Persönlich genommen - Hans-Martin Lübking - E-Book

Persönlich genommen E-Book

Hans-Martin Lübking

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Beschreibung

Eine Schatzkiste für Gebet und Andacht zu den verschiedensten Anlässen im Gemeindeleben

- Strukturiert, lebendig gestaltet und materialreich: Texte und Bilder, Lieder und Gebete

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Inhaltsverzeichnis

VORWORTNEUJAHR
ADAMHULDRYCH ZWINGLI
2.SONNTAG NACH WEIHNACHTEN
EVAALBERT CAMUS
EPIPHANIAS
KAIN UND ABELANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF
1. SONNTAG NACH EPIPHANIAS
NOAHJOHANNES RAU
2.SONNTAG NACH EPIPHANIAS
ABRAHAMGOTTHOLD EPHRAIM LESSING
3.SONNTAG NACH EPIPHANIASCopyright

VORWORT

Wenn ich in einer Andacht von einer interessanten Person erzähle, ist die Aufmerksamkeit immer groß. Bei biblischen Besinnungen oder allgemeinen Betrachtungen schweifen die Gedanken der Zuhörer schon mal ab, bei einem biografischen Portrait möchte man hingegen keinen Satz verpassen.

Biografien interessieren, sie machen Überzeugungen und Theorien oft erst verständlich. Theologie und Geschichte werden dort anschaulich und nachvollziehbar, wo sie anhand von Biografien dargestellt werden.

»Persönlich genommen« stellt die wichtigsten Personen des Alten und Neuen Testaments in 65 Biografien historisch verständlich, pointiert und in ihrem theologischen Profil vor. Männer und Frauen halten sich dabei zahlenmäßig in etwa die Waage. Kurze Porträts erinnern zugleich an interessante Persönlichkeiten aus Literatur, Kunst, Politik sowie der Kirchen- und Kulturgeschichte, deren Glaube, soziales Engagement oder Lebensbeispiel exemplarisch sind und nicht vergessen werden sollten.

Der Aufbau des Buches ist wochenorientiert. Es beginnt mit Neujahr und folgt dem Kirchenjahr bis zum Jahresende. Mit dem biblischen Wochenspruch korrespondieren alltagsnah formulierte Gebete und ausgewählte Gesangbuchverse. Besondere Bilder und literarische Beispiele vertiefen die biografischen Profile oder nehmen die Themen der jeweiligen Sonntage auf. Sie haben eine eigene Qualität und können auch für sich stehen.

»Persönlich genommen« ist ein Andachtsbuch, das bei verschiedenen Anlässen und in unterschiedlichen Situationen benutzt werden kann: in Veranstaltungen und bei Sitzungen, in Gemeindegruppen oder bei Geburtstagen. Es kann aber auch zur persönlichen Orientierung gelesen werden.

Hans-Martin Lübking

NEUJAHR

Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Kolosser 3,17

GEBET

Das neue Jahr ist erst ein paar Stunden alt. Was es bringen wird, wissen wir noch nicht. Ob wir es heil und gesund überstehen? Ob wir in unseren persönlichen Fragen in diesem Jahr einen Schritt weiter kommen? Ob unsere Pläne fürs neue Jahr aufgehen und wir unsere guten Vorsätze durchhalten? Wir wollen uns nicht grundlos fürchten, Gott, aber ein wenig Angst haben wir doch auch, wenn wir an das neue Jahr denken. Darum bitten wir dich, Gott: Nimm dich unser an, bleibe in der Nähe und halte deine Hand über uns, auch im neuen Jahr. Amen.

GESANGBUCH

Wir gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern, wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen.

Gelobt sei deine Treue, die alle Morgen neue; Lob sei den starken Händen, die alles Herzleid wenden.

Sprich deinen milden Segen zu allen unsern Wegen, lass Großen und auch Kleinen die Gnadensonne scheinen.

Paul Gerhardt (1653), EG 58,2.7.11

ADAM

Was die Bibel auf den ersten Seiten von Adam erzählt, gilt für jeden Menschen. Es geht nicht um eine bestimmte Person mit dem Namen »Adam«, sondern um den Menschen überhaupt, »adam« auf Hebräisch. Nach dem älteren Schöpfungsbericht formt Gott Adam, den Menschen, aus dem Staub der »adamah«, des Erdbodens. Hier ist ein uraltes und in vielen Kulturen verbreitetes Motiv aufgenommen: Der Mensch gehört zur Erde, sie ist sein natürlicher Lebensraum, mit ihr ist er verbunden, ihm ist sie aber auch zur Bearbeitung und Bewahrung anvertraut. Bis heute wird im Begräbnisritual an diese Herkunft erinnert: »Von Erde bist du genommen, zur Erde sollst du wieder werden.«

Adam ist aber zugleich mehr als ein bloßer Erdklumpen. Er ist Geschöpf Gottes, »der ihm den Atem des Lebens eingehaucht hat. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.« (1 Mose 2,7) Adam gehört zur Erde und hat doch eine Beziehung zum Himmel. Er ist Geschöpf unter Geschöpfen und doch auf Gott hin geschaffen.

Adam ist kein Einzelgänger, sondern ein soziales Wesen, auf Gemeinschaft angelegt. »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei« (1 Mose 2,18), heißt es in der Bibel. Unter den Tieren findet Adam keinen Lebenspartner. Da baut Gott aus einer der Rippen Adams eine Frau. Der biblische Erzähler greift zu diesem altertümlichen und oft missverstandenen Bild, um die Zusammengehörigkeit und Entsprechung von Mann und Frau zu verdeutlichen. So kommt die Erschaffung des Menschen erst mit der Erschaffung der Frau zum Ziel. Gott hat den Menschen nicht einzeln, sondern als Paar geschaffen.

Adam lebt in einer Schöpfung, in der Gott für den Menschen sorgt und dieser alles hat, was er zum Leben braucht. Die ganze Schöpfung hat Gott ihm anvertraut, er soll sie bebauen und bewahren und im Auftrag Gottes verwalten. Doch Gott hat Adam auch eine Grenze gesetzt. Von allen Bäumen im Gottesgarten darf er essen, »aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen, denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben.« (1 Mose 2,17) In seiner Fürsorge für den Menschen zieht Gott eine Grenze: Er soll darauf vertrauen, dass Gott für ihn sorgt – aber er soll nicht anfangen, selbst zu bestimmen, was für ihn gut oder schädlich ist.

Die Fortsetzung ist bekannt. Adam und Eva überschreiten genau diese Grenze, sie wollen selber die Herren über ihr Leben sein. In der Bibel wird diese Geschichte überschrieben mit »Der Sündenfall«. Doch weder von Sünde noch von Fall ist hier die Rede. Was hier geschildert wird, ist der Versuch einer Erklärung, wie es zum Bruch und Zwiespalt in der Existenz des Menschen gekommen ist, zum Bruch mit dem Schöpfer und zum Zwiespalt zwischen den Geschöpfen. Adam und Eva wollen nun selbst bestimmen – und darum werden sie hineingerissen in die Widersprüche, die jenseits des Paradieses das Leben bestimmen: Arbeit bestimmt das Leben – doch die Arbeit ist oft genug voller Mühsal und Plage; Männer und Frauen können miteinander glücklich werden – doch diese Gemeinschaft ist auch geprägt von Spannungen und Machtspielen; Menschen und Tiere, Geschöpfe Gottes die einen wie die anderen, werden einander zu Feinden.

»Da gingen beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren.« (1 Mose 3,7) Beide wissen nun, was gut und böse ist, beide haben nun ihr Leben in die Hand genommen – aber das volle, unzerstörte, erfüllte Leben, das ist ihnen verloren gegangen.

Auguste Rodin, »Die Hand Gottes«, 1896. Marmorausführung 1902 von Soudbinine,94 x 82,5 x 54,9 cm, Musée Rodin, Paris/Frankreich© der Vorlage: akg-images, Berlin

»Da machte Gott, der HERR, den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Atem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.« (1 Mose 2,7) Auguste Rodin hat den Bibelvers ernst genommen. Gott schafft den Menschen mit seiner Hand – Adam und Eva. In Rodins Plastik sind beide eingerollt wie im Mutterleib. Noch sind beide nicht fertig, noch ist Gottes Hand am Werk.

Kaum ein Bildhauer hat so ausdrucksstarke Hände geschaffen wie Rodin. Für ihn besaß die Hand die Fähigkeit, ganz aus sich heraus Spannungen darzustellen. Nicht zufällig verstand sich Rodin als Künstler zugleich als »Handlanger Gottes«.

HULDRYCH ZWINGLI

(1.1.1484 – 11.10.1531)

Ulrich Zwingli, am 1.1.1484 in Wildhaus geboren, war von Anfang an dazu bestimmt, eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen. Nach dem Studium in Wien und Basel war Zwingli zunächst 12 Jahre Pfarrer in Glarus und Einsiedeln und nahm in dieser Zeit auch als Feldprediger mit Schweizer Truppen an Schlachten in Oberitalien teil. Unter dem Einfluss des damals berühmtesten Humanisten, Erasmus von Rotterdam, erkannte er in diesen Jahren immer mehr die Reformbedürftigkeit der Kirche und fing an, das Neue Testamen mit anderen Augen zu lesen.

Als er 1518 zum »Leutpriester« ans Großmünster in Zürich berufen wurde, begann er sofort in seinen Predigten, biblische Schriften in ihrem Zusammenhang auszulegen. Er predigte kirchenkritisch, setzte sich mit der Heiligenverehrung, dem Mönchtum und der Messe auseinander und forderte die Aufhebung des Zölibats.

Seine Predigten riefen ziemliche Unruhe hervor. In einer spektakulären Aktion veranstalteten angesehene Zürcher Bürger mitten in der Fastenzeit ein öffentliches Wurstessen. Zwingli verteidigte das Vorgehen mit seiner ersten reformatorischen Schrift »Von Erkiesen und Fryheit der Speysen«. Zur Klärung der anstehenden Fragen berief der Rat der Stadt eine große Disputation ein, die 1523 stattfand und aus der Zwingli als Sieger hervorging. Als Ergebnis der Disputation wies der Stadtrat alle Prediger an, künftig »schriftgemäß« zu predigen.

Zwischen 1523 und 1525 reformierte Zwingli nach und nach die ganze Zürcher Kirche. Aus den Kirchen wurden die Bilder entfernt, und alle Klöster wurden geschlossen. Mit der Messe verschwanden Orgel und Altäre, Reliquien, Firmung und Letzte Ölung. Die Kirchenreform in Zürich bedeutete einen radikalen Bruch mit der katholischen Tradition. Stadt und Kirche wirkten in Zürich eng zusammen, um aus der Stadt ein Gemeinwesen zu machen, das sich am Willen Gottes orientierte.

Dabei ging Zwingli trotz seiner entschiedenen Forderungen vorsichtig zu Werke. An dem spektakulären Wurstessen nahm er selbst nicht teil, und obwohl er bereits 1522 die Witwe Anna Reinhart heiratete, verschwieg er diese Ehe zwei Jahre lang.

Während der evangelische Glaube von Zürich aus in Bern, Basel, St. Gallen, Konstanz und anderen Orten Fuß fasste, schlossen sich die innerschweizerischen Kantone zu einem katholischen Bündnis zusammen und nahmen Kontakt zu den mächtigen Habsburgern auf. In dieser Situation versuchte Zwingli, anders als Luther als Theologe auch Politiker, ein Bündnis evangelischer Städte zustande zu bringen. 1529 folgte er der Einladung Landgraf Philipps von Hessen, der sich um ein Defensivbündnis aller Evangelischen gegen Kaiser Karl V. bemühte, zu einem Religionsgespräch nach Marburg. Dort sollte im Gespräch mit Luther und den Wittenbergern vor allem der Abendmahlsstreit beigelegt werden. Für Zwingli war das Heil eine rein innerliche Erfahrung. Er sah in Brot und Wein nur Symbole. Christus war ihm im Abendmahl zwar gegenwärtig, aber nur insoweit sich die Gemeinde an ihn erinnert und sich zu ihm bekennt. Luther hielt dagegen an der realen Gegenwart Christi in Brot und Wein fest. In 14 Artikeln konnten Wittenberger und Schweizer eine Übereinstimmung feststellen, aber in der entscheidenden Frage, »ob der wahre Leib und das Blut Christi leiblich im Brot und Wein sei«, konnte man nur den Dissens feststellen.

Auch wenn das Bündnis aller evangelischen Fürsten und Städte nicht zustande kam, kämpfte Zwingli unverdrossen für eine evangelische Schweiz. Seine heftige Propaganda gegen die katholischen Kantone musste schließlich zum Krieg führen. Am 11. Oktober 1531 kam es zur Schlacht bei Kappel. Zwingli, der als Feldprediger die kleine Zürcher Streitmacht begleitete, fiel in dieser Schlacht »tapfer kämpfend«, wie es im ältesten Bericht heißt. Sein Leichnam wurde gevierteilt und verbrannt.

2.SONNTAG NACH WEIHNACHTEN

Wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.

Johannes 1,14

GEBET

Ich habe Jesus nicht mit meinen eigenen Augen gesehen. Ich gehörte nicht zu den Zuhörern der Bergpredigt. Ich war nicht dabei, als er Zachäus vom Baum holte. Ich stand nicht daneben, als er der Ehebrecherin vergab. Ich saß nicht mit im Boot, als er den Sturm stillte. Ich gehörte nicht zu den Fünftausend, die er satt machte. Ich stand nicht in den Straßen Jerusalems, als er sein Kreuz trug. Ich gehörte nicht zu den Frauen, die ihn sahen als Auferstandenen. Ich war damals nicht dabei, aber ich will auch gesund werden, ich will auch satt werden, ich will auch, dass mir vergeben wird. Ich war nicht dabei, als Gott Mensch wurde. Aber ich bitte dich, Gott, lass mich ein Mensch werden, ein Mensch nach deinem Willen. Amen.

GESANGBUCH

Die ihr schwebt in großem Leide, sehet, hier ist die Tür zu der wahren Freude; fasst ihn wohl, er wird euch führen an den Ort, da hinfort euch kein Kreuz wird rühren.

Ich will dich mit Fleiß bewahren; ich will dir leben hier, dir will ich hinfahren; mit dir will ich endlich schweben voller Freud ohne Zeit dort im andern Leben.

Paul Gerhardt (1653), EG 36,7+12

EVA

Ist Eva an allem schuld? Hat nicht damals im Paradies alles angefangen, als Eva sich von der Schlange verführen ließ und den Apfel aß? »Da sah die Frau, dass es gut wäre, von dem Baum zu essen, dass er eine Lust wäre für die Augen und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß.« (1 Mose 3,6) Eva – das Urbild weiblicher Verführung, Eva – der Beginn der sündigen Menschheit? Über Jahrhunderte hinweg, sowohl im Judentum wie im Christentum, hat man den Vers aus der Schöpfungserzählung so gelesen, dass Eva uns alle »hineingerissen« hat. Bei Jesus Sirach heißt es: »Von einer Frau nahm die Sünde ihren Anfang, ihretwegen müssen wir alle sterben.« (25,32) Und auch im Neuen Testament, im 1. Timotheusbrief, kann man lesen: »Adam wurde nicht verführt, die Frau aber hat sich zur Übertretung verführen lassen.« (2,14)

Zahlreiche Abbildungen in der Kunstgeschichte folgen dieser Deutung – auch Michelangelos berühmte Darstellung in der Sixtinischen Kapelle in Rom: Adam verlässt das Paradies reumütig und zerknirscht, Eva dagegen trotzig, als fühlte sie sich ungerecht behandelt. Steht das so in der Bibel? Die Übertretung des Gebotes ist nach der biblischen Erzählung keine Tat der Eva allein. Auch Adam isst von der Frucht, er muss dazu nicht verführt oder gar gezwungen werden. Adam macht mit. Von einem Apfel übrigens ist in der Bibel gar nicht die Rede, er stammt erst aus dem späten Mittelalter. Wer die Geschichte Evas auf den ersten Seiten der Bibel liest, spürt einen frauenfeindlichen Beigeschmack. Gegen jede biologische Vernunft und Erfahrung ist Adam der Erstgeschaffene, aus dessen Körper eine Frau erst herausoperiert wird. Die Frau wird als »Hilfe« für den Mann geschaffen. Wie die Tiere erhält sie ihren Namen vom Mann: Eva – »die Mutter aller, die leben«. »Adam spricht, die Frau schweigt und wird bejubelt. Ihre Identität gewinnt sie vom und durch den Mann.« (D. Sölle) Die biblische Erzählung spiegelt die patriarchale Welt des bäuerlichen Palästina. Die soziale Rangordnung zwischen Mann und Frau wird als gegeben vorausgesetzt, aber, und das ist das Erstaunliche, sie wird letztlich nicht gutgeheißen. Die leidvolle Realität der Frau, die ihr Liebesverlangen nicht nur mit der Mühsal von Schwangerschaft und den Gefahren der Geburt, sondern auch noch mit der Unterordnung unter ihren Mann bezahlen muss, entspricht gerade nicht dem ursprünglichen Willen des Schöpfers. Die Verfluchungen, die Adam und Eva treffen, erklären, warum das Leben so oft mühselig und schmerzvoll ist. Doch Fluch und Feindschaft, Verlangen und Herrschaft, Dornen und Disteln, Arbeit und Schweiß gehören nicht zum Leben, das Gott mit der Schöpfung gewollt hat, sondern zu dem Leben, wie es sich durch menschliche Störung und Schuld entwickelt hat.

Im Anfang war nicht die Feindschaft zwischen Menschen und Tieren und nicht die mühselige Arbeit voller Vergeblichkeit. Adam und Eva sollten den Garten bebauen und bewahren. Eva war nicht das »Gefäß der Sünde«, wie es bei den Kirchenvätern heißt, sondern die Mutter aller, die da leben. Am Anfang war Liebe ohne Herrschaft, in der ein Mann gegen alle späteren gesellschaftlichen Konventionen seine Familie verlässt, um eins zu werden mit der Frau (1 Mose 2,24).

Marie-Luise Kaschnitz hat eine kleine Erzählung über Adam und Eva geschrieben. Als Adam und Eva das Paradies verlassen mussten, ging es ihnen lange Zeit ziemlich schlecht. Doch allmählich arbeiteten sie sich hoch. Sie hatten sich ein Haus gebaut, einen Garten gepflanzt, Tiere gezähmt und einen fruchtbaren Acker angelegt. Nach Kain und Abel kamen weitere Kinder und wuchsen heran. Ein bescheidenes Glück. Doch dann merkt Adam beim Tod eines starken Tieres in seiner Herde, dass auch er sterblich ist und all sein Tun und Schaffen vergeblich sein könnte. Er wird unzufrieden und misstrauisch und wittert Verrat, wenn er Eva mit den Kindern lachen sieht. Wird er denn nur alleine alt und einsam? Hat Eva noch nicht gemerkt, dass auch sie sterben muss? Ref 1

»Er weckte Eva auf, und Eva rieb sich die Augen und fragte, ob etwas mit den Kindern sei. Wir müssen sterben, sagte Adam, und es war ihm zumute, als beginge er einen Mord. Große Neuigkeit, sagte Eva spöttisch. Das weiß ich schon lange. Hast du dir keine Gedanken gemacht?, fragte Adam, sobald er sich von seiner Überraschung erholt hatte. Was wir hier zurücklassen, ist unfertig und keinen Pfifferling wert.

Jemand wird es schon fertig machen, sagte Eva.

Die Kinder, sagte Adam streng, sind träge und leichtsinnig. Sie wissen nicht, was arbeiten heißt, und werden elend zugrunde gehen.

Es wird schon noch etwas aus ihnen werden, sagte Eva. Und was wird aus uns, fragte Adam und stützte seinen Kopf auf die Hand.

Wir bleiben zusammen, sagte Eva. Wir gehen zurück in den Garten. Und sie legte ihre Arme um Adams Hals und sah ihn liebevoll an.

Ist er denn noch da?, fragte Adam erstaunt.

Gewiss, sagte Eva.

Wie willst du das wissen?, fragte Adam mürrisch.

Woher, meinst du, fragte Eva, dass ich die Reben hatte, die ich dir gegeben habe, und woher, meinst du, dass ich die Zwiebel der Feuerlilie hatte, und woher, meinst du, hatte ich den schönen funkelnden Stein?

Woher hattest du das alles?, fragte Adem.

Die Engel, sagte Eva, haben es mir über die Mauer geworfen.

Wenn wir kommen, rufe ich die Engel, und dann öffnen sie mir das Tor.

Adam schüttelte langsam den Kopf, weil eine ferne und dunkle Erinnerung ihn überkam. Gerade dir, sagte er. Aber dann fing er an zu lachen, laut und herzlich, zum ersten Mal seit ach wie langer Zeit.«

ALBERT CAMUS

(7.11.1913 – 4.1.1960)

Albert Camus, der das intellektuelle Leben in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg mitgeprägt hat, wurde am 7. November 1913 unter ärmlichen Verhältnissen in Mondovi, in Algerien, geboren. Ein Stipendium ermöglichte ihm den Besuch des Gymnasiums. Das Philosophiestudium konnte er wegen einer Tuberkuloseerkrankung nicht beenden. Statt des angestrebten Lehrerberufs nahm er eine journalistische Tätigkeit auf. Er trat der Kommunistischen Partei bei, wurde aber nach kurzer Zeit ausgeschlossen, als er sich nicht der Parteidisziplin unterwerfen wollte.

Während der deutschen Besatzung Frankreichs schloss sich Camus der Widerstandsgruppe »Combat« an, deren gleichnamige Zeitschrift er mitbegründete. 1942 veröffentlichte er die Erzählung »Der Fremde«, die sofort Aufsehen erregte. Der in Algerien lebende Mersault findet keine Beziehung zur Gesellschaft und zu ihren Werten und wird nach einem sinnlosen Mord zum Tod verurteilt, den er teilnahmslos akzeptiert. Die Erzählung traf das Lebensgefühl einer ganzen Generation, die, durch den Krieg entwurzelt, vergeblich nach sinnvollen Lebenszielen suchte.

Im Essay »Der Mythos von Sisyphos«, den er zur selben Zeit veröffentlichte, beschrieb Camus das Leben in einer absurden Welt als menschliche Grunderfahrung, gegen die sich der Mensch um seines eigenen Glücks willen permanent auflehnen muss – wie der antike Held Sisyphos, der von den Göttern dazu verurteilt war, immer wieder einen Felsen auf einen Berg zu wälzen, der doch immer wieder hinabrollt. »Der Kampf, der zu den Gipfeln führen soll, genügt, um ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen. «

1947 erschien Camus’ Roman »Die Pest«, eine fiktive Chronik über eine Pestepidemie in der algerischen Stadt Oran, die die Bewohner in Angst und Isolation gefangen hält. Die Pest ist Chiffre für das sinnlose, absurde Leben. Wie kann der Mensch dieses von der Pest bestimmte Leben durchstehen? Die Antwort das Arztes Dr. Rieux, die die Antwort des Dichters ist, lautet: kämpfen, sich auflehnen gegen eine Schöpfung, »in der Kinder gemartert werden«.

Camus, der praktisch ohne Religion aufgewachsen war, glaubte nicht an Gott und kritisierte die Kirche scharf wegen ihres Paktierens mit autoritären Regierungen. In einem berühmten Vortrag in einem Dominikanerkloster beschrieb er sein Verhältnis zum Christentum: »Die heutige Welt verlangt von den Christen, dass sie Christen bleiben ... Ich werde nicht versuchen, mich vor Ihnen als Christ zu gebärden. Ich teile mit Ihnen das Grauen vor dem Bösen. Aber Ihre Hoffnung teile ich nicht und werde nie aufhören, gegen diese Welt zu kämpfen, in der Kinder leiden und sterben. «

In den fünfziger Jahren galt Camus als authentischer Sprecher seiner Generation. Er nahm zu aktuellen politischen Fragen Stellung, kritisierte die rechtsextremen Diktaturen Spaniens und Südamerikas ebenso wie den totalitären Staatskommunismus im Osten Europas, was zum Bruch der Freundschaft mit ehemaligen Freunden aus dem Widerstand führte.

1957 erhielt Albert Camus den Literaturnobelpreis für sein Werk, das »die Probleme beleuchtet, die sich in unserer Zeit dem Gewissen der Menschen stellen« (aus der Laudatio). In seiner Dankesrede sagte er über die Aufgabe des Schriftstellers: »Seiner Bestimmung gemäß kann er sich heute nicht in den Dienst derer stellen, die Geschichte machen; er steht im Dienst derer, die sie erleiden.«

Keine drei Jahre später, erst 46-jährig, starb Camus am 4. Januar 1960 bei einem tragischen Autounfall in Villeblevin in Frankreich.

EPIPHANIAS

Die Finsternis vergeht, und das wahre Licht scheint jetzt. Ref 2

1 Johannes 2,8

GEBET

Wenn ich am Ende bin und keinen Ausweg mehr sehe, bist du da und öffnest mir eine Tür. Wenn ich keine Lust mehr habe und mir alles zuviel wird, bist du da und gibst mir neue Kraft. Wenn ich mich allein gelassen fühle und keinen habe, der mit mir redet, bist du da, ich spüre deine Nähe. Wenn ich mich selbst nicht mehr verstehe und mich verrannt habe, bist du da und zeigst mir den Weg zurück. Wo immer ich bin, was immer ich tue, du bist da, Gott, dafür möchte ich dir danken. Amen.

GESANGBUCH

Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht; es hat Hoffnung und Zukunft gebracht; es gibt Trost, es gibt Halt in Bedrängnis, Not und Ängsten, ist wie ein Stern in der Dunkelheit.

Hans-Hermann Bittger (1978), EG 591

KAIN UND ABEL

Kain und Abel – eine Geschichte aus sagenhafter Urzeit und zugleich eine Geschichte aus aktueller Gegenwart. Diese uralte Geschichte erzählt Weltgeschichte. Der Brudermord zwischen Kain und Abel ist in der Bibel das erste Ereignis, das nach der Vertreibung des Menschenpaares aus dem Paradies geschieht. Hier beginnt der Blutstrom zu fließen, der sich durch die Jahrhunderte hinzieht. Seitdem begleitet die Frage »Kain – wo ist dein Bruder Abel?« jede Gewalttat, jeden Mord und jeden Krieg, bei dem das Blut unschuldiger Menschen vergossen wird.

Wie kam es zu diesem Brudermord? Wie kam die Gewalt in die Welt? »Abel wurde ein Hirte, Kain aber wurde ein Ackerbauer.« Ackerbauer und Hirte, sie stehen in dieser uralten Geschichte für die erste Arbeitsteilung in der Geschichte der Menschheit. Aus Sammlern und Jägern wurden Bauern und Viehzüchter. Mit dieser Arbeitsteilung begannen die sozialen Unterschiede, entstand die ungleiche Verteilung der Lebenschancen. Ungleiche Lebenschancen sind der Nährboden von Unzufriedenheit und Gewalt. Wer die ewige Geschichte von Kain und Abel verändern und die Gewalt unter uns beenden will, muss sich um gleiche Lebenschancen für Kain und Abel bemühen.

»Und Gott sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.« (1 Hosea 4,4) Das Opfer des einen wird angenommen, das Opfer des anderen nicht. Eine Erklärung dafür wird nicht mitgeteilt. »Gott mochte Lammfleisch lieber als Gemüse«, bemerkt John Steinbeck in seinem Roman »Jenseits von Eden«. Er stellt mit dieser lockeren Bemerkung die entscheidende Frage: Handelt Gott willkürlich, für Menschen undurchsichtig und unberechenbar? So fragen wir, weil uns heute fremd geworden ist, worum es damals bei dem Opfer ging. Nimmt Gott das Opfer an, dann ist die Arbeit gesegnet, dann geben die Ziegen viel Milch, das Fell der Schafe verkauft sich gut und der Regen kommt zur rechten Zeit. Nimmt aber Gott das Opfer nicht an, dann ist die Arbeit erfolglos. Kain arbeitet mühselig auf seinem Acker, aber die Erträge reichen vorn und hinten nicht. Ständig hat er seinen Bruder Abel vor Augen, dessen Herden größer werden und gedeihen. Da kann man schon neidisch werden und böse. Wer zu Gewalt greift, vergleicht sich meist mit anderen und glaubt, zu kurz gekommen zu sein. Die Bereitschaft zur Gewalt gehört zur Grundausstattung jedes Menschen, doch Gewalt verbessert in Wirklichkeit nichts.

Auch in der Geschichte von Kain und Abel kann der Mörder letztlich nicht über das unschuldige Opfer triumphieren. Denn einer ist da, der das Blut des Opfers schreien hört. Blut und Leben gehören nach alttestamentlicher Auffassung allein Gott; wo gemordet wird, da greift der Mensch in Gottes Besitzrecht ein. So hört Kain, kaum dass er den Bruder erschlagen hat, die Stimme Gottes: »Wo ist dein Bruder Abel?« Im Gewissen meldet sich Gott als die Stimme des Opfers. Kain empfindet Gottes Strafe als zu schwer: Der Acker soll ihn nicht mehr ernähren, flüchtig und heimatlos soll er seine Tage zubringen auf Erden. Kain begreift, was das bedeutet: Hat Gott seine Hand einmal von ihm abgezogen, dann werden alle über ihn herfallen.

»Da machte Gott dem Kain ein Zeichen an die Stirn, damit jeder wusste: Kain steht unter dem Schutz des HERRN.« (1 Mose 4,15) Am Ende steht Gottes Sorge auch um den Mörder. Sein Tun wird bestraft, doch sein Leben wird garantiert.

Rembrandt, »Kain erschlägt Abel«, Federzeichnung, um 1660

Kain hat Abel auf den Boden gedrückt. Er kniet auf ihm und hat den Arm mit dem Eselskinnbacken zum tödlichen Schlag erhoben. Vergeblich sucht Abel, sein Gesicht mit seinen Händen zu schützen.

Im Hintergrund sieht man Abels Altar, von dem noch Rauch aufsteigt. Ein Tier scheint daran zu schnüffeln. Oben im Blatt beobachtet Gott nachdenklich die grausige Tat.

ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF

(12.1.1797 – 24.5.1848)

Zu ihren Lebzeiten war Annette von Droste-Hülshoff, Deutschlands berühmteste Dichterin, nur wenigen bekannt. Tagesruhm, schnelle Berühmtheit hat sie stets abgelehnt. »Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden, aber nach hundert Jahren möchte ich gelesen werden.« Anna Elisabeth von Droste-Hülshoff wird am 12. Januar 1797 auf der Wasserburg Hülshoff westlich von Münster geboren. Das Kind ist hoch musikalisch und sprachbegabt, schon von der Siebenjährigen sind Gedichte bezeugt; zugleich gilt es als sehr sensibel und reizbar. »Sie hat mehr Verstand als Gemüt«, sagt ihr Vater. Eine harmlose Liebesaffäre der Dreiundzwanzigjährigen, die von der Familie vereitelt wird, wird zu einer Lebenszäsur und zum lebenslangen Trauma. Danach verlebt die Droste ihre wichtigsten Jahre im Rüschhaus vor den Toren Münsters auf dem Witwensitz ihrer Mutter, später auf der Meersburg am Bodensee bei ihrer Schwester – in ständigem Zwiespalt zwischen Auflehnung und Gehorsam gegenüber ihrer Familie. Die belächelt ihre Schriftstellerei als Marotte, hartnäckig muss sie sich die Freiräume erkämpfen, die sie für ihr Schreiben braucht. Doch die Droste hat ihren eigenen Kopf. »Es mag mir mitunter schaden, dass ich so starr meinen Weg gehe und nicht die kleinste Pfauenfeder in meinem Krähenpelz leide; aber dennoch wünschte ich, dies würde anerkannt.«

Ein adäquater Gesprächspartner begegnet der Dichterin in dem 17 Jahre jüngeren Levin Schücking, der sie im gemeinsam verbrachten Meersburger Winter 1841/42 davon überzeugte, dass ihre Begabung auf dem Gebiet der Lyrik liegt. In dieser Zeit schreibt Annette von Droste-Hülshoff ihre bekanntesten Gedichte, manchmal jeden Tag eines, darunter die doppelbödige Ballade »Der Knabe im Moor« und das leidenschaftliche » Am Turme«: » Wär’ ich ein Mann doch mindestens nur, / So würde der Himmel mir raten; / Nun muss ich sitzen so fein und klar, / Gleich einem artigen Kinde, / Und darf nur heimlich lösen mein Haar, / Und lassen es flattern im Winde.« Ihre erotische Sehnsucht gilt dem jüngeren Levin Schücking. Sie sucht seine Nähe, erträgt sie aber nicht.

1840 vollendet sie den Gedichtzyklus »Das geistliche Jahr«, eines der wichtigsten Werke religiöser Dichtung im 19. Jahrhundert. Die Gedichte spiegeln ihre quälenden Zweifel, die Unfähigkeit, ihre Intellektualität mit dem in ihrer Familie und in ihrer katholischen Umgebung gelebten einfachen Glauben in Übereinstimmung zu bringen. »Mein Wissen musste meinen Glauben töten.« Hin- und hergerissen zwischen Glauben und Vernunft, konnte sie weder auf Gott noch auf die Erkenntnisse ihres Verstandes verzichten. 1842 erscheint ihr bekanntestes Werk, die Erzählung »Die Judenbuche«. Mit unbestechlichem Blick zeichnet sie in diesem »Sittengemälde aus dem gebirgigten Westphalen« den abschüssigen Lebensweg eines Menschen nach, der zum Verbrecher wird. Friedrich Mergel, bereits mitschuldig an der Ermordung des Försters, erschlägt unter einer Buche den Juden Aaron, dem er Geld schuldet, flieht, gerät für 26 Jahre in die türkische Sklaverei und kehrt am Ende seines Lebens in der kümmerlichen Gestalt seines Gefährten und anderen Ichs, Johannes Niemand, zurück, um sich schließlich an der »Judenbuche« zu erhängen: der Täter als Opfer der Tat. Annette von Droste-Hülshoff beschreibt in der »Judenbuche« das Elend der »geringeren Klasse«, mit den demokratischen Bestrebungen der Vormärzzeit kann sie jedoch nichts anfangen.

1844 erscheinen ihre Gedichte im Cotta-Verlag, es gibt positive Besprechungen, sie erfährt erste Anerkennung. Von einem Vorschuss des Verlages kann sie sich ein kleines Häuschen in Meersburg kaufen. Doch nur vier Jahre später stirbt die zeitlebens kränkelnde Dichterin mit 51 Jahren am 24.5.1848 in Meersburg an Herzversagen.

1. SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. Ref 3

Römer 8,14

GEBET

Gott, alle Menschen sind deine Kinder, die Alten und die Jungen, die Prominenten und die Übersehenen, die Einheimischen und die Fremden, die Frommen und die Suchenden, die nicht wissen, wohin sie gehören, und am Bahnhof stehen, und die abends zu Hause vor dem Fernseher sitzen. Sie alle sind deine Kinder, Gott, lass uns das nicht vergessen. Du schließt keines aus, du hast keine Vorurteile. Du lässt deine Sonne aufgehen für jeden, von deiner Güte leben wir alle. Amen.

GESANGBUCH

Wir bitten dich, Herr Jesu Christ, weil du ein Freund der Kinder bist, nimm dich des jungen Lebens an, dass es behütet wachsen kann.

Eh wir entscheiden Ja und Nein, gilt schon für uns: gerettet sein. Dank sei dir, dass das Heil der Welt nicht mit uns selber steht und fällt.

Detlev Block (1978), EG 211,2+3

NOAH

Vierzig Tage und vierzig Nächte regnete es ohne Unterbrechung. Das Wasser stieg immer höher, überflutete die Häuser und bedeckte zuletzt die ganze Erde, bis es fünfzehn Ellen über den Gipfeln der höchsten Berge stand. »Da kam alles Leben auf der Erde um, Vögel, Vieh, Wildtiere und alles, was auf der Erde wimmelte, auch alle Menschen.« (1 Mose 7,21)

Die Bibel erzählt auf den ersten Seiten von einer großen Sintflut, einer ungeheuren Katastrophe, in der alle Lebewesen zugrunde gehen. Nur einer überlebt: Noah mit seiner Familie. Ihn hielt Gott als Einzigen unter den Menschen für gerecht und untadelig. Gott hatte Noah angekündigt, alles Leben auf der Erde durch eine große Flut zu vernichten. Um dieser Katastrophe zu entgehen, befahl ihm Gott, eine riesige Arche zu bauen, deren Maße und deren Ausstattung er ihm genau angab: 150 Meter lang, 15 Meter hoch, dreigeschossig, mit zahlreichen Kammern auf jeder Etage. In diesen Kasten sollte Noah mit seiner ganzen Familie gehen sowie mit allen Tieren, jeweils Männchen und Weibchen.

Wortlos befolgt Noah den scheinbar absurden Befehl, mitten auf dem Festland ein überdimensionales Schiff zu bauen. Vom Menschen Noah, von seinen Gefühlen und Regungen erfahren wir in der Erzählung nichts. Er fragt Gott nicht, er warnt seine Mitmenschen nicht, er trauert nicht um ihren Untergang. Noah ist keine historische Person, er ist eine literarische Figur. Sein Name steht für die kollektive Erinnerung an die große Flut.

Gott selbst, so erzählt es die Bibel, schließt die Arche hinter Noah und den Tieren zu – und dann setzt der große Regen ein, Tag und Nacht, bis selbst die Berge vom Wasser bedeckt sind. Schwankend treibt die Arche auf dem Wasser dahin, bis sie auf dem Gipfel des Berges Ararat aufsetzt, mit 5.165 Metern nach damaliger Auffassung der höchste Berg der Erde. Nachdem sich die Wassermassen verlaufen haben, schickt Noah zunächst einen Raben aus, der wieder zurückkehrt, ohne Land gefunden zu haben. Dann lässt er eine Taube fliegen, die schließlich einen Ölzweig im Schnabel zurückbringt. Jetzt weiß Noah, dass die Erde wieder bewohnbar ist. Er verlässt die Arche mit seinen Angehörigen und den Tieren, baut einen Altar und bringt Gott ein Opfer.

Warum wollte Gott eigentlich die Menschen vernichten? Die Bibel erzählt: Gott reute es, dass er die Menschen gemacht hatte, denn ihre Bosheit war groß geworden. Aber muss man deswegen alle Menschen und Tiere umbringen? Zeigt dies nicht einen grausamen und rachsüchtigen Gott? Die Sintflutgeschichte will genau das Gegenteil zeigen: Dass es in alter Zeit eine Flutkatastrophe gegeben hat, das wusste man damals, das war eine Menschheitserzählung, die jeder kannte. Die Bibel greift diese Geschichte auf, gibt ihr am Ende aber eine andere Richtung. Auch wenn Gott mit der Flut einmal die Schöpfung zurücknehmen wollte – er hat seinen Beschluss geändert. Böses ist nicht mit Gewalt zu beseitigen, selbst von Gott nicht. »Das Dichten und Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf.« Mensch bleibt Mensch, er bringt immer wieder Böses hervor. Gott weiß es – und lässt souverän seine Sonne aufgehen über Gerechten wie Ungerechten. »Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.« (1 Mose 8,22) Gott bleibt dieser Erde treu, das kann selbst der Mensch durch alles Unheil, das er produziert, nicht mehr aufheben.

So schließt Gott einen neuen Bund – nicht nur mit Noah, sondern mit allen Lebewesen. Zeichen dafür ist der Regenbogen am Himmel. Nach alter Vorstellung ist dieser Bogen ursprünglich der Kriegsbogen Gottes, mit dem er im Gewitter die Blitze wie Pfeile abschießt.

Ein Bild altertümlicher Schönheit: Gott hat abgerüstet, er wird nicht mehr Böses mit Bösem bestrafen, keine Gewalt, er will das Leben auf der Erde erhalten.

BITTE Ref 4

Wir werden eingetaucht und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen, wir werden durchnäßt bis auf die Herzhaut.

Der Wunsch nach der Landschaft diesseits der Tränengrenze taugt nicht, der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.

Es taugt die Bitte, daß bei Sonnenaufgang die Taube den Zweig vom Ölbaum bringe. Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei, daß noch die Blätter der Rose am Boden eine leuchtende Krone bilden.

Und daß wir aus der Flut, daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen werden.

Hilde Domin

JOHANNES RAU

(16.1.1931 – 27.1.2006)

»Wenn Menschen meiner Generation mich fragen, was sie denn weitergeben sollten, dann sage ich ihnen dies: Sagt euren Kindern, dass euer Leben verdankt ist dem Lebenswillen Gottes. Sagt ihnen, dass euer Mut geliehen war von der Zuversicht Gottes. Sagt ihnen, dass eure Verzweiflung geborgen war in der Gegenwart des Schöpfers. Sagt ihnen, dass wir auf den Schultern unserer Mütter und Väter stehen. Sagt ihnen, dass ohne Kenntnis unserer Geschichte und unserer Tradition eine menschliche Zukunft nicht gebaut werden kann. Sagt ihnen, dass wir ohne innere Heimat keine Reisen unternehmen können. Denn wer nirgendwo zuhause ist, der kann auch keine Nachbarn haben. Und sagt ihnen zu guter Letzt, dass die stete Bereitschaft zum Aufbruch die einzige Form ist, die unsere Existenz zwischen dem Leben hier und dem Leben dort wirklich ernst nimmt.« Die Teilnehmer des Evangelischen Kirchentags in Hannover ahnten 2005, dass sie das Vermächtnis des todkranken Johannes Rau gehört hatten. Ein halbes Jahr später, kurz nach seinem 75. Geburtstag, ist Rau am 27.1.2006 in Berlin gestorben.

Wie kaum ein anderer Protestant nach 1945 hat Johannes Rau das öffentliche und politische Leben der Bundesrepublik Deutschland mitgeprägt. Am 16.1.1931 in Wuppertal als Sohn eines Kaufmanns und reformierten Predigers geboren, leitete er schon in jungen Jahren nach einer Buchhändlerlehre einen evangelischen Jugendbuchverlag. Bereits 1952 trat er aus Protest gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik in die Gesamtdeutsche Volkspartei Gustav Heinemanns ein. Nach deren Auflösung folgte er seinem Vorbild Heinemann in die SPD und bekleidete dort in den nächsten 40 Jahren fast alle Posten, die in Parteien zu vergeben sind. Er war mit 27 Jahren jüngster Landtagsabgeordneter, Fraktionschef, Oberbürgermeister von Wuppertal, Wissenschaftsminister und 20 Jahre lang Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen. In diese Zeit fällt der Strukturwandel des Ruhrgebiets in eine Dienstleistungs- und Technologieregion und der Aufbau einer modernen Hochschullandschaft in NRW. Rau hat Nordrhein-Westfalen geprägt wie kein anderer Politiker. 1987 unterlag er als Kanzlerkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl, 1999 wurde er jedoch im zweiten Anlauf als Bundespräsident gewählt.

In seiner Antrittsrede als Bundespräsident erklärte er: »Ich selber schöpfe Zuversicht und Kraft aus dem christlichen Glauben, der mir Trost und Hoffnung ist im Leben und Sterben. Gleichzeitig habe ich Respekt vor allen, die ihr Leben auf andere Fundamente gründen.« Auch als Bundespräsident machte Johannes Rau, der mehr als 30 Jahre der Landessynode der Rheinischen Kirche angehörte und dem Evangelischen Kirchentag eng verbunden war, keinen Hehl auch seinem christlichen Glauben. Er begann jeden Tag mit den Losungen und war zu seiner Zeit der bibelfesteste deutsche Politiker. Seine christlichen Grundüberzeugungen sind auch in seinen »Berliner Reden« erkennbar, mit denen er unangenehme Wahrheiten im Zusammenleben mit Ausländern, bei der Raffgier von Eliten, den Gefahren der Gentechnik oder der Oberflächlichkeit der Medien profiliert und deutlich aussprach. Als erster Deutscher durfte er im Jahr 2000 vor dem israelischen Parlament, der Knesset, reden.

Von all seinen Ämtern und Titeln ist auf Johannes Raus Grabstein auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin nichts zu lesen. Dort steht, seinem Wunsch entsprechend, unter seinem Namen nur der Satz aus dem Matthäusevangelium: »Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth.«

2.SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.

Johannes 1,17

GEBET

Du bist kein Gott der Trauer, sondern der Freude am Leben.

Darum bitten wir dich für die Menschen, die sich nicht freuen können, weil sie überall Probleme und Gefahren sehen und immer ein Haar in der Suppe finden.

Wir bitten dich auch für die Menschen, die zurzeit keinen Grund zur Freude haben, weil sie traurig sind oder von Kummer und Sorgen bedrückt werden.

Wir bitten dich für die Menschen, deren Freude nur gespielt ist oder oberflächlich, die scheinbar immer gut drauf sind, aber wie es ihnen wirklich geht, weiß keiner.

Wir bitten dich schließlich für die Kirche, die als Nörglerin aufgetreten ist und die Freuden des Lebens schlechtgemacht hat, dass sie alles tut, was sie kann, Freude zu verbreiten unter den Menschen. Amen.

GESANGBUCH

Er gebe uns ein fröhlich Herz, erfrische Geist und Sinn und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz ins Meeres Tiefe hin.

Er lasse seinen Frieden ruhn auf unserm Volk und Land; er gebe Glück zu unserm Tun und Heil zu allem Stand.

Paul Gerhardt (1647), EG 322,5+6

ABRAHAM

»Und der Herr sprach zu Abraham: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen werde. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein.« (1 Mose 12,1 – 2)

Auf seine alten Tage, nach Auskunft der Bibel immerhin 75 Jahre alt, soll Abraham Heimat, Verwandtschaft und Familie verlassen – das ist der völlige Bruch mit seinem bisherigen Leben. Er soll Stammvater eines großen Volkes werden – obwohl doch die Ehe mit seiner Frau Sara kinderlos war und beide inzwischen steinalt waren. Abraham hatte nichts in der Hand, keine Garantien, keine Indizien, nur Zusagen und Verheißungen. Doch es wird von keinem Zögern, von keinen Bedenken, von keiner Wehmut berichtet. In der Bibel steht nur der einfache Satz: »Da brach Abraham auf, wie der HERR es ihm gesagt hatte.«

Viele Jahre sind seit Abrahams Aufbruch vergangen, noch immer ist er als Halbnomade unterwegs, noch immer besitzt er kein Stück Land, noch immer hat er keine Kinder. Nur älter ist er inzwischen geworden, und Gottes Verheißung scheint in weite Ferne gerückt. Da kommt ihm die Idee, die Erfüllung der Verheißung selbst in die Hand zu nehmen, seinen Knecht Elieser zu adoptieren und ihn als seinen Erben einzusetzen. Da lässt Gott ihn hinausgehen in die Nacht. Draußen sieht er die Sterne über sich, unermesslich viele. »Kannst du sie zählen?«, fragt Gott. »So zahlreich sollen deine Nachkommen sein.« Und nun heißt es dezidiert: »Abraham glaubte dem HERRN, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit.« (1 Mose 15,1 – 6)

Wieder viele Jahre später. Abraham und seine Frau Sara sind doch noch Eltern eines Sohnes geworden. Isaak ist gesund und wächst heran, die Verheißung ist in Erfüllung gegangen. Da hört Abraham die Stimme Gottes: »Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.« Eine ungeheure Zumutung! Seinen eigenen Sohn töten? Alles zerstören, was den Sinn seines Lebens ausgemacht hatte? Hat Gott all seine Verheißungen zurückgenommen? Wir erfahren nichts von den Seelenkämpfen des alten Mannes. Abraham verstummt. Schweigend trifft er seine Vorbereitungen zur Reise, zu seiner Frau Sara kein Wort. Schweigend wandert er mit seinem Sohn durch die Weite des Landes. Als der Sohn arglos fragt, wo denn das Schaf zum Opfer sei, antwortet Abraham: »Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen.«

Auf dem von Gott bestimmten Opferplatz angekommen, baut Abraham einen Altar und beginnt mit der Opferhandlung. Er bindet seinen Sohn Isaak, nimmt das Messer in die Hand, reckt seinen Arm hoch – da hört er eine Stimme, die ihm Einhalt gebietet. Im gleichen Augenblick erblickt er einen Widder, der sich im Gestrüpp verfangen hat, und opfert ihn an seines Sohnes statt. Hat Gott hier vorsätzlich Abraham in Versuchung geführt, um seinen Glauben zu testen? Das wäre eine absurde Vorstellung! Die Erzählung will wohl zeigen: Abraham ist bereit, Gott alles zu geben. Wie er beim Auszug aus seiner Heimat mit der Vergangenheit gebrochen hat, so ist er jetzt bereit, seine Zukunft aufs Spiel zu setzen. Doch dieser Gott, der alles Vertrauen verdient, will das Menschenopfer gar nicht. (1 Mose 22)

Am Anfang der Geschichte Israels steht die Gestalt Abrahams. Noch Jahrhunderte später heißt es in der Bibel einfach: »unser Vater Abraham«. Er hat beispielhaft gezeigt, wie Israel mit Gott leben soll: Er ist auf den Befehl Gottes hin ausgezogen in das unbekannte Land der Verheißung; er ist das Vorbild des Glaubens; er hoffte, wo nichts mehr zu hoffen war. So ist Abraham, mit dem die Geschichte Israels beginnt, das große Leitbild für die kommenden Generationen.

Rembrandt, »Abrahams Opfer«, Radierung, 1655

Rembrandt stellt den Moment in der biblischen Erzählung dar, in dem der Engel Abraham in den Arm fällt, um ihn von der Opferung Isaaks abzuhalten. Abraham hält Isaak die Augen zu, damit er das Messer nicht sieht. Die Qual steht in seinem Gesicht geschrieben, doch das Messer hat er schon gezogen. Da greift der Engel Gottes ein, der Abraham von hinten umfasst und seine Arme festhält. Mit der Umarmung des Engels fällt zugleich in breiten Strahlen das Licht der Gnade vom Himmel über Vater und Sohn.

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING

(22.1.1729 – 5.2.1781)

»Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgend ein Mensch ist oder zu seyn vermeynet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen ... Wenn Gott in seiner Rechten alle Wahrheit und in seiner Linken den einzigen immer regen Trieb nach Wahrheit, obschon mit dem Zusatze, mich immer und ewig zu irren, verschlossen hielte und spräche zu mir: wähle! Ich fiele ihm mit Demuth in seine Linke, und sagte: Vater gieb! Die reine Wahrheit ist ja doch nur für dich allein!«

Gotthold Ephraim Lessing, der am 22. Januar 1729 als Pfarrerssohn im sächsischen Kamenz geboren wurde, war zeitlebens ein Wahrheitssucher, der Vorurteile bekämpfte, Toleranz einforderte und zum Selbstdenken aufrief. Schon als Schüler an der Fürstenschule St. Afra in Meißen versucht sich Lessing als Schriftsteller, verfasst Lieder, schreibt Gedichte und entwirft das Lustspiel »Der junge Gelehrte«, das einige Jahre später in Leipzig aufgeführt wird. Das Theologiestudium bricht er zum Leidwesen seiner Eltern ab, seine große Liebe gehört dem Theater. Es entsteht eine Reihe von Stücken, die in Leipzig und Berlin mit Erfolg aufgeführt werden. 1748 zieht Lessing nach Berlin, wo er sich als Redakteur verschiedener Zeitungen eine Existenzgrundlage schafft. Er veröffentlicht eine Fülle von kritischen Beiträgen zur Literatur und zum Theater und wird in wenigen Jahren der wichtigste Kritiker Deutschlands, der mit seinen Beiträgen Grundlagen der Gedanken- und Meinungsfreiheit in Deutschland schafft. Besonders einflussreich werden seine Schriften zum Theater. Mit »Miss Sara Sampson«, dem ersten bürgerlichen Trauerspiel in Deutschland, »Minna von Barnhelm«, der ersten großen deutschen Komödie, und dem erneuten Trauerspiel »Emilia Galotti« hat Lessing Theatergeschichte geschrieben. Mit der »Hamburger Dramaturgie« legt er 1768 ein Grundwerk zur Theorie des Schauspiels vor. Ein Jahr später nimmt Lessing die Stelle des Hofbibliothekars der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel an. Hier verlobt er sich mit der Hamburger Kaufmannswitwe Eva König, die er 1776 nach Konsolidierung seiner finanziellen Verhältnisse auch heiraten kann. Ein Jahr später wird ein Sohn geboren, der nur 24 Stunden lebt. Einige Tage darauf stirbt seine Frau an den Folgen der Geburt. »Ich wollte es einmal auch so gut haben wie andere Menschen. Aber es ist mir schlecht bekommen«, schreibt Lessing einem Freund.

Zwischen 1774 und 1778 gibt Lessing aus dem Nachlass des Hamburger Orientalisten Hermann Samuel Reimarus die »Fragmente eines Ungenannten« heraus und löst damit eine heftige öffentliche Debatte um theologische Fragen aus. Reimarus hatte die Möglichkeit einer göttlichen Offenbarung bestritten und behauptet, dass die Jünger die Auferstehung Jesu erfunden und Jesu Lehre völlig verändert hätten. Lessing distanzierte sich zwar von vielen Ansichten des Reimarus, war aber auch überzeugt, dass die innere Wahrheit des Christentums in der Vernunft begründet ist – unabhängig von der Bibel: »Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftwahrheiten nie werden.« Hierüber entspann sich ein langanhaltender literarischer Streit mit dem Hamburger Hauptpastor Johan Melchior Goeze, der schließlich durch Zensurmaßnahmen der herzoglichen Regierung in Braunschweig unterbunden wurde. Lessings Antwort ist sein Schauspiel »Nathan der Weise«, in dem insbesondere die berühmte Ringparabel seine Botschaft verdeutlicht: Die drei Religionen des Judentums, des Christentums und des Islam werden dort mit drei Ringen verglichen, die sich äußerlich so vollständig gleichen, dass niemand sagen kann, welches der echte Ring ist und welche die Duplikate sind. Nur die Praxis, der »Erweis des Geistes und der Kraft«, kann zeigen, wer den echten Ring, d.h. die wahre Religion besitzt. In seinen letzten Lebensjahren machen eine fortschreitende Erblindung und die Einsamkeit nach dem Tod seiner Frau Lessing zu schaffen. Er stirbt, erst 52 Jahre alt und am Ende völlig verarmt, am 5. Februar 1781 in Braunschweig.

3.SONNTAG NACH EPIPHANIAS

Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Ref 5

Lukas 13,29

GEBET

Gott, wir bitten dich für die sechs Milliarden Menschen, die auf dieser Erde wohnen: dass sie sich gegenseitig achten, einander mit Würde behandeln und am Wohlstand dieser Erde teilhaben können. Gott, wir bitten dich für uns alle, dass wir niemanden nach seiner Hautfarbe und Religion beurteilen, sondern lernen, die Menschenwürde in jeder Person zu bejahen und zu achten. Gott, wir bitten dich für alle Menschen, die in unwürdigen Verhältnissen leben müssen: dass sie Zeichen unserer Solidarität erfahren. Gott, wir bitten dich für uns alle, dass wir uns nicht gegenüber andern abschotten, sondern lernen, über unsere Familien und Freunde hinauszuschauen und für andere da zu sein. Gott, wir bitten dich für uns alle, dass wir nicht überheblich sind und uns von Aussehen und Macht blenden lassen, sondern lernen, alle Menschen als Mitmenschen zu akzeptieren und zu behandeln. Amen.

GESANGBUCH

Ich möchte gerne Brücken bauen, wo alle tiefe Gräben sehn. Ich möchte über Zäune schauen und über hohe Mauern gehn.

Ich möchte nicht zum Mond gelangen, jedoch zu meines Feindes Tür. Ich möchte keinen Streit anfangen, ob Friede wird, liegt auch an mir.

Kurt Rommel (1963), EG 669,2+4 (RWL)

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Satz: Satz!zeichen, Landesbergen

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