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Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden gestoßen ist. Im November 2037 ist die Erde kaum wiederzuerkennen. Die Erkenntnis, dass die Menschheit nur eine von unzähligen intelligenten Spezies ist, hat ein neues Bewusstsein geschaffen. Die Spaltung in Nationen ist überwunden. Ferne Welten sind in greifbare Nähe gerückt. Eine beispiellose Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen. Doch sie kommt zu einem jähen Ende - das muss Perry Rhodan feststellen, als er von einer beinahe einjährigen Odyssee zwischen den Sternen zurückkehrt. Das Große Imperium hat das irdische Sonnensystem annektiert, die Erde ist zu einem Protektorat Arkons geworden. Rhodan schließt sich dem irdischen Widerstand an. Bei einer Flugshow in England wollen er und seine Kameraden zu einem überraschenden Schlag gegen die Arkoniden ausholen. Doch da erreicht Rhodan eine Nachricht, die ihn zutiefst erschüttert ...
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Seitenzahl: 224
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Band 77
Eine Falle für Rhodan
von Robert Corvus
Eineinhalb Jahre sind vergangen, seit der Astronaut Perry Rhodan auf dem Mond auf ein havariertes Raumschiff der Arkoniden gestoßen ist. Im November 2037 ist die Erde kaum wiederzuerkennen.
Die Erkenntnis, dass die Menschheit nur eine von unzähligen intelligenten Spezies ist, hat ein neues Bewusstsein geschaffen. Die Spaltung in Nationen ist überwunden. Ferne Welten sind in greifbare Nähe gerückt. Eine beispiellose Ära des Friedens und Wohlstands scheint bevorzustehen.
Doch sie kommt zu einem jähen Ende – das muss Perry Rhodan feststellen, als er von einer beinahe einjährigen Odyssee zwischen den Sternen zurückkehrt. Das Große Imperium hat das irdische Sonnensystem annektiert, die Erde ist zu einem Protektorat Arkons geworden.
Rhodan schließt sich dem irdischen Widerstand an. Bei einer Flugshow in England wollen er und seine Kameraden zu einem überraschenden Schlag gegen die Arkoniden ausholen. Doch da erreicht Rhodan eine Nachricht, die ihn zutiefst erschüttert ...
Perry Rhodan
Nicht nur das für einen Novembernachmittag ungewöhnlich schöne Wetter lockte die Menschen auf die Promenade an der Themse. Hier an der Biegung des Flusses, von dem Café unter den in buntes Herbstlaub gewandeten Bäumen in den Victoria Embankment Gardens, hatte man einen unverstellten Blick auf die Tower Bridge. Die beiden Türme, jeder für sich ein kleines Schloss, waren schon seit einhundertfünfzig Jahren Wahrzeichen Londons.
Eine demonstrierende Menge hatte die Brücke besetzt. Seit drei Stunden hielten die wütenden Bürger die Stellung. Eine arkonidische Korvette schwebte scheinbar schwerelos über dem Strom. Die Traktorstrahlen des sechzig Meter durchmessenden Kugelraumers stoppten die Frachter, deren Bremsweg zu lang war, um eine Kollision zu vermeiden.
Durch seine blau getönte Sonnenbrille beobachtete Rhodan die Gäste an den anderen Tischen. Gerade einmal siebzehn Monate war es her, dass die Menschheit den Begriff »Weltmacht« als etwas sehr Relatives begriffen hatte. Der Schock, nicht allein im All zu sein, hatte viele überfordert und manche sogar in den Freitod getrieben. Die Spindeln der Fantan waren über den Metropolen aufgetaucht. Mit einem Kugelraumer eben jenes Modells, das nun trügerisch ruhig in der Luft stand, hatte Thora den Eiffelturm zerstört, um ihren geliebten Ziehvater Crest aus der Gewalt der Menschen zu pressen.
Jetzt sah Rhodan keine Angst mehr. Man hatte sich an den Gedanken gewöhnt, nur eine unter unzähligen bewohnten Welten zu sein, und die Menschheit war entschlossen, sich zu behaupten, der Macht der Invasoren zum Trotz. Beifällige Bemerkungen bedachten das Handeln der Demonstranten, die ein riesiges Transparent über der Brüstung entrollten. Es zeigte König William am Tag seiner Krönung. Die bedruckte Leinwand war ein klug gewähltes Medium, um die Botschaft zu transportieren. Die holografischen Schilder, die die Autonomie der Menschheit eingefordert hatten, waren schnell unter den Störsignalen aus der Korvette zusammengebrochen.
Diese Demonstration zeigte auch die Chancenlosigkeit gegenüber der technologischen Übermacht des Großen Imperiums. Die Wut der Bürger entzündete sich an dem Holoporträt, das die in den Türmen der Tower Bridge installierten Projektoren an den Himmel über dem Bauwerk warfen. Die Schultern des Fürsorgers reichten von einem Ufer zum anderen.
»Wenn ich dieses Gesicht anschaue, wird mir klar, wie wenig ich vom Großen Imperium weiß.« Rhodan nippte an seinem Ale. »Ich hätte ihn niemals für einen Arkoniden gehalten.«
Arkongeborene ähnelten den Menschen so sehr, dass Atlan, der vor zehn Jahrtausenden auf der Erde gestrandet war, unerkannt auf dem blauen Planeten hatte leben können. Am deutlichsten hoben sich in der Regel die weißen Haare und die meist roten Augen ab. Äußerlich gar nicht erkennbar waren die Brustplatten, die die Rippen ersetzten. Insgesamt hätte man diese Merkmale für Varianten des menschlichen Bauplans halten können. Das Erscheinungsbild eines durchschnittlichen Arkoniden unterschied sich von dem eines Kaukasiers nicht stärker als das eines Aborigines.
Satrak, der arkonidische Fürsorger der Erde, glich dagegen mehr einem Koboldmaki als einem Menschen. Er war humanoid in dem Sinne, dass er einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine hatte, aber schon bei dem zweieinhalb Meter langen Greifschwanz endete die Ähnlichkeit. Vielleicht hatte man den markanten Körperteil deswegen bewusst aus dem Aufnahmebereich des Holobilds gelassen. Es half nicht viel. Zu fremd waren die hellbraunen Augen, die ein Drittel des Gesichts einnahmen. Ihre Schlitzpupillen standen waagerecht. Die kleine Nase bildete mit dem Mund eine Schnauze. Wesentlich auffälliger waren die Fledermausohren.
»Eine Anpassung an die Kolonialwelt, auf der er aufgewachsen ist«, erläuterte Thora da Zoltral. »Es gab eine Zeit, als man den Geningenieuren freie Hand ließ, um ideale Siedler zu erhalten.«
Was Rhodan betraf, war Thoras Versuch, sich zu tarnen, fehlgeschlagen. Ihr Haar fiel tomatenrot bis zu den Schulterblättern, sie trug einen blauschwarzen Samthut, einen Wollschal und eine Brille mit getönten Gläsern, aber keine Verkleidung konnte ihre Schönheit verbergen. Die katzenhafte Eleganz, mit der sie alltägliche Bewegungen vollzog, schmerzte in Rhodans Brust. Und sie bemerkte es noch nicht einmal!
Ich bin verliebt wie ein Teenager. Rhodan lächelte.
Schade, dass er nicht die Freiheit eines Teenagers genoss, dessen größte Sorge die nächste Schulprüfung war. Vielleicht gab es eine solche unbeschwerte Jugend auf der Erde auch gar nicht mehr.
Rhodan zwang seine Aufmerksamkeit wieder zu dem riesigen Porträt, das man angeblich auf Anweisung von Homer G. Adams installiert hatte, um die Dankbarkeit der Terranischen Union auszudrücken. Natürlich verbunden mit der Hoffnung, unter arkonidischer Protektion aufzublühen und ein wertvolles Mitglied der interstellaren Gemeinschaft zu werden. Vielleicht hatten die Besatzer mit Absicht ein unbewegtes Bild gewählt, um die Überlegenheit ihrer Technologie nicht zu sehr zu betonen. Ein Nebeneffekt war allerdings, dass die riesigen Augen des »gütigen Fürsorgers« noch mehr starrten, als sie es wohl ohnehin schon taten. Der kurze Pelz auf seinem Gesicht ließ zudem vermuten, dass seine Mimik für Menschen kaum zu deuten war. Auf dem Schädel mischten sich Grautöne in das Rotbraun.
Rhodan machte Thora darauf aufmerksam. »Denkst du, das ist eine Alterserscheinung?«
Zweifelnd neigte sie den Kopf und setzte sich auf dem Stuhl zurecht, wodurch sich ihr Oberkörper geschmeidig bog.
Wieder so eine Bewegung, die mich um den Verstand bringen könnte.
»Bei Arkoniden färbt sich das Haar im Alter schwarz.«
Er hätte gern über persönliche Dinge gesprochen und glaubte, dass es ihr ebenso ging, aber die sechsunddreißig Stunden seit ihrem Wiedersehen waren bis zum Bersten damit angefüllt gewesen, die neuesten Entwicklungen zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Bull und Tai'Targ waren noch vor ihnen aufgebrochen, um sich an der Operation Greyout zu beteiligen, die die Datenbestände der Erde für die Invasoren unbrauchbar machen sollte. Rhodan dagegen war in England, weil Bai Jun meinte, er sei hier für den Widerstand am wertvollsten. Thora hatte ihm davon abgeraten, sie mitzunehmen, aber wie hätte er sie zurücklassen können, nachdem er sie gerade erst wiedergefunden hatte?
Die Arkonidin beobachtete die Lichtbrechung in ihrer Colinade, während sie das Glas drehte.
»Woran denkst du?«, fragte Rhodan.
»Ich hatte so sehr gehofft, Callibso würde uns in Ruhe lassen.«
Auch darüber hatten sie geredet. Natürlich. Bevor Rhodanos in den Tod gegangen war, um seinem jüngeren Alter Ego und Bull die Flucht zu ermöglichen, hatte er von diesem Callibso und dessen Puppen gesprochen. »Folge den Puppen, Bruder!« – das war seine eindringliche Aufforderung gewesen. Thora hatte er in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnt.
Rhodan hatte auf ein glückliches Wiedersehen auf Owey Island gehofft. Stattdessen hatte die stolze Raumschiffskommandantin gezittert, als sie von ihrem Aufenthalt auf Derogwanien berichtet hatte, wo sie Callibso begegnet war.
Auch jetzt lief ein Schaudern über ihren Rücken. Ohne nachzudenken rückte Rhodan seinen Stuhl heran und legte ihr einen Arm um die Schultern. Ein Duft, den er auf der Kristallwelt gerochen hatte, stieg in seine Nase. Arkonrose.
»Alles ist besser, als in Callibsos Hände zu geraten«, flüsterte Thora. »Es war so schrecklich, seinen Seelenfunken in mir zu spüren! Ich war wie eine Zuschauerin im Gefängnis meines eigenen Körpers.«
»Das ist jetzt vorbei. Eure Flucht war hart, aber ihr seid entkommen.«
»Ich bin noch immer unsicher, ob er uns umbringen wollte.« Sie schluckte. »Als die Lebenserhaltungssysteme versagten ...« Thora schüttelte den Kopf. Augenblicklich wirkte sie gefasster. »Ich habe viel nachgedacht seit unserem Aufbruch nach Arkon.« Sie beobachtete die Korvette über der Themse. »Das musst du mir glauben. Ich schäme mich für mein Volk.«
»Ich habe dein Volk kennengelernt. Die Besetzung der Erde ist nichts, was man jedem einzelnen Arkoniden anlasten kann. Nicht dein Volk trägt die Schuld, sondern der Machthunger Einzelner.«
»Dem Großen Imperium ging es nicht immer um Macht.« Sie zog die Brauen zusammen. »Jedenfalls nicht als Selbstzweck. Wir wollten sie nutzen, um etwas Positives in der Galaxis zu bewirken. Es gab Zeiten, da jubelten die Völker, wenn die Arkoniden in ihre Systeme kamen, weil sie Tyrannen stürzten und Frieden und Fortschritt brachten.«
Das behaupten sie jetzt auch, dachte Rhodan, schwieg aber.
Einige Gäste im Café schwenkten ihre Ferngläser nach Südwesten. Über dem Stadtgebiet näherten sich einige Quadrocopter der Tower Bridge. Der Begriff »Terra Police« sprang wie ein Schimpfwort durch die Menge.
Rhodan seufzte. Er bekämpfte den Impuls, die Menschen, die sich in den Dienst der Invasoren gestellt hatten, zu dämonisieren. Neugierde auf die Perspektiven, die das Große Imperium eröffnete, mochte einige von ihnen gelockt haben. Andere hegten eine naive Zuversicht, die der arkonidischen Propaganda glaubte, dass das Protektorat die Probleme lösen würde, die die Menschheit an den Rand der Selbstzerstörung gebracht hatten.
»Verräter!«, knirschte Thora.
Viele Pods wurden in die Höhe gereckt, als die Quadrocopter auf der gesperrten Promenade nahe der Tower Bridge landeten. Die Bilder von den leicht gepanzerten Polizeieinheiten würde man jetzt überall auf der Welt sehen können. Rhodan fragte sich, wie groß der Kollateralschaden von Operation Greyout ausfallen würde. Wenn es extrem liefe, wären die Pods übermorgen nur noch isolierte Geräte, nutzlos wie gestrandete Schiffe. Im Netz abgelegte Filmaufnahmen und Tagebücher mochten für immer verloren sein, gelöscht oder unauffindbar unter einem Wust von Schmutzdaten. Damit wäre das Evernet auch für die Invasoren so unzuverlässig, dass sie keinen Nutzen mehr daraus ziehen könnten. Falls Reg, Gucky und die anderen Erfolg haben ...
In einer Hand hielt Thora ihr Colinadenglas. Die andere hatte sie so fest geballt, dass die Knöchel weiß hervortraten.
Die Terra Police nahm Aufstellung. Akustikfelder verstärkten, was immer die Einsatzleiter den Demonstranten zuriefen, aber bis hierher trugen die Worte nicht.
»Ich habe Bai Jun und den anderen gesagt, dass sie einen wirkungsvollen Schlag führen müssen«, murmelte Thora. »Etwas Großes. Das wird den Menschen beweisen, dass die Invasoren zu besiegen sind und der Widerstand sich lohnt.«
»Dafür sind wir ja jetzt hier«, sagte Rhodan.
Sie sah ihn an. Rhodan stellte sich die goldenen Tupfen in ihren roten Augen vor. Sie waren nicht nur durch die Sonnenbrille verborgen, sondern auch durch einen haselnussbraunen Irisfilm.
»Du bist deswegen hier«, stellte sie klar. »Mich wollen sie nicht dabeihaben. Und ich kann sie verstehen.«
Dieses Thema hatten sie bisher nicht ausdiskutieren können. Soweit Rhodan verstand, gab es innerhalb des Widerstands massive Vorbehalte gegen Thora und Crest. Nicht so sehr, weil sie Arkoniden waren, sondern weil man ihnen vorwarf, der Menschheit wesentliche Informationen vorenthalten zu haben. Deswegen sei man dem Großen Imperium naiv begegnet. Die TOSOMA samt Besatzung ging verloren, und Perry Rhodan war mit seinen Gefährten verschollen.
Zumindest diesen Vorwurf werde ich entkräften.
Auf der Brücke sackten einige Demonstranten zusammen, als die Terra Police mit Paralysatoren vorrückte. Die anderen wichen zurück. Vereinzelt flogen improvisierte Wurfgeschosse.
Ein muskulöser Mann in einem beigefarbenen Trenchcoat schlenderte an ihren Tisch und beobachtete die Szenerie.
Rhodan nahm den Arm von Thoras Schulter und rückte etwas beiseite.
»Diese Holografie ist purer Protz«, meinte der Mann. »Dazu scheinen die Arkoniden zu neigen. Kennen Sie ihre Musik? Ich finde, arkonidische Hymnen haben etwas Bombastisches.«
»Nun ja, Zwölftonmusik ist es nicht gerade«, antwortete Rhodan mit der ihm mitgeteilten Kennphrase.
»Daran hätte sich Franz Liszt kaum erfreut.«
Das ist unser Kontaktmann.
Rhodan und Thora erhoben sich.
Der Mann hatte einen kräftigen Händedruck. »Deinem Onkel Karl wäre Zwölftonmusik sicher lieber gewesen.«
Rhodan stutzte. Das gehörte nicht zum vereinbarten Dialog.
Er musterte das Gesicht unter dem grauen Hut. Das kantige Kinn und die nach mindestens einem Bruch schief zusammengewachsene Nase waren ihm fremd. Aber der Schalk, der in den blauen Augen blitzte, und das Lächeln, als sich die Lippen teilten ...
»Marcus?« Rhodan musste sich beherrschen, um seine Stimme gedämpft zu halten. »Marcus Everson?«
»Ein Vierteljahrhundert, und trotzdem wiedererkannt!«, bestätigte Everson.
Ohne die Hand loszulassen, wandte sich Rhodan an Thora. »Das ist mein Schulfreund Marcus! Wir waren ein paarmal gemeinsam bei meinem Onkel Karl und haben auch sonst eine Menge gemeinsam ausgefressen.«
»Perry konnte schon damals sehr überzeugend sein. Wenn er vorgeschlagen hat, mitten im Winter eine Schwimmbahn ins Eis zu hacken, war die halbe Klasse dabei.«
Rhodan lachte. »Das hatte ich fast vergessen!«
»Küss die Hand, schöne Frau!« Grinsend zog er Thoras Hand zu seinen Lippen.
Rhodan sah, dass sich die Augen der Arkonidin hinter der Sonnenbrille fragend weiteten.
»Jetzt kommt erst mal mit«, schlug Everson vor. »Wir können uns auf dem Weg unterhalten.«
An der Tower Bridge warfen die Demonstranten das Bild von König William in die Themse, damit es der Terra Police nicht in die Hände fiele.
Thora da Zoltral
Thora lauschte auf das Rauschen des Windes. Sie waren mit einem Airspeed Horsa Lastensegler unterwegs, einer zwanzig Meter langen Maschine, die sich allein durch die Flugeigenschaften ihrer Tragflächen in der Luft hielt, seit sie das Schleppseil abgekoppelt hatten. Und mit so einem Spielzeug fliegen wir in einen Einsatz, bei dem wir ein arkonidisches Raumschiff kapern wollen!
Das nämlich war Bai Juns Plan. Vor drei Tagen hatte er Thora kontaktiert, um ihr Wissen über Flottentender abzufragen.
Die Aktion trug den Namen Yihequan. Thoras Translator übersetzte den Terminus mit »Fäuste der Gerechtigkeit und Harmonie«, was eine enge Interpretation der Begrifflichkeit aus Bai Juns Muttersprache darstellte. Aber Bai Jun war kein Romantiker. Er war ein General, der in Terrania einen Traum geträumt hatte und erwacht war, als die Arkoniden die Hauptstadt einer vereinten Menschheit zu einem Trümmerfeld zerschossen hatten. Thora wusste inzwischen, dass die blumige Bezeichnung für ein historisches Ereignis stand, das die Kulturen des Abendlands »Boxeraufstand« nannten. Eine Rebellion gegen Invasoren, oberflächlich betrachtet ein Fehlschlag mit Tausenden Toten, die aber den Stolz der Chinesen wach gehalten hatte. Schließlich hatten sie das Imperium, das sie geknechtet hatte, aus ihrem Land vertrieben.
Jetzt befand sich Thora auf der Insel, die Zentrum eben jenes British Empire gewesen war und wo Free Earth einem anderen Imperium die Stirn bieten wollte. Einem Reich, dessen Disziplinierungswut Planeten mit der doppelten Bevölkerungszahl der Erde in Vakuumwüsten verwandelt hatte.
»Für euch haben wir natürlich auch die passende Garderobe dabei.« Marcus Everson kam mit einer genagelten Holzkiste aus dem Bug. Auf den hellen Brettern befand sich ein Brandzeichen mit einer Krone über einem Saiteninstrument, das auf der linken Seite wie eine geflügelte Frau mit einem fischartigen Unterleib modelliert war.
Everson bemerkte Thoras fragenden Blick. »Das Wappen der Royal Ulster Rifles.« Er drehte ihr die rechte Schulter zu. Auf der historischen Uniform, die er jetzt trug, prangte das gleiche Symbol. Darunter stellte ein Spruchband auf Latein die Frage: »Wer entzweit uns?«
»Die Geschichte Ihres Planeten verwirrt mich noch immer. Ich nehme an, diese Einheit kämpfte im Zweiten Weltkrieg?«
»So ist es!« Everson öffnete die Kiste und förderte zwei Uniformen zutage, komplett mit Stahlhelmen, die an tiefe Teller erinnerten. »Ein irischer Verband unter britischem Kommando. Er war an einer Luftlandeaktion beteiligt.«
»Das ist naheliegend.« Sonst wären wir jetzt nicht in dieser Antiquität unterwegs.
Sie nahm ihre Uniform entgegen. »Ich dachte, Frauen hätten damals nicht an der Waffe gedient?«
»Beim Re-Enactment geht es um den Spaß, eine historische Epoche wieder zum Leben zu erwecken«, erklärte Perry Rhodan.
Mit Bedauern registrierte Thora, dass er die scheinbar zufällige Berührung ihrer Oberschenkel löste, um sich selbst umzuziehen.
»Dabei darf jeder mitmachen«, sagte Everson. »Sie werden sogar Kinder in Uniform sehen. Es ist wie eine Art Theaterspiel ohne Drehbuch. Man verkleidet sich entsprechend der darzustellenden Epoche. Oft werden die Kostüme in liebevoller Heimarbeit gefertigt. Manche Clubs studieren kleine Vorführungen ein. Angemeldet werden nur die Sachen, die eine logistische Unterstützung des Veranstalters erfordern oder gefährlich wären, wenn sie unkoordiniert ablaufen würden. Die Beiträge zur Flugshow beispielsweise.«
Der Innenraum des Lastenseglers war eine Röhre, die Platz für fünfundzwanzig Passagiere bot. Jetzt transportierte er nur zehn, allesamt Mitglieder von Free Earth, die für Aktion Yihequan in die historische Flugshow eingeschleust wurden. Mit Ausnahme von Rhodan und Everson kannte Thora keinen von ihnen.
»Habt ihr als Kinder auch Soldat gespielt?«, fragte sie.
Rhodan zog sein Hemd über den Kopf. Sein Oberkörper war bei Weitem nicht so trainiert wie der von Everson, aber gut in Form. Thora beobachtete, wie sich die Brustmuskulatur bewegte, als er die Uniform entfaltete. Das Enteron, jener Symbiont, der von Rhodanos auf ihn übergegangen war, lag wie ein großflächiges, schwarzes Pflaster über seinen Nieren.
»Ich habe Astronaut gespielt, nicht Soldat. Ich wollte immer schon zu den Sternen.«
»Erinnerst du dich an unser selbst gebasteltes Teleskop?«, fragte Everson.
Rhodan lachte. »Das ausrangierte Abwasserrohr war ein guter Ansatz, aber ein paar Linsen wären für die Erforschung des Sternenhimmels wirklich hilfreich gewesen.«
Es tat gut, ihn so unbeschwert zu erleben. Sonst war er oft grüblerisch. Jetzt weißt du, dass niemand so von den Sternen zurückkehrt, wie er zu ihnen aufbricht.
Das Flugzeug legte sich in eine sanfte Kurve.
»Da unten ist das Gelände!« Everson deutete auf ein Fenster, das so wirkte, als ob es nachträglich in die historische Maschine eingebaut worden wäre. »Du wirst einige Freunde wiedertreffen, Perry! Wenn auch nicht ganz so alte wie mich.«
Grün war die vorherrschende Farbe des Bodens. Weite Rasenflächen wechselten sich mit Hainen ab, die allerdings auch schon herbstliches Gelb und Rot zeigten.
»Werden wir ebenfalls ein solches Zeltlager beziehen?«, fragte Thora. Die Camps bildeten Wolken grauer und olivfarbener Tupfer zwischen den Straßen.
»Ja, das gehört dazu. Außerdem ist diese Unterbringung eine gute Möglichkeit, einigermaßen sicher vor Lauschern zu sein.«
Tribünen umrahmten auf drei Seiten das Air Field, wo schon etwas mehr als hundert Maschinen bereitstanden, die meisten kleiner als ihr Lastensegler. Vereinzelt entdeckte Thora moderne Modelle, die die Synthese aus irdischer und ferronischer Technologie verwendeten. Die stählerne Kugel der arkonidischen Korvette war unübersehbar.
Everson stützte sich neben dem Fenster ab. »Ihr müsst lächeln, die Zuschauer machen schon Aufnahmen von unserem Anflug!«
Skeptisch sah Thora zu Rhodan hinüber. Sein Gesicht war kosmetisch leicht verändert, mit erhöhten Wangenknochen und Schminke über der Narbe auf der Nase. Niemand würde erwarten, ihn in der Uniform der Royal Ulster Rifles zu sehen. Ob das reichte, um einer Entdeckung zu entgehen?
Die zögerliche Bewegung, mit der Everson einen glänzenden Gegenstand an Rhodans nackten Rücken führte, bemerkte Thora im letzten Moment. Sie stieß seine Hand fort und sprang im gleichen Augenblick auf. Ihre Rechte schoss auf seinen Kehlkopf zu. Gerade noch lenkte sie den Todesschlag ab und rammte den Handballen unter sein Kinn.
Stöhnend taumelte Everson rückwärts.
Was Muskelkraft anging, konnte sich Thora nicht mit ihm messen, aber auf ihrer Seite standen mehrere Jahrtausende Kampferfahrung, ritualisiert und verfeinert in den Techniken des Dagor. Beinahe instinktiv erkannte sie, dass Eversons Gewicht nahezu vollständig auf dem linken Fuß lastete. Entschlossen schmetterte sie einen Sicheltritt gegen die rechte Wade.
Everson verlor die Balance. Er schlug auf den Boden.
Rhodan wollte aufspringen, erstarrte aber in der Bewegung, als ein metallisches Klicken durch die Passagierkabine hallte.
»Das reicht, Arkonidin!«
Everson lag unbewegt.
Thora drehte sich zu den anderen Passagieren um. Sie trugen ebenfalls die historischen Uniformen. Bei ihnen war allerdings auch die Bewaffnung komplett. Sieben Karabiner zielten auf Thora. Neben den Läufen schimmerten Bajonette. Ob ihre Schneiden angeschliffen waren, konnte Thora nicht erkennen, aber sie sahen hart und spitz aus.
»Wenn Sie schießen, werden Sie den Rumpf dieses Flugzeugs beschädigen«, sagte Thora. »Wir könnten abstürzen.«
»Unterschätzen Sie niemals die Entschlossenheit der Menschen, Arkonidin!«
Langsam stand Rhodan auf. »Wir sind unbewaffnet«, stellte er fest. »Wir bedrohen niemanden.« Er blickte Everson an. »Was soll das, Marcus?«
Thora hörte das Schwanken in seiner Stimme. Rhodan hatte nicht damit gerechnet, einen Jugendfreund wiederzusehen. Vielleicht war Everson für ihn so etwas wie ein Anker in einer Zeit, in der sein Leben weniger abenteuerlich, aber auch einfacher gewesen war. Thora wusste, was es bedeutete, die Verbindung zur eigenen Vergangenheit zu verlieren. Sie hätte Rhodan gewünscht, dass er sich einen Teil seiner alten Welt hätte erhalten können. Die jetzige Entwicklung sprach leider dagegen.
»Es ist nicht meine Idee, Perry.« Als er aufstand, wirkte Everson wie ein alter Mann. »Bai Jun besteht darauf.« Er zeigte den glänzenden Gegenstand vor. Er passte in seine Handfläche. »Ein Gensequenzer. Wir müssen sicher sein, dass du wirklich Perry Rhodan bist. Die Arkoniden sind sehr geschickt in kosmetischen Operationen.«
Rhodan sah Everson an. Stumm streckte er ihm einen Arm entgegen.
Der Test ging schnell.
Everson nickte. »Er ist es! Perry Rhodan ist zurück auf der Erde!«
Die Kämpfer senkten die Karabiner und setzten sich. Rasch waren sie in ein aufgeregtes Gespräch verwickelt, wobei sie immer wieder zu den drei Passagieren im hinteren Teil herüberschauten.
»Es tut mir leid«, flüsterte Everson.
»Ich verstehe das.« Perry zog das Uniformhemd über.
Erst als sie selbst die Kleidung wechselte, begriff Thora, dass einige der Blicke auch ihr galten. Die Menschen hatten eine etwas prüde Vorstellung von Erotik. Andererseits gefiel ihr Rhodans vorsichtige Annäherung, die ihr das Gefühl gab, jederzeit eine Grenze ziehen zu können. Nicht, dass sie das gewollt hätte, aber sie hatte gern die Kontrolle.
Hoffentlich interpretiere ich seine Signale richtig!
Everson fasste ihren nachdenklichen Gesichtsausdruck wohl als Aufforderung auf, etwas zu sagen. »So war Perry früher auch.« Er lächelte gezwungen. »Er hatte schon immer die Sicht auf das Ganze, vermochte aus sich herauszutreten und eine übergeordnete Perspektive einzunehmen. Beim Basketball konnte er zugleich mitspielen und Schiedsrichter sein.«
»Wir reden die ganze Zeit von mir«, meinte Rhodan. »Wo hast du eigentlich gesteckt?«
»Als die Sache mit der Terranischen Union begann, bin ich nach Baikonur gegangen. Ins Raumfahrerprogramm. Ich war gar nicht schlecht. Das hat mich wieder auf die richtige Bahn gebracht.«
»Das klingt, als hättest du vorher in Schwierigkeiten gesteckt.«
»Probleme bekamen eher diejenigen, die mit mir zu tun hatten.« Wieder dieses freudlose Lächeln. »Ich habe Dinge getan, für die ich mich schäme, Perry.« Der starke Mann wirkte hilflos. Dennoch hatte dieser Moment etwas Schönes. Als würde Rhodan für ihn etwas verkörpern, das er lange gesucht hatte. »Vielleicht sprechen wir ein andermal darüber, Perry.«
»Sicher. Wann immer du willst.«
Mit übertriebener Geste klatschte Everson in die Hände. »Jedenfalls werde ich demnächst einen ganz großen Pott fliegen.« Er sah Thora an. »Danke übrigens für Ihre Informationen. Ich habe sie auswendig gelernt.«
»Dann sind Sie der Pilot, der die LATAS steuern soll?«
»Ich setze auf Ihre Mithilfe.«
Thora hatte einen Abschluss einer arkonidischen Raumakademie. Sie hatte die AETRON kommandiert. Unter ihrem Befehl war der Kugelraumer in eine Raumregion vorgedrungen, die jahrtausendelang kein arkonidisches Schiff mehr gesehen hatte.
Aber die Menschen misstrauten ihr. Das war ihnen nicht zu verdenken, nachdem Thora ihnen vor dem Aufbruch der TOSOMA so wenig über die Gefahren des Großen Imperiums berichtet hatte. Sie würden ihr auf keinen Fall das Kommando übertragen. Allenfalls Navigationsoffizierin dürfte sie sein. Für einen Kommandanten, der bislang nur unter kontrollierten Übungsbedingungen Transitionen geflogen hatte.
Thora wusste, dass sie einschüchternd wirken konnte, wenn sie zornig war. Everson runzelte die Stirn und wich einen halben Schritt zurück.
Sie schluckte ihren Stolz hinunter. »Ich stehe zu Ihrer Verfügung.«
Die uralte Bordsprechanlage knackte. »Bitte alle Platz nehmen und anschnallen. Wir landen.«
Einer derjenigen, die sie gerade noch mit Schusswaffen bedroht hatten, kam rasch zu ihnen. »Ich will Sie nicht stören, Sir, aber würden Sie vielleicht schnell ...« Er hielt Rhodan ein Blatt und einen Stift hin. »›Für Gabriel‹, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
»Was ist das?«, fragte Rhodan.
Der Zettel war mit einem Bild von ihm vor einer Darstellung der Milchstraße bedruckt. »Perry hat uns nicht vergessen!«, stand darunter und »Free Earth« oben links in der Ecke.
»Ein paar Millionen dieser Flugblätter hat man überall verteilt, um die Moral zu heben«, erklärte Everson. »Auf der französischen Version ist auch der zerstörte Eiffelturm abgebildet.« Entschuldigend sah er Thora an.
Rhodan setzte seine Unterschrift auf das Blatt und gab es zurück, bevor er sich anschnallte.
Für einen Moment schien seine Hand keinen Platz zu finden. Thora griff zu.
»Es ist sicher merkwürdig für dich«, sagte sie.
Er drückte ihre Hand, schwieg aber.
Während sich der Lastensegler neigte und der Landebahn entgegenglitt, dachte sie an Callibsos Worte. »Ihr Freund wird wichtig werden. Weit wichtiger, als er ahnt. Von seinen Entscheidungen hängt das Schicksal der Menschheit ab. Und noch mehr. Ich will ihm helfen, dass er die richtigen Entscheidungen trifft.«
Bei der Vorstellung, dass Callibso Rhodan helfen
Satrak
Im Sturm suchte Satrak, der Fürsorger des Protektorats Larsaf, nach Ruhe. Möglich, dass man es seiner Exzentrik zuschrieb, dass er sich auf dem Flachdach von H-Block vier dem Gewitter aussetzte. Aber ungewöhnliche Vorlieben sorgten auch dafür, dass man ab und zu willkommene Einsamkeit fern von Untergebenen fand, die ihre kleinen Erfolge schon deswegen aufbauschten, damit sie für eine Beförderung oder einen Sonderposten in Betracht gezogen würden. Satrak sah den Nutzen dieses Wettkampfs um attraktive Positionen, weil er dafür sorgte, dass jeder sein Bestes gab. Er musste nur die Ziele richtig definieren, damit Eigennutz und das Wohl des Großen Imperiums auf einer Linie lagen.
Leider war das Ziel der meisten Verwalter auf der Erde wie auch der meisten Soldaten der 312. vorgeschobenen Grenzpatrouille, diese rückständige Welt möglichst schnell zu verlassen und in das Große Imperium zurückzukehren.
Ich muss auf meine eigenen Gedanken achten!, ermahnte sich der Fürsorger. Larsaf ist jetzt ein Teil des Großen Imperiums. Ich muss die Vorzüge einer Stationierung auf der Erde herausstellen. Hier kann man viel freier agieren als unter der Gängelung des Hochadels. Auf diesem Planeten kann jeder etwas werden. Auch wenn die Erde nie eine glanzvolle Metropolwelt sein wird.
Selbst das musste kein Nachteil sein. Satrak hätte niemals auf einem dieser Planeten leben wollen, deren komplette Oberfläche bebaut war. Die Kriegswelt Arkon III mochte ein Traum für Soldaten wie Chetzkel sein, denen Drill und Effektivität über alles gingen. Für Satrak waren solche Stadtwelten eine Horrorvision.
Er schloss die Augen und stellte sich vor, der Regen würde auf das vielstöckige Blätterdach eines jener Baumriesen prasseln, die den planetenumspannenden Großen Wald beherrschten, in dem er aufgewachsen war. Obwohl er wusste, dass ihn in Wirklichkeit ein kuppelförmiges Prallfeld vor der Nässe bewahrte, gelang es ihm, in seiner Vorstellung das Labyrinth aus Stämmen und Ästen zu beschwören, durch das er sich in seiner Jugend mit dem geschickten Einsatz des Greifschwanzes geschwungen hatte. Unwillkürlich tastete er mit der Wirbelsäulenverlängerung aus dem geschützten Bereich hinaus. Der fellbedeckte Schwanz war viel kräftiger, als die meisten Arkoniden vermuteten. Er konnte fest zupacken und für kurze Zeit mehr als Satraks eigenes Körpergewicht anheben. Wegen der eher groben Verwendung war er unempfindlich. Es dauerte eine Weile, ehe Satrak die Nässe spürte.
Ein Donnerschlag ließ Satrak zusammenzucken. Widerstrebend öffnete er die Augen.