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Irgendwann in ferner Zukunft: Einst hat der Astronaut Perry Rhodan die Terraner zu den Sternen geführt. Als er jedoch aus einer langen Stasis erwacht, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die Menschheit ist zersplittert, die Erde nur noch ein Mythos. Seine Freunde und Weggefährten sind verschollen, die bekannten Sternenreiche zerfallen oder verschwunden. Was ist in den vergangenen Jahrhunderten geschehen? Was lauert im Zentrum der Milchstraße, und wer oder was verbirgt sich hinter dem Begriff Paragon? Gibt es die Erde noch und führt ein Weg dorthin? Auf dem einstigen Kolonieplaneten Rumal will Rhodan nach Antworten suchen. Aber sein Raumschiff wird von Weltraumpiraten gekapert, und er sieht einem ungewissen Schicksal entgegen. Als Fremder in einer fremden Welt ist Perry Rhodan IN DER ZEIT VERLOREN ...
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Band 341
In der Zeit verloren
Dietmar Schmidt
Cover
Vorspann
Cleos Tagebuch
1. Perry Rhodan
2. Naumann von Silikor
3. Perry Rhodan
4. Avina da Jacinta
5. Perry Rhodan
6. Naumann von Silikor
7. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
8. Avina da Jacinta
9. Naumann von Silikor
10. Perry Rhodan
11. Naumann von Silikor
12. Avina da Jacinta
13. Perry Rhodan
14. Avina da Jacinta
Cleos Tagebuch
15. Perry Rhodan
16. Avina da Jacinta
17. Ymma Kern
18. Naumann von Silikor
19. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
20. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
21. Naumann von Silikor
22. Perry Rhodan
23. Avina da Jacinta
Cleos Tagebuch
24. Perry Rhodan
Cleos Tagebuch
Impressum
Irgendwann in ferner Zukunft: Einst hat der Astronaut Perry Rhodan die Terraner zu den Sternen geführt. Als er jedoch aus einer langen Stasis erwacht, ist nichts mehr so, wie es einmal war. Die Menschheit ist zersplittert, die Erde nur noch ein Mythos. Seine Freunde und Weggefährten sind verschollen, die bekannten Sternenreiche zerfallen oder verschwunden.
Was ist in den vergangenen Jahrhunderten geschehen? Was lauert im Zentrum der Milchstraße, und wer oder was verbirgt sich hinter dem Begriff Paragon? Gibt es die Erde noch und führt ein Weg dorthin?
Auf dem einstigen Kolonieplaneten Rumal will Rhodan nach Antworten suchen. Aber sein Raumschiff wird von Weltraumpiraten gekapert, und er sieht einem ungewissen Schicksal entgegen.
Als Fremder in einer fremden Welt ist Perry Rhodan IN DER ZEIT VERLOREN ...
Cleos Tagebuch
Perry Rhodan hat mich gerettet!
Ich muss nicht mehr sterben. Das kann ich noch gar nicht glauben.
Ich habe gedacht, ich werde nicht älter, als ich bin, acht Jahre, aber nun kann ich zehnmal so alt werden. Dai sagt, ein kleines Mädchen wie ich sollte nicht übers Sterben nachdenken, Aber mal ernsthaft: Ich wusste genau, dass ich krank war. Meine Muskeln wurden immer schwächer, und besonders stark gewesen waren sie sowieso nie. Woran ich litt, das heißt Muskelschwund und hat noch einen komplizierten Namen auf Leitan oder so ähnlich, das ist eine Sprache von der Alten Erde. Dorthin fliegen kann niemand mehr, aber mir kann auch keiner erklären, warum trotzdem noch Sprachen benutzt werden, die von dort gekommen sind.
Ach, ich bin noch so aufgeregt! Ich versuche, etwas ruhiger zu werden.
Wichtig ist nur, dass meine Zerebral induzierte Amyotrophie – ich hab gerade nachgesehen, wie es heißt –, also dass mein Muskelschwund gestoppt ist. Nicht nur, dass meine paar Muskeln nicht mehr schrumpfen, ich werde sogar wieder kräftiger.
Und das verdanke ich Perry Rhodan. Er hat mir Medizin besorgt, die mich geheilt hat. Aramedizin, die sich sonst nur stinkreiche Leute leisten können. Sofern sie da überhaupt rankommen.
Dafür hat er sich auf Nimbus mit dem Paragon-Orden angelegt. Perry hat ihnen außerdem wohl eine riesige Geminga-Druse weggenommen, und die hat Dai einen Haufen Kredite eingebracht, um unser Raumschiff einigermaßen zu reparieren. Die Ordensleute suchen deshalb nach uns, und wenn sie uns finden, werden sie uns die Rechnung präsentieren. Das haben mir Perry und Papa zwar nicht erzählt, aber das habe ich erlauscht, als sie miteinander redeten und glaubten, ich höre sie nicht.
Wenn es so weit kommt, gebe ich Dai die Painitmünzen in meinem Spar-Gucky. Da sind schon ziemlich viele drin. Wenn man eine reinwirft, grinst der Gucky, allerdings zeigt er immer bloß einen einzigen Zahn. Wahrscheinlich haben die anderen Zähne schon gefehlt, als Dai ihn gekauft hat. Denn etwas Neues können wir uns nur selten leisten. Trotzdem finde ich den Gucky auch mit nur einem Zahn süß, und ich würde ihm sein Geld ungern wieder wegnehmen.
Auf jeden Fall hat Perry mich gerettet.
Vorher aber hatten wir ihn gerettet. Wir haben ihn auf Drion gefunden. Diesen Namen habe ich dem Planeten geben dürfen. Das Wort ist Akonisch und heißt Himmel. Wir sind Akonen, Dai zur Hälfte und ich wieder mehr, weil meine Mutter auch eine Akonin ist. Zu drei Vierteln? Egal. Unsere Heimat liegt jedenfalls im Kugelsternhaufen M 3, dort sind wir aber noch nie gewesen. Dazu ist er zu weit weg. Ich habe jedoch Hologramme von ihm und finde ihn wunderschön. Ich habe Dai gefragt, ob wir da eines Tages hinfliegen. Aber er sagt, dass es seit der Symaios keine Raumschiffe mehr gibt, die so weit springen können. Wir haben die EUPHORION überholen lassen, sie ist trotzdem alt und klapprig geblieben.
Doch wenn wir mit unserem Schrottkahn nicht an Drion vorbeigekommen wären, würde Perry dort immer noch liegen.
Eigentlich hatten wir gehofft, eine Smaragdgruft zu finden. Smaragd ist wertvoll, sagt Papa, und wenn wir einen riesigen Smaragd verkaufen könnten, hätten wir ausgesorgt. Wir wären unsere Schulden los und könnten das Schiff mal von Grund auf überholen lassen, und ich bekäme immer meine Medizin. Deshalb hat er unsere letzten Kredite für den Thesaurus hergegeben, also die Karte, die zeigt, wie man ins Sonnensystem der Alten Erde fliegen kann. Ach so, ich habe ganz vergessen zu sagen, dass die Smaragdgruft im System der Alten Erde liegen sollte. Alle an Bord fanden es ziemlich unglaubwürdig, dass er für fünfhundert Kredite einen Thesaurus zum Solsystem kaufen kann. Aber er hat gesagt, er setzte alles auf eine Karte.
Am Ende kamen wir jedoch bloß in ein System mit einem roten Zwergstern. Dabei soll Sol gelb sein, und der Stern hatte auch nur einen Planeten und nicht acht. Auf dem Planeten haben wir eine Höhle gefunden, die von Gypspflanzen überwuchert war, mit einem giftgrünen Kristallquader drin. Nur dass er nicht aus Smaragd war. Dai sagte, der Quader wäre aus grünem Glas und wertlos, aber drin lag Perry und schlief. Wir haben ihn aufgeweckt. Perry war ganz schön traurig, als er von uns erfuhr, dass man die Alte Erde nicht mehr erreichen kann, denn er ist da geboren worden. Das heißt aber, dass er total lange geschlafen hat, weil man die Alte Erde schon seit Jahrhunderten nicht mehr erreichen kann. Dai befürchtet sogar, dass sie vernichtet worden ist.
Man liest viel, dass Perry vor mehr als dreihundert Jahren die Symaios ausgelöst hat. Aber er weiß davon nichts, und ich glaube ihm, auch wenn ein paar an Bord ziemlich misstrauisch gegen ihn waren. Ich habe Perry getröstet, während wir weitergeflogen sind. Als er von meiner Krankheit erfuhr, hat er mich ganz seltsam angesehen. Ich hatte schon Angst, er will mich nicht mehr in seiner Nähe haben, weil er Angst hat, er könnte sich bei mir mit Muskelschwund anstecken, obwohl das Quatsch ist. Das geht nämlich gar nicht.
Aber dann hat er gesagt, er will, dass wir ihn dorthin fliegen, wo die Alte Erde gewesen ist. Einen Thesaurus dafür hat er aber nicht, und Dai sagte, dass Perry sich das aus dem Kopf schlagen soll. In der Nähe von Sol ist der Hyperraum besonders stark granuliert, genauso stark wie im galaktischen Zentrum, und ohne Thesaurus sind wir in dieser Kalmenzone aufgeschmissen. Trotzdem hat Perry mir auf Nimbus, unserem nächsten Halt, meine Medizin besorgt. Ich hoffe, er hat es nicht nur deswegen gemacht, damit er keine Angst mehr haben muss, sich bei mir anzustecken, sondern weil er mich auch ein bisschen leiden kann. Jedenfalls, seit der Sache mit der Medizin gehört er sozusagen zur Familie, und nun muss Dai ihm seinen Wunsch erfüllen.
Nimbus liegt ganz schön weit weg von allem, deshalb sind wir zu einem Planeten unterwegs, auf dem Menschen leben, die von der Alten Erde gekommen sind, so wie Perry Rhodan. Der Planet heißt Rumal, und von da aus soll es weitergehen in die Kalmenzone.
Dai hat gesagt, er kennt niemanden, der schon mal auf Rumal gewesen ist. Und wenn wir in den Raumsektor des Algolsystems eindringen, wird das vielleicht ein Flug ohne Wiederkehr. Auch das hat Dai nicht zu mir gesagt, denn er wollte nicht, dass ich es mitkriege, aber ich hab gute Ohren.
Wahrscheinlich hat er gedacht, ich bekomme Angst, wenn ich höre, dass dort Leute verschwunden sind. Aber ich sage mir, dass verschwunden es vielleicht gar nicht trifft. Vielleicht sind sie bloß nicht zurückgekehrt, weil es ihnen auf Rumal, wo sie sich seither aufhalten, so gut gefällt.
1.
Perry Rhodan
Überfall
»Piraten!«, rief Naumann von Silikor, der Kapitän der EUPHORION und Gründer der Von Silikor Forwarding Enterprises.
Auf Perry Rhodan wirkte der Leitstand des walzenförmigen Frachtraumschiffs, in den er gerade geeilt war, noch immer ein wenig skurril. Er hatte die übliche Einrichtung: einen Kommandosessel auf der erhöhten Plattform im Zentrum für den Schiffsführer, dazu die Arbeitsstationen für die Leiter der wichtigsten Abteilungen und ein paar Zusatzsitze für Gäste wie Rhodan. Prominent in Flugrichtung prangte ein großes Panoramahologramm, das für gewöhnlich die optische Außenbeobachtung und ein Schema des Schiffsstatus zeigte.
Aber an etlichen Stellen wuchsen außerdem Pflanzen mit winzigen rötlichen Blüten. Sie hingen von der gewölbten Decke, wucherten an den Wänden und breiteten sich immer wieder bis auf die Arbeitsstationen aus. Ließ man ihnen freien Lauf, drangen sie sogar in die Positronikkonsolen ein, was zu Problemen und Ausfällen führte.
Und wo Rhodan war, wuchsen sie besonders üppig. Bunte Blüten entstanden auf den Trieben, die an terranisches Schleierkraut erinnerten, aber tatsächlich eine extraterrestrische Art namens Gypsophila emollira darstellten, meist nur kurz Gyps genannt. Rhodan musste bei ihrem Anblick oft an die Pflanzen denken, auf die er in den Tiefen von NATHAN auf dem Erdmond und später auf dem MODUL gestoßen war.
Er schüttelte kurz den Kopf. Auch wenn er ab und zu noch Schwierigkeiten hatte, bei der Sache zu bleiben, musste er sich auf die aktuelle Situation konzentrieren.
Pa-Fenk, der ferrhianische Funk- und Ortungsoffizier, hatte das Hauptholo in den taktischen Modus geschaltet, und in der dreidimensionalen Darstellung blinkten mittlerweile sechs rote Leuchtmarkierungen. Anfangs waren nur fünf Tasterechos in der Ortung zu sehen gewesen. Die fremden Raumschiffe waren hinter der Sonne Falathan hervorgekommen und beschleunigten mit Höchstwerten.
Die EUPHORION hatte ihre aktuelle Transitionsetappe rund vier Milliarden Kilometer vor dem weißen A-Stern vom Siriustyp beendet, einem Orientierungspunkt auf den Weg von Nimbus zum Algolsystem. Perry Rhodan spürte noch den Rematerialisierungsschmerz im Nacken, der bereits pulsierend abflaute und bald nicht mehr zu spüren sein würde. Die sechs Piraten hatten offenbar im sonnennahen Ortungsschutz auf ein Schiff gelauert, das arglos bei Falathan auftauchte, und die EUPHORION war ihnen in die Falle geflogen.
»Werden wir angefunkt?«, fragte von Silikor.
»Hätte ich schon gesagt«, entgegnete Pa-Fenk.
Der Sessel des Ferrhianen mit den verkümmerten Rückenflügeln war besonders hoch, um seine geringe Körpergröße von kaum 1,35 Metern auszugleichen. Sein zerknittert wirkendes Gesicht zeigte eine mürrische Miene, die es noch verschrumpelter aussehen ließ.
Ferrhianen waren ein genetisch verändertes Teilvolk der Ferronen und lebten auf Pigell im Wegasystem. Zu Rhodans Zeiten, vor der angeblichen Symaios, hatten sie es vorgezogen, unter sich zu bleiben und sich mit Genetik zu befassen. In der Zukunft, in der er aufgewacht war, offenbar 321 Jahre nach dem Ende von allem, verhielt sich kaum noch etwas wie damals.
»Ich verstehe nicht, was die Typen vorhaben«, warf Hilly ein, die terranische Erste Offizierin der EUPHORION. »Vier Milliarden Kilometer sind grob vier Lichtstunden. Bevor sie uns erreichen, sind wir längst wieder transitiert.« Sie war zugleich die Navigatorin des Frachters und hatte graue Haare, eine kratzige Stimme und grüne Zähne.
Letzteres war eine Folge des Gypswurzelsuds, den sie häufig trank, weil sie glaubte, damit ihre navigatorischen Fähigkeiten steigern zu können. Rhodan war da skeptischer, andererseits hatte die EUPHORION sogar einen eigenen Schiffsgärtner. Der eigenbrötlerische Kuul Metego kultivierte in einem ehemaligen Frachtraum besonders prächtige Gypspflanzen, die angeblich den Hyperantrieb unterstützten.
Von Silikor strich sich durch den weißgrauen Vollbart, wurde sich seiner Geste anscheinend bewusst und ließ die Hand rasch sinken. »Irgendwas haben sie vor. Sie zeigen sich uns doch nicht aus Dummheit.«
»Die Ortungssysteme liefern mir erste Detaildaten«, meldete Pa-Fenk. »Es sind eindeutig arkonidische Schiffe.«
Neben den roten Symbolen im Haupthologramm erschienen Datenkolonnen und optische Vorschaubilder.
Diese Art Kugelkonstruktionen mit ihren Triebwerksringwülsten war Rhodan sehr vertraut. Ein Zweihundert-Meter-Raumer fungierte wohl als Kommandoschiff, dazu kamen zwei hundert Meter und drei sechzig Meter durchmessende Raumfahrzeuge.
Im Gegensatz zur EUPHORION handelte es sich um veritable Kriegsschiffe. Gemäß Klassifizierung der einstigen imperialen Raumflotte von Arkon waren es drei Ultraleichtkreuzer, zwei Leichte und ein Schwerer Kreuzer. Nicht die modernsten Einheiten, die Rhodan kannte, sondern schon 2116 veraltet, dem letzten Jahr, an das er sich erinnerte. Trotzdem würde sogar ein militärisch eher schwach bewaffnetes 60-Meter-Raumboot der EUPHORION haushoch überlegen sein.
Was für eine Zukunft!, dachte Rhodan. Kampfschiffe der arkonidischen Raumflotte in der Hand von Piraten.
Wie er in die Smaragdgruft auf Drion und damit in diese Zukunft gelangt war, wusste er nicht. Er wusste nur, dass Naumann von Silikor und seine Leute ihn weit mehr als dreihundert Jahre nach einem Ereignis wiedererweckt hatten, das sie als Symaios bezeichneten.
Der Begriff Symaios, des Endes von allem, war Rhodan vertrauter, als ihm lieb war. Unter anderem eine Schwester der Tiefe hatte ihn in der Galaxis M 87 gewarnt, dass er diese kosmische Katastrophe herbeiführen würde. Lange hatte er das als Unsinn abgetan, als eine von zahlreichen Weltuntergangsprophezeiungen, wie es sie in der Geschichte stets gegeben hatte.
Von Silikor und seine Leute behaupteten nun, die Symaios sei eingetreten, aber dabei mussten sie sich irren. Gewiss, es war unzweifelhaft eine Katastrophe über die Milchstraße hereingebrochen. Doch das Ende von allem hatte sie nicht ausgelöst – stattdessen einen Zusammenbruch der interstellaren Kommunikation und einen Wissensverlust in einer Epoche, die als Temporale Trübung bezeichnet wurde. Das irdische Sonnensystem befand sich seither anscheinend in einer unzugänglichen Region, die als Kalmenzone bezeichnet wurde. Manche glaubten sogar, Sol sei erloschen.
Rhodan war entschlossen, sich trotzdem dort umzusehen. Ein direkter Anflug der Kalmenzone war laut Naumann von Silikor nicht möglich. Rhodan hatte sich deshalb den 93 Lichtjahre von Sol entfernten Planeten Rumal zum Ziel genommen. Rumal lag von allen einstigen terranischen Kolonien Aureola, der Sonne des Planeten Nimbus, am nächsten und hatte sich damit als natürlicher Anlaufpunkt angeboten.
Auf Rumal würde er vielleicht erfahren, ob Reginald Bull noch lebte, Atlan da Gonozal ... die anderen.
Dass Thora nicht mehr lebte, wusste er. Er hatte sie sterben sehen. Rasch verbot sich Perry Rhodan jeden weiteren Gedanken an die Frau seines Lebens und an seinen Sohn Thomas. Vor allem aber an Thora. Der Schmerz war zu groß.
Naumann von Silikor traf seine Entscheidung. »Höchstbeschleunigung!«
Der hagere Halbakone mit dem grauen Bart versuchte, sich unerschüttert zu geben, aber Rhodan durchschaute ihn. Der Kapitän der EUPHORION war verunsichert. Von Silikor hatte Mut und bewahrte auch in Risikosituationen die Nerven. Das war auf Drion deutlich geworden. Auch nun reagierte der Frachterkommandant richtig, indem er eine Flucht vorbereitete.
Der schwarz gelockte Endo Kalkiris auf dem Pilotensitz fragte: »Vorher Schubumkehr? Sonst fliegen wir auf sie zu.«
»Nein. Flieg sternenwärts. Wir sollten so schnell wie möglich auf halbe Lichtgeschwindigkeit kommen, damit wir transitieren können.«
»Wir geben aufgrund des relativistischen Additionstheorems aber Reaktionszeit auf, wenn wir sternenwärts fliegen«, merkte Hilly an.
Rhodan musste dem Einwand der Navigatorin zustimmen. Raumschiffe, die sich einander mit relativistischen Geschwindigkeiten näherten, unterlagen einer erhöhten Lorentzkontraktion der Distanzen zwischen ihnen.
»Mehr Zeit könnten wir gut gebrauchen«, pflichteten ihr Ymma Kern, die siganesische Chefingenieurin, und Saulon da Rebruk, der kahlköpfige arkonidische Positroniker, fast im Chor bei.
Kern war mit der Wiederaufladung der Strukturfeldkonverter beschäftigt, von denen die fünfdimensionale Sphäre erzeugt wurde, die für einen Hyperraumsprung erforderlich war. Da Rebruk unterstützte Hilly dabei, die präzisen Transitionsparameter zu berechnen, was mit der altersschwachen Positronik der EUPHORION mindestens so lange dauerte wie die Bereitstellung von ausreichend Speicherenergie.
»Also gut – Schubumkehr!«
Kalkiris nickte nur, schwenkte das Schiff mithilfe der Steuerdüsen 180 Grad um die vertikale Hauptachse und schaltete die heckwärtigen Impulstriebwerke auf Maximalleistung. Rhodan spürte durch die Sohlen seiner Raumstiefel Rumpfvibrationen. Die EUPHORION war ein uraltes Raumfahrzeug mit einem technischen Stand, der schon 2036, als Rhodan zum ersten Mal auf die Arkoniden und deren Hochtechnologie gestoßen war, nicht mehr dem Standard entsprochen hatte.
Sobald sie die derzeitige Geschwindigkeit des Frachters in Richtung auf Falathan abgebaut hatten, würde das Schiff mit einem Fluchtkurs aus dem System hinaus beschleunigen können. Zu komplizierteren Wendemanövern war die EUPHORION nicht imstande. Schiffe wie sie dienten lediglich dazu, Fracht von einem Ort zum anderen zu schaffen.
Von Silikor wandte sich Rhodan zu. »Hast du eine bessere Idee? Du verstehst doch bestimmt mehr von Raumkampftaktik als ich.«
Rhodan hatte ein ungutes Gefühl, fast als wären sie zu genau dieser Reaktion manipuliert worden. Aber was sollten die Piratenschiffe tun? Dass sie über moderne Sprungantriebe verfügten, die Kurztransitionen ermöglichten, stand nicht zu erwarten. Die entsprechende Technologie hatte Arkon erst ab dem Jahr 2102 erhalten, und moderne Transitionsantriebe hatten sich in älteren Schiffen jenes Typs, der in der Ortung zu sehen war, nicht nachrüsten lassen.
Er sagte nichts davon. »Ich denke, deine Variante ist die Beste. Wollen wir hoffen, dass wir möglichst schnell wieder klar zur Transition sind.«
»Die Sprungberechnung läuft auf vollen Touren«, warf Hilly leicht gereizt ein.
Die Bordingenieurin Ymma Kern fügte hinzu: »Bisher keine Probleme beim Transitionstriebwerk. Die Refraktion verläuft normal.«
Die Raumfahrer der EUPHORION mochten nicht in der Flotte der Terranischen Union ausgebildet worden sein, weil es keine Terranische Union mehr gab. Sie neigten deshalb dazu, ihre persönlichen Eigenarten in den Bordbetrieb zu tragen, aber sie verstanden ihr Handwerk. Naumann von Silikor war es gelungen, kompetente Leute an sich zu binden, in diesen Zeiten vermutlich keine geringe Leistung.
Rhodan sah zum Piloten hinüber. Wie gern hätte er dessen Sitz eingenommen. Andererseits hätte er auch nicht mehr ausrichten können als Kalkiris. Ihnen standen nur eher schwache Impulstriebwerke zur Verfügung, keine Protonenstrahlantriebe und Feldtriebwerke wie an Bord der SOL. Bravourstücke waren damit nicht möglich.
Ständig wurden im Haupthologramm neue, verfeinerte Ortungsdaten angezeigt, während Pa-Fenk die gegnerischen Schiffe abtastete. Gleichzeitig erfuhren die Piraten mit jeder Minute umgekehrt aber auch mehr über den Walzenraumer.
Als die EUPHORION beinahe zum relativen Halt gekommen war, überschlugen sich die Ereignisse.
Laut heulte eine Warnsirene los. Das Panoramahologramm flammte so konfus rot auf, dass Rhodan einen Moment brauchte, um zu durchschauen, was geschehen war.
Pa-Fenk rief bereits: »Strukturerschütterung! Mehrfachtransition!«
Die Leuchtmarkierungen der arkonidischen Piratenschiffe waren von ihren bisherigen Positionen im Ortungsholo verschwunden und entstanden wenige Millionen Kilometer heckwärts von der EUPHORION neu. Alle sechs Einheiten waren in Transition gegangen und in Formation dicht hinter dem walzenförmigen Frachter rematerialisiert. Sofort gaben die Impulsdüsen in ihren Triebwerksringwülsten Vollschub, um ihre Restgeschwindigkeit relativ zur EUPHORION abzubauen. Sie formierten sich zu drei Zweiergruppen, die sich in 120-Grad-Winkeln voneinander entfernten. Die Zentralepositronik des Frachters projizierte die bisherige und die neu extrapolierte Flugbahn der Piratenschiffe an ihre Symbole, was im Holo wie eine symmetrische Klauenhand mit drei Krallen aussah, die nach der EUPHORION griff.
Wie haben sie das gemacht?, rätselte Rhodan. Taktische Kurztransitionen gehörten nicht zum Repertoire veralteter arkonidischer Schiffe. Ihm kam eine leise Ahnung, aber er hatte keine Zeit, sich damit zu beschäftigen. Sie mussten sofort etwas unternehmen.
»Erneute Schubumkehr!«, rief er, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass er an Bord des Frachters keinerlei Kommandobefugnis hatte. »Volle Beschleunigung in Richtung der Kugelschiffe!«
Pa-Fenk rief: »Funkanruf von den Piraten!«
»Durchstellen!«, befahl von Silikor. »Endo«, wandte er sich an den Piloten, »tu, was Perry sagt. Er hat mehr Raumkampferfahrung als wir alle zusammen.«
»Geht klar!« Kalkiris schüttelte seine krause, schwarze Mähne und leitete das Manöver ein.
Rhodan trat neben das Steuerpult.
»EUPHORION, ihr wisst, wer hier spricht. Desaktiviert eure Triebwerke sowie Schutzschirmgeneratoren und macht euch bereit, geentert zu werden«, drang eine tiefe Männerstimme aus den Akustikfeldern der Zentrale. Ihr Besitzer, vermutlich der Kommandeur der Piratenflottille, kannte den Namen des Walzenschiffs fraglos von dem Kennungssignal, das der Frachter wie jedes gesetzestreue Schiff sendete. Und wie alle anderen Personen, denen Rhodan seit seinem Erwachen begegnet war, verwendete auch der Pirat Englisch. Egal mit welcher Muttersprache die Bewohner der Lokalen Blase in dieser Epoche aufgewachsen sein mochten, war dies augenscheinlich die übliche und dominante Standardsprache. »Wir können alles anmessen, was ihr tut. Jeder Widerstand wird Folgen für euch haben. Folgen, die euch nicht schmecken werden.«
Nachdem Kalkiris die EUPHORION abermals um 180 Grad gewendet hatte, gab er mit den Hecktriebwerken Vollschub in diese Gegenrichtung. Das Frachtschiff beschleunigte erneut.
Aus dem Funkempfänger kam wieder die tiefe Männerstimme und wiederholte empört, dass die EUPHORION Antrieb und Schutzschirmaggregate desaktivieren solle.
»Was hast du vor?«, fragte von Silikor. »So bringst du uns doch geradewegs vor die Geschütze der Arkoniden.«
»Indem wir direkt auf sie zuhalten, verkürzen wir die mögliche Gefechtszeit so weit wie möglich«, antwortete Rhodan. »Sie müssen nun abbremsen und anschließend neu beschleunigen, während wir bereits Geschwindigkeit aufgebaut haben. Mit etwas Glück sind wir dadurch lange vor ihnen transitionsklar.«
»Apropos Transition, wie haben sie das geschafft?«, fragte Hilly. »Einen Nahsprung über nur grob drei Lichtstunden?«
»Hast du nicht erzählt, dass nach der Symaios die Raum-Zeit verklumpt sei und hyperenergetische Vorgänge störe, also auch Transitionen?«, stellte Rhodan dem Kapitän eine Gegenfrage.
Von Silikor nickte. »Das stimmt. Wir nennen das Phänomen Granulation. Ihm kann man mit Gypspflanzen einigermaßen entgegenwirken.«
»Falathan ist ein massereicher Stern, also müsste die Granulation in seiner Nähe sehr ausgeprägt sein, richtig?«
»Richtig«, bestätigte von Silikor. »Erstaunlich, dass sie so dicht an der Sonne überhaupt transitieren konnten.«
»Ich glaube, die Piraten haben einen Weg gefunden, die Granulation auszunutzen, um extrem kurze Hypersprünge zu bewerkstelligen«, sagte Rhodan.
»Das dürfte ihre Transitionsaggregate aber stark verschleißen«, wandte Kern ein.
»Vermutlich haben sie einen Stützpunkt, wo sie ihre Bordtechnik überholen lassen können«, vermutete der Kapitän. »Der Gewinn wird etwas geschmälert, weil die Kosten höher sind, aber sie machen mehr Beute.«
»Hoffen wir, dass nicht wir zur Beute werden«, kommentierte Kalkiris. »Mir gefällt die Idee, ihnen ihre Pläne zu versalzen.«
»Sie können uns jederzeit in Stücke schießen«, warnte Hilly brummig.
»Das stimmt zwar. Sie wollen uns jedoch nicht vernichten, sondern kapern«, erwiderte Rhodan. »Wenn wir explodieren, haben sie nichts gewonnen.«
Die Erste Offizierin blieb skeptisch. »Na ja, aber wie ich diese Burschen kenne, vernichten sie uns trotzdem, sobald feststeht, dass sie uns nicht schnappen können.«
»Wir müssen nur rechtzeitig auf halbe Lichtgeschwindigkeit kommen«, beschwichtigte von Silikor. »Ymma, wie sieht es aus mit dem Transitionsantrieb?«
»Längst nicht so weit«, antwortete die Siganesin. »Dauert noch.«
»Sprungberechnung?«
»Wegen Perrys Kursänderung müssen wir mit einem neuen Grundvektor neu anfangen«, beschwerte sich Saulon da Rebruk knapp.
»Dauert also auch noch«, übersetzte Hilly.
»Die Piraten haben mit ihrer Krallenformation ein Loch in der Mitte gelassen«, sagte Rhodan. »Wir versuchen, genau dort hindurchzuschlüpfen.«
»Meine leichteste Übung«, behauptete Kalkiris. »Und notfalls springen wir blind. Immer noch besser, als geentert zu werden.«
»Wir werden verhindern, dass sie uns bekommen«, sagte von Silikor mit größerer Zuversicht, als er vermutlich empfand.
»Schafft ihr das wirklich, Dai?«, fragte eine leise Kinderstimme.
Rhodan drehte den Kopf. Er hatte nicht bemerkt, wie sich das Schott des Leitstands geöffnet hatte. Cleo von Silikor, die achtjährige Tochter des Kapitäns, war in die Zentrale gekommen und sah ihren Vater an. Das Wort, mit dem sie ihn ansprach, war eine Koseform von Daiani, dem akonischen Wort für Vater.
Cleo hatte lange, kupferrote Haare und ein spitzes Gesicht mit blasser Haut. Ihren Bewegungen merkte man eine gewisse Mühsamkeit an; sie litt an Muskelschwund, einer unheilbaren Krankheit, welche die Bordärztin der EUPHORION erst mithilfe eines Aramedikaments bis auf Weiteres hatte stoppen können. Ungeachtet ihres Leidens hatte Cleo einen scharfen Verstand, ein mitfühlendes Herz und konnte überbordende Energie mobilisieren. Momentan wirkte sie ängstlich. Kaum verwunderlich.
Wie Rhodan schien von Silikor nichts von beruhigenden Lügen zu halten. »Wir können nur abwarten«, sagte er.
»Die bittere Realität eines Raumgefechts«, fügte Rhodan hinzu. »Auf fünf Prozent Hektik kommen fünfundneunzig Prozent angespanntes Nichtstunkönnen.«
»Ich will nicht, dass die in unser Schiff kommen«, sagte Cleo.
»Wir versuchen alles, um das zu verhindern«, versprach Ymma Kern. Die siganesische Bordingenieurin war meist schlecht gelaunt, aber für Cleo empfand sie tiefe Zuneigung. Rhodan hatte den Eindruck, dass Kern das Mädchen mit Zähnen und Klauen verteidigt hätte.
Er hoffte, dass so etwas nicht nötig sein würde.
Aber sein Plan ging nicht auf. Die Piratenschiffe modifizierten ihren Kurs moderat und verengten die Kralle um die EUPHORION. Die 60-Meter-Kugeln lösten sich von den größeren Kreuzern und würden als Erste auf Gefechtsentfernung gelangen, noch bevor die EUPHORION transitionsklar war. Ymma Kern war in die Antriebssektion des Frachters gegangen, um ihre Leute dort zu unterstützen. Aber Perry Rhodan bezweifelte, dass ihre Anwesenheit die bis zum rettenden Hypersprung verbleibende Zeit um auch nur eine Sekunde verkürzen konnte. Dass sie die Zentrale verlassen hatte, enthob sie lediglich der Notwendigkeit, andauernd zu wiederholen, dass die Sprungfeldgeneratoren noch nicht wieder klar zur Transition seien.
Hilly meldete soeben, dass die Sprungdaten zu einem fünfundvierzig Lichtjahre entfernten Stern berechnet seien.
»Aber wenn wir dahin fliehen, merken die Piraten das doch, und dann können sie uns folgen.« Cleo sah ihren Vater besorgt an.
»Sie orten zwar, wohin wir transitiert sind. Aber sie müssen den Kurs erst selbst berechnen, bevor sie uns folgen können. Bis sie das geschafft haben, haben wir uns in der Nähe der Sonne versteckt und einen neuen Fluchtkurs berechnet. Wir springen so lange vor ihnen davon, bis wir ein bewohntes System mit einer Schutzflotte erreichen, in das sie uns nicht folgen können.«
Cleo nickte. »Weil sie dort verhaftet werden.«
»Genau.«
Oder bis unser Transitionstriebwerk ausfällt, dachte Rhodan, behielt seine pessimistischen Bedenken aber für sich.
»Das erste Arkonidenschiff kommt in Gefechtsdistanz«, rief Pa-Fenk.
»Schutzschirm aktivieren!«, befahl Naumann von Silikor sofort.
Die Piraten machten sich nicht die Mühe, die EUPHORION erneut anzufunken und zur Übergabe aufzufordern. Sie feuerten einen Impulsgeschützstrahl in die Flugbahn des Frachters, und der altersschwache Walzenraumer setzte zu einem Ausweichmanöver an. Mit Ach und Krach gelang es Kalkiris, dem Schuss vor dem Bug auszuweichen. Streuenergie des turmdicken Energiestrahls traf auf den Schutzschirm und brachte ihn zum Leuchten.
Rhodan genügte ein Blick auf die Belastungsanzeige, und er wusste, dass das Abwehrfeld einem Volltreffer aus dem Polgeschütz des Gegners niemals standhalten könnte.
»Das ist aussichtslos«, sagte von Silikor. »Aber wir gehen nicht kampflos unter.«
Die EUPHORION hatte keinen dezidierten Waffenoffizier, nicht mal ein Feuerleitpult gab es in der Zentrale. Von Silikor schaltete sich die Waffenkontrollen auf sein Kommandopult. Aber bevor er das einzige Energiegeschütz des Frachters auf den Angreifer richten konnte, feuerte das Piratenschiff erneut.
Der zweite Impulsstrahl war erfolgreich. Der Schutzschirm der EUPHORION brach innerhalb einer Sekunde zusammen, und im großen Haupthologramm des Kommandoraums leuchteten zahlreiche Statusanzeigen rot auf.
»Energierückschlag!«, rief jemand rau.
Im nächsten Moment knallte es an mehreren Stellen in der Zentrale. Einige teils frei liegende Energieleitungen sprühten Funken. Rauch stieg von brennenden Verschalungen und Gypspflanzen auf. Feuerlöschanlagen setzten automatisch ein und erstickten die Flammen mit einem Aerosol, das antikatalytisch auf Verbrennungsreaktionen wirkte.
»Was ist passiert?«, fragte von Silikor.
»Unser Sorgenkind wieder«, antwortete Hilly. Sie nahm hektisch Schaltungen vor. »Der Schutzschirmgenerator ist durchgebrannt. Die Sicherungsautomaten haben versagt, und der Energierückschlag hat einige Sekundärschäden angerichtet. Und es nicht noch nicht vorbei. Lass mich erst mal gucken.«
Von Silikor schwieg zustimmend. Im Gefecht war der Schiffsführer nur ein Koordinator. Er sagte den Leuten, was sie tun sollten, und überließ ihnen das Wie.