PatchWords - Britta Bendixen - E-Book

PatchWords E-Book

Britta Bendixen

4,8

Beschreibung

Ein romantisches Dinner entwickelt sich völlig anders als gedacht, eine neue Spielshow verlangt ihren Kandidaten alles ab, ein geläuterter Ex-Knacki wird zu einem letzten Auftrag erpresst und der G7-Gipfel verlief vielleicht ganz anders, als man uns weismachen möchte ... "PatchWords reloaded" von Britta Bendixen bietet spannende Krimis, rührende Dramen und amüsante, stets mit einem Augenzwinkern erzählte Geschichten für zwischendurch. Die Themanvielfalt dieser unterhaltsamen Lektüre verspricht ein kurzweiliges Lesevergnügen für jeden!

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Inhalt

Titelseite

Inhalt

Kurioses

Blütengeflüster

Ein toller Job

Tick-Tack

Kriminelles

Nur das Mondlicht war Zeuge

Der gekaufte Mord

Für immer

Besuch von Onkel Jim

Herzliches

Im Zweifel für die Liebe

Die Kräuterfrau

Dinner für Daniel

Sonnenstern

Übernatürliches

Der Teufel soll dich holen!

Gipfeltreffen

Das Haus der Dämonen

Zwei Teufelskerle in Taiquania

Dramatisches

Der erste Schritt

Das Tattoo

Die Sterne lügen nicht

Der Kampf des Tigers

Amüsantes

Eine Minute zuviel

Wie du mir …

Einfach kann doch jeder

Die Verhöhnung des Königs von Böhmen

Danksagung und Anmerkungen

Meine weiteren Bücher

Impressum

Britta Bendixen

PatchWords

reloaded

Kurzgeschichten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2016 Britta Bendixenwww.brittabendixen.de

Illustration: VercoDesign

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand,

Norderstedt

Inhalt

Kurioses:

Blütengeflüster

Ein toller Job

Tick-Tack

Kriminelles:

Nur das Mondlicht war Zeuge

Der gekaufte Mord

Für immer

Besuch von Onkel Jim

Herzliches:

Im Zweifel für die Liebe

Die Kräuterfrau

Dinner für Daniel

Sonnenstern

Übernatürliches:

Der Teufel soll dich holen

Gipfeltreffen

Das Haus der Dämonen

Zwei Teufelskerle in Taiquania

Dramatisches:

Der erste Schritt

Das Tattoo

Die Sterne lügen nicht

Der Kampf des Tigers

Amüsantes:

Eine Minute zuviel

Wie du mir

Einfach kann doch jeder

Die Verhöhnung des Königs von Böhmen

Danksagung und Anmerkungen

Kurioses

Es gibt kein schöneres Vergnügen als einen Menschen dadurch zu überraschen, dass man ihm mehr gibt, als er erwartet hat.

Charles Baudelaire

Blütengeflüster

Die Tür des Restaurants gab ein leise quietschendes Geräusch von sich, als sie eintrat.

„Marie! Hier bin ich.“

Marie wandte den Kopf und sah ihre beste Freundin winkend an einem Tisch am Fenster sitzen.

„Hier war ich noch nie“, gestand sie, nachdem sie Eva begrüßt und sich hingesetzt hatte.

„Der Laden ist klasse“, sagte Eva. „Ich war schon oft hier. Tolles Essen, netter Service.“

Marie sah sich um. Das Restaurant war gemütlich eingerichtet und gut besucht.

Eva beugte sich vor. „Jetzt erzähl. Wie war der Mallorca-Urlaub?“

„Sehr schön, obwohl Daniel nicht mitfahren konnte. Aber vielleicht können wir die Flitterwochen dort verbringen.“

Ein Kellner trat an ihren Tisch. Er hatte strohblonde, verwuschelte Haare und blitzende blaue Augen. „Hallo. Haben Sie sich schon entschieden?“

„Ich nehme den Blütensalat mit Putenbruststreifen“, sagte Eva. „Und ein Mineralwasser.“

„Blütensalat?“, wunderte sich Marie und überflog die Speisekarte. „Was ist das denn?“

„Oh, der ist köstlich, du musst ihn unbedingt probieren. Essbare Blüten sind der letzte Schrei.“

„Wenn du meinst …. Also gut, warum nicht.“ Marie klappte die Karte zu und wandte sich an den Kellner. „Das nehme ich auch.“

„Gute Wahl“, nickte er und lächelte ihr zu.

Zwanzig Minuten später wurde das Essen serviert. Nach einem prüfenden Blick auf den bunten Teller spießte Marie eine orangefarbene Blüte auf. „Sieh mal, Eva, so eine hast du gar nicht.“

„Sicher schmeckt sie trotzdem“, beruhigte ihre Freundin sie.

Gespannt schob sich Marie die Blüte in den Mund und begann vorsichtig zu kauen. Sie schmeckte wirklich gut.

Eva trank einen Schluck Mineralwasser. „Hat Daniel dich denn gestern angemessen empfangen?“

Marie nickte langsam. „Er schien sich zu freuen und hat Spaghetti für uns gekocht.“

Eva hob verwundert eine ihrer perfekt geschwungenen Augenbrauen. „Erschiensich zu freuen?“

„Na ja, er war mit seinen Gedanken oft woanders. Bestimmt bei der Arbeit. Diese Kampagne hat es in sich, schließlich konnte er deswegen nicht mal seinen Urlaub antreten. Sicher gibt es Probleme, mit denen er mich nicht belasten will.“

Eva senkte den Blick auf ihren Teller und stocherte im Salat herum. „Gut möglich.“Wie naiv sie doch ist. Was wird sie wohl sagen, wenn sie erfährt, dass Daniel, statt mit ihr nach Mallorca zu fliegen, mit mir nach Sylt gefahren ist?

Verwirrt blinzelnd betrachtete Marie ihre Freundin. „Was hast du gesagt?“

Eva hob den Kopf. „Ich sagte: Gut möglich, dass er dich nicht mit seinen Problemen belasten will.“

„Hast du nicht noch etwas mehr gesagt? Irgendwas mit Mallorca und … Sylt?“

Eva schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nein. Bestimmt nicht.“Hab ich etwa laut gedacht? Hoppla, ich muss besser aufpassen!

Marie starrte ihre Freundin mit offenem Mund an.

Eva legte ihre Gabel hin und ergriff die Hand ihrer Freundin. „Marie, Liebes, was ist denn auf einmal mit dir? Du bist ja ganz bleich.“Besonders braun ist sie im Urlaub sowieso nicht geworden. Hat sich wahrscheinlich nur im Schatten aufgehalten. Na ja, empfindlich war sie ja schon immer.

Marie entzog Eva ihre Hand und stand auf. „Ich glaube, ich – muss mal zur Toilette.“

„Tu das.“ Eva lehnte sich zurück.Hoffentlich hat sie keinen Virus aus Spanien mitgebracht. Ich muss mir gleich mal die Hände waschen gehen.

Marie sah die Frau auf der anderen Seite des Tisches an wie eine Fremde. „Entschuldige mich“, murmelte sie und ging mit weichen Knien auf die Waschräume zu.

Sie schloss sich in eine der Kabinen ein, ließ sich auf den Toilettendeckel sinken und versuchte herauszufinden, was gerade geschehen war. War das ein kosmischer Scherz? Wieso konnte sie hören, was Eva dachte? Und was sollte der Unsinn, dass Daniel mit ihr auf Sylt gewesen sei? Er mochte sie nicht mal besonders und nannte sie immer nur ‚die zickige Eva‘.

Marie massierte sich die Schläfen. Gedankenlesen! Das war doch verrückt. Hatte sie sich irgendwann den Kopf angeschlagen und diese akustischen Halluzinationen waren die Folge einer nicht auskurierten Gehirnerschütterung? Hoffentlich war es so. Die Dinge, die sie zu hören geglaubt hatte, waren erniedrigend und boshaft gewesen. Und Eva war doch schließlich seit langer Zeit ihre beste Freundin. Hatte sie sich all die Jahre in ihr getäuscht?

Das konnte nicht sein. Sicher war das eben nur Einbildung gewesen. Das war die einzige vernünftige Erklärung für dieses … diesen … was auch immer das war.

Sie wollte gerade aufstehen, als sich die Tür zu den Toiletten öffnete. Jemand näherte sich und verschwand in der Kabine neben Marie. Sie rührte sich nicht, ohne zu wissen, warum. Sie hörte, wie die Tür verriegelt wurde, dann das Rascheln von Kleidungsstücken und ein leises Seufzen.

Gleich werde ich es ihm sagen. Oh Gott, ich wünschte, ich wüsste, wie er reagiert. Wenn er mich zu einer Abtreibung überreden will, drehe ich ihm den Hals um.

Marie starrte mir aufgerissenen Augen an die Kabinenwand. Offenbar konnte sie doch Gedanken lesen, nicht nur Evas, sondern auch die von anderen.

Das war zuviel! Mit zitternden Fingern betätigte sie die Spülung und verließ eilig den Waschraum. Der blonde Kellner kam ihr entgegen.Ah, da ist die hübsche Dunkle ja wieder. Aber warum sieht sie so verstört aus?

„Geht es Ihnen gut?“, fragte er besorgt. „Ist der Salat nicht in Ordnung?“

Marie starrte ihn an. „Doch, er ist … danke. Alles gut“, stammelte sie und ging weiter. Alles gut!? Nichts war gut, absolut gar nichts!

Eva sah ihr mitleidig entgegen. „Geht’s dir besser?“Was hat sie denn nur? Sie sieht ja furchtbar aus.

„Danke“, murmelte Marie verärgert und ließ sich auf ihren Stuhl sinken. „Mir ist wohl was auf den Magen geschlagen.“Vermutlich deine hinterhältige Verlogenheit!

Sie widmete sich wieder ihrem Salat und beobachtete aus den Augenwinkeln ihre Freundin, die genüsslich ihren Salat verspeiste. Dabei hielt Marie die Ohren gespitzt. Sie brauchte nicht lange zu warten.

Hoffentlich sagt Daniel ihr bald die Wahrheit. Ich halte diese Heuchelei nicht mehr lange aus. Nach Feierabend werde ich ihn anrufen und … ach, Mist, dann ist Marie ja zu Hause und wir können nicht reden. So geht es nicht weiter, ich …

„Was hat sich denn bei dir in der letzten Woche so getan?“, fragte Marie und rang sich ein Lächeln ab. Sie hatte Evas Gedanken einfach unterbrechen müssen. Noch eine Unverschämtheit mehr und sie wäre ihrer ‚besten Freundin‘ an die Kehle gesprungen!

„Oh, nicht viel. Alles wie immer.“ Eva sah auf ihre Armbanduhr, trank ihr Glas leer und tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. „Du, tut mir leid, aber ich muss los, meine Mittagspause ist gleich vorbei.“ Sie stand auf und gab Marie einen Kuss auf die Wange.

Genau wie Judas,dachte Marie angewidert.

Erst am späten Nachmittag kam sie zu Hause an. Sie war noch im Stadtpark spazieren gegangen, und wenn jemand an ihr vorbei gekommen war, hatte sie auch dessen Gedanken gehört. Wo kam diese plötzliche Fähigkeit her, zum Kuckuck?

Sie sah wieder den netten Kellner vor sich, hörte ihn fragen, ob der Salat nicht in Ordnung sei. Der Salat! Lag es daran, an diesen Blüten? Vielleicht an der einen, die Eva nicht gehabt hatte?

Sie hörte Daniels Schlüssel im Schloss. Langsam stand sie auf und ging ihm entgegen. Ihr Herz raste.

„Hi, Schatz“, sagte er fröhlich, schloss die Tür und gab ihr einen Kuss.

Noch ein Judas, schoss es Marie durch den Kopf.

„Wie war dein letzter Urlaubstag?“Sie sieht aus, als hätte sie schlechte Laune. Das kann ich jetzt echt nicht brauchen.

„Sehr interessant“, sagte Marie langsam. „Ich habe mit Eva zu Mittag gegessen.“

Er legte seinen Schlüssel auf die Kommode und stellte seine Aktentasche daneben. „Wie geht‘s ihr?“‚Interessant‘ hat sie gesagt. Das klingt nicht gut. Hat Eva etwa gebeichtet? Hoffentlich nicht!

Marie verschränkte die Arme, um sich davon abzuhalten, auf ihn loszugehen. Es stimmte also. Ein kleiner Teil von ihr hatte noch immer gehofft, dass alles nur ein schrecklicher Irrtum war. Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht vor Wut und Enttäuschung aufzuschreien.

„Es geht ihr prima“, brachte sie mühsam hervor. „Sie ist offensichtlich frisch verliebt.“

„Aha. Soso.“ Daniel sah an ihr vorbei in die Küche und rieb sich die Hände. „Was gibt es zu essen?“

Marie hätte ihn am liebsten erwürgt. „Wie wäre es mit knusprigem Lumpbraten und zarten Beschissböhnchen?“, grollte sie.

Irritiert drehte er sich um. „Wie bitte?“

Sie fixierte ihn kühl. „Was bist du nur für ein feiger Schuft. Ich weiß es, Daniel.“

Ich hab’s geahnt. Verdammt, Eva! Wir hatten doch abgemacht, dass ich mit Marie rede. Ich bin noch nicht soweit!

Unschuldig sah er sie an. „Wovon redest du, zum Teufel?“

„Das weißt du genau. Von dir und meiner besten Freundin.“

„Du glaubst, dass Eva und ich …?“ Daniel schnaubte entrüstet. „Wie kommst du nur auf so eine schwachsinnige Idee?“

Ein klein bisschen bewunderte Marie seine Schauspielkunst. Er war wirklich überzeugend. Unter anderen Umständen wäre sie ihm glatt auf den Leim gegangen.

„Ich weiß, dass ihr auf Sylt gewesen seid, während ich weg war.“

Er tippte sich an die Stirn. „Das ist albern, Marie. Ich konnte nicht mit in den Urlaub, weil ich arbeiten musste. Das weißt du doch. Warum sollte ich also ausgerechnet mit Zicken-Eva nach Sylt fahren?“Ach ja, Sylt. Evas nackter Körper im Meer, die heißen Nächte im Hotel …

„Heiße Nächte im Hotel, ja?“, fauchte Marie. „Du kotzt mich an, Daniel.“

Er starrte sie an wie einen Geist. „Was hast du da gesagt?“

„Du hast mich schon verstanden.“ Sie musterte ihn voller Verachtung. „Ich muss hier raus. Wenn ich wiederkomme, bist du verschwunden. Für immer.“

Es dämmerte bereits, als sie das Restaurant betrat. Der Kellner mit den blonden Wuschelhaaren saß am Tresen und trank ein Bier. Marie trat auf ihn zu. „Hallo. Schon Feierabend?“

„‘Schon‘ ist gut.“ Er drehte sich um, erkannte sie und strahlte. „Oh, hallo! Haben Sie etwas vergessen heute Mittag?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich würde nur gern mehr über die Blüten erfahren, die in dem Salat waren.“

Wenn ihre Bitte ihn verwunderte, so ließ er sich das zumindest nicht anmerken. „Verstehe“, sagte er nur. „Warten Sie, ich hole den Koch.“Komischer Grund. Egal. Hauptsache, sie ist hier.

Er rutschte vom Hocker und ging in die Küche.

Unwillkürlich musste Marie lächeln. Es war nett, dass er sich freute, sie zu sehen. Irgendwie tat ihr das gut. Sie wandte sich zum Barkeeper. Der trocknete ein Weinglas ab und sah dem Kellner hinterher.Andys Hintern ist zum Anbeißen. Zu schade, dass er hetero ist.

Marie hörte ihn seufzen. Dann stellte er das Glas ins Regal und fragte, ob sie etwas trinken wolle.Ich wette sie trinkt Weinschorle.

„Ich mag Weinschorle, doch im Moment ist mir nach etwas Stärkerem“, sagte sie matt. „Einen doppelten Whisky bitte.“

„Äh …“ Der Barkeeper blinzelte. „Kommt sofort.“

Als er ein Glas vor Marie abstellte, trat Andy trat mit einem schlecht gelaunt dreinblickenden Mann aus der Küche. „Sie wollten mich sprechen?“, fragte er mürrisch.

„Ja.“ Sie trank einen Schluck und genoss das warme Gefühl, als der Whisky ihre Kehle hinunter rann. Aufatmend stellte sie das Glas zurück auf den Papieruntersetzer. Dann sah sie den Koch an. „Würden Sie mir bitte verraten, welche Blüten Sie für ihren Salat verwenden?“

„Das ist kein Geheimnis. Kornblumen, Kapuzinerkresse, Zitronenbaumblüten und Ringelblumen.“

„Könnte da auch noch eine andere Blüte dabei gewesen sein, eine ähnliche?“

„Unwahrscheinlich.“

„Aber möglich ist es?“

„Möglich ist alles.“

„Was für eine Blüte könnte das gewesen sein? Wissen Sie das?“

Mann, die kann nerven!„Keine Ahnung, aber giftig war sie garantiert nicht. War das alles? Ich hab Steaks in der Pfanne.“

„Ja, das war alles, danke.“

Er brummte etwas und verschwand.

Andy setzte sich zu Marie. „Es geht mich ja nichts an, aber warum wollten Sie das wissen?“

„Das ist eine lange und verrückte Geschichte.“ Sie trank noch einen Schluck. „Ich hatte einen grässlichen Tag und vielleicht hatten die Blüten damit etwas zu tun.“

„Sie sind Ihnen nicht bekommen? Das tut mir leid.“

„Nein, das ist es nicht. Körperlich geht es mir gut.“

Sie … ein wenig durcheinander … sein. Und … sieht … aus.

Marie sah ihn prüfend an. Andys Gedanken klangen wie eine gestörte Telefonverbindung. Ließ die Wirkung der Blüten nach? Marie verspürte kein Bedauern bei dem Gedanken. Für einen Tag hatte sie wahrlich genug gehört.

„Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte er sich.

„Kaum“ seufzte sie und drehte das Glas in den Händen. „Mein Verlobter schläft mit meiner Freundin.“

Er schnalzte mit der Zunge. „Ach herrje! Das tut mir leid.“

„Danke. Und wie sieht nun Ihre Hilfe aus?“

„Wir könnten uns unterhalten.“ Er beugte sich vor und lächelte charmant. „Ich kann gut zuhören.“

Sie musste lächeln. „Tatsächlich?“

„Oh ja. Ich studiere nämlich Psychologie. Hier arbeite ich nur nebenbei. Also, wie wäre es? Lust auf Herz ausschütten? Wie wäre es beim Chinesen?“

„Sie können wohl Gedanken lesen“, schmunzelte sie. „Ich liebe chinesisches Essen.“

****

Ein toller Job

Während ich mit dem Kopf unter der Spüle eine Schraube festdrehe, geraten zwei lange, schlanke, caramelfarbene Beine in mein Blickfeld. Sie stecken in hochhackigen Pumps und enden am Saum eines verdammt knappen Kleides.

„Brauchen Sie etwas?“, fragt die Besitzerin dieser hinreißenden Gliedmaßen. Ihr Lächeln und die Art, wie sie das ‚R‘ rollt, sind so sinnlich wie verheißungsvoll.

Wenig später folge ich ihrem lockenden Hinterteil eine Treppe hinauf. Oben angekommen fällt mein Blick auf einige Fotos an der Wand. Darauf ist ein Kerl zu sehen mit kantigem Schädel, der Figur eines Kleiderschranks und einem Blick, so finster wie das Mittelalter. Ich zeige auf ein gerahmtes Foto, auf dem er ernst und angsteinflößend neben einem schmierigen Typ im Anzug steht. „Wer ist das?“

„Dwayne, mein Mann. Er ist Bodyguard, seit er aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist.“

Ich schlucke. „Oh.“

Sie lächelt beruhigend und nimmt meine Hand. „Keine Sorge, Querido, er ist heute den ganzen Tag in New Jersey.“

Zehn Minuten später liegt mein grauer Overall auf dem Boden ihres Schlafzimmers und ich selbst zwischen diesen göttlichen Beinen. Mein Blick saugt sich auf der glänzenden Caramelhaut dieser Schönheit fest, während ich ihrem Stöhnen lausche und sie nach allen Regeln der Kunst vernasche.

Manchmal liebe ich meinen Job.

„Lucia? Wo bist du?“, ruft plötzlich eine Stimme, so tief wie der Marianengraben.Schwer atmend halte ich inne. „Wer …?“

„Mierda!“ Meine Gespielin schiebt mich von sich und springt aus dem Bett.

Ich starre zur Tür. „Ist das etwa …?“

Sie nickt und hüllt ihren herrlichen Körper in einen seidenen Morgenmantel. „Si, das ist Dwayne. Du musst verschwinden. Rápido!“Mir bricht der Schweiß aus. „Aber … du hast gesagt, er wäre …“

„Darling, bist du oben?“ Dwaynes schwere Schritte bringen die Treppe zum Ächzen.

Lucia greift nach meinem Overall und wirft ihn mir zu. „Beeil dich!“, zischt sie, läuft zum Fenster und öffnet es. „Hier raus. Na los doch!“

Stolpernd versuche ich, meine Beine in die richtigen Löcher zu bugsieren. Kaum habe ich es geschafft, da knallt die Tür auf.

Dwayne!Ich stürze zum Fenster und klettere so schnell ich kann nach draußen. Panik schnürt mir die Luft ab und lässt mein Herz rasen.Dwayne stößt einen Wutschrei aus, bei dem mir das Blut in den Adern gefriert. Meine Füße suchen schlotternd Halt auf dem schmalen Vorsprung neben dem Fenster, während ich meine bebenden Arme in den Overall zwänge. Etwa dreieinhalb Meter unter mir wartet eine gepflegte Rasenfläche.

Dwayne beugt sich aus dem Fenster. Sein zornig schnaubender Atem erinnert mich an einen gereizten Stier. Ich sehe gerade noch, wie sich die Sonne auf seiner glänzenden Glatze spiegelt, dann springe ich todesmutig in die Tiefe. Ah, verdammt, mein Knöchel! Mit schmerzverzerrtem Gesicht rappele ich mich auf.Wieder springt eine Tür fast aus den Angeln. Diesmal die Haustür.„Ich bringe dich um, du dreckiges Arschloch!“, brüllt der Ex-Cop.

Ich renne los. Ich renne, wie ich noch nie in meinem Leben gerannt bin. Das Stechen in meinem Knöchel spüre ich kaum, das in meinen Seiten jedoch ist fast unerträglich. Schweißüberströmt jage ich die Straße hinab, hinter mir die hastigen Schritte von Lucias aufgebrachtem Ehemann.

Ein Schuss fällt, pfeift mir regelrecht um die Ohren. Ich ducke mich und laufe weiter. Die Kugel schlägt in einen Briefkasten ein, nur wenige Meter von mir entfernt. Keuchend erreiche ich eine stark befahrene Kreuzung.

Dwaynes Gebrüll hinter mir macht mir klar, dass ich nicht stehenbleiben darf, wenn ich an meinem Leben hänge. Also renne ich auf die Straße. Bremsen quietschen, Hupen dröhnen. Berstendes Blech und wütende Rufe vermischen sich mit spitzen Schreien und weiteren Schüssen. Lucias Gatte entpuppt sich als adrenalingedopter Scharfschütze. Und ich bin seine Zielscheibe!

Mit letzter Kraft erreiche ich die andere Straßenseite und werfe einen schnellen Blick zurück. Hinter mir ist das totale Chaos ausgebrochen. Ich sehe, dass Dwayne mit erhobener Waffe vergeblich nach mir Ausschau hält. Verbeulte Autos und panisch herumirrende Passanten nehmen ihm die Sicht. Ich nutze die Gelegenheit, schlüpfe durch den Eingang des nächsten Ladens und donnere die Tür hinter mir zu.

Völlig ausgepumpt lehne ich mich von innen dagegen und sehe mich um. Ich stehe in einem kleinen, düsteren Geschäft, vollgestopft mit Antiquitäten. Zierliche Lampen, kunstvolle Möbel, Gemälde, Bücher. Das leise Klingeln und beruhigende Tick-Tack von mehreren Uhren erfüllt den Raum und verdrängt den Lärm, der auf der Straße tobt.

Hinter einem Kassentresen sitzt ein Mann und sieht mir über den Rand seiner Brille entgegen.

„Entschuldigen Sie, … aber ich werde … von einem eifersüchtigen Ehemann … verfolgt“, keuche ich. „Der Kerl ist … verrückt.“Der Mann kommt zu mir herüber und sieht aus dem Schaufenster. „Der Typ mit der Knarre?“

„Genau der“, japse ich und sehe mich um. „Gibt es hier eine Hintertür?“„Tut mir leid, nein.“ Der Brillenträger schiebt mich von der Tür weg und öffnet sie.

Was soll das? Ist er verrückt geworden?

„Tür zu!“, brülle ich und renne zum Tresen. Ich will mich dahinter verstecken, doch plötzlich bleibe ich wie angewurzelt stehen. Neben der Kasse hängt ein Bild. Darauf sind zwei Cops, die sich angrinsen.

Der eine ist der Brillentyp, der andere ist - Dwayne!

„He, Kumpel!“, höre ich den Ladenbesitzer rufen. „Das Schwein, das du suchst, ist hier!“

*****

Tick-Tack

Die Titelmelodie erklang. Katy war nervös, spürte Nick. Er zwinkerte ihr zu. „Wir schaffen das schon.“

Diese Spielshow war ganz neu. Sie waren die allerersten Kandidaten und hatten nur eine vage Ahnung von dem, was auf sie zukam.

Nick musterte das blonde Paar neben ihnen – ihre Gegner. Eine zierliche Frau und ein großer Mann mit breitem Kreuz, der seine Finger verschränkte und sie genüsslich knacken ließ.

Auf dem Monitor vor ihnen begrüßte Moderator Kai Zwetschge das Publikum und kündigte die beiden Teams an.

„Begrüßen Sie zunächst mit einem donnernden Applaus – Monika und Ben!“

„Viel Glü-hück!“, flötete Monika Nick und Katy zu. Begleitet von der Showmelodie und dem Applaus der Zuschauer lief das Pärchen winkend ins Studio.

Nick und Katy beobachteten, wie der Moderator die beiden begrüßte und sie fragte, welchen Wunsch sie sich im Falle ihres Sieges erfüllen würden.

Monika erzählte, dass sie sich seit langem ein Kind wünschten. Drei erfolglose Versuche mit künstlicher Befruchtung hätten sie schon hinter sich. Für weitere Behandlungen fehle ihnen das Geld, deshalb wollten sie unbedingt die Show gewinnen.

„Wir schlagen die mit links“, flüsterte Nick Katy zu. „Die beiden sind dumm wie Kauknochen. Das spüre ich.“

„Ich stelle euch jetzt eure Gegner vor“, kündigte Kai Zwetschge an. „Applaus für - Katy und Nick!“

Hand in Hand liefen sie die Studiotreppe hinunter. Kai Zwetschge begrüßte sie herzlich.

„Welchen Wunsch erfüllt ihr euch, solltet ihr heute Abend gewinnen?“

„Wir möchten bauen“, sagte Nick. „Dafür bräuchten wir das Geld. Zurzeit leben wir in einer viel zu kleinen Mietwohnung.“

„Dann wünsche ich euch viel Erfolg und erkläre jetzt die Regeln“, sagte Zwetschge und sah auf die Karte in seiner Hand.

„Es muss ein Lösungswort gefunden werden, das aus drei Wörtern besteht, also zum Beispiel: Ochsen-Schwanz-Suppe.“

Er wies ans andere Ende des Studios. „Hinter diesen drei Türen sind Kapseln mit Hinweisen versteckt, für jedes Team eine. Pro Raum habt ihr zehn Minuten.“

Nick sah auf die große Studiouhr, die fast drohend über ihnen hing.

„Hat ein Team alle Hinweise gefunden und das Lösungswort kombiniert, drückt es diesen Buzzer. Ist die Antwort falsch, hat das andere Team die Chance, mit der richtigen Lösung zu gewinnen. Alles klar?“

Sie nickten.

„Jede Runde beginnen wir an dieser Startlinie mit einem Wettrennen.“ Kai Zwetschge strahlte in die Kamera. „Doch bevor es losgeht, haben wir noch eine Überraschung für euch. Wir wollen es ja nicht zu einfach machen.“

Nick grinste gequält. Worauf hatten sie sich bloß eingelassen?

„Begrüßen Sie nun meine reizende Assistentin Chantal!“, rief Zwetschge. Eine Frau in einem ausgeschnittenen Glitzerkleid kam winkend näher. Nick bemerkte, dass Ben ihr wie hypnotisiert auf den üppigen Busen starrte.

Chantal hielt den Kandidaten ein Tablett entgegen, auf dem vier zusammengefaltete Papiere lagen.

„Nehmt euch bitte einen Zettel“, sagte Kai Zwetschge.

Chantal wartete, bis sich alle bedient hatten, strahlte noch einmal ins Publikum und ging dann Hüfte schwingend davon.

„Ben, was steht bei dir?“, fragte der Moderator gespannt.

Ben, der Chantal hinterher geglotzt hatte, sah auf und blinzelte. Dann entfaltete er den Zettel. „Frosch“, las er.

Kai Zwetschge lächelte geheimnisvoll. „Monika?“

„Bär.“

„Katy?“

„Hase.“

„Und Nick?“

„Giraffe.“

Der Moderator wandte sich ans Publikum. „Was das zu bedeuten hat, sehen Sie nach einer kurzen Pause. Bleiben Sie dran!“

Nick hatte sich noch nie so gedemütigt gefühlt. Man hatte ihn in ein Giraffenkostüm gesteckt und er sah fast so albern aus wie Ben als Laubfrosch.

„Zwanzig Meter können lang sein, wenn man sie mit einem Handicap bewältigen muss“, freute sich Zwetschge. „Ben bekommt nicht nur Schwimmflossen, er muss natürlich springen wie ein Frosch. Bär Monika bekommt zwei Kilo schwere Klumpfüße, der rosa Hase Katy hoppelt auf allen Vieren und muss an jeder Markierung ein Männchen machen, und unsere Giraffe Nick legt die Strecke auf Stelzen zurück. Macht euch bereit!“

Nick sah, dass Katy am liebsten heulen würde. Mit so etwas hatten sie beide nicht gerechnet.

„Du siehst süß aus als Hase“, flüsterte er ihr tröstend zu.

Sie sah ihn mit großen Augen an und schob ein Stück des rosa Fells von ihrem Ohr. „Was?“

„Nick, nimm dir bitte deine Stelzen“, bat Zwetschge. „Bist du schon einmal auf so etwas gelaufen?“

„Nein, noch nie.“

„Keine Angst, wir haben Sanitäter hinter der Bühne“, witzelte der Moderator. „Die Zeit läuft ab - jetzt!“

Nick kämpfte verbissen mit den Stelzen, während Ben Probleme hatte, mit den Flossen zu hüpfen.

Bärin Monika stieß als Erste die Tür auf und zerrte sich die Gewichte von den Füßen. Katy hoppelte mit wippendem Bommelschwanz hinter ihr her. Das Publikum tobte.

Endlich hatte auch Nick die Tür erreicht und fand sich in einer Scheune wieder. Strohballen, mit Werkzeug gefüllte Schubkarren und ein Misthaufen erwarteten ihn.

„Los, such mit!“, rief Katy, die einen Ballen nach dem anderen umwarf. Nick stürzte sich auf die Schubkarren und wühlte wie Monika zwischen Hämmern, Sägen und Zangen.

Nach ein paar Minuten jubelte Monika. „Ich hab‘s gefunden!“

Das Publikum klatschte.

Kai Zwetschge wandte sich an Katy und Nick. „Dort ist die zweite Kapsel versteckt.“ Er zwinkerte und wies auf den stinkenden Misthaufen. Nick seufzte und nahm eins der bereitliegenden Handschuhpaare.

„Durch den Mund atmen“, riet Katy.

„Ihr habt drei Minuten!“, verkündete Zwetschge. „Los!“

Nick kämpfte sich neben Katy verbissen durch das stinkende Stroh. Die Studiouhr tickte und fraß hungrig die Sekunden.

„Noch eine Minute.“

„Scheiße!“, fluchte Nick.

„Ich hab sie!“ Glücklich hielt ihm Katy die verdreckte Kapsel entgegen. Während sie sie öffnete und gemeinsam mit Nick den Hinweis las, sah ihnen eine Kamera über die Schulter.

Hinweise zum 1. Teil des gesuchten Wortes:

Der Anfangsbuchstabe steht an der 8. Primzahlstelle des Alphabets (die 1 wird nicht mitgezählt).

Im Wort ‚Jagdrevierbegrenzung‘ ist die Anzahl der Buchstaben versteckt.

Es hat drei Konsonanten.

Es handelt sich um einen Gegenstand, den man an vielen Orten der Welt finden kann, vor allem in Meeresnähe.

„Auf geht’s zu Runde zwei!“, riss Zwetschge sie aus ihren Überlegungen. „An die Startlinie!“

Wieder quälte sich Nick auf seine Stelzen und bemühte sich, vor dem Laubfrosch am Ziel anzukommen.

Er schaffte es nicht. Weil er einmal runterfiel, konnte der Frosch ihn überholen. Doch zumindest hoppelte Katy an Klumpfuß-Monika vorbei.

Der nächste Raum sah aus wie eine Schwimmhalle. Katy stürzte sich auf einen Haufen mit Schwimmringen, Poolnudeln und Badetieren. Nick und Monika folgten ihr. Noch bevor Ben ankam, hatte Katy die Kapsel entdeckt. Das bedeutete, dass Frosch und Bär ins Schwimmbecken mussten, das mit einer Art dunkelblauem Wackelpudding gefüllt war. Ben zögerte nicht, doch Monika ließ sich nur widerstrebend in das Becken gleiten.

Nick und Katy amüsierten sich köstlich. Eine Minute vor Ablauf der Zeit krabbelten ihre Gegner mit Glibber verziert aus dem Becken, die Kapsel in der Hand. Das Publikum lachte und Moderator Kai kündigte die nächste Werbepause an.

Der Hinweis für den zweiten Teil des Lösungswortes lautet:

Der Anfangsbuchstabe steht an fünfter Primzahlstelle des Alphabets.

Ein anderes Wort für Koitus sagt euch die Anzahl der Buchstaben.

Das Wort hat zwei Silben und doppelt so viele Konsonanten.

Es ist ein Gegenstand, in dem sich sowohl Pflaster als auch Ohrringe befinden können.

Katy sah Nick ratlos an.

„Was ist denn ein Keutus?“, fragte Ben.

Nick grinste und Monika flüsterte ihrem Mann etwas ins Ohr, woraufhin der rot anlief.

Die letzte Runde. Seufzend griff Nick nach den Stelzen. Inzwischen fühlte er sich etwas sicherer, doch ihm war klar, dass er oben bleiben musste, um eine Chance zu haben. Das Signal ertönte. Frosch und Hase hoppelten los, Glibber-Bär Monika setzte schwerfällig einen Fuß vor den anderen und Nick überholte erst sie, dann den Frosch und schließlich sogar Katy. Erleichtert warf er die Stelzen von sich, stürzte durch die Tür – und blieb abrupt stehen. Hier war es stockdunkel.

Assistentin Chantal reichte ihm eine Taschenlampe.

„Viel S-paß in der Sreckenskammer“, lispelte sie.

Nick richtete den Strahl in das Zimmer und schrak zurück, als das Licht auf eine Monsterfratze fiel. Er sah sich weiter um und fand einen Vampir im Sarg. Mit jagendem Puls überprüfte Nick das Innere des Sargs, als etwas seinen Kopf streifte. Schreiend sprang er auf, stolperte und landete in den Armen eines Zombies. Zitternd rappelte er sich auf.

Ein Lichtkegel nach dem anderen drang in den Raum. Katy, die Horrorfilme liebte, war offensichtlich in ihrem Element. Furchtlos filzte sie die Monster und ließ sich auch durch baumelnde Fledermäuse und Spinnen nicht stören. Vermutlich hatte eine dieser Spinnen Nick kurz zuvor erschreckt. Er schüttelte sich, denn nichts ekelte ihn mehr als Spinnen.

„Noch acht Minuten“, rief Kai in das Ticken der Uhr.

Deckel quietschten, Ketten rasselten. Nick erkannte, dass Katys Hand in einer Wanne mit künstlichem Blut nach der Kapsel forschte.

Igitt, wie widerlich, dachte er und sah in eine mit Spinnweben verzierte Standuhr.

Tick-Tack.

„Noch vier Minuten!“

Nick wurde panisch. Wo war die verfluchte Kapsel? Endlich hörte er einen hellen Jubelschrei. Zu seiner Enttäuschung kam er nicht von Katy, sondern von Monika.

Das Licht ging an. Was er nun sehen konnte, ließ Nick das Blut in den Adern gefrieren. Links von ihm war ein großes Spinnennetz. Dahinter lag ein Haufen Knochen. Und in dem Netz tummelten sich neben künstliche Tierchen auch viele echte Spinnen!

„Ihr ahnt es sicher schon“, sagte Kai Zwetschge, ohne sich zu bemühen, seine Schadenfreude zu verbergen. „Die letzte Kapsel findet ihr in dem Knochenberg. Ihr habt noch zwei Minuten und zwölf Sekunden übrig.“

Chantal überreichte ihnen Schutzbrillen.

„Seid ihr bereit?“, fragte Kai.

Katy nickte, doch Nick starrte auf das Netz, spürte eine Gänsehaut am ganzen Körper und wünschte sich weit weg.

„Die Zeit läuft ...jetzt!“

Beherzt zerriss Katy das Netz und kämpfte sich nach vorn. Es schien sie gar nicht zu stören, dass unzählige Spinnen über ihren Kopf, ihre Arme und ihren Hasenrücken krabbelten. Nick war stolz auf ihren Mut – und selbst voller Panik. Zu ihm hätte das Hasenkostüm in diesem Moment besser gepasst. Immer wieder zuckte er zusammen und wischte Spinnen von seinem Kostüm.

„Noch eine Minute“, rief Kai.

Sie hatten den Knochenhaufen erreicht. Hektisch wühlte Katy sich durch die künstlichen menschlichen Überreste. Nick bemühte sich, die Spinnen aus seinen Gedanken zu verdrängen, und half tatkräftig mit. Doch seine Hände zitterten.

„Noch zwanzig Sekunden!“

Tick-Tack.

Verzweifelt kämpfte Nick sich durch den Knochenberg. Katy keuchte.

„Noch zehn!“

Panik überrollte Nick. Das Ticken machte ihn aggressiv. Wütend stieß seine Hand durch die Knochen.

„Noch fünf!“

Er bekam etwas Glattes, Rundes zu fassen. Wie in Zeitlupe zog er die Hand hervor, reckte sie mit der Kapsel in die Höhe, als hielte er einen Pokal.

Katy fiel ihm um den Hals. Es schepperte und klapperte, als sie in die Plastikknochen fielen. Übersät mit Spinnenweben beugten sie sich nach einer weiteren Werbepause über den neuen Hinweis.

Der letzte Teil des Lösungswortes

beginnt mit dem Buchstaben, der auf den Anfangsbuchstaben des zweiten Wortes folgt;

hat nur 2 Konsonanten

macht manchmal blind

„Ihr habt nun alle Hinweise zusammen“, sagte Zwetschge, „und fünf Minuten Zeit, um die Hinweise zum eigentlichen Lösungswort zusammenzufügen. Während dieser Zeit geht ihr die Treppe hinauf und wieder hinunter. Sobald ihr das Wort gefunden habt, kommt ihr her und drückt den Buzzer.“

Nick tauschte einen Blick mit Katy. Jetzt kam es drauf an.

„Seit ihr bereit? Wunderbar. Die Zeit läuft ab JETZT!“

Eine muntere Melodie erklang und sie rannten auf die Treppe zu. Was für ein Bild, dachte Nick. Ein Frosch, ein Hase, ein Bär und eine Giraffe rennen eine Treppe auf und ab und diskutieren zum Tick-Tack dieser bescheuerten Uhr.

„Der erste Buchstabe ist ein S“, sagte Katy gerade, „das hab ich schon herausgefunden. Vier Buchstaben, das war leicht, und man findet den Gegenstand am Meer. Ich tippe auf Sand, das hat drei Konsonanten. Was meinst du?“

Er nickte erfreut. „Klingt gut.“

Sie hatten das Ende der Treppe erreicht und drehten sich um. Das Publikum klatschte im Takt des Sekundenzeigers mit, was Nick wahnsinnig machte.

„Okay, der Anfangsbuchstabe des nächsten Wortes ist ...“, er murmelte vor sich hin und nahm die Finger zu Hilfe, „... ein K. Was ist mit dem Pflaster und dem Ohrring gemeint?“

„Ohrringe gehören ins Schmuckkästchen.“

„Und ein Pflaster in den Erste-Hilfe-Kasten! Kasten ist das Wort!“

„Also haben wir schon den Sandkasten!“, freute sich Katy.

Nick warf einen Blick auf ihre Gegner. Monika sah ebenso zufrieden aus wie Katy. Waren sie schon weiter als sie selbst?

„Noch eine Minute!“, rief Zwetschge.

„Wir müssen uns beeilen“, stieß Nick hervor. „Was ist mit dem letzten Wort?“

„Auf K wie Kasten folgt ein L“, bemerkte Katy. „Aber was macht manchmal blind? Ich habe gerade echt ein Brett vor dem Kopf.“

Nick schlug sich vor die Stirn und lachte erleichtert auf. „Ist doch logisch!“

In diesem Moment rannte Ben wie von Sinnen die Treppe hinunter, raste auf den Buzzer zu und knallte die Handfläche darauf.

Trööööt!

„Scheiße!“, fluchte Nick.

Atemlose Stille im Saal. Monika stand wie angewurzelt.

„Ihr habt zehn Sekunden, um das Lösungswort zu nennen“, sagte Kai zu Ben. „Ab jetzt.“

Tick-Tack.

„Monika sagte, sie wüsste es“, sagte Ben stockend. „Da bin ich losgelaufen.“

Alle wandten den Kopf zur Treppe. Der Zeiger zuckte weiter. Nur noch vier Sekunden. Monika erwachte aus ihrer Starre und rannte die Treppe hinunter. „Ich weiß es!“, rief sie. „Die Lösung ist ... Aaaaahhh!!“

Ein schockiertes Raunen ging durch den Saal, denn Monika purzelte in ihrem Bärenkostüm kreischend die Stufen hinunter. Am Fuße der Treppe blieb sie reglos liegen.

„Neiiiin!“ Ben flitzte zu ihr und sank neben ihr auf die Knie. „Moni, Liebling, sag doch was!“

Sanitäter erschienen und legten die junge Frau behutsam auf eine Trage. Alle Augen waren auf die dramatische Szene gerichtet.

Nur Nicks Blick glitt zum Buzzer. War der Sturz von Monika ein Wink des Schicksals?

„Wir gehen ein letztes Mal in die Werbung und sehen uns gleich wieder“, sagte Zwetschge verstört blinzelnd in die Kamera.

„Ok, wir sind raus!“, rief jemand aus dem Hintergrund.

Das warme Lächeln des Moderators verschwand wie auf Knopfdruck. Er ging auf Ben zu. „Es ist bestimmt nichts Ernstes“, versuchte er ihn zu beruhigen. „Sobald die Ärzte wissen, was ihr fehlt, werden wir unverzüglich infor...“

Tröööt! Alle sahen zum Buzzer – und zu Nick, dessen Hand darauf lag. „Wenn er die Lösung nicht weiß ...“, er wies mit dem Kinn zu Ben“, ... dann bin ich jetzt dran, oder?“

„Nun, ich weiß nicht, wie wir in diesem Fall ...“, stotterte der blass gewordene Moderator und sah sich hilflos um. „Ich meine, ob wir – Regie!!“

Nick sah aus dem Augenwinkel, dass Ben ihn fassungslos anstarrte. So ganz wohl fühlte er sich auch nicht in seiner Haut. Doch hier ging es um viel. Ben wusste die Lösung nicht, er schon. Diese Chance musste er einfach nutzen.

Zwetschge lauschte den Anweisungen der Stimme in seinem Ohr und nickte dann. „Ben, ich habe eine gute Nachricht für dich. Monika ist wieder bei Bewusstsein. Sie hat eine leichte Gehirnerschütterung und ein paar Prellungen. Noch ist sie etwas benommen, doch es geht ihr bald wieder gut.“

Ben schien erleichtert. In seinen Augen glitzerten Tränen und seine Mundwinkel zuckten.

„Die schlechte Nachricht ist“, fuhr Zwetschge fort, „du musst uns nach der Werbepause binnen zehn Sekunden die Lösung nennen. Weißt du die Antwort nicht, ist das andere Team am Zug.“

Bens Miene erstarrte, er wurde bleich. Die Erkennungsmelodie setzte ein – das Zeichen, dass die Werbung vorbei war und sie wieder auf Sendung gingen.

Kai Zwetschge begrüßte mit freundlichem Lächeln die Zuschauer, informierte sie mit wenigen Worten darüber, dass es Monika wieder besser ging und wiederholte die Worte, die er kurz zuvor zu Ben gesagt hatte. Dann sah er ihn an. „Bist du bereit, Ben? Zehn Sekunden - ab jetzt.“

Die Stirn des Mannes im Froschkostüm glänzte vor Schweiß, während der Zeiger vorrückte. Nick betete stumm. Noch acht Sekunden. Tick-Tack.

„Sandkasten...“, nuschelte Ben. „Sandkasten...“

„Noch fünf Sekunden! Vier, drei ...“

Ben hatte die Augen geschlossen, schien sich zu konzentrieren. Nick hielt den Atem an.

„Zwei, eins …“

Plötzlich leuchteten Bens Augen auf. „Sandkastenliebe!“, rief er und sah Zwetschge gespannt an.

Das Ticken verstummte, die Zeit war um. Im Saal war es so ruhig, dass Nick hören konnte, wie Katy mit den Zähnen knirschte.

„Das ist … richtig!“, rief Zwetschge und Ben sank auf die Knie, das Gesicht in den Händen vergraben. Er wirkte völlig erschöpft.

Das Publikum applaudierte begeistert. „Verdammter Mist“, murmelte Nick enttäuscht und sah zu Katy. „Ich hab es auch gewusst.“

„Ich weiß.“ Sie lächelte. „Ist doch egal. Aber wir haben bewiesen, dass wir ein tolles Team sind. Das ist mir viel wichtiger.“

Er gab ihr einen Kuss. „Mir auch. Ehrlich gesagt, ich freue mich für die beiden. Lass uns gratulieren.“ Nick beschloss, sich bei Ben zu entschuldigen. Wenn er mit seiner Masche durchgekommen wäre, hätte ihm sein schlechtes Gewissen ohnehin jede Freude am Gewinn genommen.

Nach der Show verabschiedeten sie sich von Ben.

„Sag Monika gute Besserung von uns“, bat Nick. „Und wenn es klappt mit dem Kind, dann sorg bitte dafür, dass es nie bei einer Spielshow mitmacht.“

Ben grinste. „Darauf kannst du wetten.“

*****

Kriminelles

Gleich wie Feuer nicht Feuer löscht, so kann Böses nicht Böses ersticken.

Nur das Gute, wenn es auf das Böse stößt, und von diesem nicht angesteckt wird, besiegt das Böse.

Leo Tolstoi

Nur das Mondlicht war Zeuge

"Der Mond ist aufgegangen, die gold’nen Sternlein prangen, am Himmel hell und klar.“

Mit weicher, gedämpfter Stimme sang die Frau und sah dabei hinab auf das unbewegte Gesicht. Ihre Hand führte die Wiege, die sanft hin und her schaukelte.

„Der Wald steht schwarz und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar.“

Ihre Augen wandten sich zum Fenster. Dahinter war nur tiefe Dunkelheit. Weit entfernt konnte sie mit Mühe die Kontur des beginnenden Waldes erahnen. Nur wenige Sterne und der blasse, kühle Vollmond schauten zurück.

Die Frau wandte den Blick vom Fenster ab und stand auf. Ihre nackten Füße auf dem Teppichboden verursachten nicht den kleinsten Laut. Als sie die Tür öffnete, erfüllte ein knarrendes Geräusch den Raum. Eigentlich leise, doch in dieser Stille beinahe unerträglich laut. Die Frau hielt inne und lauschte ihrem Herzklopfen.Sonst war nichts zu hören. Auch in der Wiege blieb es ruhig.Sie trat auf den düsteren Flur hinaus. Bis hierher reichte das Licht des Mondes nicht. Nur wenige Schritte später wurde sie von der Schwärze der Nacht verschluckt.

Freitag

„Warum heißt er eigentlich Hagrid?“, fragte Jannis.

„Na, weil er so groß ist, lange dunkle Haare hat und ich die Harry-Potter-Filme so gern mochte, als wir ihn bekommen haben“, antwortete Mika.

„Magst du die jetzt nicht mehr?“

Mika zuckte mit den Achseln. „Doch, schon. Aber nicht mehr so wie damals.“

Ein paar Meter schwiegen sie, in Gedanken bei Harry Potter und seinen Abenteuern.

Jannis atmete tief durch die Nase ein. Er mochte die würzige Waldluft so gern.

„Darf ich ihn auch mal halten?“ Bittend sah er zu seinem Kumpel und streckte vorsorglich schon mal die offene Hand aus. Mika zögerte, doch dann legte er die Leine in Jannis‘ Hand, die sich sogleich zur Faust schloss.

„Aber pass auf“, mahnte Mika, „er ist stark. Auf jeden Fall stärker als du. Du darfst die Leine auf keinen Fall loslassen.“

„Schon klar.“ Die Augen des blondgelockten Jungen strahlten. Zufrieden sah er dem Mischling dabei zu, wie er an einem Baum das Bein hob.

„Komm, Hagrid!“, rief er, sobald das Bein den Boden wieder berührte. Dann lieferte er sich mit dem Hund ein Rennen.

Mika sah ihnen nach. Als der große Hagrid den kleinen Jannis vom Waldweg ins Unterholz zog, umwölkte sich seine Stirn. Er ging schneller und hob dabei seine Hände trichterförmig zum Mund.

„Kommt zurück!“, rief er.

Jannis und er waren zwar beide in der dritten Klasse, doch Jannis war kleiner und ein halbes Jahr jünger. Er würde Hagrid nicht halten können, wenn der etwas witterte.

„Hagrid zieht so doll!“, rief Jannis zurück. Leichte Verzweiflung klang in seiner Stimme durch. „Mika, hilf mir!“

„So ein Mist!“ Mika begann zu rennen. Jannis‘ rote Jacke blitzte zwischen den Bäumen auf, verharrte schließlich an einem Fleck. Keuchend kam Mika neben seinem Freund zum Stehen.

Hagrid war nur wenige Schritte entfernt, das andere Ende der Leine lag nach wie vor in Jannis Hand. Die Schnauze des Hundes wühlte sich durch den lockeren Waldboden, dann bellte Hagrid kurz und begann zu buddeln.

„Vielleicht hat er einen Schatz gefunden“, wisperte Jannis. Seine Wangen glühten.

„Quatsch“, Mika winkte ab. „Lass uns abhauen. Ich will nach Hause.“

„Ja, gleich!“ Gebannt beobachtete Jannis den Hund, der aufgeregt bellte, während er grub.

„Ruhig, Hagrid!“ Mika nahm seinem Freund die Leine ab und zog den Hund von dem Loch weg. Hagrid winselte enttäuscht.

Jannis trat näher. „Da ist etwas“, rief er und fiel auf die Knie.

Mika band die Leine an einem Ast fest, trat zu seinem Freund und ließ sich ebenfalls auf die Knie nieder. Gemeinsam schaufelten sie die Erde von dem hellen Etwas, das dort vergraben war.

„Nur eine gammelige Plastiktüte“, erkannte Mika und stand auf. „Da hat jemand Müll vergraben, weiter nichts.“

„Oder jemand hat eine Bank ausgeraubt und die Beute hier versteckt.“ Jannis Augen leuchteten.

„Pah, das glaube ich nicht.“