Drogist. Diese Berufe konnte er nur erlernen, wenn er die deutsche Sprache in Schrift und Wort beherrschte. Doch bis dahin war er, wie viele in damaliger Zeit, genötigt, auch schon mal als Vertreter zu arbeiten. Ja, ich erwähnte es schon, es gab sogar eine Zeit, in der er Staubsauger verkaufen wollte. Doch auch diese Jobs brachten keinen Gewinn.

Meine Eltern haben mit mir grundsätzlich nur Hochdeutsch gesprochen, wenn auch in dieser Zeit nur dem Alter entsprechend. Mit dem Umzug nach Langfuhr hatte mein Vater mehr Zeit, sich mit mir zu beschäftigen. Er baute mir aus Sperrholz eine Eisenbahn, eine Ritterburg und einen Bauernhof. In Langfuhr war der Kreis von Gleichaltrigen größer. Es konnten mehr Kinder miteinander spielen. Die Zeit der Fußballspiele auf den Höfen der Häuser 21 – 23 begann.

Ich wurde sehr behütet, doch was schlimm war: Ich wurde „Bübchen“ gerufen. Kinder sind grausam. Auf der Straße wurden von den anderen Jungen aus dem „Bübchen“ ein Pfürzchen, manchmal auch ein Pfurz. Ich habe diese Kränkung überwunden. Doch nun wurde mir eines Tages von meiner Mutter mitgeteilt, dass ich demnächst in einen Kindergarten gehen sollte. Ich war jedoch der Einzige aus unserer Hofplatzspielrunde. Der Kindergarten war nur vormittags. Geschadet hat es mir nicht. Im Kindergarten lernte ich andere Kinder kennen. Und spielen konnte ich auch.

Mein Kindergarten. An der „Ostseestraße“ befand sich ein großes, weißes, langgestrecktes Gebäude. Es war die “Helene-Lange-Schule“. Ein Lyzeum, also den Mädchen vorbehalten, die mehr als nur Rechnen und Schreiben lernen sollten. An der Seite des Gebäudes, an dem der „Strießbach“ vorbeifloss, war ein kleiner zweistöckiger Anbau, ebenfalls weiß. Diese Gebäude wurden durch die Heizung der Frauenklinik mit Fernwärme versorgt. Fernwärme für uns ungewöhnlich, denn unsere Öfen wurden mit Holz, Kohle und Brikett geheizt. Ein sehr dickes Rohr überbrückte hier am Kindergarten den Strießbach. Im Winter war dort, wo das Rohr im Boden eingegraben war, selbst bei starkem Frost der Schnee geschmolzen. Der Weg in den Kindergarten war über den “Bärenweg“ oder über den „Wolfsweg“ möglich. Natürlich bin ich nicht von Anfang an alleine dorthin gegangen. Dies bedurfte noch der mütterlichen Führung. Auch abgeholt wurde ich meistens von meiner Mutter, aber auch von der Oma Glauner, der Mutter meines Vaters. Diese wohnte ja, wie schon erwähnt, zusammen mit ihrer Tochter, „Tante Trudchen“, im Simsonweg. Im Simsonweg befanden sich auf einer Seite der Straße eine lange Reihe Einfamilienhäuser mit einer Einliegerwohnung im Obergeschoss. Diese war meistens auch noch vermietet. Übrigens, die Wohnungen waren zu dieser Zeit insgesamt kleiner. Auch die Wohnung von der „Oma Glauner“ und „Tante Trudchen“ war eine solche Wohnung. Sie befand sich im Hause der Familie Opitz. Zur Wohnung gehörte ein kleiner Garten. In dem Garten der Familie Bischof entstanden sehr viele Fotos.

Ob wir nun den Weg zum Kindergarten über den „Bärenweg“ oder den „Wolfsweg“ nahmen, an der Ostseestraße musste in jedem Fall rechts abgebogen werden. Zwischen dem Kindergartengebäude und dem Strießbach war die kleine Spielwiese für uns. Im Kindergarten haben wir „Ringelrein“ gespielt und auch gesungen. Wir Jungen haben aus großen bunten Holzklötzen Burgen gebaut. Doch diese Klötze wurden nicht nur zum Bauen benutzt - sie wurden auch schon mal geworfen. Das gab blaue Flecken und natürlich mussten wir uns so manch ermahnendes Wort von unsern „Kindergartentanten“ anhören. Damals sind wir noch mit einem Butterbrot und manchmal auch einem Apfel in den Kindergarten gegangen. Und das mit dem „Händewaschen vor dem Essen und nach dem Klo“ hat man uns auch gelehrt. Hierauf wurde großer Wert gelegt. Insgesamt gesehen war es eine schöne Zeit, auch wenn ich heute nicht einen einzigen Namen der anderen Kinder weiß. Waren es Inge, Paula, Gertrud oder Hildchen, oder Willi, Horst und Günter? Nun ja, seitdem sind ja auch schon einige Jahre ins Land gegangen und einige der grauen Zellen sind inzwischen verblasst, weiß und nicht gerade weise geworden.

Nach dem Ende des ersten Weltkrieges lebten wir in Danzig in einer politisch spannenden Zeit. Die Abtrennung vom „Deutschen Reich“ in die Eigenstaatlichkeit und der Wechsel aus der Monarchie in die Demokratie waren noch nicht vollständig vollzogen. Dieser Umbruch fand nicht nur leise, sondern auch schon mal sehr laut statt. Es gab in Danzig zwei große Tageszeitungen. Die „Danziger Neuesten Nachrichten“ und den „Danziger Vorposten“. Darüber hinaus aber auch noch Zeitungen von verschiedenen politischen Parteien, auch Vereinen und Organisationen mit sehr unterschiedlichen politischen Zielen. Auch die in Danzig lebenden Polen hatten eine eigene Zeitung.

Der „Danziger Vorposten“ war eine Tageszeitung mit nationalsozialistischen Inhalten. Lesen konnten wir den Inhalt noch nicht, aber aus den Zeitungen wurden Papierschiffchen, Papierhelme und Säbel gefaltet. Zeitgemäß für das Jahr 1937. So ausgestattet bin ich also aus meiner Kindergartenzeit mit Helm und Säbel entlassen worden. Wollten uns unsere Kindergartentanten auf den kommenden Krieg vorbereiten? Ich jedenfalls war gerüstet. Der Krieg konnte kommen.

Dort abgeholt ging es über den „Bärenweg“, links die evangelische „Christuskirche“, meine Taufkirche, über den „Max-Halbe-Platz“ und den „Brösener Weg“, die Straße, die direkt an den Strand führte, bis zu unserer Wohnung im Haus Brösener Weg 25. Dieser Weg wurde in letzter Zeit öfter gewählt, weil ich in Zukunft den „Max-Halbe-Platz“ allein überqueren musste, um in die „Pestalozzischule“ zu kommen.

Nun wohnten wir also in Danzig-Langfuhr. Ein schöner Vorort. Viel Grün in den meist gepflegten Gärten. Auf der Seite, auf der auch unsere Häuserreihe stand, befand sich vor jedem Hauseingang eine Linde mit einem Stammdurchmesser von etwa 20 cm. Diese waren im Sommer ganz gute Schattenspender, und im Herbst lieferten sie eine Menge Laub. Aber auch die anderen großen Straßen waren zumindest halbseitig durch Bäume begrünt.

Es gab Mehrfamilienhäuser, lange Mehrfamilienhäuser, doch durch die geschickte architektonische Anordnung nicht trist oder langweilig wirkend. Einzelhäuser für mehrere Familien gab es aber auch. Viele Villen, auch große Villen und Siedlungen mit kleinen Häusern, lockerten das Wohngebiet „Langfuhr“ auf. Dass dies ein gutes Wohngebiet war, konnte daran gesehen werden, dass der preußische Kronprinz sich hier in der Kaiserzeit eine große Villa bauen ließ. Ganz in der Nähe befand sich ja auch einer der Danziger Flugplätze. Immerhin mit dem Anschluss an Europa. Königsberg, Berlin, Stockholm, Helsinki, Kopenhagen, London und Oslo. Neben den Linienflugzeugen waren es vor allem die vielen kleinen Sportmaschinen. Diese waren in der Regel aus Holz und Leinwand und wurden sogar in einer kleinen Halle gebaut und repariert. Einmal ist eins dieser Sportflugzeuge beim Anflug aus Richtung Neufahrwasser kommend auf den Danziger Flugplatz zu tief geflogen und in den Bäumen des Brösener Weges mit seinem Seitenleitwerk im Geäst hängen geblieben. Dem Piloten ist jedoch nichts passiert. Aber es sah sehr putzig aus, wie das Flugzeug so in dem Baum hing, die Tragflächen ausgebreitet, mit dem Motor auf dem Gehweg, der Propeller, aus Holz, war zerbrochen, die Splitter lagen überall herum, und die Verkleidung der Spanten, also die dick mit Farbe gestrichene Leinwand, war stellenweise zerrissen. Für uns als Kinder ein unvergessliches Ereignis.

Das Haus Brösener Weg 25 war ein Haus für 6 Familien. Es gab das Erdgeschoss und zwei Etagen. Im Erdgeschoß, auf der linken Seite wohnten wir und auch noch die Oma Selke. Gegenüber auf der rechten Seite des Hausflures, die Familie Kuchenbäcker mit zwei Kindern, über uns die Familie Hoffmann und auf der anderen Seite die Frau von Seydlitz-Kurzbach geb. Hoffmann und in der oberen Etage die Familien Kreuzer und Rompczick, mit jeweils drei Kindern.

Mit unserm Umzug nach Langfuhr erhielten wir etwas Besonderes. Eine immer sichtbare Uhr. Es war die Turmuhr der evangelischen Christuskirche, unsere Taufkirche, eine Kirche mit einem Zwiebelturm. Auffallend dieser Turm, den man eigentlich nur aus dem süddeutschen Raum kannte. Doch Architekten haben eigene Köpfe und Vorstellungen. Sie lag am Bärenweg. Sichtbar, selbst aus unserem Küchenfenster, aber auch vom Hof, vom Wolfsweg und vom „Strießbach“. Zu unserm Leidwesen war der Kirchenraum dann ab 1939 angeblich wegen Einsturzgefahr geschlossen, aber die Uhr ging immer noch! Aber auf den Treppen dieser Kirche fanden die Treffen unseres Jungzuges statt. 1941. Wir waren Pimpfe, wir waren Hitlerlungen.

In Langfuhr waren die Wege zu den Wohnungen der anderen Familien, Glauner und Selke, nicht allzu weit. Sie konnten zu Fuß erreicht werden. Auch dann, wenn das Zusammensein schon mal mit einem Umtrunk endete, war die Wohnung gut erreichbar, auch schon mal schwankend. Gemeinsame Feiern der Familie Glauner fanden meistens bei Onkel Bruno statt, denn er hatte die größten Räume. Aber auch bei der Oma Glauner wurde so manche Feier veranstaltet. Ich denke noch an die Dreiräder, die Karl-Heinz und ich bei der Oma vom Weihnachtsmann bekamen. Leider konnten die Dreiräder nicht gleich genutzt werden, denn es hatte geschneit. Doch das Frühjahr konnte kommen und wir waren gerüstet. Der Weihnachtsmann war natürlich mein Vater. Familien und Freundschaftstreffen standen aber immer auch unter dem Einfluss der politischen Lage. Feiern fanden trotzdem statt.

Weihnachten 1936 - diesmal beim Onkel Bruno.

Während die Erwachsenen sich den alkoholischen Getränken widmeten, „Machandel“, „Bier“ aber auch Wein und für die Damen die Likörchen, meistens Eierlikörchen, durften Karl-Heinz und ich die Fruchtsaftvarianten verkosten. Immerhin war zu unterscheiden zwischen Saft und, etwas kribbliger, Most. Fritz war noch nicht an diesen kindlichen Gelagen beteiligt. Unsere beiden Drogisten, Onkel Bruno und mein Vater, haben übrigens öfter mal Likör selbst produziert und, wie es sich für einen guten Koch geziemt, auch ein bisschen probiert. Ja, damals waren alle noch wesentlich jünger und der Krieg stand zwar vor der Türe, aber noch bestand die Hoffnung auf eine friedliche Einigung - zumindest bei uns. Hier bei Onkel Bruno stand das Klavier im Esszimmer. Vor und nach dem gemeinsamen Weihnachtsessen war jedoch meistens erst musizieren angesagt. Tante Trudchen am Klavier, Onkel Bruno mit der Violine und mein Vater mit der „Großen Konzertflöte“. Gesungen wurde selbstverständlich auch, und das konnte unsere Mutter gut.

Tante Trudchen, eine Schwester des Vaters, war Oberpostsekretärin und Lehrerin beim Telegrafenamt.

Brösener Weg 25. Hier wohnte Hans Glauner mit seinen Eltern bei der Oma Selke.

Die Oma Glauner wohnte im Simsonweg, zusammen mit ‚Tante Trudchen‘.

Die Eltern mit dem jungen Hans.

Weihnachten 1936 bei Onkel Bruno. Für die Erwachsenen gab es ‚Machandel‘, Bier und Wein, für die Damen zusätzlich die Likörchen, meistens Eierlikörchen. Die Kinder bekamen Fruchtsaftvarianten, Saft oder, etwas kribbeliger, Most. Allen hat’s gut geschmeckt!

Der Weg zum Kindergarten führte wahlweise über den Bärenweg oder den Wolfsweg. Er befand sich in einem Anbau der ‚Helene-Lange-Schule‘.

Die Pestalozzischule. In diese Volksschule ging Hans nach seiner Zeit im Kindergarten.

Der kleine Hans im Russenkittel.

Das ‚Conradinum‘, ein Gymnasium für Knaben, ab Herbst 1939 die Schule des Sextaners Hans Glauner. Mathematik und Biologie unterrichtete Oberstudienrat Schramm, für Englisch zuständig war Fräulein Mann, die Schüler nannten sie ‚Miss Man‘.

Hans im Kreis seiner Schulkameraden.

Danziger Impressionen: Zeughaus, Heumarkt mit dem Standbild von Kaiser Wilhelm.

Fischmarkt und großer Leuchtturm.

Der ‚Schien‘, Schutzmann in Danzig, Breitenbachbrücke.

Drohend waren oft die Äußerungen einiger polnischer Politiker, und dieses Verhalten übertrug sich auch auf polnische Dienststellen, zum Beispiel dem Zoll und die Passkontrolle. Um nach Deutschland zu kommen, musste jeder Reisende den „Polnischen Korridor“ durchqueren. Polnische Grenzkontrolle, Schikane! Die Folgen des Vertrages von Versailles. Doch nicht jeder Danziger hatte das Privileg, einen Reisepass zu besitzen. Mein Vater und Tante Trudchen hatten einen Pass. Beide haben auch öfter davon Gebrauch machen können. Tante Trudchen war ledig und verbrachte ihre Ferien sehr oft im „Reich“, und mein Vater musste schon mal zu seiner Dienststelle nach Elbing.

Aber es gab eine andere Möglichkeit das Gebiet Danzigs auch unkontrolliert von den Polen zu verlassen oder einzureisen: das „Danziger Werder". In diesem Delta von Weichsel, Mottlau und Nogat gab es viel Wasser, ein Flussdelta eben. Diese Wasser waren auch durchlässig, denn im „Danziger Werder“, grenzten der „Freistaat Danzig“ und das „Deutsche Reich“, also die „Provinz Ostpreußen“ aneinander. Es war das Wasser, das natürliche Grenzen bildete und an der Grenze nach „Ostpreußen“, also nach „Deutschland“ gab es keine polnische Grenzkontrolle. An den Übergangsstellen galt der „kleine Grenzverkehr“.

Diese Wasser waren auch schiffbar. Sie dienten der Bevölkerung aus den Dörfern des Werders als Verbindung mit der Stadt. Kleine Flussdampfer fuhren gleich einer Buslinie und Transportierten die Bauersfrauen mit ihren Waren auf die Märkte der Stadt und wieder zurück. Diese natürlichen Gewässer waren nicht für Ozeanriesen geeignet, aber kleine Flussschiffe und Lastkähne passten sehr wohl durch die vielen Schleusen. Außerdem waren diese Schiffe erforderlich, um die, auf dem Lande erwirtschaften Güter in die Stadt Danzig oder nach Elbing zu bringen. Auf einem dieser kleinen Dampfer sollte ich meine erste Auslandsreise antreten, um meinen Vater, der vorübergehend in Elbing tätig war, zu besuchen.

Hierzu fuhren meine Mutter und ich mit der Straßenbahn der Linie 5, Haltrestelle „Max-Halbe-Platz“, bis zur Haltestelle „Langer Markt“. Vom „Langen Markt“ durchquerten wir das „Grüne Tor". Unser kleines Köfferchen in der Hand sofort links ab über die "Lange Brücke". Hier hatten die weißen Ausflugsdampfer ihre Liegeplätze, der Raddampfer „Paul Beneke“, der Dampfer war das Flaggschiff der Danziger Ausflugsflotte, und die anderen Schiffe: „Schwan“, „Zoppot“, „Hecht“, „Gazelle“.

Vorbei an den vielen Hafenarbeitern, den nichts tuenden „Bowkes“, am Geländer lehnend, Priem kauend, ins Wasser spuckend und in die Ferne schauend. Ausflüglern, Reisenden, Marktfrauen, Stadttoren, auch dem „Krantor" bis zum Fischmarkt mit seinen Fischfrauen und den Verkaufskähnen zur Straße "Am brausenden Wasser". Dies war der Anlegeplatz der Dampfer, die das „Danziger Werder“ bereisten. Es waren in der Regel etwas einfachere Schiffe und nicht so komfortabel wie die Ausflugsdampfer. „Am brausenden Wasser“ also bestiegen wir den kleinen Dampfer, um erst noch ein Stück über die Mottlau zu fahren und dann auf die Tote Weichsel zu wechseln. Das zu Erwartende dieser Reise war für mich ein überwältigendes Ereignis. Ich, auf einer mehrstündigen Dampferfahrt durch das „Große Werder“.

Viel davon gehört, aber noch nichts gesehen. Die Dampfmaschine begann zu stampfen, es ertönte ein lautes Hornsignal, und aus dem Schornstein kam dicker schwarzer Qualm. Ein Matrose nahm die Trossen von den Pollern und warf sie zurück aufs Boot. Es ging los. Ich wechselte ständig meine Standorte, um alles Neue um mich herum auch zu sehen. Zuerst fuhren wir durch den Hafen der Innenstadt. Überall Lagerhäuser, sehr schöne Lagerhäuser, aus Stein, aber auch Fachwerk, künstlerisches Fachwerk. Die sogenannten Speicher stammten zum Teil noch aus dem Mittelalter und vor ihnen Schiffe, kleinere und auch große, sehr große! Schiffe mit Fahnen am Heck, die ich damals nicht kannte. Vor uns die Werften, vor allem die „Schichauwerft“ mit dem alles überragenden Hammerkran. Dann war da noch die Klawitterwerft. Jetzt erreichten wir die „Tote Weichsel“.

Vorbei an vielen großen Schiffen, deren Nationalität nur an den unterschiedlichen Flaggen zu erkennen war, kleinen Fabriken, Bootswerften für Fischerboote aber auch Freizeitschiffe und vor allem zahlreichen Lagerschuppen. Dazwischen auch immer wieder Wohnhäuser und kleine Geschäfte. Dann durch den sogenannten Holzhafen mit den vielen großen Holzfeldern und Sägewerken. Überall kleine Kräne und Hebebäume. Pferde zogen die Stämme hin und her.

Danzig war ein großer Umschlagplatz für Holz. Also diente die „Tote Weichsel“ überwiegend dem Holztransport. Das Holz kam aus den Wäldern Polens und aus Weißrussland. Nach Danzig kam das Holz mit langen Flößen. Auf den Flößen manchmal kleine Hütten als Unterkunft der „Flissaken“. Die einzelnen Flöße waren zusammengekoppelt, bildeten einen Schleppzug, der meistens von einem kleinen Schlepper gezogen wurde. Diese benutzten den „San“ und den „Bug“ und schließlich die Stromweichsel in Richtung Norden nach Danzig. In Danzig wurde das Holz verarbeitet und dann weiter verschifft. Eine gut gehende Möbelindustrie fertigte schwere Möbel, „Stilmöbel“ aus edlen Hölzern, den Danziger Barock. Über mehrere Jahrhunderte war diese Möbelart sehr gefragt. Es waren Möbel aus Eiche, Buche, Nussbaum aber auch aus überseeischen Hölzern. Mein Großvater und sein Sohn, also mein Onkel, waren beide Tischlermeister. Leider sind beide sehr früh gestorben. Aber auch Onkel Georg hatte diesen Beruf erlernt.

Weiter ging es unter der großen „Breitenbachbrücke“ her, eine Klappbrücke mit einer breiten Straße und den Schienen für die Straßenbahnlinie 4 nach „Heubude“, die Durchfahrt war auch für große, seetüchtige Schiffe geeignet. So langsam ließen wir mit unserm Dampferchen die Stadt hinter uns. Nur die Türme der Marienkirche, des Rathauses, der riesige Hammerkran zeichneten den Horizont, wenn große Gebäude oder Schiffe den Durchblick erlaubten. Die Schiffe wurden kleiner und um uns herum viel Wasser, rechts und links dann das Ufer, Schilf, Weiden, Kühe, Pferde, schilfgedeckte Bauernhäuser und auf dem Wasser andere Schiffe, Prähme und Boote.

Oft hatten die Fischer ihre Netze wie Gardinen an langen Stangen und Leinen zum Trocknen aufgehängt. Boote der Fischer, die mit ihren großen trapezförmigen braunen Segeln langsam ihre Bahnen zogen, aber auch Prähme, die wir Weichselkähne nannten und die dem Transport von Massengütern dienten, und von einem dampfbetriebenen Schlepper gezogen wurden. Drei bis vier Prähme hingen so an langen Trossen hinter einem Schlepper. Jeder Prahm hatte einen Steuermann an Bord, der mit einem langen Ruder die Bewegung des gezogenen Prahms unterstützte.

Doch nun zu unserm Dampfer. Bevor wir die Schleuse, „Gr. Plehnendorf“ erreichten, ertönte wieder von unserm Schiffchen ein Hornsignal. Noch vor der Schleuse legten wir aber noch an einem Steg an, der vom Land bis in das Fahrwasser reihte. Einige weitere Reisende mit Körben, Koffern und Paketen stiegen zu. Als sich die Schleusentore öffneten, kamen uns zwei Fischerboote entgegen. Anschließend fuhren wir mit unserm Dampfer hinein. Unter uns brodelte das Wasser. Nachdem sich der Inhalt der Schleusenkammer der Wasserhöhe angepasst hatte, öffneten sich die Tore wieder und wir fuhren in den Weichseldurchbruch hinein.

Nach links ein Blick in Richtung Ostsee. Unbeschreibliche Weite. Hier und da am Ufer ein einsamer Angler im Schilf. Kleine Segelboote mit weißem Segel aber daneben die trapezförmigen braunen Segel der Fischerboote auf weitem Wasser. Diese braunen Segel haben mich bis heute fasziniert. An den Ufern wieder Stangengerüste mit daran hängenden großen, weit ausgebreiteten fein- und grobmaschigen Netzen. Mitunter auch die durch Weidenringe geformten Reusen für den Aalfang. Fischerland. Östlich-Neufähr. Der zweite Danziger Flughafen mit internationalem Flugverkehr. Start und Landebahn für die Wasserflugzeuge nach Finnland, Litauen, Lettland Stockholm und St. Petersburg.

Nach gut anderthalb Stunden an der linken Seite die Kirche von „Bohnsack“. Auch „Bohnsack“, ein Ausflugsziel für die ‚Städter, aber nur mit dem Schiff oder mit der Fähre zu erreichen. Hierhin fuhren im Sommer die schönen weißen Ausflugsdampfer. Unter ihnen auch das Flaggschiff der Danziger Ausflugsflotte der Raddampfer „Paul Beneke“. Nur wegen seiner Breite konnte er nicht alle Schleusen passieren, sondern musste auch schon mal über Neufahrwasser und dann ein Stückchen über die Ostsee fahren. Gerade vor unserm Dampfer die Fähre beladen mit einem Bus der Linie Danzig-Schiewenhorst, Radfahren und Fußgängern und auch einem Pferdefuhrwerk dabei, die „Tote Weichsel“ zu überqueren.

Bohnsack lag auf einem Landstreifen, der die „Tote Weichsel“ von der Ostsee trennte, also keine Landverbindung hatte und nur mittels Fähre oder anderen Booten zu erreichen war. Unsere Dampferfahrt auf der „Toten Weichsel“ dauerte noch etwas, bis wir bei dem Ort „Einlage“ die nächste Schleuse erreichten. Vor uns die großen Deiche der Weichsel. Deren Tore waren auf dieser Seite offen und wir konnten in die Schleusenkammer hineinfahren.

Hinter uns wurden die Schleusentore wieder geschlossen und unser kleiner Dampfer und außerdem noch ein Fischerkutter waren nun eingeschlossen. Rechts und links hohe Wände, an einigen Stellen befanden sich in das Gemäuer eingelassene eiserne Leitern. Mit einem Mal hob sich der Dampfer, ich weiß nicht mehr, wie hoch es war, aber nach einiger Zeit öffneten sich die Schleusentore vor uns und wir sahen nun den großen und breiten Fluss ruhig dahinfließen und fuhren nach rechts in die Stromweichsel ein. Eine Weile ging es stromaufwärts. Auf beiden Seiten die hohen Deiche. Dies war hier der künstlich im Jahre 1895 gegrabene Stromverlauf, der sogenannte „Durchstich“. Das kleine Maschinchen musste mächtig arbeiten, der Heizer ordentlich Kohlen schippen. Diese Schiffe wurden noch mit Kohlen beheizt. Die Arbeit des Heizers war vom Deck des Schiffes durch eine Licht - und Lüftungsluke gut zu beobachten.

Ich sah, wie er mit einer großen Schaufel die Kohlen von einem Haufen nahm und sie dann in das von ihm vorher geöffnete Feuerloch hineinschüttete. So näherten wir uns langsam der Einmündung der Elbinger Weichsel. „Danziger Haupt“ wurde der Platz, an dem die nun folgende Schleuse lag, genannt. Das Schleusentor befand sich jetzt auf der linken Seite, also flussaufwärts. Übrigens auf beiden Seiten der Stromweichsel aber auch der Elbinger Weichsel hohe mächtige Deiche. Hierin eingebaut die Schleuse. Über den Schleusentoren auf der Deichkrone eine kleine Brücke. Kleine Brücken sollten wir auf unserer weiteren Fahrt noch viele sehen. Vor diesen kleinen Brücken mit einer niedrigen Durchfahrthöhe musste der Matrose unseres Schiffchens immer den Schornstein umlegen. In dieser Schleuse musste das Wasser an das tiefer liegende Werder angepasst werden. Also ging es jetzt bergab. Unten angekommen befanden wir uns jetzt auf der Elbinger Weichsel, der direkte Weg ins „Frische Haff“.

Gleich hinter dem Schleusentor ein kleiner Hafen mit einigen Fischer- und auch Segelbooten. Rechts und links die kleinen Dörfer, Kühe und Pferde, viele noch reetgedeckte kleinere und größere Häuser, und überall Windmühlen und Schöpfwerke, ständig bemüht zu arbeiten. Bei der Entwässerung dieser Landschaft sind die Erfahrungen der Holländer genutzt worden. Holländer waren es auch, die als Einwanderer bei der Besiedlung des Werders, also der Urbarmachung dieses Landes zwischen den Wassern mitgewirkt hatten. Dies hatte zur Folge, dass noch viele Familien hier wohnten, die die Nachfahren dieser holländischen Pioniere waren.

Viele der Windmühlenflügel waren auch in Betrieb, denn das Wasser musste ständig hochgefördert werden, um nicht die Landschaft zu überfluten. Größere Orte ließen auch ihre Kirchtürme in den Himmel ragen. In einigen an der Strecke liegenden Orten gab es stabile Stege, die zum Teil durch das dicht mit hohem Schilf bewachsene Ufer führten.

An solchen Stegen legte unser Dampfer auch an, nachdem er durch lautes Hupen seine Ankunft mitgeteilt hat. Marktfrauen stiegen aus, oder hier und da wurde auch eine Kiste auf oder ausgeladen. Die Fahrt ging weiter in Richtung Osten. Ich muss heute die Karte zur Hilfe nehmen, um mich an die Namen einiger Dörfer zu erinnern. Von Gesprächen der Älteren, die „das Danziger Werder“ kannten, hatte ich schon den einen oder den anderen Namen gehört.

Ein Ort ist mir noch in Erinnerung. Dieser Ort hatte einen besonderen Namen. Er wurde auch Helgoland, nach einem in der Nähe liegenden Gasthof genannt. „Helgoland“? Das war doch eine Insel in der Nordsee! Aber wir befanden uns jetzt in der Weichselniederung. Bei diesem Ort befanden sich mehrere Brücken, die die „Elbinger Weichsel“ überquerten. Die eine war eine Drehbrücke für die „Kleinbahn Tiegenhof - Steegen“. Ihr Mittelpunkt befand sich auf einem Pfeiler mitten in der