Perry Rhodan 3282: Jenseits von Allerorten - Robert Corvus - E-Book

Perry Rhodan 3282: Jenseits von Allerorten E-Book

Robert Corvus

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Beschreibung

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr. Vielleicht kann Perry Rhodan, der als erster Mensch auf Außerirdische gestoßen ist, endlich sein großes Ziel erreichen: Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien. Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit. Doch ES weilt nicht mehr in der Milchstraße – das Geisteswesen ist in Fragmente zersplittert worden, die sich an verschiedenen Stellen im Kosmos befinden. Eines dieser Refugien wurde bereits von dem Raumschiff TEZEMDIA und seiner Besatzung entführt. Während Perry Rhodan sich an die Verfolgung macht, ist Gucky in der Galaxis Wolf-Lundmark-Melotte auf der Suche nach einem anderen Fragment. Dabei gerät er in die geheimnisvolle Stadt Allerorten – und darüber hinaus. Denn was er sucht, liegt JENSEITS VON ALLERORTEN ...

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Nr. 3282

Jenseits von Allerorten

Im kybernoiden Anderland – wo die Schwärme tanzen

Robert Corvus

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Grenzwächter

2. Die Schwärme

3. Relikte

4. Ein verlorener Freund

5. Entführer und Täuscher

6. Möhrenmaus

Stellaris 99

Vorwort

»Zielpunkt Aralon« von Gerry Haynaly

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

Das Ende des 21. Jahrhunderts Neuer Galaktischer Zeitrechnung ist angebrochen. Mehr als dreieinhalbtausend Jahre von unserer Zeit entfernt lebt die Menschheit in Frieden. Zwischen den Sternen der Milchstraße herrschen keine großen Konflikte mehr.

Vielleicht kann Perry Rhodan, der als erster Mensch auf Außerirdische gestoßen ist, endlich sein großes Ziel erreichen: Freundschaft und Frieden zwischen den Völkern der Milchstraße und der umliegenden Galaxien.

Bei ihrem Weg zu den Sternen hat ein geheimnisvolles Wesen die Menschen begleitet und unterstützt: Es trägt den Namen ES, man bezeichnet es als eine Superintelligenz, und es lebt seit vielen Millionen Jahren zwischen Zeit und Raum. Rhodan sieht ES als einen Mentor der Menschheit.

Doch ES weilt nicht mehr in der Milchstraße – das Geisteswesen ist in Fragmente zersplittert worden, die sich an verschiedenen Stellen im Kosmos befinden. Eines dieser Refugien wurde bereits von dem Raumschiff TEZEMDIA und seiner Besatzung entführt.

Während Perry Rhodan sich an die Verfolgung macht, ist Gucky in der Galaxis Wolf-Lundmark-Melotte auf der Suche nach einem anderen Fragment. Dabei gerät er in die geheimnisvolle Stadt Allerorten – und darüber hinaus. Denn was er sucht, liegt JENSEITS VON ALLERORTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Gucky – Der Ilt steht für seine Freunde ein.

Bouner Haad – Den Haluter fasziniert das Anderland.

Ghous-2-Appnu

1.

Grenzwächter

»Schaut genau hin, damit euch nichts entgeht!«, forderte Ghous-2-Appnu sie auf, beinahe zeitverlustfrei durch den Translator übersetzt.

Gucky aktivierte weitere Sensoren seines SERUNS. Alle potenziell relevanten Messwerte wurden für spätere Auswertungen auf einen Speicherkristall geschrieben.

Wobei sämtliche Instrumente dieselbe Beschränkung anzeigten. Das Gebiet, aus dem sie kamen – Anabranch, ein Viertel der multigalaktischen Stadt Allerorten –, erfassten sie problemlos bis in die feinsten Details. Beim gegenüberliegenden Flussufer dagegen, dem Anderland, ermittelten die Sensoren nur, was auch Guckys biologische Sinne wahrnahmen, und das war wenig. Für die Augen des Mausbibers sah es so aus, als führte die Brücke in einen glänzenden Nebel.

Die Breite des Flusses, über den sich die wie stählernes Flechtwerk anmutende Brücke spannte, taxierte der SERUN auf ungefähr 503 Meter – aber eben nur ungefähr. Wo der Anzug für gewöhnlich mit einer Genauigkeit im Millimeterbereich operierte, schwankte die Anzeige in diesem Fall mit einer Amplitude von zehn Metern.

Zudem ging eine hochdimensionale Strahlung von der Brücke aus. Sie war schwach und unregelmäßig, womöglich ein natürliches Phänomen; aber auch eine technische Einrichtung war nicht auszuschließen.

Ihr Führer wandte den Kopf, eine Bewegung, die der wuchtige Schnabel vergrößerte. Ghous-2-Appnu saß in einem Behältnis, das einem Eisenkrug ähnelte, den Gucky mit seinen Armen nicht hätte umfassen können. Der Veye hockte beinahe vollständig darin, nur der dürre Hals und der große Kopf schauten heraus. An der höchsten Stelle, wo Gucky ein Haar- oder Federbüschel erwartet hätte, wuchsen Tentakel. Diese Extremitäten nutzte der Veye hauptsächlich, um zu greifen oder zu drücken. Er besaß auch so etwas wie spindeldürre Arme, sogar ein Dutzend davon, aber die waren meist, wie in diesem Moment, in seinem schwebenden Gefährt verborgen.

Bouner Haad trat auf der anderen Seite neben Ghous-2-Appnu. In seinem feuerroten Einsatzanzug hob sich der Vierarmige stark von der Umgebung ab, in der Blau, Weiß und Grau dominierten, die Farben der Metalle, aus denen die Brücke bestand. Der mit knapp drei Metern für seinesgleichen kleine Haluter bog den Rücken nach hinten, wodurch es ihm mangels Hals leichter fallen dürfte, den Blick aufwärts zu richten. Das Brückengeflecht hüllte die Haupttrasse in lang gezogenen Spiralen ein, die einander kreuzten und aus denen sich Elemente gleich erstarrten Protuberanzen bis zu einhundert Meter weit herausschraubten.

»Beeindruckend«, urteilte Haad.

»Es ist doch noch gar nichts passiert«, sagte Ghous-2-Appnu.

Gucky blickte die Brücke entlang, sah aber nur ungenau Bewegungen kleiner Objekte, von denen die Sensoren kein einziges erfassten. Das Hyperspektrum zeigte das bekannte, unschlüssige Bild. Er esperte.

Das Ergebnis ähnelte dem der technischen Instrumente: Hinter ihm brodelte das Leben der Stadt mit Millionen Intelligenzwesen, deren Hoffnungen, Sorgen, vor allem aber alltägliche Erwägungen ein Rauschen ähnlich einer Meeresbrandung erzeugten. Die Gedanken von Ghous-2-Appnu waren erwartungsfroh und freudig, er wollte etwas teilen. Gucky sah keine Rechtfertigung, tiefer in die Privatsphäre ihres Führers einzudringen. Das galt ebenso für Haad, und so beließ es der Telepath bei der beiläufigen Wahrnehmung, dass sowohl das Ordinär- als auch das Planhirn des Haluters aktiv waren.

Was die Brücke vor ihnen oder gar das entfernte Ufer anging, vermochte Gucky nichts Konkretes zu erfassen – bekam jedoch den diffusen Eindruck, dass etwas dort dachte. Und zwar ein vielstimmiges Etwas, vergleichbar mit der Besatzung eines Großraumschiffs, wobei Gucky irritierenderweise keine Einzelgedanken aufnehmen konnte.

»Frisch voran!«, rief Ghous-2-Appnu. »Der Weg ist etwa zehnmal so weit, wie er erscheint.«

Er schwebte zwischen zwei Pylonen hindurch – und stürzte!

Gucky setzte an, ihn telekinetisch zu halten.

Aber er hatte sich getäuscht. Der Veye fiel nicht, er schrumpfte mitsamt seinem krugähnlichen Gefährt. Binnen Sekunden verlor er neun Zehntel seiner Größe, wobei er gleichzeitig in Guckys Sicht verschwamm. Auch die Sensoren erfassten ihn nicht länger.

Bouner Haad lachte dröhnend und machte einige entschlossene Schritte vorwärts, was bei ihm dasselbe bewirkte.

Gucky tat es ihnen nach. In seiner Wahrnehmung dehnte sich die Brücke aus: Sie schien länger und breiter zu werden, seitlich und über ihm schossen Geflecht und Pylonen in die Höhe. Doch das war nur ein Teil des Effekts. Farbige Lichter leuchteten zwischen den Metallsträngen auf, wie eng begrenzte Schirmfelder. Die Luft flimmerte und gab den Blick auf Ausleger, An- und Überbauten frei. Gebäude wurden sichtbar, darunter runde Türme und kubische Bauwerke, einige mit Reliefs verziert, die abregnende Wolken oder Blitze zeigten. Auch aus der Trasse, die bislang als ebene Straße erschienen war, wuchsen Bauten. Binnen Sekunden bildeten sich Straßenzüge, manche davon mit so tiefen Schluchten, dass das Tageslicht nicht herabreichte und Leuchtelemente für Helligkeit sorgen mussten. Fenster und Türen legten die Vermutung nahe, dass die Bewohner etwa Guckys Körpergröße hatten.

Vor sich sah er Bouner Haad und Ghous-2-Appnu wieder klar. Der Haluter ging auf die Laufarme nieder, bewegte sich ansonsten aber kaum. Er las wohl seine Instrumente ab.

»Das ist kein Effekt, der sich durch das Schrumpfen allein erklären ließe«, meinte Gucky.

»Das ist wahr«, pflichtete Ghous-2-Appnu ihm bei. »Diese Brücke ist ein technologisches Meisterwerk. Die ausgereifteste von allen, wenn du mir ein wenig Stolz gestattest. Heimat von einhunderttausend ständigen Bewohnern.«

»Einhunderttausend?«, rief Gucky überrascht.

Die Kopftentakel des Veyen bildeten ein Knäuel, entflochten sich jedoch sogleich wieder. »Ein Näherungswert, selbstverständlich.«

»Das habe ich angenommen, aber ... einhunderttausend ... in einem einzigen Bauwerk ...«

Gucky legte den Kopf in den Nacken. Anhand der Höhe des Geflechts fand er bestätigt, dass sie um den Faktor Zehn geschrumpft waren. Dann wäre die Brücke in diesem Maßstab fünf Kilometer lang ... Für eine solche Bewohnerzahl, zumal, wenn eine Infrastruktur für ein kontinuierliches Leben vorgehalten wurde, es sich also nicht nur um eine Arbeitsstätte handelte, musste es mehrere Ebenen geben.

Er sah auf den Boden. Zwar war der schwarzgraue Belag für seinen Blick undurchdringlich, nicht jedoch für seine Telepathie. Ja, auf der Brücke dachte eine gewaltige Menge von Lebewesen, und nunmehr konnte Gucky sogar einzelne Gedankenströme auseinanderhalten, wobei diese zu fremd waren, um direkt ausgelesen zu werden. Einhunderttausend Individuen ... die Zahl mochte zutreffen. Aus der Stadt, die sich inzwischen hinter einem verschmierten Glanz verbarg, esperte der Telepath nur noch eine diffuse Massenpräsenz.

»Bist du beeindruckt?«, fragte Ghous-2-Appnu.

»Das kann man so sagen.«

»Gut.« Der Brückengänger klapperte mit dem Schnabel. »Folgt mir!«

*

Vergnügt summte Bouner Haad die Ouvertüre aus Der fröhliche Blue, während er den beiden anderen durch eine Straßenschlucht folgte. Sein Planhirn überprüfte die Berechnungen der Anzugpositronik, was die Modelle zu Statik und Energiefluss der Brücke anging. Über die Stiefelsohlen sammelte er mikroskopische Materialproben, ebenso wie mit flüchtigen Berührungen der Gebäude. Immer neue Sensormessungen erweiterten die Datenbasis, eliminierten Unsicherheiten und verengten Schwankungsbreiten.

Die Streustrahlung, insbesondere im hyperenergetischen Spektrum, erwies sich als vielfältig. Haad ignorierte vorerst die Wellenlängen, die er mit dem Schrumpfungseffekt in Verbindung brachte. Das fiel leicht, weil er annehmen durfte, dass der konstante Effekt von Spektren mit konstanter Feldstärke etabliert wurde. Abseits davon gab es an- und abschwellende Energieflüsse, deren Wirkung dem Haluter unklar war. Offensichtlich waren Wandler am Werk, die Energiereservoirs ausschöpften und umformten, bevor sie zu Speichern und Verbrauchern geleitet wurden.

Ghous-2-Appnu führte sie an den Rand der Brücke, von wo seltsame Klänge herüberdrangen. Haad erkannte keine Melodien oder wiederkehrende Motive, wie er sie bei Musikkompositionen erwartete, aber dennoch Harmonien, die nicht zu den Begleitgeräuschen industrieller Prozesse passten.

Die kubischen Häuser wurden niedriger, bis die konventionelle Bebauung komplett endete. Stattdessen ragten halbrunde Plattformen zwischen geschwungenen Stützstrukturen über den Fluss. Halbmeterhohe Geländer bewahrten vor einem Absturz.

Erstmals trafen sie auf Bewohner der Brücke – und zwar gleich auf einige Hundert davon. Käfer mit ockergelben Körperpanzern krabbelten über die Flächen, wobei sie oftmals Schreitfolgen bildeten, indem sie ihre Oberkörper auf den hinteren Segmenten der vor ihnen Laufenden abstützten. Bei flüchtiger Betrachtung ähnelten sie dadurch vielfüßigen Würmern. Wenn sich die Individuen aufrichteten, was sie offenbar bevorzugt dann taten, wenn sie die Schreitfolgen auflösten, waren sie mit ungefähr einem Meter zwanzig etwas größer als Gucky.

»Was tun die?«, stellte der Mausbiber die naheliegende Frage. »Ist das eine Party?«

Zwischen den Käfern flimmerten neonfarbene Energiefelder. Sie dehnten sich zitternd aus, was sie zu flammenförmigen, zehn Meter hohen Erscheinungen machte. Dabei verloren sie an Leuchtintensität, bis sie schließlich verloschen.

Auf der Plattform waren die Geräusche intensiv zu hören – Pfeifen, Summen, Brummen, selten komplexere Tonfolgen. Die Schreitfolgen der Käfer umwanderten sie, wobei sie sich zuweilen gegenseitig den Weg abschnitten.

Haad beobachtete, wie sich eine kürzere Kette in eine eingliederte, die aus mehr Individuen bestand. Es mochte ein Zufall sein, dass sich die Richtung danach abrupt änderte und man zwischen eine gelbe und eine grüne Flamme zielte.

»Die Kahorr ernten Energie aus dem Hyperzufluss«, erklärte Ghous-2-Appnu. »Die brauchen sie für den Betrieb der Brücke. Insbesondere für Hyperkomponenten wie das Antipath-Feld.«

Erst bei der Erwähnung des mentalen Hindernisses fiel Haad auf, dass sich der Widerstand, der sie davon abgehalten hatte, die Brücke zu betreten, spurlos verflüchtigt hatte.

Illustration: Swen Papenbrock

»Seht dort!« Ghous-2-Appnu bewegte seinen Schnabel und die darüber flatternden Tentakel. »Sie haben eine verwertbare Quelle aufgespürt.«

Eine der Schreitfolgen kreiste eine rosafarbene Zitterflamme ein. Die Individuen trennten sich und krabbelten in die Leuchterscheinung. Offenbar suchte jedes eine optimale Position, um dort die Extremitäten an den Körperpanzer zu ziehen, sich einzurollen, soweit die Segmente es erlaubten, und zu erstarren.

»Der Kollektschlaf hat mich seit jeher begeistert«, sagte Ghous-2-Appnu. »Sie nehmen die Hyperenergie auf, um sie später in die Speicher zu tragen. Stellt euch vor, ihr würdet in kompletter Ruhe und Entspannung eine entscheidende Aufgabe für die Gemeinschaft vollbringen!«

Gucky nickte, aber Haad zeigte an einem Pylon hinauf, den zwei Dutzend Kahorr und einige Roboter in schwindelerregender Höhe umkreisten. »Sie gehen wohl auch handfesteren Tätigkeiten nach.«

Mithilfe des Optiksystems seines Anzugs, das eine Staffel von Linsen vor seine drei Augen projizierte, erkannte der Haluter, was sie taten.

»Sie reparieren einen Riss im Stahlplast.«

»Ungewöhnlich.« Ghous-2-Appnu klapperte mit dem Schnabel. »Eigentlich ist die Brücke sehr solide.«

Haad ließ seine Sensoren nach den spezifischen Emissionen der Reparaturroboter suchen. »Wenn ich nicht irre, sind mehr als dreißig solcher Trupps aktiv.«

»So viele?«, rief Ghous-2-Appnu. »Das ist ... erstaunlich.«

Eine Schreitfolge passierte sie in zwei Metern Entfernung. Jedes der Individuen drehte ihnen das Gesicht zu und zischte sie an.

»Ist das die übliche Begrüßung?«, fragte Haad.

»Für mich klingt es unfreundlich«, meinte Gucky.

»In der Tat.« Ghous-2-Appnu klappte den Schnabel auf und zu und legte die Kopftentakel in den Nacken. »Ich verstehe das nicht ... Sooft ich die Brücke schon beschritten habe: Die Kahorr waren immer freundlich, falls sie sich überhaupt für mich interessiert haben.«

»Fehlinterpretieren wir vielleicht ihr Verhalten?«, schlug Haad vor.

Ratlos sahen sie der Schreitfolge nach, die sich wieder dem Tanz zwischen den Zitterflammen anschloss.

»Wir sollten wohl ...«, begann Ghous-2-Appnu.

Haads Individualschirm baute sich auf. Sein Planhirn erfasste die minimale Zeitspanne, die zwischen dieser Schutzhandlung seines Anzugs und dem Auftreffen von auf ihn gezieltem Strahlerbeschuss lag.

Die Gefechtspositronik lokalisierte den Angreifer in einem verschnörkelten Aufbau am Rande der Plattform. Ein zweiter feuerte aus einem anderen Winkel, dann ein dritter. Der halutische Einsatzanzug aktivierte die Kunstmuskeln, um Haad den Handstrahler ziehen zu lassen – eine Waffe, die Kulturen weniger robuster Lebewesen als Geschütz klassifiziert hätten.

Doch die Gefahrenanalyse stufte den Angriff als harmlos ein. Der Schirm registrierte ausschließlich Paralysestrahlen, und zwar in einer Dosierung, die den Haluter selbst ohne Schutzschirm und Kampfanzug nicht zu beeinträchtigen vermocht hätte.

Bei dem Mausbiber wäre das wohl anders gewesen, aber auch Guckys Schirm hatte sich aufgebaut. Zudem hatte die Ausweichroutine des SERUNS ihn in die Höhe gerissen und steuerte ihn in die Deckung der Häuser.

Ungeschützt war nur Ghous-2-Appnu, und der schwankte tatsächlich in seinem kesselähnlichen Gefährt, dessen Rand er mit einigen seiner dürren Hände griff, die er normalerweise im Innern hielt. Haad sprang zu ihm und dehnte seinen Schirm über ihn aus.

»... Missverständnis ...«, nuschelte der Veye. Sein Unterschnabel war heruntergeklappt, die Muskulatur, die ihn bewegte, offenbar gelähmt.

*

Gucky teleportierte, um der gegnerischen Zielerfassung zu entkommen, blieb aber in der Nähe. Er schwebte 50 Meter über dem Boden zwischen zwei Wohntürmen, aus deren rautenförmigen Fenstern dunkelrotes Licht schien. Hoch über ihm kreuzten sich die Stränge des Stahlgeflechts, das die Brücke locker umwob. Jenseits davon lieferten die Sensoren keine sinnvollen Werte mehr, auch wenn er den wolkenlosen Himmel ebenso sah wie die von Wellen bewegte Oberfläche des Flusses hinter der halbkreisförmigen Plattform, auf der die Insektoiden Hyperenergie ernteten.

Seine Gefährten standen ebenfalls auf dieser Plattform. Bouner Haad legte den linken oberen Arm um das krugartige Gefährt ihres Führers.

»Dies ist ein Missverständnis!«, dröhnte seine Haluterstimme. »Wir sind keine Feinde!«

Dennoch leuchtete der HÜ-Schirm, den er auch über Ghous-2-Appnu gebreitet hatte, im Beschuss. Allerdings war es kein Aufblitzen, und ein Flackern oder gar Abstrahlflecken waren erst recht nicht zu sehen. Die Last reichte gerade aus, um die gestreckte Kuppelform der Energiebarriere mit einem grünen Schimmer zu markieren. Offenbar beschränkten sich die Kahorr weiterhin auf Paralysestrahlen.

Die Gefechtsfeldanzeige markierte die Positionen der Schützen. Drei hockten in den Bögen, die die Plattform umspielten, zwei im Erdgeschoss des Gebäudes rechts von Gucky, und einer flog mit einem Gravomodul umher. Sie alle schützten sich mit Individualschirmen, konnten also nicht auf die Schnelle außer Gefecht gesetzt werden.

Gucky öffnete seinen Geist für die Gedanken der Kahorr. Diejenigen unter den Schirmen erfasste er ebenso wenig wie seine Gefährten, aber die der Schreiter zwischen den zitternden Neonerscheinungen lagen offen vor ihm.

Was jedoch nicht bedeutete, dass er sie hätte auslesen können wie Dateien. Es war eher, als flösse Guckys Wahrnehmung über ein Relief, das die Gedanken der Insektoiden formten. Manche davon ragten steil und hoch auf, andere waren subtile Mulden. Die langfristigen Überzeugungen, die Weltbilder und Realitätswahrnehmungen, die nicht mehr bewusst hinterfragt wurden, bildeten große, aber über weite Distanzen gestreckte Wellen, auf deren Grund sich die präsenteren Gedanken ausformten. Es gab Brüche, schmerzhafte Einsichten, verdrängte Erkenntnisse, die das Bewusstsein mied. Es gab Wunschvorstellungen und Ängste, die besonders scharf konturiert waren, unabhängig davon, wie stark sie mit objektiv nachprüfbaren Fakten übereinstimmten. Wie die Welt wirklich war, spielte nur eine indirekte Rolle. Allein entscheidend war, wie sie gedacht wurde.

Guckys Wahrnehmung bedeckte all das wie ein zähflüssiger Film. Er konnte auf Einzelaspekte fokussieren, womit die Flüssigkeit an Fluidität gewann und in feinere Strukturen einsickerte, sodass er diese erkunden, den nebenläufigen und halbbewussten Gedanken folgen konnte. Es war, als könnte er mittels dieser Flüssigkeit tasten, als hätte jedes Molekül einen taktilen Sensor.

Aus all diesen vielen Eindrücken versuchte er, in seinem eigenen Verstand ein Abbild zu modellieren, einen Schritt zurückzutreten, es zu betrachten und zu begreifen, was er sah. In den seltensten Fällen, nämlich nur dann, wenn explizit in Worten gedacht wurde, glich das geschriebener oder gesprochener Sprache. Nahezu ebenso selten waren fotorealistische Bilder. Die telepathische Wahrnehmung war umfassend, sie war schnell, aber sie war auch höchst subjektiv und in aller Regel unfokussiert, ein vielfältiges Gemisch aus allem, was den Belauschten aktuell beschäftigte.

Die Wahrnehmung eines Wesens, das mit Facettenaugen die Welt betrachtete, die es sich mindestens ebenso stark über Gerüche erschloss, dessen Körperpanzer Reizgruben für elektrische Ströme kerbten, das in enger physischer Gemeinschaft und ständigem intellektuellem Austausch mit seinen Artgenossen lebte, die nahezu alle latent-passiv-weiblich waren, lag Gucky weitaus ferner als die eines Säugetiernachfahren. Hinzu kam, dass er keine Erfahrung mit Kahorr hatte.

Entsprechend vage und unsicher blieb seine Deutung. Ihm half jedoch, dass manche Muster in ähnlicher Weise von allen Kahorr auf der Plattform gedacht wurden. Abneigung drückte sich darin aus: Abwehr, Vorsicht, Misstrauen.

»Dies ist ein Missverständnis!«, wiederholte Haad, und auch das half, weil es ein akustischer Reiz war, der alle Kahorr erreichte. »Wir wollen Ihnen nichts Schlechtes!«

Das beschwor Bilder herauf, junge Erinnerungen an schwarz gekleidete Humanoide mit spitzen Helmen. Obwohl die Gestalten nicht ganz dem entsprachen, wie Gucky sich an sie erinnerte, erkannte er Vrochonen! Und auch an eine Art aufrecht gehende Schildkröte wurde er erinnert, mit sehr hellem Rückenpanzer, der bei bestimmtem Lichteinfall regenbogenfarben schillerte. Dazu eine blauäugige Echse mit gelblichen Schuppen und einem Zackenkamm: ein Hayele.

Das war die Schattengarde, der Gucky und seine Gefährten folgten.

Sie hatte sich offenbar ausgesprochen schlecht benommen, indem sie gedankenlos in die Gruppen von Kollektschläfern gestolpert war. Später wohl auch gezielt, so unterstellten es die Gedanken der Kahorr, und diese Erinnerung war mit Empörung gekoppelt. Die schlafenden Insektoiden waren in ihrer wichtigen Aufgabe, die Hyperenergie aus den neonfarbenen Leuchterscheinungen zu sammeln, gestört worden.

Und mehr noch: Falls Gucky die Gedanken richtig interpretierte, hatte eine solche Störung oftmals eine spontane Entladung von Paraenergien zur Folge. Ähnlich wie bei jemandem, der unbewusst um sich schlug, wenn man ihn wachrüttelte. In der Umgebung der Geweckten wurden andere Kahorr fortgeschleudert, Fenster zerbrachen, es kam auch zu Schäden an Wänden und Brückenelementen.

In dem Chaos tanzte die Schildkröte – aller Wahrscheinlichkeit nach der Thourine Danou Shinshid. Gucky presste die Kiefer aufeinander, weil er ahnte, was den Parapartizipierer so fröhlich gemacht hatte: Er konnte sich wie eine Zecke vollsaugen mit den freigesetzten Paraenergien. Diese gehörten zweifellos zum telekinetischen Spektrum, aber es war nicht auszuschließen, dass die Kahorr auch andere Kräfte nutzten, die in den Erinnerungen weniger offensichtlich zutage traten. Und was immer sie angewandt hatten – für eine gewisse Zeit würde Shinshid über dieselben Gaben verfügen. Das erhöhte die Gefährlichkeit ihrer Gegner drastisch!

Gucky versuchte, mehr herauszufinden, und glaubte zu erkennen, dass die Kahorr schließlich der Schattengarde die Passage zum fernen Ufer gewährt hatten. Ob das ein Verhandlungsergebnis oder notgedrungene Duldung gewesen war oder einen anderen Grund hatte, ließ sich nicht aus den Gedanken ersehen.

Diese pendelten sich verstärkt auf die Gegenwart ein. Ghous-2-Appnu lallte zwar unter den Nachwirkungen der Teilparalyse, war aber wieder halbwegs zu verstehen. Der Beschuss hatte aufgehört, stattdessen sammelten sich mehrere Gruppen von Einheimischen vor ihm und Haad.

»Ihr kennt mich doch!«, rief der Brückengänger. »Ich bin vertrauenswürdig! Die Steinäugige Duuta, Maiorin von Anabranch, vertraut uns ebenfalls.«

Pfeifend und quietschend bildeten sich Silben, die von mehreren Kahorr geformt wurden, bis ein Individuum zusammenhängende Wörter formte. »In welcher Weise zeigt sich das Vertrauen der Maiorin?«

Suchend drehte sich der Veye in seinem Gefährt, bis sein Blick Gucky fand. Er zeigte mit seinen Kopftentakeln herauf zu ihm. »Sie hat Gucky geholfen, indem sie ihm einen Thaotama injiziert hat. Aus medizinischen Gründen. Der Tanzschwarm stoppt den akuten Genzerfall dieses Pelzwesens.«

»Tanzschwarm!«

»Eingeschmuggelt!«

»Die Blockade durchdrungen!«

»Ein Thaotama – mitten unter uns!«

»Am Hyperzufluss!«

Die Ausrufe übertönten einander, die meisten verstand Gucky nur, weil er gleichzeitig esperte.

Vorsichtig schwebte er zu seinen Gefährten hinab. »Es war unklug, diese Information preiszugeben.«

»Das scheint mir auch so, Guckytos.« Haad hatte seinen Strahler wieder ins Magnetholster gesteckt, beobachtete die Kahorr aber mit halb ausgefahrenen Stielaugen. »Es missfällt ihnen wohl, dass du diese kybernoiden Mikroinsekten in dir trägst.«

»Ich bin mir auch immer noch nicht sicher, ob es mir selbst gefällt«, murmelte Gucky.

Einerseits fühlte er, dass der Schwarm das Fehlen seines Zellaktivators kompensierte. Andererseits wurde ihm mulmig zumute, wenn er darüber nachdachte, dass Millionen Kleinstlebewesen, die ein Kollektivbewusstsein verband, seinen Körper als Heimstatt benutzten und Nährstoffe aus seinem Kreislauf und seinem Gewebe bezogen.

»Einem solchen Besuch haben wir nie zugestimmt!«, rief die Wortführerin. Das darauffolgende, vielstimmige Pfeifen und Zischen drückte wohl die Zustimmung der Menge aus.

»Ich bitte euch!« Ghous-2-Appnu kam so weit aus seinem Behältnis heraus, dass er mit einem Dutzend seiner dürren Ärmchen beschwichtigende Gesten vollführen konnte. »Beruhigt euch! Steigert euch nicht in diese Sache hinein!«

Bis auf die Kollektschlafenden hatten sich alle Kahorr um sie versammelt. Einige nutzten sogar Gravomodule, um eine bessere Sicht auf die Fremden zu erhaschen, sodass sie auch nach oben hin eingeschlossen wurden.

»Denkt daran, dass wir stets gut miteinander ausgekommen sind!«, appellierte Ghous-2-Appnu. »Lasst uns diese Angelegenheit in Ruhe besprechen! Welche Vielmutter reguliert diesen Brückensektor?«

Das Pfeifen und Zischen wurde derart vielfältig, dass selbst seine Telepathie nicht ausreichte, dass Gucky der hastig und emotional geführten Diskussion hätte folgen können.

Aber nach einer Minute zeigte sich eine Kongruenz, die Meinungen und Wünsche der Insektoiden fanden zusammen. »Wir bringen dich zur Vielmutter, damit du mit ihr sprechen kannst«, teilte die Wortführerin das Ergebnis mit.

»Selbstverständlich begleiten wir unseren Freund«, dröhnte Haad mit einem Bass, der die Umstehenden und in der Nähe Fliegenden zurückweichen ließ.

»Dafür bist du zu voluminös!«, wehrte die Wortführerin ab. »Unsere Räumlichkeiten sind nicht auf Riesenwuchs ausgelegt.«

Dagegen ließ sich nichts einwenden, fand Gucky. Und dass man ihn, einen mit einem Thaotama Infizierten, ins Sanktum einer Würdenträgerin vorlassen würde, war nach der vorangegangenen Diskussion wohl ohnehin ausgeschlossen.

*

Die meisten Kahorr fielen wieder in ihre Schreitfolgen auf der Plattform. Nur eine Handvoll blieb in der unmittelbaren Nähe und beobachtete Bouner Haad und Gucky mit starren Insektenaugen. Der Anzug des Haluters markierte Bewaffnete, die in der Umgebung aufzogen, stufte die Gefährdung nach der bisherigen Erfahrung jedoch als minimal ein. Haad vermutete, dass die Brückenbewohner durchaus über Waffen mit höherer Durchschlagskraft verfügten, etwa Thermo- oder Impulsstrahler, aber ihre Abneigung ging wohl nicht so weit, dass sie die Besucher verletzen wollten.