Pegasuscitar - Auf magischen Schwingen - Chris P. Rolls - E-Book

Pegasuscitar - Auf magischen Schwingen E-Book

Chris P. Rolls

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Beschreibung

Magische Flügel, kaum sichtbar, mehr ein Glitzern in der Luft. Durch Zufall entdeckt der junge Leibeigene Feyk seine Fähigkeit, die Magie der Pegasuspferde zu erwecken. Vor Jahrhunderten hat ein gewaltiger Krieg das große Reich und die Völker entzweit. Seither herrscht Feindschaft zwischen dem Südosten und Nordwesten. Ein Zwist, der auf dem Rücken dieser magischen Geschöpfe ausgetragen wird. Unversehens findet sich Feyk hineingezogen in ein Netz aus Intrigen und Täuschungen. Und schon bald weiß er nicht mehr, wem er vertrauen kann und wen er fürchten muss. Denn auch der seltsame Stalljunge Aldjar, zu dem er sich hingezogen fühlt, hütet ein gefährliches Geheimnis. Gesamtausgabe

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Pegasuscitar

Auf magischen Schwingen

Impressum:

© dead soft verlag, Mettingen 2014

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Casandra Krammer

Bildbearbeitung: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com/

Bildrechte: © colourbox.de

Gesamtausgabe 1. Auflage

ISBN 978-3-944737-66-9 (print)

Für die Pferde,

 deren Zauber mich inspiriert,

deren Sanftmut und Treue mich immer wieder fasziniert.

1 Nur ein Chiad

Auf dem Hof des Gasthauses blieb Feyk keuchend stehen. Betont langsam atmete er ein und aus, bemüht, sein hart schlagendes Herz zu beruhigen. Jeder Atemzug tat weh, brannte in seiner Lunge, während er gierig die Luft einsog. Sein Rücken schmerzte von der Anstrengung, den störrischen Holzkarren über den unebenen Waldboden zu zerren.

Obwohl er schützende Stoffbahnen um die Hände gebunden hatte und somit die Haut wenigstens nicht aufgeschürft worden war, glühten die Innenflächen wie Feuer. Schweiß bedeckte seinen hageren Leib, tropfte ihm von der Stirn, verklebte seine Haare und ließ den groben Stoff seines Hemdes unangenehm am Rücken scheuern. Selbst die Muskeln seiner Beine zitterten. Nur allmählich wollte die Anspannung aus seinem Körper weichen.

Regen hatte den Boden seit Tagen aufgeweicht und ihm seine ohnehin harte Arbeit zusätzlich erschwert. Nasses Holz wog mehr, ließ sich schwer sägen und noch viel beschwerlicher war es, den Karren durch den feuchten, rutschigen Untergrund zu zerren.

Den ganzen Nachmittag hatte er gebraucht, um genügend Holz zu finden, es in handliche Stücke zu hacken, den Karren damit zu füllen und ihn über den aufgeweichten Weg heim zum Gasthof zu ziehen. Es dämmerte bereits, das Sonnenlicht schwand rotgolden hinter den Bäumen, doch sein Tag war damit noch längst nicht zu Ende. Wenn er das Holz abgeladen hatte, gab es in der Gaststube noch genügend zu tun.

Feyk seufzte unzufrieden. Jaskor, sein Herr und der Besitzer des Gasthofes, würde gewiss nicht zulassen, dass er sich ausruhte.

Schneller als befürchtet wurde daraus Gewissheit, denn die Tür der Küche, die auf den kleinen Hof hinaus führte, wurde im selben Moment aufgestoßen. Die Küchenmagd Mirke hatte wahrscheinlich das Poltern des Holzkarrens vernommen. Feyk fluchte verhalten. Vermutlich wusste damit auch Jaskor, dass er wieder da war.

Mirke sah zu ihm herüber und lächelte mitleidig.

„Lass den Holzkarren einfach stehen“, meinte sie müde und wischte sich mit der rechten Hand Schweiß- und Rußspuren aus dem herben Gesicht. Ihr eigenes Los war Feyks ähnlich und sie zeigte als Einzige Verständnis und gelegentlich auch Mitleid. Für alle anderen im Gasthof war er lediglich eine billige Arbeitskraft.

Mirke war deutlich älter als Feyk. Ein Mädchen des südlichen Buzhavolkes, deren senffarbene Haut, im Gegensatz zu der dunkleren Farbe der Menschen hier im Nordwesten, ein wenig ungesund wirkte. Hellbraune, gelbliche Augen lagen tief in ihren Höhlen. Ihr Kinn war schmal und knochig, wie der Rest ihrer Figur. Schön war sie in Feyks Augen nicht und sie wirkte nicht besonders weiblich auf ihn. Der kurz geschorene Kopf, auf dem die nur fingerbreiten, hellbraunen Stoppeln standen, verstärkte diesen Eindruck zusätzlich. Nicht zum ersten Mal fragte sich Feyk, ob die junge Frau mit langen Haaren attraktiver aussehen würde. Gedankenversunken strich er sich durch seine eigenen kurz geschorenen, braunen Haare. Nicht, dass Mirke ihn wirklich interessiert hätte oder er sie je anders zu Gesicht bekommen würde.

„Da ist soeben ein neuer Gast angekommen“, fuhr Mirke unterdessen fort und musterte Feyk nachdenklich. Bereits vor einiger Zeit hatte er gelernt, seinen Unmut und andere Gefühlsregungen zu verbergen. Zu oft schon hatte er die Bekanntschaft mit den harten Händen eines Knechtes gemacht, wenn sein Gesicht Widerwillen preisgegeben hatte.

„Kümmere dich besser sofort um sein Pferd“, ergänzte Mirke ernst und fügte verschwörerischer hinzu: „Dieser neue Gast sieht ziemlich reich aus. Jaskor wird ihm natürlich besonders gute Dienste bieten wollen.“ Ihr Gesicht blieb völlig ausdruckslos. Sie versteckte ihre Gefühle ebenso routiniert wie Feyk. Sie beide wussten genau, was der andere fühlte, denn diese Dienste konnten jeden von ihnen betreffen.

Feyk seufzte noch einmal, versuchte die Erschöpfung zu ignorieren und streifte sich die dreckigen Stoffstreifen von den Händen. Er trat auf Mirke zu, die ihm sofort Platz machte und zurück in den Gasthof folgte.

„Wenn du das Pferd versorgt hast, erwartet Jaskor dich in der Gaststube, also wasch dich besser vorher“, gab sie Feyk noch mit auf den Weg. Er blickte sich nicht um und schluckte seinen Unmut einfach hinunter. Resignation ergriff ihn, wie so oft. Gerne würde er sich einfach setzen oder noch besser: In sein Strohlager im Stall schleichen und erschöpft einschlafen. Allerdings würde Jaskor das natürlich nicht zulassen. Wenn dieser Gast einen vermögenden Eindruck machte, würde sein Herr alles daransetzen, ihn zufriedenzustellen und ihm so viel Geld aus der Tasche zu ziehen, wie irgend möglich. Darauf verstand sich Jaskor gut.

Die große Gaststube war so früh am Abend nur mäßig besetzt. Der Rauch des Küchenfeuers sammelte sich unter der dunklen Holzdecke, an der aus Zweigen und Gräsern geflochtene Abwehrzauber gegen Dämonen baumelten und deren Balken mit Symbolen für die Gunst der Götter geschmückt war. Die schweren Gerüche von Essen und zu vielen Menschen hingen in der stickigen Luft. Durch die Sprossenfenster fiel das letzte Tageslicht spärlich in den Gastraum und Mirke, oder eine der anderen zwei Mägde, hatte bereits die dicken Talgkerzen in ihren rußgeschwärzten Halterungen angezündet. An einem Tisch nahe dem Fenster zur Straße saßen die drei bärtigen Fallensteller, die am Morgen angekommen waren, und sprachen fröhlich lachend dem selbstgebrauten Bier zu. Neben der Treppe zu den oberen Räumen saß eine Familie mit drei Kindern, die eingetroffen sein musste, während Feyk im Wald gearbeitet hatte.

Für einen Moment blieb sein Blick an der Familie hängen. Die Frau sah verhärmt und müde aus, den Kopf tief über ihre Suppe gebeugt. Ihr Mann war groß und kräftig, mit einem bärtigen, wettergegerbten Gesicht und abgetragener, überwiegend brauner Kleidung. Zwei dunkelhaarige Töchter und ein kleinerer, blonder Junge saßen dabei. Auch sie waren einfach gekleidet. Landarbeiter aus den Ebenen. Vermutlich war diese Familie wie viele andere auch auf dem Weg zur nächsten Ernte.

Feyk beobachtete den kleinen Jungen einen Moment mit gemischten Gefühlen. Vermutlich besaß er in etwa das Alter, in dem er selbst gewesen war, als er Jaskors Chiad wurde. Wie seine eigenen Eltern damals waren diese Landarbeiter unterwegs auf der Suche nach Arbeit, einer Unterkunft, einer Mahlzeit. Einem bisschen Sicherheit in ihrem Leben.

Ein Anflug von Neid überfiel Feyk, als der Vater seinem Sohn lächelnd über den Kopf strich und mit ihm scherzte. Zärtlichkeit und Liebe lagen in dieser Geste. Schmerzhaft zog sich Feyks Herz zusammen.

Ob sein Vater ihn irgendwann einmal so geliebt hatte? An Zärtlichkeiten, die von seinem Vater gekommen waren, konnte er sich nicht erinnern. Seine Mutter hingegen hatte ihn oft in den Arm genommen. Besonders in den kalten Nächten, wenn er gefroren hatte, weil der Regen durch die viel zu dünne Kleidung hindurchgedrungen war, oder seine Füße und Hände von der Arbeit auf den Feldern geschmerzt hatten.

Ohne Land und ohne jeden Besitz gab es bloß dieses harte Leben für Familien wie seine und diese hier. Sie zogen ohne ein eigenes Zuhause von Dorf zu Dorf, von Hof zu Hof, stetig auf der Suche nach Arbeit und Nahrung. Manchmal fanden sie Unterkunft bei einem Bauern, der die Landarbeiter auch den Winter über beschäftigen konnte. Oft genug war allerdings der Himmel Feyks Dach und der moosreiche Waldboden sein Bett gewesen.

Obschon er selten satt wurde, musste er sich zumindest nicht mehr sorgen, seinen Magen zu füllen. Seit er im Gasthof lebte, hatte er immer ein Lager im Stroh des Stalls gehabt. Im Winter teilte er sich die kleine Kammer hinter der Küche mit den zwei Knechten, deren Körperwärme auch ihn warmhielt.

Die Arbeit hingegen war nicht weniger anstrengend als vorher. Nur sein Leben gehörte nicht mehr ihm selbst. Bitternis überfiel ihn, wenn er daran dachte. Er gehörte Jaskor. Alles. Sein Körper, sein Wille, seine Arbeitskraft.

Ein Chiad. Das Wort klang wie ein Schimpfwort und das war es auch. Ein Leibeigener, unfrei in jeder Entscheidung, bestimmt, seinem Herrn zu dienen, die Schuld abzutragen, für die er eingetauscht worden war. Das war aus Feyk geworden. Kein ungewöhnliches Schicksal.

Wochen, bevor seine Familie in die Grenzgebiete des Nordwestreiches gekommen war, hatte seine Mutter bereits Probleme mit den Lungen gehabt. Ihr trockener Husten hatte Feyk oft nachts durchgeschüttelt, wenn er, eng an sie gekuschelt, versucht hatte zu schlafen. Nie wäre sein Vater in einem teuren Gasthof wie diesem eingekehrt, wenn sich ihr Zustand nicht schlagartig verschlechtert hätte. Sein verzweifelter Vater hatte keinen anderen Ausweg gewusst, als sich ein Zimmer zu nehmen und nach einem Heiler zu schicken.

Ob er damals schon gewusst hatte, dass er die Schulden nicht würde zahlen können? Feyk erinnerte sich sehr gut daran, dass sein Vater vor Sorge um seine Frau fast wahnsinnig geworden war und vermutlich alles getan hätte, um ihr Leben zu retten.

Leider waren die Götter ihnen nicht gnädig gewesen, hatten das Leiden seiner Mutter viele Tage hingezogen, bis sie endlich hatte sterben dürfen. Lange genug, dass sein Vater Jaskor und dem Heiler viel Geld geschuldet hatte. Geld, das er, der mittellose Landarbeiter, natürlich nicht hatte aufbringen können.

Zur Bezahlung seiner Schulden hatte er Jaskor seinen einzigen Sohn als Chiad überlassen. Am folgenden Tag war Feyks Vater abgereist, ohne sich von ihm zu verabschieden, ohne eine Erklärung und ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen. Feyk war jung gewesen, hatte kaum begriffen, was mit ihm geschah. An einem Tag hatte er seine Mutter verloren und am nächsten zusätzlich seinen Vater. Und seine Freiheit. Nichts war ihm geblieben, selbst das traditionelle Schutzamulett seiner Mutter hatte Jaskor ihm abgenommen.

Mühsam riss sich Feyk von dem Anblick der Familie los und ließ seinen Blick suchend durch den dunkel getäfelten Gastraum schweifen. Er konnte weder Jaskor noch den neuen Gast ausmachen. Wahrscheinlich waren sie noch draußen vor dem Gasthof. Rasch durchquerte er den Raum und öffnete die Tür zur Straße. Stimmen schlugen ihm entgegen, unter denen er sofort die harte, leicht krächzende Stimme Jaskors erkannte. Dessen Tonfall war unterwürfig und gab Feyk bereits einen Hinweis darauf, wie wichtig dieser Gast seinem Herrn war.

Ein großer, gut gekleideter Mann stand neben dem Gastwirt. Feyks Blick blieb jedoch nicht an dem neuen Gast hängen, sondern zunächst an dessen Pferd. Unwillkürlich stockte sein Schritt. Dieses Pferd war … speziell.

Er konnte nicht genau benennen, was es war, das ihn das schöne Tier mit einem eigenartigen Gefühl von Respekt mustern ließ. Sein Herz schlug plötzlich so schnell wie nach der Anstrengung, den Holzkarren zu ziehen.

Dies war kein gewöhnliches Pferd. Er spürte es tief in seinem Herzen. Ehrfurcht erfüllte ihn, das Gefühl auf ein Wesen blicken zu dürfen, dessen er nicht würdig war.

Es war ein großer, kräftiger Schimmel mit guter Bemuskelung. An den Flanken und auf der Kruppe war er noch grau geäpfelt. Sein feiner Kopf wirkte edel, die breite Stirn ging in einem eleganten Bogen in die Nüsternpartie über. Große, sehr ausdrucksstarke und dennoch sanfte dunkelbraune Augen blickten Feyk merkwürdig taxierend an. Rings um das Pferd schien die Luft im weichen Abendlicht seltsam zu flimmern, als ob Feyk eine Art Luftspiegelung an einem heißen Tag beobachten würde.

Verunsichert starrte er das schöne Pferd an. Ein solches Tier hatte er noch nie zuvor gesehen. Die Pferde der Bauern waren meist schwere Kaltblüter. Vor den Kutschen, die gelegentlich hier hielten, waren ebenfalls stets gröbere Tiere angespannt und selbst den Reitpferden der Gäste fehlte diese Art Eleganz, die dieses Pferd umgab. Es wirkte edel und erhaben.

Das Tier schnaubte leise. Der Laut hallte seltsam in Feyks Ohren nach, einem Wort einer fremden Sprache ähnlich, dessen Sinn er nur annähernd fassen konnte. Der Gedanke entglitt ihm sofort und Feyk schüttelte irritiert den Kopf. Gewiss spielten ihm seine Sinne einen Streich. Das rotgoldene Abendlicht verwirrte ihn.

Entschlossen trat Feyk näher, den Kopf gehorsam geneigt, wie es einem Chiad zustand. Erneut schnaubte das Pferd. Sofort wandte sich der Gast ihm zu und ignorierte das muntere Geplapper Jaskors, der sich weitläufig über die Vorzüge seines Gasthofes ausließ. Dunkelgrüne Augen fixierten Feyk, zwangen ihn wortlos dazu, näherzutreten und dem intensiven, forschenden Blick standzuhalten.

Ganz eindeutig: Dieser Mann war kein Westländer. Er war viel größer als Feyk es je zuvor gesehen hatte. Fast schwarze Haare umrahmten sein braungebranntes, wettergegerbtes Gesicht, bildeten in ihrer lockigen Leichtigkeit einen Kontrast zu seinem kantigen Antlitz. Raue Bartstoppeln verdunkelten sein Kinn. Der Fremde wirkte muskulös, ohne allerdings bullig zu erscheinen, strahlte eher jene Art von sehniger Kraft aus, die Feyk von den Fallenstellern kannte. Unverwandt sah er Feyk an, der sich unter seinem Blick äußerst unwohl fühlte und unwillkürlich kleiner machte.

Solche Blicke kannte er zu Genüge und wusste, was sie für ihn bedeuten konnten. Ohne sein Zutun krampften sich seine Hände in die abgewetzte Hose. Manchmal täuschte er sich. Vielleicht hatte dieser intensive Blick, der den Stoff durchdrang und auf seinem Körper zu ruhen kam, nichts zu bedeuten. Doch Feyk lebte lange genug in Jaskors Gasthof, um diesbezüglich keinen Illusionen mehr zu erliegen.

„Ah, da bist du“, begrüßte ihn sein Herr ungeduldig und winkte ihn hastig heran. „Hier ist ein neuer Gast und ich möchte, dass du dich besonders sorgfältig um sein Pferd kümmerst.“ Jaskor zog Feyk am Arm heran und schob ihn vor sich, direkt vor den großen Fremden.

„Mein Bursche kennt sich sehr gut mit Pferden aus“, gab Jaskor vor dem Gast an. „Viele Bauern der Umgebung bringen ihre Tiere extra her, weil er ein spezielles Gespür für ihre Krankheiten hat.“ Tatsächlich schwang etwas wie Stolz in Jaskors Stimme mit. Feyk hatte in der Gegend einen gewissen Ruf als Pferdekenner, was seinem Herrn viele zusätzliche Gäste sicherte. Natürlich ließ sich dieser jede Hilfe, die sein Chiad einem Bauern zuteilwerden ließ, teuer bezahlen.

„Ist das so?“, erkundigte sich der neue Gast scheinbar mäßig interessiert und betrachtete Feyk dennoch eindringlicher. Seine Stimme war voll und klang befehlsgewohnt.

Vielleicht ist er ein reisender Händler, vermutete Feyk und musterte verstohlen die Kleidung des Mannes. Über den schwarzen, eng anliegenden Hosen aus einem festen, teuer wirkenden Stoff, trug er lange Stiefel mit einer aufwändigen Schnürung. Ein grünes Hemd mit gebauschten Ärmeln wurde teilweise von einer schwarzen Weste verdeckt. Über dem Arm lag ein dunkelgrüner Umhang aus einem schweren, dicht gewebten Wollmaterial.

„Gerade letzte Woche hat der Bauer unten aus dem Dorf sein Pferd hergebracht“, erzählte Jaskor beflissen. „Seit drei Wochen lahmte der Gaul und mein Chiad hat die Schulter des Tieres angehoben und schon lief das Pferd wieder wie ein junges Fohlen.“

Jaskor nickte bekräftigend. Feyks Gesicht hingegen blieb ausdruckslos. Es stimmte, was sein Herr dem Gast erzählte. Das Pferd hatte sich wahrscheinlich die Schulter gezerrt. Feyk hatte es am Bewegungsablauf gesehen, als der Bauer es auf den Hof geführt hatte. Dergleichen geschah öfters, wenn ein Pferd seitlich ausrutschte. Feyk hatte lediglich die Schulter gelockert und den vermutlich eingeklemmten Nerv befreit. Für den Bauern, der nur dieses eine Pferd hatte, war es einem Wunder gleichgekommen. Er hatte Jaskor reichlich mit Naturalien entlohnt und ein Lichtritual für die namenlosen Götter vollzogen.

Der Fremde nickte wohlwollend.

„Dann wird er sich wohl wirklich um meine Stute kümmern können. Bitte tränke sie ordentlich und gib ihr reichlich gutes Heu, Junge.“ Er drückte Feyk die Zügel in die Hand.

Wortlos führte dieser das Pferd davon, spürte den Blick des Mannes weiterhin prüfend in seinem Rücken. Jaskor redete weiterhin auf den fremden Gast ein und geleitete ihn schließlich zum Gasthaus.

„Komm, meine Schöne“, forderte Feyk das Pferd leise auf und betrat mit ihm den Stall. Hier fühlte er sich wirklich zuhause, dies war sein Reich. Staub flirrte in der Luft, leuchtete blitzend auf. Der Duft von Heu, Pferd und Leder erfüllte die Luft und durch die Ritzen der hölzernen Wände fanden Sonnenstrahlen ihren Weg in den Raum.

Routiniert sattelte und trenste Feyk die Stute ab und rieb ihr verschwitztes Fell anschließend mit einem Strohwisch trocken, während sie bereits genüsslich an ihrem Heu kaute. Rotbrauner Staub war überall in ihrem Fell, sandig, wie es ihn nicht in dieser Gegend gab. Verblüfft besah sich Feyk den feinen, rötlichen Sand auf seiner Hand.

Er kannte diese Art von Staub: Dieser Sand war typisch für die Ebenen von Lacar, seiner Heimat, sehr viele Tagesreisen entfernt. Wenn es nicht völlig unmöglich wäre, dass dieser Sand sich länger als ein oder zwei Tage im Fell eines schwitzenden Pferdes halten würde, hätte er darauf geschworen.

Unmöglich. Kein Pferd konnte eine solche Distanz in derartig kurzer Zeit absolvieren.

Kopfschüttelnd säuberte Feyk seine Hände und warf den Strohwisch in die Box. Lacar und seine ersten Lebensjahre dort lagen lange Zeit zurück. An viel mehr als die endlosen, rötlichen Sandsteppen, den warmen Wind und den staubigen Geruch konnte er sich auch nicht wirklich erinnern.

Leise unterhielt er sich mit dem Pferd, wohl wissend, dass er insgeheim versuchte, Zeit zu schinden, bis er in der Gaststube seinen Pflichten nachkommen musste. Der intensive Blick des neuen Gastes ging ihm nicht aus dem Kopf. Der fremde Mann faszinierte und ängstigte ihn gleichermaßen.

Woher er wohl kam und was er war? Für einen Händler erschien er Feyk zu schlank. Die meisten waren feister. Dieser Fremde wirkte vielmehr so, als ob er sich seiner Haut gut erwehren könnte. Sein Körper war trainiert, die Arme kräftig. Ein Kämpfer vielleicht? Ein Mann, der mit dem Schwert umgehen konnte? Aber was würde ihn hierher führen und warum trug er derart kostbare Kleidung? Sein Gesicht entbehrte nicht einer gewissen Attraktivität, dachte Feyk beschämt, denn dies waren Gedanken, die ihm, einem Mann, nicht zustanden. Die namenlosen Götter übersahen meist gnädig die Lusterfüllung unter Männern, doch die Dämonen lauerten in den Schatten, bereit sich desjenigen zu bemächtigen, der Anspruch auf Gefühle oder mehr erhob. Es wurde gemunkelt, dass in einigen Gebieten im Südostreich Männer mit anderen Männern den Lichtbund eingingen. Undenkbar.

Die Stute neben ihm schnaubte und stieß auffordernd gegen den bereits geleerten Wassereimer.

„Hast du noch Durst?“ Feyk machte sich gleich daran, weiteres Wasser aus dem Brunnen hinter dem Stall zu holen. Auf dem Innenhof stockte er, als er auf Jaskor und den Knecht Gutram traf, die vor dem vollen Holzkarren standen. Feyks Hoffnung, unbemerkt zu bleiben, schwand in dem Moment, als Jaskor sich umdrehte und ihn natürlich sofort entdeckte.

„Beeile dich, Chiad! Wenn das Viech versorgt ist, erwarte ich dich in der Gaststube. Gutram wird deinen Karren abladen. Dieser Gast sah dich so an, als ob er dich womöglich heute Nacht noch gebrauchen kann, also streng dich an, ihm zu gefallen.“ Feyk senkte hastig den Kopf, damit sein Herr das zornige Aufblitzen seiner Augen nicht sehen konnte.

Täglich musste er körperlich viel und hart arbeiten. Das machte ihm weitaus weniger aus, als wenn er am Abend auf ein Zimmer gerufen wurde und einem der Reisenden zu Diensten sein musste. Zu seinem Glück bevorzugten die meisten Gäste Mirke oder eine der Mägde. Oft genug musste er sich jedoch dazu hergeben. Meistens war nur das Geschick seiner Hände und Lippen gefragt, gelegentlich auch mehr. Dann lag er still, schloss die Augen, verschloss die Ohren vor ihren Lauten und hoffte lediglich, dass es schnell vorübergehen und die Schmerzen enden würden. Selten war einer der Gäste vorsichtig mit ihm. Als er jünger gewesen war, hatte er sich noch dagegen gewehrt. Jaskors Schläge mit dem Stock, wenn er nicht tat, was man von ihm verlangte, hatten allerdings bald schon jeden Widerstand gebrochen.

Noch war Feyk jung und sein schlanker Körper, das schmale Gesicht mit den großen Augen attraktiv genug, um die Männer zu interessieren. Irgendwann würde es damit vorbei sein und man würde ihn endlich in Ruhe lassen. Die Götter wussten wann. Dieses Leben gehörte nicht länger Feyk. Jaskor konnte nach Belieben mit ihm verfahren, jedes Aufbegehren dagegen war sinnlos.

Rasch eilte Feyk zurück in den Stall und hielt dem Pferd das Wasser vor. Gierig trank es auch den zweiten Eimer zu Hälfte leer.

„Du hast aber gewaltig Durst“, murmelte Feyk und strich dem Pferd mit einer Hand über die Stirn, zauste sanft die weißen Haare.

„War es ein harter Ritt? Hat dein Herr dich so gehetzt?“, erkundigte er sich mitfühlend. „Warte, ich hole dir gleich noch mehr Wasser.“ Zärtlich murmelnd kraulte er durch das weiche Fell und blinzelte verblüfft. Die Luft über dem Widerrist des Tieres schien erneut merkwürdig zu flirren. Unter seiner Hand vibrierte das Pferd und Feyks Rücken überzog ein leichter Schauer. Überrascht stolperte er einen Schritt zurück. Mit einem leisen, sirrenden Ton breiteten sich aus den Schultern des Pferdes nahezu durchsichtige, in allen erdenklichen Blau- und Grüntönen schimmernde Flügel aus.

„Götter!“, stieß Feyk bestürzt hervor.

Was war das? Noch nie zuvor hatte er ein solches Lebewesen gesehen. Trotzdem wusste er genau, was es sein musste: ein Pegasus!

Viele Legenden berichteten von diesen Geschöpfen, von ihrer Schönheit, der Anmut ihrer Bewegungen, den magischen Flügeln, die sie über jedes Hindernis trugen, der sagenhaften Schnelligkeit dieser pferdeähnlichen Wesen. Sehr wenige Menschen hatten sie je zu Gesicht bekommen. Hinter vorgehaltener Hand redeten die Völker im Nordwestreich darüber, dass Aclodh, der Herrscher des Südostreiches, wahrhaftig einige dieser magischen Wesen in seinen Diensten haben sollte. Seine Pegasusreiter waren angeblich böse Spione, die heimlich das Nordwestreich durchstreiften, unerkannt Zwietracht säten und Unfrieden stifteten. Saboteure, die die Ernten ungenießbar machten, Heuschober anzündeten und den Untertanen ihres Herrschers Bohrun das Leben erschwerten, wo es nur ging.

Atemlos beobachtete Feyk fasziniert den Pegasus. Die filigranen Schwingen bewegten sich leicht hin und her, waren kaum mehr als ein Schimmern in der Luft, hauchzart wie die Flügel einer Libelle. Die großen, dunklen Augen blickten ihn offen an. In ihnen flackerte eine Intelligenz, wie Feyk sie bei einem normalen Pferd noch nie gesehen hatte. Zögernd trat er vor und berührte das Tier zaghaft an der Nase.

„Du bist wirklich ein Pegasus“, flüsterte er ehrfürchtig, wagte kaum, die silbrigen Haare, oder die weiche Haut der Nüstern zu streifen. Ein leises Schnauben war die Antwort. Wärme durchflutete Feyk, eine merkwürdig neue, geradezu euphorische Empfindung. Der Pegasus schnupperte zart an seinen Fingern. Wie eine Liebkosung strich sein warmer Atem über Feyks nackte Unterarme.

„Du bist wunderschön“, raunte er kaum hörbar, völlig hingerissen von der Anmut des Tieres. Erneut erhielt er ein leises Schnauben zur Antwort. Verwirrt sah er den Pegasus an, der sein Maul sanft und zutraulich in seine Hand schob. Behutsam schmiegte sich die Schnauze des Tieres an seine Finger, als erbettle es Berührungen, weitere Zärtlichkeiten. Ein feines Prickeln ging von dem Maul des Pegasus aus, übertrug sich auf Feyks Arm, zog hinauf und erfasste dessen ganzen Körper. Kribbelnde Wärme rann durch seine Adern, erhitzte die Haut und überzog sie mit feinen Schaudern.

Tief in sich spürte Feyk unendlich wilde Lauffreude aufsteigen, unbändige Freiheit, reine Lebensenergie. Überwältigt schloss er die Augen. Starke Emotionen, fremd und extrem intensiv erfassten ihn. Stärke, Schnelligkeit, Kraft; alles schien ihm zu gehören, ein Teil von ihm zu sein. Viel mehr als sein schwacher Menschenkörper bieten konnte. So viel mehr.

Er stand nicht länger im Stall, befand sich stattdessen auf dem Rücken dieses Tieres. Der schlanke Pferdekörper schnellte mit einem gewaltigen Satz in die Luft, fühlte sich warm und fest unter seinen Schenkeln an, nahm ihn hoch hinauf in die Luft. Wind rauschte in seinen Ohren, riss an seinem Hemd und seinen Haaren. Mit federhafter Leichtigkeit übersprang der Pegasus schemenhafte Bäume und Flüsse. Rasend schnell jagten sie dahin, waren eine Einheit, verschmolzen, völlig vereint. Der Wind pfiff kühl, zerrte an Feyks Körper, war Teil ihrer Symbiose. Nicht länger ein Mensch und ein Pferd, nur noch ein gemeinsames Wesen.

Die filigranen Flügel verschwammen flirrend im Sonnenlicht, wurden zu kaum sichtbaren blitzenden Lichtreflexen, die Mähne flatterte gleißend silbern im Wind.

Frei.

So frei wie nie zuvor, fern dem Erdboden, fern aller Fesseln.

Endlich.

Ein Geräusch hinter ihm riss Feyk brutal in die Wirklichkeit des Stalls zurück. Erschrocken fuhr er herum und löste dabei den Kontakt zu dem Pegasus. Ein dunkler Schatten kam durch die Stalltür herein. Entsetzt erkannte Feyk den Besitzer des Pferdes.

Zu spät, um zu fliehen, zu spät, sich zu verbergen. Feyk trat hastig von dem Pegasus zurück.

„Was treibst du da, Bursche?“, herrschte ihn der Mann auch schon an und kam rasch zur offenen Box, die Augen misstrauisch zusammengekniffen, das Gesicht drohend verzogen. Sofort zog Feyk sich seitwärts zurück und senkte verzagt den Kopf. Sein Atem beschleunigte sich, während seine Gedanken rasten, noch gefangen in dem überwältigenden Erlebnis von Luft und Freiheit.

„Nichts, Herr“, versicherte er hastig und wich zurück, bis er die Wand im Rücken spürte.

Götter, wenn dies ein Pegasus aus dem Südostreich war, war sein Reiter vermutlich ein Spion. Wenn dieser herausfand, dass er sein Geheimnis entdeckt hatte, würde er ihn gewiss töten. Hier und jetzt. Keiner würde ihm helfen.

„Ich ... ich habe … lediglich Euer Pferd … bewundert“, stotterte Feyk ängstlich und warf einen hastigen Blick zu dem Pegasus hinüber. Die Flügel waren allerdings verschwunden und das Tier wirkte wie zuvor: nichts als ein einfaches Pferd.

Bestürzt und verwirrt starrte Feyk auf die Schimmelstute, vergaß für einen Moment sogar den bedrohlichen Mann. Hatte er sich womöglich getäuscht? Gerade eben noch waren da diese schimmernden Flügel gewesen. Er hatte sie gesehen, er hatte es doch gespürt.

Der Fremde baute sich direkt vor ihm auf und sah ihn misstrauisch an. Rasch senkte Feyk den Kopf und behielt den Blick auf den halbleeren Eimer gerichtet.

„Bewundert?“, hakte der große Fremde argwöhnisch nach. Sein Blick bohrte sich in Feyk, veranlassten ihn dazu, den Kopf noch weiter zu senken.

Was sollte er tun, wenn der Mann ihn angriff? Er wusste nicht, wie er sich wehren sollte und er hatte keine Waffe. Feyk konnte nur so tun, als ob er nichts gesehen hätte. Nichts durfte er sich anmerken lassen.

„Es ist … sehr schön … und freundlich“, stammelte er, wagte es nicht, den Blick zu heben. Bei seinem Herrn hatte er schnell gelernt, dass es besser war, wenn man ihm nicht in die Augen sehen konnte.

Sein Gegenüber schwieg eine Weile und betrachtete ihn unablässig. Die Zeit zog sich zäh dahin, nur das Pferd machte raschelnde Geräusche, die in Feyks Ohren kaum weniger laut klangen als das Rauschen seines Blutes.

„Du hast sie also bewundert?“, erkundigte der Fremde sich, noch immer abweisend. „Sonst ist dir nichts an ihr aufgefallen?“ Feyk wagte es nicht mehr zu antworten, schüttelte zaghaft den Kopf.

Endlich, nach einer Ewigkeit trat der Fremde zurück und wandte sich seinem Pferd zu.

„So?“, machte er. Feyk war sich nicht sicher, ob er ihm wirklich glaubte. Doch immerhin hatte der Mann ihn nicht angegriffen. Vorsichtig hob Feyk den Kopf. Der Fremde stand neben dem Pferd und klopfte dessen Hals, seine Hände strichen prüfend über das weiche Fell. Er seufzte und lächelte urplötzlich, verlor etwas von seiner Bedrohlichkeit. Noch immer fühlte sich Feyk indes von ihm lauernd beobachtet.

„Das ist wohl wahr. Niftha ist etwas Besonderes“, meinte der Mann zärtlich und kraulte dem Pferd die Mähne.

„Sie … sie war sehr durstig“, erklärte Feyk leise, um erneut die lastende Stille zu unterbrechen. Vielleicht konnte er jetzt einfach gehen?

„Ich habe sie getränkt und ihr reichlich Heu vorgelegt.“ Er hoffte, dass der Mann endlich diesen forschenden Blick von ihm nehmen und ihn entlassen würde. Im Moment wollte er zu gerne zurück in die Gaststube, fort von dem bedrohlichen Mann und seinen bohrenden Augen.

„Du hast sie sogar gestriegelt?“, erkundigte sich der Fremde unvermittelt. Feyk hob das Kinn eine winzige Kleinigkeit, um zu beobachten, wie der andere Mann prüfend über das weiße Fell strich. Feyk nickte rasch und strich sich in einer möglichst unauffälligen Geste die feuchten Hände an der Hose ab. Noch immer zitterten sie verräterisch.

„Ja, Herr. Trockengerieben und gestriegelt. Soll ich noch etwas für Euer … Pferd tun?“ Das Wort kam ihm nicht leicht über die Lippen. Es ist ein Pegasus, raunte es in seinem Kopf, und du hast ihn gesehen!

„Nein, ich denke, sie hat alles, was sie braucht.“ Der Fremde fuhr prüfend die Beine des Pferdes ab.

„Dann ... gehe ich jetzt“, brachte Feyk hervor und schob sich Richtung Tür. Wenn er die Box verlassen hatte, war er außerhalb der Reichweite des Mannes. Er musste nur weit genug von ihm wegkommen. Mühsam hielt er sich zurück, nicht zu hastig hinauszustürzen.

Den ganzen Weg bis zur Stalltür spürte er den Blick des Fremden in seinem Rücken, befürchtete, bis er die Hand auf den Riegel legte, noch ein Messer im Rücken oder einen Schlag, der ihn zu Boden werfen würde. Nichts dergleichen geschah.

Rasch schob Feyk die Tür auf und war schon beinahe hindurch, als ihn die harsche Stimme des Mannes zurückhielt:

„Wie heißt du, Bursche?“

Langsam wandte er sich um, sein Blick huschte unruhig hin und her und er befürchtete, dass man ihm seine Angst nur zu genau anmerkte.

„Feyk, Herr“, antwortete er leise, die Stimme zitterte, drohte seine Schuld zu verraten. Der Fremde klopfte seine Stute noch einmal und verließ die Box. Sein Blick war unverwandt auf Feyk gerichtet und dieser wagte es nicht, sich zu rühren. Mit angehaltenem Atem sah er den Fremden näherkommen.

„Feyk also.“ Der Mann blieb vor ihm stehen.

„Dein Herr hatte recht, du verstehst dich gut mit Pferden.“ Seine Stimme hatte die vorige Schärfe verloren. „Niftha lässt nicht jeden so nahe an sich heran.“

„Danke, Herr“, antwortete Feyk. Die Nähe des Mannes ängstigte und verwirrte ihn zugleich. Ihn umgab der Geruch von Pferdeschweiß und dem Staub der Straßen. Darunter lag eine Note, die Feyk dennoch anzog: herb und männlich. Bebend sog er den Duft ein. Die Muskeln spielten unter dem Stoff des Hemdes und das kantige Gesicht war undurchdringlich. Diese Augen ... Einen Moment lang starrte Feyk ihn an. Etwas in diesen dunkelgrünen Augen weckte ungebührliche Gefühle in ihm, gemahnte ihn an seltsame Träume in kalten Nächten.

Das ist verrückt. Dieser Mann ist ein Feind des Herrschers Bohrun, ein Eindringling in das Nordwestreich, ermahnte sich Feyk und wandte den Blick ab.

„Ich ... ich muss zurück“, erklärte er, ohne den Mann noch einmal anzusehen. „Jaskor wird ärgerlich werden, wenn ich hier noch länger brauche.“ Damit drehte er sich ein wenig zu hastig um und stürzte eilig davon. Es war ihm egal, ob der Fremde es bemerkte, er wollte nur noch weg von ihm und den widersprüchlichen und verwirrenden Gefühlen, die seine Gegenwart auslöste.

2 Pegasuscitar

Götter, ein Pegasus! Er hatte einen Pegasus gesehen und ihn berühren dürfen.

Feyks Herz schlug noch immer hart in seiner Brust, selbst als er sich hastig am Brunnen wusch und mit den feuchten Fingern durch die stoppeligen Haare fuhr. Er konnte kaum glauben, dass er unversehrt aus dem Stall entkommen war. Wie ihn dieser Fremde betrachtet hatte, war er sicher gewesen, er würde ihn töten, um sein Geheimnis zu schützen.

Unglaublich: Das Pferd hatte ihm nur aufgrund seiner Berührung sein Geheimnis offenbart. Wie seltsam und wundervoll dieses Erlebnis gewesen war! Diese filigranen Flügel waren unglaublich schön gewesen und dieses Gefühl, durch die Luft getragen zu werden, schwerelos zu sein ...

Mirke rief ungeduldig von der Küche her seinen Namen und Feyk beeilte sich, hineinzukommen. Jaskor erwartete ihn bereits mit missbilligendem Ausdruck.

„Wo treibst du dich so lange herum?“, zischte er wütend und stieß ihn grob an die Wand. „Wenn du glaubst, dass du dich wieder vor der Arbeit drücken kannst, muss ich dich wohl den Stock schmecken lassen, Chiad.“ Feyk erwiderte nichts, senkte gehorsam den Kopf. Widerworte, jede Erklärung, waren gänzlich nutzlos und würden Jaskor noch zorniger machen.

Dieser versetzte Feyk einen Stoß in den Rücken, der ihn Richtung Gastraum trieb. Jaskors Gesicht war grimmig verzogen. „Sieh zu, dass du die Gäste bedienst. Ich will nicht, dass einer unzufrieden ist.“

Feyk gehorchte und eilte bald darauf schon in der stickigen Luft des Gastraums zwischen den Tischen hin und her.

Der Raum war sehr voll, weitere Reisende waren dazugekommen. Kurz vor der Ernte kamen vorwiegend Landarbeiter, die meistens einfache Mahlzeiten und gelegentlich Bier bestellten. Zudem war eine größere Gruppe von wandernden Handwerkern eingetroffen, die johlend einen Tisch belegten und lautstark und ungeduldig nach ihrem Essen riefen.

In der Wärme des Gastraums brach Feyk der Schweiß aus, tropfte von der Stirn und klebte sein Hemd erneut an die Haut. Er war müde und erschöpft und doch durfte er sich nichts davon anmerken lassen. Bei den vielen Gästen würde es spät werden; er wusste jetzt schon, dass er heute Nacht nur wenig würde schlafen können. Dennoch musste er am nächsten Morgen früh aufstehen, um die Tiere zu füttern und die Feuer zu entzünden. Dies war sein tägliches Leben. Unabänderlich.

Die sechs Handwerker trieben die Lautstärke mit Gesprächen, Lachen und später auch mit ihrem Gesang in die Höhe. Mirke und Jaskors jüngste Magd Kiltah bedienten sie und waren daher öfter Opfer ihrer derben Späße und der frech zupackenden Hände. Feyk beobachtete sie aus dem Augenwinkel, wenn er vorbei musste, verärgert über das Benehmen der jungen Männer und zugleich erleichtert, dass ihr Interesse lediglich den beiden Frauen galt.

An der Theke füllte er die Bierkrüge für zwei ruhige, ältere Kaufleute, die an einem kleinen Tisch hinten in einer Nische saßen, als er sich des Pegasusreiters bewusst wurde, der soeben dicht neben ihn an den Tresen getreten war. Der Mann überragte ihn um mehr als einen Kopf und sofort war Feyks Furcht wieder da. Vorsichtig wandte er sich um und musste erschrocken bemerken, dass der Mann ihn tatsächlich direkt ansah. Hart schluckte Feyk, konnte seine aufkommende Angst kaum verbergen. Diese dunkelgrünen Augen erforschten ihn, drangen viel zu tief in ihn. Ob der Reiter doch etwas ahnte?

„Zeige mir, wo noch ein Tisch frei ist, Feyk. Dort, wo es ruhiger ist“, verlangte der Mann, die Stimme befehlsgewohnt wie zuvor.

„Dort hinten ist noch ein Platz, Herr.“ Feyk deutete auf die Nische, in der auch die beiden Kauflaute saßen.

„Sehr gut. Führe mich hin“, forderte der Fremde ihn auf und folgte ihm durch den Gastraum zu dem abseits liegenden Tisch.

„Dort, mein Herr“, wies ihm Feyk den Platz zu. „Ich bringe das Bier an den anderen Tisch, dann werde ich Euch holen, was Ihr wünscht.“ Feyk spürte seinen Blick im Rücken, als er die Bierkrüge bei den Händlern abstellte, noch bevor er sich umwandte. Ohne jede Regung trat er zu dem großen Mann, nahm die Bestellung auf, vermied allerdings den Augenkontakt und ging rasch zurück zur Küche.

Wie zu erwarten, hatte der Fremde das beste Fleisch und einen Krug vom feinsten Bier bestellt. Auf dem Weg zurück zu dem kleinen Tisch balancierte Feyk den schwerbeladenen Teller vorsichtig aus. Seine müden Beine schmerzten und er musste sehr aufpassen, dass er nicht stolperte und womöglich Essen oder Bier verschüttete. Wie gerne wäre er jetzt im Stall und könnte einfach nur schlafen.

Jaskor war auf seinem Rundgang, wo er mit den wohlhabenden Gästen Worte wechselte. Feyk musste an ihm vorbei und der Gastwirt lächelte überaus zufrieden, als er erkannte, was der Mann in der Ecke bestellt hatte. Er nickte Feyk auffordernd zu.

„Bitte, mein Herr, Euer Essen.“ Feyk stellte seine Last vor dem Gast ab. Er wollte sich schon abwenden und mit den anderen Bierkrügen weiter eilen, als ihn der Fremde unerwartet am Arm ergriff. Erschrocken zuckte Feyk zusammen und wandte sich ihm zu. Ihm stockte der Atem, um ein Haar wäre ihm einer der Bierkrüge entglitten. Abrupt schlug ihm sein Herz hoch bis zum Hals. Die Augen fixierten ihn mit einem undefinierbaren Ausdruck. Der Griff war fest, beinahe hart. Viel Kraft steckte dahinter. Feyks Haut brannte und wohlbekannte Panik kroch tief aus seinem Magen hoch, zog ihm die Kehle zu. Mühsam zwang er sich, stillzuhalten.

„Setze dich zu mir“, verlangte der Fremde, ließ Feyk dabei nicht los. Kalte Gänsehaut überzog dessen Arm, breitete sich hoch bis auf seinen Rücken aus.

Der Mann wollte ihn an seinem Tisch haben? Feyk zitterte kaum merklich. Götter! Er ahnte also doch etwas und wollte ihn gewiss aushorchen, gar bedrohen, damit er schwieg.

„Das darf ich nicht, Herr“, stammelte Feyk beklommen, bestrebt zu entkommen und wand sich in dem Griff. „Jaskor wird es nicht erlauben.“ Er hob erklärend die Bierkrüge hoch. „Ich muss meine Arbeit machen.“ Der Fremde starrte ihn unverwandt an, ließ ihn unvermittelt los und rief laut nach dem Wirt. Jaskor eilte beflissen herbei.

„Wirt, bringt mir noch einen Krug Eures besten Gebräus“, verlangte der Fremde, schaute dabei allerdings Feyk an, schien Jaskor kaum zu bemerken. „Ihr habt ganz gewiss nichts dagegen, dass ich mich mit Eurem jungen Burschen hier ein wenig unterhalte? Ich schätze Gesellschaft beim Essen. Ich war schon recht lange alleine unterwegs.“

Abermals stockte Feyk der Atem. Er kannte diesen Ausdruck, mit dem der Fremde seinen Körper abtastete. Panik und Abscheu drohten Feyks Brust gleichzeitig zusammenzuziehen.

Nein, bitte nicht, flehte er innerlich, wohl wissend, wie unsinnig dieser Wunsch war. Er wollte nicht mit diesem Mann an einem Tisch sitzen, er wusste, worauf das hinauslaufen würde. Dieser Mann machte ihm extreme Angst. Seine Erscheinung versetzte ihn in Furcht und eine eigentümliche Bewunderung zugleich. Dieser durchdringende Blick war schwer einzuschätzen. Er musste hingegen nicht in Jaskors gierig leuchtende Augen sehen, um zu wissen, wie dessen Antwort lautete, noch bevor er sie aussprach.

„Nein, Herr. Natürlich nicht, werter Herr“, bestätigte der Gastwirt übereifrig. „Jeder weiß Gesellschaft nach einem harten Ritt zu schätzen.“ Er lachte auf und man hörte ihm die Vorfreude auf ein weiteres Geschäft deutlich an. „Kann ich Euch sonst noch etwas bringen?“ Er nahm Feyk eilfertig die beiden Bierkrüge ab, nickte ihm auffordernd zu und schaute den Gast erwartungsvoll an. Der große Mann schüttelte jedoch nur den Kopf und beachtete ihn nicht weiter.

„Setze dich“, forderte er den zögernden Feyk auf, der seine Angst mühsam hinunterschluckte. Unsicher ließ er sich auf den Stuhl nieder und streckte seine schmerzenden Beine aus. Es tat gut, einen Moment Erholung zu haben. Auch wenn es in der Gesellschaft dieses Mannes war. Unablässig musterte ihn der Fremde, während er eine Danksagung an die Götter murmelte, sich von dem Braten Scheiben abschnitt und das frische Brot aufbrach. Das Fleisch war saftig, der Geruch des Bratens und des warmen Brotes stieg Feyk in die Nase und erinnerte seinen erschöpften Körper daran, dass seine letzte Mahlzeit am frühen Morgen gewesen war. Der Duft war betörend, ließ ihm den Speichel im Mund zusammenlaufen. Dies war Jaskors bestes Essen und sein Gasthof durchaus zu Recht für seine Mahlzeiten bekannt.

„Hast du auch Hunger?“, erkundigte sich sein Gegenüber überflüssigerweise, als Feyks Magen vernehmlich knurrte. Kaum merklich nickte er. Ohne weitere Worte schnitt der Mann eine große Scheibe des Bratens ab und drehte den Teller, sodass sie vor Feyk zu liegen kam.

„Nimm dir“, forderte er ihn auf. „Es ist genug, um uns beide sattzumachen.“ Verblüfft hob Feyk erstmals den Kopf. Der harte Ausdruck im Gesicht hatte sich verändert. Im schwachen Licht wirkte es weicher, weniger bedrohlich als zuvor im Stall und noch immer eigenartig anziehend.

„Du siehst aus, als ob du durchaus etwas vertragen könntest.“ Der Fremde lächelte Feyk wahrhaftig an. „Nimm dir schon.“ Misstrauisch sah Feyk ihn an, zögerte hingegen nur noch einen kurzen Moment, griff zu und probierte zaghaft das Fleisch.

Unwillkürlich entkam ihm ein leises Seufzen. Nie zuvor hatte er etwas derart Köstliches gegessen. Weich, nahezu schmelzend zart, wie kein anderes Fleisch je zuvor, saftig und voll im Geschmack. Es war ein Fest für Zunge und Gaumen und er konnte sich kaum beherrschen, diese Köstlichkeit nicht so schnell wie möglich in seinen Mund zu stopfen.

„Es schmeckt dir offenbar“, kommentierte der Fremde lächelnd und reichte ihm ein großes Stück Brot. Feyk nickte dankbar und ein Teil seiner Angst zog sich in eine abwartende, lauernde Stellung hinter seinen Hunger zurück.

Kurz darauf stellte Jaskor den zweiten Krug auf dem Tisch ab und warf dem Gast einen überraschten Blick zu, als dieser Feyk eine weitere große Scheibe Fleisch reichte.

„Mein Bursche wird Euch jeden Eurer Wünsche erfüllen, edler Herr. Er ist sehr geschickt und willig“, bemerkte der Gastwirt mit verschwörerisch gesenkter Stimme. „Er wird natürlich alles tun, damit Ihr Euch in meinem Haus richtig wohlfühlen und entspannen könnt, Herr.“ Der wahre Inhalt seiner Worte war im Grunde klar. Auch wenn Feyk es gewöhnt sein sollte, stieg die Scham der Erniedrigung heiß in ihm auf. Seine Wangen brannten und die Finger begannen zu zittern.

Bitte nein, flehte er stumm, bitte nicht heute. Bitte nicht mit diesem Mann. Der Fremde nickte Jaskor allerdings lediglich abwesend zu, schien kaum zuzuhören und wandte sich Feyk lächelnd zu, sobald der Gastwirt verschwunden war. Nachdenklich musterte er Feyk, der sich ganz auf den Verzehr des Fleisches konzentrierte.

„Bist du hier geboren?“ Ohne Weiteres schob der Mann Feyk den anderen Krug hin und nickte ihm auffordernd zu. Zögernd griff dieser danach, nippte daran und spülte entschlossener das Fleisch mit dem Bier hinab. Bislang hatte er stets nur das dünne, mit Wasser gestreckte, Bier probieren dürfen, das Jaskor für die Landarbeiter braute. Dieses war herber, stärker und schmeckte unglaublich köstlich. Gierig trank er es in großen Schlucken.

Die meisten Männer, die sich nachts seiner Dienste versicherten, gaben sich nicht die Mühe, ihn vorher kennenzulernen. Obwohl ihm klar war, was geschehen würde, erfüllte Feyk ein widerwillig warmes Gefühl von Dankbarkeit. Wenigstens durfte er die Großzügigkeit dieses Mannes genießen, wenngleich das zwangsläufig Folgende damit nicht leichter wurde. Daran würde er sich nie gewöhnen. Es wurde nie leichter.

„Nein, Herr, ich komme aus den westlichen Ebenen“, erklärte Feyk. Der Fremde nickte zustimmend, sprach seinerseits dem Essen und dem Bier gut zu.

„Das dachte ich mir schon“, bemerkte er nachdenklich. „Dein Gesicht ist anders. Du hast die Stirn, Kinn und die Augen eines Westländers. Du gehörst zu dem Volk der Steppen, nicht wahr?“ Feyk antwortete nicht, vermutete, dass dieser Spion des Herrschers Aclodh bestimmt weit herumkam und vermutlich schon viele der anderen Völker gesehen hatte. Warum also nicht das der Ebenen von Lacar? Weswegen er wohl im Nordwestreich war? Welchen Auftrag er erfüllte? Hastig verdrängte Feyk die neugierigen Gedanken. Es ging ihn nichts an und er konnte froh sein, dass dieser Mann nicht erraten hatte, dass er um sein Geheimnis wusste.

„Wie bist du hergekommen?“, wollte der große Mann wissen. Flüchtig benetzte Feyk seine Lippen und setzte einen undurchdringlichen Ausdruck auf, bevor er antwortete: „Meine Familie war zur Ernte hier und meine Mutter wurde sehr krank. Als sie starb, konnte mein Vater die Schulden nicht bezahlen ...“ Er brach ab und steckte sich schnell ein Stück Brot in den Mund. Nach wie vor tat es weh, darüber zu reden. Die Trauer und Enttäuschung schnürten ihm noch immer die Kehle zu.

„Also warst du die Bezahlung.“ Der Fremde nickte bedächtig. „Ein Chiad, ein Schuldpfand. Du arbeitest die Schulden deines Vaters ab.“

Ich bin ein Gefangener, ein Sklave, ergänzte Feyk in Gedanken bitter. Es lag stets im Ermessen des Besitzers, wie lange er einen Chiad behielt, wann er die Schulden als bezahlt ansah. Natürlich kam es auch vor, dass ein Chiad von seiner Familie ausgelöst wurde. Feyk hatte nie wirklich damit gerechnet und Jaskor hatte ihm ebenfalls keine Hoffnung gemacht, ihn je gehen zu lassen.

„Das erklärt dein Geschick mit Pferden“, meinte der Fremde mehr zu sich selbst und klang grübelnd. „Die Völker der Ebenen von Lacar sind bekannt für ihre Pferdezucht.“ Er musterte Feyk eindringlich und ergänzte: „Und für ihr karges, unfruchtbares Land, den Hunger und die Not, die die Menschen dort verfolgt und aus ihrem eigenen Land vertreibt.“ Feyk vernahm Bitternis und einen leichten Anflug von Ärger. Überrascht schaute er den Mann an, der unterdessen auf seine Hände starrte, die um den Bierkrug lagen, ihn gar nicht mehr wahrzunehmen schien.

„So unglaublich viele Menschen, die heimatlos durch das Land streifen, denen das Nötigste fehlt. Dieses Land ist reich und doch leiden die Menschen im Nordwesten Hunger und Elend.“ Der Blick des Fremden wanderte durch den Gastraum, blieb schließlich an den Landarbeitern hängen. „Viele dieser Kinder werden nie zu Männern und Frauen heranreifen, nie die Sicherheit eines eigenen Heims erfahren, eine Heimat besitzen, eine Familie.“ Lange schwieg er, ganz in seine Gedanken versunken. Schließlich seufzte er auf und unvermittelt hielt er ihm seine Hand hin.

„Mein Name ist Vigar.“ Verhalten ergriff Feyk seine Hand. In seinem Hinterkopf rumorte die Gewissheit, was dieser Mann war, aber seine Freundlichkeit erschien ehrlich, verdrängte einen Großteil der Angst. Wären die Umstände anders gewesen, hätte er durchaus etwas Sympathie für Vigar entwickeln können.

„Nimm dir“, forderte dieser gleich darauf und schob Feyk den ganzen Teller hin. „Iss dich ruhig satt. Ich denke, du kannst es gut gebrauchen.“ Dankbar machte Feyk sich über das Essen her, froh, dass ihm keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, Vigar ihn nett behandelte und er bislang noch nicht mehr von ihm wollte als seine Gesellschaft bei Tisch.

Bald, nachdem Feyk den Teller leer gegessen hatte und die Lieder der sechs Handwerker sich mit den unflätigen Texten der Fallensteller vermischten, die sich zu ihnen gesellt hatten, erhob sich Vigar vom Tisch. Er warf den Männern einen missmutigen Blick zu, die Kiltah in ihre Mitte genommen hatten und sie von einem zum anderen Schoss wechseln ließen, nicht ohne ihre Hände dabei über ihre Hüften, Brüste und auch unter ihren Rock zu schieben.

„Danke für deine Gesellschaft.“ Vigar lächelte ihn an und entfernte sich rasch nach oben. Erleichtert seufzte Feyk auf. Für heute schien ihm Kiltahs Schicksal erspart zu bleiben. Ehe Jaskor bemerken konnte, dass der Gast sich alleine zurückgezogen hatte, sammelte Feyk den Teller und die Krüge ein und brachte sie zurück.

Noch lange danach war er in Gedanken bei dem Pegasusreiter. Vigar war ihm sympathisch erschienen, ja er hatte sich sogar ein wenig zu ihm hingezogen gefühlt. Selten sprach jemand freundlich mit ihm und er konnte sich nicht daran erinnern, je derart satt gewesen zu sein. Leider kam mit dem Gefühl des vollen Magens auch die Müdigkeit und Erschöpfung mit größerer Wucht zurück seine Bewegungen wurden schleppend. Es fiel ihm zunehmend schwerer, sich zu konzentrieren. Er wollte so gerne schlafen.

Es war schon spät und die Gruppe der Handwerker und Fallensteller wurde immer lauter. Das Bier floss reichlich und die anderen Gäste zogen sich bereits zurück. Feyks Augen drohten ihm ständig zuzufallen und mehr als einmal war es purer Zufall, dass er den Krug noch rechtzeitig abstellen konnte, bevor er das Bier verschüttete.

Wenn diese Männer weiterhin feierten, würde er vermutlich kaum lange genug in sein Strohlager kommen, um wenigstens etwas Erholung zu finden.

Feyk stellte die Krüge auf dem Tisch der Handwerker ab, erhaschte einen starren Blick Mirkes, die auf den Schoß eines Fallenstellers gezogen wurde. Der rothaarige, bärtige Mann lachte, während Mirke mit unbewegter Miene, die Brust bereits halb entblößt, seine Hand in ihrem Schritt ertrug. Zwischen ihren Brüsten lag ein geschnitztes Schutzamulett. Es hatte sie jedoch noch nie vor Übergriffen bewahrt.

Zorn kratzte mit harten Fingern an Feyks Brust. Wie sehr er diese Männer verabscheute, sie verachtete, für alles, was sie Mirke und Kiltah antaten. Sein Ärger und die Müdigkeit machten Feyk unachtsam und er stieß unbeabsichtigt gegen den Arm eines der Handwerker, der daraufhin einen Teil seines Biers verschüttete. Wütend fuhr der Mann auf und brüllte:

„Pass doch auf, Bursche!“ Hastig schüttelte er das Bier von seinem Hemd.

„Verzeiht mir Herr, das wollte ich nicht.“ Rasch griff Feyk nach dem Lappen am Gürtel und rieb die Tischplatte trocken. Mehrere der Männer wandten ihm nun ihre Aufmerksamkeit zu. Sein kurz geschorenes Haar zeigte ihnen seinen Stand an und der blonde Mann, den er angestoßen hatte, schnaubte abfällig.

„Sieh zu, dass du mir das Bier sofort ersetzt, dreckiger Chiad“, verlangte er und sein Mund verzog sich verächtlich. Er spuckte direkt vor Feyks Füße und beobachtete ihn mit einem gehässigen Lächeln. Die anderen Männer lachten begeistert über dieses neue Schauspiel.

„Los, wisch es auf“, forderte der blonde Mann grinsend. Kalte Wut war in Feyk und seine übermüdeten Sinne ließen ihn für einen Moment die Kontrolle über sein Gesicht verlieren. Zornig blitzte er den Mann an, der kaum älter als er selbst war, und ballte die Hände zu Fäusten.

„Oha, der Chiad mag es wohl nicht, wenn man ihm einen klaren Befehl erteilt“, warf einer der Männer lachend ein.

„Weißt du nicht, wo dein Platz ist, elendiger Chiad?“, zischte ihn nun auch der blonde Mann an „Los, runter mit dir auf die Knie und mach die Sauerei weg!“

Einen winzigen Moment kämpfte Feyk mit den verbliebenen Resten seines Stolzes. Unsinnig, er wusste es. Solche Gefühle gehörten nicht in das Leben eines Chiads. Gehorsam kniete er sich hin. Es war nicht das erste Mal, dass er in einer solchen Situation war und es würde nicht das letzte Mal sein. Stolz und Wut waren Emotionen, die er sich nicht erlauben konnte.

Die Männer lachten über ihn und der Blonde stieß ihn mehrfach grob mit dem Fuß an. Feyk reagierte nicht, betete zu den namenlosen Göttern, dass Jaskor dies nicht sah. Doch die Götter waren Feyk noch nie gnädig gesonnen. Jaskor hatte es natürlich bemerkt und kam auch schon heran.

„Entschuldigt, die Herren, entschuldigt meinen ungeschickten Burschen. Natürlich wird Euer Bier ersetzt werden“, versicherte er. Die Männer johlten laut auf, als Jaskor ihn am Arm packte und hochzerrte. Feyk war sofort klar, dass Jaskor seinen Fehler nicht ohne Strafe lassen würde. Andererseits würde er ihn nicht schlagen, solange noch Arbeit in der Gaststube zu verrichten war.

„Dafür wirst du später noch büßen, Chiad“, zischte Jaskor, während er ihn mit sich zerrte. Vor der Treppe zu den Zimmern des Gasthauses blieb der Gastwirt stehen. Zornig sah er Feyk an, der viel zu müde für irgendeine Reaktion war und ergeben in seinem Griff hing. Er wollte nur, dass es vorbei war, wollte endlich ruhen, in den Schlaf flüchten, den einzigen Zufluchtsort, den es für ihn gab. Es gab nichts, was er an seiner Strafe ändern, nichts, mit dem er Jaskor beschwichtigen konnte.

„Los, geh hinauf. Das letzte Zimmer hinten rechts“, forderte ihn der Gastwirt stattdessen auf. „Der vornehme Herr hat nach dir verlangt.“ Feyk hob ruckartig den Kopf. Sein Herz setzte aus und ein schmerzhafter Knoten blockierte seinen Hals. Nein! Nicht auch noch das. Bitte, Götter, nein!

„Mach schon.“ Jaskor wurde ungeduldiger. „Der Mann hat viel Geld. Wenn du dich geschickt anstellst, wird er sehr gut dafür bezahlen. Vielleicht lasse ich deine Strafe dann milder ausfallen.“ Energisch schob er Feyk zur Treppe. Ihm blieb keine andere Wahl, als zu gehorchen.

Voll Unbehagen, leise nagender Angst, vor allem jedoch resignierend, schleppte Feyk sich die Stufen hoch. Vigar war freundlich zu ihm gewesen. Trotzdem hatte Feyk sich nicht getäuscht und seine Liebenswürdigkeit richtig gedeutet. Diese Nacht würde er ihm also Lust bereiten müssen und er konnte bloß hoffen, dass der Pegasusreiter schnell zufrieden sein würde.

Zaghaft klopfte Feyk an. Die Tür wurde rasch geöffnet. Vigar sah auf ihn hinab und lächelte ihn an. Er trug das Hemd offen und gewährte Feyk einen Blick auf die breite, leicht behaarte Brust. Oh ja, Vigar musste ein Kämpfer sein: Zwei feine Narben verschwanden unter dem Hemdstoff. Er besaß kein Amulett.

„Komm herein.“ Er trat zur Seite und verschloss die Tür hinter ihm. Feyk schluckte hart und ließ sein Seufzen ungehört verklingen. Wenn es bloß schnell gehen würde … Er wollte endlich schlafen. Mitten im Raum blieb er stehen, behielt den Kopf gesenkt, wollte den anderen Mann nicht direkt ansehen. Seine Freundlichkeit, eine Lüge, sein Interesse – geheuchelt. Niemand interessierte sich für ihn. Sie alle wollten immer nur ihre eigene Befriedigung.

„Was soll ich für Euch tun, Herr?“ Feyk quälte die Worte mühsam heraus. Seine Hose war an den Knien noch feucht von dem verschütteten Bier und der Geruch der Gaststube hing in seiner Kleidung. Er fühlte sich elend.

Vigar ging von der Tür zu seinem Bett und nahm darauf Platz. Belustigt schaute er Feyk an.

„Was tust du sonst?“ Abermals seufzte Feyk innerlich und zog sich entschlossen das Hemd über den Kopf. Er wollte keine Spiele, er wollte es hinter sich bringen. Was auch immer Vigar verlangte, er würde seine Pflicht tun.

„Ich erweise Euch jeden Dienst, den Ihr wünscht, Herr.“ Feyk konnte die matte Traurigkeit und Resignation nicht mehr aus der Stimme verbannen.

Ich tue alles, wenn ich endlich zu meinem Lager darf. Er begann die Schnürung seiner Hose zu lösen.

„Was?“, stieß Vigar verdattert hervor und sprang auf. „Oh nein! Götter, nein! Du denkst, ich …?“ Erschrocken brach er ab, starrte Feyk bestürzt an, dessen Finger noch an dem Bund seiner Hose lagen. Verstört ließ Feyk seine Hände sinken. Vigar stand vor ihm, sah ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Verblüffung an.

„Ist dies, was du sonst tun musst?“, erkundigte er sich mit leiser, beherrschter Stimme. Wut glitzerte in seinen Augen, allerdings war sich Feyk sicher, dass diese nicht ihm galt. Kaum merklich nickte er.

„Götter!“, stieß Vigar zornig hervor und begann aufgebracht durch das Zimmer zu wandern, die Hände zu Fäusten geballt. Unsicher beobachtete ihn Feyk. Vigar schien sich nur mühsam beherrschen zu können und kam endlich vor ihm zum Halten. Hastig bückte er sich, hob Feyks Hemd hoch und drückte es ihm in die Hand.

„Das ist nicht, was ich von dir wollte.“ Sein Blick glitt über Feyks blanken Oberkörper und er schluckte sichtlich. „Bitte zieh dich wieder an.“

Waren die namenlosen Götter eventuell doch auf seiner Seite? Aber was konnte Vigar sonst von ihm wollen? Leise Angst, eine drohende Vorahnung breitete sich erneut in Feyk aus, während er das Hemd überstreifte. Vigar hatte seine unruhige Wanderung wieder aufgenommen und umkreiste ihn.

„Ich wollte dich etwas fragen, Feyk. Etwas, was nicht für alle Ohren gedacht ist.“ Kalte Finger griffen nach Feyk, pressten sein Herz zusammen. Also doch. Der Pegasus. Dieser Mann war sein Reiter, ein Spion, ein Feind Bohruns und des ganzen Nordwestreiches.

Unsicher schaute Feyk auf seine Füße, versuchte die zunehmende Nervosität zu verbergen. Er begann dennoch leicht zu zittern.

„Heute im Stall …Was hast du da gesehen?“

„Nichts, Herr. Gar nichts“, versicherte Feyk überstürzt. Seine Hände krampften sich kurz zusammen und er drückte Zeige- und kleinen Finger zum Schutz vor Übel aneinander. Dieser Mann hatte es bemerkt. Ob er es wohl bis zur Tür schaffen konnte? Nein, denn Vigar umrundete ihn nun beständig, wie ein Raubtier.

„Das glaube ich dir nicht, Feyk. Deine Augen haben dich verraten. Wie du mein Pferd angeschaut hast ...“ Feyk schwieg, überlegte fieberhaft, wie er entkommen, was er sagen konnte. Ob Vigar ihn töten würde?

„Du hast bereits von den Pegasuspferden gehört, nicht wahr?“ Feyk zuckte zusammen, fühlte den Schweiß über seinen Rücken kriechen. Kalt und klebrig. Nervös wischte er sich die Hände an seiner Hose ab. Er vermochte kaum noch zu stehen. Götter, bitte helft mir, flehte er. Er wird mich töten, wenn ich es zugebe. Aber Lügen war ebenso zwecklos.

„Ja“, flüsterte er kaum hörbar. Vigar blieb halb hinter ihm stehen und legte ihm eine Hand schwer auf die Schulter. Angst breitete sich in jedem Teil von Feyks Körper aus. Wenn ihn Vigar umbringen wollte, würde er es ohnehin tun und er war viel zu erschöpft, um sich noch zu wehren. Wenn dies sein Schicksal sein sollte, würde er eben sterben. Er konnte nicht mehr. Es war zu viel.

„Hast du Nifthas Flügel gesehen?“, flüsterte Vigar unerwartet in sein Ohr. „Unglaublich zart, fast durchscheinend, schillernd in tausend silbrigen, grünen und blauen Farbtönen. Hast du bemerkt, wie grazil sie sie bewegt? Sie sind wunderschön, nicht wahr? Einzigartig. Magisch!“ Seine Stimme war voller Ehrfurcht und Bewunderung. Die Worte schickten Schauer über Feyks angespannten Leib, riefen die Erinnerung an die Flügel wach. Oh ja, wunderschön. Niemals hatte er etwas Schöneres erlebt. Perplex wandte er sich zu Vigar um, starrte ihn ungläubig an.

„Du hast sie gesehen“, stellte dieser befriedigt fest. Zögernd nickte Feyk und fügte sofort hastig hinzu: „Ich werde nichts sagen, Herr! Ich werde es niemandem verraten!“ Vigars Hand schien ihn zu Boden zu drücken, seine Beine wollten ihm den Dienst versagen. „Wenige Menschen können einen Pegasus derartig berühren, Feyk. Ich vermag einen erweckten Pegasus dazu zu bringen, seine Flügel für mich zu entfalten. Es gibt in allen Völkern Menschen, die die Magie in sich tragen, einen Pegasus zu fliegen.“ Er machte eine Pause und musterte Feyk lächelnd. Es war ein warmes, ehrliches, sogar seltsam anerkennendes Lächeln. „Nur sehr wenige Menschen können jedoch einen Pegasus erwecken“, fügte er bedeutungsvoll hinzu. Feyk starrte ihn weiterhin an. Er begriff nicht ganz, was Vigar sagen wollte.

„Ich bin ein Pegasusreiter, Feyk. Ich weiß, was man in eurem Reich über uns erzählt. Schauermärchen. Du musst mich nicht fürchten. Ich werde dir nichts tun. Ich bin nicht dein Feind. Ich komme aus dem Südostreich, wie du bestimmt schon vermutet hast“, erklärte Vigar und löste endlich die Hand von der Schulter. „Ich diene dem Herrscher Aclodh. Es gibt viele von uns: Pegasusreiter, die in seinen Diensten stehen, Botschaften überbringen und die Custore, die im Land für Ordnung und Gerechtigkeit sorgen. Unser Herrscher züchtet diese spezielle Rasse, die Pegasuspferde hervorbringt. In seiner Feste bilden wir sie aus, trainieren sie. Wir kreuzen sie miteinander und hoffen jedes Mal, dass unter den Fohlen ein Pegasus dabei sein wird. Es ist nicht leicht, sie in jungen Jahren zu entdecken.“ Ein hörbares Seufzen entkam seinen Lippen, während er sich auf das Bett setzte. „Ich vermag ihre magischen Flügel zu sehen, einen Pegasus zu fliegen, wenn er einmal erweckt wurde. Eine magische Begabung, die wir trainieren, bis wir sie beherrschen. Jeder mit der Veranlagung kann es lernen. Aber die Ausbildung eines Pegasus dauert lange und braucht viel Geduld.“ Erneut machte er eine Pause. „Es bedarf jedoch einer besonderen, einer machtvolleren Magie, um einen unausgebildeten Pegasus zu erwecken. Bei einem ganz jungen Pferd ist es noch keinem von uns gelungen, die Flügel zu entfalten.“ Vigars Blick blieb an Feyk hängen, der wie erstarrt dastand und fasziniert zuhörte. Das klang so unwirklich. Nichtsdestotrotz hatte er die Flügel selbst gesehen. Vigars Stute war kein gewöhnliches Pferd. „In früheren Zeiten gab es Menschen mit dieser besonderen Magie. Sie konnten jeden Pegasus dazu bringen, sein angeborenes Geheimnis zu offenbaren und ihn in jedem Alter erwecken. ‚Citare‘ nannte man sie. Ich glaube, du bist ein solcher Erwecker, Feyk. Du bist ein Pegasuscitar!“

„Ich?“, stieß Feyk fassungslos hervor.

„Ja. Du hast Niftha berührt und sie hat ihre Flügel gezeigt. Du hast keinerlei Ausbildung, wusstet nicht einmal was du getan hast und dennoch entfaltete sie ihre Flügel für dich. Das habe ich noch nie erlebt.“ Lächelnd erhob er sich und kam auf Feyk zu.

„Hör mir gut zu“, verlangte er mit eindringlicher Stimme. „Ich hatte einen wichtigen Auftrag zu erfüllen. Ich wurde entdeckt und werde deshalb verfolgt.“ Seine Hände legten sich auf Feyks Schultern.

„Ich würde dich sofort mit mir nehmen, wenn ich es könnte. Ich würde dich freikaufen. Aber ich muss zügig reisen und Niftha kann lediglich einen Reiter tragen.“ Vigar schnaubte ärgerlich.

Freikaufen? Ihn mitnehmen, fortbringen? Feyk wollte seinen Ohren nicht trauen. Sein Kopf schwirrte von all dem, was ihm Vigar erzählte. Konnte es angehen? Hatte Vigar recht? War er ein besonderer Mensch? Der Gedanke war abwegig, zu unwirklich. Genau wie der, das Gasthaus, dieses Elend zu verlassen. Frei zu sein ...

Feyks Knie knickten ein. Die Erschöpfung forderte ihren Tribut und sein ermatteter Körper sackte zu Boden. Vigar griff nach ihm und zog ihn hinüber zum Bett.

„Herr?“, flüsterte Feyk. Vor seinen Augen flimmerten graue Punkte und sein Herz schlug seltsam langsam. Ihm war kalt und er wusste kaum, wie er die Lippen bewegen, wie er Worte formulieren sollte.

„Mein Name ist Vigar“, vernahm er die warme Stimme und eine Hand strich ihm behutsam über die Stirn. Lange schon hatte Feyk solche Zärtlichkeiten vermisst, sich verzehrend nach ihnen gesehnt. Nach ein wenig Hoffnung.

Erschöpft schloss er die Lider. Es tat gut, es war schön, sich einfach diesen Berührungen zu überlassen. Er wollte schlafen, vergessen, träumen ...

„Ich werde deinem Herrn mitteilen, dass ich dich über Nacht hier behalten werde. Du kannst in Ruhe schlafen und dich erholen. Zumindest das kann ich für dich tun“, versprach die Stimme im Nebel. Mühsam öffnete Feyk die Augen und erkannte Vigar, der sich über ihn gebeugt hatte.

„Ich weiß, es ist sehr viel Neues auf einmal und du weißt nur einen Bruchteil dessen, was du wissen solltest.“, Vigar lächelte nachsichtig. „Ich werde dir alles erklären. Später. Ich werde dich zu uns holen, in die Pegasusfeste. Mehr darf ich dir nicht sagen, denn es wäre nicht gut, wenn du zu viel weißt.“ Kühle Finger strichen behutsam über Feyks Gesicht. Vigars Ausdruck war mitfühlend. „Schlaf jetzt, mein Junge. Hab keine Angst. Ich werde dich weder anrühren, noch zulassen, dass es ein anderer tut. Schlaf.“ Die warme Stimme umhüllte Feyk, die Berührungen lullten ihn ein und er schloss die Lider, überließ sich endlich dem ersehnten Schlaf.

„Hab keine Angst, ich kehre zurück“, flüsterte Vigar. „Ich werde dich befreien. Ich komme dich holen, Feyk.“

3 Der Nordmann