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Als der Dealer Hannes seine Freundin Sonja tot auffindet, ist er sich sicher, dass sie keines natürlichen Todes gestorben ist. Sofort fällt sein Verdacht auf seinen Jugendfreund Mike. Dieser ist eine aufstrebende Größe in der Wiener Unterwelt. Zwischen ihnen entbrennt ein erbitterter Kampf. Eine Stadträtin will aus dem Fall politisches Kleingeld schlagen, spielt dabei Mike in die Hände und verfängt sich in seinen Fallstricken. Auch die frustrierte Society-Reporterin Carina wird in das ungleiche Kräftemessen verwickelt. Und Inspektor Hoffmann ist den Ereignissen auf der Spur. Schließlich kommt es zum Showdown zwischen Hannes und Mike.
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Seitenzahl: 401
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Günter Neuwirth
Paulis Pub
Hoffmanns 1. Fall
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2016 – Gmeiner-Verlag GmbH
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlagbild: © zimt_stern / photocase.de
Umschlaggestaltung: Simone Hölsch
ISBN 978-3-7349-9436-4
Natürlich war es verrückt. Ein irres Risiko. Ein verdammt unangenehmes Gefühl kochte in seinen Bauch. Hannes lief leichtfüßig durch die Straße. Das machte das Training. Joggen war sein Ding. Die Atmung kam gleichmäßig, er war in Topform.
Flip musste durchgeknallt sein. Die Polizei hing Flip an den Fersen, dennoch hatte er eine Übergabe vereinbart. Hannes spähte nervös um sich. Wenn Flip schon den Mutigen spielen wollte, war das seine Sache, ihn jedoch da hineinzuziehen, fand Hannes einfach mies. Aber jetzt gab es kein Zurück.
In gemächlichem Tempo lief er die äußere Mariahilferstraße hoch. Wie immer war er in seinen schlabbrigen Jogginganzug gehüllt. Auch die Laufschuhe waren nicht mehr die besten, aber eine Zeitlang würde er damit noch auskommen müssen. Wirklich viel Geld verdiente er mit der Dealerei nicht. Es reichte gerade.
Ein Streifenwagen fuhr an ihm vorbei. Hannes fluchte in sich hinein. Flip, dieser Wahnsinnige, aber Hannes brauchte das Dope unbedingt. Gestern hatte er das Zeug bezahlt und war nun völlig pleite. Auf Pump oder auf Kommission rückte Flip nie etwas heraus. Die Übergabe musste einfach klappen. Hannes biss die Zähne zusammen und erhöhte das Tempo. Er näherte sich dem Auer-Welsbach-Park.
Wolfgang Hoffmann winkte dem Fahrer des Wagens zu. Dieser bremste scharf und fuhr rechts ran. Hoffmann öffnete die Tür und ließ sich auf den Rücksitz fallen. Der Fahrer wartete nicht einmal, bis Hoffmann die Tür wieder geschlossen hatte, er drückte auf das Gaspedal.
»So flott unterwegs?«
Der Beifahrer blickte kurz nach hinten.
»Der Assmann hat uns drei Minuten gegeben.«
Hoffmann griff nach dem Sicherheitsgurt. Sein Kollege Assmann hatte es immer eilig und nur selten gab es wirklich einen Grund dafür.
»Und wohin geht’s?«
»Auer-Welsbach-Park.«
Der Fahrer wechselte die Spur und setzte zu einem Überholmanöver an. Hoffmann kannte die beiden Polizisten vom Sehen. Heute sollte Philip Kurz, in der Szene bestens unter seinem Spitznamen Flip bekannt, über die Klinge springen. Hoffmann war neugierig, ob Assmann das Kunststück zu Wege bringen würde. Er selbst hatte Flip seit fast einem Jahr auf der Abschussliste, aber Flip war ein verflucht gerissener Kerl. Kein vollgedröhnter Idiot mit zu viel Hasch in den Taschen, sondern ein gewitzter Spieler.
»Und wie viele werden von uns antanzen?«
»Sechs Mann von uns und vier von der Wega«, erwiderte der Beifahrer.
Hoffmann pfiff durch die Zähne.
»Na bravo. Warum nicht gleich ein Hubschrauber.«
»Dein Kollege muss ein paar gute Freunde in der Chefetage haben.«
Sie fuhren zügig am Schloss Schönbrunn vorbei.
»Die hat er. Jawohl, die hat er.«
Hannes blickte auf seine Armbanduhr. Es blieb noch etwas Zeit, daher beschloss er, einen kleinen Umweg zu machen. Der Polizeiwagen war nicht zum Park gefahren, sondern Richtung Wienzeile abgebogen. Das hatte Hannes einigermaßen beruhigt, aber es war bestimmt nicht verkehrt, sich in der Gegend ein wenig umzusehen.
Sie saßen im Auto und beobachteten. Der Wagen stand am Rande des Parks, links rollte der Verkehr dahin, rechts lag der Park in beschaulicher Ruhe. Zwei türkische Frauen gingen gemächlich durch die Allee auf den Park zu. Eine schob einen Kinderwagen vor sich her, die andere hatte die drei voraus laufenden Kleinkinder im Auge. Ein alter Mann führte seinen Dackel an der Leine. Der Beifahrer wiegte das Funkgerät in Händen. Hoffmann war nur als Beobachter hier. Er hatte nicht vor, sich an der Amtshandlung zu beteiligen, außer wenn es notwendig wurde. Aber daran zweifelte er. Flip und sein Kunde, wer immer das heute war, würden gegen zehn Polizisten nicht viel ausrichten können. Unmerklich schüttelte er den Kopf. Assmann war noch nicht lange im Kommissariat, er war einige Jahre jünger als Hoffmann, aber sein guter Draht zu Major Koller bewirkte einiges. Hoffmann wäre nie auf die Idee gekommen, Männer vom Einsatzkommando Wega anzufordern, und wenn er es gemacht hätte, wären ihm hundert bürokratische Hürden in den Weg gelegt worden. Gut, Flip war kein Waisenknabe, in seinem langen Strafregister fanden sich auch ein paar Einträge wegen Raufhandel, aber die waren lange her. Flip war Mitte dreißig, seit fast fünfzehn Jahren hatte er sich auf keine amtsbekannte Schlägerei mehr eingelassen.
»Da ist er.«
Hoffmann hatte ihn zuerst gesehen. Die beiden Kollegen waren sofort hellwach. Der Beifahrer griff zum Funkgerät.
»Hier Position eins. Habe Sichtkontakt.«
Hoffmann kniff die Augen zusammen. Sollte es heute gelingen? War das der Tag, auf den er monatelang hingearbeitet hatte? Flip verschob nur weiche Drogen, das wusste jeder im Kommissariat, Meth, Heroin oder Kokain rührte er nicht an, aber Flips Haschisch- und Marihuana-Geschäfte hatten ein Volumen angenommen, das nicht mehr zu tolerieren war. Das hatte Hoffmanns mühselige Recherche ergeben. Ihm war es mittlerweile egal, dass Major Koller ihm den Fall entzogen und an Assmann übergeben hatte. Solange Flip aus dem Verkehr gezogen wurde.
Flip war nicht zu verwechseln. Er war groß und schlank, fast schlaksig, sein Haar fiel in langen, glatten Strähnen über seine Schultern, ein markanter Schnauzbart unterstrich noch seine kantigen Züge, seine Arme waren voller Tätowierungen und meist hatte er braune Lederklamotten und Cowboystiefel an. Er war zu Fuß unterwegs, also stand seine Harley Davidson in irgendeiner Seitengasse.
Ein Mann in Anzug und Krawatte hastete heran. Er riss die Tür auf und warf sich neben Hoffmann auf den Rücksitz. Die hektische Nervosität seines Kollegen Assmann erfüllte mit einem Mal das Innere des Wagens. Assmanns Gesicht war gerötet.
»Sind alle auf Position?«, fragte er mit harter, gepresster Stimme.
Der Beifahrer winkte mit dem Funkgerät.
»Alle auf Posten.«
»Okay. Gib mir das Ding.«
Das Funkgerät wechselte den Besitzer.
»Einsatzleiter hier. Verdächtiger in Sichtkontakt. Wartet auf meine Befehle.«
Hoffmann griff zu seinen Zigaretten. Befehle, hatte Assmann gesagt, Befehle, nicht Anweisungen oder Anordnungen oder sonst wie. Befehle.
»Wir steigen aus und folgen ihm.«
Assmann und die zwei Polizisten liefen in den Park und versteckten sich hinter einem Gebüsch. Hoffmann blieb beim Wagen zurück und entflammte eine Zigarette.
Hannes kam zu einer Ampel und blieb stehen. Er lockerte die Beine und kreiste kurz mit den Armen. Mittlerweile war er ins Schwitzen gekommen, die Muskulatur war warm, er hatte genau die richtige Pulsfrequenz, das Laufen begann Spaß zu machen. Er stand neben zwei Teenagern, zwei jungen Mädchen, denen an diesem Vormittag die Schule offenbar keinen Spaß gemacht hatte. Hannes Blick fiel auf eine Straßenuhr. Er erschrak. Es war zehn Minuten nach zehn. Er vergewisserte sich mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Tatsächlich, seine Uhr ging um zehn Minuten nach. In fünf Minuten musste er im Park sein. Er wartete nicht, bis die Ampel auf Grün sprang, sondern lief sofort los. Jetzt hieß es Tempo machen.
Flip ging in gemächlichem Tempo über den Kiesweg. Er hielt inne und zündete sich eine Zigarette an, dabei ließ er den Blick kreisen. Hoffmann hielt zwar großen Abstand zu Flip und auch zu den im Gebüsch versteckten Kollegen, aber so viel war klar, Flip tappte nicht ahnungslos in die Falle. Er schien die Gefahr zu wittern. Eines musste Hoffmann den Kollegen lassen, sie waren wirklich unsichtbar, auch wenn es ein bisschen nach Räuber- und Gendarm-Spiel aussah. Hoffmann war zu lange in der Branche, um über so ein Versteckspiel belustigt zu sein. Immerhin galt es Wiens größten Haschdealer zu schnappen. Flip ging weiter, vor einem Mülleimer verlangsamte er den Schritt, blickte sich nervös um, zog blitzschnell ein Paket aus seiner Jacke und warf es in den Mülleimer. Mit eiligen Schritten marschierte er weiter.
Hoffmanns Puls beschleunigte sich. Das Ei war gelegt. Er lief zum Gebüsch. Assmann dirigierte die Kollegen über das Funkgerät.
»Hast du es gesehen? Da, im Mistkübel«, flüsterte einer der Polizisten Hoffmann zu.
Hoffmann nickte nur, als sich Assmann den anderen zuwandte und bellte: »Position drei hat jetzt Sichtkontakt, Position zwei steht beim Ausgang. Wir behalten das Objekt im Auge.«
»Was ist, wenn der Abnehmer erst in einer Stunde kommt?«
Der Polizist, der das Auto gelenkt hatte, hatte die Frage in den Raum gestellt. Assmann glotzte ein wenig entgeistert. Diese Möglichkeit hatte er offenbar nicht in Erwägung gezogen.
»Glaub ich nicht«, erwiderte Hoffmann. »Der Flip ist knausrig, er geht das Risiko nicht ein, dass die Müllabfuhr seine Ware einsammelt. In spätestens zehn Minuten wird da garantiert einer auftauchen.«
»Da ist unser Kunde«, triumphierte Assmann.
Ein Schwarzafrikaner schlenderte den Weg hinab. Er trug eine Tasche bei sich. Sah eher nach einem Studenten aus, nicht wie ein Dealer, aber die Afrikaner in der Branche mussten doppelt vorsichtig und gewieft sein. Der junge Mann setzte sich auf die Bank neben dem Mülleimer.
»An alle Positionen. Haltet euch für den Zugriff bereit, das Objekt wird angesteuert.«
Hoffmann rauchte sich noch eine Zigarette an. Er war vom Jagdfieber angesteckt. Das war mal etwas anderes als die monotone Büroarbeit und die mühsame Recherche in Unterweltlokalen. Der Afrikaner packte aus seiner Tasche eine halbleere Flasche Cola und nahm einen großen Schluck. Seltsam nur, dachte Hoffmann, dass Flip jetzt auch Afrikaner belieferte, meist hatten die ihre eigenen Quellen. Hoch an der Zeit, dass Flips Laden dichtgemacht wurde.
Viertel nach zehn. Er hatte es pünktlich geschafft. Hannes hielt an und schnaufte. Erst einmal zu Atem kommen. Er hatte mit Flip das Szenario genau besprochen, wann und wo die Übergabe stattfinden sollte. Er fiel in leichten Trab, näherte sich dem Parkzugang bei der Wienzeile, so wie es ausgemacht war. Es traf ihn wie ein Schlag in den Magen. Polizei. Zwei Mann in Zivil und zwei Mann in Uniform. Hannes änderte die Richtung unauffällig. Er lief nicht in den Park, sondern außen herum. Hannes schlug den Blick nieder. Die Polizisten hatten ihn noch nicht bemerkt.
Der Afrikaner schaute in die Luft. Nippte wieder und wieder an der Colaflasche. Hoffmann fluchte in sich hinein. Der Kerl war verdammt cool. Keine spähenden Blicke, kein nervöses Fußwippen, er saß einfach nur da und trank. Wahrscheinlich hatte er keine Ahnung, dass sich die Schlinge um ihn schloss. Da erhob er sich, packte seine Tasche und ging auf den Mülleimer zu.
»Jetzt!«, brüllte Assmann ins Funkgerät. »Alle Mann zuschlagen!«
Assmann zog seine Glock und hechtete hinter dem Gebüsch hervor. Die zwei Beamten zogen ebenfalls ihre Waffen und rannten los. Hoffmann war überrumpelt, er war sprachlos. Aus dem Nichts tauchte ein Mann der Wega vor dem Afrikaner auf und hielt ihm die Pistole unter die Nase. Der Afrikaner fiel beinahe um vor Schreck. Dann war er von vier Mann umzingelt. Hoffmann machte eine säuerliche Miene und ging flott hinterher.
»Durchsucht ihn!«, befahl Assmann.
Einer der Polizisten perlustrierte den Mann, der andere nahm sich die Tasche vor, Assmann und der Mann vom Einsatzkommando hielten ihn in Schach.
»Na, Freundchen, sind wir ein bisschen im Drogenhandel?«
Assmann strahlte über das ganze Gesicht. Nicht unweit liefen die beiden türkischen Frauen und sammelten erschrocken ihre Kinder ein.
»Keine Waffen«, sagte einer der Polizisten.
Das Funkgerät schlug an.
»Hier Position zwei und drei. Verdächtiger fixiert. Alles unter Kontrolle.«
Assmann warf das Funkgerät mit der einen Hand hoch und fing es mit der anderen. Er grinste Hoffmann breit an. Das Grinsen des Siegers.
»Na, Herr Kollege, so fängt man Fische.«
Er hob das Funkgerät an die Lippen.
»Sehr gut, meine Herren. Prima Arbeit. Führt den Verdächtigen zum Sammelpunkt. Ich spendiere eine Runde Kaffee.«
Hoffmann musterte den Afrikaner. Er zitterte am ganzen Leib. Schweißtropfen perlten über seine Stirn. Hoffmann legte dem Mann vom Einsatzkommando die Hand auf die Schulter.
»Ist schon recht. Siehst ja, dass er gleich einen Kreislaufkollaps kriegt.«
Der Uniformierte ließ den Afrikaner nicht aus den Augen, trat aber zwei Schritte zurück und steckte die Waffe ein. Assmann holte aus der Tasche seines Jacketts Latexhandschuhe und griff in den Mülleimer. Er präsentierte dem Afrikaner das in braunes Packpapier gehüllte Päckchen.
»Und was sagen wir dazu?«, fragte er höhnisch.
Der junge Mann schnappte nach Luft.
»What’s that? Nicht von mir! Nicht von mir!«, stammelte er.
»Dafür fährst heim in die Savanne, Bürschchen. Mit Umweg über Stein an der Donau.«
»Bist dir sicher?«
Assmann funkelte Hoffmann bösartig an.
»Du hältst dich da raus, ja! Das ist meine Verhaftung.«
»Die Ehre lass ich dir. Nur schau zuerst einmal, was da drinnen ist. Die Spurensicherung wird’s dir verzeihen.«
Assmann knurrte verärgert und riss mit einer schnellen Handbewegung das Packpapier auf.
»Das gibt’s ja nicht«, stöhnte der Polizist, der sie gefahren hatte.
»Schöne Scheiße«, sagte der andere.
Assmann starrte völlig entgeistert auf zwei vergilbte Taschenbücher. Billige Kriminalromane.
Hoffmann zündete sich eine Zigarette an.
»Eines muss man dem Flip lassen. Der Bursche hat Nerven. Und Humor. Nur Lachen kann ich leider nicht.«
Hannes stand in der Wiese. Sein Puls raste. Er hatte genau beobachtet, wie die Polizisten Flip nachgerannt, wie sie über ihn hergefallen waren, ihn umgeworfen und durchsucht hatten. Sie waren nicht zimperlich mit ihm umgesprungen, ein paar blaue Flecken würden bestimmt bleiben. Mittlerweile hatten sie ihn abgeführt. Hannes ließ den Blick kreisen. Kein Bulle mehr in Sicht. Er hoffte nur, dass nicht ein versteckter Posten zurückgeblieben war. Hannes bückte sich und fingerte an seinem Schuhband herum. Schnell griff er zu Boden und packte das in Zeitungspapier gewickelte Päckchen. Er riss den daran befestigten Garn ab. Unauffällig verschwanden das Paket und der Garn in seiner Jogginghose. Flip hatte Hannes eingebläut, den Garn nicht zu vergessen. Das war so eine irre Erfindung Flips. Das Dopepaket steckte unter der Hose auf der Höhe des Schienbeines. Befestigt war es an einem innen durch das Hosenbein führenden Garn, der am Gürtel angeknüpft war. Mit einem unauffälligen Griff an den Gürtel ließ sich der Knoten lösen. Dann brauchte Flip nur noch das Paket und den daran hängenden Garn diskret abschütteln.
Hannes zwang sich nicht zu schnell davon zu rennen. Er wollte gerade jetzt nicht auffallen, immerhin trug er einen halben Kilo Haschisch bei sich. Auf Flip war Verlass, es würde bestimmt nicht ein halbes Gramm zu wenig sein. Er verlangte Bargeld, dafür aber stimmten bei ihm Qualität und Gewicht.
Schade, dass Hannes Flip versprochen hatte, niemandem von der Übergabe zu erzählen. Nicht einmal Sonja. Oder gerade Sonja nicht, denn Sonja würde garantiert in Paulis Pub für brüllendes Gelächter sorgen. Flip war stets an Kippe zwischen Genie und Wahnsinn. Diesmal war es gut ausgegangen. Zumindest für Hannes. Er hatte keine blauen Flecken.
Hannes sperrte die Tür auf und trat ein. Die Wohnung war nicht gerade geräumig und alles andere als aufgeräumt, aber er fühlte sich hier wohl. Er ließ den Großteil des Dopes sofort im Küchenschrank verschwinden, erst dann schlüpfte er aus den Schuhen.
»Hallo, bin wieder da!«
Die Tür zu Sonjas Schlafzimmer knarrte. Verschlafen trat sie in die Küche. Sie schaute Hannes gar nicht an, sondern latschte gleich zum Kühlschrank.
»Warst wieder rennen?«
»Sport macht munter.«
Sie öffnete den Kühlschrank und war überrascht, darin etwas zu finden. Sie hob ein Sechserpack Bier hoch.
»Du hast ja eingekauft.«
Hannes schmunzelte.
»Zum Frühstück was Flüssiges? Ja, gleich in der Früh. Dafür bin ich jetzt völlig pleite.«
Sonja entnahm dem Kühlschrank Margarine und Marmelade.
»Und gibt’s auch Kaffee?«
»Sowieso.«
Hannes schlüpfte aus seinem T-Shirt. Sonja musterte kurz seinen nackten Oberkörper.
»Brrr. Du mit deinem Jogging. Das muss ja gesund sein. Geh mir aus dem Weg, du wandelnde Sexbombe.«
Seit er bei Sonja in Untermiete wohnte, hatte sich sein Leben zum Besseren gewendet. Früher hatte er oft nicht gewusst, wo er nächste Woche übernachten würde, und nicht nur einmal hatte er auf einer Parkbank geschlafen. Er war schon fast völlig in der Gosse abgesackt, als er Sonja kennengelernt hatte. Sie war damals auch auf dem besten Weg gewesen, vollends im Sumpf der Großstadt zu versinken. Gemeinsam hatten sie sich aufgerafft, hatten das Leben wieder in den Griff gekriegt, jeder für sich und irgendwie doch gemeinsam. Sie ließ ihn bei sich wohnen und hatte ihm ein paar gute Kontakte verschafft, er hingegen bezahlte fast alleine die Wohnung, managte meist den Haushalt und hatte sie von den harten Drogen weggebracht. Zusammen waren sie stark. Und manchmal, wenn sich Sonja einsam fühlte, wenn sie einen Mann zum Anlehnen brauchte, hatten sie Sex miteinander. Hannes wäre gestorben für Sonja. Ja, auf seine Art liebte er sie. Kratzbürstige Launen hatten Liebe noch nie verhindert.
Er fühlte sich gut, eine heiße Dusche nach dem Joggen wirkte wie ein Lebenselixier. Und der Erfolg mit der Übergabe motivierte ihn ohnedies. Er trat in das kleine Wohnzimmer und setzte sich zu Sonja an den Tisch. Sie kaute langsam an einem Marmeladebrot, ganz wach war sie noch nicht, obwohl sie schon zwei Tassen Kaffee getrunken hatte. Hannes goss sich ebenfalls eine Tasse ein.
»Gestern ist es wieder länger geworden. Hab dich gar nicht mehr gehört«, sagte er.
Sonja beendete ihr Mahl und streckte sich.
»Der Kaffee war jetzt notwendig. Schön langsam lebe ich wieder. Hast du Zigaretten?«
Hannes legte seine Packung auf den Tisch. Wenn er einkaufte, dann ordentlich, da fehlte nichts. Sonja grapschte sich die Packung und zündete sich eine an.
»Das war ein Theater. Du hättest Moses sehen sollen. Er war wieder voll in seinem Element. Und Pauli hat das Pub nicht und nicht zugesperrt. War echt lustig. Muss mir ja den neuesten Tratsch anhören.«
»Was, die ganze Nacht? War’s so wichtig, Frau Neugierig?«
Sonja ließ sich nicht provozieren, sie zeigte Hannes nur breit grinsend den Stinkefinger. Er lachte.
»Und hast du verkauft?«, fragte er.
»Mäßig. Miese Zeiten.«
»Kannst du mir einen Zwanziger leihen?«
»So pleite?«
»Total. Weißt ja, der Flip besteht auf Barzahlung.«
Sonja erhob sich und knipste die Stereoanlage an. Für ein paar Augenblicke lauschte sie der Musik, ehe sie sich wieder Hannes zuwandte.
»Da liegt meine Börse. Nimm dir was raus. Wann kriegst das Zeug?«
Hannes fischte sich zwei Zehner aus Sonjas Geldbörse. Viel Bares hatte sie auch nicht mehr. Das würde sich bald ändern.
»Einer von uns beiden hat heute schon gearbeitet.«
»Na geh, du Held der arbeitslosen Klasse, du hast das Zeug schon. Worauf wartest du? Lass mich probieren.«
Hannes drehte mit schnellen Griffen einen Joint.
»Dunkler Marokkaner. Super Qualität. Ware von Flip eben.«
Wenig später hüllte eine würzige Rauchwolke die beiden ein. Der Tag war gerettet.
Pauli stieg gemächlich die Treppe hinab. Er war wie immer spät dran, aber Edith nahm es mit der Pünktlichkeit nicht so genau. Sie kellnerte lange genug im Pub, um über die Gewohnheiten ihres Chefs Bescheid zu wissen. Edith machte die erste Schicht, die offiziell von zehn bis sechzehn Uhr lief. Sobald Pauli ins Pub kam, konnte sie Feierabend machen. Bis zur Sperrstunde um zwei Uhr morgens arbeitete Pauli selbst im Pub. Harry, sein neuer Mitarbeiter, begann um sechs Uhr. Edith konnte meistens erst um fünf Uhr nachmittags Feierabend machen. Auch diesmal ging es schon auf halb fünf zu, als Pauli seine Wohnung im ersten Stock direkt über dem Lokal verließ. Durch die Hintertür trat er in den kleinen, muffigen Lagerraum. Bierkisten, volle und leere Getränkeflaschen, Reservegläser in Pappkartons und Putzbesen stapelten sich darin in heillosem Wirrwarr. Ordnung war nicht gerade Paulis Stärke. Aber das hatte schon seine Richtigkeit.
Vom Lagerraum kam er in das Hinterzimmer. Die anwesenden Gäste drehten die Köpfe, einige nickten Pauli grüßend zu. Er stapfte einfach an ihnen vorbei. Volles Haus wieder mal. Sein Pub war häufig gut besucht und Pauli ein durchaus wohlhabender Mann geworden. Aber er scherte sich nicht viel um Geld. Geld kam und ging, und das Finanzamt schnitt sowieso immer gehörig mit. In jungen Jahren, als er noch mit seiner Motorradgang umhergezogen war, hatte Pauli anders darüber gedacht und ein paar krumme Dinge gedreht. Aber in den drei Jahren, die er wegen Einbruches abgesessen hatte, hatte sich seine Meinung über Geld geändert. Und wenn mal ein Stammgast die Zeche aufschreiben ließ, konnte es leicht passieren, dass Pauli auf die Schuldentilgung einfach verzichtete. Seine jungen Gäste waren ja irgendwie seine Familie und er der alte und respektierte Patron.
Edith zapfte eben Bier, als er neben sie trat. Sie nickten einander zur Begrüßung zu.
»Gibt’s was Neues?«
»Nichts Neues. Nur er ist wieder pleite.«
Edith deutete mit einem Kopfnicken zu Moses, der an der Bar lehnte und völlig versunken auf ein leeres Blatt starrte. Pauli kannte seinen treuesten Gast seit unzähligen Jahren. Moses besaß eine kleine Eigentumswohnung in der Nähe des Westbahnhofes, bloß benutzte er diese nur, um zu schlafen. Ansonsten hielt er sich fast rund um die Uhr im Pub auf. Alleine das, was Moses in den letzten Jahren auf Pump bei Pauli getrunken hatte, hätte für die Renovierung des abgelebten Mobiliars ausgereicht.
»Eh klar. Was hat er getrunken?«
»Zweimal das Übliche.«
»Das geht.«
Um halb fünf zwei Flaschen Bier. Moses war heute ja richtig auf Askese. Wahrscheinlich weil er wieder mal vergeblich versuchte, einen bedeutenden Satz auf das leere Blatt Papier zu kritzeln. So lebten heutzutage Kaffeehausliteraten in Wien, wie Moses sich selbst gerne bezeichnete. Ständig auf Pump besoffen und bekifft.
Pauli bereitete sich eine Melange zu. Damit begann üblicherweise sein Arbeitstag. Genüsslich schlürfte er den Kaffee. Die Tür ging auf und zu. Laufend kamen junge Leute herein, sahen sich verstohlen um, konsumierten meist nur ein Getränk, spielten ein Runde Tischfussball und warteten.
»Wird ja richtig voll heute.«
»Freitag. Wie immer«, antwortete Edith, ohne sich vom Zählen des Geldes abhalten zu lassen. Mit flotten Griffen schloss sie ihre Arbeit ab und übergab die Kassa an Pauli. Am Freitag machte Pauli stets den meisten Umsatz. Da kamen die Jugendlichen, um sich für das Wochenende etwas Haschisch zu besorgen. Edith verabschiedete sich und ging. Sie öffnete eben die Tür, als Hannes auftauchte. Die beiden begrüßten einander im Vorbeigehen. Hannes ließ den Blick kreisen, steuerte schließlich die Theke an, schnappte sich einen Barhocker und setzte sich. Er lächelte. Auch Pauli lächelte.
»Hallo Pauli.«
»Das Übliche?«
»Sowieso.«
Moses tauchte aus seiner Versenkung hoch. Er kraulte seinen struppigen Bart, gestikulierte und trat auf Hannes zu.
»Servus, lieber Hannes, bist auch wieder einmal in der Heimat der wurmstichigen Nachtfalter und deren unheilträchtigen Geblüts.«
Moses umarmte Hannes, dieser klopfte Moses auf den Rücken.
»Geh, Pauli, stell dem Moses eines raus.«
»Das ist wahre Freundschaft, von keiner Missgunst und Kleinlichkeit getrübt.«
Pauli runzelte die Stirn, servierte aber Hannes eine Flasche Cola und Moses eine Flasche Bier.
»Dichtest wieder?«, fragte Hannes leutselig.
»Geh, der tut ja nur so, als ob er schreiben könnte.«
Moses setzte die Flasche an und machte einen kräftigen Schluck. Prustend stellte er die Flasche ab.
»Kennt ihr Peter Altenberg?«
Hannes schaute Pauli fragend an, dieser zuckte mit den Schultern.
»Wer soll das sein?«
»Ein kluger Mann der Literatur!«, rief Moses in großem Ton.
Pauli machte ein verächtliches Gesicht und eine wegwerfende Handbewegung.
»Bitte, Moses, verschon uns.«
Moses vollführte eine pathetische Geste.
»Peter Altenberg hat gesagt, der Frühling ist da, wenn im Kaffeehaus die Tür offen steht!«
Wenn Moses einen seiner berüchtigten Lachanfälle bekam, musste man einfach mitlachen, das ging gar nicht anders. Und der Lachanfall jetzt war echt nicht ohne, sogar Pauli konnte sich ein Schmunzeln nicht verbeißen, obwohl er sonst für Moses’ Witze nicht viel übrig hatte.
»Du hättest dein Studium abschließen sollen, du Koffer«, beendete Pauli das Gelächter und widmete sich seiner Arbeit.
»Na, Hannes, was hältst du von einer Partie Schach?«
Hannes schätzte die Lage ein. Jede Menge Kundschaft, in einer Stunde würde er so viel verkauft haben, wie sonst an ganzen Tagen. Zum Glück hatte er genug vom Marokkaner mitgenommen. Und bald würden im Hinterzimmer des Pubs Rauchschwaden aufsteigen.
»Vielleicht später. Muss noch arbeiten.«
Moses war in jungen Jahren Vizestaatsmeister in Schach gewesen. Seine größte Heldentat, die er gerne und ausführlich erzählte. Siebzehn Jahre war er alt gewesen, als er den seit Jahren unangefochten besten Schachspieler Österreichs gehörig ins Schwitzen gebracht hatte. Der Mann hatte Moses eine große Zukunft als Schachspieler prophezeit. Niemand wusste, warum es nicht so gekommen war. Hannes hingegen hatte im Gefängnis mit dem Schachspiel begonnen. Also mit echtem Schachspiel. Die Grundlagen kannte er schon aus der Jugend, aber im Knast hatte er von einem alten Profi gelernt. Dieser Mann hatte jahrelange vom Schachspiel in dunklen Lokalen gelebt. Wenn man zusammen ein Jahr lang in einer Zelle hockte, konnte man viele Partien spielen. Hannes hatte nie besonderen Ehrgeiz entwickelt, aber er hatte sich viele Züge des alten Fuchses gemerkt. Moses und Hannes spielten drei bis vier Partien pro Woche. Pauli, selbst ein guter Spieler, schaute ihnen immer wieder ein Weilchen zu, ließ sich aber nur ganz selten zu einer Partie überreden. Moses liebte es mit Hannes zu spielen, er war der einzige im Pub, der ihn immer wieder schlagen konnte. Fünf von zehn Partien gewann Moses, drei Hannes, zwei endeten Remis. Das war der Durchschnitt.
Moses schaute plötzlich an Hannes vorbei zur Eingangstür.
»Da schau her, die Polizei, dein Freund und Helfer.«
Für eine Sekunde herrschte Totenstille im Lokal. Obwohl Moses leise gesprochen hatte, war er überall gehört worden. Für manche Worte hatten die Gäste in Paulis Pub ein sehr feines Gehör.
Wolfgang Hoffmann öffnete die Tür zu Paulis Pub und blickte dutzenden Augen entgegen. Das kannte er schon. So wurde er hier immer begrüßt. Mit ausdruckslosem Gesicht hielt er einige Sekunden den Blicken stand, dann ging er langsam auf die Theke zu. Bereitwillig wurde ihm Platz gemacht.
»Einen kleinen Braunen, bitte.«,
»Kommt sofort, kommt sogleich.«
Pauli ließ die drei Jugendlichen, die eben Getränke bestellt hatten, warten und bereitete den kleinen Braunen zu. Hoffmann zündete sich eine Zigarette an. Pauli würde sein Pub dichtmachen müssen, sollte jemals wie in anderen Ländern strenge Nichtrauchergesetze erlassen werden. Moses, neben dem Hoffmann sich auf einen Barhocker gesetzt hatte, trollte sich. Hoffmann saß somit durch einen leeren Barhocker getrennt neben Hannes.
»Bitte sehr, Herr Inspektor. Der kleine Braune.«
Hoffmann legte die Zigarette auf den Aschenbecher und nippte an der Tasse. Pauli bediente nun die drei Jugendlichen, lehnte sich danach an die Theke und musterte Hoffmann.
Hannes trank gemächlich aus der Colaflasche. Er trug zwar eine größere Menge Haschisch bei sich, aber er blieb dennoch ruhig. Er hatte mit Hoffmann noch nie zu tun gehabt, kannte ihn aber wie alle in der Szene. Das war ein unangenehmer Polizist, einer, der nie die Nerven verlor, der nicht zu Gewalt oder offenen Drohungen neigte, aber einer, den man nicht abschütteln konnte. Ein zäher Mann. Und wenn Hoffmann jetzt hinter ihm her war, hatte er ohnedies keine Chance mehr, egal, ob er jetzt nervös wurde oder nicht.
»Du schenkst doch keinen Alkohol an Jugendliche aus, Pauli? Nicht wahr?«
»Ich verlange keinen Ausweis, Herr Inspektor, aber Milchgesichter kriegen nur Milch. Ist ja klar.«
»Das ist fein.«
Aus den Augenwinkeln sah Hannes, wie der Reihe nach Leute das Lokal verließen. Das Geschäft für heute war damit schon mal versaut. Hoffmann paffte eine Weile sinnierend.
»Und hast du vielleicht den Flip gesehen?«
Pauli zuckte mit den Achseln.
»Schon ein paar Monate nicht. Die Leute kommen und gehen.«
»So ist das nun mal in der Gastronomie.«
Hoffmann drehte sich demonstrativ um und schaute zwei jungen Männern zu, wie sie dem Ausgang zusteuerten. Die beiden zogen die Köpfe ein und verschwanden flott. Nun wurde es Hannes doch ein wenig mulmig zu Mute. Hoffmann war also hinter Flip her. Und wahrscheinlich auch hinter seinen Kunden. Hannes zündete sich eine Zigarette an.
»Na dann richte ihm doch schöne Grüße von mir aus.«
»Wenn ich ihn sehe, gern.«
Hoffmann zerdrückte seine Zigarette im Aschenbecher und leerte mit einem Zug die Tasse. Er legte ein paar Münzen auf die Theke.
»Das geht aufs Haus«, brummte Pauli.
»Mein Geld stinkt nicht.«
Mit einem Mal fasste Hoffmann Hannes scharf ins Auge.
»Und du? Gehst du nicht öfter joggen?«
Hannes schaute Hoffmann direkt an. Ein verflucht unangenehmer Kerl. Und wieso wusste Hoffmann über seine Gewohnheiten Bescheid?
»Doch. Des Öfteren.«
»Bravo, hält Geist und Körper in Form. Sollte ich auch mal machen. Und warst du vielleicht heute Vormittag auch joggen?«
»Heute nicht. Keine Zeit.«
Hoffmann erhob sich und steckte sein Feuerzeug ein.
»Ja ja, keine Zeit, keine Zeit. So geht’s einem andauernd. Also dann, Tschüs allseits.«
»Auf Wiedersehen, Herr Inspektor«, murmelte Pauli.
Die Blicke der noch Anwesenden folgten Hoffmann zur Tür hinaus.
»Na bravo«, sagte Pauli. »Der war aber sauer. Weißt du, was er vom Flip will?«
»Keine Ahnung«, entgegnete Hannes, aber Hannes’ Miene war unmissverständlich. Pauli fragte nicht weiter.
»So sind sie, die Kieberer. Machen immer Stress.«
Carina öffnete die Wohnungstür. Peter Schaller hielt eine langstielige rote Rose in der linken und eine Flasche Sekt in der rechten Hand. Seine Krawatte war gelockert, der oberste Hemdknopf offen.
»Hallo! Ich war gerade zufällig in der Gegend und habe mir gedacht, ich mache einen Sprung bei meinem Schatz vorbei.«
»Du warst zufällig in der Gegend? Und die Flasche?«
Peter grinste breit.
»Zufällig, total zufällig. Was ist, muss ich am Gang stehen bleiben oder machen wir’s uns ein bisschen gemütlich?«
Carina drehte sich wortlos um und ging ins Wohnzimmer. Peter schloss die Tür hinter sich und folgte ihr.
»Da schau her, bist du am Arbeiten, Frau Journalistin?«
Carina klappte ihr auf dem Couchtisch stehendes Notebook zu und räumte mit ein paar schnellen Handgriffen die ausgebreiteten Papiere fort. Sie würde morgen Ordnung schaffen, für heute hatte sie genug gearbeitet. Zuerst musste sie sich um ihren ungebetenen Gast kümmern. Gast? Carina schnaufte. Sie trat in die Mitte des Raumes und verschränkte die Arme.
»Peter, ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir, bin nicht aufgelegt für irgendwelche Spielchen. Also, was willst du?«
Peter tänzelte durch das Zimmer. Er ließ sich auf einen Fauteuil plumpsen.
»Schampus trinken. Wo sind die Gläser?«
»Keine Gläser, kein Schampus, nichts. Was willst du?«
Peter riss die Folie vom Korken und lockerte das Drahtgeflecht.
»Na komm, wer wird denn gleich wieder sauer sein! Was ist los mit dir? Wir haben doch viel Spaß gehabt.«
Carina schnaufte verärgert.
»Sag mal, bist du schwer von Begriff? Ich hab’s dir doch erklärt. Ja, du bist ein fescher Bursch und ich war alleine und mehr als beschwipst, deswegen ist das alles passiert, dann haben wir uns noch einmal getroffen und es hat mir keinen Spaß gemacht …«
Peter schlug hart auf den Tisch. Carina zuckte erschrocken.
»Mir hat’s aber Spaß gemacht!«
Entnervt lief Carina im Zimmer auf und ab.
»Siehst du, das sind genau die Sachen, die für Stress sorgen. Ich will vernünftig mit dir reden, dir noch mal alles erklären, und dann der Scheiß.«
Peter sprang hoch, hielt Carina auf und wollte sie umarmen.
»Entschuldige, ich will dich nicht erschrecken, du bist ja meine süße Wildkatze.«
Sie schob ihn von sich fort. Sein Geruch war eindeutig.
»Bleib mir vom Leib. Du hast ja getrunken.«
Peters Miene verfinsterte sich.
»So leicht kannst du mich nicht abservieren. So nicht.«
»Peter, bitte, ich bin nicht gut drauf und hab echt keine Lust auf eine mühsame Szene. Ich hab dir nie etwas versprochen. Wir haben es probiert, aber es läuft nichts. Punkt. Ende. Aus. That’s it.«
»Ist es, weil ich politisch aktiv bin? Ist es das? Na sicher. Seit ich dir gesagt habe, dass ich in der Politik bin, bist du so abweisend.«
»Nein, nicht deswegen, oder doch … ein bisschen schon. Es ist aber mehr …«
»Bist du eine grüne Müslifresserin? Oder was? Eine Kommunistin?«, brüllte er.
Das reichte jetzt, Carina war echt sauer.
»Schrei da nicht in meiner Wohnung herum!«, brüllte sie nun ebenfalls. »Was bildest du dir eigentlich ein?«
»Na sicher ist es deswegen, weil im Bett hat’s dir ja gefallen! Und wie! Bei mir steht halt alles stramm, nicht so wie bei den Ökowixern!«
»Jetzt reicht’s! Verschwinde aus meiner Wohnung! Raus!«
Peter lachte. Mit einer schnellen Bewegung umfasste er Carinas Hüfte und drückte sie an sich. Mit der rechten Hand fasste er ihr an den Hintern. Schnaufend leckte er ihre Wange.
»Jetzt versteh ich erst, du spielst mit mir. Du willst die harte Masche. Das geilt dich auf, du Sau!«
Carina kreischte erschrocken auf und warf sich mit aller Kraft gegen ihn. Doch seine Umklammerung war unnachgiebig. Er drückte sie immer fester an sich. Carina schlug nach ihm, er aber lachte nur, hob sie hoch und tanzte durch das Zimmer. Carina schrie. Plötzlich befanden sie sich nahe der Wand. Mit dem linken Bein stemmte sie sich gegen die Wand und schob mit all ihrer Kraft an. Sie stürzten zu Boden. Peters Umklammerung lockerte sich, Carina konnte sich befreien. Sie raffte sich eilig hoch und fasste nach ihrer Handtasche. Peter lag am Boden und lachte. Er entledigte sich seiner Krawatte und knöpfte das Hemd auf. Carina fand endlich, wonach sie gesucht hatte. Mit zwei Schritten war sie über ihm. Ihre Lippen waren blutleer, schmale Striche des Zorns, ihre Miene hart. Sie würde nicht einen Augenblick zögern. Sie hielt ihm die Dose Pfefferspray direkt unter die Nase. Ihre Stimme vibrierte.
»Eine falsche Bewegung, ein blödes Wort und ich drück dir die ganze Ladung Pfefferspray ins Gesicht. Und dann hol ich die Polizei. Ich schwör’s dir, ich mach das.«
Peters Miene war mit einem Schlag ernst. Er hob vorsichtig die Hände.
»Bleib ruhig, Mädel, schön ruhig. Wir haben alles unter Kontrolle, kein Problem. Steck den Achselspray wieder weg.«
Langsam erhob er sich und trat zwei Schritte zurück. Er knöpfte sein Hemd wieder zu und steckte die Krawatte in die Jacketttasche.
»Du willst es also wirklich nicht anders. Okay, deine Sache. Aber wenn ich jetzt da hinausgehe, ist es vorbei. Endgültig vorbei.«
Carina ließ den Pfefferspray sinken, sie rang mit ihrer Fassung.
»Hau einfach nur ab.«
Er musterte sie gehässig. Dann grinste er schäbig. Lässig putzte er seine Hose ab. Er griff nach der Rose, präsentierte sie ihr, knickte den Stiel ab und warf die Blume zu Boden. Dann fasste er die Sektflasche und wog sie in der Hand.
»Ein kleines Andenken gefällig?«
Peter Schaller holte aus und warf mit voller Wucht die Flasche gegen die Wand. Die Flasche explodierte, die Glassplitter verstreuten sich im ganzen Raum, der Sekt regnete auf die Couch und lief schäumend die Wand hinab.
»Du billiges Flittchen«, knurrte er.
Die Tür knallte, dann war er endlich verschwunden. Carina warf den Pfefferspray von sich und sank atemlos zu Boden. Tränen liefen über ihre Wangen.
Der Weg war klar. Er führte nach oben. Ganz an die Spitze. Die paar Hürden würde er schon nehmen. Michael Strasser, von allen Mike genannt, war lange genug ein kleiner Fisch gewesen. Das sollte sich ändern. Er hatte ganz klare Pläne, und wer nicht auf seinen Kurs einschwenkte, musste weichen. Er war Schritt für Schritt die Leiter hochgeklettert und mittlerweile konnte ihn niemand mehr ignorieren. Wer es versuchte, fiel auf die Schnauze. Er hatte eine Position in der Organisation des Alten erreicht, die ihm einen guten Überblick über den Warenverkehr in Wien und Umgebung ermöglichte. Er wusste über jede größere Transaktion Bescheid. Das war viel, das war sehr viel, das war das Fundament, auf dem er weiter bauen konnte.
Reinhard parkte den Wagen in einer engen Gasse knapp unterhalb des Westbahnhofes. Er war nervös. Kaum stand der Wagen, entflammte er eine Zigarette und öffnete das Wagenfenster.
»Bist du im Stress?«, fragte Mike lächelnd.
Reinhard blickte kurz zu Mike hinüber, der lässig am Beifahrersitz saß und in seinem Notizbuch blätterte.
»Du willst das wirklich durchziehen?«
»Scheiß dich nicht an. Wir machen das.«
Reinhard schnippte die Asche seiner Zigarette zum Fenster hinaus. Seine Gesichtszüge waren angespannt.
»Wenn das rauskommt, reißt uns der Alte den Arsch bis zum Kragen auf.«
Mike konnte es nicht leiden, wenn seine Leute seine Anweisungen nicht befolgten oder feige waren. Sein finsterer Blick ließ den um einiges größeren Reinhard erstarren. Mikes Stimme war leise, er flüsterte beinahe.
»Reinhard, halt einfach die Goschen und mach, was ich dir sage.«
Für einige Augenblicke lag Stille im Auto.
»Ist das klar?«
»Alles klar, Mike.«
Reinhard stieg aus dem Wagen, überquerte die Straße und betrat den Handyshop. Mike öffnete das Wagenfenster und schaute sich in der Straße um. Wie er dieses Viertel verachtete. Mike konnte den Bezirk nicht ausstehen. Er hatte lange genug in diesem Sumpf gelebt. Die Gassen mit den überalterten Häusern, den versoffenen Einheimischen, den unzähligen Ausländern, den Prostituierten und Dealern waren Vergangenheit. Mike spielte in einer anderen Liga. Er klappte den Kragen seiner Lederjacke hoch und entflammte eine Zigarette.
Sonja hatte viel vor. Nicht im Leben, sondern heute. Neue Klamotten waren angesagt. Und Schuhe wären auch nicht verkehrt. Also war sie losgezogen und hatte Hannes das Frühstücksgeschirr überlassen. Sie waren jetzt wieder flüssig, am Wochenende hatten sie im Pub groß verkauft.
Die letzten Monate waren für Sonja überraschend gut verlaufen. Überraschend, weil sie gar nicht gerechnet hatte, aus der Scheiße, in der sie gesteckt hatte, jemals wieder hochzutauchen. Knapp vor ihrem dreißigsten Geburtstag hatte sie die totale Panik befallen. Ihre jugendliche Schönheit war unglaublich schnell verwelkt, sie hatte einige Kilos zugelegt, ihre Haut war faltig und fahl geworden, gute Freunde hatten sich plötzlich als kalte Schweine, Abzocker und Lügner entlarvt, der Alte hatte sich eine neue, noch jüngere Freundin angelacht, mit einem Mal war ihre ansonsten gut gefüllte Geldbörse leer gewesen. Sonja wusste nicht wie und warum, aber sie hatte sich urplötzlich in steilem Sinkflug befunden. Wer weiß, wie tief sie noch gefallen wäre, aber zu ihrer Überraschung war da ein Kerl aufgetaucht, der sie gefangen hatte, der sich um sie gekümmert hatte, dem nichts wichtiger schien als ihr Wohlbefinden. Dankbar hatte sie nach diesem Strohhalm gegriffen, denn sie sah nur zu gut, dass es ein Strohhalm war. Der Kerl war nämlich selbst ein ziemliches Wrack gewesen. Aber er war da, und er wurde stärker, er wuchs.
Mittlerweile war sie an ihn gewöhnt, er war ein angenehmer Partner. Beanspruchte nicht, bei ihr im Bett zu schlafen, fiel ihr nicht mit Launen, perversen Ideen oder sonst wie auf die Nerven, sondern war einfach nur da, wenn man ihn brauchte. Im Scherz hatte sie Bekannten gegenüber gesagt, Hannes wäre pflegeleicht. Und das traf es am genauesten. Sie hätte nicht erwartet, jemals einen Mann wie Hannes kennenzulernen. Verliebt war sie nie in ihn gewesen. Er war nicht hässlich, gut gebaut und kräftig, ganz so, wie sie Männer eigentlich mochte, aber so richtig gefunkt hatte es nicht. Vielleicht kamen sie gerade deswegen so prima miteinander aus.
Sonja stand in einem Laden und besah das Sortiment an T-Shirts auf einem kreisrunden Wäscheständer. Ihr Blick schweifte kurz zu dem schicken BMW, der vor dem Schaufenster schwungvoll in eine Parklücke kurvte. Das Fenster verschwand in der Fahrertür. Sonja runzelte die Stirn. Kannte sie das Gesicht des Mannes? Sie dachte nach. Reinhard! Das war es. Kleiner Fisch, aber er arbeitete für Mike, und Mike arbeitete für den Alten. Ein Grinsen legte sich in Sonjas Miene. Leuten hinterher zu spionieren gab ihr einfach einen geilen Kick. Vielleicht sollte sie zu den Bullen gehen. Sonja stellte sich diskret hinter einen mannshohen Kleiderständer und hielt sowohl die Verkäuferin an der Kassa als auch den BMW im Blick. Reinhard stieg aus, eilte über die Straße und betrat einen Handyshop. Auf dem Beifahrersitz qualmte jemand zum Fenster hinaus. Sie konnte nicht erkennen, wer da im Wagen saß, aber so schwer war das nicht zu erraten.
Mike höchstpersönlich.
Sie hatte ihn nie leiden können, schon damals nicht, als sie noch die Geliebte des Alten gewesen und Mike in die Organisation eingestiegen war. Sie hatte Mike von Anfang an für einen Schleimer gehalten, für einen kalt berechnenden Schweinehund, und alles, was sie von ihm gesehen und gehört hatte, hatte diesen ersten Eindruck nur bestätigt. Andererseits war er verflucht clever. Sonja wusste, dieser Kerl würde in der Unterwelt noch weit kommen. Und wie sehr sie ihn auch verachtete, sie hatte nicht annähernd die Mittel, seinen Aufstieg zu verhindern.
Sonja drehte im Laden eine Runde und wartete.
Mike setzte einen geladenen Akku in das nagelneue Telefon. Für solche Anrufe verwendete er immer das gleiche Modell. Ein Wertkartentelefon, anonym gekauft, anonym eingeschaltet, anonym auch wieder entsorgt. Ein Einwegtelefon. In Zeiten totaler Überwachung des Mobilfunkes konnte man nicht vorsichtig genug sein. Okay, das Ding war jetzt bereit. Mike las die Telefonnummer vom Zettel und tippte sie ein. Es läutete am anderen Ende der Leitung. Sein Dreh war es, die Leute dazu zu bringen, das zu tun, was seinen Ambitionen entgegen kam. Und am besten war es, wenn die Leute gar nicht bemerkten, dass sie für ihn die Drecksarbeit erledigten. Mike klemmte eine Zigarette zwischen seine Lippen, entflammte sie aber nicht. Ein einfaches, aber wirkungsvolles Mittel, um Stimme und Aussprache zu verändern. Man konnte nie vorsichtig genug sein.
Eine Frau hob ab und grüßte im Tonfall professioneller Telefonistinnen.
»Hallo. Frau Paldauer bitte. Persönlich. Nein, kann ich Ihnen nicht sagen. Ein persönlicher Anruf. Ja, ich warte, aber sagen Sie Frau Paldauer, ich warte nicht lange. Sagen Sie ihr, Sebastian Vettel ist am Telefon. Ja, Sebastian Vettel. Sie weiß dann schon.«
Mike grinste vor sich hin. Am Telefon war Tonbandmusik zu hören. Mozart oder Bach oder etwas in der Art, mit der alten Musik kannte sich Mike nicht so aus.
Reinhard saß hinter dem Lenkrad und wartete. Ihm war mulmig bei der Sache. Mike hatte immer einen Plan. Manche waren verdammt gefährlich. Hohes Risiko, hoher Profit. Mike wusste was zu tun war. Reinhard lehnte sich entspannt zurück. Im Grunde konnte er zufrieden sein. Endlich fuhr er sein Traumauto, einen nagelneuen BMW. Wie lange hatte er von so einem Wagen geträumt? Und jetzt war der Traum Realität. Dank Mike. Ohne den Vorschuss hätte er sich das Auto nicht leisten können. War ja logisch, dass er den Chauffeur machte. Mike war der Boss. Reinhard fühlte sich gut. Es ging bergauf. Er hatte endlich jemanden, der ihn nach oben bringen würde. Auf Mike war Verlass.
»Guten Tag, Frau Paldauer.«
Es hatte zwei Minuten gedauert, bis sie persönlich ans Telefon gekommen war.
»Grüß Gott. Wer spricht?«
Mike ließ sich von der harschen Stimme der Frau Stadträtin nicht einschüchtern. Bei ihrem ersten Telefonat hatte er Blut und Wasser geschwitzt, aber Mike war nicht der Typ, der sich zweimal ins Hemd machte.
»Sie wissen, wer spricht.«
»Ich weiß gar nichts.«
Die Frau Stadträtin war nach seinem Geschmack. Eine würdige Gegnerin oder Partnerin, was auch immer, in jedem Fall eine Person, die für seine Zwecke gerade richtig schien. Was kümmerte sich Mike schon um ihre politischen Ansichten? Ihr Wahlkampfstil hatte ihn auf die Idee gebracht.
»Dann würde ich Ihre Telefontussi schnellstens rausschmeißen.«
Für einen Augenblick lag Stille in der Leitung.
»Okay, wer sind Sie? Sagen Sie es mir, sonst lege ich auf der Stelle auf.«
»Sebastian Vettel. Ihr Freund und Helfer. Wir hatten ja schon zweimal das Vergnügen. Sie erinnern sich?«
»Ja, ich erinnere mich, Herr Vettel oder wie auch immer Sie heißen mögen. Ihre Hinweise haben sich als richtig herausgestellt.«
»Ich bin eben ein aufrechter Staatsbürger, der mit offenen Augen durch die Stadt geht. Ich hasse das Verbrechen, diese Unterweltler, diese Kriminellen. Genau wie Sie. Deshalb will ich Ihnen helfen.«
Mike musste klug taktieren. Die Stadträtin Susanne Paldauer führte rund um die Uhr Wahlkampf, und ihr Feindbild war die Kriminalität, insbesondere die Drogenkriminalität. Es wäre fatal gewesen, wenn sie dahinter käme, dass sie Tipps aus der Unterwelt bekam. Sie musste denken, dass da ein politisch Gleichgesinnter mit Insiderwissen anonym Informationen weitergab. Das war das Spielchen, und Mike musste es gut spielen, denn dumm war Frau Paldauer beileibe nicht.
»Herr Vettel, Sie müssen sich mir zu erkennen geben. Nur wenn ich Ihren wirklichen Namen und Ihr Gesicht kenne, kann ich in Zukunft Ihren Tipps Glauben schenken. So einfach, wie Sie sich das vorstellen, ist das nicht.«
»Glauben Sie, ich bin blöd? Schon am nächsten Tag steht mein Name in allen Zeitungen. So läuft das nicht.«
»Ich verspreche Ihnen, dass ich Ihre Identität geheim halte.«
Mike verbiss sich gerade noch eine ätzende Bemerkung über Versprechen von Politikern, und von Politikern vom Kaliber Paldauers im Besonderen.
»Frau Paldauer, ich weiß genau, dass ich Ihnen voll vertrauen kann, trotzdem läuft unsere Beziehung nur nach meinen Spielregeln. Oder sie läuft eben nicht. Wollen Sie hören, was ich zu sagen habe oder beenden wir unsere Zusammenarbeit ein für allemal?«
Er musste Druck machen. Mike machte sich nichts vor, wenn er sich in ein Gespräch mit dieser Schlange einließ, würde er den Kürzeren ziehen. Sie war Politikerin und er nur ein Gangster aus der Vorstadt. Die Rhetorik war ihr Gebiet, das durfte man von einer Politikerin mit Universitätsabschluss auch erwarten, aber auf der Gasse war er ihr überlegen. Sie hatte sich auf die Gasse gewagt, also musste sie auch nach den Regeln der Gasse agieren. Er hörte leise Stimmen im Hintergrund. Wahrscheinlich führte sie mit ihren Leuten eine hektische Beratung, was weiter zu tun sei.
»Seien Sie ehrlich«, fragte Paldauer, »sind Sie von der Polizei?«
Mike ließ sich die Frage am Gaumen zergehen. Besser konnte es einfach nicht laufen.
»Ich kann darüber nicht sprechen.«
»Also gut. Sagen Sie, was Sie wissen.«
Mike konnte sich ein Grinsen nicht verbeißen. Der Fisch hing am Haken. Und diesmal war der Fang gut. Ein wenig musste er sie noch zappeln lassen.
»Ich weiß nicht, wie gut Ihre Beziehungen zur Polizei sind, aber Sie können diesen Anruf gerne aufzeichnen oder zurückverfolgen lassen. Ich telefoniere mit diesem Handy nur ein einziges Mal. Und Ihre Kollegen, die von Beginn an zugehört haben, und ich bin mir sicher, ein paar haben mitgehört, können gleich die Bleistifte spitzen und notieren.«
Paldauer wartete, Mike ließ sich Zeit. Alles nur eine Frage der Inszenierung.
»Schießen Sie endlich los«, fauchte Paldauer.
»Morgen Vormittag sitzt im Zug aus München ein Verbrecher. Er wird Drogen dabei haben. Sehr große Mengen Heroin. Ein Schwarzer. Er wird eine rote Sportjacke und weiße Turnschuhe tragen. Frau Paldauer, dieser Mann ist ein hohes Tier im organisierten Drogenhandel, kein Laufbursche. Ich zähle auf Sie.«
Mike hörte eindeutig, wie Frau Paldauer nach Luft schnappte.
»Woher wissen Sie das? Wie kommen Sie an solche …«
Mike legte einfach auf. Okay, Charlie, dachte er, morgen bist du dran. Die Schwarzafrikaner verdrängten schon Mikes Kunden von den Straßen, aber dass sie sich, allen voran dieser Hurenbock Charlie, in die Organisation des Alten einmischen wollten, passte Mike gar nicht. Es war ja schon eine verfluchte Mühe, mit den Russen und Rumänen halbwegs klarzukommen, da brauchte Mike nicht auch noch die Afrikaner. Bloß der Alte durfte nichts erfahren, denn der Alte hatte, warum auch immer, einen Narren an Charlie gefressen. Nun, damit würde bald Schluss sein. Mike entflammte jetzt die Zigarette und sog genüsslich daran. Er wischte das Handy gründlich ab und packte es wieder in den Karton. Natürlich trug er Handschuhe.
»Reinhard, bitte, trag den Müll runter.«
Die beiden Männer lachten.
Der BMW reihte sich in den Verkehr und verschwand. Heiße Sache, darin war sich Sonja sicher. Ganz klar, Mike hatte ein Gespräch geführt, für das er sein Telefon nicht verwenden wollte oder konnte. Mit wem hatte er gesprochen? Sonja bezahlte das Kleid bar und grapschte nach der Plastiktasche. Sie flitzte aus dem Laden und schaute sich genau um. Der BMW war fort. Sonja trat an den Mülleimer heran, schaute sich noch einmal um und langte hinein. Im Mikes Schmutzwäsche zu wühlen, was konnte es cooleres geben? Vielleicht würde sie ihm ein bisschen Feuer unter dem Hintern machen können. Oder für sich etwas herausschinden? Der Karton mit dem gekauften und gleich wieder weggeworfenen Handy verschwand in ihrer Tasche.
Für wirklich florierende Geschäfte war es zu früh. Um ein Uhr mittags kamen kaum Kunden, um in Paulis Pub Haschisch zu kaufen. Edith machte routiniert ihre Arbeit hinter der Bar, ein paar Stammkunden belebten immerhin das Lokal und Moses lungerte irgendwo herum. Hannes saß vor seiner Flasche Cola und blätterte in der Zeitung. Eigentlich interessierten ihn an Zeitungen ohnedies nur die Fußballergebnisse, im Winter die Erfolge der Schifahrer, alles andere fand er langweilig. Trotzdem las er mal diese Überschrift, mal jene, und gelegentlich auch einen Artikel. Kaum welche über Politik, wenn, dann welche über Überfälle, Morde und Verbrechen aller Art. Oder über spektakuläre Verkehrsunfälle. Aber diesmal war in der Zeitung absolut nichts, was ihn auch nur andeutungsweise interessiert hätte. Franz stand plötzlich vor Hannes.
»Was ist? Machen wir ein Game? Ich spendier die erste Runde.«
Hannes schob die Zeitung zur Seite. Franz war einer seiner guten Kunden, er kaufte zwar nicht viel, aber regelmäßig. Franz gehörte zur langjährigen Stammkundschaft in Paulis Pub. Ein echter Kumpel.
»Sicher. Ein Einzel?«
Franz schüttelte den Kopf.
»Einen Vierer. Ich spiele mit Ewald.«