7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 7,99 €
Kater Pep liebt das Studentenleben! Es gibt genügend warme Heizungen zum Schlafen, die Mäuschen springen ihm geradezu ins Maul, und es findet sich jederzeit ein Streichelmensch, der ihm den Bauch krault. Warum also hetzten die Zweibeiner immer umher, klagen über Stress und wischen ständig auf ihren kleinen Handspiegeln herum, anstatt das Leben zu genießen? Peps Blick auf uns Menschen ist frisch, witzig und erstaunlich erhellend - denn vielleicht hat der Kater gar nicht so unrecht, wenn er meint, dass wir es uns viel zu schwer machen, während die Welt doch so schön ist ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 286
Kater Pep liebt das Studentenleben! Es gibt genügend warme Heizungen zum Schlafen, die Mäuschen springen ihm geradezu ins Maul, und es findet sich jederzeit ein Streichelmensch, der ihm den Bauch krault. Warum also hetzten die Zweibeiner immer umher, klagen über Stress und wischen ständig auf ihren kleinen Handspiegeln herum, anstatt das Leben zu genießen? Peps Blick auf uns Menschen ist frisch, witzig und erstaunlich erhellend – denn vielleicht hat der Kater gar nicht so unrecht, wenn er meint, dass wir es uns viel zu schwer machen, während die Welt doch so schön ist …
Marlene Roth hat die erste Hälfte ihres Lebens mit Katzen und die zweite Hälfte an der Universität verbracht. Pep lernte sie während ihrer Promotion in Vergleichender Kulturwissenschaft kennen. Sie arbeitet als Schauspielerin und Referentin für Literatur und Theater und lebt mit Mann, Kindern, Oma, Dackel und mehreren Siebenschläfern in einem Haus in der Nähe von Regensburg.
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Copyright © 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Sylvia Gredig
Titelillustration: © shutterstock/Mikhail Markovski, © shutterstock/hannadarzy,© shutterstock/Rashad Ashurov und © shutterstock/Olesya Kuznetsova
Bildteil: Bilder 1-5, 18, 19, 28, 30 © Yvonne Weißflach Bilder 6, 7, 14, 15, 20-27, 35, 36 © Gregor Schmidt Bilder 8-10, 16 © Martin Pfaffinger Bilder 11-13 © Caroline Berger Bild 17 © Marlene Roth Bilder 29, 32, 34 © Johannes Hoffmann Bild 33 © Johanna Menzel
Umschlaggestaltung: Jeannine Schmelzer
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-2375-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für Friederike, Valentin und Jan
Werte Leserin, werter Leser,
alle Kater schnurren, ich aber liebe das Schnurren ganz besonders. Auch in Wort und Schrift. Und ich freue mich, nach intensiven Studien der streichelhumanen Spezies nun einen umfassenden Erfahrungsbericht vorlegen zu können. Alles hat sich ganz genau so in meinem Unirevier zugetragen. Eine Universität ist ein Ort, an dem Streichelmenschen interessante Dinge lernen können. Ehrlich gesagt, finde ich es verwunderlich, dass so wenige Katzen studieren, aber in meiner Zeit an der Uni ist mir nur ganz selten ein Artgenosse über den Weg gelaufen. Für mich ist das natürlich ein großes Glück, da ich aus diesem Grund der einzige ernstzunehmende Mäusefänger weit und breit mit einer exquisiten Mauswahl bin. Zunächst hatte ich geplant, ein Buch nur für Katzen zu schreiben, da ich aber weiß, dass Katzen darauf angewiesen sind, die Bücher ihrer Besitzer zu lesen, musste ich die Zielgruppe erweitern. Alle, die lesen können, sind hiermit herzlich eingeladen zu lernen, was ich über die seltsame Spezies der Streichler in Erfahrung gebracht habe. Ich hoffe, auch Ihr findet Gefallen daran!
Vermaust nochmal, ich sitze fest! Es ist nicht das erste Mal, aber noch nie war es so unangenehm. Eigentlich wollte ich nur hinter das Geheimnis des riesigen Traktors kommen. Wie kann etwas so tot und zwischendurch so lebendig sein? Wie kann es lauter als jede Kuh brüllen, ohne dabei zu atmen? Was steckt hinter dem furchtbaren Gestank, der von diesem Ding ausgeht? Und bin ich eigentlich der Einzige hier, der sich über etwas derart Außergewöhnliches wundert? Ich hätte das alles auch herausgefunden, wenn nicht ein Windstoß durch die offene Scheunentür gefahren wäre, der die Traktortür zuschlug, während ich gerade mäuschenstill lauschte, ob dieses Ungetüm nicht vielleicht doch atmete.
Nun zu meinen Erkenntnissen in der Kabine:
Der Traktor atmet kein bisschen.Ich schaffe es nicht, eine Traktortür zu öffnen.Meine Blase ist erstaunlich klein.Schon öfters in meinem jungen Katzenleben konnte ich beobachten, wie der Traktor von einem sogenannten »Joseph« zum Leben erweckt wurde. Dieser Joseph, auch kurz »Sepp« gerufen, hat übrigens eine große Abneigung gegenüber Katzenpipi. Die Kühe aber dürfen, wo sie gehen und stehen! Total ungerecht und völlig unverständlich, wenn man mal die Mengen vergleicht … Angespannt springe ich auf den Sitz und stimme ein verzweifeltes Gemaunze an. Aber Verzweiflung hilft auch nicht ewig gegen den unerträglichen Druck. Ich lasse los und stelle erstaunt fest, dass meine Pfütze sofort verschwindet. Nur ein Schatten bleibt übrig. Das wird der Joseph gar nicht merken! Ich springe vom Sitz und warte im Halbdunkel auf meine Befreiung.
Es dauert fast zwei Nickerchen lang, bis es endlich so weit ist. Die Tür geht auf, und ich flüchte mit drei großen Sprüngen hinter einen Strohballen. Ich mag es nicht, gepackt und hochgenommen zu werden. Jetzt muss ich ganz aufmerksam sein, denn der Joseph wird den Traktor zum Leben erwecken. Er setzt sich genau dorthin, wo meine Pfütze sein müsste, dann springt er auf. Das ist eigentlich nicht das übliche Verhalten, um den Traktor zu wecken …
»Zefix! Etz hat mir die Katz a no in den Traktor neibieselt! Mei guade Hosn! Kreiz Birnbam und Hollerstauden!«
Mit der »Katz« bin zweifelsohne ich gemeint, und statt des Traktors setzt sich nun der Joseph in Bewegung.
»Wou is die Katz? Etz langt’s!«
Es ist nicht das erste Mal, dass ich das höre. Dabei kann ich diesmal wirklich nichts dafür! Hätte er nicht die Traktortür offen gelassen, hätte ich nicht hineinklettern können, und hätte er die Scheunentür geschlossen, hätte der Wind die Traktortür nicht zuschlagen können. Hätte, hätte, Katzentoilette …
Ich bleibe mal lieber in Deckung.
Als ich endlich zum Strohlager meiner Katzenfamilie im Kuhstall zurückkehre, üben meine Geschwister das Mäusefangen. Während sie ihre Beute nur fressen wollen, interessiert mich eher, was die Maus im Innersten zusammenhält. Ich möchte wissen, ob eine Maus und ein Traktor ähnlich aufgebaut sind und warum ein Traktor träge und eine Maus rege ist. Wirklich rege ist die Maus, die meine Geschwister gefangen haben, aber auch nicht mehr. Ob sie mir ihre Beute zu Forschungszwecken überlassen? Voller Zuversicht springe ich auf meine Schwester zu. Leider gönnt sie mir die Maus ganz und gar nicht. Ich werde mir selbst eine fangen müssen.
Die besten Mäuse gibt es im Hühnerstall. Unsere Mutter muss einfach nur die Pfote ausstrecken und eine Maus pflücken, und das werde ich jetzt auch machen! Auf dem Weg zum Hühnerstall sehe ich, dass der Joseph vor der Scheune steht und neben ihm ein anderer Joseph, den ich noch nie gesehen habe. Gibt es hier etwa mehr davon? Wird der Traktor-Joseph den Eindringling aus dem Revier verjagen? Wird es zu einem Kampf kommen? Das würde ich jetzt zu gern beobachten, aber ein empfindlich kalter Wind fährt mir durchs Fell.
Im Hühnerstall ist es warm und trocken, aber der Geruch ist atemberaubend … Hühner sind seltsam. Sie sitzen auf Stangen und schauen mich feindselig an. Was würde meine Mutter jetzt tun? Sehen die Hühner sie auch so böse an? Ich kann weit und breit keine Maus entdecken, aber die Hühner beginnen plötzlich, eigenartige Geräusche zu machen. Soll ich auf eine Maus warten? Wie macht meine Mutter das? Der Joseph, der andere Joseph, der Traktor, die Hühner … Mir schwirren viel zu viele Dinge im Kopf herum! Ich habe vergessen, wie Mäusefangen geht. Am Anfang muss man, glaube ich, warten und dann …
»Goooock!«
Das Oberhuhn hackt nach mir! Maaaaaaau, meine Nase! Vermaust nochmal, hat das wehgetan. Blödes Huhn! Nichts wie raus hier.
»Na, du kleiner Racker? Hast du dich verlaufen?«
Neben dem Hühnerstall steht eine Barbara, aber nicht die Barbara, die ich aus dem Kuhstall kenne. Barbaras sind eine Art Josephs, aber wegen ihrer feineren Gesichter eben Barbaras, hat meine Mutter gesagt. Wie viele von denen gibt es denn? Und was machen sie alle in unserem Revier?
Diese Barbara hat mir gerade eine Frage gestellt. Das ist mir noch nie passiert. Was soll ich denn jetzt machen?
»Ich bin Yvonne, und wer bist du?«
Was soll das denn jetzt? Yvonne? Davon hab ich ja noch nie etwas gehört. Sie fängt an, mich zu streicheln, und in meiner Verwirrung über die Josephs und Barbaras und Yvonnes habe ich völlig vergessen, mich schnell in einer Ecke zu verstecken.
»Du bist ja ein Süßer! Und weil du mir direkt vor die Füße gelaufen bist, weiß ich schon, für welches Kätzchen ich mich entscheide.«
Und dann nimmt sie mich hoch, und ich wehre mich nicht. Sie ist ganz warm, und sie bringt mich zum Kuhstall, wo der Traktor-Joseph und der fremde Joseph bei unserem Strohlager stehen. Der Fremde hat meine Schwester hochgenommen.
»Sind die schon entwurmt und gechippt?«
Ich verstehe nicht, was er da gefragt hat, und dem Traktor-Joseph geht’s offensichtlich ähnlich.
»Ah, Schmarrn! Die ham nix!«
»Und wann genau sind sie geboren?«, möchte der Eindringling wissen.
»Im September. Is scho a Weil her.«
»Gut, ich nehm die Kleine mit.«
Und dann nähert sich mir das Gesicht von dieser Yvonne, und sie reibt ihre Nase an meiner Nase und hört dabei nicht auf, mich zu streicheln. Ich rieche ihren Duft und sehe ihre großen Augen, in denen so viel Weiß ist.
»Und du kommst mit mir mit, du Süßer! Du bist das schönste Kätzchen, das ich je gesehen hab. Hoffentlich vermisst du deine Familie nicht zu sehr. Magst du dich von deiner Mama verabschieden?«
Sie setzt mich auf das Stroh, in dem meine verängstigte Mutter sitzt. Mein Bruder hat sich irgendwo im Kuhstall versteckt, und meine Schwester ist auch nicht mehr da. Was passiert hier? Meine Mutter hat so viel Angst, dass sie mich gar nicht richtig anschaut. Ich höre den Traktor-Joseph zurückkehren. Er war mit dem Fremden draußen.
»Ich hätte gern die Schwarz-Weiße«, höre ich die Streichlerin sagen.
»Ja, dann nehmen Sie’s glei mit!«
Höre ich da so etwas wie Erleichterung beim Traktor-Joseph?
»Ist das eine Katze oder ein Kater?«
»Ja, was weiß denn ich? A Katz halt!«
Mooooment, ich bin ein Kater!
Meine Mutter hat sich geirrt. Die Nacktnasen sind nicht Josephs und Barbaras, sondern Streichelmenschen. Na ja, einige sind schon Josephs und Barbaras, aber nur wenige. Streichelmenschen haben die seltsame Angewohnheit, alles mit einer eigenen Bezeichnung zu versehen. Die Streichlerin, die mich aus dem Kuhstall geholt hat, heißt Yvonne oder Frauchen, das habe ich schnell begriffen. Sie hat schöne braune Haare, und ich mag ihren Duft, der mich entfernt an Heu und an Blüten erinnert. Zudem hängt sie sich gern silberne Ringe an die Ohren, mit denen ich spielen kann. Zwei andere Streichler leben bei ihr: Steve, ein großer Streichelmann mit großen Händen, die zum Kraulen und Streicheln perfekt geeignet sind, und Moritz, ein Kleinstreichler mit dunklen Haaren, der fast so verspielt ist wie ich. Ach ja, ich selbst heiße jetzt übrigens Pep! Mittlerweile habe ich verstanden, dass Streichelmenschen fast allem einen Namen geben, um es besser herbeirufen zu können. Diese Namensangelegenheit ist also eine Art Zauber, der bei mir aber nicht wirkt. Bei Moritz auch nicht so gut, aber doch deutlich besser als bei mir. Das Leben bei meinem Frauchen ist ganz anders als das Leben im Kuhstall. Der Streichlerstall heißt Wohnung und besteht aus mehreren großen und sehr großen Boxen, die als Zimmer bezeichnet werden. Mitten im sogenannten Wohnzimmer steht eine Art Baum, der allein mir gehört. Yvonne hat mir viel über die Streichler erzählt. Es sind seltsame Wesen, das muss man ihnen wirklich lassen. Und sie sitzen unheimlich gern in ihren Wohnställen! Draußen sehe ich ganz selten einen von ihnen. Und ich schaue oft aus dem Fenster. Vor allem vorn raus, wo es auch eine Wiese gibt. Als ich hier ankam, war sie noch grün, und ich meinte sogar ihren frischen Duft bis in den Wohnstall zu riechen. Dann wurde sie weiß und kam mehr braun wieder zum Vorschein. Jetzt ist sie wieder grün. Auch die Bäume vor dem Haus hatten zwischenzeitlich ihre Blätter verloren und haben nun neue bekommen. So lange lebe ich schon in diesem Wohnstall! Ach, ich hätte das alles gern vor Ort miterlebt, statt hier drinnen auf meinem blattlosen Baum zu sitzen. Immerhin weiß ich mittlerweile, dass die Streichler die Veränderungen in der Natur »Jahreszeiten« nennen. Yvonne hat mit Moritz schon öfter Bücher mit Bildern dazu angeschaut. Als sie ihm eine Herbstgeschichte vorgelesen hat, in der bunte Blätter durch die Luft tanzten, habe ich aufmerksam zugehört – und meine Leidenschaft für Bücher war geweckt. Ich habe fortan Moritz‘ Kinderbücher verschlungen und dabei in kürzester Zeit das Lesen gelernt. Romane und Sachbücher gab es dann im Regal bei Yvonne und Steve. Vielleicht hat die Lust am Lesen meinen natürlichen Drang umherzustreunen abgemildert. Es ist ja ein wirklich bequemes Katerleben bei den Streichelmenschen. Und ich lasse mich auch ausgesprochen gern von meinen Streichlern verwöhnen, genieße das leckere Futter, das ich vor die Nase gesetzt bekomme, Bildung, Spiel und die wohlige Wärme … Zum Glück sind die Heizungen so angebracht, dass ich mein Nickerchen mit Blick auf die Wiese halten kann. Aber auf der Heizung träume ich dann immer nur von der Welt, die hinter der Wiese liegen mag. Hier drinnen gibt es ja nicht einmal anständige Mäuse! Mein Frauchen hat mir schon einige mitgebracht, aber die waren nicht echt. Sie haben sich kein bisschen bewegt und überhaupt nicht nach Maus gerochen, und fressen konnte ich sie auch nicht. Ich möchte richtige Mäuse fangen und herausfinden, wer diese seltsamen Streichler sind, die ich durch die Fensterscheibe beobachte. Ein Kater braucht doch ein anständiges Revier und muss wissen, was in der Welt vor sich geht! Ich muss raus! Und zwar in doppelter Hinsicht! Grundlegende geschäftliche Bedürfnisse kann auch das bequeme Leben bei Yvonne nicht wegstreicheln. Es widerstrebt mir einfach, mein Geschäft im Inneren eines Hauses zu verrichten. Ich möchte es in der kühlen Erde vergraben und nicht in körnigem Katzenkies. Dieses Substrat ist doch kein würdiger Ersatz für die herrliche Vielfalt hochkomplexer Verbindungen, die in einem Feuerwerk biochemischer Reaktionen aus Kacke Kompost zaubern kann! Oh, oh, ich muss mal ganz dringend nach draußen … Aber wie erkläre ich das nur meinen Streichelmenschen. Vielleicht könnten sie mir einen warmen Unterschlupf auf der Wiese bauen – mit natürlichem Erdboden und ohne Dach, aber mit Heizung. Wie kann ich ihnen das nur vermitteln? Oh, oh, jetzt wird’s aber höchste Zeit. Ach, ich versuche einfach an etwas anderes zu denken. Fressnapf, Heizung, Heizung, Heizung, leckere Maus. Ich muss jetzt aber wirklich sofort raus!
»Pass auf dich auf, Pep! Und komm schnell wieder heim!«
Wie lange sehnte ich mich schon nach so einer Verabschiedung! Schweren Herzens lässt mich mein Frauchen an einem windigen Herbsttag ziehen, sie muss diesen großen Forscher- und Freiheitsdrang in mir ebenfalls verspürt haben. Sie hat mir aber vorher noch einen eigenen Zugang zur Wohnung bauen lassen, so dass ich jederzeit ins Warme zurückkehren kann. Jetzt streicht sie mir noch einmal sanft über den Rücken, dann öffnet sie die Tür.
Ahhhhh … Die frische Luft riecht nach unbegrenzten Möglichkeiten … und nach Hund. Der feuchte Erdboden unter meinen Pfoten weckt Erinnerungen an meine Kuhstallkindheit. In den Streichlerwohnungen ist es immer trocken.
Neugierig auf das, was dahinter liegt, überspringe ich den Gartenzaun der heimischen Wiese. Ich lande auf einem befestigten Pfad, dem ich so lange folge, bis ich an einem breiten Weg stehe, auf dem es vor traktorähnlichen Gefährten nur so wimmelt. Das kenne ich aus Moritz‘ Bilderbüchern, ich muss an einer Straße stehen. Aufmerksam beobachte ich einige Streichelmenschen, die geduldig am Straßenrand auf etwas warten. Auf was wohl? Ich warte auch.
Plötzlich tut sich eine Lücke zwischen den Gefährten auf, und die Streichler gehen wie auf Zuruf auf die andere Seite des Weges. Ob es sich um eine Art Jagd handelt? Dann sind die traktorähnlichen Vehikel die Jäger und die Streichler die Beute. Fühlt eine Maus sich so, wenn sie ihr Loch verlässt? Wartet auch sie immer auf eine Lücke? Ich beschließe, die nächste Lücke ebenfalls zu nutzen, und schaffe es tatsächlich, den Jägern zu entkommen. Kunststück! Wer so laut knattert und röhrt, braucht sich über mangelndes Jagdglück nicht zu wundern.
Auf der anderen Straßenseite fallen mir sofort die großen Unterschiede zu meiner Bauernhofheimat auf. Die Häuser sind hier deutlich größer als das Bauernhaus, zudem frage ich mich, wo wohl die Kühe untergebracht sind. Raus dürfen sie hier anscheinend nicht. Arme Kühe! Erinnerungen an meine Katzenfamilie steigen in mir auf, und ich bekomme Sehnsucht nach dem Stallgeruch und dem duftenden Fell meiner Mutter. Doch dann werde ich abgelenkt. Ein buntes Blatt fliegt vor mir auf. Ich versuche es zu fangen, aber es entkommt mir immer wieder. Sobald ich mich darauf stürzen will, steigt es hoch in die Luft, und fast kommt es mir vor, als wollte es mich verhöhnen. Ein tanzendes gelbes Blatt, das muss schon wieder der Herbst sein.
Als sich der Wind kurz legt, nutze ich die Chance und packe das Blatt. Es knistert. Ich halte es mit der linken Pfote fest und lese »Ersti-Party«. Was bedeutet das? Ist das finnisch? Steve lernt Finnisch, und ich habe versucht mitzulernen. Sprachen sind nun mal meine große Leidenschaft. Finnisch klingt ein bisschen wie Katzisch, nur, dass finnische Katzen »Miiiaaauuui« mauzen statt »Miiaaaauuu«. Soll hier irgendwo etwa eine Finnenfeier stattfinden? Natürlich möchte ich dann mit dabei sein!
Das tanzende Blatt hat mich an einen großen Teich geführt, über den sich eine Brücke spannt. Auch in der Nähe des Kuhstalls hat es so eine Wasserstelle gegeben, die aber deutlich kleiner gewesen ist. Von der Brücke aus blicke ich aufs Wasser und entdecke dabei Fische, die träge darin herumschwimmen. Das ist ja großartig! Ich liebe Fisch! Auf der anderen Seite der Brücke befindet sich ein riesiges Glasgebäude. Ich kann gut erkennen, dass sich viele Streichelmenschen darin aufhalten. Ein so großes Gewächshaus habe ich ja noch nie gesehen. Da muss ich rein!
Und das ist einfacher als gedacht, denn kaum bin ich am Glashaus angekommen, öffnet mir eine Streichlerin die Tür, und ich streiche an ihren Beinen entlang ins Innere des Gebäudes. Vor mir liegen Räume ungeahnter Dimensionen, und so unfassbar viele Streichler habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. Ich muss aufpassen, dass keiner auf mich tritt. Im Schutz einer Ecke schaue ich mir das Gewusel eine Weile an … Wie unterschiedlich diese Streichelmenschen doch aussehen: hellblaue, gelbe, braune, dunkelblaue, grüne, weiße Beine. Schwarze, weiße, mehrfarbige Schuhe. Dazu die ganzen Gerüche! Ich bin vollkommen überwältigt, und mein Schwanz zuckt vor Aufregung.
Dann weht mir ein verführerischer Duft nach Futter in die Nase, und ich versuche herauszufinden, was für eine irre Mischung aus Huhn, Schwein und mir unbekannten Komponenten das sein könnte. Ein grüner Schuh zieht ein weißes Band neben sich her, und ich verspüre den starken Impuls, es zu jagen. Eine blaue Hose riecht intensiv nach Hund. Ich weiß überhaupt nicht, in welche Richtung ich mich wenden soll.
Eine Tür öffnet sich, und mit einem Sprung lande ich in einem Raum, in den mehrere Kuhställe passen würden, so groß ist er. Hier herrscht Ruhe. Die Vielfalt der umherlaufenden Füße wird abgelöst von der stillen Anwesenheit unendlicher Bücherreihen. Bücher, Bücher, nichts als Bücher! Schnurrdieu, wer soll das alles lesen? Wer hat die unzähligen Geschichten aufgeschrieben? Worum geht es in all diesen Werken? »Grundkurs C« steht auf einem Buch. Wie C? Nur ein Buchstabe? Die Streichler schreiben ein ganzes Buch über einen einzigen Buchstaben? Verrückt, aber irgendwie bringt mich diese Ausführlichkeit endgültig zur Ruhe, und auch ich beginne, auf einer warmen Heizung über das C nachzudenken. C … C wie Caesar, C wie Clown, C wie Catze? Nein, das schreibt man mit K.
Bald wird mir die Sache dann doch zu langweilig. Ich frage mich, was es in diesem sonderbaren Glashaus noch gibt? Als ein Streichler die Tür öffnet, verlasse ich die Bücherhalle und folge diesem diffusen Fleischgeruch, der nun wieder meine Nase erobert. Ich tigere an den Wänden entlang, um nicht Gefahr zu laufen, von einem der vielen Streichler getreten zu werden. Der Duft wird immer intensiver. Er strömt aus einer breiten Türöffnung, hinter der sich ein Raum von gigantischem Ausmaß befindet, den die Streichler »Mensa« nennen. Darin hält sich die größte Ansammlung von Streichelmenschen auf, die ich je gesehen habe. Sie sitzen wie die Hühner in Reihen, nur dass sie an Tischen sitzen, auf denen ihre Näpfe stehen. Doch statt ihre Näpfe zu leeren, sind sie unablässig am Sprechen. Was das bedeutet, kann ich kaum beschreiben. Miauuuuuu möchte ich gegen den Lärm anmaunzen! Zum Essen braucht man RUHE! Ich jedenfalls könnte nicht mit hundert Katzen in einem Raum eine Maus verspeisen. Vielleicht könnte ich es sogar, aber ich würde vorziehen, es nicht zu tun. Von den verworrenen Essensdüften und dem Radau wird mir ganz schummrig. Ich muss hier raus!
Eine Streichelfrau erkennt meine Not und entlässt mich in die Freiheit. Erleichtert atme ich die frische Herbstluft ein, und dann sehe ich, dass ich mich auf der anderen Seite des Glashauses befinden muss, denn vor mir liegt nicht der große Teich, sondern eine wunderschöne Wiese, die sich fast bis in die Unendlichkeit erstreckt! Na ja, auf den zweiten Blick muss ich gestehen, dass ich vielleicht etwas übertreibe – sie geht von dem imposanten Glaskasten über viele, viele Kuhlängen bis zu einem hässlichen Betonbau, vor dem sich wiederum eine beträchtliche Anzahl Streichler tummelt. Was lockt sie nur an? Ist es wieder ein Nahrungsangebot? Oder Bücher? Oder etwas ganz anderes? Das muss ich herausfinden!
Ich verlasse den Weg und überquere die Wiese, die an vielen Stellen herrlich vertraut duftet – nach feiner, frischer Maus. Wie habe ich mich danach gesehnt! An einer anderen Stelle duftet es nach Kaninchen. Leider wird meine Freude durch einen weiteren penetranten Geruch getrübt: Hund. Auf meinem Heimatbauernhof gab es einen sabbernden Sennenhund, der sich mir gegenüber meist recht freundlich verhalten hat. Trotzdem überfordern Hunde mich schon seit meiner frühen Kindheit. Sie haben eine ganz andere Körpersprache, und ich mag es einfach nicht, wenn mir jemand am Hintern rumschnüffelt. Das Wiesenparadies hat also eine Schattenseite.
Auf dem Betonklotz steht Philosophie – Theologie. Das kommt mir bekannt vor. Theologie hat etwas mit einem sogenannten Gott zu tun. Das habe ich schon bei Yvonne belauscht. Gott ist eine Wesenheit, die noch keiner gesehen hat, aber viele zu kennen scheinen. Ist Gott etwa in diesem Betonbau? Über Philosophie weiß ich noch nichts, obwohl ich auf meinem Heimatbauernhof viel mit Vieh zu tun hatte, aber »so Vieh«? Ich werde das alles herausfinden.
Eine Streichelfrau mit langen braunen Haaren und einer großen grünen Tasche öffnet mir die Glastür. Was mag sie wohl in diesem Behältnis herumtragen? Warum haben die Streichler immer so viele Dinge dabei? Ich kann nicht weiter über diese seltsame Gewohnheit nachdenken, denn in dem langen Flur, in dem ich mich nun befinde, wittere ich ganz eindeutig Maus. Das ist ja großartig! Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal ein beheiztes Jagdrevier haben könnte! Zum Mausgeruch gesellen sich aber noch viele weitere Düfte. Kein Wunder! Streichler tragen unglaublich viele Gerüche an sich, die ich überhaupt nicht richtig zuordnen kann. Scharf und süß, sauer und rauchig. Manche duften ein bisschen nach Baum, und einige von diesen Exemplaren riechen erstaunlicherweise sogar nach markiertem Baum! Seltsame Spezies …
Ich folge im Flur den zahlreichen Heizungen, auf denen ich bestimmt noch viele schöne Nickerchen halten werde. Am Ende des Gangs führt eine breite Treppe nach oben, daneben sitzen Streichler in einem Glaszimmer und leeren Trinknäpfe, während sie sich geräuschvoll unterhalten. Möglichst unauffällig folge ich einigen Streichlern in den ersten Stock und lande vor einem weiteren Glaskasten, der allerdings deutlich kleiner ist als die bisherigen. Hinter der Scheibe sitzt eine kurzhaarige Streichlerin, die mich nicht zu sehen scheint, da sie in ein Buch vertieft ist. Warum ist sie eingesperrt? Und wohin führt die große Holztür neben dem Glasverschlag? So viele rätselhafte Dinge wie in meinem neuen Revier habe ich in meinem ganzen Katerleben noch nicht gesehen. Ich verstecke mich hinter einer Tasche und warte ab, was passiert.
Ein großer Streichler, der nach Baumharz riecht, trägt einen Bücherstapel und tritt mir beinahe auf den Schwanz. Er öffnet ungeschickt die Tür, und ich schlüpfe zwischen seinen Füßen hindurch in den Raum. Und wieder tauche ich jäh in die Stille einer riesigen Bücherhalle ein. An der Tür steht das Wort »Bibliothek«. In diesem Augenblick wird mir klar, dass die Stimmung in diesem Raum genau das trifft, was die Streichler als »heilig« bezeichnen. Heilig hat etwas mit Gott zu tun. Wohnt hier Gott? Ich begebe mich auf die Suche.
Ein Wispern dringt an meine Ohren. Auch hier unterhalten sich einige Streichler, aber nur ganz leise, so als dürfe niemand sie hören. Es riecht nach Streichlerallerlei, nach Holz, nach Staub und etwas muffig, durchaus nicht unangenehm. Ich nehme mal stark an, dass das der Duft der Bücher ist. Oder von Gott? Nein, den kann ich weder sehen noch hören. Stattdessen beobachte ich von einem Bücherregal aus die Streichler. Sie verhalten sich für ihre Verhältnisse seltsam. Ganz still und bedächtig. So gefallen sie mir eigentlich besser als außerhalb von diesem heiligen Ort. Über der Beobachtung der stillen Streichler werden meine Augenlider schwer, und ich sinke nach und nach in einen entspannten Schlaf.
Als ich erwache, verspüre ich ein starkes Hungergefühl. Draußen ist es bereits dunkel, und es sitzen nur noch wenige Streichler über ihren Büchern. Durch die Fensterscheiben fällt kein Sonnenstrahl mehr, und in der Bibliothek herrscht ein gelbes Licht, das ich von zuhause kenne. Die Streichelmenschen legen sich dann bald schlafen. Sie sind ja tagaktiv.
Vermaust nochmal! Da fällt mir Yvonne ein! Ich habe mein Frauchen ganz vergessen … Sie wird sicher schon eine Dose für mich aufgemacht haben. Ich laufe sofort los! Auf dem Weg pflücke ich mir im Vorüberlaufen ein Mäuschen, aber die Hauptmahlzeit ist die heimische Dose, für die ich mir kurz darauf besonders viel Zeit nehme. Als ich endlich satt bin, ziehe ich mich aufs Sofa zurück und lasse, während ich mich putze, die aufregenden Ereignisse noch einmal Revue passieren.
Ich kann mein Glück kaum fassen. Jetzt habe ich also ein richtiges Revier – ein Traumrevier, das die Streichler Uni nennen. Dort habe ich alles, was mein Katerherz begehrt: Bücher, Heizungen, Fische, Mäuse, Kaninchen. Na ja, die Hunde werde ich mir schon irgendwie vom Hintern fernhalten können. Und dann sind da natürlich noch die Streichelmenschen! Sie sind mit Sicherheit die seltsamste Spezies in meinem Revier. Ihr Verhalten kann ich immer noch nicht so richtig deuten, obwohl ich mittlerweile schon recht lange mit drei Artvertretern zusammenlebe.
Was macht diese Streichler eigentlich so seltsam? Ist es vielleicht ihre differenzierte Lautsprache, in der sie gern und vor allem laut kommunizieren? Da ich diese Sprache in Wort und Schrift erlernt habe, ist es mir zwar möglich zu verstehen, was sie sagen, was umgekehrt leider nicht der Fall ist, aber obwohl ich sie verstehe, kann ich das Gesagte oft nicht deuten. Was ist noch bemerkenswert an ihnen?
Körpersprachlich sind die Streichler sehr unsicher. Sie senden kaum klare Botschaften aus, weshalb ich häufig große Probleme damit habe zu verstehen, was sie wirklich ausdrücken möchten. Sie können weder die Haare aufstellen, noch konnte ich sie dabei beobachten, wie sie einen Buckel machten oder mit dem Schwanz peitschten. Sie haben ja nicht mal einen! Möglicherweise verstecken sie ihn auch nur gut, was ich aber nicht glauben kann, da sie extrem viel Zeit sitzend verbringen, und das müsste dann doch ausgesprochen schmerzhaft sein. Aufgrund des fehlenden Schwanzes sind Streichler auch meistens eher langsam unterwegs und können kaum balancieren, schließlich fehlt ihnen das Steuer. Gerade diese Mängel machen sie für mich interessant und wecken in mir den Wunsch, ihr Verhalten gründlich zu beobachten und eine umfassende Studie über sie zu verfassen.
Es gibt einige Fragen, die ich mir in diesem Zusammenhang stelle. Wie ist es eigentlich möglich, dass diese Mängelwesen eine so weite Verbreitung finden? Die ganze Welt scheint voller Streichelmenschen zu sein, während es im Verhältnis sehr viel weniger Katzen gibt. Wie viele Streichelmenschen sind pro Katze vorgesehen? Und sind die ganzen Unistreichler etwa alle für mich zuständig? Kann ich so viele Streicheleinheiten überhaupt verkraften? Fragen über Fragen! Meine Analysen des streichelmenschlichen Verhaltens sollen einen bescheidenen Beitrag zur Forschung leisten und mir selbst immer wieder die Möglichkeit geben, über diese wunderlichen Wesen zu staunen.
Na gut, ich gebe zu, dass mein eigentliches Interesse an der Erforschung der Streichler nicht allein meinem Wissensdurst geschuldet ist. Der englische Philosoph Francis Bacon, den ich allein schon wegen seines vollmundigen Namens sympathisch finde, hat einmal den berühmten Spruch »Wissen ist Macht« geprägt. Für mich bedeutet das Wissen um streichelmenschliches Verhalten sogar in vierfacher Hinsicht Macht:
»Macht mir die Tür auf!«
»Macht die Heizung für mich frei!«
»Macht mir eine Dose auf!«
Und schließlich: »Macht nicht so viel Quatsch, sondern streichelt mich lieber!«
Damit lautet meine These: Was ich begreife, kann ich mir untertan machen. Für mich kann das also nur eines bedeuten: Ich werde selbst ein Studium aufnehmen und mir die Streichler untertan machen!
Am nächsten Morgen ist es dann so weit. Ich wecke mein Frauchen schon früh und mache mich auf den Weg in mein Revier. Zunächst widme ich mich den Mäusen auf der Wiese, um mich dann meinen Forschungsobjekten zuzuwenden. Im Philosophie-Theologie-Betonklotz, den die Streichelstudenten als PT-Gebäude bezeichnen, gefällt es mir zurzeit am besten, da sowohl Heizungen als auch Mäuse vorhanden sind und die Streichelmenschen mir sehr freundlich begegnen. Beinahe zu freundlich, denn allzu viel Gestreichel lenkt mich leider auch ab. Haben die denn noch nie einen Kater gesehen? Als die dritte Gruppe hochfrequent kieksender Streichelfrauen mir durchs Fell fährt, beschließe ich, mir eine Ruhephase in der Bibliothek zu gönnen. Dort werde ich mir zunächst einen theoretischen Überblick verschaffen und versuchen, in die wissenschaftliche Arbeitsweise hineinzufinden. Was hat der Streichler eigentlich selbst über seine Spezies geschrieben?
In der PT-Bibliothek finde ich schnell heraus, dass sich die Psychologie mit diesem Thema beschäftigt. Wie denken und was fühlen Streichler? Darüber gibt es unzählige Bücher, aber leider bin ich bald verwirrter als vorher. Warum? Ich lese verschiedene Bücher, die den Anspruch auf sogenannte Wissenschaftlichkeit erheben. Und um was geht es da? Um andere Bücher, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, die wiederum Bücher zitieren, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, in denen es dann um Bücher geht, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben usw.
Da beißt sich der Kater in den Schwanz! Woher rührt eigentlich dieser Anspruch auf Wissenschaftlichkeit? Ich finde heraus, dass er daher kommt, dass aus anderen Büchern mit wissenschaftlichem Anspruch zitiert wird … Na großartig! Ich lerne daraus nur eine Sache: Die Streichler in meinem Revier halten alles Gedruckte für richtig und sehr wichtig. Wir Katzen würden so einer Angelegenheit niemals trauen. Stattdessen fragen wir einfach:
Was steckt wirklich dahinter?
Und vor allem: Ist das jetzt überhaupt wichtig?
Also:
Erfahre ich dadurch, wo es die köstlichsten und gleichzeitig dümmsten Mäuse gibt?Oder das sonnigste Fleckchen in meinem Revier?Die interessantesten Erkenntnisse?Den feinsten Baldrian?Die schnurrigsten Streicheleinheiten?Die bequemste Heizung?Kann keine einzige dieser Fragen mit »ja« beantwortet werden, so ist es nicht wichtig für uns, und wir hören auf, uns mit der Sache zu beschäftigen. So einfach ist das.
Schließlich finde ich in der Bibliothek aber doch noch etwas Interessantes über die menschliche Psyche.
Bei meinen Recherchen stoße ich auf Abraham Harold Maslow. Berühmt geworden ist der durch seine Maslow‘sche Bedürfnispyramide. Das ist keine Pyramide, wie sie in der Wüste steht, sondern nur eine Gedankenpyramide. Katerklar! Und in jedem Pyramidenstockwerk wohnt ein Bedürfnis. Je weiter unten, desto grundlegender. Ganz ähnlich habe ich mir das auch schon gedacht, nur wohnen die Bedürfnisse in meinem Katerkopf nicht in einer Pyramide, sondern sie stapeln sich auf einer Heizung. Ganz unten ist die Heizung – na ja, zu Füßen der Heizung steht der Fressnapf …
Also, nochmal: Fressnapf, Heizung, ich selbst, die Hand eines Streichelmenschen, die mir durchs warme Katerfell fährt. Dann ist da die Bewunderung, die der Streichelmensch mir entgegenbringt, und schließlich folgen meine klugen Katerkopfgedanken – ich beobachte von der Heizung aus lustige Dinge, die sich draußen zutragen; ich denke dabei an den herrlichen Duft von Baldrian und schmiede außergewöhnliche Pep-Pläne, und über all dem throne ich selbst mit meiner Vorstellung von Schnurrdieu, dem Katergott.
Maslow hat das Ganze nicht so schön wie ich beschrieben. Er hat stattdessen von physiologischen Bedürfnissen, Sicherheit und allerlei anderen Bedürfnissen nebst Selbstverwirklichung und Transzendenz gesprochen, beziehungsweise geschrieben.
Also, wenn ihr mich fragt, ist meine Heizungstheorie nicht nur stilistisch viel besser! Ich hab das bisher nur leider nicht veröffentlicht. Allein darum geht’s nämlich im harten akademischen Alltag. Wer nix publiziert, verliert. Das habe ich schon belauscht. Ob Maslow wohl viel Zeit auf der Heizung verbracht hat? Und welchen Bedürfnissen werden die Streichler im Lesesaal gerade gerecht?