Perry Rhodan Neo 292: Der Fall Kerlon - Dietmar Schmidt - E-Book + Hörbuch

Perry Rhodan Neo 292: Der Fall Kerlon E-Book und Hörbuch

Dietmar Schmidt

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Beschreibung

Vor sieben Jahrzehnten ist Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen. Danach ist die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen und hat fremde Welten besiedelt, ist aber auch in kosmische Konflikte verwickelt worden. Seit sechs Jahren umkreisen Erde und Mond eine fremde Sonne. Die Gewaltherrschaft des Kriegsherrn Leticron auf den von Menschen besiedelten Planeten ist immerhin beendet. Aber der Überschwere hat sich nur vorübergehend zurückgezogen und plant, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern. Ein erster Versuch auf Rumal ist gescheitert. Perry Rhodan will mehr über die Gefahr herausfinden und reist mit der SOL nach M 13. Dort stellt er fest, dass Leticron sich die Adligen des arkonidischen Imperiums gefügig gemacht hat. Statt sich dem Usurpator zu widersetzen, jubeln sie ihm zu – ein besonders drastisches Beispiel für ihren Verrat ist DER FALL KERLON ...

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Zeit:5 Std. 48 min

Sprecher:Axel Gottschick
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Band 292

Der Fall Kerlon

Dietmar Schmidt

Cover

Vorspann

1. Kerlon

2. Perry Rhodan

3. Ihin da Achran

4. Perry Rhodan

5. Ihin da Achran

6. Perry Rhodan

7. Ihin da Achran

8. Kerlon

9. Perry Rhodan

10. Atlan

11. Atlan

12. Ihin die Jüngere

13. Ihin die Jüngere

14. Ihin die Jüngere

15. Kerlon

16. Perry Rhodan

Impressum

Vor sieben Jahrzehnten ist Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen. Danach ist die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen und hat fremde Welten besiedelt, ist aber auch in kosmische Konflikte verwickelt worden.

Seit sechs Jahren umkreisen Erde und Mond eine fremde Sonne. Die Gewaltherrschaft des Kriegsherrn Leticron auf den von Menschen besiedelten Planeten ist immerhin beendet. Aber der Überschwere hat sich nur vorübergehend zurückgezogen und plant, die verlorenen Gebiete zurückzuerobern.

Ein erster Versuch auf Rumal ist gescheitert. Perry Rhodan will mehr über die Gefahr herausfinden und reist mit der SOL nach M 13.

Dort stellt er fest, dass Leticron sich die Adligen des arkonidischen Imperiums gefügig gemacht hat. Statt sich dem Usurpator zu widersetzen, jubeln sie ihm zu – ein besonders drastisches Beispiel für ihren Verrat ist DER FALL KERLON ...

»Geduld macht Schwieriges leicht und holt weit Entferntes nah heran. Dies sagt Weidenburn.«

1.

Kerlon

Arkon II, 17. Oktober 2108

Wir loben die alten Zeiten, leben aber in unseren.

Der Kristallpolizist war ein vierschrötiger Kerl, dessen Gesicht vom undurchsichtigen Visier eines roten Einsatzhelms komplett verdeckt wurde. Der Tritt, mit dem Kerlon ihn am Knie getroffen hatte, als der Ti-Ra-Gosista ihn ergreifen wollte, war von der ebenfalls roten Körperpanzerung fast völlig absorbiert worden, hatte den Polizisten aber trotzdem ins Straucheln gebracht.

Und das genügte Kerlon.

Ringsum war der Tumult vollends entbrannt. Wütende Essoya-Veteranen sprangen auf die Bühne des Festsaals und gerieten in Rangeleien mit den Gosistas. Andere prügelten sich auf den bodennahen Schwebelogen mit ebenso erzürnten Adligen.

Kerlon biss die Zähne zusammen. Die Festveranstaltung zur Lobpreisung des Großen Imperiums von Arkon war zu einer Saalschlacht verkommen.

Mit einem Tritt gegen das andere Bein und einem Handkantenschlag zwischen Hals und Schulter brachte Kerlon seinen Gegner endgültig zu Boden. Und das, obwohl Kerlons linker Arm betäubt hinunterhing und nur totes Gewicht war. So zu kämpfen, lernte man in keiner Dagorschule. Man lernte es, wo Kerlon und Saarver aufgewachsen waren: in den Gassen hinter den Raumhafenbars von Arkon II und in den Labyrinthen der Trümmerviertel von Torgona'Secinda, aus denen verirrte Aristokraten nie wieder herausfanden. Man lernte es, wenn man die Früchte seiner Arbeit nicht zum überwiegenden Teil an Straßenbanden abliefern, sondern für sich behalten wollte. Saarver und er hatten sich in den entsprechenden Gegenden der Äquatorstadt Torgona den Ruf erworben, dass man sie besser in Ruhe ließ.

Mittlerweile war Kerlon alt, ein Veteran der imperialen Raumflotte, aber mit Schlägertypen wurde er noch immer fertig, ob sie nun eine schmutzige Tunika mit grünlichen Namahooraflecken trugen oder die zinnoberrote Kombination der Ti-Ra-Gosistas mit dem lächerlichen, halblangen, scharlachroten Umhang.

Während er keuchend auf seinen gefällten Feind starrte und sich den tauben linken Arm hielt, musste sich Kerlon fragen, ob er wirklich erlebte, was gerade geschah, oder ob er einen Albtraum durchlitt. Dabei hatte der Tag so gut begonnen ...

Saarver wäre stolz auf ihn gewesen, hätte er ihn nun sehen können.

Aber während Kerlon vor das Plenum der Veteranentage trat, der Gor'Omata Pragos, umkreiste Saarver als radioaktiver Staub eine Sonne, deren Namen Kerlon nie erfahren hatte, aus Gründen der Geheimhaltung. Sein Bruder und er waren gemeinsam in die arkonidische Raumflotte eingetreten, nachdem sie sich auf der Handelswelt einen Zarakh'athor zum Feind gemacht hatten, einen Verbrecherkönig, dem sie auch vereint nicht hatten standhalten können.

Gemeinsam hatten sie die Grundausbildung überstanden und waren zu Arbtanen aufgestiegen. Gemeinsam hatten sie das Offizierspatent erhalten und waren Orbtonen geworden. Dann hatten sich ihre Wege getrennt; sie kamen an Bord verschiedener Schiffe. Bei beiden war der Extrasinn nicht aktiviert worden; es gab zwar Essoya, die die Ark Summia erhielten, aber er und sein Bruder zählten nicht dazu. Damit war ihnen der Aufstieg in die Reihen der Planetenträger oder gar Sonnenträger versperrt, aber sie waren entschlossen gewesen, es dennoch so weit zu bringen, wie sie konnten. Doch als Kerlon der Moas Orbton, der Erste Offizier eines Kreuzers wurde, war Saarver im Kampf gegen Raumpiraten gefallen.

Kerlon hatte Karriere gemacht, war Mondträger geworden und hatte sich weiter bewährt, bis er schließlich als Dor'athor den Schweren Kreuzer IGHOTA kommandiert hatte, um später ein Raumabwehrfort samt Wachverband aus Leichten Kreuzern und Korvetten zu befehligen. Längst indes war er ein in Würde entlassener Veteran und trug die weiße Paradeuniform der Flotte nur noch ehrenhalber, an der linken Brustseite prangten drei schwarze Mondscheiben, Abzeichen seines letzten Dienstgrads. Und er sollte auf den Veteranentagen eine Rede halten.

Nicht schlecht für einen dreckigen Essoya. Auch wenn die Rede, die ihm die Flottenbehörde zugeschickt hatte, damit er sie hielt, eine miese Rede war.

Die Festhalle auf Mehan'Ranton, der Handelswelt Arkon II, hatte die Form eines Trichterbaus, eines Khasurns, aber nicht irgendeines Kelchs: Sie wies die gleichen Proportionen auf wie der Kristallpalast, war jedoch viel kleiner und überdacht. Ihre Innengestaltung war den Kaskaden auf der Außenfassade des Gos'Teaultokan nachempfunden. Sie war ausschließlich Veranstaltungen der Raumflotte vorbehalten, ein Symbol dafür, dass das Militär dem Imperium nicht nur äußeren Schutz, sondern auch innere Stärke schenkte.

Kerlon wartete bereits auf der Bühne, ohne aus dem Zuschauerraum sichtbar zu sein. Das Podium genau im Zentrum des Trichterstiels gehörte noch jemand anderem. Im Parkett vor der Bühne standen geordnet die Essoya-Veteranen, eine Reihe hinter der anderen. Darüber schwebten die Logen der Aristokraten. Wie weiße Sterne standen sie vor dem schwarzen Hintergrund der Wände des Trichterrohrs und des Kelchs – je höher, desto erlauchter. Große Hologramme und Akustikfelder versorgten jeden höheren Platz mit dem bestmöglichen Blick auf den Redner.

Für Kerlon stellten die Schwebelogen eine pure Verschwendung von Energie dar, und bezeichnenderweise blieben sie den Aristokraten vorbehalten.

Die erlauchteste Loge war an diesem Tag unbesetzt: Die staatlichen Medien hatten verlautbart, dass Imperator Gonozal VII. tot sei und sein Sohn ihn verraten habe. Die genaueren Umstände würden bei einer Ansprache offengelegt werden, die Leticron dem gesamten arkonidischen Volk in Kürze zu halten gedenke. Leticron, der Erste Hetran der Gon-Mekara, regierte das Imperium seit sieben Jahren mit eiserner Faust, aber wie lange er sich halten konnte, darüber wäre gewiss noch zu reden.

Denn Gerüchte besagten, dass Leticron, statt nur der De-facto-Alleinherrscher zu sein, nun auch die formelle Inthronisierung als Imperator anstrebte, mit allen altehrwürdigen Zeremonien, dem ganzen pompösen Ritual. Gut möglich, dass das den Ausschlag gab: Kein Arkonide mit einem Rest Mumm im Herzen und einem Tropfen Blut in den Adern würde einen Überschweren auf dem Kristallthron dulden.

Auf dem Podium stand derzeit der Keon'athor außer Dienst Garok de Monizér und rühmte die glorreiche Zukunft, die Arkon durch die Zusammenarbeit mit den Gon-Mekara winke. Für Kerlon schien diese Zusammenarbeit vor allem darin zu bestehen, dass arkonidische Kampfschiffwerften auf Arkon III statt traditionellen Kugelraumern vor allem Walzenschiffe bauten. Fast täglich lief auf der Kriegswelt ein Neubau von den Fertigungsstraßen und wurde mit Transformkanonen ausgerüstet, die von den Mehandor offenbar kaum in ausreichender Stückzahl herbeigeschafft werden konnten. Die immensen Kosten saugten die arkonidische Wirtschaft leer, legten die Ökonomie trocken. Manche Waren wurden täglich teurer, was Aristokraten kaum bekümmerte, Essoya hingegen sehr empfindlich zu spüren bekamen.

Aber für Prunkveranstaltungen wie die Gor'Omata Pragos waren immer genug Mittel vorhanden. De Monizérs Lobpreisungen standen offenbar stellvertretend für die ganze Aristokratie: Den Adligen schien das Schicksal der einfachen Leute so egal zu sein wie eh und je.

Kerlon konnte kaum an sich halten, er hätte am liebsten ausgespuckt. Die Sternengötter hatten ihm seinen Platz zugewiesen, den Aristokraten einen anderen, aber jede Stellung war mit Pflichten verbunden. Er hatte seine Pflicht stets erfüllt, deshalb durfte er von den Khasurnen erwarten, dass sie sich in dieser Situation vor die Essoya stellten und nicht auf die Seite der Überschweren, der Besatzer. Hatten die Adelshäuser vergessen, dass die Gon-Mekara mit ihren Transformkanonen bei der Besetzung des Arkonsystems die arkonidische Heimatflotte erbarmungslos zusammengeschossen hatten?

Soweit Kerlon sehen konnte, teilten die Essoya in den vorderen Reihen seine negative Meinung. Ihre Gesichter waren verzerrt vor Wut und Abscheu. Trotzdem schwiegen sie; Höflichkeit und der Respekt vor dem Dienstgrad des Zweisonnenträgers de Monizér geboten es. Aber ihnen war überdeutlich anzusehen, dass sie allein den Rang respektierten und nicht den Mann.

De Monizér kam an den Schluss seiner Rede. »Ein neues Zeitalter für Arkon bricht an, ein neues Zeitalter für das Imperium. Indem wir das Alte wieder in uns aufnehmen, erneuern wir uns. Möge aus der Fusion von Tai Ark'Tussan und Gon-Mekara etwas Neues hervorgehen, mit frischer Schaffenskraft! Es wird nicht lange dauern, und uns gehört nicht nur Thantur-Lok, sondern die gesamte Debara Hamtar. Seien wir stolz auf unsere Vergangenheit, gehen wir stolz in die Zukunft. Und diese Zukunft ist die Exemplarische Instanz.«

Von den Antigravlogen der Aristokraten kam Applaus, der jedoch rasch im aufbrandenden Wutgebrüll aus den Reihen der Essoya unterging.

»Kriecher!«

»Vasall!«

»Speichellecker!«

»Gon-Mekara-Lakai!«

»Ke'horak!« Hochverräter nannten sie den Sonnenträger? Deutliche Worte. Kerlon zog die Brauen hoch.

Der Applaus der Khasurne wurde lauter. Akustikfelder waren etwas Praktisches, dachte Kerlon: Man konnte ihre Lautstärke hochregeln. Die Beifallsbekundungen übertönten fast sofort die Schmähungen der Essoya-Veteranen. Als de Monizér vom Podium trat, war sein Gesicht zwar unbewegt, aber in seinen Augen glänzte es feucht, als einziges schwaches Zeichen einer Gemütserregung.

Er stapfte auf Kerlon zu, um an ihm vorbei zum Ausgang zu gelangen. Dabei streifte de Monizér ihn mit einem Blick, der kurz an Kerlons Bart hängen blieb. Verächtlich verzog er den Mund. Kerlon wusste den Grund dafür: Bei Aristokraten waren Bärte verpönt, nur Essoya ließen sich mit Haaren an Kinn, Wangen und Oberlippe in der Öffentlichkeit sehen.

Kerlon blieb ungerührt. Mit der rechten Faust schlug er sich auf die linke Schulter, die militärischen Ehrenbezeigung, die er fast sein ganzes Leben lang zelebriert hatte. De Monizérs Blick indes ging nun durch ihn hindurch. Ganz gleich, welchen Unsinn er redete, dem Keon'athor stand gewiss zu, dass man vor ihm salutierte, aber den Regularien gemäß hatte er den Gruß seinerseits zu erwidern, völlig unabhängig von Kerlons Barttracht.

War es wichtig? De Monizér war nicht mehr bei der Flotte, und Kerlon ebenfalls nicht. Sie bemannten keine Raumschiffe mehr, sie redeten nur von alten Zeiten.

Egal! »Grüßen Sie die Uniform, nicht den Mann, Keon'athor«, sagte er laut und deutlich. Ein Appell aus alter Zeit: Die Ironie, dass er einen Aristokraten zur Wahrung der Tradition aufrief, amüsierte Kerlon fast.

De Monizérs Augen wurden feuchter, und er presste die Lippen zusammen. Vermutlich musste er sich zum ersten Mal in seinem Leben von einem Essoya über Umgangsformen belehren lassen. Sein Schlag vor die Schulter über den beiden Sonnen seines Rangs als Flottenkommandant kam abgehackt und war so schnell vorbei, dass man sich fragen konnte, ob man ihn nur geträumt hatte.

Von den vordersten Essoya im Publikum, die den kurzen Vorfall mitbekommen hatten, kam Johlen und Applaus, ein Beifall, der sich rasch über die Stehplätze ausbreitete. Man bejubelte Kerlon, bevor er überhaupt ein Wort gesagt hatte.

Und dann sollte er seine Rede halten. Er war als Nächster an der Reihe. Während seiner gesamten Flottenlaufbahn hatte Kerlon als wortkarger Mann gegolten. Saarver war der Eloquente von ihnen beiden gewesen. Aber die Einladung, auf den Gor'Omata Pragos zu sprechen, lehnte man nicht ab, deshalb würde er die Rede halten.

Die beschissenste Rede seines Lebens.

Solche Ausdrucksweisen allerdings sollte er dabei wohl besser vermeiden. In die populären Heldendramen des Trivids schaffte ihre Umgangssprache es nie, aber die Essoya in der imperialen Flotte benutzten Kraftausdrücke in Wahrheit wie andere Leute Punkt und Komma. Sogar adlige Offiziersanwärter und Orbtonen mussten sich einer »blumigen« Ausdrucksweise befleißigen, wollten sie von ihren Essoya-Untergebenen ernst genommen werden. Sobald sie in höhere Ränge aufrückten, verlor sich das wieder. Und auf den Logen des Festsaals saßen viele aristokratische Offiziere im Ruhestand.

Gerade deshalb!, dachte Kerlon aus einem jähen Trotzimpuls heraus. Er war ein Essoya, er blieb ein Essoya, er trug einen Vollbart wie ein Essoya. Warum sollte er sich nicht ausdrücken wie ein Essoya? Warum sollte er sich verstellen?

In diesem Moment entschied er endgültig, die Rede, die man ihm vorgegeben hatte, nicht zu halten. Aus de Monizérs Mund hatte Kerlon fast die gleichen Worte gehört, die auch ihm von den Organisatoren aufgetragen worden waren.

Üblicherweise waren die Gor'Omata Pragos eigentlich von tiefem Eintauchen in nostalgische Gefühle geprägt; die hehre Vergangenheit wurde bejubelt, das Tai Ark'Tussan verherrlicht. Die Veteranen der arkonidischen Raumflotte klopften sich auf die Schultern und feierten zwanzigtausend Jahre Erfolg. Auf den aktuellen Veteranentagen jedoch sollte nicht das Imperium in seiner bisherigen Form gepriesen werden, sondern die von Leticron etablierte Exemplarische Instanz.

Nachdem Kerlon ins Zentrum des Podiums getreten war, hielt er stattdessen die Rede, die er selbst geschrieben hatte; eine Ansprache, die Saarver gefallen hätte. Eine Rede über Arkons Ruhm und Ehre. Die Gon-Mekara erwähnte er mit keinem Wort, die Exemplarische Instanz kam nicht darin vor.

Mitten im Satz bemerkte Kerlon hinter sich Bewegung auf der Bühne. Er ignorierte es und sprach weiter. Vom Licht der Schwebelogen geblendet, konnte er nur die vordersten Zuschauerreihen erkennen. Die Gesichter der Männer und Frauen, die dort standen, verfinsterten sich. Kerlon brachte seinen Satz zu Ende und blickte über die Schulter zurück.

In seinem Rücken hatten sich mehrere Uniformierte aufgestellt. Sie trugen zinnoberrote Einsatzkombinationen mit einem halblangen, scharlachroten Umhang, beides mit silbernem Besatz. In den Händen hielten sie schwere Paralysatoren, und an ihrer Montur erkannte Kerlon Schutzschirmprojektoren.

Ti-Ra-Gosistas! Die Sicherheitspolizei von Tiga Ranton war erschienen. Zwei ihrer Beamten hatten den Eingang des Festgebäudes gesichert und die Besucher kontrolliert, aber ohne schwere Ausrüstung. Wo kamen diese Schergen nun her?

Während die Celistas des imperialen Geheimdienstes die Gegnerermittlung durch heimliche Unterwanderung und Bespitzelung staatskritischer Vereinigungen übernahmen, war die Kristallpolizei für die öffentliche Verfolgung politischer und staatsgefährdender Straftaten zuständig. Ihre offizielle Bezeichnung lautete Tiga Ranton Gosner, was »Wohl der Drei Welten« bedeutete. Ihre Mitarbeiter hießen Ti-Ra-Gosistas und wurden im allgemeinen Sprachgebrauch meist einfach Gosistas genannt. Im Gegensatz zu Celistas traten Gosistas im Dienst stets uniformiert und unmaskiert auf.

Kerlon schürzte die Lippen. Er hatte es wohl auf die Spitze getrieben, als er die behördlich vorgeschlagene Lobhudelei der Exemplarischen Instanz ignorierte.

Gerade als er sich wieder umwenden und seine Rede fortsetzen wollte, trat ein Orbton vor und winkte ihn zu sich. Kerlon stockte kurz in seiner Bewegung, aber dann blickte er doch wieder ins Publikum und sprach weiter.

Schon nach einem – kurzen – Satz hörte er Schritte hinter sich näher kommen. Gosistas bauten sich links und rechts von ihm auf. Aber sie griffen noch nicht zu.

Er sprach einen weiteren Satz. Der Offizier, den er gesehen hatte, stellte sich seitlich vor Kerlon und hob die Arme, um die Aufmerksamkeit der Leute im Zuschauerraum auf sich zu lenken. Gleichzeitig verfärbte sich das Mikrofonfeld, das vor Kerlon schwebte, von Grün nach Rot. Sie hatten es stumm geschaltet.

»Ich bin Gos'Orbton Kunkor da Galoth von der Tiga Ranton Gosner«, teilte der Kristallpolizist dem Auditorium mit. »Diese Versammlung ist beendet, weil die Exemplarische Instanz hier nicht nur missachtet, sondern in den Schmutz gezogen wird.«

Wütende Rufe von den Essoya unterbrachen ihn. Kerlon presste die Lippen zusammen. Sofort war ihm klar: Sie wollten ihn wegen Hochverrats anklagen – und nicht Leticrons aristokratische Wasserträger, die diesen Vorwurf verdient hatten. Und es kam noch schlimmer.

Ungläubig riss Kerlon die Augen auf, als aus den Akustikfeldern Jubel und Beifall der Adligen schallte.

Im nächsten Moment verschwamm ihm die Sicht. Die aristokratischen Veteranen verrieten das Imperium! Kerlon war immer mit dem Platz zufrieden gewesen, an den die She'Huhan ihn gestellt hatten, und er hatte, wenn auch nicht ganz kritiklos, zu den Khasurnen aufgeblickt, die ihm die Tradition übergeordnet hatte. Nun aber zogen die Aristokraten die Tradition in den Dreck und stellten sich gegen das Tai Ark'Tussan an die Seite der elenden Gon-Mekara, und wenn ein Essoya die Exemplarische Instanz unerwähnt ließ, beging er Hochverrat.

Kerlon wurde klar, dass er in diesem Augenblick nicht mal Wut empfinden konnte. Was ihn erfüllte, war eine grenzenlose Enttäuschung, und er begriff: So konnte es nicht weitergehen.

Jahrzehntelang hatte er sich eingeredet, dass es nichts brachte, wenn er das Wort ergriff. Trotz, den er immer unterdrückt hatte, brach sich Bahn. Aus vollem Hals brüllte er, und es war ihm egal, ob ihn jemand verstehen konnte. Wichtig war nur, dass er aussprach, was ausgesprochen werden musste. »Die oft angeführte Dekadenz des Adels manifestiert sich in der Gefolgschaft zu Leticron und seinen Überschweren! Hätten die Khasurne noch einen Funken jener Ehre, von denen sie tontalang faseln können, würden sie sich lieber in den nächsten Konverter stürzen, als der Exemplarischen Instanz Treue zu geloben. Der Adel verrät Arkon! Ihr alle, deren Herz noch für das Tai Ark'Tussan schlägt, habt es längst selbst erkannt: Wenn der Adel das Imperium nicht mehr trägt, müssen wir Essoya ...«

Gos'Orbton da Galoth positionierte sich direkt zwischen ihn und das Publikum. Ein Grinsen breitete sich über das Gesicht des Gosistas aus. »Kerlon, ich verhafte Sie wegen staatsverräterischer Äußerungen gegen die Exemplarische Instanz und das Imperium von Arkon.«

Die wütenden Rufe aus den Reihen der Essoya schwollen an und übertönten sogar den künstlich verstärkten Jubel der Aristokraten in den Schwebelogen.

Aber dabei blieb es nicht. Ein Essoya sprang auf das Podium und griff da Galoth mit bloßen Händen an. Der Gos'Orbton wich dem Schwinger aus, und zwei Paralysatoren sirrten. Von beiden Schützen getroffen, brach der Mann zusammen.

Die Essoya ließen sich davon jedoch nicht einschüchtern. Im Gegenteil. Auf der ganzen Breite der Bühne sprangen Arkoniden in weißen Paradeuniformen aufs Podium. In den Händen hielten sie Ehrenwaffen – Dolche, leichte Paralysatoren, kurze Schwerter.

Die zwei Kristallpolizisten links und rechts von Kerlon wollten ihn an den Armen ergreifen, aber trotz seines höheren Alters war er schneller. Er wich ihnen aus, wandte sich einem der beiden zu, schmetterte ihm den Handballen auf die Nasenwurzel, dass er bewusstlos zu Boden ging, und trat fast im gleichen Moment nach hinten aus. Sein Fuß traf den verbliebenen Gosista knapp unter dem rechten Knie, und Kerlon hörte einen befriedigenden Schmerzensschrei.

Nachdem er den zweiten Mann ausgeschaltet hatte, zog er sich zu den anderen Essoya zurück und grinste dabei leicht. Die Tiga Ranton Gosner war eine militärisch bewaffnete und ausgebildete Truppe, aber womöglich sollte man sie mal aus den Kasernen werfen und die Streife in den Gassen von Torgona'Secinda übernehmen lassen. Dort würden sie sich vielleicht von ihren Träumen, Dagorista zu sein, verabschieden und lernen, schmutzig zu kämpfen.

So wie Saarver und Kerlon.

Paralysatorstrahlen sirrten, erst von der Bühne, dann auch von den Schwebelogen. Von oben trafen Schüsse sowohl die Essoya als auch die Kristallpolizisten. War sich der Adel doch uneins? Im nächsten Moment flammte Licht im Saal auf, und Kerlon sah, dass auf den Logen nur ganz vereinzelt jemand für die Essoya Partei bezog, und diese wenigen wurden rasch niedergekämpft.

Mehrere Kristallpolizisten lagen paralysiert am Boden, aber die Türen zu den Hinterzimmern der Bühne flogen auf, und Verstärkung kam herein. Die neuen Gosistas feuerten sofort mit Paralysatoren. Ihnen folgten weitere Leute mit Kombistrahlern und sogar einer mit einem Luccot. Kerlon hätte beinahe ungläubig gelacht. Was wollte der Kerl mit einem Impulsstrahler? Glaubte er, an diesem Ort gegen Flugpanzer kämpfen zu müssen? Ihm entging indes nicht, dass die Gosistas mit den schweren Waffen vom Flimmern ihrer Individualschutzschirme umgeben waren. Sie waren nicht darauf aus, Personen festzunehmen. Sie standen offenbar nur für den Fall bereit, dass die Lage außer Kontrolle geriet.

Unter keinen Umständen durfte Kerlon zulassen, dass wegen seiner Rede Arkoniden getötet wurden. Er hatte schon genügend angerichtet.

Aber wie es aussah, eskalierte die Situation zunehmend.

Auf der Bühne befanden sich Essoya in wildem Handgemenge mit Gosistas. Die Kristallpolizisten hatten die Paralysatoren weggesteckt oder fallen gelassen und setzten Schockschlagstöcke ein, die auf ganzer Länge von bläulichen Lichtbögen und Überschlagblitzen umtanzt wurden – ein rein optischer Effekt, der vielleicht Zivilisten beeindruckte, aber keine Veteranen der arkonidischen Raumflotte. Ein Gosista taumelte von seinem Gegner zurück, mit einem klaffenden Schnitt in der Wange, während sein Blut von der Klinge des Kurzschwerts tropfte, das ein Essoya in der Hand hielt.

Andere Essoya waren auf die bodennäheren Schwebebühnen gesprungen, prügelten auf die Adligen dort ein und warfen sie in die Fäuste schüttelnde Menge. Die siegreichen Veteranen kämpften sich nach oben vor, indem sie von einer Antigravloge zu anderen sprangen wie Wasserpiraten in einem historischen Holodrama.

Unterschiedslos wurden Männer und Frauen durch Klingenwaffen verletzt, auf beiden Seiten brandeten immer wieder Wutgebrüll und Schmerzensschreie auf.

Ein erster Adliger stürzte aus einer Höhe, die lebensbedrohlich war, als zwei Kristallpolizisten gemeinsam ihre Schockschlagstöcke gegen Kerlon einsetzten. Er duckte sich unter dem Hieb des ersten hindurch und versetzte ihm zwei Faustschläge in den Bauchbereich unter dem Knochen der Brustplatte. Der Mann krümmte sich, aber bevor Kerlon ihn mit einem Nackenhieb zu Boden strecken konnte, raste der Schlagstock des zweiten Gosistas auf Kerlon zu. Er konnte dem knisternden, blitzüberzogenen Knüppel gerade noch ausweichen, wurde aber davon gestreift und biss schmerzerfüllt die Zähne aufeinander. Sein linker Arm war von den Fingerspitzen bis zum Schultergelenk jählings taub.

Trotzdem bekam er mit, wie der in die Tiefe fallende Adlige, seiner Uniform nach ein ehemaliger Planetenträger, von einem Prallfeld über den Köpfen der Essoya abgefangen wurde. Das Feld setzte ihn aber nicht sanft am Boden ab, wo zornige Gegner auf ihn warteten, sondern blieb bestehen und hielt ihn in der Schwebe. Das Gleiche galt für die drei, vier aristokratischen Veteranen, die dem ersten folgten.

Während Kerlon den Kristallpolizisten vor ihm mit einem Knietritt zu Fall brachte, fragte er sich, wie viele Personen das Prallfeldsystem wohl halten konnte. Seine Kapazität konnte nicht grenzenlos sein.

Er zog sich wieder in die Reihen zurück. Ein Essoya stürzte ab, und das Prallfeld ließ ihn passieren. Er krachte in jene Veteranen vor der Bühne, die den Bodenausgängen zustrebten, denn nicht alle Essoya beteiligten sich an dem Tumult. Schreie waren zu hören. Was genau geschah und ob der Abgestürzte überlebt hatte, konnte Kerlon nicht erkennen. Als ein weiterer Adliger stürzte und aufgefangen wurde, wusste Kerlon, dass ein Verräter das Prallfeldsystem bediente, der die Essoya ihrem Schicksal überließ, die Aristokraten hingegen rettete.

Unvermittelt leuchtete Hologramme zwischen den Schwebelogen auf und zeigten Nachrichtensendungen. Kerlon sah darin die Geschehnisse, die er mit eigenen Augen beobachtete, um einige Millitontas zeitversetzt. Nicht alle Teilnehmer an den Gor'Omata Pragos kämpften. Einige filmten die Ereignisse und speisten ihre Holovideos in die Kommunikations- und Datennetze des Kugelsternhaufens. Aber als es zum Sturz des Essoya kam, der nicht gerettet wurde, blendete die Darstellung auf einen anderen Blickwinkel um.

Gos'Orbton da Galoth war der Einzige aus dem ursprünglichen Kommando, der noch stand. Paralysatorstrahlen schlugen in seinen aktivierten Schutzschirm, während er unbeirrt auf die Essoya mit Kerlon in der Mitte zuschritt. Seine Waffe schickte zwei Veteranen zu Boden, und er winkte Leute herbei, die sich ebenfalls Kerlon näherten. Einer von ihnen brach unter dem Treffer eines Essoya zusammen, aber sofort trat ein anderer an seine Stelle.

Kerlon begriff, dass sie ins Hintertreffen gerieten. Nur noch zwei Essoya standen mit ihm auf der Bühne, aber zehn Kristallpolizisten, und er hatte einen tauben Arm, in dem es zwar schon wieder kribbelte, der aber frühestens in einer Tonta wieder zu gebrauchen sein würde.

Auch der Kampf in der Höhe ging zu Ende, zu groß war dort die Übermacht der Aristokraten. Und von den verbliebenen Essoya-Veteranen im Parkett hatte längst nicht jeder zu den Waffen gegriffen.

»Verschwindet!«, rief er den beiden anderen zu und hob den Arm, den er bewegen konnte, mit der offenen Handfläche nach vorn. Eine Waffe, die er wegwerfen konnte, hatte er nicht.

Die beiden gehorchten ihm nicht und erhielten Verstärkung von drei weiteren Veteranen, die auf die Bühne klettern wollten, aber es war zu spät. Alle fünf wurden von Paralysatorschüssen niedergestreckt, und zwei Kristallpolizisten nahmen Kerlon in die Mitte.

Da Galoth feixte ihn an. »Sie sind verhaftet, Kerlon«, wiederholte er.

Die Kristallpolizisten legten Kerlon fesselfeldunterstützte, metallene Handschellen an, die sich selbsttätig aufeinander zubewegten. Kerlon konnte nichts dagegen unternehmen, dass seine Handgelenke sich aneinanderlegten. Im linken Arm schmerzte die Bewegung.

»Ich will keinen Ärger machen«, sagte eine Männerstimme in Kerlons Rücken. Er drehte den Kopf. Hinter ihm stand ein Arkonide in schlichter Kleidung, nicht mal einer Flottenuniform. Er wirkte zu jung, um ein Veteran zu sein, war fast zu jung für einen Offiziersanwärter, und überhaupt traten nur Adelsprösslinge schon als Thos'athor in die Raumflotte ein. Der junge Mann hingegen sah ganz nach einem Essoya aus, denn ein flaumiger Bart wuchs auf seinen Wangen.

Er hatte beide Hände erhoben, um seine Friedfertigkeit zu beweisen. »Bitte hören Sie mich an.«

»Wer sind Sie?«, fragte da Galoth.

»Nennen Sie mich Gracchus«, antwortete der junge Bursche.

Kerlon runzelte die Stirn. Was war das für ein Name? Im Satron bedeutete das Wort nichts.

»Sie nennen mir einen Falschnamen?«, fragte da Galoth gedehnt.

Kerlon vermutete, dass Gracchus bereits damit eine Vorschrift gebrochen hatte.

»Sie wollen Dor'athor Kerlon für seine Hingabe an das Imperium verhaften, die ihm anerzogen ist und zu ihm gehört wie seine Haut und seine Haare. Jemanden wegen seines Wesens zu verfolgen, ist schädlich für Volk und Staat.«

Da Galoth lachte leise. »Die Zeiten haben sich geändert. Wenn er mit solcher Hingabe am Imperium hängt: Seine Loyalität erfordert nun, dass er das Neue annimmt.«

»Wäre es nicht besser, die Leute durch Überzeugung umzustimmen, statt ihre Anschauungen durch Zwang ändern zu wollen?«, fragte Gracchus. »Der Exemplarischen Instanz mangelt es an Rückhalt in der Bevölkerung, weil sie sich nicht um den Rückhalt der Bevölkerung bemüht hat. Dieser Irrweg führt in den Untergang, aber es ist jederzeit möglich, diesen Fehler zu revidieren.«

»Der Adel hat seine Entscheidung getroffen, und die Bevölkerung hat sich daran zu halten!«