Peter Thiel – Facebook, PayPal, Palantir - Max Chafkin - E-Book + Hörbuch

Peter Thiel – Facebook, PayPal, Palantir Hörbuch

Max Chafkin

0,0

Beschreibung

Seit den Tagen der Dot-Com-Blase in den späten 1990er-Jahren hat keine Branche die Welt mehr beeinflusst als das Silicon Valley. Und nur wenige Personen haben das Silicon Valley mehr geprägt als Peter Thiel – milliardenschwerer Unternehmer und Duzfreund von Elon Musk. Er ist Mastermind und Kapitalgeber hinter einer ganzen Reihe von Unternehmen wie Paypal, Facebook oder Palantir. Doch trotz seiner Macht und der Allgegenwärtigkeit seiner Projekte ist keine öffentliche Figur so geheimnisvoll. Erstmals zeichnet der renommierte Bloomberg-Journalist Max Chafkin in dieser Biografie den Lebensweg und die Weltanschauung des Innovators nach – von seiner Erziehung als Kind von deutschen Einwanderern und seinen Jahren in Stanford als aufkeimender konservativer Vordenker bis hin zur Gründung von PayPal und Palantir, seinen frühen Investitionen in Facebook und SpaceX und seinen Beziehungen zu anderen Tech-Titanen wie Mark Zuckerberg oder Elon Musk. Kein Journalist hat sich in den vergangenen Jahren so intensiv mit Peter Thiel, seinem Leben, seinen Firmen und seinem Mindset auseinandergesetzt wie Max Chafkin. In unzähligen persönlichen Gesprächen mit Thiels Freunden und Menschen die nah mit ihm zusammengearbeitet haben, gelingt Chafkin ein geradezu intimes Portrait von Thiel, das seinesgleichen sucht.

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS

Zeit:16 Std. 4 min

Sprecher:Michael J. Diekmann
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



MAX CHAFKIN

PETER THIEL

Wie der Pate des Silicon Valley die Welt beherrscht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

2. Auflage 2022

© 2021 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Copyright © 2021 by Max Chafkin

First published in the US in 2021 by The Penguin Press.

Die englische Originalausgabe erschien 2021 bei The Penguin Press unter dem Titel The Contrarian.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Petra Pyka

Redaktion: Anja Hilgarth

Korrektorat: Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer, München

Umschlagabbildung: © Manuel Braun

Satz: ZeroSoft, Timisoara

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-330-5

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-606-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-607-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

Einleitung

Erstes Kapitel: Ihr könnt mich alle mal

Zweites Kapitel: Ein ganz komischer Kauz

Drittes Kapitel: Geh sterben

Viertes Kapitel: Der Weltherrschaftsindex

Fünftes Kapitel: Niederträchtig

Sechstes Kapitel: Grauzonen

Siebtes Kapitel: Hedging

Achtes Kapitel: »Inception«

Neuntes Kapitel: Abschied von den guten alten Zeiten

Zehntes Kapitel: Der neue militärisch-industrielle Komplex

Elftes Kapitel: Das absolute Tabu

Zwölftes Kapitel: Die Weichen stellen

Dreizehntes Kapitel: Intellektuelle Schale, reaktionärer Kern

Vierzehntes Kapitel: Plan B

Fünfzehntes Kapitel: Entscheidung für Trump

Sechzehntes Kapitel: Thiels Staatstheorie

Siebzehntes Kapitel: Die Deportationsmacht

Achtzehntes Kapitel: Die Liste des Bösen

Neunzehntes Kapitel: Schulter an Schulter

Zwanzigstes Kapitel: Zurück in die Zukunft

Epilog Du wirst ewig leben

Dank

Anmerkungen

Abbildungsnachweis

EINLEITUNG

Es ist heute nur noch schwer vorstellbar, doch es gab eine Zeit, als die Welt bereit schien, alles dem Silicon Valley zu überlassen. Das war 2016, im »Zeitalter der Einhörner«, wie es die Wirtschaftsmagazine nannten.1 Mit den »Einhörnern« waren Techunternehmen gemeint, die so schnell wuchsen und solche Wertzuwächse erzielten, dass es geradezu märchenhaft erschien. Jeff Bezos hatte eine der großen amerikanischen Tageszeitungen gerettet, Mark Zuckerberg ging auf Schmusekurs mit politischen Akteuren aus San Francisco, die gerade ein Krankenhaus nach ihm benannt hatten, und Verkehrsaktivisten tauchten in den Großstädten auf, um für die Umwälzungen durch Uber zu demonstrieren. Präsident Barack Obamas Amtszeit neigte sich dem Ende zu, und er dachte darüber nach, nach Kalifornien umzusiedeln und sich demnächst als Tech-Investor zu betätigen. Die Risikokapitalbranche, so erklärte er Reportern im Frühjahr, fände er »sehr ansprechend«.2

Doch selbst als der Zeitgeist – bis hin zu den Ambitionen der Leitfigur der freien Welt – noch die vielversprechenden Aussichten und das Potenzial des Silicon Valley beweihräucherte, richteten dessen Pioniere ihren Blick bereits darüber hinaus. In den zurückliegenden zwanzig Jahren hatte Peter Thiel ein Milliardenvermögen verdient, indem er in verschiedene der größten und erfolgreichsten Techunternehmen investierte, darunter Facebook, PayPal und SpaceX. Er hatte sich ein Netzwerk aufgebaut, das ihm Zugang zu den brillantesten Unternehmern und den finanzkräftigsten Investoren der Welt verschaffte, und war das Idol einer ganzen Generation aufstrebender Start-up-Gründer. Doch sein Einfluss im Silicon Valley war Thiel nicht genug – er wollte echte Macht, politische Macht. Und es sollte sich ihm die Gelegenheit bieten, danach zu greifen.

Diese Chance eröffnete sich in Form einer Entwicklung, die zunächst nur ein unbedeutender Skandal bei Facebook zu sein schien – ein Unternehmen, in dem sich Thiel frühzeitig engagiert hatte. Im Mai 2016 veröffentlichte der Tech-Blog Gizmodo einen Bericht, in dem behauptet wurde, dass das soziale Netzwerk konservative Ansichten systematisch unterdrücke. Ein kleines Redaktionsteam, das an der neuen Rubrik »Trending Topics«[1] arbeitete, war nach eigenen Angaben angewiesen worden, Storys aus etablierten Kanälen wie CNN und der New York Times zu berücksichtigen, nicht aber Geschichten aus rechtslastigen Medien oder unter Konservativen populäre Randthemen wie die unbestätigte Behauptung, der IRS habe der Tea Party nahestehende gemeinnützige Organisationen aufs Korn genommen.

Ein richtiger Knüller war das nicht – »Trending Topics« hatte rein gar nichts mit dem regulären Newsfeed zu tun, der von Algorithmen kuratiert wurde und vor rechten Inhalten nur so strotzte –, doch Konservative reagierten verärgert und werteten die Geschichte als Nachweis dafür, dass Facebook auch auf breiterer Front voreingenommen sei. Der Drudge Report, der zu den verbotenen Kanälen gehörte, brachte einen Leitartikel mit einem großen, wenig schmeichelhaften Konterfei von Zuckerberg-Stellvertreterin Sheryl Sandberg, der Autorin des Buches Lean In. »NOT LEANING IN … LEANING LEFT!«, lautete die Schlagzeile.3 »Facebook under Fire« war der Aufmacher von Fox News.4

Facebook wies die Vorwürfe zurück, doch Zuckerberg merkte, dass diese Krise bewältigt werden musste, und er wandte sich an Thiel um Hilfe. Am Mittwoch, dem 18. Mai, fand sich eine Gruppe aus sechzehn prominenten Medienvertretern des rechten Flügels in Menlo Park zusammen. Vertreten waren die Talkshow-Moderatoren Tucker Carlson, Glenn Beck und Dana Perino, die Vorsitzenden der Tea-Party-Patriots, des American Enterprise Institute, der Heritage Foundation und eine Handvoll anderer. Offiziell kamen sie, um Zuckerberg und Sandberg zu treffen, doch viele erschienen nur, weil Thiel die Finger im Spiel hatte.

Der Achtundvierzigjährige war mehr als zehn Jahre älter als der Facebook-Gründer, doch die beiden Männer hatten viel gemein. Wie Zuckerberg war auch Thiel im Wettbewerb gnadenlos, fühlte sich in Gesellschaft jedoch eher unwohl. Die beiden standen sich nahe – Thiel war Zuckerbergs Mentor und Beschützer gewesen, der erste externe Investor seines Unternehmens und der erste Mensch, der wirklich erkannte, dass Zuckerberg tatsächlich wusste, was er tat.

In diesem schroffen, unangepassten jungen Mann, dessen hauptsächliche geschäftliche Qualifikation seinerzeit darin bestand, ein System entwickelt zu haben, um die Attraktivität seiner Harvard-Kommilitoninnen zu bewerten, sah Thiel von Anfang an großes Potenzial. Nach seiner Investition in Facebook hatte Thiel Zuckerberg die vollständige Kontrolle überlassen und mitgewirkt an der Verwandlung des unreifen Jungspunds, der sich »I’m CEO … Bitch« auf seine Visitenkarte drucken ließ, zu dem einigermaßen salonfähigen Kapitalisten, der aus ihm werden sollte. Die Beziehung hatte beide Männer unermesslich reich gemacht, und wenngleich Thiel nicht mehr viele Facebook-Aktien hielt, war er immer noch im Verwaltungsrat des Unternehmens vertreten und investierte nach wie vor einiges in dessen Einfluss.

Zuckerberg und Thiel hatten sich in den Jahren zuvor auseinanderentwickelt, als Thiel sich fester in der Welt der konservativen Politik etablierte und Zuckerberg den Geist der Ära Obama verinnerlichte, eine Lobbygruppe gründete, die eine unternehmensfreundliche Reform der Einwanderungspolitik befürwortete, und Milliarden zusagte, um die Anliegen der »Förderung von menschlichem Potenzial und Gleichheit« voranzutreiben.5

Doch obwohl Zuckerberg Kontakte zu Obama und anderen aus dem linken Flügel pflegte, verließ er sich auf Thiel als Verbindungsmann zur amerikanischen Rechten. Zuckerbergs Mitstreiter bezeichnen Thiel als konservatives Gewissen des Unternehmens. »Mark strebt bei Facebook nach einem ausgewogenen Verhältnis zwischen links und rechts«, erklärte ein ehemaliger Facebook-Manager. »Er glaubt nicht, dass eine gesunde Diskussionskultur möglich ist, wenn im Herzen alle Demokraten sind.« Zuckerbergs Kritiker sahen in Thiels Einfluss auf das Unternehmen eine tiefere und schädlichere Wirkung. In ihren Augen war er der Strippenzieher, der einen jüngeren, ideologisch unsicheren Gründer zu einer Allianz mit dem extremistischen Flügel der Republikanischen Partei bewegen wollte.

Die konservativen Vordenker trafen in der weitläufigen, von Frank Gehry entworfenen Facebook-Zentrale ein. Thiel und Zuckerberg lieferten ein Paradebeispiel für die generationsbedingt unterschiedliche Einstellung zum Konzept der legeren Geschäftskleidung. Der Facebook-Gründer kam in seiner üblichen Uniform – graues T-Shirt und Jeans –, Thiel trug ein Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln und Schuhe mit Hanfsohlen. Aus seiner Körperhaltung sprach wie immer die Bereitschaft zum Zusammenstoß: die Schultern leicht vorgebeugt, den Kopf unmerklich eingezogen.

Die Gruppe setzte sich an einem großen Tisch zusammen. Zuckerberg und Sandberg hielten eine gehaltvolle technische Präsentation, die darlegen sollte, dass es bei Facebook Software war, nicht Redakteure, die die große Mehrheit der auf Facebook erscheinenden Artikel auswählte. Im Anschluss bat Zuckerberg die Anwesenden, Fragen zu stellen, was diese als Aufforderung zum Angriff auf Facebook, seine linksorientierte Belegschaft und den allgemeinen Eindruck verstanden, dass im Silicon Valley die liberale Sache favorisiert wurde.

»Sie setzten ihm ordentlich zu«, erinnerte sich Glenn Beck, Radiomoderator und ehemaliger Fox News-Host, der für seine absurden Verschwörungstheorien und seine Faxen vor der Kamera bekannt war. »Und zum Teil auch verdient.«

Beck gehörte zu einer Handvoll Teilnehmer, die Thiel im Vorfeld bearbeitet hatte. Nachdem er Fox News unter Spannungen verlassen hatte – es ging das Gerücht, Rupert Murdochs Frau Wendi Deng habe seinen Weggang gefordert,6 nachdem seine Sendung in der Regierungszeit Obamas ins Verschwörungstheoretische abgeglitten sei –, hatte ihn Thiel dazu gebracht, sich auf Onlinevideos und Podcasts zu verlegen. »Du musst dich einfach entscheiden, ob du in der Vergangenheit oder in der Zukunft leben willst«, hatte ihm Thiel erklärt.

Beck mochte Thiel und gerierte sich bei dem Zusammentreffen als Zuckerbergs Verteidiger. »Hier sitzen dreißig Leute, die seit Jahrzehnten für die Meinungsfreiheit eintreten«, sagte er zu Zuckerberg und wies dabei auf seine Kollegen. »Und Sie haben diese Plattform, die Hunderten Millionen Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Meinung frei zu äußern.«

Zuckerberg schien gerührt von Becks demonstrativer Empathie. »Wir haben Facebook als Plattform für alle Gedanken konzipiert«, schrieb er nach dem Treffen auf seiner Facebook-Seite. »Der Erfolg unserer Community hängt davon ab, dass jeder ungeniert alles mitteilt, was er möchte.«

Die Botschaft an die Beschäftigten und die übrige Welt war klar: Facebook beabsichtigte, den Unterstützern von Donald Trump, dem damals de facto nominierten republikanischen Kandidaten, zu erlauben, auf seiner Plattform im Großen und Ganzen sagen zu dürfen, was sie wollten.7 In den nächsten Monaten gab es auf Facebook mehr Falschinformationen – meist zugunsten Trumps8 – als echte Nachrichten. Die aufsehenerregendste Wahlkampfschlagzeile auf Facebook war in jener Zeit einer Studie zufolge, dass Papst Franziskus die Welt schockiert und sich für Donald Trump ausspricht – was natürlich so nie passiert war. Eine weitere Falschmeldung lautete, Wikileaks-E-Mails würden enthüllen, dass Hillary Clinton Waffen an Terroristen des Islamischen Staats verkauft habe.

Dafür entschuldigte sich Zuckerberg – mehr oder minder jedenfalls.9 »Wir sind unserer Verantwortung nicht vollumfänglich gerecht geworden, und das war ein großer Fehler«, sollte er später vor dem Kongress aussagen, als er dazu befragt wurde, wie Facebook verwendet worden sei, um den Wahlkampf zu manipulieren. Doch als es passierte, bestritt das Unternehmen, zur Verbreitung von Falschinformationen beigetragen zu haben, und spielte gleichzeitig die Beteiligung der russischen Regierung herunter.

Zwei Monate nach dem Treffen in Menlo Park erklärte sich Thiel offiziell zum Unterstützer Trumps und wurde zum Star der Republican National Convention in Cleveland. Mitte Oktober dann, nur wenige Tage nach der Veröffentlichung des Access Hollywood-Videos, in dem sich Trump der sexuellen Belästigung rühmte, spendete Thiel 1 Million US-Dollar für Trumps Wahlkampf. Diese Maßnahme trug dazu bei, die negative Presse zu drehen, und füllte die Kassen eines Wahlkampfteams, das im Rahmen einer Strategie zur Unterdrückung von Stimmen ein Sperrfeuer von gezielten Facebook-Anzeigen einkaufte, um potenzielle Clinton-Unterstützer abzuschrecken.10

Nach der Wahl wurde Thiel in Trumps innerem Kreis hofiert und bekam ein Büro im Trump Tower und die Möglichkeit, seine Mitstreiter in der neuen Regierung unterzubringen. »Er war eine Ausnahmeerscheinung«, erinnerte sich Steve Bannon, der im August zum Wahlkampfleiter avancierte. Er lobte Thiel dafür, dass er intellektuelle Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit in eine Kampagne eingebracht habe, die zeitweise Schwierigkeiten hatte, beides zu vermitteln. Für Bannon und die anderen im rechten Trump-Lager war Thiel ein Held – einer, der wesentlich zu Trumps unerwartetem Wahlsieg beigetragen hatte.

Für die Linke war Thiel der Schurke schlechthin – ein Machtjongleur des Silicon Valley, der geholfen hatte, die Amerikaner mit einer Reihe von Tech-Diensten anzufixen, und seinen Einfluss auf diese Dienste später nutzte, um einem Kandidaten zum Wahlerfolg zu verhelfen, der angekündigt hatte, Muslimen die Einreise in die Vereinigten Staaten zu verbieten und Millionen illegaler Immigranten zu deportieren. Seit Jahren hatten die Aktivistengruppen genau davor gewarnt – vor der Macht, die sich im Silicon Valley sammelte, und vor den nationalistischen Unterströmungen, die sich unter der glänzenden Oberfläche des linksorientierten Idealismus entwickelten. Die rechtsextremen Ideen waren schon so lange da, wie die Tech-Branche existierte – schon bei der Gründung der Stanford University. Doch es hatte eines Peter Thiel bedurft, um diese Ideen an die Oberfläche zu befördern und als Waffen einzusetzen.

Thiel wird manchmal als Vorzeigekonservativer der Tech-Branche porträtiert – eine naive Ansicht, die seinen Einfluss stark unterschätzt. Mehr als jeder andere Investor oder Unternehmer des Silicon Valley – sogar mehr noch als Jeff Bezos oder die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin oder Zuckerberg selbst – ist er für die Entstehung der Ideologie verantwortlich, die das Silicon Valley inzwischen prägt: dass technischer Fortschritt unerbittlich realisiert werden muss, gänzlich oder zumindest weitgehend ungeachtet der potenziellen Kosten oder Gefahren für die Gesellschaft.

Thiel ist nicht der reichste Tech-Mogul – obwohl es ihm mit größter Sicherheit besser gelingt, sein Vermögen zu schützen, als dem durchschnittlichen Silicon-Valley-Milliardär, denn auf sein an die 10 Milliarden US-Dollar schweres Investmentportfolio hat er kaum Steuern gezahlt –, doch in vielerlei Hinsicht ist er der einflussreichste. Sein erstes Unternehmen, PayPal, war ein E-Commerce-Pionier und ist – Stand Anfang 2021 – inzwischen fast 300 Milliarden US-Dollar wert, nachdem es aus dem Unternehmen, an das Thiel es verkauft hatte (eBay), ausgegliedert wurde. Sein zweites Unternehmen, Palantir, machte nach dem 11. September das Konzept des Data-Mining populär und ebnete den Weg für eine Entwicklung, die Kritiker der Technologiebranche als Überwachungskapitalismus bezeichnen. In jüngerer Zeit avancierte das Unternehmen zum maßgeblichen Akteur in Immigrations- und Rüstungsprojekten der Regierung Trump und schlägt inzwischen mit rund 50 Milliarden US-Dollar zu Buche. Thiel ist größter Aktionär und beherrscht das Unternehmen.

So eindrucksvoll seine Bilanz als Unternehmer sein mag, als Investor und Hinterzimmerdiplomat übt Thiel noch größeren Einfluss aus. Er steht an der Spitze der sogenannten PayPal-Mafia, eines inoffiziellen Netzes aus verflochtenen finanziellen und persönlichen Beziehungen, die bis in die späten 1990er-Jahre zurückreichen. Zu dieser Gruppe zählen Elon Musk sowie die Gründer von YouTube, Yelp und LinkedIn. Sie brachten das Kapital für Airbnb, Lyft, Spotify, Stripe, DeepMind – inzwischen besser bekannt als Googles global führendes Projekt für künstliche Intelligenz – und natürlich für Facebook auf.

Dadurch trugen Thiel und seine Freunde dazu bei, ein vordem regionales Wirtschaftszentrum auf gleicher Stufe wie Boston und mehrere andere mittelgroße amerikanische Metropolregionen in den unbestrittenen Motor der amerikanischen Wirtschaft und Kultur zu verwandeln. 1996 gab es kein einziges Techunternehmen unter den fünf wertvollsten an US-Börsen gehandelten Aktiengesellschaften. 2021 waren alle fünf führenden Gesellschaften US-amerikanische Technologieunternehmen. Das produktivste Hollywood-Studio ist heute Netflix. In Amerika beziehen mehr Menschen ihre Nachrichten von sozialen Medien, allen voran Facebook, als aus dem Kabelfernsehen.11

Dieses Wachstum hatte nicht nur positive Folgen. Die Tech-Branche, die für viele kulturell immer noch als rückständig und voller sozial inkompetenter, wenn auch wohlmeinender Nerds ist, hat sich inzwischen zu einer gewinnsüchtigen, scheinbar amoralischen Kraft entwickelt, die in der Lage ist, neue Formen der Unterhaltung, neue Kommunikationsmedien und bessere Möglichkeiten hervorzubringen, sich ein Taxi zu rufen, doch dem Suchtverhalten, der Radikalisierung und der wirtschaftlichen Verelendung, die diese Fortschritte mit sich brachten, gleichgültig gegenübersteht. Die Ubers und Airbnbs, die Amerika 2016 so freudig begrüßte, forderten ihren Tribut. Sie verdrängten bezahlte Arbeitsplätze von Taxifahrern und Hotelpersonal durch billigere Selbstständige mit niedrigerem Sicherheitsstandard und wehrten aggressiv jeden staatlichen Vorstoß ab, sie zu zügeln.12

Diese Veränderung war ein wesentlicher Bestandteil von Thiels anderem Projekt: dem Versuch, eine Ausprägung des extremen Liberalismus durchzusetzen, der die Macht von traditionellen Institutionen auf Start-up-Unternehmen und die Milliardäre verlagert, die sie kontrollieren. Die Thiel-Ideologie ist komplex und zum Teil widersprüchlich, und es werden viele der folgenden Seiten erforderlich sein, um sie zu ergründen. Doch sie vereint eine Obsession von technischem Fortschritt mit einer nationalistischen Politik, die in Teilen ganz offensichtlich mit dem Gedankengut der weißen Vorherrschaft zu liebäugeln scheint. Ein ansonsten möglicherweise recht herber Cocktail wird versüßt durch Thiels persönliche Geschichte – seinen Weg vom abgehalfterten Firmenanwalt zum Dotcom-Milliardär, der in Vorlesungen, Vorträgen und in seinem Buch Zero to One: Wie Innovation unsere Gesellschaft rettet schon vielfach nachgezeichnet wurde. In diesem Erfolgshandbuch der Libertären heißt es unter anderem, Monopole seien eine gute Sache, die Monarchie die effizienteste Regierungsform und Tech-Gründer gottgleich.13 Weltweit wurden davon 1,25 Millionen Exemplare verkauft.14

Für die jungen Leute, die Thiel bewundern, seine Vorträge wieder und wieder anschauen, in den sozialen Medien seinem Genie huldigen und seine Bücher kaufen, ist er eine Kreuzung aus Ayn Rand[2] mit einer ihrer Romanfiguren. Er ist libertärer Philosoph und »Baumeister« zugleich – quasi ein Howard Roark[3] mit YouTube-Followern. Seine eifrigsten Jünger unter diesen männlichen und weiblichen Fans werden sogenannte Thiel Fellows. Seine Stiftung zahlt ihnen 100.000 US-Dollar pro Nase, wenn sie ihr Studium abbrechen und ein Unternehmen gründen. Andere verdingen sich bei seiner Clique von Beratern, die er finanziell unterstützt und die für ihn werben und ihn, seine Freunde und seine Ideen verteidigen. Diese Menschen sprechen manchmal von einem Thieloversum – einer Welt mit eigenen Gesetzen und eigener Moral, die stets um das Gravitationszentrum Thiel kreist. Mit Thiels wachsendem Einfluss wurden diese Gesetze auch zu den Gesetzen des Silicon Valley. Und es scheint, als reiche ihre Wirkmacht immer weiter darüber hinaus.

Thiels Weltanschauung ist inzwischen so einflussreich, dass sie selbst unter seinen Gegnern aufscheint. Der ehemalige Google-Chef Eric Schmidt, den Thiel als Monopolisten und »Propagandaminister« verunglimpfte, erklärte sich selbst zu Thiels »großem Fan« und pries insbesondere dessen geheimen Rachefeldzug gegen Gawker Media.[4] Diese Kampagne, im Zuge derer Thiel insgeheim eine Klage finanzierte, die der Wrestler Hulk Hogan gegen das Unternehmen anstrengte, drängte Gawker 2016 aus dem Geschäft. Thiels Strategie vereinte finanziellen Druck mit Täuschung – ein Ansatz, der ihm unter Befürwortern der Meinungsfreiheit viel Kritik eintrug, von dem sich Schmidt jedoch nach eigener Aussage »höchst beeindruckt« zeigte. »Wir brauchen Menschen, die Lehrmeinungen infrage stellen, und er ist dazu bereit und tut das gern«, meinte Schmidt. Der Liberale, der als Berater Hillary Clintons Wahlkampf unterstützte, erzählte mir, er fände Thiels Schützenhilfe für Trump bewundernswert und betrachte diese als »Teil seiner Weltsicht als Nonkonformist«.

Die Konsenseinschätzung zu Thiel lautet: ein Nonkonformist par excellence – ein Mann, der konstitutionell gar nicht in der Lage ist, der Herde zu folgen. Dieses Bild von sich hat Thiel schon persönlich bestätigt. »Schon möglich, dass bei mir im Hintergrund immer ein Programm läuft, das mich dazu bringt zu fragen: ›Also gut, und was ist das Gegenteil von dem, was du mir da gerade erzählst?‹ Das probiere ich dann aus«, äußerte er kurz nach der Präsidentschaftswahl 2016.15 »Und das klappt öfter als erwartet.«

Dennoch überraschte Thiels Rolle bei Trumps Aufstieg an die Macht manche Mitglieder der Tech-Presse und sogar den einen oder anderen von Thiels Freunden. Wie, so fragten sie sich, konnte ein gelehrter, schwuler Immigrant aus der liberalsten Gegend Kaliforniens, der in einer der am stärksten globalisierten Branchen der Welt reich geworden war und so dem Versprechen einer besseren Zukunft verpflichtet schien, einen Reaktionären mit Möchtegern-Autorität unterstützen? Mich interessierte eine ganz andere Frage: Wie war Thiel, der Mitte der 1990er-Jahre als unbekannter, gescheiterter Finanzier ins Silicon Valley gekommen war, zu solchem Einfluss gelangt? Sicher, er war Nonkonformist, doch das ist eine Methode, keine Ideologie. Woran genau, so fragte ich mich, glaubte Thiel? Und wie stark war das Silicon Valley selbst von diesen Überzeugungen geprägt?

2007 saß ich als Nachwuchsreporter des kleinen Wirtschaftsmagazins Inc. in Elon Musks Bürozelle in der damals äußerst bescheidenen Zentrale seines Raketenunternehmens SpaceX. Musk telefonierte, verfolgte mit einem Ohr ein Konferenzgespräch und checkte gleichzeitig seine E-Mails. Während ich wartete, schaute ich auf ein Plakat für den Film Thank You for Smoking nach der Romanvorlage von Christopher Buckley, dem Sohn William F. Buckleys, der Reden für George H. W. Bush geschrieben hatte.

Auf dem Plakat war Musk erwähnt, ebenso wie mehrere weitere PayPal-Mafiosi: Mark Woolway, Vizepräsident bei PayPal, und PayPal-COO David Sacks. Auch Thiels Name war dabei. Damals stand er schon in dem Ruf des Bombenwerfers, was gut zu dem Film zu passen schien – einer Satire, deren Held Lobbyist der Tabakindustrie ist. Ich könnte mir vorstellen, dass Peter Thiel sicherlich ein Fan der großen Tabakunternehmen ist – oder zumindest absolut nichts dagegen hat, als solcher zu gelten.

An jenem Tag erzählte mir Musk später noch die Geschichte seines Rauswurfs bei PayPal. Während er in seinen Flitterwochen gewesen war, war er Opfer einer heimlichen Verwaltungsratsintrige geworden, hinter der Thiel steckte. Musk verzieh Thiel irgendwann. »Ich begrub das Kriegsbeil«, meinte er in Bezug auf Thiel und dessen Mitverschwörer.16 Er fasste nach hinten und tat so, als würde er sich eine Klinge aus dem linken Schulterblatt ziehen. Im Zuge des Gesprächs – und erneut in dem unlängst für dieses Buch geführten Interview – zeigte sich Musk versöhnlich, machte dabei aber klar, dass er dem wichtigsten Risikokapitalgeber des Silicon Valley nicht ganz über den Weg traute.

Von da an schien Thiel bei jeder meiner Geschichten über die Tech-Branche im Hintergrund zu schweben oder mitzumischen – und immer häufiger auch in Geschichten über andere Themen. 2011, als die Progressiven noch jahrelang nicht über kostenlosen Collegebesuch sprechen sollten, warnte Thiel bereits vor steigenden Studiengebühren und nannte die Entwicklungen im Bildungssektor besorgniserregender als die Immobilienblase. Er gehörte zu den Initiatoren des Rückschlags gegen Big-Tech, als er Google 2014 als Monopol bezeichnete – Jahre vor Elizabeth Warren und Bernie Sanders. Dann kam natürlich sein vernichtender Schlag gegen Gawker und die Wahl Trumps.

2018 führte ich erste Gespräche mit Exbeschäftigten, Geschäftspartnern und anderen Beteiligten – im Silicon Valley, in Washington und anderswo –, weil ich wissen wollte, wie er das geschafft hatte. Thiel war in die Tech-Branche gekommen, ohne dass er über nennenswerte Mittel oder technische Fähigkeiten verfügt hätte. Er ist weder besonders umgänglich noch scheint er viel Spaß zu haben. Er spricht stockend. Und er hat kein Charisma – jedenfalls nicht im klassischen Sinn.

Was ich erfuhr, öffnete mir die Augen: Nach Aussage seiner Freunde ist Thiel brillant – ein Visionär mit der unheimlichen Fähigkeit, immer genau zu wissen, wie er gewinnen kann. Er hat die besondere Gabe, das Leben wie eine Schachpartie zu betrachten – seine Freunde, Geschäftspartner und Portfoliogesellschaften als Mittel zum Zweck zu benutzen. Das hat natürlich auch eine weniger ansprechende Seite. Durch seine machiavellistischen Tendenzen kann er kalt und berechnend wirken, mitunter sogar grausam.

Ich hatte erwartet, dass Thiels enge Freunde ein Loblied auf ihn anstimmen würden. Manche taten das. Doch weitaus häufiger reagierten Thiels Freunde – Menschen in politischen Machtpositionen, millionenschwere Geschäftsleute, Investoren, die sich die Aufmerksamkeit von Milliardären verschaffen konnten – auf meine Fragen eigentlich nicht mit Bewunderung. Eher mit Angst. Sie erklärten mir, ihn zu fürchten. Weil er so mächtig war. Und so nachtragend.

Bei einem dieser ersten Gespräche verlangte eine Person, die Thiel schon seit vielen Jahren kennt und ihre erfolgreiche Karriere im Silicon Valley unter anderem der Verbindung zu Thiels Netzwerk verdankt, ich solle die digitale Aufnahme stoppen. »Ich bin paranoid«, erklärte der Mann. Dann erzählte er mir verschiedene Anekdoten, die seinen Mentor als unglaublichen Investor porträtierten, mit einem Blick für vielversprechenden Nachwuchs, den er gern förderte, doch mit einer Skrupellosigkeit, die meinem Gesprächspartner Unbehagen bereitete.

Dann stellte er plötzlich mir eine Frage: »Warum wollen Sie denn dieses Buch schreiben?«, wollte er wissen. »Haben Sie denn keine Angst, dass er dann hinter Ihnen her sein wird?«

Während ich diese Zeilen schreibe, hat eine Kohorte von Silicon-Valley-Investoren und -Unternehmern, fast alle mit starken finanziellen und gesellschaftlichen Beziehungen zu Thiel, beschlossen, dass selbst die kritische Berichterstattung über Thiel und seine Freunde nicht länger hinnehmbar sei. Balaji Srinivasan, ein Investor, den Thiel als Leiter der US-Arzneimittelbehörde FDA unter Trump vorgesehen hatte, behauptet, die Medien müssten vernichtet werden. An ihre Stelle solle treten, was er als »Full-Stack-Narrativ« bezeichnet: mit anderen Worten Public Relations. »Baumeister müssen die Kritiker kritisieren«, twitterte er und verwendete das Rand’sche Wort[5] für Unternehmer, das auch Thiel und Co. bevorzugen: Builder. »Haltet die Leute auf, die der Zukunft im Wege stehen und Stopp schreien. Das ist eure Pflicht.«

In bestimmten Kreisen wird Thiels Name sogar als Verb verwendet. Einen Medienkanal oder Journalisten zu »peterthielen« bedeutet, sie in den Ruin zu treiben, wie Thiel es mit Gawker tat. Der Prozess, in dem das Medienunternehmen Gawker zur Zahlung von 140 Millionen Dollar verurteilt wurde, weil es eine Reihe wenig schmeichelhafter Beiträge über Thiel veröffentlichte, ihn als »sogenannten Visionär« bezeichnet und als schwul geoutet hatte, vermittelte Kritikern unmissverständlich die Botschaft: Wer Thiel oder einen seiner Freunde öffentlich kritisiert, tut das auf eigene Gefahr.

Weil bekannt ist, dass Thiel versucht, jedem zu schaden, der seine Geheimnisse lüften will, bestanden viele der über 150 ehemaligen Beschäftigten, Geschäftspartner, Freunde und anderen, mit denen ich mich Hunderte Stunden lang für dieses Buch unterhielt, auf Anonymität. Thiels mächtigste Verbündete fürchten ihn – und ehemalige Klassenkameraden aus der Mittelstufe natürlich ebenso. Ich kommunizierte die ganze Zeit über auch mit Thiel selbst – meist über Mittelsleute. Ich hatte ihn 2011 kennengelernt und traf ihn 2019 noch einmal persönlich. Er bestand auf einem inoffiziellen Treffen. Eine längere Liste mit Recherchefragen mit der Bitte um Überprüfung ließ er unbeantwortet.

Auf den folgenden Seiten will ich versuchen, einen Mann zu begreifen, der Milliarden unter anderem damit verdient hat, undurchschaubar zu sein. Ich wollte wissen, wie es ihm gelungen war, eine so treue Gefolgschaft aufzubauen und immer wieder die richtigen Wetten abzuschließen, so verrückt sie auch schienen. Ich wollte verstehen, wie jemand, der so respektiert und geschätzt wird, dies erreichen konnte, obwohl er manchmal so skrupellos vorgeht. Ist Thiel ein Genie, das man bewundern und von dem man lernen musste, oder ein soziopathischer Nihilist? Könnte er beides zugleich sein?

Diese Fragen sind so bedeutsam, weil es dieselben sind, die wir den großen Techunternehmen stellen, die wir dem Thieloversum verdanken. Zum Teil, weil Thiel wesentlich am Aufbau des Silicon Valley beteiligt war, aber auch, weil so viele einflussreiche Menschen ihn bewundern und ihm nacheifern, ist das Silicon Valley heute vielfach das Spiegelbild der Thiel’schen Weltsicht – auf Gedeih und Verderb. Wenn wir Zuckerberg verstehen wollen, oder den neuen Monopolkapitalismus – oder auch das rechtsextreme Trump-Lager, das Thiel ebenfalls im Stillen heranzog –, dann müssen wir Thiel verstehen.

ERSTES KAPITEL

Ihr könnt mich alle mal

Im kalifornischen Foster City drängten sich 1980 Peter Thiel und noch ein paar Achtklässler um einen Tisch in einer kleinen Küche, die Gesichter halb hinter aufgestellten Ordnern versteckt, damit keiner sehen konnte, was der andere tat. Ihre Augen waren konzentriert auf die Landkarte einer Fantasiewelt und mehrere Würfel gerichtet.

Die Häuser in dem Vorort von San Francisco waren bescheiden und standen eng aneinandergereiht unter der klotzigen San Mateo-Hayward Bridge. Diese verbindet das Silicon Valley – wie die am Freeway 101 auf der San Francisco Peninsula verstreuten militärischen Forschungsparks und Firmengelände genannt werden – mit Oakland und den Industriegebieten der East Bay. Foster City, in den 1960er-Jahren erbaut,1 nachdem Immobilienentwickler einen Sumpf trockengelegt hatten, indem sie eine Reihe schmaler »Lagunen« schufen, hatte keinerlei Verbindung zu diesen Orten. Es war eine typische Vorstadtsiedlung, in der überwiegend weiße Arbeiterfamilien lebten, die die Aussicht auf anständige Schulen, Sicherheit und ein Grundstück an der Bucht angelockt hatte. Die Kinder von Foster City – solche, wie sie damals am Küchentisch saßen – waren nicht die Kinder der klugen Köpfe, die Intel oder Hewlett Packard aufgebaut hatten. Ihre Eltern waren Feuerwehrleute oder Lehrer oder – wie Peter Thiels Vater – Bergbauingenieur, der in Sicherheitsschuhen und mit Helm zur Arbeit ging.

Peter war mit den Nerds befreundet, und Nerds spielten 1980 am Wochenende abends Dungeons & Dragons. D&D gilt zwar gemeinhin als Brettspiel, doch es geht dabei mehr um das Erzählen von Fantasy-Geschichten als ums Gewinnen oder Verlieren. Für das Spiel muss sich jeder Mitspieler eine eigene Figur ausdenken, einen »Charakter«. Magier, Barbaren, Druiden und Mönche zählen zu den vielen Optionen, und jeder hat andere Fähigkeiten. Magier ziehen andere in ihren Bann, Barbaren sind grausame Gegner im Kampf und so weiter. Ein Spieler übernimmt die Funktion des Erzählers und Schiedsrichters. Er muss sich ein Abenteuer einfallen lassen.

Der Erzähler heißt auch »Dungeon Master«, und obwohl eigentlich jeder mal an die Reihe kommen sollte, versuchte stets Peter – schlaksig, genial und ernst, bis es wehtat –, diese Rolle zu ergattern. »Er konnte die Realität bestimmen«, erzählte ein früherer Spielgefährte Thiels. »Er genoss es, graue Eminenz zu sein.«

D&D war aber nicht nur Realitätsflucht, sondern barg auch gewisse Gefahren. Zumindest sahen das die Eltern so. Nachdem sich 1980 ein siebzehnjähriger Spieler aus Michigan das Leben genommen hatte,2 war unter konservativen Christen eine moralische Panik umgegangen. Sie fürchteten das psychologische Potenzial des Spiels, das Teenager dazu animierte, Zauberei, Hexerei und anderen Blasphemien vorzuspielen. Die Halbwüchsigen aus Foster City lachten darüber, doch es erklärt womöglich, warum Peter, dessen Eltern sehr religiös waren, die anderen nie zu sich nach Hause zum Spielen einlud.

Er erzählte den Leuten, er käme aus Cleveland, und sprach akzentfrei Englisch. Dennoch war er eindeutig Ausländer. Er war intelligent und selbstbewusst, wirkte aber freudlos. »Ich wüsste nicht, dass er je gelacht hätte. Ich habe ihn nicht einmal lächeln sehen«, erzählte ein Freund aus jenen Tagen. »Man merkte, dass es in seiner Familie Struktur gab, um es positiv zu formulieren.«

Seine Eltern, Klaus und Susanne Thiel, waren 1968 aus Frankfurt in die Vereinigten Staaten ausgewandert – ein Jahr, nachdem dort im Oktober Peter Andreas Thiel geboren worden war. Klaus Thiel war damals Anfang dreißig gewesen und hatte bei Arthur G. McKee & Co., einer amerikanischen Beratungsfirma, die auf den Bau von Ölraffinerien, Stahlwerken und anderen Schwerindustrieprojekten spezialisiert war, gearbeitet. Er hatte einen Abschluss der Staatlichen Ingenieurschule Dortmund, einem Vorläufer der heutigen dortigen Fachhochschule. 1968 also zog Klaus Thiel mit seiner kleinen Familie in die Vereinigten Staaten, wo er sich an der Case Western Reserve University in Cleveland zu einem weiterführenden Studium einschrieb.

Die Umstellung war hart. In Westdeutschland war man nach dem Krieg noch ganz mit dem Wiederaufbau beschäftigt und sah gesellschaftliche Massenbewegungen skeptisch. Hier war der Gedanke einer Gegenkultur noch fremd, selbst in Westberlin, und allemal in der hessischen Finanzmetropole des Landes. Frankfurt boomte in den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren wirtschaftlich, und es lebten dort viele fromme weiße Christen wie die Thiels.

In Cleveland dagegen pulsierten Strömungen wie freie Liebe, die Black-Power-Bewegung und – für jeden anständigen Westdeutschen absolut unvorstellbar – der Kommunismus. Zwei Jahre zuvor, 1966, hatte sich eine von einem Weißen geführte Bar in Hough,3 etwa zweieinhalb Kilometer von der technischen Fakultät der Case Western entfernt, geweigert, einen Schwarzen zu bedienen und anschließend ein Schild aufgehängt mit der Aufschrift: »Kein Wasser für N... .« Daraufhin hatte sich ein Mob zusammengerottet und war zunächst über die Bar hergefallen und dann auch über andere Geschäfte. Es wurde geplündert und gebrandschatzt. Im Sommer 1968 gab es erneut Unruhen unweit des Campus, nachdem sich die Polizei und die radikale Gruppierung der Black Nationalists of New Libya eine vierstündige Schießerei geliefert hatten, die unentschieden endete, sieben Todesopfer forderte und tagelange Plünderungen, Brände und militärisch aufgezogene Polizeieinsätze zur Folge hatte. Wie um den Rassenkonflikt noch zu schüren, brachten Reporter in Erfahrung, dass die New Libyans im Rahmen eines vom neu gewählten schwarzen Bürgermeister Carl Stokes initiierten Programms einen Wiederaufbauzuschuss von 6000 US-Dollar erhalten und zum Kauf der Waffen verwendet hatten.

Ein paar Wochen später, im August, nahm Richard Nixon die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Republikaner an. Er war damals als Kandidat angetreten, der für Einheit stand und im Grunde zugesagt hatte zu verhindern, dass Schwarze, Hippies und sexuelle Nonkonformisten Amerika überrennen würden. »Wir sehen Städte in Feuer und Rauch aufgehen«, sagte Nixon und rühmte die »große Mehrheit der Amerikaner – die vergessenen Amerikaner, die nicht laut schrien und nicht auf die Straße gingen«. Thiels Eltern sollten fanatische Republikaner werden, und diese Einstellung ging auch auf ihren Sohn über, der sich mit der schweigenden Mehrheit identifizierte und die Nixon-Ära mit ähnlicher Hochachtung betrachtete wie Nixons politischen Nachfolger Ronald Reagan.

In der Familie Thiel, die 1971 durch ein viertes Mitglied vergrößert wurde – Peters kleinen Bruder Patrick –, ging es ernst zu. Kurz nach der Geburt des Brüderchens erklärte der Vater Peter den Tod auf eine Art und Weise, die, wie Thiel es Jahre später schilderte, ihm kalt, ja, beinahe grausam erschien. Peter, der sich möglicherweise zum ersten Mal mit existenziellen Fragen auseinandersetzte, hatte seinen Vater nach einem Teppich in ihrer Wohnung gefragt, der, wie sein Vater Klaus erklärte, aus der Haut einer toten Kuh bestand.

»Alle Tiere sterben einmal. Und alle Menschen auch. Ich werde eines Tages sterben. Und irgendwann stirbst du auch«, sagte Klaus Thiel.4

Dieser Moment sollte den dreijährigen Jungen zutiefst aufwühlen – und Jahrzehnte später auch noch den erwachsenen Mann. Die meisten Kinder erholen sich auf wundersame Weise oder durch die Liebe ihrer Eltern oder eine glückliche kognitive Dissonanz von solchen frühen Begegnungen mit ihrer eigenen Sterblichkeit. Thiel gelang das nicht, und er sollte auch noch in mittlerem Alter immer wieder auf die Kuh zurückkommen, und auf die damit verbundene brutale Endgültigkeit.

In den darauffolgenden sechs Jahren erwarb Klaus Thiel seinen Masterabschluss und wurde Projektmanager, der bei Bergbauprojekten Teams von Ingenieuren leitete. Sein Fachgebiet war der Tagebau, bei dem bergeweise Erde und Fels ausgehoben und chemisch behandelt werden mussten, um ihnen Mineralien zu entziehen. Die Familie zog häufig um, und Klaus Thiel war noch häufiger unterwegs. Er verbrachte oft Wochen auf Baustellen, weit weg von zu Hause.

Nach Cleveland entschied sich die Familie, an einen Ort umzusiedeln, der so ganz anders war als die vergleichsweise vielfältige Stadt, in der Thiel seine ersten Lebensjahre verbrachte hatte: Sie zogen in das Südafrika der Apartheid-Ära. Klaus Thiel sollte auf der Baustelle einer Uranmine in der Wüste Namib arbeiten, nicht weit von der Stadt Swakopmund im heutigen Namibia.

Peter besuchte zunächst eine elitäre englische Grundschule in Johannesburg, die nur Weiße aufnahm, und im Anschluss zwei Jahre lang die Deutsche Grundschule in Swakopmund. Es war eine einsame Zeit für ihn. Ein Bild aus jenen Jahren zeigt einen mürrischen Jungen in kurzen Hosen mit Krawatte, der eine große Aktentasche trägt. Ein Klassenkamerad aus der Grundschulzeit in Namibia, George Erb, erinnert sich an Thiel als intelligent, aber in sich gekehrt. Er hatte »diesen ganz eigenen auffallenden wissenden Gesichtsausdruck, der fast gelangweilt wirkte«, weiß Erb noch. »Wir hatten in der Schule nicht viel mit Peter zu tun. Wir wussten ja, dass die Kinder der Leute von der Bergbaugesellschaft nie lange in der Stadt blieben.«

Die Klaus Thiel übertragenen Aufgaben waren heikel. Südafrika, das Namibia als Satellitenstaat unter der Bezeichnung »Südwestafrika« verwaltete, geriet wegen des Apartheid-Systems allmählich unter Druck und hatte ein geheimes Atomwaffenprogramm in die Wege geleitet. Die Rössing-Mine, die Klaus Thiel anlegen sollte, war ein wesentlicher Bestandteil dieses Plans. So wollte Südafrika Versuche der US-Amerikaner abwehren, das Land wirtschaftlich zu isolieren, und sich im Fall eines sowjetischen Angriffs verteidigen. Die Leute von der Minengesellschaft machten sich keine Illusionen. »Rössing baute in direkter Zuwiderhandlung gegen die Vorgaben der Vereinten Nationen Uran ab«, erklärte Pierre Massyn, der Anfang der 1980er-Jahre als Public-Relations-Manager dort arbeitete. »Mein Job war es, der Welt zu erzählen, dass unsere Präsenz gerechtfertigt war.«

Wer in Südwestafrika Uran abbaute, war nicht nur mitschuldig an der Aufrechterhaltung des Apartheid-Systems, sondern nutzte dieses System aus. Zwar hieß es, Rössing sei humaner als manche Zwangsarbeiterbetriebe in Südafrika selbst, doch die Arbeitsbedingungen waren trotzdem kaum besser als ein Knechtschaftsverhältnis. Wanderarbeiter verpflichteten sich vertraglich, mehrere Jahre dort zu arbeiten, bevor sie in ihr »Homeland« zurückmussten, wie das Apartheid-Regime die halbautonomen rein schwarzen Gebiete bezeichnete. Weiße Manager wie Thiel hatten Zugang zum brandneuen Medizin- und Zahnmedizinzentrum in Swakopmund und waren Mitglieder im Country Club des Unternehmens. Schwarze Arbeiter, auch solche mit Familien, lebten in Wohnheimen in einem Lager nahe der Mine ohne Zugang zu moderner medizinischer Versorgung, wie sie den Weißen geboten wurde.5 Seinen Arbeitsplatz zu verlassen, war eine Straftat. Arbeiter, die in der Mine ohne ihren Ausweis angetroffen wurden, wurden regelmäßig einen Tag ins Gefängnis gesperrt.

Der Uranabbau ist naturgemäß nicht ungefährlich. Ein nach dem Ende der Apartheid vom Namibia Support Committee6 – einer Gruppe, die für die Unabhängigkeit eintrat – veröffentlichter Bericht beschrieb die furchtbaren Arbeitsbedingungen in der Mine, die Klaus Thiels Unternehmen anlegte. Unter anderem berichtete ein Arbeiter, dass ihm und seinen Kollegen nicht gesagt worden sei, dass sie in einer Uranmine arbeiteten, und sie seien sich des Strahlungsrisikos nicht bewusst gewesen. Der einzige Hinweis darauf sei gewesen, dass die weißen Beschäftigten die Löhne immer hinter Glas auszahlten – wohl, um sich nicht zu kontaminieren. Dem Bericht zufolge starben die Arbeiter 1976, als die Mine noch im Bau war, »wie die Fliegen«.

Peter erlebte seine zweieinhalb Jahre im südlichen Afrika ganz anders. Er sollte sich an viele Stunden erinnern, die er in einem staubigen Flussbett hinter dem Haus der Familie las oder alleine spielte, und an Schachpartien mit Klaus oder Susanne Thiel, wenn diese Zeit hatten.7

Im selben Jahr, als die Mine den Betrieb aufnahm, kehrten die Thiels nach Cleveland zurück. Doch schon ein Jahr später zogen sie nach Kalifornien, wo Klaus Thiel am Bau einer neuen Goldmine in Knoxville mitwirken sollte, einer Wüsteneinöde westlich von Sacramento. Möglicherweise hatten die Thiels aus ihren Erfahrungen in Cleveland gelernt, denn sie ließen sich in einer kalifornischen Vorstadtidylle nieder, die zur Reagan-Revolution passte: Foster City. Sie zahlten 120.000 US-Dollar für ein Haus mit vier Zimmern auf Whalers Island, einer angelegten Halbinsel, die sich in Form einer vierfingrigen Hand in einen künstlichen See erstreckte. Auf jedem der vier kleinen »Finger« gab es nur eine einzige Straße, die in einer Sackgasse endete.

Auf der Bowditch Middle School in Foster City kam Peter in ein Begabtenprogramm und hörte immer wieder, er sei zu Großem ausersehen. »Man hatte uns eingebläut, dass man gute Noten brauchte, um auf ein gutes College zu kommen, und dass davon das ganze Lebensglück abhinge«, erzählte Nishanga Bliss, eine Klassenkameradin Thiels. In einem Frühjahr erklärte Thiels Geschichtslehrer der Klasse im Scherz, dass keiner eine Eins bekommen würde, wartete, bis sich Schockstille in der Klasse ausgebreitet hatte, und rief dann »April, April!«.

Unter den besonders Begabten galt Peter weithin als der Beste – mit den besten Noten und den besten Prüfungsergebnissen. Doch anders als alle anderen in seinem sozialen Umfeld, die sich als Nerds fühlten und denen das irgendwie peinlich war, focht es Peter offenbar nicht an. In die Jahrbücher seiner Freunde schrieb er neben den üblichen Sprüchen wie »Auf Wiedersehen im Sommer« und »Schön, dass wir uns kennengelernt haben« etwas provokant: »Vielleicht kannst du mir ja mal das Wasser reichen.«

»In unserer Generation war es uncool, besonders intelligent zu sein«, erzählte ein Freund. »Ich weiß noch, wie viel Mühe ich mir gegeben habe zu verschleiern, dass ich clever war. Peter versuchte nie, damit hinter dem Berg zu halten, dass er der Klügste war.« Alle, auch die Nerds, spielten Fußball oder Baseball und taten so, als hätten sie Spaß daran – bis auf Peter.

Sein Spiel war Schach. 1972, kurz vor Peters fünftem Geburtstag, gewann der introvertierte, streitbare und als Wunderkind gefeierte Bobby Fischer als erster Amerikaner die Schachweltmeisterschaft (seine einzige). Unter den Augen der Amerikaner – die Partie des Jahrhunderts wurde in den Vereinigten Staaten als erste überhaupt zur besten Sendezeit übertragen – schlug Fischer den sowjetischen Meister Boris Spasski. Der Sieg, mit dem zum ersten Mal seit 1948 kein Sowjet den Titel gewann, wurde als Zeugnis für die Errungenschaften des amerikanischen Kapitalismus präsentiert. Der neue Schachweltmeister wurde zu Hause mit einem Bobby-Fischer-Tag begrüßt und auf dem Titelbild von Sports Illustrated abgebildet. Die Schachmannschaften der Highschools und Middleschools explodierten entsprechend.

In San Mateo, wohin Peter 1981 wechselte, hatte der Schachclub Dutzende Mitglieder und zog viele Schaulustige an, wenn in der Mittagspause gespielt wurde. Sie spielten Blitzschach, eine Variante, bei der den Spielern nur begrenzte Zeit zur Verfügung stand, gewöhnlich jeweils fünf oder zehn Minuten für das gesamte Spiel, oder Bughouse, ein Mannschaftssport, bei dem die Spieler eine Figur schlagen und dann an einen Partner übergeben können, der weiterspielt. Die Spitzentabelle des Clubs hatte dreißig Plätze. Peter, auf dessen Schachset ein Aufkleber mit der großspurigen Aufschrift »born to win« prangte – zum Siegen geboren –, war stets an erster Stelle zu finden. Er war der Schulprimus und gehörte zumindest eine Zeitlang in seiner Altersklasse bis dreizehn Jahren zu den besten Spielern in den Vereinigten Staaten.

Verlor er doch einmal, ging das Temperament mit dem sonst so stoischen, zurückhaltenden Jungen durch. Auf einem Turnier spielte er einmal in der Pause zum Spaß und war nur halb bei der Sache. Sein Gegner war unerfahren und wusste gar nicht recht, wie ihm geschah, als er Peter Schach bot – und kurz darauf feststellte, dass es sogar ein Schachmatt war. Peter regte sich sichtlich auf und gewann seine Fassung bis zum Ende des Turniers nicht wieder. Er verlor alle weiteren Spiele. Mit Niederlagen, auch wenn sie noch so unbedeutend waren, konnte er nicht umgehen.

Wenn Peter nicht gerade damit beschäftigt war, seine Qualitäten als bester Schachspieler zu beweisen, tauchte er in die Welt der Fantasy und Science-Fiction ein. Da gab es natürlich Dungeons & Dragons, außerdem die Bücher von J. R. R. Tolkien, die er immer wieder bis zur Besessenheit las – so oft, dass er später behauptete, er könne die gesamte Herr der Ringe-Trilogie auswendig. Er spielte auch Videospiele, darunter Zork, ein Textadventure, in dem sich jeder Spieler auf eigene Faust durch verschiedene Räume bewegte, auf einem Tandy TRS 80,8 den Klaus Thiel nach Hause gebracht hatte.

Ein paar zig Kilometer weiter südlich fand gerade die Computerrevolution statt. Dort wies Apple Computer, die Firma eines anderen amerikanischen Wunderkinds, Steve Jobs, mittlerweile 100 Millionen US-Dollar Umsatz aus. Klaus Thiel war früh auf den Zug aufgesprungen und drängte seine Kollegen bei der kalifornischen Goldmine, Computer zu verwenden. Ein gewisses Interesse an der Technik ging auf seinen Sohn über. Peter programmierte ein bisschen, doch was ihn wirklich faszinierte, waren Zukunftsvisionen. Er las Isaac Asimov und Arthur C. Clarke – Autoren, die Visionen von einer Zukunft mit humanoiden Robotern, Reisen in den Weltraum, Siedlungen auf dem Mond, Nahrung auf Erdölbasis, die den Hunger ausmerzte, Autos, die in der Luft schwebten, statt auf Rädern zu fahren, und der Unsterblichkeit heraufbeschworen.

Beliebt war Thiel als Junge nicht. Ein Klassenkamerad – und Mitstreber – erzählte, er und andere betrachteten Peter zwar »mit Ehrfurcht«, fanden ihn aber undurchschaubar, distanziert und arrogant. »Meines Wissens hatte er keine engen Freunde«, erklärte er. Peters Verstand und seine Statur – auf der Highschool war er klein und schmächtig – machten ihn zum Mobbingopfer. Ein Freund, Kevin Wacknov, weiß noch, wie Thiel in den ersten Highschooljahren von anderen herumgeschubst wurde.

Das alles – und auch, dass sein Verhalten mitunter feminin anmutete, wenngleich davon nie offen die Rede war – machte ihn zur Zielscheibe spöttischer Bemerkungen, selbst bei jenen, die sich als seine Freunde betrachteten. Ein besonders beliebter Streich seiner Klassenkameraden war, abends durch die Siedlung zu fahren und nach Häusern Ausschau zu halten, bei denen ein »Zu verkaufen«-Schild in der Einfahrt stand. Sie sammelten so viele solcher Schilder wie möglich – manchmal zwölf oder mehr –, fuhren damit schnurstracks nach Whalers Island und stellten sie im Vorgarten von Peters Elternhaus auf.

»Ich habe gehört, ihr zieht um, Peter?«, fragte dann scheinheilig einer am nächsten Tag. Die anderen bogen sich vor Lachen. »Rückblickend ist natürlich klar: Das war Mobbing«, meinte einer der Beteiligten. »Ich dachte immer, vielleicht führt er eine Liste mit Leuten, die er irgendwann umbringen wird, und ich stehe drauf?«

Mit zunehmender körperlicher Reife wurde Peter selbstbewusster. Als Elftklässler sah er gut aus, mit markantem Kinn, kantiger Nase und einem hellbraunen Haarschopf, den er seitlich gescheitelt trug. Seine schulischen Leistungen entwickelten sich erwartungsgemäß: Er war der beste Schachspieler, der Beste im Matheklub und hatte natürlich beste Aussichten auf ein Collegestipendium. Es war jedoch weniger Selbstvertrauen als eher Geringschätzigkeit, die einem Freund zufolge aus seiner Miene sprach – nach dem Motto »Ihr könnt mich alle mal«.

Der Elm – das Jahrbuch der San Mateo High School – aus dem Jahr 1984/85 enthielt seitenweise wundervolle Erinnerungen an Schulbälle, Footballspiele, Picknicks und Surfausflüge zu den Stränden. Auf diesen Seiten suchte man den Namen Peter Thiel vergebens. Dafür kam er auf fast allen Seiten über Clubs und akademische Gemeinschaften der Schule vor. Weil das in den Ausgaben der Jahre zuvor noch anders gewesen war, sahen seine Klassenkameraden darin den Versuch des Schülers mit dem einseitigsten Charakter, sich den Zulassungsstellen der Colleges als einigermaßen vielseitig zu präsentieren.

Selbstbewusst sah man Peter vor dem Fliegerclub stehen, in einer blauen Windjacke, die ihn als Mitglied auswies, und mit einer digitalen Casio-Uhr. Gedankenversunken posierte er am Schachbrett. Die anderen Mitglieder der Clubs für Deutsch und Latein schien er um Längen zu überragen. Man sah ihn im Naturwissenschaftsclub bei den UN-Konferenzsimulationen »Model U.N.«, in der Schülermitverwaltung und mit Stift und einem Stapel Papier, als wolle er gerade einen juristischen Schriftsatz einreichen, auf der Seite mit den Schulbesten. Er war zu dem Schüler mit den größten Erfolgschancen im Berufsleben gekürt worden.

Peters Abschlusszitat stammte aus The Hobbit: »The greatest adventure is what lies ahead / Today and tomorrow are yet to be said.«[6] Jahre später erzählte er, er habe die ganze Passage auswendig gelernt. Sie lautet weiter: »The chances the changes are all yours to make / The mold of your life is in your hands to break.«[7] Das sollte gewissermaßen sein Lebensmotto werden – wenngleich sein Leben damals noch sehr verworren schien. Die Passage stammt übrigens nicht von Tolkien, der Der kleine Hobbit und die Buchtrilogie Herr der Ringe schrieb – den Büchern, von denen Peter regelrecht besessen war. Sie stammt vielmehr aus einem Song zu diesem Thema, den Jules Bass geschrieben hat, der kreative Kopf hinter dem Cartoon Thundercats aus den 1980er-Jahren – und zwar für die Zeichentrickversion von The Hobbit, die 1977 erschienen war. Im Frühling seines Abschlussjahres erhielt Thiel die Zulassung für Stanford, die Uni seiner Träume. Unter seinen Klassenkameraden ging das Gerücht, dass Peter an der Stelle im Antrag, an der sich der Bewerber mit einem Wort beschreiben soll, »intelligent« geschrieben habe.

Danach hatten seine Freunde den Eindruck, dass sich Peter noch mehr distanzierte – als habe er sich innerlich bereits von Foster City verabschiedet. Er versuchte gar nicht erst, alte Rechnungen zu begleichen oder seine Peiniger zur Rede zu stellen. Aus den meisten seiner Einträge in die Jahrbücher seiner Kameraden geht neben den üblichen Sticheleien über ihre schlechteren Leistungen hervor, dass er wenig Lust verspürte, sie wiederzusehen. »Hab einen guten Sommer und ein schönes Leben«, schrieb er seiner Klassenkameradin Bliss und fügte in einer seltsamen Mischung aus gruseliger Herzlichkeit hinzu: »Ich hätte dich nie abgetrieben (nicht einmal hypothetisch).« Bliss meint heute, sie müsse ihm wohl erzählt haben, dass die Schwangerschaft ihrer Mutter ungeplant gewesen sei, und dass Thiel vermutlich versucht habe, nett zu sein, wenn auch auf eine höchst seltsame Art und Weise. Er unterzeichnete den Spruch mit »Alles Liebe, Peter Thiel«.

Peter war seit jeher unnahbar gewesen, doch inzwischen schien ihm alles vollkommen gleichgültig – die Highschool, seine Freunde, seine Lehrer –, und er testete seine Grenzen aus. Einem Klassenkameraden zufolge soll er jüngeren Schülern angeboten haben, für 500 Dollar pro Test ihre SAT-Prüfungen[8] zu lösen. Zwei Kommilitonen, die in jenem Herbst mit ihm in Stanford waren, erinnern sich, wie Thiel über diesen Nebenjob sprach. Einer meinte, er habe sich erkundigt, wie sich »nicht rückverfolgbare Zahlungen abwickeln« ließen.

Das war das erste Mal in seiner langen Karriere, dass er Kapital aus seiner Intelligenz und seiner unbändigen Neigung, Regeln zu missachten, schlug. Außerdem war es in Anbetracht von Peters ehrgeizigen Zielen und der Möglichkeit, dabei seinen Studienplatz in Stanford zu verlieren, auch unglaublich riskant. Doch Thiel schien das gleich zu sein, und er fühlte sich den akademischen Regeln ebenso wenig verpflichtet wie allen sonstigen sozialen Umgangsformen – er ignorierte sie einfach. Vielleicht war er deshalb so anders. Und vielleicht meinte er das, als er sagte, er sei »zum Siegen geboren«.

ZWEITES KAPITEL

Ein ganz komischer Kauz

An der Abschlussveranstaltung an der Leland Stanford Junior University, wie sie damals hieß, nahmen rund zweihundert junge Männer und ein paar Frauen teil, die sich an einem Mittwoch im Mai 1907 in der Aula versammelt hatten, um etwas über den ersten rechtsextremen Bombenattentäter in der Bay Area[9] zu hören.

Nach einer kurzen Lektion über die Geschichte des Begriffs Maverick, mit dem einst Rinder bezeichnet wurden, die ohne das Brandzeichen einer Ranch frei herumliefen, forderte Stanfords Präsident David Starr Jordan den 16. Abschlussjahrgang der Universität auf, dem Vorbild dieser freiheitsliebenden Horntiere zu folgen. »Ich spreche mich heute Morgen für den menschlichen Maverick aus – für Menschen, die frei geboren sind und niemandes Brandzeichen oder Etikett tragen – in der Hoffnung auf freie Institutionen in Amerika«, so Jordan in seiner Rede, die im Stanford Daily abgedruckt wurde.1

Jordan war Ichthyologe von Beruf – Fischkundler –, aber berühmt geworden als Collegepräsidenten-Wunderkind, erst an der Indiana University, wo er dieses Amt mit vierunddreißig Jahren übernahm, dann, sechs Jahre später, als erster Präsident der kalifornischen Antwort auf die sogenannte Ivy League.[10] Jordan sollte fragwürdigen Ruhm als Eugeniker erlangen. Im Oktober 2020 gab Stanford dann bekannt, man werde seinen Namen von den Universitätsgebäuden tilgen. Doch in der Abschlussrede im Jahre 1907 ging es nicht so sehr um seine rassistischen Theorien, sondern vielmehr um einen ganz konkreten Freiheitsbegriff – nämlich um die Freiheit für Stanford-Absolventen, ohne staatliche Einmischung oder Regulierung zu arbeiten.

Ein Jahr zuvor hatte Upton Sinclair The Jungle veröffentlicht – einen Enthüllungsbericht über die Arbeitsbedingungen in der fleischverarbeitenden Industrie Chicagos. Jordan behauptete, die »wahre Moral« des Buches liege nicht darin, dass Arbeiter von Fabrikbesitzern und anderen Kapitalisten ausgebeutet wurden, wie Sinclair es gemeint hatte. Vielmehr seien die Arbeiter selbst das Problem. »Die Moral liegt in den Gefahren für freie Institutionen durch die Präsenz menschlicher Horden, die unfrei sind und auch nicht frei sein können, die die Elendsviertel der Großstädte bevölkern und ihre Rechte nicht wahrnehmen können«, so Jordan. Anders formuliert waren die Fabrikbesitzer die eigentlichen Opfer, die zu Unrecht verunglimpft wurden, weil sie die Arbeiter so behandelten, wie diese behandelt werden sollten. »Ganze menschliche Rassen wurden zur Ausbeutung geschaffen«, sagte er, »doch wehe dem Land, das sie ausbeutet.«

Jordan – und vermutlich auch sein Publikum – hatte keinen Zweifel, dass die neuen Absolventen dazu ausersehen waren, Ausbeuter zu werden, und für ihre Rechte wollte er eintreten. Sie seien, so Jordan weiter, Mitglieder einer neuen »Aristokratie der Intelligenz«, die er als »Endziel der Demokratie« bezeichnete. Diese frischgebackenen Aristokraten sollten Amerika als Schutzwall der persönlichen Freiheit dienen – vor allem der Freiheit, keine hohen Steuern zahlen zu müssen. Sie sollten »als Wächter der Staatskasse zusammenstehen – als Hüter der Rechte des kalifornischen Steuerzahlers«.

Diese ultrakonservative Weltanschauung – die zwar zusammen mit Jordans Ideologie der weißen Vorherrschaft aus der offiziellen Geschichte, möglicherweise aber nicht gänzlich aus den Köpfen der Menschen gestrichen wurde – wob sich fest in den Charakter der Universität ein. Stanford sollte später Anziehungspunkt für Herbert Hoovers konservativen Think Tank und dessen Verpflichtung werden, »die Übel der Doktrinen von Karl Marx nachzuweisen, ob Kommunismus, Sozialismus, ökonomischen Materialismus oder Atheismus«.

Die Hoover Institution war 1919 als Bibliothek für die Archive des Ersten Weltkriegs von dem künftigen US-Präsidenten und unerbittlichen Gegner des New Deal gegründet worden. Sie erweiterte ihre Ziele jedoch in den 1940erund 1950er-Jahren, wurde zunehmend politisch und überschattete im eigentlichen und im übertragenen Sinne das Leben der Studierenden bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Der 86 Meter hohe Turm war das höchste Gebäude auf dem Universitätsgelände und dessen Wahrzeichen. Der Geschäftsführer der Institution, W. Glenn Campbell, sollte Barry Goldwater bei dessen Präsidentschaftskandidatur 1964 als leitender Berater zur Seite stehen. Zehn Jahre später ernannte er Goldwaters ideologischen Nachfolger, den kalifornischen Gouverneur Ronald Reagan, zum Ehrenmitglied.

Als Thiel im September 1985 auf dem Campus aufschlug, hatte Reagans zweite Amtszeit als US-Präsident bereits begonnen. Im Weißen Haus wimmelte es von Ehemaligen und Mitgliedern der Hoover Institution, darunter Martin Anderson, der Ökonom, dem das Strategiepapier zugeschrieben wird, das die »Reagonomics«[11] begründete.2 Reagan hatte mindestens dreißig von Andersons Stanford-Kollegen3 in einflussreiche Positionen berufen und würdigte die Universität für den »Aufbau der Wissensbasis, die die derzeit stattfindenden Veränderungen in Washington möglich gemacht« habe, wie es Reagan auf einem Empfang für die Gruppe im Weißen Haus formulierte.4 Stanford wurde zum mutmaßlichen künftigen Standort der Präsidentenbibliothek Reagans und zu der Kaderschmiede für die klügsten konservativen Köpfe.

Für Thiel ebenfalls wichtig: Stanford war die beste Universität. Laut U.S. News & World Report hatte sie in den letzten beiden Jahren vor Harvard, Yale und Princeton rangiert. Von daher hätte sie für ihn eigentlich der ideale Ort sein müssen.

Stattdessen fand Thiel Stanford absolut enttäuschend und war vom ersten Tag auf dem Campus an unglücklich. Er war Branner Hall zugeteilt worden, einem Gebäude ein paar Blocks vom Main Quadrangle, dem Herzstück der Universität, entfernt. Dort waren 147 Erstsemester untergebracht. Er teilte sich Suite 240 mit zwei anderen Studenten: Greg Louden, der in der Marching Band musizierte, was als exzentrisch galt, und Chris Adamson, einem aufstrebenden Comedy-Autoren, der sich für einen Sitz im Studierendenparlament bewarb – auf einer Plattform, die zu einem uniweiten Versteckspiel aufrief, bei dem der Dekan jede und jeden Immatrikulierten suchen sollte. Die beiden müssen Thiel mit einer Mischung aus Spott und Staunen betrachtet haben.

Thiel hatte faszinierende Bücher und gelehrsame Ruhe erwartet. Stattdessen fand er – zumindest in seinem Wohnheim – in erster Linie Ausgelassenheit vor. Jedes Studentenwohnheim hatte einen Sonnenterrasse, die gewöhnlich von jungen Männern mit freiem Oberkörper und Mädchen im Bikini bevölkert war und in den Stunden, die eigentlich zum Studieren vorgesehen waren, aus Lautsprechern mit Musik beschallt wurde. Die jungen Leute tranken, kifften und suchten Anschluss. Dass Thiel sich an alledem nicht beteiligte, versteht sich von selbst. Er war offenbar auch nicht daran interessiert, Freunde zu finden. »So viele (mich eingeschlossen) waren aus seiner Sicht absolut nicht ernst zu nehmen«, erzählte einer, der im selben Jahr in Branner Hall wohnte.

Jeden Morgen verließ Peter Suite 240, ging zum Trinkbrunnen und nahm dort demonstrativ seine Vitamine ein, eine Kapsel nach der anderen, stets zur selben Zeit, in derselben Reihenfolge, zwischendurch immer einen Schluck Wasser, als wolle er allen zeigen, dass er seinen verkaterten Kommilitonen in jeder Hinsicht überlegen war. »Das war ein richtiges Ritual«, erzählte Kommilitonin Megan Maxwell. »Er war ein ganz komischer Kauz.«

Mit derselben Intensität ging Thiel auch ans Studium heran. Er wollte lernen, vor allem aber wollte er glänzen und seine Mitstudierenden in den Schatten stellen. Er verließ das Wohnheim morgens um acht und kam selten wieder, bevor die Bibliothek schloss. Anfang 1986, nach den Weihnachtsferien, öffnete Thiel einen Umschlag mit seinen Noten und erfuhr, dass er mit 4,0 GPA[12] abgeschnitten hatte – eine Leistung, die ihm als einem der besten Erstsemester zu der Auszeichnung mit dem President’s Award verhelfen konnte. Das feierte er, indem er den einzigen anderen Studenten mit einem GPA von 4,0 aufsuchte, den er kannte, und zehn Minuten lang darüber debattierte, warum seine 4,0 »die besseren« waren: Weil er nämlich mehr Kurse belegt hatte, die er mit der Note A+ abgeschlossen hatte. »Das war Erstsemester Peter, wie er leibte und lebte«, erinnerte sich ein Kommilitone.

Wenn Peter nicht gerade um die besten Noten wetteiferte, hatte er, soweit seine Mitstudierenden das beurteilen konnten, nur zwei Interessen: Schach und Politik. Er war konservativ eingestellt, für Reagan und gegen Alan Cranston, der in Kalifornien die dritte Amtszeit als Senator bestritt und 1986 ein viertes Mal wiedergewählt wurde. Diese Einstellung war in Stanford aber nicht ungewöhnlich. Reagan hatte gerade den größten Erdrutschsieg erzielt, seit James Monroe 1820 ohne Gegenkandidat zum fünften Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden war, und unter den Studenten gab es nicht wenige, die in jener liberalen Phase dem bekannten konservativen politischen Journalisten und Autor William F. Buckley nacheiferten.

Doch auch mit diesen verbrachte Thiel nicht viel Zeit – anfangs zumindest. In seinem ersten Studienjahr stieg er Freitagnachmittag in seinen alten grünen VW Käfer und fuhr die gut 30 Kilometer nach Foster City, wo er das Wochenende in dem kleinen Haus auf Whalers Island mit Klaus, Susanne und Patrick verbrachte, der inzwischen die elfte Klasse der Highschool besuchte. Thiel war ein Eigenbrötler, was ihn in Verbindung mit seiner affektierten Überlegenheit und seiner schroffen Art erneut zur Zielscheibe der Spötter unter seinen Altersgenossen werden ließ. Als eine Gruppe seiner Mitstudierenden Tonaufnahmen von lustigen Vorkommnissen in Branner Hall erstellte, kam Thiel darin nur wenige Sekunden lang vor: Eine arrogante Stimme sagte »Tschüss«, und dann hörte man, wie eine Autotür zuschlug, der Motor ansprang und das Auto abfuhr. »Meine Güte, wir waren ganz schön fies zu ihm«, meinte einer der Produzenten dieses Machwerks.

Ein anderes Mal entschlüpfte Thiel im Streit mit einem seiner Mitbewohner ein Schimpfwort. Daraufhin bastelte dieser eine Gedenktafel, die er an die Decke hängte. Darauf standen das Datum – Januar 1986 – und der Satz: »An dieser Stelle hat Peter Thiel zum ersten Mal ›fuck‹ gesagt.« Das Schild hing dort bis zum Semesterende – wie die Verkaufsschilder, die seine Mitschüler auf der Highschool vor sein Elternhaus gestellt hatten. Das ganze Wohnheim amüsierte sich darüber – nur Thiel nicht, der es nicht bemerkte und auch nicht darauf hingewiesen wurde. Als er im Mai gerade dabei war, zum letzten Mal seine Sachen zu packen, um das Wohnheim zu verlassen, machte ihn jemand auf das Schild aufmerksam. »Alter«, sagte einer seiner Mitbewohner. »Schau nach oben.« Thiel schaute hin, schob wortlos einen Tisch darunter, kletterte hinauf, nahm es ab und fuhr in die Sommerferien.

Seine ausgeprägte Eitelkeit machte ihn ebenfalls angreifbar für Spott, aber auch für subtile Manipulation. Einmal schmiedeten seine Kommilitonen den Plan, Peter betrunken zu machen. Zu diesem Zweck erfanden sie ein Spiel namens »Bierschach«. Die Regel dafür lautete, dass man bei jeder geschlagenen Figur einen Schluck trinken musste. Dabei wollten sie eigentlich nur sehen, ob Peter Thiel überhaupt in der Lage war, ein oder zwei Stunden lang Spaß zu haben. Peter war natürlich der bessere Schachspieler, doch sein Mitbewohner Greg aus der Marching Band war auch ganz gut. Sie dachten daher, vielleicht könnte er Peter schnell genug so viele Figuren abluchsen, dass es für einen lustigen Abend reichte. Peter konnte der Herausforderung nicht widerstehen, trank ein paar Schluck Bier und gewann das Spiel haushoch. Seinen missmutigen Gesichtsausdruck verlor er dabei nicht.

Den Spöttern ging es – zumindest anfangs – gar nicht um Politik, doch Thiel fasste es so auf. »Für ihn waren Liberale grundsätzlich Menschen, die nicht nett zu ihm waren«, erzählte ein Kommilitone. »Wie er in Stanford behandelt wurde, hatte daran großen Anteil. Das hat er nie verwunden.« In der Highschool hatte er sich nie offensiv politisch engagiert, doch in Stanford entwickelte er eine neue Identität – die des rechtslastigen Provokateurs.

Im Scherz erklärte er, er wolle eine karitative Scheinorganisation gründen, Liberals for Peace, die für ein vage formuliertes linksorientiertes Programm Geld sammeln und dann nichts weiter tun sollte, als ihm dieses Geld auszuzahlen. Mindestens zweimal erklärte er anderen aus seinem Jahrgang, dass er ihre Bedenken gegen die Apartheid für übertrieben hielt.

»Es funktioniert doch«, behauptete er gegenüber Megan Maxwell in einem Gespräch über eine Initiative, Hochschulen und Unternehmen davon abzuhalten, mit dem Apartheid-Staat Geschäfte zu machen. Damals führten schwarze Studentenorganisationen im ganzen Land, auch in Stanford, Sitzstreiks durch, um für den Abzug von Kapital aus Südafrika zu demonstrieren. Diese Proteste dürften Thiel eigentlich nicht ganz kalt gelassen haben, da er oft positiv über seine Kindheit in Südafrika sprach. Maxwell erinnerte sich, wie perplex sie war, als er ihr trocken erklärte, sie könne an das Land nicht die moralischen Standards amerikanischer Studierender anlegen. Auf den Gedanken, dass Maxwell als Dunkelhäutige das besonders anstößig finden könnte, kam er offensichtlich gar nicht. »Er sagte das ganz sachlich. Das war vermutlich das Gruseligste daran«, schilderte Maxwell.

Eine andere afroamerikanische Studentin, Julie Lythcott-Haims, sprach Thiel offen auf seine Pro-Apartheid-Haltung an. Sie klopfte eines Abends an die Tür von Suite 240 und bat ihn, sich zu erklären. Thiel schaute sie ausdruckslos an und setzte ihr auseinander, dass das südafrikanische System der Bürgerrechtsverweigerung für Schwarze wirtschaftlich fundiert sei.5 Wie viele, die seinerzeit den Apartheid-Staat in Schutz nahmen,6 führte er wohl ins Feld, dass Südafrika viel weiter entwickelt sei als seine Nachbarländer und selbst die Menschen, denen systematisch ihre Rechte vorenthalten wurden, besser lebten als beispielsweise die Menschen in Äthiopien oder Burundi.

In den Folgejahren studierte Lythcott-Haims in Harvard Jura, arbeitete als Anwältin für die Großkanzlei Cooley LLP, avancierte zur Dekanin der Stanford Law School und schrieb später einen Bestseller. (Ihr Buch How to Raise an Adult